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Kapitel 1

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Verdammt. Schon wieder hat mich mein Chef unter einem netten Vorwand ins Büro zitiert, um mir dort metaphorisch zwanzig Ziegelsteine in die Fresse zu werfen.

Danke auch! Ihr könnt mich alle mal, es reicht!

Wegen wiederholten Fehlern und eigenmächtigen, da für mich logischen Handlungen meinerseits habe ich eine Ermahnung kassiert. Ein Jahr auf Bewährung. Eine Massnahme, die mir helfen soll. Ach ne, is’ klar!

Wenn ihr wollt, dass ich besser werde, dann sicherlich ohne einem solchen möchtegern-intelligent geschriebenen Wisch, denn der tritt meinem Selbstvertrauen so schmerzhaft in die Eier, dass es sich gleich ganz auflöst. Freilich sind solche Massnahmen äusserst hilfreich, wenn man sich verbessern will. Ja, ich glaube gleichzeitig an den Nikolaus, das Christkind und den Osterhasen zeitgleich.

Es ist ja nicht so, dass ich ein ausgeprägtes Selbstvertrauen hätte. Klar, es ist in etwa vergleichbar mit demjenigen einer zertrampelten Ameise. Eine eher einfach gestrickte Metapher, aber sie erfüllt ihren Zweck.

Und dann noch dies: Sagen, dass man meine Argumente für meine Handlungen versteht, aber dann dennoch Arschtritte austeilen. Wie ich solch falsche Ehrlichkeit liebe.

Ich weiss nicht, welchen Teufel mich da geritten hat, aber diese Brücke ist verdammt hoch. Die Schuhspitzen an der Kante, blicke ich zaghaft hinunter. Hoffentlich wird mir nicht schwindlig.

Hinter mir brausen die Autos in Richtung Ägerital vorbei. Das Brummen erfüllt das Tal, vor mir breitet sich aber eine an sich friedliche Landschaft auf.

Die Sonnenstrahlen erreichen das Tobel nicht, der sanfte Wind lässt die Blätter schaukeln. Irgendwo sind Stimmen wahrnehmbar, Wanderer oder Touristen, welche die nahen Höllgrotten besichtigen.

Auch die Vögel sind bereits erwacht, kommunizieren mit ihrem Gezwitscher. Es mag mich fast schon fröhlich stimmen.

Hier ist es friedlich. Zu friedlich.

Leider wird das Vogelgezwitscher von den Autos, Bussen und Lastwagen hinter mir übertönt. Der Mensch zerstört die Natur. Nichts Neues.

Warum ich an dieser Stelle stehe? Da war doch was?

Stimmt, ich wollte diesem ganzen Elend ein Ende setzen. Und nun? Mache ich in die Hose. Von einer Brücke springen mit Höhenangst war vielleicht doch keine gute Idee.

Das Tobel ist verdammt tief. Weit unten, fast noch in der vom Schatten verursachten Dunkelheit, sehe ich das Wasser der Lorze. Als würde die Seele des Ägeritals in Richtung Stadt fliessen.

War das ein Zeichen?

Soll ich weiterleben?

Wird alles besser?

Oder bleibt es so beschissen und Gott will mir das Zeichen, am Leben zu bleiben, nur geben, damit die anderen was zum lachen haben und sich besser fühlen?

Klar, im Vergleich zu Hungerleidenden und Kriegsopfern habe ich ein schönes Leben. Und dennoch bin ich nicht glücklich.

Warum?

Weil das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist.

Aber in solch von Leid geplagten Gebieten hat man auch nicht einen solchen Druck auf den Schultern lasten wie hier. Den Job perfekt und fehlerlos ausfüllen. Im Privatleben der Hengst sein. Natürlich viel Geld haben. Aber um drei Uhr in der Früh aufstehen, damit die ewigen Nörgler zur Arbeit können, beeindruckt nicht.

Haben wir keine anderen Probleme?

Murrend klettere ich von der Brüstung hinunter. Ich hab nicht mal den Mumm zu springen. Ich bin wahrlich die Peinlichkeit in Person.

Gehen wir halt mal wieder nach Hause. Auch immer der gleiche Trott. An den Computer hocken und diese Zeilen tippen und gleichzeitig davon träumen, dass ein Verleger dieses Manuskript entdeckt und veröffentlicht. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, denn immerhin hat auch dieser Fifty Shades of Grey-Müll einen Verlag gefunden. Aber peitschenschwingende Machotypen verkaufen sich wohl auch besser als solche Weicheier, die an sich zweifeln.

Und sollte dieses Manuskript mal erscheinen, dampft sicherlich so ein bescheuerter Literaturkenner auf, der von meinem Text doppelt so viel Sekundärliteratur à la „Welche Hintergedanken hatte der Autor bei diesem und diesem Satz?“ und dabei irgendwas Erfundenes interpretieren, da er sicherlich absolut keinen blassen Schimmer hat, was ich mir dabei gedacht habe. Nämlich genau nichts. Wenn ich den Mund öffne, schwafle ich, was ich denke und hier schreibe ich nieder, was ich denke. Ohne Hintergedanken.

Kommt nicht bei allen gut an.

Was kümmert mich das?

Ich gehe die geteerte Strasse von der Neuen Lorzentobelbrücke entlang, ohne mich umzudrehen.

Irgendwie schäme ich mich, es nicht zum Ende gebracht zu haben. Paulo, ein guter Freund von mir, würde jetzt sagen, dass das aus einem Grund geschehen wäre.

Leider mag ich ihm noch nicht so recht glauben.

Wütend zerre ich unter den entsetzten Blicken zweier Mütter mit ihren Kindern an einem in die Strasse hervor ragenden Ast, bis ich ihn in der Hand halte und werfe ihn dann den Abhang hinunter.

Ja, ich neige auch zur Cholerik.

Ich erblicke weiter vorne beim Eingang zu den Höllgrotten eine Bushaltestelle.

Zeit, wieder nach Hause zu gehen.

Ich werfe einen Blick auf meine Uhr, ja bald kommt der 2er aus Menzingen.

Den Fahrplan dieser Haltestelle kenne ich auswendig.

Aber bislang hatte ich immer eine Rückfahrtkarte mit.

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