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Daria versuchte verzweifelt, die verbeulte Konservendose zu öffnen, um an die darin befindliche Tomatensoße zu gelangen. Ja, die Konserve war um die Hälfte verbilligt, weil kein anderer sich solch einen Kampf liefern wollte. Als sie kurz davor war, die Blechbüchse aus dem Fenster zu werfen, hörte sie ein feines Zischen und Tomatensoße spritzte ihr ins Gesicht.

Voller Wut umklammerte sie die Dose und ermahnte sich ruhig zu bleiben, denn sie spürte bereits, wie sich die Luft im Raum langsam zu drehen begann. Ihr Vater wäre sicherlich nicht erfreut, wenn er hereinkäme und direkt in einen Minitornado gezogen würde. Also zählte sie in Gedanken von zehn langsam rückwärts und bearbeitete die widerspenstige Konserve weiter, bis das Loch groß genug war, um den Inhalt in den kleinen und ebenso zerbeulten Kochtopf zu kippen.

Als das endlich geschafft war, kam ihr Vater zur Tür herein. „Kalt geworden“, murmelte er statt einer Begrüßung, gab ihr aber im Vorbeigehen einen flüchtigen Kuss auf den Kopf. „Riecht lecker, Liebes!“, merkte er an und nahm an dem kleinen, runden Tisch Platz, der bereits gedeckt war.

„Mhm“, war Darias Antwort darauf. Nudeln mit Tomatensoße war das günstigste Essen, das sie auf den Tisch bringen konnte, und daher auch kein seltenes Menü. Doch ihr Vater lobte das fade Pastagericht jedes Mal und dankte ihr damit für die Mühe, die sie sich gab.

Nachdem sie gegessen hatten und Daria den Abwasch erledigt hatte, zog sie sich in das schäbige, enge Bad zurück, um sich bettfertig zu machen. Seufzend wühlte sie in der Kiste zu ihren Füßen nach ihrer Bürste, dem Zahnputzzeug und dem Duschgel.

Als sie alles beisammen hatte, stellte sie das Wasser in der Dusche so heiß wie möglich und schlüpfte aus ihren Sachen. Die Hitze des dampfenden Wassers breitete sich allmählich in ihrem Körper aus und sie begann sich zu entspannen. Der Umzugsstress der letzten Tage fiel nach und nach von ihr ab und ihre Verspannungen im Nacken lösten sich, was auch den Kopfschmerz endlich dämpfte.

Viel zu schnell war das warme Wasser aufgebraucht und so wusch Daria sich in Windeseile, um dem kalten Schauer zu entgehen.

Mit einem kratzigen Handtuch umhüllt stellte sie sich vor den Spiegel, den sie erst einmal vom Dampfschleier befreien musste, um darin etwas sehen zu können. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und gelegentlichem Quieken entwirrte sie das Haargummi aus ihren Locken und fächerte die Mähne über ihren Schultern auf, um sich daran zu machen, sie zu frisieren. Keine leichte Aufgabe bei ihren langen Strähnen, die sie eindeutig zu sehr vernachlässigte.

Wenn ihre Haare frisch gewaschen und gekämmt waren, ergossen sich die blonden Locken wie ein Wasserfall über ihren Rücken und glänzten im Sonnenlicht schillernd wie das Perlmutt im Inneren einer Muschel. Doch da sie weder das Geld für teure Haarkuren noch die Muse oder Fähigkeit hatte, sich ihre Haare zu einer geeigneten Frisur zu formen, hingen sie meist schlapp und leblos von ihrem Kopf.

Früher hatte ihre Mutter ihr immer kunstvolle Zöpfe geflochten und diese geschickt hochgesteckt. Da ihre Mutter aber viel zu früh gestorben war, hatte sie nie Gelegenheit gehabt, Daria das Flechten beizubringen.

Endlich war sie damit fertig, die Knoten aus ihrem Haar zu bürsten, und massierte sich die Hand, da diese schon krampfte.

Nachdem sie sich noch die Zähne geputzt und ihren Schlafanzug angezogen hatte, kuschelte sie sich in die Laken und versuchte, ihren müden Geist zum Schlafen zu bewegen.

Noch ein Tag Wochenende, dann würde sie sich am Montag in der hiesigen Schule einschreiben lassen. Zumindest für die nächsten paar Wochen war der Trubel des Umzugs wieder überstanden.

Mit einem tiefen Seufzen drehte sie sich ein letztes Mal um und schloss ihre Augen. Kaum hatte sie in den Schlaf gefunden, wurde sie unsanft geweckt. Ein leises Klopfen ließ sie aufschrecken und im Bett hochfahren. Eine schwache Frauenstimme rief den Namen ihres Vaters, immer und immer wieder. Daria realisierte langsam, dass das stetige Klopfen von der Eingangstüre her rührte, und die Stimme der Vermieterin gehörte.

Was wollte sie um diese Uhrzeit nur? Es musste weit nach elf sein.

Zu dem nun forscher werdenden Klopfen mischte sich ein röchelndes Schnarchen. Ihr Vater ließ sich offenbar nicht so leicht wecken. Daria rappelte sich auf und schlurfte träge ins Wohnzimmer, wo ihr Vater sein Nachtlager aufgeschlagen hatte. Bei jedem Klopfen zuckte er im Schlaf, wach wurde er davon aber nicht.

„Papa! Papa, da ist jemand an der Tür!“ Daria packte ihren Vater am großen Zeh und rüttelte kräftig daran, um ihn schnellstmöglich wach zu bekommen.

Langsam regte er sich. „Was? Was ist denn, mein Liebes?“, fragte er noch völlig verschlafen und rieb sich die Nase.

„Die Vermieterin steht vor der Tür und ruft nach dir! Hast du die Anzahlung schon erledigt?“ Darias Stimme klang vorwurfsvoll, denn sie hatte keine Lust, morgen gleich wieder vor die Türe gesetzt zu werden.

„Was? Ja, hab ich doch.“ Jetzt öffnete er endlich die Augen und stand auf, um zur Tür zu gehen.

Daria war in ihr Zimmer zurückgegangen, hatte aber die Türe nur angelehnt, um mitzubekommen, was die Vermieterin ihrem Vater zu sagen hatte.

„Herr Hellar, entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber ich habe ein Ferngespräch für Sie. Ein Mann wartet in der Leitung. Er meinte, es sei von größter Bedeutung, dass Sie heute noch mit ihm reden“, berichtete sie kurz und knapp und fügte dann noch mürrisch hinzu: „Das Telefon hat übrigens auch mich aus dem Bett geholt. Ich würde Sie bitten, diesem Mann zu sagen, er soll nur mehr tagsüber hier anrufen!“ Damit drehte sie sich um und ging in ihre Wohnung nebenan, um dort auf Darias Vater zu warten.

Dieser schlüpfte unbeholfen in seine Schuhe, warf sich eilig seine Jacke über den Schlafanzug und folgte der Vermieterin. Daria blieb mit einem Fragezeichen im Kopf zurück. Wer zur Hölle rief ihren Vater an? Wer wusste, dass sie hier waren, und was war so eilig, dass es mitten in der Nacht besprochen werden musste?

Kurz war sie versucht, ebenfalls nach nebenan zu gehen, verkniff es sich dann doch und wartete ungeduldig auf die Rückkehr ihres Vaters.

Während er die paar Meter bis zur Wohnung der Vermieterin zurücklegte, fragte sich Erik fieberhaft, wer ihn hier anrufen könnte. Es gab niemanden mehr in seinem Leben außer Daria. Keine Großeltern, Geschwister oder Freunde.

Als er den Hörer abnahm, war ihm leicht mulmig zumute. Skeptisch meldete er sich mit einem zaghaften: „Ja?“ Sein Herz pochte laut vor Aufregung und er hoffte, dass man es nicht durch das Telefon hören konnte.

„Hallo? Spreche ich mit Erik Hellar?“, fragte eine tiefe Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

Erik räusperte sich und gab sein Bestes, mit fester und sicher klingender Stimme zu antworten. „Ja, hier ist Erik Hellar“, wiederholte er seinen Namen.

„Herr Hellar!“, begann der Mann und Erik meinte, Euphorie in seiner Stimme mitschwingen zu hören. „Als Erstes muss ich mich dafür entschuldigen, Sie zu so später Stunde zu belästigen. Es ist nur so, dass ich eben erst von einer Geschäftsreise zurückgekehrt bin, mein Anliegen an Sie jedoch keinen weiteren Aufschub duldet. Außerdem bitte ich Sie, mich zur Gänze anzuhören, bevor Sie eine Entscheidung treffen! Habe ich Ihr Wort?“, wollte der Mann wissen.

Erik runzelte angestrengt die Stirn und kratzte sich lautlos am Ohr.

Welche Entscheidung sollte er treffen?

Nach einer kurzen Pause, die der Mann geduldig abwartete, entschied Erik, es darauf ankommen zu lassen. „Ja, ich werde mir alles anhören, was Sie mir zu sagen haben“, erwiderte er unsicher. Die Muskeln in seinem Gesicht arbeiteten unentwegt, als würden sie die Spannung, welche sich in ihm aufgebaut hatte, zermahlen wollen.

„Mein Name ist Alarik Terres“, stellte sich der Unbekannte vor. „Ich bin wie Sie und Ihre Tochter ein Elementträger.“

Vor Schreck ließ Erik beinahe den Hörer fallen.

Wer war dieser Mann und was wollte er bloß von ihnen?

Er zog scharf die Luft ein und wollte bereits etwas sagen, als Alarik ihm zuvorkam: „Bitte, Herr Hellar, Sie brauchen sich nicht aufzuregen, ich bitte Sie noch einmal, mich anzuhören.“

Erik schluckte geräuschvoll, blieb aber ansonsten stumm und lauschte aufgewühlt den weiteren Worten Alariks.

„Vor knapp zwei Jahren haben Sie eine Bewerbung an das Wasserkraftwerk am Grenzer See geschickt. Nun, ich bin mittlerweile Teilhaber dieser Firma und Personalumstrukturierungen haben zur Folge, dass wir einen Posten neu besetzen müssen. Diese spezielle Stelle kann nur jemand mit Ihren Fähigkeiten …“, er betonte das Wort und beinahe konnte Erik ein Augenzwinkern erahnen, „… besetzen. Bitte seien Sie nicht skeptisch mir gegenüber. Mir liegt das Unternehmen sehr am Herzen, daher suche ich meine Mitarbeiter gewissenhaft aus und bin der Überzeugung, dass nur Sie diese Arbeit zu meiner Zufriedenheit erledigen können!“

Erik schwirrte der Kopf, doch Alarik war noch nicht fertig.

„Abgesehen davon, dass dieser anspruchsvolle und für Sie sicherlich interessante Job ein stattliches Einkommen bringt, kann ich Ihnen viele weitere Vergünstigungen bieten. Ihnen und Ihrer Tochter. Daria, nicht wahr?“ Alarik stellte diese Frage, obwohl er die Antwort darauf mit Sicherheit wusste, und wartete daher auch keine Antwort ab, sondern fuhr bereits fort: „Seien Sie mir nicht böse, dass ich mich etwas über Sie erkundigt habe! Wie schon erwähnt prüfe ich meine Mitarbeiter in spe genau, bevor es zu einer Anstellung kommt. Daher weiß ich auch, dass Sie die Einnahmen dringend benötigen. Ich bin bereit, Ihre Kredite zu tilgen und auch das andere Darlehen, welches Sie aufgenommen haben.“

Erik zweifelte keinen Moment daran, dass Herr Terres von dem Geld sprach, das er sich bei dem Kredithai hatte ausleihen müssen.

„Außerdem biete ich Ihnen eine Unterkunft an, entgeltfrei versteht sich. Ihre Tochter kann die hiesige Privatschule besuchen, auch dafür müssen Sie nichts aufwenden! Sie sehen, ich bin sehr daran interessiert, Sie als neuen Mitarbeiter zu gewinnen. Ihre Arbeitskraft bedeutet mir viel und ich bin bereit, die genannten Kosten dauerhaft und ohne Forderung einer Rückzahlung zu übernehmen. Ihr Leben würde sich von Grund auf ändern, Herr Hellar!“, betonte Alarik und wartete dann auf eine Antwort.

Da Erik sich nicht im Stande fühlte, dem nachzukommen, schwieg er. Unterschiedlichste Gedanken und Gefühle jagten durch seinen Kopf. Am Rande nahm Erik wahr, dass Alarik einige Male dazu ansetzte, etwas zu sagen.

„Hören Sie Erik, ich weiß auch, welche Tragödie Ihrer Familie widerfahren ist“, verlegen hüstelte er. „Wir beobachten die Tätigkeiten der Auserwählten, einer Gruppierung der Unsrigen, die es sich zum Ziel gemacht hat, die gewöhnlichen Menschen zu unterwerfen. Damit versuchen wir sicherzustellen, dass ihre terroristischen Akte unsere Kolonie nicht in Gefahr bringen! Diesbezüglich arbeiten wir auch eng mit den Behörden zusammen! Daher weiß ich, dass es Anhänger dieser Vereinigung waren, die Sie damals verfolgt und das Leben Ihrer Frau genommen haben. Ich versichere Ihnen, Erik, nirgendwo wären Sie und Ihre Tochter sicherer als bei uns!“

Die letzten beiden Worte hörte Erik nur mehr von weitem, da er bereits dabei war, den Hörer auf die Gabel zu knallen. Er bebte vor Schmerz, Wut und Trauer. Wie konnte dieser Mensch es wagen, von seiner Frau zu sprechen? Welche Unverschämtheit war es, dass er diese persönlichen Informationen ausgegraben hatte und ihn damit konfrontierte. Doch es hatte auch noch einen anderen bitteren Nachgeschmack, als alleine das Gefühl bloßgestellt zu sein. Es war ihm unangenehm, dass dieser Alarik so viel von ihm wusste, sogar mehr als er selbst.

Es war also eine Art fanatische Gruppe gewesen, die sie damals verfolgt hatte. Warum? Was zum Teufel wollten sie von seiner Familie?

Er hatte es schon Wochen vor seiner Flucht bemerkt, dass sie von einigen der Nachbarn beobachtet wurden. Jeder ihrer Schritte. Es wurden intime Fragen zu seiner Tochter gestellt, die wohl beiläufig hätten klingen sollen.

Erik und seine Frau hatten gewusst, dass ihre Tochter eine Anomalie darstellte. Sie kannten die alten Geschichten und sie konnten nicht sicher sein, dass es diese Leute, die sie bedrängten, mehr über Daria zu erzählen, nicht aus diesem Grund auf sie abgesehen hatten! Nicht jeder der Elementträger wünschte sich die Rückkehr des Elementaren. Viele von ihresgleichen fühlten sich den gewöhnlichen Menschen überlegen und wollten diese vermeintliche Vormachtstellung nicht riskieren, das hatte er gewusst. Aber dass sich daraus eine Vereinigung gebildet hatte, die zu solchen Dingen im Stande war, hatte er bisher nicht gewusst. Vielleicht konnte dieser Alarik ihm Informationen liefern und Daria besser beschützen, als er es alleine vermochte.

Dieser Gedanke schmerzte ihn sehr, aber er musste sich eingestehen, dass er sich in einer Sackgasse befand. Seine Geldreserven waren bereits vor Jahren aufgebraucht gewesen und er schaffte es kaum mit drei Jobs, das Geld für die Kreditraten aufzubringen. Abgesehen davon graute ihm bereits vor dem Tag, an dem er das geborgte Geld an Kopack zurückzahlen musste. Erik hatte die Summe nicht einmal annähernd zusammengespart, obwohl die Frist fast vorbei war, und er wusste nicht, was Kopack und seine Leute ihm antun würden, wenn er nicht rechtzeitig zahlen könnte.

Hatte er nicht auch seit dem Tag seiner Bewerbung darauf gehofft, dass er doch noch irgendwann im Kraftwerk anfangen konnte? Und Daria, sie musste auf so viel verzichten. Sie war mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen und musste neben ihrer Mutter auch jede noch so kleine Annehmlichkeit entbehren. So wie sie derzeit lebten, immer auf der Flucht, hatte sie nicht einmal ein richtiges Zuhause. Denn das war der Hauptgrund für die ständigen Umzüge, die Angst davor, ihre einstigen Verfolger könnten sie aufspüren. Da er keinerlei Informationen hatte, warum sie damals wirklich von ihnen gejagt wurden, aber sehr wohl wusste, wozu sie fähig waren, hatte ihre Flucht bisher kein Ende gefunden. Er wusste, Daria belastete es sehr, ständig herumzuziehen, nie Freundschaften aufbauen zu können.

Erik kniff die Augen fest zusammen, als könnte er die Antworten auf der Innenseite seiner Lider lesen. Dann, kurzerhand entschlossen, nahm er den Hörer wieder auf und drückte mit zitterndem Finger die Rückruftaste. Es klingelte nur zwei Mal, dann meldete sich eine Frauenstimme, die ihn dazu aufforderte, kurz zu warten. Ein paar Atemzüge später war wieder Alarik Terres am Telefon. „Sie haben sich entschieden?“, fragte er vorsichtig und entschuldigte sich dafür, Erik zuvor so überrumpelt zu haben.

Erik willigte ein, den Job anzunehmen. Alarik erklärte ihm, dass er ihnen Flugtickets hinterlegen würde. Der Flug ging bereits am nächsten Tag. Sie würden von einem Privatchauffeur vom Flughafen abgeholt und zuerst in den Firmensitz gebracht werden. Dort sollte Erik den Dienstvertrag unterschreiben und anschließend könnten sie ihr neues Zuhause beziehen.

Am Montag würde für Daria bereits der erste Schultag beginnen. Alle benötigten Bücher und Unterlagen würden bis dahin bereitliegen. Alariks Sohn Vincent werde Daria abholen und sie durch den Tag begleiten, um ihr den Einstieg zu erleichtern.

Noch ganz benommen von der Flut an Informationen trabte Erik zurück zu seiner Wohnung. Auf halbem Wege fiel ihm ein, dass er sich gar nicht bei der Vermieterin bedankt und verabschiedet hatte. Sie hatte sich höflicherweise in die angrenzende Küche zurückgezogen und Erik war so perplex gewesen, dass er nach Beendigung des Telefonats einfach gegangen war. Er entschied sich, die Vermieterin nicht mehr zu belästigen und setzte sich wieder in Bewegung.

Daria wartete in der Küche auf ihn. Sie hatte eine Kanne Wasser zugestellt und zwei Tassen mit Teebeuteln darin standen bereit. Aus großen, wachen Augen blickte sie ihn an, als er den Stuhl zurückzog und sich geräuschvoll darauf niederließ.

„Liebes, erinnerst du dich noch, dass ich mich einmal für einen Posten im Wasserkraftwerk am Grenzer See beworben habe?“

Daria hatte den Eindruck, dass es ihrem Vater schwerfiel, nicht gleich die ganze Geschichte auszuposaunen, welche ihm offensichtlich auf der Zunge brannte. Sie wusste es noch, als wäre es erst gestern gewesen. Ihr Vater wollte den Posten unbedingt. Hatte tagelang über dem Bewerbungsschreiben gebrütet, damit es perfekt war. Doch wurde er nie zu dem Auswahlverfahren eingeladen und war dementsprechend frustriert gewesen. Noch Wochen später hatte er gehofft, von der Firma zu hören, denn er versprach sich von dieser gutbezahlten Anstellung einen Neustart für sie beide.

Daria nickte und signalisierte ihm gleichzeitig, er solle weitersprechen.

Ihr Vater nahm einen Schluck von dem noch viel zu heißen Tee und musste husten. Mit leicht belegter Stimme fuhr er fort. „Sie haben sich tatsächlich bei mir gemeldet und mir eine Stelle angeboten. Diese ist nicht nur ausgezeichnet bezahlt, wir bekommen auch eine Dienstwohnung und du kannst die dortige Privatschule besuchen. All unsere Geldsorgen wären ein für alle Mal erledigt!“, schloss er begeistert.

Daria kannte ihren Vater nur zu gut und war sich im Klaren, dass er ihr nur einen Teil der Geschichte erzählt hatte. Doch gleichermaßen wusste sie, er würde nicht damit herausrücken, egal wie sehr sie ihn drängte. „Du willst mir sagen, sie stellen dich einfach so an und unsere Probleme lösen sich in Luft auf?“

Daria beäugte ihren Vater skeptisch, doch er wusste, welche Karte er spielen musste, um die Bedenken seiner Tochter zu zerstreuen. Sie wünschte sich ein festes Zuhause, doch noch mehr als das wünschte sie sich endlich irgendwo Anschluss zu finden, dazuzugehören, denn sie war schlichtweg einsam. „Wir würden in einer Kolonie wohnen und auch die Schule ist nur für Elementträger“, setzte er taktisch nach.

Daria riss die Augen auf. Das hatte sie mehr als nur überrascht. Es hatte einen Nerv in ihr getroffen. Nichts wollte sie sehnlicher, als mit anderen Elementträgern zusammenzuleben, sich selbst und ihre Wurzeln nicht mehr verstecken zu müssen.

Sie versuchte, sich ihre Aufregung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. „Dann ist es bereits beschlossene Sache?“, mutmaßte sie mit einem strengen Blick.

„Wir fliegen morgen früh!“, verkündete Erik und konnte sich sein Schmunzeln nicht verkneifen, als er Darias schockierten Blick sah.

In dieser Nacht fand sie keinen Schlaf mehr, keine Ruhe. Es war zu aufwühlend, sich auszumalen, was die nächsten Tage bringen mochten.

War es nicht alles, was sie sich die letzten Jahre über so sehr gewünscht hatte?

Und doch war sie eher ängstlich als erfreut. Es war zu viel Veränderung auf einmal. Doch ihr Vater klang zuversichtlich, also wollte auch sie aufgeschlossen dem gegenübertreten, was da unweigerlich auf sie zukam.

Alarik lehnte sich zufrieden in seinem Ledersessel zurück. Kurz hatte er geglaubt, seine Argumente hätten Herrn Hellar nicht überzeugt, doch nur wenige Augenblicke später hatte dieser zugesagt, mit seiner Tochter zu kommen.

Die Erfüllung all seiner Träume war nun endlich zum Greifen nah und er würde alles daran setzen, sie zu verwirklichen, koste es, was es wolle.

Vincent hatte vor der Bürotür seines Vaters abgewartet, hatte im Stillen das Telefonat verfolgt. Als Alarik nun den Raum verließ und ihn am Gang stehend antraf, waren seine sonst so strengen Züge zu einem breiten Grinsen verzerrt, das so überhaupt nicht dorthin passte.

„Sie kommt, mein Sohn! Sie kommt!“, murmelte er glückselig und tätschelte ihm die Schulter.

Vincent wusste, das Spiel hatte begonnen.

Elementa

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