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Оглавление1.Die Entdeckungsgeschichte der Kapverdischen Inseln im 15. Jahrhundert
1.1.Die portugiesischen Entdeckungsfahrten an der westafrikanischen Küste
Die Geschichte der Kapverdischen Inseln ist eng mit der Geschichte der Expansion Portugals verknüpft; nach dem heutigen Stand der Forschung war der Archipel vor den portugiesischen Entdeckungen nicht besiedelt. Es ist daher wichtig, kurz auf die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe der portugiesischen Entdeckungs- und Handelsfahrten entlang der westafrikanischen Küste einzugehen.
Im Fernhandel zwischen den wichtigen Wirtschaftszentren Oberitalien und den Niederlanden spielte Portugal während des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich (1339–1453) eine zunehmend wichtigere Rolle. Die Kriegshandlungen führten zu einer Verlagerung des Fernhandels vom Land- auf den Seeweg. Für die Galeeren und Rundschiffe der führenden Handelsstädte Venedig und Genua waren die portugiesischen Häfen wichtige Zwischenstationen auf dem langen Weg vom Mittelmeer zur Nordsee.
Um 1400 war Portugal ein für die damalige Zeit «moderner» Territorialstaat mit starken zentralistischen Tendenzen. Zwischen dem handeltreibenden städtischen Bürgertum und dem Adel bestanden keine grossen Gegensätze, beide waren in der Ständeversammlung (Cortes) vertreten. Die muslimischen Herrscher spielten in Portugal seit der Eroberung der Algarve um 1250 keine Rolle mehr – ganz im Gegensatz zu Spanien, wo die Herrschaft des Kalifats Granada erst 1492 endete. Die Erbmonarchie des Hauses Avis (1383–1580) sorgte für Stabilität an der Spitze des Staates, nicht zuletzt dank der engen politischen Zusammenarbeit der Angehörigen des Königshauses. Portugal verfügte über eine Verwaltung, ein Rechts- und ein Finanzwesen auf schriftlicher Grundlage. Königliche Kommissare kontrollierten die städtischen oder adeligen Gerichte. Das Steuerwesen war zentralisiert, ein neuer Amtsadel stützte das Königshaus.1
Der Friede von Alcácovas 1479 bereinigte die dynastischen und wirtschaftspolitischen Differenzen zwischen Kastilien und Portugal und legte die Staatsgrenzen für Jahrhunderte fest. Portugal erhielt dadurch einen weiten Spielraum für seine maritime Expansion.
Venezianische, genuesische und portugiesische Kaufleute beteiligten sich in den nordafrikanischen Häfen von Tunis, Bone, Alger, Oran, Ceuta, Tanger, Massa und Saffi am Handel mit dem Gold des Sudans, mit Gewürzen, sowie mit Sklavinnen und Sklaven aus Schwarzafrika. Zwei Drittel des europäischen Goldbedarfs wurden durch die Produktion im Sudan gedeckt. Die jährlichen Goldexporte von Afrika nach Europa betrugen etwa 6000 Kilogramm, während aus Südamerika später nur etwa 4000 Kilogramm stammten.
Neben Gold, Gewürzen, Sklavinnen und Sklaven war die Bekämpfung der Piraterie ein weiteres Motiv zur Eroberung der Hafenstadt Ceuta.2 Die Eroberung von Ceuta 1415 stellte den ersten Versuch Portugals dar, direkten Anschluss an den afrikanischen Goldhandel zu gewinnen. Wegen eines marokkanischen Bürgerkrieges war die militärische Lage günstig. An der Eroberung war auch Prinz Heinrich der Seefahrer beteiligt – eine der wenigen Seefahrten, die der Seefahrer tatsächlich unternommen hat. Neben Ceuta eroberten die Portugiesen später weitere Orte in Marokko, so Alcacer Ceguer (1458–1550), Arzila (1471–1550), Tanger (1471–1661) und im Süden Mazagão (1514–1769, arabisch El Jadida). Anfangs des 16. Jahrhunderts kamen noch fünf weitere Orte für wenige Jahrzehnte dazu.3
Die Anfänge der portugiesischen Eroberungen in Afrika gehen also nicht auf den Versuch zurück, einen Seeweg nach Indien zu finden – wie dies häufig in Schulbüchern dargestellt wird. Es ging um den Anschluss an den afrikanischen Goldhandel.
Auch der Sklavenhandel spielte eine gewisse Rolle: Die Sklaverei war in Europa bis ins Spätmittelalter nie ganz verschwunden. Sklavinnen und Sklaven arbeiteten in den Hafenstädten Venedig und Genua in den Haushalten; in der Algarve, in Südspanien, in Süditalien und auf Sizilien auch in der Landwirtschaft, vor allem auf den Zuckerrohrplantagen.4
Bereits nach 1422 begann Heinrich der Seefahrer Schiffe an die marokkanische Küste auszusenden und erreichte vorerst das Cabo Não (südlich des heutigen Agadir), 1434 das wegen seiner Untiefen, Strömungen und Stürmen gefürchtete Kap Bojador. Dies wurde erst mit vertieften Kenntnissen der Windsysteme und Strömungen zwischen dem afrikanischen Festland und den Kanarischen Inseln möglich. Zudem wurde in Portugal der Schiffstypus der Karavelle weiterentwickelt: Mit dem Lateinsegel konnte auch gegen den Wind gesegelt werden und das Steuerruder in der Mitte des Hecks erleichterte das Lenken des Schiffes. Da an der Atlantikküste des nördlichen Afrikas häufig ein Nordostpassat weht, waren diese technischen Voraussetzungen vor allem für die Rückfahrt nach Portugal wichtig.
1441 umfuhr Nuno Tristão das Cabo Branco (im heutigen Mauretanien, an der Grenze zur Westsahara) und nahm die ersten schwarzen Sklavinnen und Sklaven gefangen. 1444 erreichte er die Mündung des Senegalflusses.
Gomes Eanes de Azurara nannte 1448 in seiner «Chronik der Entdeckung und Eroberung von Guinea» fünf Gründe für die Entdeckungsfahrten der Portugiesen entlang der westafrikanischen Küste:
1) Um Kenntnisse über das Land hinter den Kanarischen Inseln und hinter Kap Bojador zu gewinnen;
2) um Handelsware aus diesen Ländern nach Portugal und Waren aus Portugal in jene Länder zu bringen, was den Bürgerinnen und Bürgern von Portugal grossen Gewinn bringen würde;
3) um Kenntnisse über die Stärke des Feindes zu gewinnen und zu erkunden, wie weit sein Einfluss ginge;
4) um Christen zu finden, die helfen würden, gegen den Feind zu kämpfen, wie auch
5) um den richtigen Glauben auszubreiten und Seelen zu retten.5
Azurara betonte bereits an zweiter Stelle die Chancen des Handels mit den neu entdeckten Ländern und ging erst an fünfter Stelle auf die christliche Mission ein. Bis zur Personalunion mit Spanien (1580–1640) waren für Portugal die Handelsbeziehungen stets wichtiger als die Mission.
Mit Punkt 4 nahm Azurara eine Idee auf, die seit der Zeit der Kreuzzüge durch das christliche Europa geisterte: In Afrika den sagenhaften Priesterkönig Johannes zu finden, um gemeinsam gegen die Muslime zu kämpfen.6
Um 1455 entstand in Arguim (arabisch Arguin, im heutigen Mauretanien) eine erste Festung mit einer Handelsfaktorei. Neben den Sklavinnen und Sklaven waren die Malagueta (eine Pfefferschote), Elfenbein, Moschus und Papageien wichtige Handelsgüter. In den nächsten Jahren fuhren Schiffskonvois der westafrikanischen Küste entlang nach Süden. 1444 entdeckte Dinis Dias die Insel Gorée beim heutigen Dakar. 1471 fuhren die Portugiesen bis zur Goldküste (heute Ghana) und errichteten 1482 die Festung São Jorge Elmina; damit hatten sie direkten Zugang zu den Goldminen der Ashanti.7
Die portugiesischen Entdeckungs- und Eroberungsfahrten entlang der westafrikanischen Küste sind in einem Gesamtzusammenhang zu sehen (s. Abb. 1).
Abb. 1: Die portugiesischen Handelsstützpunkte an der Westküste Afrikas. Die Eroberung Ceutas 1415 erbrachte nicht den gewünschten Anschluss an den Transsahara-Goldhandel. Die Portugiesen versuchten, die marokkanische Sperre zu umgehen und errichteten Handelsstützpunkte weiter südlich, so am Kap Bojador (1434), am Kap Branco (1441), am Kap Verde (1445, beim heutigen Dakar) und in Arguim (1448, heute in Mauretanien).
1.2.Die Kapverdischen Inseln vor der portugiesischen Entdeckung
Die «Naturalis Historia» (lib. 6, Kapitel 36) von Plinius dem Älteren (23–79 n. Chr.) erwähnt Inseln im Atlantik: Gorgonas und Hesperidas.8 Die Hesperiden oder die «Fortunatae Insulae» werden meist den Kanarischen Inseln zugeordnet, ebenso das «Atlantis» der Antike. Albuquerque verweist jedoch ebenfalls auf Sagen, nach denen bereits die Phönizier, die Karthager und andere Völker die Kapverdischen Inseln gekannt hätten. Diese Seefahrer unternahmen allerdings meist nur Küstenfahrten – die Kapverdischen Inseln liegen immerhin 500 Kilometer von der westafrikanischen Küste entfernt. Der Nordostpassat und der Kanarenstrom führten dazu, dass die Fahrt nach Süden verhältnismässig rasch vor sich ging, aber die Rückkehr nach Europa erst mit der Segeltechnik «gegen den Wind» möglich wurde.
Abb. 2: Nachbau 2008 einer portugiesischen Karavelle aus dem 15. Jahrhundert. Masse: 12–18 m Länge, 5 m Breite, 1,5 m Tiefe. Besatzung: 20–25 Männer. Das dreieckige Lateinsegel und das Steuerruder Backbord erlauben das Segeln gegen den Wind.
In der portugiesischen und kapverdischen Historiografie taucht immer wieder die Frage auf, ob die Inseln bereits vor ihrer Entdeckung besiedelt waren oder nicht. Auf den Inseln São Nicolau und Santo Antão findet man die sogenannten rotchas scribidas (beschriebene Felsen). Ihr Ursprung ist nach wie vor ungeklärt. Einzelne Autorinnen und Autoren sehen darin von Sklaven angebrachte berberische Schriftzeichen, andere interpretieren sie als Naturphänomene. Schlüssige Beweise für eine Besiedlung der Inseln vor der Ankunft der Portugiesen stellen sie nicht dar.
In Salamansa auf der Insel São Vicente fand man 2005 Siedlungsspuren mit afrikanischer Keramik und europäischen Gebäuderesten. Vorerst dachte man an eine kleine Siedlung aus der Zeit vor der Entdeckung durch die Portugiesen. Mithilfe von C14-Messungen wurden sie indessen ins 17. Jahrhundert datiert.9
In der portugiesischen und kapverdischen Historiografie kam es zu einem «Historikerstreit» um die Entdeckung der Kapverdischen Inseln. Es stehen sich zwei Hauptthesen gegenüber: Entweder wird der Venezianer Cadamosto als Erstentdecker der Inseln 1456 betrachtet,10 oder die Entdeckung wird auf den Genuesen Antonio da Noli und den Portugiesen Diogo Gomes 1460 zurückgeführt.11 Einige vermuten auch, dass die Kapverdischen Inseln bereits 1445 durch den Portugiesen Vicente Dias entdeckt wurden und dass dieser Cadamosto 1456 möglicherweise begleitet hat.12
Luigi Alvise Cadamosto wurde vermutlich um 1432 in Venedig in eine patrizische Familie geboren. Als junger Handelsbeauftragter weilte Cadamosto später in Nordafrika und auf Kreta, seine Familie verarmte jedoch. 1454 verliess er zusammen mit seinem Bruder Venedig und wollte nach Brügge in Flandern fahren. Beim Kap São Vicente an der Südwestspitze Portugals wurden die venezianischen Schiffe durch Stürme tagelang festgehalten, nicht weit weg von Sagres, dem Aufenthaltsort von Prinz Heinrich dem Seefahrer. Agenten des Prinzen statteten den venezianischen Galeeren einen Besuch ab und versprachen den Venezianern hohe Gewinne aus dem afrikanischen Gewürzhandel. Venezianer – und auch Genuesen – besassen reiche Erfahrungen im Gewürzhandel und in der Hochseeschifffahrt. Sie erwiesen sich als ideale Partner der Portugiesen.
Die erste Schiffsreise Cadamostos wurde nach dem üblichen Muster organisiert: Prinz Heinrich rüstete auf seine Kosten die Karavelle aus, Cadamosto kaufte auf Kredit Tauschwaren ein und die Gewinne sollten zwischen dem Prinzen und ihm geteilt werden. Am 22. März 1455 verliess Cadamosto das Kap São Vicente auf dem Schiff von Vicente Dias und nahm die «Normalroute» über Madeira, die Kanarischen Inseln (die erst 1479 definitiv spanisch wurden), zur Mündung des Senegalflusses und zum Cap Vert (heute ein Vorort von Dakar). Auf Cadamostos zweiter Reise gerieten die Schiffe in einen Sturm und wurden nach Westen abgetrieben; dabei entdeckten die Seefahrer die Kapverdischen Inseln Sal, Boa Vista und Santiago. Cadamosto fuhr weiter an den Gambia-Fluss, machte gute Geschäfte und kehrte nach Lissabon zurück. Als reicher Mann kam er in Venedig zu hohen Ehren.
Aus seinem Bericht entnehmen wir:
«Schließlich erreichten wir Kap Blanco, … und wandten uns ein wenig seewärts. In der folgenden Nacht kam ein Sturm aus SW auf. Um nicht zurückgetrieben zu werden, mußten wir WNW steuern … so hart als möglich am Wind. Dies dauerte zwei Nächte und drei Tage. Am dritten Tag sichteten wir Land, und jeder rief: ‹Land, Land!›, aber wir staunten sehr, denn uns war von einem Land in dieser Gegend nichts bekannt. Zwei Mann im Ausguck meldeten zwei große Inseln. Als wir das hörten, dankten wir Gott, der uns zu neuen Entdeckungen geleitet hatte. Wir wussten nämlich genau, dass bisher keine solchen Inseln in Iberien gemeldet worden waren.
Um uns zu vergewissern [ob diese Inseln unbewohnt waren], … segelten wir näher an eine von ihnen heran, … warfen Anker, und als das Wetter günstig war, ließen wir ein Boot ins Wasser. Gut bemannt wurde es an Land geschickt, um festzustellen, ob es dort irgendwelche Bewohner gab…. Aber wir fanden keine Spuren oder sonstigen Anzeichen, aus denen auf Menschen hätte geschlossen werden können. Nachdem mir dies gemeldet worden war, … sandte ich am folgenden Morgen zehn Männer aus. Sie waren wohl bewaffnet, mit Waffen und Armbrüsten, und hatten den Auftrag, eine höher gelegene Stelle der Insel zu besteigen, um festzustellen, was es sonst noch zu finden gäbe und nach Möglichkeit weitere Inseln zu sichten. Sie gingen hin und fanden nichts. Diese Insel schien lediglich von vielen Tauben bewohnt zu sein, die sich von Hand einfangen liessen; sie schienen die Gefahren, die von Menschen ausgingen, nicht zu kennen. Sie brachten viele von ihnen zu den Karavellen, die sie mit Stöcken und Keulen erschlagen hatten. Auf dem Gipfel der Insel sahen sie vom uns abgewandten Teil der Insel aus drei weitere Inseln, die wir bisher nicht entdeckt hatten, die eine weil sie auf der anderen Seite des Berges lag (Sal), die zwei anderen im Süden (Maio, Santiago). Indessen waren alle drei von unserem Wege aus sichtbar. …
Nachdem sich unsere Entdeckungen herumgesprochen hatten, kamen andere und entdeckten mindestens 10 Inseln, zwischen den grossen und den kleinen, auf denen sie nichts anderes fanden als Tauben und eine unbestimmbare Zahl von seltenen und fremden Vögeln und Fische aller Arten. Aber lassen wir das.
Ich verliess also diese Insel und verfolgte meinen Weg weiter und sah zwei neue Inseln. Als wir an der Küste von einer [der Inseln] entlang segelten, die uns gut mit Wald bestanden zu sein schien, entdeckten wir die Mündung eines Flusses, der dort entsprang. Da wir annahmen, dass das Wasser gut sein würde, ankerten wir, um unsere Vorräte zu ergänzen. Einige meiner Leute, die an Land gegangen waren, liefen am Strand entlang zur Mündung des Flusses. Dort fanden sie kleine Mengen von sehr weissem, reinem Salz. Sie brachten grosse Mengen und Wasser auf das Schiff zurück. Letzteres schien uns sehr gut zu sein und wir tranken soviel davon wie wir wollten. Außerdem sollte ich erwähnen, dass wir hier in der kleinen, seichten Bucht eine grosse Zahl von viereckigen Schlangen, d. h. Meeresschildkröten fanden, deren Schildpatten grösser als Schilde waren. Die Matrosen packten davon einige und schlachteten sie und erklärten, dass sie von diesen Tieren bereits im Golf von Arguim gegessen hätten, wo man sie auch finden könne. Ich kostete auch davon, weil ich neugierig war, unbekannte Speisen zu probieren. Ihr Fleisch schien mir nicht schlechter als dasjenige von Kälbern zu sein, so geschmackvoll schien es mir zu sein. Wir ergänzten damit unseren Lebensmittelvorrat. Wir pökelten viele von ihnen ein, denn sie bedeuteten eine gute Versorgung für die weitere Reise … Wir fischten auch an der Mündung des Flusses und im Fluss und fingen eine unglaublich grosse Menge Fische, die wir zum grössten Teil nicht kannten. Sie waren gut und gross.
Das Bett des Flusses war so gross, dass ein Schiff von 150 Tonnen und von einer Breite eines guten Armbrustschusses ohne Schwierigkeiten einfahren konnte. Wir blieben zwei Tage, um uns auszuruhen und erlabten uns an den Tauben, mit denen wir eine Schlächterei machten. Man nehme zur Kenntnis, dass wir die erste Insel, auf der wir landeten, Boa Vista nannten, weil es die erste war, die wir sahen. Die andere, die uns die grösste zu sein schien, nannten wir Santiago, weil wir sie am Tage des Heiligen Philipp und Jakob betraten.»13
Die Reisebeschreibungen Cadamostos sind lediglich in einer Abschrift erhalten, auf die sich die gedruckten Ausgaben aus Vicenza 1507 stützen. 1508 erschien eine erste deutsche Ausgabe, 1556 wurde das Buch ins Französische übersetzt. Die Herausgeber verbanden den Bericht von Cadamosto mit Darstellungen der Entdeckungsreisen von Kolumbus, was wesentlich zum publizistischen Erfolg beigetragen haben mag.
Die Urteile der Historiker zum ausführlichen Bericht fallen unterschiedlich aus: Brulez betont seine Qualität und Präzision; Crone unterstreicht ebenfalls die genauen Beschreibungen und die Popularität des Berichtes. Peres gesteht Cadamosto eine «minutiöse Beschreibung» zu und betont auch, dass seine Erzählung von grossem Interesse sei, aber er spricht auch von Fehlern in der Chronologie und von Prahlereien. Derselbe Autor nimmt in der Folge kritisch zu verschiedenen Themen in Cadamostos Bericht Stellung, so zu den verwendeten Längemassen, zu den Zahlen des Sklavenhandels in Arguim und zu den angegebenen Daten.14
In der Frage, wer nun die Kapverdischen Inseln entdeckt habe, spielte offensichtlich ein Streit zwischen Italienern eine Rolle; zwischen dem Venezianer Cadamosto und dem Genuesen Andrea da Noli. Letztlich lässt Peres die Frage des Erstentdeckers offen und plädiert für eine «doppelte Entdeckung».15
Cadamosto erzählt ausführlich von seinen Begegnungen mit den Menschen an der westafrikanischen Küste während seiner zwei Reisen und weist sich als guter Beobachter der Naturlandschaften aus. Was die Kapverdischen Inseln betrifft, so waren die Riesenmeeresschildkröten hier früher sehr zahlreich. Der Fischreichtum ist noch heute typisch für die Gewässer des Archipels. Eher erstaunlich ist der Befund von Cadamosto, im Norden von Boa Vista eine Insel gesehen zu haben (möglicherweise die Insel Sal) und im Süden zwei weitere Inseln, nämlich Maio und Santiago. Alle diese Inseln sind heute von Boa Vista aus nur bei sehr guten Wetterbedingungen zu sehen.
Hier stellt sich die Frage nach dem Klimawandel vom 15. Jahrhundert bis heute: Die Küstenwälder der Insel Santiago sind ebenso verschwunden wie grosse Flüsse. Die Insel Boa Vista ist weitgehend wüstenhaft, mit einigen Oasen. Nach den Forschungen zur Geschichte des Klimas im Sahel (dazu werden die Kapverdischen Inseln gezählt) ist es wahrscheinlich, dass in der Zeit der Entdeckung der Kapverdischen Inseln ein wesentlich feuchteres Klima geherrscht hat, als dies heute der Fall ist.16
Auch Kämmer vermutet, dass zwei Drittel der Kapverdischen Inseln um 1450 bewaldet waren.17 Der Rückgang des Waldes wird auf das Einwirken der Menschen zurückgeführt, namentlich auf die Abholzung für den Schiffsbau und die Überweidung durch Ziegen. Beim von Cadamosto beschriebenen Fluss könnte es sich um den Fluss von Ribeira Grande handeln, der auf späteren ikonografischen Quellen zu erkennen ist. Ein portugiesischer Seefahrer bestätigt in einem Bericht von 1550 die Existenz eines Flusses in Ribeira Grande.18 Heute zeugt bloss noch ein tief eingeschnittener Canyon von früheren grossen Wassermassen.
In der offiziellen portugiesischen Geschichtsschreibung wird die Entdeckung der Kapverdischen Inseln dem Genuesen Antonio da Noli und dem Portugiesen Diogo Gomes zugeschrieben und auf das Jahr 1460 datiert. Aus dem Bericht von Gomes sei zitiert:
«Ich und Antonio da Noli verliessen den Hafen von Zaya und segelten zwei Tage und zwei Nächte in der Richtung nach Portugal. Da sahen wir einige Inseln im Meer, und da meine Karavelle leichter war, erreichte ich als Erster die Insel und sah weissen Sand. Ich fand einen guten Ankerplatz und liess ankern, wie auch Antonio. Ich sagte ihm, dass ich als Erster das Land betreten wolle und so tat ich es auch. Wir sahen hier kein menschliches Zeichen und nannten die Insel Santiago: So wird sie noch heute genannt. Hier fanden wir Fische im Überfluss. Am Ufer sahen wir viele fremde Vögel und zahlreiche Bäche mit Süsswasser. Die Vögel waren so zahm, dass wir viele von ihnen mit Stöcken töteten; auch fanden wir eine grosse Zahl von Gänsen. Auch war hier eine Überfülle an Feigen, die allerdings nicht auf dieselbe Art wie bei uns an den Bäumen in der Nähe der Blätter wachsen, sondern am Stamm, von den Wurzeln bis zum Gipfel. Die Bäume wuchsen in grosser Zahl, auch gab es grosse Mengen an Gras.»19
Diogo Gomes (1420–1501) war Knappe (escudeiro) des portugiesischen Königs. Antonio da Noli (1415–1497) stammte aus Noli in der Region von Genua und diente unter dem Prinzen Heinrich dem Seefahrer in der portugiesischen Seefahrt. Er blieb auf den Kapverdischen Inseln und starb auf der Insel Santiago. Die Chronik von Diogo Gomes entstand um 1475. Sie wurde von Valentim Fernandez (eigentlich Valentin Ferdinand aus Mähren) für Konrad Peutinger ins Deutsche übersetzt und erschien als «Beschreibung der Westküste Afrika’s bis zum Senegal» erst 1860 im Druck.20 Auch Martin Behaim hat den Bericht gekannt. Es ist nicht überraschend, dass der Portugiese Gomes darauf drängte, als Erster an Land zu gehen, um die Inseln als Land der portugiesischen Krone in Anspruch zu nehmen.
Wie gesagt, der von Gomes beschriebene Fischreichtum der Gewässer um Cabo Verde besteht heute noch; viele Inseln zeigen Erosionsspuren und alte, jetzt ausgetrocknete Flussläufe sind zu erkennen. Bei den erwähnten Feigenbäumen könnte es sich um Ficus gnaphalocarpa gehandelt haben. Auch Gomes spricht in seinem Bericht von Bächen mit viel Wasser auf den Inseln. Heute kommt fliessendes Wasser auf den Kapverdischen Inseln in einer guten Regenzeit noch auf den gebirgigen Inseln Santiago und Santo Antão vor. Auf die klimatischen Veränderungen in den letzten Jahrhunderten auf dem Archipel soll später noch eingegangen werden.
1Ramos Rui, Vasconcelos e Sousa Bernardo, Monteiro Nuno Gonçalo: História de Portugal. Lissabon 2015, 148; Bernecker Walther R., Pietschmann Horst: Geschichte Portugals. München 2014, 20.
2Bernecker, op. cit. 2014, 21; Guillén Fabienne P., Trabelsi Salah: Les esclavages en Méditerranée. Espaces et dynamiques économiques. Madrid 2012, 201; Axelson Eric: Congo to Cape. Early Portuguese Explorers. London 1973, 21ff.
3https://historiasdeportugalemarrocos.com/2014/02/16/presenca-portuguesa-emmarrocos/#more-829; Frederico Mendes Paula, am 11.11.2019.
4Verlinden Charles: L’Esclavage dans l’Europe médiéval. Tome deux, Italie – Colonies italiennes du Levant – Levant latin – Empire byzantin. Gent 1977, 115.
5Azurara Gomes Eanes de: Crónica do Descobrimento e Conquista da Guiné. Mem Martins o. J., 56f.
6Wagner Bettina: Die «Epistolae presbiteri Johannis» lateinisch und deutsch. Überlieferung, Textgeschichte, Rezeption und Übertragungen im Mittelalter. Tübingen 2000, 24ff.; Trexler, Richard C.: The Journey of the Magi. Meanings in History of a Christian Story. Princeton 1997, 102f.
7Oliveira Marques A. H. de: Histoire du Portugal et de son empire colonial. Paris 1998, 119f.; Anquandar Kwesi J.: Castles & Forts of Ghana. Paris 1999; Buah F. K. A.: History of Ghana. London, Basingstoke 1995, 65ff.; Newitt Malyn: The Portuguese in West-Africa, 1415–1670, a Documentary History. New York 2010, 90ff. Der befestigte Handelsstützpunkt Arguim war gewissenermassen das Modell für die späteren portugiesischen Befestigungsanlagen und Stützpunkte entlang den afrikanischen Küsten, so in Gorée, der Ilha de Moçambique und Sansibar.
8Barcellos Christiano José de Senna: Subsídios para a História de Cabo Verde e Guiné I. Praia 2003, 21; Albuquerque Luís, Santos Maria Emília Madeira: História Geral de Cabo Verde, Vol. I. Lissabon, Praia 2001, 23.
9Cardoso, J. L., Monge Soares, A. M.: A estação arqueológica de Salamansa (Ilha de São Vicente, República de Cabo Verde). Rev. Port. Arqueol. 13, 2010, 167–214; Coquery Vidrovitch Catherine: Histoire des villes d’Afrique noire. Des origines à la colonisation. Paris 1993, 153. Coquery Vidrovitch schreibt, dass die Inseln bei ihrer Entdeckung dünn besiedelt gewesen waren. Soweit ich sehe, steht die Autorin mit dieser Feststellung allein da.
10Ramos Rui et al.: História de Portugal, Lissabon 2015, 25f.; Caddeo Rinaldo: Le navigazioni atlantiche di Alvise da Cà da Mosto, Antoniotto Usodimare e Niccoloso da Recco. Milano 1928, 91; Crone G. R. (Hrsg.): The Voyages of Cadamosto and Other Documents on Western Africa in the Second Half of the Fifteenth Century. London 1937, XXIII.
11Albuquerque, op. cit. 2001, 32; Peres Damião: Notas Históricas, in Viagens de Luís de Cadamosto e de Pedro de Sintra. Lissabon 1948, 185–196; Barros Victor: A escrita da história da «descoberta» de Cabo Verde, Fabulário cronográfico, história oficial ou fabricação do consentimento? Lissabon 2017, 75–113. Barros berichtet ausführlich zur Historiografie der Entdeckungsgeschichte und der politischen Hintergründe in der jeweiligen Darstellung; Carreira António: Formação e extinção de uma sociedade escravocrata (1460–1878). Praia 1983, 27ff.; Andrade Silva Elisa: As Ilhas de Cabo Verde da «Descoberta» à Independência Nacional (1460–1975). Paris 1996, 30.
12Ramos Rui et al.: História de Portugal. Lissabon 2015, 25f.; Caddeo Rinaldo: Le navigazioni atlantiche di Alvise da Cà da Mosto, Antoniotto Usodimare e Niccoloso da Recco. Milano 1928, 91; Crone G. R. (Hrsg.): The voyages of Cadamosto and other documents on Western Africa in the second half of the fifteenth century. London 1937, XXIII.
13Rossi Carlo: Navegações de Luís de Cadamosto. Lissabon 1944, 71–73; Meyn Matthias et al.: Die grossen Entdeckungen. München 1984, 66; Verrier Frédérique (Hrsg.): Voyages en Afrique Noir d’Alvise Cà da Mosto (1455 et 1456). Paris 2003, 96ff.
14Brulez W.: Cà da Mosto et le commerce guinéen au XVe siècle. Gent 1968, 312; Crone, op. cit. 1937, XX- XIII; Peres, op. cit. 1948, XIII.
15Peres, op. cit. 1948, XIII.
16Nash David J. et al.: African Hydroclimatic Variability During the Last 2000 Years. Quaternary Science Reviews 154, December 2016, 1–22.; Nicholson Sharon E.: Saharan Climates in Historic Times. In: Williams Martin M., Faure Hugue (Hrsg.): The Sahara and the Nile. Quaternary Environments and Prehistoric Occupation in Northern Africa. Rotterdam 1980, 173ff.
17Kämmer Franco: Beiträge zu einer kritischen Interpretation der rezenten und fossilen Gefässpflanzenflora und Wirbeltierfauna der Azoren, des Madeira-Archipels, der Ilhas Selvagens, der Kanarischen Inseln und der Kapverdischen Inseln, mit einem Ausblick auf die Probleme des Artenschwundes in Makaronesien. Freiburg im Breisgau 1982, 55.
18Albuquerque, op. cit. 2001, 33f.
19Zitiert nach Crone, op. cit. 1937, 101.
20Zu Valentim Fernandes vgl. auch: Hendrich Yvonne: Ein deutscher Buchdrucker in Portugal um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert und sein Umkreis. Frankfurt a.M., Bern 2007.