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14:32. Mein Handy klingelte. Es war Sonntag. In München-Grünwald schien die Sonne bei mäßigen 18 Grad. Ich saß im Garten meiner verhassten Fast-Schwiegereltern und dachte ausnahmsweise mal an gar nichts. Anna hatte mir gerade einen grünen Smoothie gebracht, aber das Blumenbeet hatte Feuchtigkeit nötiger als ich.

»Danke, das ist toll!«, sagte ich in den Wind.

Mein Smartphone machte noch immer Lärm: Joe Bonamassa sang „Sloe Gin“. Der Sound dieser kleinen Teile ist echt beschissen. Dennoch. Joe weckte mich auf. Der hat ‘nen geilen Groove.

Diese Stelle im Endlos-Repeat: „… I’m so damn lonely / Ain’t even high / I hate to go home alone / But what else is new? / I’m so damn lonely …“

Ja, genau so fühle ich mich. Trotz Anna und dem scheiß Smoothie. Welcher Trottel will denn heute was von mir …?

Mein Handy zeigte keine Rufnummer an.

Unterdrückt.

Dennoch wischte ich über das Display.

»Wer will was von mir?«

»Können wir uns treffen? Jetzt? Sagen wir in dreißig Minuten? An der Bavaria. Halten Sie direkt davor. Sie kommen vom Süden der Stadt. Es ist doch noch immer der dunkelgrüne Jaguar XKR …?«

»Nein. Der F-Type SVR von 2016. Wer sind Sie, was wollen Sie?«

Ich war sauer.

Das liebe ich: Menschen ohne Namen! Doch in der Stimme des Fremden war etwas, das mich aufhorchen ließ.

Klar, ich bin übervorsichtig. Aber der Typ, der mir meinen Sonntag klauen wollte, interessierte mich.

Stimmen sagen viel über einen Menschen und dessen Stimmung. Und so sagte ich zu dem Unbekannten, der mir meinen Sonntag verderben wollte:

»15:02!«

»Danke!«

»Fischer? Ich muss noch mal los. Bin in ‘ner Stunde zurück.«

Anna Fischer kannte das von mir. Für sie war ich der Fast-Immer-Mal-Wieder-Freund, der ‚Lässige, Arrogante’ und erst vor wenigen Monaten beim LKA München rausgeschmissene, nunmehr Ex-Hauptkommissar, von dem sie nicht loskam.

Und ich nicht von ihr. Aber das sage ich ihr nicht.

Der ‚Doktor‘ für die besonderen Operationen.

Scheiße.

Aus, finito, vorbei …

Anna wusste, bei mir war lange Leine angesagt. Klammern bringt nichts und so fragte sie auch nicht weiter nach. Ich bin mir sicher, dass sie sich seit Jahren über mich wunderte. Auch wenn sie fast nie darüber sprach. Ihre Blicke, ihre Haltung und ihre Art mich zu behandeln, sagten alles.

Auch ohne Worte.

In der Branche nannten mich in den letzten Jahren alle nur ‚Doktor‘. Nicht Doc, sondern Doktor. So viel Zeit muss sein.

‚Doktor‘ deshalb, weil ich meinen Vor- und Nachnamen ein einziges Mal mit „Dr.“ – Gekrakel – „Sowieso“ abgekürzt hatte und mich undercover in eine geschlossene Gesellschaft von verkackten, echt arroganten Ärschen im P1 eingeschlichen hatte.

Das funktioniert immer, wenn man nur selber arrogant genug rüberkommt und die richtigen Klamotten anhat. Aber ein Fotograf, der auf die mediengeilen C- bis Z-Klasse-Promis wartete und mich flüchtig als Bullen in Zivil von irgendwoher kannte, hatte das mitbekommen, meinen Eintrag im Gästebuch fotografiert und überall rumgezeigt.

Vollpfosten, dämlicher!

Niemand bei den Medien wusste exakt, was ich beim LKA machte. Aber genau deshalb war der ‚Doktor‘, wie sie mich seitdem riefen, interessant für die Journalisten.

Einmal getrickst und ich hatte meinen Spitznamen weg. Selbst beim BLKA, genauer also dem Bayerischen Landeskriminalamt, deshalb das „B“ vor dem LKA, sagten sie ab diesem Zeitpunkt, mit einem spöttischen Grinsen auf der Visage, nur noch: „… aaah, der ‚Doktor‘ kommt …!“

Freunde hatte ich dort kaum.

Dazu war ich zu erfolgreich gewesen. Hatte im Laufe der Jahre Dutzenden von Reichen und Schönen im direkten und übertragenen Sinne die Fresse poliert.

München ist ein besonderes Pflaster. Ich hatte so manchen Schicki- und Micki-Typen nach Stadelheim geschickt. Organisiertes Verbrechen. Das war mein Ding.

Ja, stimmt, ich komme arrogant rüber. Irgendwie muss man sich ja schützen, oder?! So, wie die Fischer das fast richtig erkannt hatte. Ach nee – die Fischer Anna kennt mich. Weiß, wer ich bin. Und wenn ich es genau betrachte, ist sie halt vielleicht genau deswegen mein fast einziger Freund. Neben Fanny.

Noch dazu wahnsinnig sexy. Also Anna.

»Du bleibst hier sitzen, bis ich wieder zurück bin!«, herrschte ich meinen Mastiff, auch bekannt unter dem Rassenamen Tosa Inu, wie er in Japan heißt, an.

98 Kilogramm Lebendgewicht drehten sich leicht gelangweilt zu mir um. Wahnsinn!

Ein wunderschöner, wirklich total gutmütiger Kampfhund, der in Japan, und nicht nur dort, seit dem 17. Jahrhundert zu den gefährlichsten Hunderassen gehört.

Eine Waffe, die keinen Waffenschein braucht, mit einem Kopf, größer als ein Baseball …

Fanny, auf den Namen hatte ich das herrliche Geschöpf getauft, schaute mich aus seinen treuen Augen ebenso liebevoll an, begriff, war jetzt völlig beleidigt und ließ den massigen Schädel wieder auf den Rasen fallen. Fanny, ein Rüde, nur um das gleich mal klarzustellen und keineswegs schwul, wie es der Name vermuten lassen könnte, löste damit ein leichtes Erdbeben aus, das bis nach Holzkirchen zu spüren war.

Fanny war mein anderer Freund.

Also hatte ich zwei.

Fanny war eine Seele von Tier! Aufmerksam, großzügig, absolut treu.

Im Gegensatz zu mir.

Ich schwang mich aus dem Rattansessel hoch, bewegte meinen Hintern in das Cabriolet, das nur einige Schritte neben mir auf dem Gartenweg des protzigen Anwesens der Fischers stand, ließ zum Ärger von Annas Eltern einmal kurz die 575 PS des 8-Zylinder-Monstergeschosses aufheulen und fuhr vom gut gesicherten Grundstück auf dem kürzesten Weg mit ziemlichem Tempo über den Flaucher, die Pfeuferstraße zur Theresienhöhe.

14:55. Noch 07:00 Minuten.

Ich hatte genügend Zeit, mir die Umgebung anzusehen. Es war sowieso nichts los. Sonntag halt. Die Familien waren auf ihrem Ausflug zum Starnberger See. Oma und Opa ausführen. Das Warten auf eine Erbschaft … Wer weiß, wie lange die noch Rente kassieren …

Oder sie spazierten mit ihren Kids, die sich noch in die Windeln kackten, durch den Westpark.

Für die Raser, die Wichtigtuer aus der „Weltstadt mit Herz“ – die an sich Geldstadt mit Nerz heißen müsste – und den Kaffs aus der Umgebung, war die Theresienhöhe uninteressant.

Tote Hose.

Um Motorenlärm und Auftrieb zu erleben, muss man am Wochenende schon auf die Maximilianstraße, oder auf die Ludwigstraße bis hin zum Odeonsplatz. Da tummeln sich die Schwanzlosen, die Zuhälter, Immobilienmakler und Gebrauchtwagenhändler, um ihre geleasten, aufgemotzten, getunten und auspuffgeschädigten Ferraris, ‚Lambordschinies‘, Porsches und Dodge Vipers vorzuführen.

Präsentieren laut ihren Schwanzersatz den Pflastersteinen und japanischen Touristen, die im Sightseeing-Dauerstress einfach alles auf ihr Handy bringen.

Also von dem Anrufer gut gewählt, die Bavaria, die weltliche Patronin Bayerns aus Bronze. Hatte das Symbolcharakter, dass er sich ausgerechnet hier mit mir treffen wollte? Der, der in seiner Stimme einen Sound hatte, der meine immer arbeitenden Gerechtigkeitsantennen angeknipst hatte?

»Meine einzige Tochter wurde ermordet.«

Ein kleiner, zierlicher Mann um die Fünfzig stieg zu mir ins Auto, während er das mit monotoner, fast lautloser Stimme sagte.

Ich hatte ihn im Rückspiegel kommen sehen; der Fremde hatte dreißig Meter hinter mir geparkt. Leicht ergrauter Kopf, Oberlippenbart, gepflegte Hände, unsicherer Schritt.

Kaum saß er im fast neuen Jaguar neben mir, zog er eine DVD aus seiner Jackentasche. Übergab sie mir, öffnete die Beifahrertür und schlug sie hinter sich zu. Der Stille ging wieder zu seinem Audi, stieg ein und drehte. Gab sanft Gas und verschwand Richtung Süden. Da, wo ich herkam. Bog links in die Pfeuferstraße ein und das war‘s auch schon. Schöner Sonntagsausflug.

„Meine einzige Tochter wurde ermordet“ – das war auch das Einzige, was er zu mir gesagt hatte. Was sollte ich damit anfangen? Verschwand einfach wieder. Ließ mich schlichtweg sitzen.

Was für ein Freak!

Ich war, zugegeben, einigermaßen verblüfft. Amateure verhalten sich anders. Die quatschen dich tot. Angst in der Stimme, den Augen. Auf der anderen Seite sah der nicht aus wie einer, der aus unserem Gewerbe stammt und schon gar nicht wie ein Gangster.

Ich habe einen Riecher für miese Typen.

Keine Falle für den ‚Doktor‘. Also blieb ich noch stehen, genoss den Duft des herrlichen Soft-Grain-Leders in meiner Angeberkarre und legte die DVD ein. 8-Inch Color Touchscreen Display.

Rascheln, dann war der Typ, der mir gerade die DVD übergeben hatte, halbwegs zu erkennen, wie er sich von unten ins Bild schob. Amateur.

Also doch.

Räuspern.

Mit fester Stimme begann er:

„Meine einzige Tochter wurde ermordet. Gerade mal 22 Jahre alt. Ich bin Staatssekretär im bayerischen Bauministerium. Gina, meine Tochter, haben ‚die‘ sich als Hausnutte gehalten. Als Nutte! Meine Tochter! Erpresst! Womit, weiß ich nicht. Sie hatte es mir vor zwei Wochen gebeichtet. Also dass sie sich für ‚die’ prostituieren muss. Aber nicht, weswegen und womit man sie erpresst hatte. Und schon gar nicht, wer ‚die‘ sind. Können Sie sich das vorstellen? Sie musste für diese Schweine die Beine breitmachen! Meine Tochter! Ich war geschockt. Entsetzlich geschockt. Kaum hatte sie mir das erzählt – ich bin geschieden, müssen Sie wissen – war sie auch schon tot. Am darauffolgenden Wochenende. Lag in ihrem Bett. Stand einfach nicht mehr auf.“

Jetzt rollten dem schlanken Mann Tränen über das Gesicht. Ich ließ ihm Zeit. Er machte einen fertigen Eindruck. Mit einem großen, weißen Taschentuch schnäuzte er sich verschämt. Er rang nach Fassung, richtete sich wieder einigermaßen auf und setzte seinen Bericht fort:

„Entschuldigung. Gina sah so schön, so unschuldig aus. Lag in ihrem Bett. Einfach so. Ich versuchte sie wachzurütteln. Nichts. Dann rief ich den Notarzt. Der stand schon zwei Minuten später vor unserer Haustür. Damals wunderte es mich nicht. Ich war ja froh, dass die Ambulanz so schnell kam. Der Arzt stellte einen natürlichen Tod fest, Herzversagen. Einfach so. Bei einer Zweiundzwanzigjährigen! Aber das glaube ich nicht. Denn ich hatte an ihren Armen und am Hals große Hämatome gesehen.“

Wieder machte er eine Pause.

Diesmal schaute er weiter in die Kamera und die Trauer in seinen Augen war herzzerreißend. Selbst für einen abgeklärten Agenten wie mich. Dann sagte er:

„Ja, die hätten ihr bei einem ‚Sexunfall‘ zugefügt werden können. Aber sie war seit Freitagmittag nicht mehr aus dem Haus gegangen. Und sie hatte auch keinen Besuch. Mir wäre das aufgefallen. Das mit den Hämatomen. Und wenn sie Besuch gehabt hätte. Denn seit ich von ihrem fürchterlichen, ungewollten Doppelleben wusste, habe ich sie mit ganz anderen Augen sehr aufmerksam betrachtet. Ich liebe doch meine Tochter! Der Notarzt verhielt sich merkwürdig. Ich wurde misstrauisch. Ich verlangte nach einem Amtsarzt, der die Todesursache ‚Herzversagen‘ bestätigt. Da zückte er einen Ausweis. Er sei Amtsarzt. Sagte er. Dr. med. Erwin Kravatt. So stand es auf seiner Plastikkarte. Und er stellte einen Totenschein aus. Den hatte er auch bei sich. Er musste dafür nicht mal zum Krankenwagen nach draußen gehen. Es kam auch kein Sanitäter mit ins Haus. Ich war zu fertig, um mir etwas dabei zu denken, verstehen Sie?“

Die nächste Pause.

Länger.

Noch immer hatte er seinen Namen nicht genannt.

Er starrte ins Leere. Musste sich erneut sammeln. Dann sprach er – jetzt mit leiser, fast unhörbarer Stimme, völlig verzweifelt – wieder in die Kamera, die er wohl direkt vor sich aufgebaut hatte, denn es war nur sein ständig sich bewegender Kopf groß und sehr oval zu sehen.

Amateur.

Alles in allem eine unwirkliche, absurde Situation. Ich war gefesselt und schaute gebannt auf meinen kleinen Monitor im Auto:

„Ich bin Fred Wille. Sie werden meinen Namen brauchen. Denn ich bitte Sie, den Mörder meiner Tochter zu finden. Ich weiß, dass sie der Beste sind, Herr Richter. Auf Ihr Konto habe ich Zwanzigtausend überwiesen. Mehr kann ich zur Zeit nicht aufbringen. Das Haus ist abgezahlt, aber ich muss meine Geschiedene durchfüttern und jetzt die Beerdigung. Sie war erst gestern, müssen Sie wissen. Das arme, arme Mädchen. Meine Tochter! Ich recherchierte in den letzten Tagen, so gut ich konnte. Den Arzt habe ich hier an keiner Klinik gefunden; er hat auch anscheinend keine Praxis in München. Zufall oder nicht? Nach nur wenigen Minuten, wo ich doch ziemlich abseits wohne?“

Pause. Rascheln. Erneutes Naseputzen.

„Und, was ich ihnen noch sagen will: Mir war schon seit etlichen Jahren einiges im Ministerium komisch vorgekommen. Nein, ich habe keine Beweise. Aber wenn Sie mich fragen: Es ist einer unserer Minister in merkwürdige, um nicht zu sagen, mafiöse Geschäfte verwickelt. Welcher Art? Ich kann es nicht sagen. Bitte, finden Sie das heraus. Da gibt es Geldbewegungen, die keinen Sinn ergeben. Sie müssen wissen, ich habe Zugang zu vertraulichen Dokumenten vom Finanzministerium, dem Bauministerium und dem Umweltministerium. Da fehlten Etliche. Auf einmal. Es ist ja bei der Behörde alles durchstrukturiert und korrekt abgespeichert. Das wissen Sie am besten. Die Dokumente, die ich noch kurz zuvor gesehen hatte, waren nicht mehr da. Alle verschwunden. Auch nicht mehr auf dem Hauptrechner. Nicht aus meinem Ministerium. Eigenartigerweise aus dem Kultusministerium. Glaube ich jedenfalls. Da waren sie zuletzt und nun weg. Wie das mit den anderen Ministerien zusammenhängt, kann ich nicht sagen. Da hatte ich mich eingehackt, wie man so sagt, weil die Zahlungen zum Teil dorthin liefen. Große Summen. Immer wieder. Also mit dem richtigen Passwort. Sie verstehen: Ich muss wissen, wer meine Tochter umgebracht hat! Ich muss. Bitte! Finden Sie den Mörder meiner Tochter! Ich …“

Da brachen die teilweise konfusen Sätze der Aufzeichnung ab.

Was Herr Wille mir sonst noch sagen wollte, steht in den Sternen. Es war auf dem Monitor nur noch Grau zu sehen und ein lautes Rauschen zu hören. Minutenlang. Aber es kam nichts mehr. Nicht sehr ergiebig, nicht gut strukturiert, was er andeutete, aber meine Neugier war geweckt.

Das Abhören hatte eine halbe Stunde in Anspruch genommen, denn ich hatte mir das Gespräch mehrfach angesehen und angehört, um irgendetwas an zusätzlichen Informationen entdecken oder die Aufzeichnung als Fake, als Falle identifizieren zu können.

Doch es gab nichts.

Nichts, was mir irgendeinen Hinweis auf irgendetwas gegeben hätte. Das war alles echt. Auch die Verzweiflung in der Stimme des Herrn Staatssekretärs Wille. Also nahm ich die DVD wieder aus dem Fach, steckte sie in die Hülle zurück und legte sie neben mich auf den Beifahrersitz. Ich suchte meine Festplatte ab. Die passende Musik musste es jetzt sein, damit ich besser nachdenken konnte. Ich blieb bei Steve Ray Vaughan hängen.

Ja, ich gebe es zu: Ich stehe auf Blues und Bluesrock. Altmodisch? Vielleicht. Aber gut!

„Little Wing“: „Well she‘s walking through the clouds / With a circus mind that‘s running wild / Butterflies and zebras / And moonbeams and a fairy tale / That‘s all she ever thinks about / Riding the wind…“

Ich wendete meinen neuen F-16 auf der breiten Straße.

Ein Geschenk von Anna zu meinem Fünfunddreißigsten. Erst vor ein paar Wochen, um ihre reichen Eltern zu ärgern und weil ich meinen Dienstwagen dem LKA zurückgeben musste. Ich drehte die Anlage ziemlich weit auf und fuhr zurück nach Grünwald.

Ablenken.

Anna beglücken.

…and moonbeams and a fair tale – that‘s all she ever thinks about…

Ich war ganz in Gedanken bei dem Staatssekretär Wille und konzentrierte mich gleichzeitig auch irgendwie auf die Musik. Ätzend laut. Die volle Dröhnung, die brauchte ich jetzt.

Wer ist Staatssekretär Wille …?

Seine Tochter umgebracht? Ich switchte gedanklich zu Anna. Was wäre, wenn sie …

Nein, nur nicht zu Ende denken.

Anna, die Träumerin: …and moonbeams and a fair tale – that‘s all she ever thinks about…

Ja, so ist sie. Immer in fernen Welten. Eine Träumerin.

15:57. Wie ich in die Geiselgasteigstraße einbiege, sehe ich schon von weitem auf der Höhe zur Einfahrt in die Bavaria Filmstadt Blaulicht. Ich drossele das Tempo und den Sound – gerade läuft „Superstition“ mit Steve Ray Vaughan, was mich normalerweise zum Gasgeben veranlasst hätte – und rolle langsam an die Stelle des Blaulichts.

Ein Unfall.

Armageddon am Sonntagnachmittag.

Ich werde durchgewinkt. Sehe den Blick des Bullen. Der denkt sich: Junger Schnösel. Jaguar und Ray Ban. Typisch Grünwald. Muss einer von den Schicki-Micki-Idioten sein!

Dann sehe ich ein total zerstörtes Auto.

Nur ein Auto.

Marke? Schwer zu erkennen. Es sind nur noch Reste zu sehen. Wie nach einer Explosion. Aber da ist das Nummernschild. München Land. Das hatte ich mir vor nicht einmal 50 Minuten an der Bavaria eingeprägt:

Staatssekretär Wille! Polizei, Feuerwehr, ein Abschleppwagen, ein Krankenwagen. Neben dem Auto ein grauer Blechsarg.

Ein Unfall …?

Ich bin viel gewohnt; ein „cooler Hund“, wie meine Ex-Kollegen mit einer gewissen Achtung sagten, und dennoch. Immer wieder ein leichter Schock.

Der Achtzylinder grummelt vor sich hin, Stevie Ray Vaughan lässt seine Gitarre aufjaulen. Die Stimmung passt. Sie ist zerstörerisch/traurig. Mein dunkelgrüner F-Type SVR rollt gemächlich die Nördliche Münchner Straße entlang, bis ich, ohne zu blinken, nach rechts in die Dr.-Max-Straße einbiege.

Ich bin mir sicher, es mit einem besonderen Fall zu tun zu haben. Es gibt in meiner Branche keine Zufälle …

Feingeist

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