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WAS MUSST DU WISSEN?

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Eine Schulleitung leitet eine Schule. Dies tut sie jedoch erst seit den 1990er-Jahren auch auf der Stufe Volksschule. Vorher wurden die Schulen von den kommunalen Laienbehörden geführt und eine Lehrperson des Kollegiums amtete als «primus [oder prima] inter pares» (Erste oder Erster unter Gleichen). Sie erledigte administrative Arbeiten, welche jedoch nicht mit den Schulleitungsaufgaben von heute vergleichbar sind.

Alltagseinblick 4 – Fachwissen


«Ich habe das Gefühl, was mir fehlt, ist das Fachwissen. Also ich mache im Moment ganz viele Sachen und weiss nicht, was die rechtlichen Grundlagen sind. In welcher Verordnung der Bildungsdirektion finde ich die Antwort? Oder gibt es sonst eine Grundlage dazu? Kann ich einfach selbst entscheiden? Für das Nachschauen brauche ich im Moment relativ viel Zeit», erzählt Martina. Sie ist überzeugt, dass die Zusatzausbildung für Schulleitungen ihr geholfen hätte, das fehlende Fachwissen aufzuarbeiten und sich eine gewisse Übersicht der Themen zu verschaffen. Die Zusatzausbildung hätte ihr auch geholfen, gewisse Fragen und Themen in einen grösseren Kontext einzuordnen und auch spezifische Prioritäten setzen zu können. Dasselbe gilt für die persönlichen Erfahrungen, welche sie im Austausch mit anderen Schulleitungen besser hätte einordnen können, um zu unterscheiden, was für ihre spezifische Situation typisch und was im Berufseinstieg normal ist. Den Austausch mit anderen Schulleitungen hätte sie geschätzt, da sie sich teilweise allein und im Stich gelassen gefühlt hat. Leider konnte sie an dem Kurs nicht teilnehmen, weil er schon ausgebucht war. Das fehlende Netzwerk im schulischen Bereich ist für Martina ein weiterer Nachteil, denn sie ist zwar ausgebildete Primarlehrperson, hat jedoch längere Zeit in einem anderen Bereich gearbeitet, bevor sie die Schulleitungsstelle übernommen hat.

Ich wusste vorgängig, dass eine Schulleitung Sitzungen mit dem Kollegium abhält und Administratives regelt. Sie steht in Kontakt mit der kommunalen Schulbehörde und hilft den Lehrpersonen in schwierigen Situationen. Mit diesem Wissen machte ich mich auf in die neue Tätigkeit. Ich nahm mir vor, dass ich in den ersten Wochen alle Lehrpersonen im Unterricht besuchen und von allen erfahren wollte, wie es ihnen an der Schule geht und was ihrer Meinung nach angepackt werden sollte. Ich kam nicht dazu. Ich wurde von unzähligen kleinen Problemen und Aufgaben überschwemmt, die mir mein Tagesprogramm durcheinanderbrachten.

Eine Lehrperson kam zum Beispiel zu mir und sagte, dass sie für eine kranke Kollegin am Vortag die Stellvertretung übernommen hätte und diese nun gerne abrechnen würde. Ich hatte keine Ahnung, wie genau Stellvertretungen abgerechnet wurden. Ich wusste zwar, welches Formular es dafür braucht, weil ich dieses auch schon ausgefüllt hatte, aber nicht, wo ich das entsprechende Formular finden könnte.

In der Einleitung habe ich das Strukturierungsmodell zur Einordnung von Fragen vorgestellt. Nach diesem Modell handelt es sich bei der Frage, wie Stellvertretungen abgerechnet werden, um eine Frage von Schulen. Denn alle Schulen im Kanton müssen ja irgendwie Stellvertretungen abrechnen. Ich konnte also eine erfahrene Schulleitung anrufen und fragen, wie ich das machen muss. Diese half mir weiter und ich hatte ein weiteres kleines Mosaiksteinchen meiner neuen Tätigkeit gelernt. Nicht jedes Problem lässt sich so einfach lösen.

Das grösste Problem der Schulleitungen im Berufseinstieg ist das fehlende Fachwissen, welches sie zur Erledigung der Arbeit brauchen würden. Dieses Vakuum entsteht, weil es keine berufsqualifizierende Ausbildung gibt, sondern nur eine berufsbegleitende. Schulleitungen meistern den Berufseinstieg nach dem Prinzip «learning by doing».

Der Berufsauftrag von Schulleitungen kann nach Supovitz (2019) grob in drei Bereiche aufgeteilt werden. In die Bereiche «Feuer löschen», «Organisation aufrechterhalten» und «Schule neu denken». Der Bereich «Beziehungen und Netzwerk pflegen» fehlte in der Darstellung zu den Aufgabenbereichen von Schulleitungen meiner Ansicht nach, daher habe ich diesen noch ergänzt, weil er mir persönlich sehr wichtig ist (Abbildung 2).


Abbildung 2 Aufgabenbereiche von Schulleitungen (Eigene Darstellung, 2020 adaptiert nach Supovitz, 2019)

Dem Bereich «Feuer löschen» kommt eine grosse Bedeutung zu. Wie ich oben schon ausgeführt habe, nehme ich mir meist gewisse Arbeiten vor, welche ich an meinen Arbeitstagen machen möchte, zum Beispiel ein Arbeitszeugnis schreiben oder mich in die neuen Grundlagen der Beurteilung des Lehrplan21 einlesen. Da ich weiss, dass jeweils unvorhergesehene Dinge entweder in der Post oder im Mail warten, widme ich mich teilweise erst am Mittag der Korrespondenz. Dann kann ich am Morgen die Arbeiten erledigen, welche ich mir vorgenommen habe, und vor dem Mittag öffne ich die Post und das Mailfach und kann dann teilweise in der Mittagspause Fragen und Anliegen der Lehrpersonen schon klären und am Nachmittag weiterbearbeiten. Zum Bereich «Feuer löschen» gehört beispielsweise, wenn am Morgen drei Lehrpersonen melden, dass bei mehreren Familien Läuse festgestellt wurden und alle Eltern über die zu ergreifenden Massnahmen informiert werden müssen oder gar das Läuseteam aufgeboten werden muss. Ein anderes Mal eskaliert eine Situation mit einem Kind und die Lehrpersonen brauchen Hilfe im Klassenzimmer, Eltern stürmen in die Schule und wollten eine Lehrperson vor der ganzen Klasse zur Rede stellen oder ein Kind meldet, dass Pornovideos in einem Klassenchat herumgeschickt werden. All diese Situationen haben gemeinsam, dass sie nicht vorhersehbar sind und ab dem Augenblick, in dem sie bei mir als Schulleitung ankommen, teilweise für Stunden meine volle Aufmerksamkeit beanspruchen. Alles andere bleibt in der Zwischenzeit liegen.

Zum Bereich «Organisation aufrechterhalten» gehört die Administration, welche in den Schulen sehr unterschiedlich organisiert ist. Auch die Entlastung durch ein Schulsekretariat ist sehr verschieden und muss vor Ort angeschaut werden. Es macht Sinn, die Administration so schlank wie nur immer möglich zu organisieren und sich dazu wirklich Zeit zu nehmen, denn wenn die Administration gut und effizient organisiert ist, schafft dies Klarheit in den Prozessen und viel Zeit. Dies hat aber auch mit dem persönlichen Kontrollbedürfnis zu tun. Ich war an einer Schule, da mussten die Lehrpersonen für jede ausserschulische Aktivität einen Monat vorher ein zweiseitiges Formular ausfüllen und die Schulleitung musste diese schriftlich bewilligen. Die Frage ist, warum diese Kontrolle irgendwann eingeführt wurde. Ich merkte, dass dieses Formular mir keinen Mehrwert brachte und die Lehrpersonen den Mehrwert auch nicht sahen, also hob ich die Regelung auf. Die Lehrpersonen durften dann einfach in den Wald gehen, wenn sie dies als sinnvoll für den Unterricht betrachteten. Bei Schulreisen müssen die Lehrpersonen das Kostendach einhalten und bei Reisen ans Wasser will ich wissen, ob genügend Personen mit dem Brevet dabei sind. Das reicht mir und erspart uns allen ganz viel Administration. In all den Jahren als Schulleiterin hat mich noch nie jemand angerufen und wissen wollen, wo eine Klasse ist. Dies war nämlich die Begründung für das Formular gewesen, welches ich abgeschafft hatte.

Zudem gehört die ganze Unterrichtsorganisation auch zum Bereich «Organisation aufrechterhalten». In erster Linie muss ich schauen, dass jeden Tag zu den Blockzeiten, besser noch zu den Unterrichtszeiten, zumindest eine Lehrperson pro Klasse anwesend ist und den Unterricht betreut. Das scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, aber in der aktuellen Lage, in welcher Lehrpersonenmangel herrscht, ist es das leider nicht. Gerade zu Beginn des neuen Kalenderjahres, also zwischen Februar und April, wenn die neuen Pensen besetzt und allenfalls Vakanzen ausgeschrieben werden, befürchten viele Schulleitungen, dass sie nicht alle Stellen mit ausgebildetem Personal besetzen können. Oder auch während des Schuljahrs, wenn eine Lehrperson erkrankt oder verunfallt, kann es sehr schwierig sein, die Vakanz zu besetzen. Teilweise werden dann Personen angestellt, die nicht die erforderte Ausbildung haben, was jedoch für einen selbst, wie auch für das gesamte Kollegium eine grosse Belastung darstellt. Teilweise ist dann nicht die Frage, ob es geht, sondern wie lange. Oft springen auch die Schulleitungen ein und übernehmen Stellvertretungen. Nach dem Motto: lieber selbst machen als eine schlechte Lösung ausbaden. Es ist auch keine Lösung, Klassen zusammenzulegen, denn dann erhöht sich der Druck auf die noch verbleibenden Lehrpersonen, die dies zwar eine gewisse Zeit lang zu tragen bereit sind, aber dann durch die zusätzliche Belastung teilweise auch kündigen, weil anderswo die Bedingungen besser sind.

Der nächste Bereich ist «Beziehungen und Netzwerk pflegen». Eine Schulleitung arbeitet mit Menschen, mit Erwachsenen und auch mit Kindern. Daher sollte eine Schulleitung Menschen mögen und gerne mit ihnen zusammenarbeiten. Als Schulleitung wirst du die meiste Arbeitszeit mit den Lehrpersonen zubringen, diese beraten und unterstützen. Oft sind die Gründe, warum die Schulleitung beigezogen wird, nicht nur freudig. Meist kommt sie dazu, wenn es um Probleme oder Schwierigkeiten geht. Das heisst, dass Schulleitungen auch Probleme mögen müssen. Das tönt vielleicht komisch, aber wenn du davon ausgehst, dass Schwierigkeiten einfach dazugehören, dann empfindest du sie auch nicht als Zumutung, sondern als Aufgabe, die es zu lösen oder zumindest anzupacken gilt. Die Schulleitung muss sich möglichst alle Seiten anhören, allenfalls auch rechtliche Beratung bei der Beratungsstelle des Verbandes, dem Rechtsdienst des Kantons oder beim Inspektorat einholen. Teilweise braucht es auch weitere Informationen des schulpsychologischen Dienstes, des Sozialdienstes, der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde oder auch von einzelnen Personen, wie einer Beiständin oder eines Beistandes, der Mütter- und Väter-Beratung und weiteren. Diese unvollständige Aufzählung zeigt, dass es als Schulleitung Sinn macht, alle Personen zu kennen, die für die Einzelschule zuständig sind. Da diese Fachstellen meist nicht wissen, dass eine neue Schulleitung in der Gemeinde angestellt wurde, liegt es an dir, den Kontakt selbst zu suchen und dich kurz vorzustellen. Wenn du dann den Kontakt hergestellt hast, sind meist die Wege viel kürzer und du greifst bei Unsicherheit und Unklarheiten schnell mal zum Telefon und vergewisserst dich. Dieses schulische Netzwerk kannst du nicht von heute auf morgen bauen. Wenn du dir aber bewusst bist, dass es für deine Arbeit wichtig ist, dann lege ab und zu die «brennenden Feuer» weg und nimmt dir Zeit, jemanden anzurufen oder bei ihm vorbeizugehen. Netzwerke sind eine Investition in eine ungewisse Zukunft.

Der Bereich «Schule neu denken» ist für die meisten Schulleitungen die Hauptmotivation, eine Schule zu leiten. In der Studie Leadership in German Schools der Universität Tübingen wurde 2020 erforscht, warum jemand Schulleitung wird und auch bleibt. Die Ergebnisse aus Deutschland decken sich mit den Resultaten meiner Masterarbeit zum Berufseinstieg von Schulleitungen im Kanton Bern. Die Vorstellungen, was eine Schulleitung tut, und die später in der Praxis angetroffene Realität sind aber alles andere als deckend: «Mit 93 Prozent hätten nahezu alle Schulleitungen in Deutschland als Motivation für ihre Tätigkeit angegeben, das Amt eröffne die Möglichkeit, neue Ideen zu entwickeln und zu erproben. In der Praxis verbrächten sie jedoch die meiste Zeit damit, einen reibungslosen Alltag an Schulen sicherzustellen, so 67 Prozent der Befragten. Nur 16 Prozent bestätigten, ausreichend Zeit für neue Ideen und die Umsetzung von Innovationen zu haben» (Karbe, 2020). Daher ist es nicht weiter erstaunlich, dass viele der berufseinsteigenden Schulleitungen einen Praxisschock erleben. Vorstellungen und Wünsche entsprechen so gar nicht der angetroffenen Realität. Die Schulleitungsnovizinnen und -novizen haben gerade Zeit, sich um die Bereiche «Feuer löschen» und «Organisation aufrechterhalten» zu kümmern.

Alltagseinblick 5 – «Schule neu denken»


In der Idealvorstellung von Martina sind die Lehrpersonen engagiert, machen guten Unterricht und wollen für die Kinder da sein. Sie nimmt sich vor, ihre Schule in diese Richtung zu entwickeln. Martina bedauert, dass die Schulentwicklung nicht im Fokus ihrer Arbeit liegt. Sie hat das Gefühl: «Das, was mich eigentlich die spannende Frage dünken würde: Wie macht man eine gute Schule? Da habe ich das Gefühl, das kommt irgendwie in vier, fünf Jahren. Dann erst komme ich vielleicht dazu, mich dem mal zu widmen.» In ihrem Alltag musste Martina sich vor allem mit vielen aktuellen Problemen auseinandersetzen, die an sie herangetragen wurden.

Es ist normal, dass du dich im Berufseinstieg manchmal überfordert fühlst. Zeit für Innovationen hast du dann hoffentlich in einem Jahr, wenn du alle Jahreszeiten einmal durchlebt hast. Aktuell ist deine Aufgabe, dir Wissen anzueignen und drängende Probleme anzupacken, um zu gewährleisten, dass «der Laden läuft». Ich stelle mir diese Phase jeweils wie eine Lehre vor. Wenn ich als Azubi in einem neuen Bereich anfange, kann ich auch noch nicht von Beginn weg die grossen Projekte stemmen, die eine ausgebildete Berufsfachperson bewältigen kann. Gib dir daher Zeit. Nach deiner Einarbeitung, wenn du dir Wissen und Erfahrung angeeignet hast, deine Beziehungen tragen und dein Netzwerk geknüpft ist, dann hast du noch dein ganzes Berufsleben lang Zeit, dich um die Weiterentwicklung deiner Schule zu kümmern.

Traumberuf Schulleitung? (E-Book)

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