Читать книгу Das Babylon-Mysterium - Daniel Kowalsky - Страница 15
Kapitel 4
ОглавлениеKibbuz in Israel – 14. Juli, 12:00 Uhr
Gerade traten Ariel und Yumiko zur Tür herein und wurden von Lion und den anderen begrüßt. Ariel kam sofort zur Sache und wandte sich an Lion, der ihn erwartungsvoll anschaute: »Wir haben Neuigkeiten! Meine Freunde haben sowohl das Auto deiner Eltern als auch die Jacht aufgespürt, mit der sie auf den See hinausgefahren sind. Leider gibt es keine Spur von deiner Familie.«
»Was heißt das?«, wollte Jackie wissen.
»Mein Kumpel Sam, der Einsiedler, den ihr in den Bergen von Colorado kennengelernt habt, war mit von der Partie und hat das Ufer auf beiden Seiten des Sees für mich gründlich untersucht.«
»Und, was hat er herausgefunden?«, wollte Leandro wissen.
»Er ist sich absolut sicher, dass sie auf der anderen Seite des Lake Livingston in einen Hubschrauber eingestiegen sind.«
Davids Gesicht trübte sich ein: »Wenn der alte Sam so etwas behauptet, dann glaube ich ihm das auch. Also sind sie tatsächlich entführt worden?«
»Davon ist auszugehen«, flüsterte Yumiko.
Ariel fuhr fort: »Meine Leute haben ein paar Anwohner gefragt, die etwa fünf Kilometer südlich dieser Anlegestelle wohnen. Sie konnten uns bestätigen, dass zur von uns genannten Zeit tatsächlich ein Militärhubschrauber über sie hinweg Richtung Süden geflogen ist. Es handelte sich der Beschreibung nach um einen Hubschrauber mit sehr großer Reichweite.«
»Will heißen, dass sie jetzt überall sein können und wir keinerlei Anhaltspunkte haben.«, seufzte Lion resigniert.
»So ist es.« Ariel griff nach seiner Reisetasche, die er in der Eingangstür abgestellt hatte. »Lasst uns erst einmal richtig ankommen. Wir treffen uns in einer Dreiviertelstunde im Konferenzraum und besprechen, wie es weitergeht.«
* * *
Mittlerweile hatten sich alle im Konferenzraum des Kibbuz eingefunden, den Lion und Jackie liebevoll ›Aris Nest‹ getauft hatten. Ariel hatte sichergestellt, dass außer ihnen niemand mithörte.
Nicht, dass sie in dieser weit abseits von allen Städten liegenden Gemeinschaft von Israelis, in der mit vereinten Kräften erfolgreich Landwirtschaft betrieben wurde, irgendetwas zu befürchten war. In diesem Kibbuz wurden keine Fragen gestellt, zumindest nicht an Ariel, der in der Kommune ein hohes Ansehen genoss. Jeder wusste, dass Ari, wie sie ihn hier inzwischen auch alle nannten, Geheimnisse hatte, die niemanden etwas angingen, und jeder respektierte das. Sie ließen ihm völlig freie Hand.
Ariel, der wenige Jahre zuvor durch einen seiner Onkels ein Vermögen geerbt hatte, das er zu Lebzeiten wahrscheinlich nicht mehr würde ausgeben können, bedankte sich dafür, indem er die Gemeinschaft, wo es ging, unterstützte und ihr mit Geldmitteln und durch seinen Einfluss in Israel viele Vorteile verschaffte.
Durch seine ehemalige Arbeit für den Mossad, den israelischen Geheimdienst, hatte es sich Ariel angewöhnt, nichts dem Zufall zu überlassen, und hatte deshalb in dem Kibbuz einen schallisolierten Konferenzraum bauen lassen, in dem die modernsten Kommunikationseinrichtungen und technischen Errungenschaften vorhanden waren. Selbstverständlich alles nach dem Standard einer typischen Mossad-Zentrale.
Ariel eröffnete die Besprechung mit einem Foto auf einer großen Videoleinwand und kam ohne Umschweife gleich zur Sache.
»Auf dem Foto seht ihr einen baugleichen Militärhubschrauber, mit dem Lions Familie entführt wurde. Es handelt sich um einen Boing Vertol CH-47D Chinook mit einer Reichweite von über 2000 Kilometern. Er ist zunächst Richtung Süden geflogen und dann vom Radarschirm verschwunden. Wir gehen davon aus, dass sich an Bord ein Radar-Störgerät befindet, was eine Ortung unmöglich macht.«
Yumiko blendete ein weiteres Bild ein, das eine Karte rund um Texas anzeigte, auf dem ein Radius von zweitausend Kilometern eingezeichnet war.
»Wie ihr seht, ist der Hubschrauber in der Lage, ohne Tankstopp bis nach Mexiko, Kuba oder irgendein Land in Mittelamerika oder in der Karibik zu fliegen. Und von dort kann die Familie Daniels dann in die ganze Welt verschleppt worden sein. Wir haben wirklich keinen Anhaltspunkt.«
»Und warum hackst du dich nicht einfach irgendwo ein und findest heraus, wo sie hingeflogen sind?«, fragte David naiv nach, die Antwort bereits vorausahnend.
»Weil dieser Hubschrauber über so gut wie keine unnötige Elektronik verfügt – also Lücken, die eine Computerhackerin wie ich nutzen könnte. Außerdem ist es uns nicht gelungen herauszufinden, welcher Hubschrauber es war, der hier eingesetzt wurde. Keine Chance!«
Leandro schaute Ariel ernst an. »Also womit müssen wir jetzt deiner Meinung nach rechnen, wenn wir davon ausgehen, dass Gilbert Winter mit seiner Geheimorganisation hinter der Entführung steht?«
»Dass er in den nächsten Tagen irgendwie an Lion herantreten und ihm ein Ultimatum stellen wird, das darauf abzielt, an Jackie heranzukommen.«
Yumiko führte Ariels Gedanken weiter aus: »Will heißen, dass er Lion vor die Wahl stellen wird: Entweder, du überlässt uns Jackie, oder wir töten deine Familie.«
Lion sprang auf: »Kommt gar nicht in die Tüte! Ich habe euch schon einmal klargemacht, dass ich auf so einen Deal niemals eingehen werde.«
Jackie zog ihn auf seinen Stuhl zurück: »Du vergisst, dass ich auch noch da bin, Lion. Und ich darf ja wohl ein Wörtchen mitreden. Ich würde es niemals zulassen, dass du für mich deine Familie opferst. Lieber stelle ich mich diesem Schurken Gilbert Winter. Ich bin in Gottes Hand.«
Ariel schlug mit der Faust auf den Tisch und unterbrach die kleine Streiterei zwischen Lion und Jackie.
»So weit sind wir noch nicht! Winter ist noch nicht an uns herangetreten. Wir wissen im Augenblick noch rein gar nichts. Ansonsten würde ich mich aber der Meinung von Lion anschließen, dass wir uns auf gar keinen Fall auf einen faulen Deal einlassen dürfen. Wer garantiert uns, dass wir damit die Freiheit der Familie Daniels bewirken könnten? Ich würde sogar das Gegenteil behaupten. So lange Jackie bei uns ist, können wir uns sicher sein, dass Lions Familie unversehrt bleibt.«
»Das sehe ich genauso!«, fuhr Leandro eifrig dazwischen, der Gilbert Winter von allen Anwesenden am besten kannte. »Ich habe mehrere Jahre für ihn gearbeitet und kenne den Charakter dieses Mannes ziemlich gut. Der denkt rational und würde es nicht riskieren wollen, sein Pfand, also die Familie Daniels, zu verlieren. Außerdem weiß Lion zu viel über ihn. Er ist ein unkalkulierbares Risiko für Gilberts Organisation, das ebenfalls beseitigt werden muss. Und da kann er sich die Herausgabe seines Pfandes nicht leisten.«
Leandro wandte sich an Jackie: »Also, schlag dir das aus dem Kopf, dich für Lions Familie aufzuopfern. Das funktioniert so nicht.«
Jackie seufzte grimmig: »Echt toll, mit welch einer Kälte und Kaltschnäuzigkeit hier über Menschenleben verhandelt wird, so als ob es sich um Ware handeln würde, die wir von A nach B schieben müssen! Es geht immerhin um Lions Familie und um mich. Also, etwas mehr Respekt bitte!«
Leandro wollte widersprechen, aber David, der spürte, dass Jackie gefühlsmäßig sehr angegriffen war, gab ihr etwas Rückendeckung: »Ja, wir sollten uns darum bemühen, uns von unserer Sprache her nicht auf das gleiche Niveau zu begeben wie unsere Gegner. Dazu ist jedes Menschenleben viel zu kostbar.«
David räusperte sich, die anderen schwiegen betroffen. Er fuhr fort: »Ansonsten glaube ich aber auch, dass wir keine Wahl haben. Wir müssen Lions Familie irgendwie aufspüren und befreien, möglichst, bevor dieser Winter das von uns erwartete Ultimatum stellen wird.«
Lion wandte sich gestresst an die Runde: »Hat irgendjemand hier im Raum eine gute Idee oder vielleicht wenigstens einen Strohhalm, an den wir uns klammern können?«
Alle schwiegen betreten. Ariel blickte kurz zu Yumiko hinüber, die kaum merklich nickte. Ariel räusperte sich und verriet den anderen ein Geheimnis.
»Yumiko und ich sind schon seit längerer Zeit an etwas dran, was uns durchaus einen Anhaltspunkt geben könnte.«
»Wie das?«, platzte Jackie dazwischen. »Wir wissen doch von der Entführung erst seit ein paar Stunden!«
Yumiko übernahm die Erklärung: »Es geht dabei eben nicht nur um die Entführung, Jackie, sondern um etwas weit darüber hinaus. Ari und ich haben eine Möglichkeit gefunden, wie wir in das PTR-Darknet von Gilbert Winters Organisation eindringen könnten.«
»Was ist das schon wieder?«, hakte Jackie nach, der das alles sehr zusetzte.
»Es ist ein Computernetzwerk«, erklärte Yumiko, »über das die Mitglieder der Organisation untereinander kommunizieren. PTR steht dabei vermutlich für den Namen dieser Geheimgesellschaft oder ist zumindest eine Abkürzung davon. Auf diesem Netzwerk liegen geheime Daten, an die sonst kein sterblicher Mensch drankommen würde. Sollte es uns gelingen, in dieses Computernetzwerk einzudringen, finden wir dort sicherlich Anhaltspunkte, wo sie Lions Familie versteckt halten.«
Ariel nickte: »Ja, viel mehr als das. Wir kämen an Informationen, die uns einen tiefen Einblick in die Organisation gewähren würden. Vielleicht könnten wir sogar etwas über Jackie und den Grund ihrer Amnesie herausfinden. Yumiko und ich sind uns einig, dass dieses geheime Netzwerk im Augenblick unsere einzige Chance ist. Deshalb haben wir euch eingeweiht, obwohl wir eigentlich Stillschweigen darüber vereinbart hatten.«
Lion schaute beide mit großen Augen an: »Und wie wollt ihr euch den Zugriff auf dieses Darknet verschaffen? Das ist doch bestimmt eines der am besten gesicherten Computernetzwerke der Welt mit einer nullprozentigen Chance, sich dort einzuhacken.«
Ariels Augen funkelten geheimnisvoll: »Yumiko und ich haben eine Lücke gefunden.«
Alle schauten ihn interessiert an, aber Ariel trank erst einmal ein Glas Wasser, bevor er weitersprach.
»Die Lücke ist ein antikes, dreidimensionales Symbol, das sie als Bild-Code benutzen, um jedem hochrangigen Mitglied einen Zugriff aufs Darknet zu ermöglichen. Wenn wir an dieses Symbol herankommen, ist das die halbe Miete.«
Jackie fuhr sich mit der Hand durch ihre langen rotbraunen gelockten Haare: »Also noch einmal zum Mitdenken: Ihr wollt mithilfe eines antiken Symbols in das PTR-Darknet eindringen, ist das richtig?«
Yumiko nickte begeistert: »Ja, bei dem Symbol handelt es sich um einen dreidimensional wirkenden Stern. Und mithilfe einer speziellen Smartphone-App ist dieser Stern sogar scanbar. Wenn wir ein 3-D-Foto von diesem Symbol haben, brauchen wir nur noch die Passwörter von Gilbert Winter – und flutsch – sind wir drin!«
Ariel fuhr fort: »Wir wissen auch schon, wie wir an dieses antike Stern-Symbol herankommen können.«
»Und wie?«, hakte Leandro nach.
»Das Original-Symbol befindet sich als eine Art Wandmalerei in einer antiken Höhle in Ägypten, deren Existenz ein Geheimnis ist. Mir ist es aber gelungen, an ein paar Kopien alter Manuskripte eines gewissen Jeffery Talbot Anderson heranzukommen, der 1876 einen Tempel in der Nähe des Assuan-Staudammes in Ägypten entdeckt haben will, in dem sich dieses Sternsymbol befindet. In den mir vorliegenden Dokumenten ist sogar eine Karte vorhanden, die genaue Ortsangaben macht.«
»Und hast du auch schon Pläne, diese Höhle zu finden?«, fragte David nach.
»Das erledigt gerade ein alter tschechischer Freund von mir, der Archäologieprofessor an der Universität in Freiburg ist und sich zurzeit in Ägypten aufhält. Ich zahle alle Rechnungen für ihn. Im Gegenzug wird er mir mit einer 3-D-Spezialkamera ein Foto von dem Symbol zusenden. Damit bekommen wir dann hoffentlich den Zugriff aufs PTR-Darknet.«
»Und? Hat der Professor die Höhle gefunden?«, wollte Lion wissen.
»Ja!«, sagte Ariel geheimnisvoll mit leuchtenden Augen. »Gestern hat er tatsächlich diesen Tempel gefunden. Nur leider konnte er keine Fotos machen, weil die 3-D-Kamera nicht funktionierte. Als er mir die Nachricht schrieb, war er gerade dabei, sie zu reparieren mit dem Plan, heute noch einmal die Höhle aufzusuchen und die Fotos nachzuholen.
Ariels Blick verfinsterte sich: »Allerdings habe ich seitdem nichts mehr von ihm gehört und mache mir langsam Sorgen.«
»Hast du auch für einen bewaffneten Schutz der Expedition gesorgt?«, wollte Leandro wissen. »Ägypten ist ja nicht gerade ein sicheres Land abseits der großen Städte oder Zentren.«
»Ja, ich habe dem Professor zwei Bodyguards vermittelt, auf die Verlass ist und die vor allem keine Fragen stellen, wenn sie gut bezahlt werden. Sie haben allerdings darauf bestanden, ihre eigenen Waffen, alte russische Gewehre, zu verwenden. Ich weiß nicht, wie weit sie damit im Falle eines Überfalls kommen.«
»Und hast du zu diesen beiden Kontakt?«, fragte Lion nach.
»Nicht direkt, leider. Aber wir sind dran.«
»Moment!«, unterbrach ihn Yumiko. »Hier ist soeben eine Nachricht hereingekommen.«
Sie starrte auf den Text, schüttelte den Kopf und zeigte die Nachricht. Ariel las sie laut vor.
»Es ist etwas passiert. Bitte ruf mich dringend an! Bin jetzt erreichbar. Sekani«
Sofort nahm Ariel Goldberg sein Smartphone zur Hand und wählte über eine sichere Leitung eine Nummer in Ägypten. Am anderen Ende meldete sich Sekani, einer der beiden Bodyguards von Professor Alexandro Novotny.
Ariel unterhielt sich mit ihm in perfektem Arabisch, niemand im Raum verstand etwas. Aber je länger das Gespräch andauerte, umso nervöser und hektischer wurde Ariel. Als er auflegte, war er kreidebleich. Leise sagte er mit zitternder Stimme: »Der Professor ist tot!«
* * *
In der Wüste Ägyptens – 14. Juli, Mittagszeit
Janina Adams wachte auf. Sie hatte starke Kopfschmerzen und dadurch Mühe, die Augen zu öffnen. Es war komisch – sie hatte einen matten, faden Geschmack im Mund, nahm aber ansonsten keinerlei Gerüche wahr. Ob das an ihr lag? Außerdem fühlte sie sich sehr geschwächt.
Neben ihr saß eine verschleierte Frau, die vorsichtig mit einem Tuch ihre heiße Stirn abtupfte.
Janina richtete sich mühsam ein wenig auf. »Wo bin ich?«, krächzte sie.
Die Frau drückte Janina sanft auf die Liegefläche zurück und begann, mit einem Schwall Arabisch auf sie einzureden. Janina verstand kein Wort, spürte dafür aber deutlich ein paar Feuchtigkeitspartikel auf ihrer Haut, wischte sich diese erst einmal aus ihrem Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren. Offensichtlich wollte ihr die Frau mitteilen, sie solle liegen bleiben. Aber wo war sie – was war passiert und vor allem, wie war sie hierhergekommen?
Langsam fielen ihr die schrecklichen Ereignisse der letzten Nacht wieder ein. Oder hatte sie alles nur geträumt? Nein, es war alles brutale Wirklichkeit.
Janina fröstelte bei dem Gedanken, dass Professor Novotny von Söldnern erschossen worden war, und dass sie schuld daran war. Schnell verdrängte sie den Gedanken wieder. Aber wie war sie entkommen? Stück für Stück tauchten die Bilder der letzten Nacht vor ihrem geistigen Auge auf.
Sie hatte den Ort des Grauens fluchtartig verlassen, war zunächst direkt in die Wüste gelaufen, ohne Plan, ohne Ziel. Nach einem mehrstündigen Marsch hatte sie versucht, mit dem Kompass ihrer Outdoor-Smartwatch-Armbanduhr die Himmelsrichtung zu bestimmen, um irgendwie den Nil zu erreichen – allerdings ohne Erfolg. Anstatt nach Osten Richtung Nil war sie immer weiter Richtung Westen in die Wüste gelaufen. Als es dann hell geworden und die Hitze langsam auf über vierzig Grad angestiegen war, hatten sie ihre Kräfte verlassen, und sie war wegen Überhitzung zusammengebrochen.
Den Grund ihres Irrlaufs hatte sie leider viel zu spät erkannt, und zwar erst nach Sonnenaufgang, der gemäß ihrem Kompass komischerweise im Westen stattfand: Ihr Kompass hatte die ganze Zeit in eine falsche Richtung gezeigt, nicht nach Norden, sondern auf ein kleines Armband mit einem Magneten, das sich direkt neben dem Kompass an ihrem linken Arm befunden hatte. Und weil sie eine westliche Richtung eingeschlagen hatte und auch in diese Richtung schaute, hatte der Kompass durchgehend in Richtung Süden anstatt nach Norden gezeigt.
Aber jetzt war sie hier! Jemand musste sie gefunden haben. Deshalb lag sie jetzt hier! So musste es sein.
Die Frau reichte Janina einen Becher Wasser, den sie in einem Zug leer trank. Langsam legte sich der fade Geschmack wieder.
Im selben Augenblick kam ein bärtiger Mann mit einer typisch arabischen Kopfbedeckung herein, der sie in gebrochenem Englisch ansprach: »Du hast gewaltiges Glück gehabt, Mädchen. Die Wüste hätte dich getötet, wenn meine Frau dich nicht gefunden hätte.«
»Wo bin ich?«, fragte Janina den Beduinen unsicher.
»In meinem Zelt. Ich heiße Sahid, und du bist mein Gast, aber nur bis heute Nacht. Dann musst du gehen.«
Janina nickte. »Danke, dass Sie mir geholfen haben.«
»Du darfst dich gerne bei meiner Frau Chadidja bedanken. Sie hat dich gefunden und auch dafür gesorgt, dass du nicht verdurstet bist.«
»Ja, bitte richten Sie Ihrer Frau meinen tiefsten Dank aus. Sie und Ihre Frau sind sehr gütig zu mir.«
Der Beduine übersetzte Janinas Worte ins Arabische. Chadidja lächelte Janina an und reichte ihr einen weiteren Becher mit Wasser. Dann sagte sie etwas auf Arabisch, was ihr Mann sofort ins Englische übersetzte.
»Meine Frau meint, du musst jetzt viel trinken. Du bist ziemlich ausgetrocknet und musst die verlorene Flüssigkeit ausgleichen. Aber bald schon wirst du wieder bei Kräften sein. Und dann werden wir dich zum Nassersee bringen.«
Sahids Blick wurde ernst: »Du wirst von Männern verfolgt; von Söldnern. Warum?«
Janina schaute ihn irritiert an: »Woher wissen Sie das?«
»Das ist unwichtig. Tatsache ist, dass wir uns selbst in Gefahr begeben, wenn wir dich hier bei uns behalten. Die Söldner sind dir auf der Spur. Sie werden spätestens morgen früh auch hierher kommen. Sie haben ein hohes Kopfgeld auf dich ausgesetzt. Aber ich bin ein Mann der Ehre. Du bist mein Gast, deshalb liefere ich dich nicht aus. Wir werden dich aber noch heute Nacht zum Nassersee bringen. Ab dort bist du dann nicht mehr mein Gast und ich bin von meinen Pflichten entbunden. Beim Nassersee hast du die Chance, auf einem Boot oder Schiff mitzufahren und den Männern zu entkommen.«
Janina nickte erschöpft und trank ein drittes Glas, das ihr Chadidja reichte. »Ja, vielen Dank noch einmal.«
Der Beduine und seine Frau verließen das Zelt.
Janina richtete sich auf und schaute sich ein wenig um. Die Liege stand auf einem großen Perser-Teppich, der fast das ganze Zelt ausfüllte und den darunterliegenden Sand bedeckte. Auf einem kleinen kunstvoll gestalteten Tisch standen ein Becher und ein Krug mit Wasser. Janina schenkte sich noch einen weiteren Becher ein und trank ihn in großen Zügen aus. Dann legte sie sich wieder rücklings auf die Liege und schloss die Augen. Sie musste sich ausruhen und möglichst schnell wieder zu Kräften kommen. Der Beduine hatte sich klar ausgedrückt. Schon in dieser Nacht, in ein paar Stunden, war sie wieder auf sich alleine gestellt.
Eine halbe Stunde später fiel sie in einen leichten unruhigen Schlaf.