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Kapitel 2

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Es waren die Wochen, in denen in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft stattfand und die rückblickend als Sommermärchen bezeichnet wurden, als ich schwitzend auf einem alten Bürostuhl saß und von meiner Vorgängerin Miriam eingearbeitet wurde. Auf ihrem Oberarm prangte ein riesiges Tattoo – das Portrait einer Frau mit langer schwarzer Mähne, die ihr ähnlich sah. Ich fühlte mich von der Frau auf dem Oberarm beobachtet, so gestochen scharf wirkten ihre Augen. Während Miriam mit ihren langen, schwarz lackierten Nägeln in die Tastatur hämmerte und mir die Datenbank erklärte, bewegte sich ihr linker Oberarm so, dass es schien, als zwinkere mir das Tattoo im Schreibrhythmus zu.

„Warum hörst du schon nach einem Jahr auf?“, fragte ich neugierig.

„Mich zieht es wieder nach England. Ich will dort studieren.“ Dann fügte sie noch schnell hinzu: „Das ist ein guter Job! Keine Angst.“

Die Art, wie sie das fast entschuldigend sagte, machte mich misstrauisch.

Mein Team bestand aus Claudia und mir. Die Arbeitsteilung war klar: Sie sagte mir, was ich zu tun hatte und ich tat, was sie sagte. Immer, wenn eine Aufgabe interessant zu werden drohte, übernahm sie. Dabei wurde sie nicht müde zu betonen, dass sie, bevor Miriam gekommen war, alles selbst gemacht hatte, von der ersten Beratung über den Bewerbungsprozess und die Vermittlung bis hin zur Betreuung der Au pairs im Ausland.

„Wieso hast du dann Verstärkung bekommen?“, fragte ich.

„Na, weil es für einen einfach zu viel war! Ich will damit nur sagen, dass ich das hier früher alles allein gemacht habe“, sagte sie mit ihrer hohen Stimme.

Die Aufgaben eines Kundenberaters waren klar umrissen, und so brauchte ich nichts weiter zu tun, als mich der vorgegebenen Form anzupassen. Den ganzen Tag verbrachte ich damit, vielen jungen Frauen und ein paar wenigen jungen Männern Fragen zu Au-pair-Aufenthalten und zum Ausfüllen der Bewerbungsunterlagen zu beantworten. Die Idee, als Brückenbauerin zu fungieren, die Menschen den Weg von Deutschland in ihre Zukunft als Au pair ebnet, gefiel mir. Gmooh hatte in der Stellenanzeige damit geworben, junge Menschen bei der Verwirklichung ihres Auslandstraums zu unterstützen, sie sorgfältig zu beraten und umfassend zu betreuen. Das war eine Mission, die mich ansprach. Die Stellenausschreibung versprach zudem eine abwechslungsreiche und herausfordernde Tätigkeit in einem jungen, dynamischen Team. Das klang nach einer tollen Stelle.

Die ersten Wochen machten mir die Beratungen Spaß. Jeden Tag telefonierte ich mit auslandsbegeisterten, aufgeschlossenen Menschen in ganz Deutschland. Es kostete mich zunächst etwas Überwindung, bei fremden Leuten einfach zu Hause anzurufen. Doch sie hatten sich ja bei uns beworben und warteten auf eine Rückmeldung, sodass ich meine Unsicherheit schnell überwand. Ich freute mich über das monatliche Gehalt, die Krankenversicherung und die Freude darüber, dass sich meine Eltern unbändig freuten. Und darüber, dass ich auf die leidige Frage meiner Umwelt: „Uuund? Was machst du jetzt nach deinem Studium?“ endlich eine Antwort geben konnte.

Mein anfänglicher Idealismus und meine Begeisterung begannen allerdings zu bröckeln, als ich merkte, dass die Fragen der Interessenten sich irgendwann wiederholten: „Kann ich mir die Region aussuchen, in der ich Au pair werden will?“ „Kann ich mich zusammen mit einer Freundin bewerben?“ „Bekommen meine Eltern weiter Kindergeld?“ „Welche Voraussetzungen brauche ich?“

Für den E-Mail-Verkehr legte ich mir für solche Fragen nach kurzer Zeit eine Sammlung von fertigen Textbausteinen an. Auch am Telefon hatte ich bald Standardantworten parat, die mich beim Abspulen selbst langweilten. Die Herausforderung lag nun nicht mehr in den Antworten selbst, sondern darin, die sich ständig wiederholenden Fragen geduldig zu beantworten. Außerdem musste ich mich höllisch konzentrieren, damit ich Lisa Maier aus Hannover nicht mit Lara Mayer aus Braunschweig verwechselte, so ähnlich waren die jungen Stimmen und ihre Anliegen. Und bei Gmooh waren wir stolz darauf, dass unsere Teilnehmer keine bloßen Nummern waren, sondern echte Menschen mit echten Namen.

Der Höhepunkt meiner Arbeit waren ausgefallene Fragen: „Wenn mich meine Freunde aus Deutschland in den USA besuchen wollen, zahlen dann die Gasteltern den Flug?“, „Gibt es eine Möglichkeit, als Pferde-Au-pair in die USA zu gehen? Von mir aus Pferde und Kinder, ich habe beides sehr gern!“ „Kann ich meinen Hund mit in die USA nehmen?“ Ein männlicher Au-pair-Anwärter wollte sich in den USA gar gleich einem Profi-Footballteam anschließen, und eine Au-pair-Bewerberin sorgte für allgemeine Heiterkeit, indem sie in ihrer Bewerbung bei Allergien angab: „Ich esse unregelmäßig und bin eitel.“

Abgesehen von diesen Kuriositäten hatte ich das Gefühl, langsam, aber sicher vor Langeweile einzugehen wie die Tulpen auf meinem vernachlässigten Balkon. Dieses Gefühl war mir durch meinen eigenen Au-pair-Aufenthalt in den USA vertraut. Damals hatte ich, aufgeblasen mit hochtheoretischem Abiturwissen, als Au pair in irgendeinem Kaff in New Jersey auf einem weißen Plüschteppich gesessen und den ganzen Tag mit einer Zweijährigen gespielt. Wir durften das Haus nie verlassen, weil ihre Eltern panische Angst davor hatten, dass das Mädchen entführt werden könnte. Ich hatte noch nie davon gehört, dass Kinder unscheinbarer Mittelschichtsfamilien mit durchschnittlichem Einkommen in New Jersey ein bevorzugtes Ziel von Entführungen wären, aber diese Logik konnte die Angst der Eltern nicht schmälern. Am Ende des Jahres sprach das Mädchen Englisch mit deutschem Akzent, und mein englisches Vokabular war auf den Sprachumfang einer Dreijährigen geschrumpft. Jetzt saß ich nach langen Jahren Studium und intensiver geistiger Arbeit in einem Großraumbüro und musste mit anhören, welche Typen bei „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany's Next Topmodel“ rausgeflogen oder weitergekommen waren. Warum man für diese Stelle einen Universitätsabschluss brauchte, blieb mir ein Rätsel.

Ging ich abends nach Hause, fühlte ich mich ausgelaugt. Entweder warf ich mich direkt ins Bett, oder ich schaltete den Fernseher ein und ließ mich berieseln. Wenn ich dann den einen oder anderen Werbespot, der im Büro Gesprächsthema gewesen war, wiedererkannte, freute ich mich. So zogen die Tage dahin, und ich baute geistig langsam ab.

In der Mittagspause flüchtete ich in den kleinen Park in der Nähe und versuchte, mich geistig rege zu halten, indem ich Bücher spiritueller Frauen las, etwa das von der Engländerin Tenzin Palmo, die mehrere Jahre in einer Höhle im Himalaja meditiert hatte. Ich fragte mich, ob ich allein in einer Höhle vielleicht besser aufgehoben wäre als bei Gmooh.

Von außen betrachtet, schien die Stelle für mich perfekt zu sein, und mein Umfeld wurde nicht müde mich zu beglückwünschen, wie gut ich es getroffen hätte. Niemand ahnte, was für eine frustrierende Zeit ich hatte. Und in meiner neuen Position als Kundenberaterin behielt ich das auch für mich.

Seit meiner eigenen Au-pair-Zeit waren zehn Jahre vergangen, und es kam mir vor wie eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ich jetzt in der Au-pair-Vermittlung arbeitete. Während ich die Au pairs durch den Bewerbungsprozess lotste, wünschte ich, sie würden es besser haben als ich damals. Ich arbeitete täglich von neun bis sechs und durfte das Büro nur während meiner einstündigen Mittagspause verlassen. Mein Vertrag mit Gmooh lief über ein Jahr.

Nichts wäre naheliegender gewesen, als zu kündigen. Nichts lag mir ferner. Ich diagnostizierte mir selbst eine Gemütsstörung, die man auch als Durchziehermentalität bezeichnen könnte. Wie lange würde es diesmal dauern, bis ich mir selbst einen Gefallen tat und mich aus diesem selbstgewählten Kerker befreite? Während ich darüber nachdachte, stand Claudia plötzlich neben mir und machte mir Vorhaltungen, dass ich heute erst um Punkt neun ins Büro gekommen sei und um diese Zeit nicht schon arbeitsbereit am Schreibtisch gesessen hätte. Abends hingegen achtete niemand darauf, ob wir Kundenberater pünktlich aus dem Büro kamen, denn wenn wir endlich gehen konnten, hatte Claudia schon lange ihren Stift fallen gelassen.

Schon die ersten Wochen hatten gezeigt, dass die Arbeit bei weitem nicht so interessant war wie die Stellenanzeige hatte vermuten lassen. Die Marketingabteilung von Gmooh hatte hervorragende Arbeit geleistet. Anfangs rebellierte ich noch gegen die monotone Arbeit und das leere Gerede, doch nach ein paar Wochen schien es, als gewöhnte ich mich allmählich an die Bürorituale und Hierarchien und nahm widerwillig (oder vielleicht auch nur erschöpft) meinen Platz darin ein. Dabei hatte ich nie zu den Menschen gehören wollen, die nur am Wochenende aufblühten und deren Dasein sich in zwei Geisteszustände einteilen ließ: das Schwelgen im letzten Urlaub und das Sehnen nach dem nächsten. Innerhalb kürzester Zeit war ich selbst so geworden: Ich schwelgte in Erinnerungen an mein Leben vor Gmooh und sehnte mich nach einem Leben danach. Einem glücklichen, erfüllten Leben, in dem ich einer Arbeit nachging, bei der ich meine Talente und Fähigkeiten wirklich einbringen konnte.

Einmal traf ich in der U-Bahn Norbert aus dem Sportverein. Er war um die fünfzig, arbeitete bei einer Bank und fragte mich, ob ich abends zum Aikidotraining kommen würde.

„Nein, ich kann mich nicht aufraffen. Mein neuer Job strengt mich so an. Ich muss mich erst mal ausruhen.“

Norbert schaute mich mitleidig an. „Was machst du denn jetzt?“

„Ich arbeite bei Gmooh. Das ist so eine Austauschorganisation.“

„Und was hast du davor gemacht?“, fragte er interessiert.

„Studiert.“

Norbert brach in schallendes Gelächter aus, klopfte mir auf die Schulter und meinte freundschaftlich: „Du wirst dich schon noch an das Arbeitsleben gewöhnen.“ Als er zwei Stationen später ausstieg, lachte er noch immer.

Mit Buddha im Büro

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