Читать книгу Virusrausch - Daniela Christine Geissler - Страница 8

Kapitel 1

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Houston - vor zwei Wochen

Freitag, 17.30


>>Na, mach schon!<<, fluchte Clark hinter dem Steuer des Rettungswagens. >>.....ist doch wie immer...<< Energisch schlängelte er den Wagen zwischen den langsam ausweichenden Autos vorbei zum Hotel Continental. Dort endlich angekommen, stürmten die zwei Rettungsleute aus dem Wagen und schoben die Trage heraus.

In der Hotelhalle lag, von vier Angestellten umringt, ein Mann am Boden. Der gewissenhafte Hotelboy hatte ihn bereits in Seitenlage gebracht. So daliegend, machte der junge Mann den Eindruck eines friedlich Schlafenden, inmitten der Hektik, die er verursachte.

Mit einem lethargischen Blick sah er kurz zu den hereinstürmenden Männern auf. Der Notarzt fühlte seinen Puls und nickte den Rettungsleuten zu, die ihn daraufhin sachte auf die Trage legten. Als sie Brian in den Krankenwagen schoben, raste seine Kindheit in Zeitraffer an ihm vorüber. Manche Szenen durchlebte er mit besonders quälender Intensität.

Das Leben jedes Menschen beinhaltet positive und negative Erlebnisse, aber dieser Mann erlebte Szenen, die eigentümlich verzerrt waren. Er befand sich auf einem seelischen Horrortrip, der einem Drogenrausch glich.

In der Notaufnahme stellte man eine Herzinsuffizienz und eine herabgesetzte Atemtätigkeit fest. Man brachte ihn nach der ersten medizinischen Versorgung auf die Intensivstation. Dort kam er wieder einige Minuten zu sich, um dann wieder in diesen Dämmerzustand zu verfallen. Niemand konnte ihm helfen, keiner wusste, was er durchmachte. Von seinem körperlichen Zustand her, war es nicht zu erkennen, wie sein Zentralnervensystem seine Psyche mit unzusammen-hängenden Fantasien quälte.

Er fühlte den Ruck, als die Krankenpfleger ihn ins Bett hoben. Brian versuchte sich zu bewegen, doch seine Arme gehorchten ihm nicht. Nur schemenhaft registrierte er seine Umgebung. Aus weiter Ferne drangen die Worte zu ihm >>.....Brian Cain......Systolen festgestellt...... säubern....... Katheder legen......<< Er begann zu frösteln. Im nächsten Moment entfernten sich die Stimmen um ihn herum. Ein Strudel aus sich überschneidenden Bildern riss ihn in seine Vergangenheit zurück – er war neun Jahre alt und befand sich in seinem Kinderzimmer.

Dort herrschten Dunkelheit und Kälte. Seine Mutter drückte den Lichtschalter, doch statt des Lichts, ratterten vor seinem Fenster eiserne Gitterstäbe herunter. Einem weiblichen Höllentier gleich, beugte sie sich über ihn, welches sich plötzlich in seine Schwester Margit verwandelte. Sie streichelte seine Wange, ihr Haar duftete süß. Sein Vater befand sich hinter ihnen und betrachtete beide traurig. Er löste sich von Margit und wollte in die starken Arme seines Vaters flüchten, doch je näher er kam, desto größer wurde der Abstand zwischen ihnen. Anschließend sah er das ebenmäßige Gesicht seiner Frau Helen vor sich - in ihrem Lächeln schien er zu versinken, versuchte mit ihr zu sprechen, aber seine Stimme erreichte sie nicht. Über seine Kindheit hinweg versuchte er die Gegenwart zu erreichen. Seine Stimme versagte - daraufhin lachte sie und lief weg.

Sämtliche Komplexe, die seine Psyche verdrängte, traten mit unbeugsamer Vehemenz in seinen halbwachen Zustand und wurden für ihn Wirklichkeit. Zwei Welten liefen parallel - die Realität, welche ihm kurzzeitig Erlösung brachte und der Dämmerzustand, aus dem er sich zu befreien suchte. Brian Caine war ein Realist, einen Computertechniker konnte man nicht so leicht in die Irre führen. Er war kein Fantast und umso härter traf ihn dieser irreale Film, der vor seinem inneren Auge ablief - vor dem es kein Entrinnen gab.

Zur selben Zeit in Newcastle legte Helen ihren Autogurt an. Ihr Handy läutete und sie vernahm die monotone Stimme einer älteren Frau, die sich als eine Angestellte des Hotels Continental erwies. Mit gelangweiltem Ton fuhr diese fort

>> .....Ihr Mann ist ohnmächtig geworden und wurde in das nächstliegende Hospital Eden gebracht......<<

Helen war jede Hysterie fremd, hörte aufmerksam zu und machte sich während des Gesprächs Notizen. Ihre weibliche Intuition riet ihr allerdings nach Houston zu fahren.

Sie bestellte einen Flug für den nächsten Morgen. Helen war es gewohnt, schnelle Entscheidungen zu treffen und wählte die Nummer ihres Kollegen.

>>Tag Mike, das Geschäftsessen morgen muss ich leider platzen lassen. Brian wurde in ein Hospital gebracht. Ich werde nach Houston fahren.<<

Den Charakterzug der englischen Gelassenheit besaß Mike nicht. Er war ein Hektiker, immer auf Achse, bekam bei einem Gespräch vor lauter Zerstreutheit nur die Hälfte mit und ratterte schon los >>Du hast in letzter Zeit so viel gearbeitet, dass du dir über das Projekt keine Gedanken machen sollst. Deine letzte Werbecollage ist bei der Firma gut angekommen. Wenn du so weiter arbeitest, machst du uns noch alle reich. Was ist übrigens mit Brian? ..... Nichts Schlimmes..... oder?<<

>>Man hat mir nichts Genaues mitgeteilt, wahrscheinlich der Kreislauf. Du weißt ja, er verträgt die Hitze nicht besonders gut. In Houston herrschen andere Temperaturen als bei uns und ich nehme an, dass ihm das zu schaffen gemacht hat, hinzu kommt noch der Stress beim Seminar.....bin in Eile. Wenn es Neuigkeiten gibt, ruf ich dich an, bis später. <<

Noch ehe Mike antworten konnte, legte sie auf. Die Zeit rannte ihr davon. Sie hatte bis zum Abflug noch tausend Dinge zu erledigen. Genervt dachte sie daran, seine Familie informieren zu müssen. Ach, du meine Güte, Margit wird hoffentlich nicht ausflippen.

Margit war anders als Brian. Sie war ein Pessimist, verletzlich, überfürsorglich, aber auch von einer herzlichen Gutmütigkeit, die Helen an Brians Schwester schätzte. Seine Mutter wird sich wohl weniger Sorgen machen, dachte sie verärgert.

Brian und Helen lernten sich durch Mike im Büro ihrer Werbefirma kennen.

Eigentlich wollte Helen sich der Malerei widmen, doch ihre Vorstellungen von Kunst waren anscheinend veraltet. Ihr Kunststudium war mehr als frustrierend. Kunstprofessoren legten zu ihrer Enttäuschung auf handwerkliche Kniffe der alten Meister keinen Wert. Diese waren voll und ganz damit beschäftigt, ihr Ego in den Vordergrund zu stellen und sich ihren narzisstischen Selbstdarstellungen hinzugeben. Im Vorlesungssaal schwatzte ein alter Professor ihnen vor

>>Wir malen, um uns zu finden, um unser Innerstes preiszugeben.....<<, dabei rannte er vor Erregung über die Wichtigkeit seiner Ausführungen die Stufen des Vorlesungssaales treppauf, treppab. Damit wohl auch die letzten Reihen, die dem Schlaf knapp entgingen, seinen >philosophischen Sichtweisen< lauschen konnten. Auf der Staffelei lehnte ein Bild, übersät mit undefinierbaren Farbklecksen, über das sich der alte Mann bereits seit zwei Stunden in völlig absurden Vorstellungen erging. Helen erinnerte es an den Rohrschacher Test. >>Die gehören alle in eine Anstalt, diese Kunstbanausen.<<, hallte noch jetzt die gedehnte Stimme eines Studienkollegen in ihren Ohren wider. Nach den unzureichenden Informationen, die ihr das Kunststudium vermittelt hatte, entschied sie sich, Grafikerin zu werden und setzte ihr ganzes Können in diese Sparte, belegte zwei Semester Psychologie, absolvierte Grafikkurse und verdiente ihr Geld als selbstständige Werbegrafikerin, bis ihr eine Fixstellung bei einer großen Werbefirma angeboten wurde.

Mike war für die Computerausführung und Texte verantwortlich, Helen für die künstlerisch-grafischen Entwürfe. Nach schon zwei Monaten waren sie ein gut funktionierendes Team der Werbefirma und bekamen Projekte von Großfirmen vorgelegt.

Mike war ein ausgelassener Typ. Deshalb wunderte sich Helen, als er ihr Brian vorstellte, der das ganze Gegenteil von ihm war. Vielleicht waren es auch die Gegensätze, welche diese Freundschaft seit der Schulzeit andauern ließen. Brian war für Mike der Ruhepol. Mike gab den Ton an, aber das störte ihn nicht. Brian fügte sich, aber immer mit einem gewissen Rückhalt. Es gab auch Momente, wo er ihm wochenlang aus dem Weg ging und Mike sich fragte, was er wohl verbrochen hatte. Aber mit der Zeit gewöhnte Mike sich an seine Launen und Brian fand sich mit seiner oftmals kränkenden, zynischen Haltung ihm gegenüber ab. Auf Helen machte Brian einen positiven, jedoch langweiligen Eindruck. Er rauchte nicht, trank nicht, hatte keine Weibergeschichten, machte keine Probleme. Der ideale Mann für Helen, denn Beziehungsstress und andere Dummheiten würden ihr Leben und vor allem ihre Arbeit, für die sie lebte, stören. Außerdem respektierte Helen seinen Wunsch nach Zurückgezogenheit, wofür er sie noch mehr liebte.

>>Die hat Beine, ich sage dir, einmalig! Mein Typ ist sie trotzdem nicht. Du weißt ja, mir gefällt die Hingebungsvolle, keine Powerfrau.<< Mike konnte kein weibliches Wesen ansehen, ohne sie sofort zu beurteilen, aber Brian ignorierte seine Bemerkung in seiner phlegmatischen Art.

Am darauffolgenden Nachmittag lernte er Helen kennen. Obwohl er sich von Frauen keine genaue Vorstellung gemacht hatte, war sie diejenige, die sein Innerstes suchte und nun war sie da, stand vor ihm, streckte ihm liebenswürdig ihre Hand entgegen. Sein fester, warmer Händedruck gefiel ihr. Sein Haar war schwarz und sein Gesicht hatte den typischen blassen Teint vieler Engländer. Brian war nicht die Vorstellung von Mann, die Helen sich erträumt hatte, doch seine Stimme erregte sofort ihre Aufmerksamkeit - diese war melodisch weich, fast weiblich.

Nach nur einem halben Jahr fand die Hochzeit statt. Die Ehe verlief harmonisch, nur den Grund seiner plötzlich auftretenden Launenhaftigkeit begriff Helen erst nach einer Weile.

Bei den jeweiligen Familienfeiern lernte Helen seine Mutter näher kennen und dann wurde ihr einiges klar. Sie begegnete einer herzlosen Frau, welche einzig und allein an ihrer eigenen Person Interesse zeigte. Andere Menschen ihrer Umgebung dienten vornehmlich dazu, sich um sie zu versammeln, damit sie deren Mittelpunkt bilden konnte.

Ihr Mann verließ die Familie, da war Brian acht und Margit zehn Jahre alt. Er ging nicht wegen einer anderen Frau, sondern weil er Magie nicht mehr ertragen konnte.

Er hinterließ ihr einen netten Brief und korrespondierte nur mehr über den Anwalt mit ihr. Er zahlte seine Alimente pünktlich, nahm aber das Recht nicht in Anspruch, seine Kinder zu besuchen. So gut sich Helen in Mr.Caines Lage hineinversetzen konnte, so wenig verstand sie seine Gleichgültigkeit den Kindern gegenüber.

So prägte die fehlende Vaterfigur den Charakter der beiden Kinder. Margit war von nervösem Temperament und Brian zog sich in seine Computerwelt zurück.

Eine Begebenheit war Helen noch lange im Gedächtnis geblieben. Es war ein Streit zwischen Magie und Brian. Seine Mutter brüllte ihn an, machte ihm eine Szene nach der anderen. Helen stand abseits und lauschte. Was sie so wütend machte, war die Tatsache, dass Brian sich ihren Anschuldigungen nicht entgegenstellte. Mit hängenden Schultern, wie ein Prügelknabe, stand er vor ihr, sah sie nicht einmal an. Helen konnte diese Ungerechtigkeit nicht mehr ertragen und betrat den Raum. Magie war plötzlich wie ausgewechselt. Niemals wollte sie vor anderen Leuten ihr Gesicht verlieren, nur ihre Kinder kannten die zweite Magie. Nach der Szene machten die beiden einen langen Spaziergang, bei dem sie einen anderen Brian kennen lernte.

>>Erwürgen hätte ich sie können, erwürgen mit nur einer Hand!<<, brüllte er. Über den Vorfall verlor er später kein Wort mehr.

Angespannt überlegte sie, ob sie die beiden nicht erst nach dem Gespräch mit einem Arzt informieren sollte, wählte dann jedoch hastig die Nummer

>>Hallo, Margit, reg dich bitte nicht auf! Du weißt ja, Brian ist wegen eines Seminars in Houston. Man hat mich eben informiert, dass man ihn in das Hospital Eden eingeliefert hat. Er ist ohnmächtig geworden, wahrscheinlich der Kreislauf. Um diese Zeit ist es im Juli sehr heiß ....ich fliege also morgen zu ihm und ruf dich dann wieder an.<<, mit diesen Worten wollte Helen es schnell hinter sich bringen, doch Margit plapperte bereits aufgeregt in den Hörer >>Wie geht es ihm denn jetzt? Hast du dich nicht laufend erkundigt........<<

Von Margits Pessimismus angesteckt, stieg sie nach dem Gespräch erschöpft die Treppen in ihre Wohnung hinauf. Trotzdem war sie erleichtert, nicht mehr mit Brians Mutter sprechen zu müssen.

Helen hatte vor, die Situation erst dann zu beurteilen, wenn sie sich selbst ein Bild davon gemacht hatte. Unsinn, was wird schon sein? Morgen wird er sich über mich lustig machen, weil ich von Newcastle nach Houston geflogen bin, nur weil ihm schlecht geworden war und mein Handeln mit der Hysterie von Margit vergleichen, versuchte sich Helen zu beruhigen und erinnerte sich an ihren letzten gemeinsamen Urlaub in Kenia.

Dabei wunderte sie sich, dass er das heiße Klima dort so gut vertragen hatte.

Helens Cousine Ambra lebte in Ostafrika. Sie wollte einen Abenteuerurlaub mit Brian machen, um ihn ein wenig aus seiner Melancholie zu reißen. Zu ihrer Überraschung war er wie ausgewechselt und nicht davon abzubringen, dauernd mit dem Jeep durch die Gegend zu düsen. Zum Vorschein kam ein Gesicht von ihm, dass sie nicht für möglich gehalten hätte. Er entwickelte sich zu einer echten Stimmungskanone.

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