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Kapitel 2

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In der Nähe von Assuan in Ägypten – 13. Juli, 15:15 Uhr

Professor Alexandro Novotny schaute durch einen schmalen Felseingang in das vor ihm liegende Gewölbe, das durch den starken Lichtstrahl seiner Taschenlampe hell erleuchtet wurde. Ihm stockte der Atem beim Anblick dessen, was er zu sehen bekam.

Janina Adams folgte ihm auf den Fuß, blieb ebenfalls abrupt stehen, starrte völlig fasziniert in das vor ihnen liegende Höhlengewölbe und pfiff durch die Zähne. »Unglaublich! Wahnsinn! Wir haben es gefunden! Wir haben den alten Tempel und das geheimnisvolle Sternsymbol tatsächlich gefunden!«

»Ja, Janina! Ich kann es selbst kaum glauben. Es ist atemberaubender, als ich vermutet hatte.«

* * *

Auf einer Pferderanch in Texas – 09:00 Uhr

Ein Jeep fuhr durch das Tor zur Pferderanch und stoppte direkt vor dem Haus der Familie Daniels. Drei vermummte Männer sprangen heraus, die Waffen im Anschlag. Während einer der Männer sofort zur Rückseite des Farmhauses lief, stellten sich die anderen beiden rücklings neben die vordere Eingangstür. Der Vermummte, der rechtsseitig stand, öffnete vorsichtig die Tür – sie war unverschlossen – und drang ins Haus ein. Der andere sicherte ihn von hinten ab.

* * *

Lake Livingston in Texas – 09:02 Uhr

Bernie steuerte den Range Rover auf einen Parkplatz direkt vor eine einsame Anlegestelle am Lake Livingston, etwa 80 Kilometer nördlich von Houston und keine zehn Minuten von ihrer Farm entfernt.

»Da ist sie, die Motorjacht«, rief Alina begeistert. »Also im Organisieren von Mitfahrgelegenheiten scheint Onkel Ariel wirklich unschlagbar zu sein. Diese Jacht übertrifft alles, was ich erwartet hätte.«

Amelie nickte und sprach sich selbst Mut zu: »Ja, das ist bestimmt ein richtiges Hausboot, auf dem man es für eine längere Zeit aushalten kann.«

Bernie schaltete den Motor ab. Alle drei verließen das Fahrzeug und schauten unsicher in Richtung der Jacht, die einsam auf dem Wasser lag. Ein kühler Wind strömte vom Wasser herüber und erfüllte Bernie mit einem leichten Frösteln.

»Ich gehe vor und schaue mich mal um. Ihr wartet hier.«

Bernie lief über den Steg zur Jacht und betrat sie. An der Tür zum Innenbereich klebte ein Umschlag. Bernie löste ihn von der Tür – er fühlte sich klamm und kalt an, wie alles hier auf dem Boot –, öffnete ihn und las eine kurze Nachricht:

Bitte verliert keine Zeit und fahrt sofort mit der Jacht los. Man ist euch schon dicht auf den Fersen! Um das Fahrzeug kümmert sich jemand. Liebe Grüße Lionelly.PS: Es tut mir so leid, dass ich euch in die Sache mit hineingezogen habe. Alles wird gut!

Bernie winkte den beiden anderen zu: »Ihr könnt kommen. Das Fahrzeug sollen wir einfach stehen lassen.«

Alina und Amelie folgten ihm auf die Jacht.

* * *

Auf der Farm verließen die drei Vermummten das Haus. Der Anführer nahm sein Smartphone zur Hand.

»Hier ist niemand. Was sollen wir tun?«

Der Mann am anderen Ende der Leitung schlug frustriert mit der Faust auf den Tisch.

»Mist, sie waren doch eben noch im Haus! Sie können noch nicht weit sein. Nehmt die Verfolgung auf, sofort! Ich sende euch die Tracking-Daten des Fahrzeugs aufs Smartphone.«

»Alles klar, verstanden!«

* * *

In einem Geheimversteck in Texas, 09:05 Uhr

Ariel sprang vom Schreibtisch auf und lief zu Yumiko.

»Los, schnell, du musst herausfinden, wo sich das Fahrzeug von Amelie und Bernie gerade aufhält. Sie haben fluchtartig die Farm verlassen. Ich befürchte Schlimmes!«

* * *

Nachdem Alexandro Novotny längere Zeit versucht hatte, die von Ariel Goldberg gestellte 3-D-Kamera zum Fotografieren zu bringen, schaute er seine studentische Hilfskraft frustriert an, die die ganze Zeit über völlig fasziniert und wie hypnotisiert das geheimnisvolle Kunstwerk betrachtet hatte.

»Die 3-D-Kamera funktioniert nicht. Sie muss gestern beim Sandsturm etwas abbekommen haben.«

Janina Adams fiel es schwer, ihren Blick von diesem Meisterwerk der optischen Illusionen abzuwenden und sich der Realität zu stellen.

»Was? Wie? 3-D-Kamera? Was haben Sie gerade gesagt, Herr Professor Novotny?«

»Die 3-D-Kamera funktioniert nicht. Wir müssen uns irgendetwas einfallen lassen.«

»Was, sie funktioniert nicht? So ein Mist! Aber warum können wir nicht einfach Fotos mit meinem Smartphone machen und eines davon Herrn Goldberg schicken?«

Der Professor schüttelte seinen Kopf: »Nein, ein Foto mit einer normalen Kamera kann den 3-D-Effekt und damit die optischen Illusionen des Stern-Symbols nicht einfangen. Das schafft nur diese Kamera hier. Aber meinetwegen – nehmen Sie Ihr Smartphone und machen Sie Fotos. Ich kann auch nichts daran ändern, dass das dumme Ding nicht funktioniert. Wir müssen schauen, ob wir sie im Lager reparieren können. Dann kommen wir morgen wieder und holen das Versäumte nach.«

Das ließ sich die Studentin nicht zweimal sagen. Schnell nahm sie ihr Smartphone zur Hand und machte sofort mehrere Aufnahmen vom Stern-Symbol, von den Symbolen außenherum mitsamt den Hieroglyphen, welche die Wände schmückten. Janinas Blick fiel dabei auf eine Wandmalerei, die sie durch die Allgegenwart des Stern-Symbols übersehen hatte. Es war die Darstellung eines nicht fertiggestellten Turms. Unter diesem Turm waren Schriftzeichen und Symbole, die sich von den restlichen altägyptischen Hieroglyphen deutlich unterschieden.

Janina Adams schaute den Professor mit leuchtenden Augen an: »Haben Sie das hier gesehen? Sieht aus wie eine Darstellung aus einer biblischen Geschichte.« Janina atmete tief durch: »Sieht aus wie der Turmbau zu Babel!«

Professor Novotny schaute sich den Turm an und pfiff durch die Zähne: »Das ist genau das, wonach ich gesucht habe. Das ist wirklich beeindruckend. Und jetzt möchte ich als Professor von meiner besten Studentin die Interpretation dazu hören! Ich bin gespannt auf Ihre Deutung, Janina.«

Die zögerte, schaute sich den Turm mit den dazugehörigen Schriftsymbolen genau an und wandte sich dann an den Professor: »Vorausgesetzt, dass es sich nicht um eine nachträgliche Fälschung handelt, würde ich sagen, dass hier in diesem Tempel tatsächlich zwei verschiedene alte Kulturen aufeinandertreffen«, Janina schaute den Professor an, »wie Sie auf dem Weg hierher vorausgesagt haben. Ich frage mich nur, wie das beides miteinander zusammenhängt?«

Der Professor nickte: »Ja, Fragen über Fragen, die nach einer Antwort suchen. Wir müssen natürlich vorsichtig sein, was die Interpretation angeht, und sorgfältig recherchieren. Schade, dass uns heute keine Zeit mehr bleibt, um alles genauer unter die Lupe zu nehmen.«

»Warum bleibt uns keine Zeit mehr? Es ist doch erst später Nachmittag«, wandte Janina Adams ein.

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange unsere Taschenlampenbatterien noch halten. Sie lagen gestern zu lange in der Hitze und ich fürchte, die Batterien haben dabei Schaden genommen.«

Janina nickte: »Stimmt, der Scheinwerfer scheint langsam, aber sicher schlappzumachen. Und die Stirnlampen machen auf mich auch nicht den Eindruck, als ob sie noch ewig Licht abgeben würden. Wäre fatal, wenn wir im Dunkeln zurückfinden müssten.«

»Ja, das nächste Mal werden wir einiges mehr zu schleppen haben. Und wir werden zwölf Fackeln mitbringen«, schlug Novotny vor.

Janina schaute ihn fragend an: »Fackeln? Meinen Sie das ernst?«

»Was sehen sie an den Wänden?«

Janina schaute sich um.

»Tatsächlich – zwölf Halterungen für Fackeln, ungleichmäßig aber, wie es aussieht, symmetrisch angebracht. Wahrscheinlich hat man hier nichts dem Zufall überlassen.«

»Richtig! Hier war ein großer Künstler am Werk, der nicht nur ein Wunderwerk optischer Illusionen geschaffen hat, sondern der auch in der Lage war, zusätzlich mit Lichteffekten zu spielen. Ich vermute mal, dass wir Fackeln brauchen werden, um im Originallicht sein Kunstwerk sozusagen im rechten Licht betrachten zu können. Und wahrscheinlich wird dann das komplette Gewölbe mit dem Stern-Symbol im Zentrum noch eine ganz andere Wirkung auf uns haben.«

»Das ist total aufregend, Herr Professor Novotny! Ich freue mich schon auf morgen.« Janina machte noch schnell ein paar Fotos, dann verließen sie den Tempel.

* * *

Alina und Amelie betraten jetzt ebenfalls die Jacht. Alles war ruhig. Doch plötzlich wurde die Tür der Innenkabine aufgerissen. Ein ungewöhnlich großer, gut durchtrainierter blonder Mann trat ihnen entgegen und bedrohte sie mit einer Waffe.

»Schön, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid. Und damit keine Missverständnisse aufkommen. Eine falsche Bewegung und ihr seid tot.«

Der blonde Hüne setzte ein teuflisches Grinsen auf. »Ach, und ihr dürft mich gerne Lionelly nennen.«

* * *

Die drei Vermummten erreichten mit dem Jeep den Lake Livingston. Rasch stiegen sie aus und schauten sich um. Sie fanden jedoch nichts als ein paar Reifenspuren, die zum Range Rover der Familie Daniels passten.

Der Anführer nahm sein Smartphone zur Hand: »Ariel, wir sind leider zu spät gekommen. Die Familie Daniels ist soeben entführt worden.«

* * *

In der Nähe von Assuan in Ägypten, mitten in der Wüste, 19:30 Uhr

Janina Adams schaute auf ihr Smartphone, dann auf das einfache unbequeme Feldbett, auf dem sie in einem kargen Zelt die vor ihr liegende Nacht verbringen musste. Der beißende Duft von schlecht verarbeitetem Kunststoff strömte von der Zeltplane herüber und vermischte sich mit dem immerwährenden Staub der Wüste, der bei ihr stets für eine ausgetrocknete Nase sorgte.

Sie wurde aus Professor Novotny nicht ganz schlau. Warum nur hatten sie einen Tag zuvor das komfortable Hotel geräumt, um an einer schon lange verlassenen und ihrer Meinung nach völlig bedeutungslosen Ausgrabungsstätte ein Zeltlager aufzuschlagen?

Janina fröstelte bei dem Gedanken, dass sich außer dem Professor und ihr nur noch zwei wortkarge Ägypter im Lager aufhielten, die mit ihren einfachen russischen Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg für Schutz sorgen sollten. Der eine hieß Khufu, der andere Sekani. Was machte das alles für einen Sinn? Das Hotel war doch gar nicht so weit von dieser Ausgrabungsstätte entfernt und wäre sicherlich ein bequemerer und vor allem sicherer Ort zum Übernachten gewesen! Aber aus irgendeinem Grund zog der Professor die Einsamkeit und Anonymität dieser Ausgrabungsstätte dem Komfort eines Hotels vor.

Janina dachte auch an den ermüdenden Fußmarsch durch die Wüste zurück. Wie viel einfacher wäre es gewesen, einfach mit dem Boot über den Nil ein Stück nördlicher zu fahren. Janina fielen die Stichworte ›Geheimhaltung‹ und ›Ariel Goldberg‹ dazu ein. Aber warum sprach der Professor mit ihr nicht einfach offen darüber? Klar, sie hatte ihm vor der Abreise versprechen müssen, niemandem davon zu erzählen, was sie hier in Ägypten vorhatten oder was sie zu sehen bekamen. Aber anscheinend hatte er übersehen, dass es den Leuten in diesem Land total egal war, was sie taten – außer, dass sie sich eine gute Bezahlung für ihre Dienste erhofften.

Auf Janinas Fragen antwortete der Professor immer nur ausweichend mit dem Verweis, dass man als Archäologe halt auch bereit sein müsse, Strapazen auf sich zu nehmen. Und es sei wichtig für sie als angehende Archäologin, sich schon einmal daran zu gewöhnen.

Janina Adams fühlte sich einsam. Der Professor hatte sich in sein Zelt zurückgezogen und arbeitete jetzt schon seit mehreren Stunden daran, die 3-D-Kamera wieder flottzumachen, bisher anscheinend ohne Erfolg, sonst hätte er sich bestimmt bei ihr gemeldet. Und ein Gespräch mit den beiden Ägyptern war auch nicht möglich. Die Bodyguards ignorierten sie einfach und sprachen kein Wort mit ihr. Wenigstens hatte sie einen Freund in Freiburg, dem sie absolut vertrauen konnte. Ja, sie hatte Gefühle für ihn und war froh, dass sie mit ihm über WhatsApp Kontakt halten konnte, auch wenn das Netz an diesem Ort am Rande der Wüste nicht sehr stabil war. Klammheimlich hatte sie ihm vorhin zwei Fotos aus der Höhle zukommen lassen. Der Professor ahnte nichts davon. Nein, er wusste anscheinend nicht einmal, dass es hier trotz der Einsamkeit ab und zu ein Mobilfunknetz gab.

Im Nachhinein hatte sie jetzt ein schlechtes Gewissen. Der Professor vertraute ihr, und es kam ihr wie Verrat vor, dass sie einem Studienkollegen hinter seinem Rücken geheime Informationen zugesendet hatte. Andererseits war sie sich absolut sicher, dass Fabricio Mantovani richtig damit umgehen würde. Nein, dieser Freund würde die Bilder niemandem zeigen, sondern einfach nur seinen Kommentar dazu schreiben, weiter nichts. Und niemand würde davon erfahren.

Sie hatte großes Mitgefühl mit Fabricio, seitdem er ihr offenbart hatte, dass er an Krebs erkrankt sei und sich nun ganz allein, weit weg von seiner Familie, einer äußerst schmerzhaften und anstrengenden Chemotherapie unterziehen müsse. Wie gefasst er mit dieser womöglich tödlichen Krankheit umging! Janina bewunderte ihn. Deshalb war es für sie einfach eine Selbstverständlichkeit, dass sie ihren schwerkranken Freund auf dem Laufenden hielt und somit hoffentlich zwischendurch auf andere Gedanken brachte.

Plötzlich hörte Janina den ganz speziellen WhatsApp-Benachrichtigungston, auf den sie bereits gewartet hatte. Endlich, Fabricio antwortete ihr.

* * *

Freiburg – 13. Juli, 18:30 Uhr

Fabricio musste unwillkürlich lachen, nachdem er die Textnachricht abgeschickt hatte, die Janina in Verzweiflung stürzen würde. Aber Fabricio genoss den Augenblick – den Augenblick der Wahrheit. Er genoss es, Janina wehzutun.

Fabricio schüttelte den Kopf. Woher nur kam sein Hass auf dieses bildhübsche Mädchen mit den langen blonden Haaren, den blauen Augen und dem sympathischen Lachen? Eigentlich hätte er sich doch in sie verlieben müssen. Doch dann dachte er an Melanie zurück, seine Ex-Freundin, die Janina sehr ähnlich war und die ihn in dem Augenblick sitzen gelassen hatte, als er sie eigentlich am meisten gebraucht hatte. Sie hatte ihm die größte Demütigung seines Lebens zugefügt. So etwas musste einfach gesühnt werden. Wie er Melanie hasste! Und er hasste auch Janina, je mehr er mit ihr zu tun bekam.

Wie einfach es gewesen war, dieser naiven Kommilitonin die Geheimnisse von Professor Novotnys Expedition zu entlocken. Dazu hatte er bei Janina nur etwas auf die Tränendrüse drücken müssen, indem er behauptete, er sei schwer krank. Ein schlechtes Gewissen hatte er deswegen nicht. Immerhin hatten ihm seine Auftraggeber für diese Informationen viel Geld angeboten – sehr viel Geld. Und Fabricio hatte keine Fragen gestellt. Er würde auch keine Fragen stellen – das war eine der Bedingungen, die er bei diesem Deal zu erfüllen hatte. Die weiteren Bedingungen waren, dass er sich keine Kopien von den Fotos machte und dass er den Kontakt zu Janina vollständig abbrach. Fabricio hatte insgeheim darüber gelacht – klar, dass er sich Kopien von den Fotos machte – keiner würde es merken und er würde natürlich auch nicht damit hausieren gehen. Und auf den Kontakt mit Janina legte er sowieso keinen Wert. Sie war einfach nur eine Kommilitonin und für ihn nur Mittel zum Zweck.

Fabricio hatte sofort nach Erhalt von Janinas Nachricht den mysteriösen Fremden kontaktiert, der ihm den Auftrag vermittelt hatte. Danach hatte er einen Treffpunkt in der Nähe vom Spalentor in Freiburg aufgesucht. Dort tauschte er sein Smartphone gegen das vereinbarte Päckchen Geld aus. Auf dem Smartphone befanden sich die Fotos von Professor Novotnys Sensationsfund und die GPS-Koordinaten von Janinas aktuellem Aufenthaltsort, die er mit einer Tracking-App sehr leicht ermitteln konnte. Bevor ihm der Fremde das Päckchen mit dem Geld übergab, sorgte er noch dafür, dass Fabricios Smartphone auf Werkseinstellungen zurückgesetzt wurden und somit alle Daten gelöscht wurden.

Auch darüber musste Fabricio lachen – für wie blöd hielten ihn seine Auftraggeber eigentlich? Es war doch wohl wirklich kein Kunststück, sich sämtliche gelöschten Daten über ein geheimes Backup auf einen anderen Account und ein neues Smartphone zu laden.

Aber ihm war es egal – das hier war leicht verdientes Geld, das er dringend brauchte. Vor allem konnte er Brunetti jetzt endlich seine horrenden Spielschulden bezahlen. Brunetti, ein bekannter italienischer Mafioso aus Freiburg, für den er hin und wieder ein paar Aufträge erledigen durfte, würde sich über die unerwartet schnelle Rückzahlung sicherlich freuen.

Er dachte noch einmal an die Textnachricht zurück, die er kurz zuvor an Janina abgeschickt hatte:

Vielen Dank für die Fotos!

Ansonsten möchte ich dir noch sagen, dass ich dich dafür verachte, dass du so das Vertrauen von Professor Novotny missbrauchst und mir hinter seinem Rücken Fotos und geheime Infos zuschickst. Und du willst Christ sein! Ich an deiner Stelle würde mich schämen!

Und damit du dich so richtig ärgerst, sage ich dir jetzt die ganze Wahrheit: Ich bin weder krank noch ein Freund von dir. Ich habe dich einfach nur benutzt, um an diese geheimen Informationen zu kommen, für die ich sehr viel Geld kassiere. Leb wohl – ich habe jetzt das, was ich wollte und beende hiermit den Kontakt zu dir. Es sei dir eine Lehre.

Fabricio Mantovani grinste noch einmal spöttisch. Nein, er hatte kein schlechtes Gewissen, sondern genoss diesen Triumph in vollen Zügen. Ach, wie gut es ihm ging .

* * *

Entsetzt starrte Janina auf die Textnachricht – ihre Augen weiteten sich. Sie konnte nicht glauben, was sie da las. Als ob sie dadurch am Inhalt der Nachricht etwas ändern konnte, las sie diese wieder und wieder.

Doch je häufiger sie die Nachricht las, desto mehr wurde ihr die Tragweite ihrer Fehlentscheidung bewusst. Was hatte sie getan? Das Blut fing in ihrem Hirn an zu klopfen und ihr wurde schwarz vor Augen. Ihr Mund öffnete sich – sie wollte etwas sagen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Der unangenehme Kunststoffgeruch im Zelt wurde noch intensiver als vorher, und es kam ihr so vor, als würden sich plötzlich alle Wände gleichzeitig auf sie zubewegen, um sie zu zerquetschen.

Janina verließ fluchtartig ihr Zelt. Nein, sie hielt die Enge nicht mehr aus – zentnerschwere Schuldgefühle plagten sie.

Fabricio, dieser Schweinehund, er hatte sie nur benutzt! Er hatte ihr Vertrauen missbraucht und ihr alles nur vorgespielt. Die ganze Freundschaft, das gemeinsame Lachen in den Bars in Freiburg, das Vertrauen, das er ihr vorgespielt hatte.

Sie dachte an einen Ausspruch Fabricios zurück: »Du bist etwas Besonderes, Janina. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dir restlos vertrauen kann. Ich bin zwar noch nicht so weit, aber ganz tief in meinem Herzen spüre ich, dass ich dir irgendwann einmal sogar meine tiefsten Geheimnisse anvertrauen werde.«

Janina Adams hatte sich blenden lassen. Mit ganzer Härte wurde ihr bewusst, dass wirklich alles, was Fabricio ihr um den Mund geschmiert hatte, nur Schauspielerei gewesen war. Alles diente nur dem einen Zweck: Möglichst schnell ihr Vertrauen zu gewinnen, um an die Geheimnisse dieser Forschungsexpedition heranzukommen. Sie konnte nicht fassen, dass jemand so verschlagen sein konnte. Er hatte ihr Vertrauen auf gemeinste Weise missbraucht.

Sie las noch einmal die ersten Zeilen der Nachricht:

»Ansonsten möchte ich dir noch sagen, dass ich dich dafür verachte, dass du so das Vertrauen von Professor Novotny missbrauchst.«

Janina ballte wütend die Faust. Dieser Mistkerl hatte kein Recht, sie zu verachten! Aber spielte das eine Rolle? Sie verachtete sich ja selbst. Denn sie hatte das Vertrauen eines anderen Menschen missbraucht, indem sie diesem Schuft, diesem falschen Freund, heimlich Fotos und Informationen zugeschickt hatte. Sie fühlte sich elend und schuldig. Schwindel überkam sie.

Ganz besonders hatte sie Fabricios spöttischer Hinweis getroffen:

»Und du willst Christ sein!«

Dieser Ausspruch war für sie wie ein Stich in ihr Herz: Ja, sie war Christin – aber was für eine? Sie schämte sich. Seit Jahren spielte der Glaube in ihrem Leben nur noch eine untergeordnete Rolle. »Du Heuchlerin! Du Verräterin! Du Feigling! Wie tief bist du gesunken, Janina?«, flüsterte sie sich verzweifelt selbst zu.

Ihr Blick fiel auf das Zelt des Professors. Sollte sie sich ihm anvertrauen? Sollte sie ihm sagen, was sie getan hatte? Sie schüttelte betrübt den Kopf und lief ziellos in die Nacht hinein, fort vom Lager. Nein, das konnte sie nicht. Sie war einfach noch nicht so weit. Ob sie dem Professor überhaupt jemals wieder in die Augen schauen könnte?

* * *

Immer noch grinsend drehte Fabricio den Zündschlüssel seines Fahrzeugs. Plötzlich wurde es um ihn herum ganz hell. Das Letzte, was er wahrnahm, war ein mächtiger Knall gepaart mit einer unglaublichen Hitze, die ihn umschloss und ihn augenblicklich auslöschte.

Die Explosion der Autobombe war gewaltig und ließ im Umkreis von zweihundert Metern sämtliche Fenster bersten. Aber davon bekam Fabricio nichts mehr mit.

Das Babylon-Mysterium

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