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Kapitel 3
ОглавлениеDer Zug rauscht in die Haltestelle und hält ein wenig unsanft an. Langsam erhebe ich mich und nicke meiner Abteilsgenossin – ja, ich habe tatsächlich realisiert, dass es eine Frau war! – zum Abschied zu. Ach, ich kann doch noch freundlich sein, wer hätte das gedacht?
Ich steige aus und atme die kalte Luft ein. Sie tut mir gut, auch wenn sie wegen den herrschenden Abgasen nicht frisch ist. Aber als Placebo durchaus tauglich. Tunlichst bedacht, nicht von einem der zahlreichen herumirrenden Autos überfahren zu werden, gelange ich zu einer breiten Treppe. Die Stufen emporkletternd, beginne ich wieder zu denken. Blödes Teufelszeug.
Ich muss mein Leben dringend in den Griff bekommen, aber wie? Jeder Versuch, den ich starte, misslingt und endet mit einer Enttäuschung. Irgendwoher kommt ja meine momentane seelische Verfassung, die sich irgendwie nicht bessern will. Sehr günstig ist natürlich auch das Wetter, wenn mal wenigstens richtig die Sonne scheinen würde. Aber nein, es ist Januar und hier meldet sich die Sonne vielleicht einmal in der Woche für gefühlte fünf Minuten. Ansonsten schneit oder regnet es und sollte es mal trocken sein, dann hängt so eine grässliche graue Nebelsuppe in den Bergwipfeln, so dass ich meine fürs Glücklichsein dringend nötig habende Dosis Sonnenlicht sowieso vergessen kann. Andere sind alkohol-, tabak- oder cannabissüchtig, ich bin Vitamin-D-süchtig.
Dann wäre manches erträglich. Ich sehne die Momente herbei, in denen ich in den See springen kann. Wasser erfrischt meine Seele. Tönt esoterisch, ich weiss. Aber irgendwie bin ich ja schon nach diesen wenigen Zeilen wohl ein unfassbares Etwas mit ziemlich quer im Raum stehenden Gedanken.
Endlich zu Hause angekommen, werfe ich die Schlüssel in eine Ecke und entledige mich meinen Klamotten. Sofort versuche ich, irgendwie erträglich warmes Wasser aus der Brause zu erhalten. Meine Badewannen-Duschen-Kombi kennt zu Beginn zwei Einstellungen: eiskalt und feuerheiss. Irgendwann pendelt sich aber der gesunde Mittelwert ein, perfekt für mich.
Jetzt ist er da. Ich klettere in die Badewanne und lasse das Wasser über meinen Körper prasseln.
Dann schalte ich das Wasser aus und seife mich ein. An meinen Flanken kneife ich mich.
Verdammt!
Habe ich da etwa ein kleines Speckröllchen?
Wahrlich richtig grandiose Gedanken für meine momentane Verfassung. Auch das einzige, auf das ich wenigstens ein wenig stolz sein kann, wird mich verlassen: Mein Körper. Stattdessen mutiere ich wohl zu einem dieser fetten aufgeblasenen Plüschesel, bei denen sich am Ende das Fett noch in der Stirn ablagert.
Ja meine Bauchmuskeln hat man auch schon mal besser gesehen. Aber was spielt das für eine Rolle? Ich bin ja eh der einzige, der die bekanntlich wahrgenommen hat.
Ach ich wäre doch auch einer dieser Glückspilze, die in sich hineinschaufeln können, was sie wollen und kein Gramm zunehmen! Auch wieder so eine Spezies, die mir ordentlich auf den Zeiger geht. Also nicht die Leute an sich, sondern diese glückliche und leider wohl allzu ungerecht verteilte Eigenschaft des Stoffwechsels.
Wie ein Pudel schüttle ich die Wassertropfen aus meinen Haaren und taste nach dem Handtuch um mich abzutrocknen.
Ich brauche dringend eine Planänderung.
Gesagt, getan.
Schön wär’s!
Ich schlüpfe in meine Klamotten und trete ins Wohnzimmer.
Als wäre es ein Zeichen Gottes, fällt mein Blick auf mein Notebook. Möchte mein angeblich super literarisches Tagebuch wieder ein paar zusätzliche Seiten erhalten?
Grummelnd setze ich mich an den Schreibtisch und beginne zu tippen, als plötzlich mein Diensttelefon klingelt.
Die Nummer kenne ich.
Eine Nummer, auf die ich getrost verzichten kann.
Was habe ich nun wieder ausgefressen?
„Ja, Suter?“, melde ich mich.
„Hier ist François“, meldet sich eine monotone Stimme.
Ach Chefchen, du hast mir gerade noch gefehlt!