Читать книгу Unperfekt, aber echt - Daniela Albert - Страница 9
Оглавление3. Der Blick aufs Kind– was sah Jesus, was siehst du?
„Einige Leute brachten Kinder zu Jesus. Er sollte sie segnen. Aber die Jünger wiesen sie schroff zurück. Als Jesus das merkte, wurde er zornig und sagte zu ihnen: „Lasst doch die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran. Denn für Menschen wie sie ist das Reich Gottes da.“8
Wo auch immer Jesus auftauchte, folgten die Menschen ihm. Massen strömten dorthin, wo er war. Die Nachricht, dass er in der Stadt war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die Menschen hörten es, ließen alles stehen und liegen und rannten los. Auf dem Weg zu Jesus riefen sie noch ihren Nachbarn und ihren Freunden zu, dass sie mitkommen sollten. Gemeinsam liefen sie durch die staubigen Straßen, vergaßen sogar Wasser oder etwas zu essen mitzunehmen, nur um ihn einmal zu sehen.
Ich habe so etwas Ähnliches erlebt. Vor einigen Jahren saß ich mit meinen kleinen Kindern zu Hause, als mein Handy im Sekundentakt vibrierte. Alle Kanäle leuchteten auf: WhatsApp, Facebook, Push-Nachrichten der lokalen Tagespresse. Alle berichteten, dass er da war. Völlig überraschend, ohne Vorankündigung war er in unsere Stadt gekommen. Hier zu uns nach Kassel. Sofort machten sich viele meiner Freunde auf den Weg. Er kam allerdings nicht, um sich unsere Stadt anzusehen und schon gar nicht, um die Menschen zu segnen– höchstens, um Geld auszugeben, falls er sich entscheiden würde, ein Documenta-Kunstwerk zu kaufen. Er war „nur“ gekommen, um sich die weltweit bedeutendste Ausstellung für moderne Kunst anzusehen. Und dabei hätte er eigentlich gern so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich auf sich gezogen.
Doch was schon einem Wanderprediger in der Antike nicht gelang, vermochte Brad Pitt im Zeitalter der Smartphones erst recht nicht. Innerhalb von wenigen Minuten wusste jeder, der nicht gerade im Funkloch von Söhrewald lebte, dass er in der Stadt war. Seine Fans strömten zusammen, und angesichts der Menschentrauben mussten die Verantwortlichen im Kasseler Rathaus reagieren. Mister Pitt bekam ein paar Mitarbeiter der örtlichen Sicherheitsfirma an die Seite gestellt und besuchte die Ausstellung dann mit einem gewissen Abstand zu Blitzlichtern und kreischenden Fans.
Die Gleichwürdigkeit der Kinder
Auch die Jünger versuchten von Zeit zu Zeit, Security für Jesus zu spielen. So selektierten sie zum Beispiel, wer es wert war, zu ihm kommen zu dürfen. Kinder gehörten in ihren Augen nicht dazu. Als Jesus das mitbekam, wurde er zornig, wie es im Markus-Evangelium überliefert ist. Das finde ich ziemlich bemerkenswert, weil wir das nur selten bei ihm erleben. Jeder kennt die Geschichte, dass er Tische und Stühle in der Synagoge vor Wut umgeworfen hat. Doch da würde ihm wahrscheinlich jeder zustimmen, immerhin war ein heiliger Ort entweiht worden. Doch wegen ein paar abgewiesener Kinder?
Ja– offensichtlich war es Jesus wichtig genug, hier etwas klarzustellen. Das Reich Gottes gehört nicht in erster Linie den Erwachsenen. Er schenkt es den Kindern, die es mit ihren offenen Herzen viel besser annehmen können als diejenigen, die sich über sie gerade noch erheben wollten.
„Und er nahm die Kinder in die Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.“9
Nun ist es nicht außergewöhnlich, dass Jesus sich denen zuwandte, die dieser Zuwendung in der damaligen Gesellschaft nicht für wert erachtet wurden. Das passt zu ihm. Und doch gibt es hier eine Besonderheit: Jesus beschäftigte sich nicht mit einer einzelnen Person und sprach ihr Wert zu, sondern mit einer ganzen gesellschaftlichen Gruppe. Er traf eine allgemeine Aussage über Kinder, die für ihn Gültigkeit besitzt. Jesus spricht Kindern hier denselben Wert zu wie den Erwachsenen. Er erklärt sie für gleichwürdig.
Der moderne Begriff der Gleichwürdigkeit wurde vor allem von dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul geprägt, für den diese ein Grundprinzip für die Beziehung von Kindern und Erwachsenen war. Er verstand darunter, dass eine andere Person die gleiche Würde besitzt wie auch wir selbst, und dass sie auch den gleichen Respekt verdient, den wir uns wünschen. Auch ihre Wünsche, Bedürfnisse und Werte verdienen die gleiche Beachtung. Kindliche Bedürfnisse sind demnach also nicht weniger wert als die der Erwachsenen.
Juuls Blick auf Kinder rüttelte die pädagogische Landschaft Europas Anfang der 2000er ordentlich durch. Die Gleichwürdigkeit des Kindes spielte zuvor selbst in demokratischen Erziehungsansätzen noch keine große Rolle. Dabei hatte Jesus sie den Kindern bereits 2000 Jahre früher zugesprochen.
Unser Blick auf Kinder ist entscheidend
Ich frage mich, was Jesus Worte mit den Herzen der Eltern machten, die sie damals hörten. War ihr Blick auf ihre Kinder noch der gleiche, als sie sich wieder auf den Heimweg machten? Was für kleine Menschen sahen sie neben sich, als sie zurück in ihr Leben gingen– gesegnet von dem Einen? Und wie gingen sie fortan mit ihren Kindern um– also mit denen, für die das Reich Gottes schon da war?
Diese Fragen sind für mich zentral, denn die Geschichte könnte für uns Christen auch nur eine dieser Geschichten sein, in denen Jesus etwas völlig Unerwartetes getan hat. Doch in ihr steckt viel mehr.
Wenn wir uns nämlich über die Frage klar werden wollen, wie wir unsere Kinder ins Leben begleiten, ist unser Blick auf sie und ihr Verhalten entscheidend. Was oder wen sehen wir, wenn wir unsere Kinder sehen? Welchen Stellenwert sprechen wir ihren Bedürfnissen zu? Wie bewerten wir sie in Situationen, die für uns schwierig sind?
Wenn wir uns nämlich über die Frage klar werden wollen, wie wir unsere Kinder ins Leben begleiten, ist unser Blick auf sie und ihr Verhalten entscheidend. Was oder wen sehen wir, wenn wir unsere Kinder sehen? Welchen Stellenwert sprechen wir ihren Bedürfnissen zu? Wie bewerten wir sie in Situationen, die für uns schwierig sind?
Sehen wir in einem Kleinkind, das sich schreiend auf dem Bürgersteig rollt und um sich schlägt, einen bösen Tyrannen– oder einen kleinen Menschen, der seine liebe Not mit starken Gefühlen hat? Die Antwort darauf entscheidet, wie wir diese Situation lösen. Gehen wir von Ersterem aus, müssen wir hart durchgreifen. Das schreiende Kind hochheben, wegtragen, schimpfen, zur Raison bringen, es vielleicht sogar bestrafen, damit es lernt, dass dieses Verhalten unerwünscht ist. Sehen wir jedoch in dem schreienden Kind einen kleinen Menschen in höchsten emotionalen Nöten, können wir uns danebensetzen. Den Sturm aushalten. Beim Ertragen der schweren Gefühle helfen.
Was sehen wir in einem Zehnjährigen, der heimlich mit seinem Freund Star Wars Episode 9 geschaut hat, obwohl wir es verboten hatten? Jemanden, der uns arglistig getäuscht hat und respektlos über unsere Regeln getrampelt ist, oder aber einen Pre-Teen, der sich auf diese Art sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit in einer sozialen Gruppe erfüllt hat, die unser Verbot ihm bisher verwehrte? Die Sichtweise entscheidet auch hier, ob wir das Verhalten bloß sanktionieren und für das nächste Mal noch besser dafür sorgen, dass unsere Regeln eingehalten werden, oder ob wir ins Gespräch gehen und in Zukunft nach Kompromissen suchen, die den Bedürfnissen beider Seiten gerecht werden.
Sind wir ehrlich: Wir sind oft schnell dabei mit negativen Urteilen, wenn das Verhalten von Kindern für uns schwierig wird. Sie ist zickig, er macht Theater, sie sind bockig und wollen uns manipulieren. Wir alle haben diese Sätze in unserem Sprachgebrauch, und allzu oft kommen sie uns über die Lippen. Wir tun uns schwer, hinter kindliches Verhalten zu schauen und die dadurch erfüllten Bedürfnisse wahrzunehmen.
Auch ich habe da meine Achillesfersen. In kindlichen Wutanfällen den Ausdruck von Hilfslosigkeit und emotionalen Nöten zu sehen– dazu muss ich mich jedes Mal wieder neu bewusst entscheiden! In meinem Kopf entstehen andere Bilder, wenn kleine Menschen vor mir stehen und vor Wut beben, die Fäuste ballen und laut brüllen. Trotzig– denke ich dann oft. Dickköpfig und verzogen. Und ich denke, dass es nicht so sein darf. Kinder, die so wütend werden, sind sicher irgendwie gefährlich. Potenzielle Terroristen. Zukünftige Haustyrannen. Und auf jeden Fall lebenslang gewalttätig. Wenn dieser kleine, gerade fünfjährige Wutzwerg erst dreizehn sein wird, habe ich keine Chance mehr, wenn ich den geballten Fäusten jetzt nicht sofort Einhalt gebiete.
Halt! Stopp! Tief durchatmen und zwei Schritte zurück– das sind die Worte, die ich solchen Situationen dann meistens entgegensetze, wenn ich mich dabei erwische, dass ich in wenig hilfreiche Gedankenspiralen abgleite. Manchmal muss ich auch kurz aus dem Raum. Fünf Minuten bei geschlossener Klotür atmen. Kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen lassen. Mich in die Küche flüchten und mir ein Stück Schokolade in den Mund schieben. Oder laut und herzhaft fluchen. Auf jeden Fall irgendwas tun, das die Anspannung senkt und mich wieder in Kontakt mit meinem rationalen Denken bringt.
Tief durchatmen und zwei Schritte zurück
Verdorben von Jugend an?
Doch woher kommt das? Warum müssen wir uns überhaupt bewusst zu einem anderen Blick überreden? Warum schwingen so oft Katastrophenszenarien mit, wenn wir in Konflikte mit unseren Kindern geraten? Und das, obwohl wir meistens selbst wissen, dass sie nicht zutreffen?
Mit dieser Frage sind wir wieder beim Thema des vorherigen Kapitels und der kleinen Lisbeth, deren kindliches Einstimmen in das Lachen ihrer Geschwister über eine bizarre Situation als boshaftes Verspotten fehlgedeutet wurde. Die Warnung vor der Boshaftigkeit unserer Kinder ist sehr alt. Sie dominierte viele Erziehungsschriften des 18., 19. und 20. Jahrhunderts.
Welche Bilder wir uns von Kindern machen, hängt eng damit zusammen, wie wir die Welt und die darin lebenden Menschen als solche wahrnehmen. Erleben wir die Welt als vertrauenswürdigen Ort, an dem wir von Gottes Gnade umgeben und von IHM beschenkt sind, dann fällt es uns leichter, auch in die Entwicklung unserer Kinder zu vertrauen und uns auf das zu fokussieren, was gut ist. Je mehr die Welt uns aber als dunkler, gefährlicher und feindseliger Ort erscheint, desto eher glauben wir, diese Seiten auch schon in kleinen Menschen zu erkennen. Auch ein Blick in die Geschichte unserer Vorfahren zeigt das.
Der Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster schreibt dazu: „Hatten Gesellschaften oder bestimmte Schichten Aufwind, so folgten sie in der Erziehung auch bald einem ‚helleren‘ Kinderbild […]. Umgekehrt wurde es auch für Kinder eng, wenn Gesellschaften in Not gerieten.“10
Die Welt unserer Großeltern und Urgroßeltern war voller Nöte und Feindbilder. Das 20. Jahrhundert war geprägt von zwei fürchterlichen Kriegen. Mit dem Holocaust verübten Menschen in unserem Land das schlimmste Verbrechen, das es jemals gegeben hat. Es darf nicht wundern, dass eine Gesellschaft, die zu solcher Grausamkeit in der Lage war, auch ein Bild vom Kind verinnerlicht hatte, das diesem nur das Schlechte unterstellte. So warnte die NS-Ärztin und Autorin Johanna Haarer Mütter davor, außerhalb der von ihr vorgesehenen Fütterungsintervalle auf das Weinen ihrer Babys zu reagieren.
„Das Kind begreift unglaublich rasch, dass es nur zu schreien braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt oder gefahren wird– und der kleine, aber unerbittliche Haustyrann ist fertig!“11
Dass sich solche Gedanken bis heute verbreiten konnten, liegt nicht nur daran, dass sie sich tief in die Köpfe unserer Vorfahren eingepflanzt hatten. Vielmehr wurden sie auch weiterhin ordentlich bewässert. Die Schriften der NS-Autorin Johanna Haarer wurden nach Kriegsende von ihrem ideologischen Einschlag befreit. Doch die grundsätzlichen Erziehungsgedanken blieben stehen, und bis in die 1980er-Jahre hinein wurden sie in Westdeutschland als Erziehungsratgeber verkauft und von jungen Eltern gelesen.
Bis in die 1980er-Jahre hinein– das bedeutet für viele von uns: Bis in unsere Kindheit. Ganz sicher aber bis in die Kindheit unserer Eltern, Tanten, Onkels, Lehrer oder Erzieher. Mit einer großen Wahrscheinlichkeit bist auch du ein Kind, das auf keinen Fall „tyrannisch“ werden sollte, und selbst wenn deine Eltern sich bewusst für einen anderen Blick auf dich entschieden haben, so haben sie es sicherlich einmal gehört. Vielleicht vom Nachbarn, der nicht ertragen konnte, dass es bei euch daheim anders zuging als bei ihm. Vielleicht von Lehrern, die sich über dich geärgert haben, oder im Konflikt mit den Großeltern.
Auch aus christlicher Sicht müssen wir uns hier einige kritische Fragen stellen. Denn die biblische Perspektive auf den Menschen als Sünder, dessen Dichten und Trachten böse von Jugend an ist,12 hat ihren Teil zu der negativen Sicht auf Kinder beigetragen. Für nicht wenige Erziehungsschriften vergangener Jahrhunderte war sie der Ausgangspunkt. Das Sündhafte von Jugend an wurde vor allem als eine Aussage über Kinder gewertet, und Erwachsene haben sich selbst über sie erhoben und es sich zur höchsten Aufgabe gemacht, das scheinbar Sündhafte im Kind zu erkennen und im Keim zu ersticken. Fürchterliche Fehldeutungen kindlichen Verhaltens und ein grausamer Umgang damit waren die Folge. Doch in der christlichen Erziehung galten sie über Jahrhunderte als alternativlos.
Der Theologe Thorsten Dietz sieht in dieser Sicht auf Kinder jedoch ein Missverständnis. „Entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis gibt es in der Bibel nicht das Bild des bösen Kindes“, schreibt er. „Es gibt bis heute Christen, die meinen, der Bibel die Sicht entnehmen zu dürfen, dass Kinder vor der Bekehrung sündhaft und verdorben sind. Aber die Bibel geht nicht von der völligen Bosheit der Kinder aus, sondern von der Ambivalenz des Menschen und seinen Anlagen zum Guten und zum Bösen (vgl. auch Lukas 11,13).“13
Dietz führt weiter aus, dass von kleinen Kindern sogar als Inbegriff der Unschuld gesprochen werden kann und dass sie von Jesus als besonders achtenswert und schutzbedürftig angesehen wurden.14
Wir dürfen uns daher heute darauf konzentrieren, dass die kleinen Menschen, die wir beim Erwachsenwerden begleiten dürfen, uns in ihrer Würde gleichgestellt sind. Auch wenn es um Fragen der Sündhaftigkeit geht, gibt es keinerlei Grund, uns über Kinder zu erheben– im Gegenteil, da sollten wir kleine Brötchen backen. Letztlich leben wir alle– und gerade wir großen Menschen!– aus der unverdienten Gnade heraus, die Jesus uns geschenkt hat. Deswegen sollte sie unser Leitwert sein, wenn wir uns unseren Kindern zuwenden.
Letztlich leben wir alle– und gerade wir großen Menschen!– aus der unverdienten Gnade heraus, die Jesus uns geschenkt hat. Deswegen sollte sie unser Leitwert sein, wenn wir uns unseren Kindern zuwenden.
Doch so oder so hat der negative Blick auf das kindliche Verhalten seinen Weg in unsere Köpfe und leider auch in unsere Herzen gefunden– und es gibt auch heute noch Autoren, die ihn stärken und die der Angst, Kinder zu „verziehen“, neuen Aufwind geben.
Viele gute Nachrichten
Sich dem entgegenzustellen und einen Blick auf kindliches Verhalten zu entwickeln, der verstehen will statt abzuwerten, ist daher schon fast revolutionär. Zum einen ist das Meckern über die Jugend schon immer sehr salonfähig gewesen, und zum anderen verkaufen sich schlechte Nachrichten immer besser als gute.
Doch es gibt sie, die guten Nachrichten. Wir müssen sie nur zur Kenntnis nehmen. Wir finden sie zum Beispiel bei Christian Pfeiffer, dem prominenten Kriminologen aus Hannover. In seinem Buch „Gegen die Gewalt. Warum Liebe und Gerechtigkeit unsere besten Waffen sind“ stellt er die Frage, ob es sich bei den heute unter 25-Jährigen vielleicht in vielerlei Hinsicht um die beste Jugend handelt, die wir je gehabt haben. Er beantwortet sie anhand von Kriminalitätszahlen, die sein Institut über viele Jahrzehnte hinweg erhoben hat. Die Ergebnisse sind selbst für eine Berufsoptimistin wie mich ziemlich beeindruckend: Die Jugendkriminalität ist insgesamt zwischen 2000 und 2018 um fast 30 Prozent zurückgegangen. Gewalttaten Jugendlicher sogar um mehr als 40 Prozent und Sachbeschädigung um mehr als 50 Prozent. Doch das ist noch nicht alles: Auch der Alkoholkonsum von Jugendlichen hat um ein Viertel abgenommen, Ähnliches gilt für den Konsum von Cannabis, und noch größer ist der Rückgang beim Rauchen. Die Zahl der von Jugendlichen begangenen Suizide ist ebenfalls um ein Drittel gesunken.15
Die Journalistin Julia Dibbern hat ein ganzes Buch geschrieben, in dem sie die negativen Sichtweisen auf heutige Kinder und Jugendliche in ihre Einzelteile zerlegt und empirisch widerlegt, und sie hat einen Rat an alle Eltern: „Mit Skandalmeldungen und Katastrophenszenarien lässt sich trefflich Geld verdienen, das sei unbenommen, aber wir Eltern sollten uns davon nicht irre machen lassen. Wir dürfen das Feld nicht den am lautesten schreienden, alten Männern überlassen, denn die wahren Experten für unsere Kinder sind nicht die, die den Wald vor lauter Bäumen(…), die vielen fitten Kinder zwischen all den Problemfällen ihrer Praxis nicht mehr sehen können. Die wahren Experten sind wir!“16
Und auch aus christlicher Sicht gibt es Grund zur Freude, was das Aufwachsen junger Menschen angeht. Die Wissenschaftler Tobias Künkler, Tobias Faix und Damaris Müller haben vor einigen Jahren eine breite Untersuchung mit christlichen Familien gemacht und kommen zu dem Fazit, dass es keinen Grund gibt, auf der Welle des Schlechtredens von Kindern und Familien mitzuschwimmen. Sie schreiben: „Eltern haben viel Zeit für ihre Familie, Mütter und Väter können ihre Rollen individuell entsprechend ihrer Familiensituation gestalten, da sie festgelegten Leitbildern, auch mit Blick auf die Glaubenserziehung, nicht mehr so stark unterworfen sind wie früher. Familien werden durch staatliche Leistungen oder inhaltliche Programme von Kirchen/Gemeinden oder auch Wohlfahrtsverbänden sehr gut unterstützt. Ein Grund zum Jubeln!“17
Ja– wir haben einen Grund zum Jubeln über unsere Kinder und uns als Familien, das wird deutlich, wenn wir uns auf das konzentrieren, was gerade ist, und ignorieren, was manche Mahner uns weismachen wollen.
Gnade als Leitwert
Wir können ihn also wagen– den liebevollen, den hoffnungsfrohen Blick auf unsere Kinder. Doch das Gute ist auch hier mal wieder– wir könnten das selbst dann tun, wenn ich nicht jede Menge guter Nachrichten im Gepäck hätte. Denn wir haben in Jesus mehr als nur ein starkes Vorbild, wenn es darum geht, das Gute in den Menschen zu sehen. Jesus umgab sich mit Menschen, deren Schwächen sichtbar waren. Oft wurden gerade diese Schwächen von der Außenwelt zuerst oder gar besonders wahrgenommen. Er sah darüber nicht hinweg– doch er sah durch sie hindurch. Sein Blick fiel auf die tiefer liegenden Schichten, auf das, was er aus diesen Menschen formen konnte. Er wusste, dass seine Annahme und seine Liebe sie verändern würden und dass bei ihm der Ort war, an dem sie das Beste an sich zur Entfaltung bringen konnten.
Und vielleicht hilft der Gedanke an die Eltern der von Jesus gesegneten Kinder ja tatsächlich, wenn wir das nächste Mal vorschnell urteilen wollen. Wie werden sie ihre Kinder angesehen haben, als sie zurück nach Hause kamen? Ob seine Worte in ihnen nachhallten? Kleine Menschen, vom Messias gesegnet, Erben des Himmelreiches?
Ich glaube, Jesus hat die Herzen dieser Mütter und Väter an diesem Tag für immer verändert. Und er kann das auch mit unseren tun.