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6.3 Die doppelte Personensorge im revidierten Recht

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6.3.1 Auslegung der massgebenden Bestimmungen

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Die Ausgestaltung der Möglichkeiten und Grenzen der Personensorge im alten Vormundschaftsrecht ergab sich nicht zuletzt aufgrund der Auslegung der entsprechenden Gesetzesartikel, namentlich von Art. 367 Abs. 1 und Art. 406 aZGB. Dementsprechend ist analog das revidierte Erwachsenenschutzrecht relevant für die aktuelle bzw. aktualisierte Definition der Personensorge. So ergibt sich aufgrund der Pflicht zur persönlichen Mandatsführung gemäss Art. 405 Abs. 1 ZGB sowie der Pflicht zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses gemäss Art. 406 Abs. 2 ZGB, dass der Hinweis von MÜLLER[196] auf die persönliche Verantwortung des Mandatsträgers klargestellt und durch die revidierten Bestimmungen obsolet wird. Mandatsführung muss unabhängig von Vermögenssorge oder Personensorge persönlich sein.

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Aus der Zwecksetzung des Erwachsenenschutzes wie auch aus der Begriffsgeschichte der Personensorge ergibt sich ferner allgemein, dass Personensorge individualisiert und unter Berücksichtigung des Schutzzweckes, der Selbstbestimmung bzw. der Subsidiarität und des Schutzbedarfes zu erfolgen hat. Sie soll zudem persönliche Entfaltung und Förderung ermöglichen.

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Betrachtet man das revidierte Recht, so ist Art. 391 Abs. 2 ZGB massgebend, der die Aufgabenbereiche im Erwachsenenschutzrecht beleuchtet. Er besagt, dass die Aufgabenbereiche die Personensorge, die Vermögenssorge oder den Rechtsverkehr betreffen. Daraus ist zunächst ersichtlich, dass die Begrifflichkeiten an das alte Vormundschaftsrecht anknüpfen. Vertretung wird durch Rechtsverkehr ersetzt, inhaltlich aber wie Vertretung definiert, indem man darauf verweist, dass es um rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen geht, die den Bereich der Vermögens- und Personensorge betreffen können.[197]

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Das vorrevidierte Recht hat zudem nicht zwischen der Personensorge in Bezug auf die Aufgabenbereiche oder in Bezug auf die Rechtsmacht unterschieden. Das rührt insbesondere daher, dass es für die Personensorge im Sinne der Rechtsmacht gar keine eigenständige Massnahme gab, sondern der Fokus auf Vertretungs- und Mitwirkungshandeln beruhte. Mit der Begleitbeistandschaft hat sich dies grundlegend verändert, da sie begleitende Unterstützung als Rechtsmacht vorsieht.[198] Für die Begrifflichkeiten erscheint es daher angezeigt, zwischen Anforderungen im Rahmen der Aufgabenbereiche und der Rechtsmacht zu unterscheiden.[199]

6.3.2 Die Personensorge im Sinne von Aufgabenbereichen

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Personensorge kann zunächst in Bezug zu den Aufgabenbereichen gesetzt werden. Art. 391 ZGB betrifft die sog. Massschneiderung der Aufgabenbereiche durch die Erwachsenenschutzbehörde. Im Sinne der Komplementarität nach Art. 388 Abs. 2 ZGB[200] soll eine Beistandschaft nur angeordnet werden, wenn eine Schutzbedürftigkeit besteht, die auf einem Schwächezustand basiert.[201] Ansonsten ist der betroffenen Person so viel Selbstbestimmung wie möglich zu belassen.[202] «Der Schwächezustand muss dazu führen, dass bei der betroffenen Person die Fähigkeit zur Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes in Bezug auf die zu erledigenden Angelegenheiten ausgeschlossen oder derart beeinträchtigt ist, dass eigenverantwortliches Entscheiden nicht mehr möglich oder zumindest erschwert ist.»[203] Massgeblich dabei ist der Bedarf, der aufgrund der Ausrichtung auf das Wohl der betroffenen Person und durch den ordre public objektiviert und der unter besonderer Berücksichtigung der subjektiv geäusserten oder aufgrund der bisherigen Lebensführung erkennbaren Wünsche und des Willens einer schutz- und hilfsbedürftigen Person eruiert wird.[204] Somit geht es auf der behördlichen Ebene darum, dass ein möglicher Schutzbedarf aufgrund eines Schwächezustandes erkannt und mit einer verhältnismässigen Massnahme behoben oder zumindest gemildert wird. Zum Teil wird auch von der Schliessung für die betroffene Person nachteiliger «Betreuungslücken»[205] gesprochen.

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Für die Personensorge werden folgende generelle Aufgabenbereiche umschrieben, die je nach Schutzbedarf genauer gefasst werden müssen:[206]

–Wohnungsangelegenheiten

–Angelegenheiten, welche die Gesundheit betreffen

–Angelegenheiten, welche die Bildung und berufliche Ausbildung betreffen

–Angelegenheiten zur persönlichen Inklusion bzw. Exklusionsvermeidung, z. B. wegen sozialer Isolation, Ernährung, Bekleidung

–Postverkehr

–Aufenthaltsbestimmungsrecht, wobei dieses zwangsweise nur mit einer fürsorgerischen Unterbringung durchgesetzt werden kann.[207]

6.3.3 Die Personensorge im Sinne der Rechtsmacht

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Mit der Anordnung einer entsprechenden Beistandschaft auf der Basis von Schwächezustand und Schutzbedarf werden gleichzeitig Hauptaufträge für die Beistandsperson umschrieben. Im Sinne der doppelten Massschneiderung[208] sind nicht nur die Aufgabenbereiche zu umschreiben, sondern es werden auch die Beistandschaftsarten[209] und damit automatisch auch die Rechtsmacht bestimmt. Es stellt sich somit die Frage, welche Mittel im Rahmen des jeweiligen Aufgabenbereiches der Beistandsperson übertragen werden sollen bzw. müssen, damit diese dem Schutzbedarf ausreichend begegnen kann. Es geht bei der Rechtsmacht im erwachsenenschutzrechtlichen Kontext somit um die Übertragung von Kompetenzen von der betroffenen Person auf den Beistand durch die Behörde.[210]

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Die Literatur zum alten Vormundschaftsrecht hat unterschieden zwischen tatsächlichem und Vertretungshandeln, das sich jeweils auf die Personensorge, Vermögenssorge oder Vertretung beziehen kann.[211] Damit entstand bereits im Grundsatz altrechtlich eine Matrix, dass also auch im Bereich Personensorge oder Vermögenssorge jeweils tatsächliches Handeln und Vertretungshandeln möglich wurde. Diese Möglichkeiten wurden aber deutlich durch das wenig flexible Massnahmensystem eingeschränkt.

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Im revidierten Recht findet sich ein ausgeprägt flexibles Massnahmensystem, das eine schon im altrechtlichen System angelegte Unterscheidung entfalten lässt. Die Beistandschaftsarten lassen folgende Varianten einer Rechtsmacht zu:

–Begleitung[212]

–Vertretung

–Mitwirkung

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Begleitung wird in der Literatur zum revidierten Recht nicht selten als Personensorge bezeichnet, z. B. als Beratung, Betreuung, Vermittlung, Pflege, Unterstützung,[213] und steht in Opposition zur Vertretung, aber auch zur Mitwirkung. Dies steht durchaus in der Tradition von AFFOLTER und HÄFELI, die ebendiese Perspektive in der Mandatsführung fokussieren. Wie unten noch eingehend aufgezeigt wird, meint Begleitung im Sinne der Rechtsmacht eine umfassende Hilfestellung; es geht um psychosoziale Hilfe und hier insbesondere um Methoden der Sozialen Arbeit.[214]

6.3.4 Die doppelte Personensorge

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Personensorge kann sich somit auf die Aufgabenbereiche oder auf die Rechtsmacht beziehen.[215] Man kann deshalb auch von doppelter Personensorge sprechen. Dabei stehen die beiden Formen der Personensorge in Bezug zu einander. Mit KAUFMANN[216] kann sich die Trias Begleitung/Personensorge, Vertretung und Mitwirkung nun auf die Personensorge und die Vermögenssorge und neu auch auf den Rechtsverkehr als Aufgabenbereiche beziehen. Der Rechtsverkehr wird üblicherweise primär mit der Vertretung im Sinne der Rechtsmacht gleichgestellt.[217] Dort finden sich auch die grössten Überschneidungen zwischen Vertretung und Rechtsverkehr; so ist doch Vertretungshandeln jeweils auf den Rechtsverkehr ausgerichtet. Deshalb dürfte der Rechtsverkehr als Aufgabenbereich nur relevant werden, wenn der Aufgabenbereich nicht Personen- und Vermögenssorge betrifft oder nicht spezifisch zur Personen- oder Vermögenssorge zugeordnet werden kann.[218] Damit ergibt sich folgende Matrix:

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Aufgabenbereiche/ Rechtsmacht Personensorge Vermögenssorge Rechtsverkehr
Begleitung (Personen­sorge) z. B. Beratung in Bezug auf medizinische Fragen z. B. Beratung in Bezug auf die Vermögensanlage z. B. Beratung in Bezug auf ein ­spezifisches verwaltungsrechtliches Verfahren
Vertretung z. B. Vertretung in Wohnungsangelegenheiten z. B. Vertretung in Bezug auf die Rentenverwaltung z. B. Vertretung in einem solchen verwaltungsrechtlichen Verfahren
Mitwirkung z. B. Zustimmung zur Abgabe von Süssigkeiten bei einem Diabetiker im Pflegeheim[219] z. B. Zustimmung zum Kauf von Perlen bei einer entsprechend kaufsüchtigen Person z. B. Zustimmung zu einem Vergleich in einem spezifischen Verfahren

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Aus dieser doppelten Personensorge von Aufgabenbereich und Rechtsmacht findet automatisch eine Klarstellung der Begrifflichkeiten statt. In der bisherigen Literatur – insbesondere zum revidierten Recht – findet sich eine Vermischung der Ebenen, indem Personensorge teilweise im Sinne der Aufgabenbereiche[220] und teilweise im Sinne der Rechtsmacht[221] verstanden wird, was zu Missverständnissen geführt hat.[222]

6.3.5 Die Reichweite der Personen- bzw. der Vermögenssorge

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Ungeklärt ist demgegenüber weitgehend die Reichweite der Personensorge bzw. implizit auch der Vermögenssorge in Bezug auf die Aufgabenbereiche. Es geht damit um die Frage, wo die Grenzen der Personensorge bzw. der Vermögenssorge zu ziehen sind. Die Schwierigkeit der Abgrenzung von Rechtsverkehr und Vermögenssorge bzw. Personensorge wurde bereits oben erörtert.[223]

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Die Frage der Reichweite wird zum Teil auch im revidierten Recht in der Tradition von OETTLI lediglich formal abgegrenzt, indem darauf hingewiesen wird, dass Personensorge das sei, was nicht der Vermögensverwaltung zuzuordnen sei.[224] Damit wird man dem neuen Recht nach der hier vertretenen Auffassung nicht gerecht, ist die Frage doch zentral für die Massschneiderung.

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Vermögenssorge ist eine Querschnittsmaterie. Beinahe sämtliche Handlungen, die sich auf eine Person beziehen, haben vermögensrechtliche Auswirkungen oder können als solche betrachtet werden. Daraus könnte man ableiten, dass in den meisten Fällen ein Aufgabenbereich Einkommens- und/oder Vermögensverwaltung ausreichend wäre. Der Gesetzgeber hat aber vorgesehen, dass auch die Personensorge masszuschneidern ist. Fraglich ist somit, wann es zusätzlich zur Massschneiderung innerhalb der Vermögenssorge einer Massschneiderung in der Personensorge bedarf. Die Frage kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in extenso beleuchtet werden. Anhaltspunkte für eine Massschneiderung im persönlichen Bereich sind Art. 408 ZGB, der in Abs. 2 die Kompetenzen im Rahmen der Vermögensverwaltung beispielhaft und relativ restriktiv formuliert,[225] sowie der (weitgehende) Konsens in den obig erwähnten Aufgabenbereichen[226] im Rahmen der Personensorge. Daraus kann abgeleitet werden, dass der Fokus der Vermögenssorge auf die laufenden Bedürfnisse analog zu Art. 166 Abs. 1 ZGB, die Vermögensanlage und die Schuldenabbezahlung und weitere vergleichbare kleinere vermögensrechtliche Geschäfte beschränkt ist.[227] Spezifischere Angelegenheiten mit finanziellen Auswirkungen wären im Sinne der Massschneiderung separat zu erwähnen.

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Die Frage ist in Bezug auf die Vermögenssorge auch deshalb relevant, weil sich mit der Abgrenzung die Betreibungsfähigkeit klärt. Dort, wo zum Beispiel die Handlungsfähigkeit gemäss Art. 394 Abs. 2 ZGB in Bezug auf die Vermögensverwaltung beschränkt ist und gleichzeitig in Bezug auf die Wohnungsangelegenheiten nicht, kann die verbeiständete Person durchaus zulasten ihres Vermögens Mietverträge abschliessen, wohingegen das Vermögen beim Abschluss weiterer Vermögensanlagen auch betreibungsrechtlich geschützt wäre, weil diesbezüglich die Handlungsfähigkeit beschränkt ist.[228]

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Die Praxis scheint sich dieser Abgrenzungsproblematik insofern anzunähern, als dass sie sicherlich dort eine spezifischere Massschneiderung vorsieht, wo die Massschneiderung im Geschäftsverkehr (teilweise) nicht akzeptiert wird, so z. B. im Zusammenhang mit der Vertretung gegenüber Sozialversicherern und Banken. In solchen Fällen erfolgt sodann eine (unüblich) spezifische Massschneiderung der Aufgaben und nicht lediglich der Aufgabenbereiche gemäss Art. 391 Abs. 1 ZGB. Damit finden sich nicht selten relativ weite unspezifische neben äusserst spezifischen Aufgabenumschreibungen.

Die Begleitbeistandschaft

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