Читать книгу Feingeist - Dankmar H. Isleib - Страница 7
II
ОглавлениеFANNY zeigte keinerlei Gemütsregung, als ich wieder auf das Grundstück in Grünwald rollte. Diesmal ohne Potenzgeheule des Achtzylinders; man muss ja seine Fast-Schwiegereltern nicht immer ärgern, oder? Noch dazu, wo sie letztlich den PS-Protz bezahlt haben.
Anna wollte ihrem Alten den Mittelfinger und so …
Seine Kohle. Hassliebe.
Dafür zeigte die Anlage – Digital Surround Sound System 770W – in dem F-Type, was sie drauf hat. Massiver Lärm drang aus den geöffneten Fenstern des Jaguars: Das Dach des Pavillons, an dem ich vorbeifuhr, wölbte sich leicht.
Oder doch nicht?
Kaffeetassen klirrten.
Zu viel Bass & Drums.
„Voodoo Child“, ursprünglich von Jimi Hendrix. Nun vom Texaner Stevie Ray Vaughan, einem Verrückten, der auch schon lange tot ist, gesungen. In einem ziemlich abgefahrenen Mix eines New Yorker DJs.
Fanny reagiert grundsätzlich immun auf Lärm, war aber noch immer sauer, dass ich ihn zu der Spritztour nicht mitgenommen hatte. Erst Minuten später, ich hing bereits über meinem Laptop, warf er mir einen verächtlichen Blick zu. Und wieder ließ er seinen massigen Schädel fallen. Ich sag‘ nur Holzkirchen.
Sie wissen schon …
Und die Fischer erst.
Die war angefressen …!
Las in irgendeinem Scheißblatt. Klatsch und Tratsch. Strafte mich mit der gleichen Verachtung wie der Köter. Weil ich nichts gesagt hatte, ihr keinen Kuss gab, als ich kam und mich sofort über den Laptop stürzte.
Die Sache war heiß. Zu heiß.
No time for love, Baby!
„…If I don’t meet you no more in this world then uh / I’ll meet ya on the next one / And don’t be late / Don’t be late / ‘Cause I’m a voodoo child voodoo child…“
Tochter tot.
Der Mann sagte mir das – und dreißig Minuten später ist auch er tot.
Das heißt, ‚die‘ hatten den auf dem Radar. Spätestens seit dem Mord an seiner Tochter Gina. Vermutlich viel früher. Die Tochter war ein Warnschuss für ihn, den er nicht als solchen begriffen hatte.
Der Wille hatte recht:
Ohne es geprüft zu haben – die junge Dame war nicht eines natürlichen Todes gestorben. So viel steht fest.
Der muss echt einer großen Sache auf der Spur gewesen sein. Leider kann er nichts mehr sagen. Ich dachte, dass ich ihn noch mal treffen würde. Allerdings nicht so wie eben … Und ‚die‘ haben Mister Staatssekretär beobachtet. Wissen natürlich, dass er sich mit mir getroffen hat.
Fuck.
Keine Amateure. Die hatten ihn per GPS immer auf dem Schirm. Und ‘ne feine, kleine Bombe in seiner Karre. Aber warum haben sie die erst gezündet, nachdem er mir seine Message übergeben konnte? Ungewöhnlich. Ich muss vorsichtig sein, verdammt vorsichtig! Ich denke, ‚die‘ wollten mir ein Zeichen geben …
… Wenn du dich einmischst, Daniel Richter, bist du der nächste Kandidat für ‘nen Sarg.
Fuck!
Doktor: Du hast einen neuen Fall.
Jedenfalls hatten ‚die‘ es geschafft, mir den Sonntag zu verderben.
»Süße, ich muss nachdenken. Fanny wird mich begleiten. Ich laufe ein bisschen am Isar-Hochufer, okay?«
»Richter, du bist ein Arschloch!«
Was für ein Sonntag!
Sonntag. Merde.
Mein Schädel schien halb ausgeschaltet zu sein. Was bin ich für ein Blödmann. Treffe mich mit einem, den ich vorher nicht abcheckte. Das passiert mir Montag bis Freitag nicht! Ich hatte auf Relaxen geschaltet.
Da war mein untrügliches Gefühl, dass der, der mich anrief, etwas Interessantes hatte. Das hat man im Urin oder auch nicht. Meine Blase und meine Nase waren geschult auf Zwischentöne zu achten. Oder waren es die Ohren? Ich meine wegen der Zwischentöne? Nur deshalb habe ich mich mit dem Unbekannten getroffen. Aber gleich auf zwei Tote, bin ich wahrlich nicht scharf …
Mein Surfen durch die für die Allgemeinheit nicht zugänglichen Quellen war bislang nicht besonders ergiebig. Ja, ich wusste nun, wer der Staatssekretär Diplom-Ingenieur Architekt Fred Wille war. Seine Schule, Studium, Karriereleiter. Zwei Jahre hatte Fred Wille im Ausland gearbeitet. Hatte den Bau der neuen Botschaft in Madrid überwacht. Irgendeine bayerische Baufirma, die mir nichts sagte, die Bavarian sowieso AG, bekam damals den Zuschlag. Nix Besonderes, der Wille. Beamter halt. Wie ich es auch mal war … Besonderheiten: parteilos. Der typische Karrierist. Nur nicht anecken. Immer rauf auf der Leiter.
Was hatte er nun davon?
Im Blechsarg?
Die Reste eingesammelt?
Familie fast ausgelöscht?
Die geschiedene Frau. Auch die checkte ich. Sie war inzwischen mit einem Trainer eines Fußballklubs in Unterhaching verheiratet. Kleinbürgerliches Leben. Das Reihenhaus war vermutlich fast abbezahlt. Die werde ich interviewen. Frau Ex-Wille, geborene Huber, verheiratete Schneider.
Wo soll ich sonst ansetzen?
Klar, ich werde meinen Mann in der Ettstraße anrufen. Kriminalfachdezernat 1. Zuständig für Tötungs-, Brand- und Sexualdelikte. Das kann ich erst morgen machen. Wochenende ist heilig. Die Bullen haben es nicht leicht.
»Fanny, du Pfeife, komm, lass uns ein wenig laufen!«, herrschte ich den nicht mehr so sehr beleidigten Mastiff an und zwang ihn, seinen massigen, aber durchtrainierten, muskelbepackten Body in Bewegung zu setzen.
Ich brauchte dringend etwas für den Abbau meines Adrenalinspiegels. Noch hatte ich nicht vor, das Zeitliche zu segnen.
Wir liefen die Isar aufwärts und keuchten beide, als ob uns der Teufel jagen würde. Wenn ich nur wüsste, wie der aussieht. Nimmt immer neue Gestalt an.
In Russland sagen sie: „Der Teufel hat immer eine Kugel mehr im Lauf.“
Herrliche Aussichten!
Mit dem Gegner ist nicht zu spaßen. Mord ist immer das allerletzte Mittel, wenn der zur Ermordung Anstehende durch nichts mehr von seinem Plan, anständig zu bleiben oder problemlos mitzuspielen, abzubringen ist.
Wille schien zu der aussterbenden Sorte Mensch gehört zu haben.
Wirklich?
Über den Arzt, der den Totenschein ausgestellt hatte, konnte ich absolut nichts in Erfahrung bringen. Der Grund? Den gab es gar nicht. Zumindest nicht unter dem Namen. Und da ich kein Bild von Dr. med. Erwin Kravatt hatte, konnte ich den auch nicht durch den Scanner der Polizei laufen lassen. Auch dazu hatte ich Zugang. Doch was nützte es? Weder im Münchener Ärzteregister gab es einen Kravatt noch im Bayerischen und auch nicht bundesweit. Es war eine scheiß Arbeit für meinen Mac mir zu sagen, dass es unter den rund 330.000 Ärzten in Deutschland keinen mit dem Namen gibt. Es dauerte fast zwölf Minuten, die ich auf die Antwort warten musste. Sie brachte mich keinen Schritt weiter.
Das nervte.
Fazit: Ich stand bei Null! Das war frustrierend und ich brach abrupt mein Joggingprogramm ab. Fanny stoppte, dass der Sand eine Nebelfront bis Garmisch bildete, und schaute mich fragend an.
»Sag nichts, Köter. Ich bin sauer!« Dabei streichelte ich ihm über seinen riesigen Schädel und Fanny fing zu grinsen an.
Wir waren wieder Freunde.
Zwei Tote und ein Arzt, den es nicht gab, der aber einen Totenschein für eine junge Frau ausgestellt hatte, die, nicht nur nach Ansicht vom Vater, ermordet worden war. Also musste ich unauffällig an das Original des Papiers kommen und sehen, ob da noch Fingerabdrücke zu finden waren, die mich zu dem ‚Arzt‘ führen würden. Eine Obduktion von Gina Wille konnte ich nicht anordnen, müsste mir aber auch dazu etwas einfallen lassen, um sicherzugehen, dass die Behauptung des nicht freiwillig verblichenen Staatssekretärs und meine Vermutung stimmten.
Das wird sich arrangieren lassen, aber nicht mehr heute.
Still trabten wir zurück zur Villa der Familie Fischer. Musste ich mir wirklich Sorgen um mein eigenes Leben machen? War ich durch meine kurze Begegnung mit Wille in ein Wespennest getreten, dessen Bewohner mich stechen konnten? Ich stimmte mit Fanny ab und wir waren beide für „Ja“.
Scheiße. Wieder einmal Gefahr für Anna.
Als Erstes ging ich am Montagmorgen zu meiner Bankfiliale. Die würden sich riesig freuen, wenn mein Konto endlich wieder schwarze Zahlen auswies. Die Ärsche waren nur deshalb noch freundlich zu mir, weil sie meinen Job kannten. Als erster Hauptkommissar, Besoldungsgruppe A13 im höheren Dienst, hatte ich mit Zuschlägen, die fast höher als mein Gehalt waren, immer so um die 5.000 € netto überwiesen bekommen. Bei Auslandseinsätzen noch ‘nen Tausender drauf. Beamter, dachten die sich. Kann nichts anbrennen. Dass die mich beim BLKA gefeuert hatten, sagte ich denen nicht. Wozu auch? Aber der geschniegelte Affe auf seinem geschniegelten Bürosessel, an seinem geschniegelten, leeren Schreibtisch, der aussah wie sein Gehirn, ahnte, dass mit mir etwas nicht stimmen würde, weil nur noch unregelmäßig Geld einging. Auch da trickste ich, aber das ging die nichts an. So lange ich noch konnte, hob ich von meiner Dienst-Kreditkarte, die das LKA erst sechs Wochen nach meiner Entlassung angemahnt hatte, so viel Geld wie möglich ab und zahlte es gleich wieder cash auf mein Konto ein. Das sah dann für den Geschniegelten so aus, als ob immer noch Kohle da sei. Funktionierte leider nicht lange.
Fuck off.
Irgendwann in ein paar Jahrzehnten würden die meine Pension auf ihre dämliche Filiale überwiesen bekommen. In schöner Regelmäßigkeit. Immerhin fast vier Mille. Mindestens. Alle vier Wochen. Aber das würde noch eine Zeit dauern.
Rechtsstreit mit dem Staat!
Was sagt uns das …?
Fröhlich begrüßte ich den Geschniegelten. Zwanzig Mille wären jetzt wunderschön. Die müssten ja da sein.
Niente!
Der Sesselfurzer grinste, aber nur kurz, denn Fanny schaute ihn an, als ob des Sesselfurzers letztes Stündchen geschlagen haben könnte. Also bewilligte er mir ‘nen Tausender und ich holte mir die Kohle an der Kasse bei einer adretten, mich immer anlächelnden Blondine im gestreiften Kostüm ab. Sie wartete schon seit Ewigkeiten darauf, dass ich sie mal auf einen Drink einladen würde und schaute bei der Auszahlung nicht auf die Noten, sondern auf meinen Schritt. Aber die war nicht mein Typ.
Da hatte Anna Glück.
Ich tankte den Boliden voll, 80 Liter für 112 Euro. Fanny war selig, wieder neben mir sitzen zu dürfen, und wir fuhren nach Unterhaching. Auf dem Weg dorthin rief ich meinen Kumpel in der Ettstraße an. Er hatte Zeit. Wir würden uns später zu einem Espresso im ›Brenner‹ auf der Maximilianstraße treffen. In dem Laden fällt man am wenigsten auf.
Da treffen sich Bürohengste, Makler jeder Art, Zuhälter, Anwälte, Nutten, Models, Professoren, Banker und nichtsnutzige Damen, deren Kerle sich bei XY für kleines Geld – nicht mal ‘ne Mio pro Jahr! – abrackerten, und Touristen. Ein menschliches Sammelsurium. Herrlich. Manchmal dachte ich mir, ich sollte da Klunkerzoll verlangen, so viel Rolex & Co. wurden dort täglich zur Schau gestellt …
»Sind Sie Frau Wille? Also ich meine, die ehemalige Frau Wille?«, fiel ich mit der Tür ins Haus. Ich hielt ihr meinen – gefälschten – Presseausweis unter die Nase und gab ihr dazu mein Kärtchen, das mich als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung auswies. Überreichte ihr einen Strauß weißer Chrysanthemen und sprach ihr mein Beileid aus. Alles in einem. Ich bin da nicht sehr taktvoll, denke ich mal. Die Frau schaute mich mit kalten Augen an. Keine Regung. Puh, dachte ich mir, die werden wohl nicht im Guten auseinandergegangen sein. Das ist auch kein Wunder.
Und jetzt? Beide hin.
Erst die Tochter, dann ihr Ex. Wer weiß, weshalb die sich hatten scheiden lassen.
»Kommen Sie rein«, sagte die Witwe und ich ging an ihr vorbei direkt in das Wohn-Esszimmer; der Trainer schien beim Training zu sein. Ich setzte mich ungefragt auf die karierte Couch. Frau Wille, die jetzt auf den äußerst seltenen Namen Schneider hörte, ging in die Küche, suchte nach einer passenden Vase für die Chrysanthemen. Ich hatte den Eindruck, dass sie eher durch den Wind war als so kühl, wie ihre Augen das aussagten.
Außerdem trug sie ein interessantes Parfüm. Italienisch. Dafür habe ich eine Nase.
»Wollen Sie einen Kaffee, Herr …«
»Michelsky, Frau Schneider, André Michelsky.«
»Na, wenn Sie schon hier sind, mache ich uns einen.«
Die Blumen hatte sie inzwischen auf einem ziemlich hässlichen Sideboard abgestellt. Geschmack war nicht ihre Sache. Dort standen auch mehrere Fotos der Familie. Kaum war sie in der Küche verschwunden und ich hörte die Kaffeemaschine zischen, durchsuchte ich den Raum. Machte Fotos von den Bildern, die dort standen, durchwühlte die Schubladen. Nichts. Pure Langeweile im Haus des Trainers und seiner Second-Hand-Angetrauten. Vielleicht würden mir wenigstens die Bilder etwas sagen. Zu spät.
Schon war die fleißige Hausfrau da. Die obligatorischen Kekse vom Aldi oder Tengelmann fehlten nicht, Sahne zum Kaffee, der sogar einigermaßen roch, und strahlend weiße Zuckerwürfel. Wie schrecklich!
Witwe Wille taute auf.
»Worüber schreiben Sie denn in der Süddeutschen? Mein jetziger Mann liest ja nur die Abendzeitung und da den Sportteil, wissen Sie?«
Journalist. Das zieht meistens. Scheint für viele Leute ein interessanter Beruf zu sein. In den Angelegenheiten anderer Menschen rumschnüffeln. Kann mir nur recht sein.
»Wir sind in der Redaktion der Ansicht, dass der Tod Ihrer Tochter und der Ihres Ex-Mannes kein Zufall war. Schließlich hatte Ihr Mann eine verantwortungsvolle Position im Ministerium. Wir vermuten«, legte ich ohne Umwege gleich voll los, »dass er einer großen Sache auf der Spur war. Dem wollen wir nachgehen.«
Ich machte eine Kunstpause, aß einen der leidlich schmeckenden Kekse und goss mir widerwillig Kaffee in den Rachen, der letztlich auch nicht von besserer Qualität war.
Egal.
»Wir wollten in der Redaktion den Arzt interviewen, der für Ihre Tochter den Totenschein ausgestellt hat, konnten ihn aber nicht finden. Ich denke, Sie müssten doch seine Adresse haben, oder?«
Aufmerksam hatte Frau Wille-Schneider, geborene Huber, zugehört. Ihre Augen weit geöffnet. Nun waren sie voller Sorge, Angst, Neugier.
Sie schaltete schnell.
»Wollen Sie andeuten, dass beide, mein Mann und unsere Tochter, beide …«
»Ich will Sie nicht beunruhigen, aber ich denke, dass da einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Ich kann Ihnen nur empfehlen – ich will mich um Gottes Willen nicht in Ihre Familienangelegenheiten einmischen –, an Ihrer Tochter eine Obduktion vornehmen zu lassen. Aufgrund des Unfalls Ihres Ex-Mannes ist es nur verständlich, dass Sie das bei der Behörde beantragen. Dafür wird man Verständnis haben. Wenn Sie wollen, liebe Frau Schneider, gebe ich Ihnen den Namen eines mir bekannten Kommissars im Polizeipräsidium, der sich dann sicher der Sache annehmen wird.«
Stille.
»Ich verstehe, wenn das Wunden bei Ihnen aufreißt und Sie auch kein Interesse mehr daran haben zu wissen, wie der Herr Staatssekretär ums Leben kam, aber für Ihre einzige Tochter …«
»Ja, Sie haben völlig Recht, Herr …«
»Sagen Sie doch bitte André zu mir …«
»André … Gut, André. Ich mag den Namen«, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, das eigentlich sehr hübsch war. Überhaupt, wenn die Starre von ihr abfiel, war sie eine gutaussehende Frau in den allerbesten Jahren mit einer blendenden Figur. Eigentlich Material für mich. Aber das wäre dann doch zu pietätlos und so ließ ich den Gedanken an eine schnelle Nummer ebenso schnell wieder fallen.
»Ich habe auch die ganzen letzten Tage gegrübelt, was meiner Tochter wohl gefehlt haben könnte, dass sie so plötzlich verstorben ist! Wir hatten seit der Trennung von meinem Mann, also Ex-Mann, leider nur noch wenig Kontakt. Gina hatte sich für ein bequemeres Leben an der Seite ihres Vaters entschieden. Sie mochte meinen jetzigen Mann, den Robert, nicht besonders. Meinen Sie, dass ihr Tod mit dem Amt meines Ex im Zusammenhang steht?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin nur Journalist, kein Rechtsmediziner. Und auch kein Kriminaler. Aber ich an Ihrer Stelle …«
»… Sagen Sie doch bitte Hannelore zu mir!«
Sie räusperte sich etwas verlegen.
»Ich, Hannelore, würde dem nachgehen.«
Der Köder war ausgelegt.
Hannelore würde alles daran setzen zu erfahren, wie ihre Tochter gestorben war. Und sie würde es mir, dem verschwiegenen Redakteur von der SZ, anvertrauen. Nun hatte ich sie auch soweit – inzwischen war ich bei der dritten Tasse Kaffee, wartete auf das Eintreten von Sodbrennen und hatte mir vier Kekse runtergewürgt –, dass ich mit ihr über den Job ihres Ex reden konnte. Von André zu Hannelore.
Einschleimen war angesagt.
Wir saßen inzwischen nebeneinander auf der Couch und ich hatte ihre kalte Hand genommen, um sie zu beruhigen. Das mit dem Händchenhalten hatte sie wohl missverstanden, denn sie wurde plötzlich rot und warm, um nicht zu sagen heiß.
Schätze, sie war ausgehungert.
Eindeutig: Der Trainer trainierte zu viel an der falschen Stelle und mit den falschen Bällen. Leider hatte ich keine Zeit und musste los zu meinem Rendezvous mit dem Kommissar und außerdem saß Fanny im Wagen und war sicherlich total stinkig, dass ich ihn nicht in das Haus der heißen Dame mitgenommen hatte.
Aufpasser unerwünscht!
»Versprochen, Hannelore, ich komme morgen wieder. Leider habe ich jetzt einen Termin in der Redaktion und bin schon fast überfällig.«
Wir standen zeitgleich auf, sie drückte sich heftig an mich und ich spürte ihr Verlangen.
»Bis morgen. Gegen elf Uhr, passt dir das, André?«
Aha, da muss der Alte wieder zu seinem Verein, das erste Training des Tages.
»Gegen Elf.«
Ich war so angefressen von der Sache, dass ich es in Kauf nehmen musste, von Hannelore vergewaltigt zu werden.
Wenn es denn der Sache dient …?
Fanny schaute mich schon wieder beleidigt an.
»Mein Alter, ich nehme dich jetzt mit ins Brenner. Abgemacht. Kannst dich entspannen, okay?«
Fanny verstand.
Selbst „Devils Haircut“ vom schrägen Kalifornier Beck ließ ihn nicht an mir verzweifeln: „Somethin’ wrong cause my mind is fading / Ghetto blastin’ disintegrating / Rock ‘n’ roll, know what I’m saying? / Everywhere I look there’s a devil in waiting / Got a devil’s haircut in my mind / Got a devil’s haircut in my mind…“
Mir standen mehrere Prüfungen bevor. Schon wieder war der Teufel im Spiel. Bei Beck.
Stimmt: Something wrong. Vase my mind is fading …
Nicht zuletzt Rock’n‘Roll.
Mit Hannelore …
Wir bekamen im Brenner einen Platz an der Sonne. Na ja, fast. Sonne scheint draußen zwischen den Häusern nicht durch. Nur im Juni/Juli. Da steht die Sonne hoch genug und kann auf uns runterschauen. Sonst? Wenn überhaupt, dann nur gespiegelt über ein Fenster von irgendwoher. Es war aber besser, als drinnen zu sitzen. Fanny ist nämlich kaum zu halten. Er räumt den Models und leichteren Mädels in Gucci und Trallala mit seinem prächtigen Schwanz – nicht den, den Sie meinen! – den Latte Macchiato vom Tisch und den Herren Advokaten und solchen, die es gerne wären, ihr Carpaccio di Tonno. Da steht er drauf.
Aufräumen.
Fanny scheint zu verstehen, wer und was im Leben wichtig ist …
Kaum saßen wir, sagte mir mein Kumpel auf den Kopf zu, wonach ich suchte.
»Du willst wissen, was ich weiß, was am Samstag direkt vor der Einfahrt zu den Bavaria Filmstudios passiert ist. Stimmt‘s? Nun schau nicht so blöd. Meine Kollegen machten Fotos von allen Autos, die während der Zeit da vorbeigefahren sind. Darunter warst auch du mit deinem Angeberschlitten, den ich aber sehr cool finde. Ich stand schon immer auf Jaguar. Aber bei meiner Gehaltsklasse …!«
Ich war von den Socken.
Hätte mir ja denken können, dass die Bullen nicht so blöd sind. Aber dass sie gleich Fotos machten? Nicht vom Unfallwagen, sondern von denen, die sich dort aufhielten oder vorbeikamen, das sagte viel aus. Hatten sie den Herrn Staatssekretär auch auf dem Kieker und beobachteten ihn? Wussten sie sofort, dass das kein Unfall war?
»Sag an, Mario. Du gibst mir doch Recht, dass das kein Unfall war, oder?«
»Das hat uns die Streife schon nach dreißig Sekunden gesagt. In den Wagen war ein kleines, feines Bömbchen eingebaut. Es gab keine Fremdeinwirkung, keine Fahrerflucht und auch keinen Motorschaden, der den Audi so hätte zerlegen können. Deshalb haben wir sofort ein Sonderkommando an die Stelle geschickt. Die Reste des Audis werden gerade noch untersucht. Die Staatsanwaltschaft lässt wegen Mordes gegen Unbekannt ermitteln. Wir stehen vor einem halben Rätsel. Halb deswegen, weil wir kein Motiv sehen. Bis jetzt nicht. Der Tote war zwar Staatssekretär im Bauministerium, vermutlich weißt du das längst, aber irgendwie dort nur geparkt. Abstellgleis, wenn du verstehst, was ich meine.«
Mein Kumpel war redseliger, als ich mir das erhofft hatte. Wenn er was weiß, erfahre ich es. Das war schon mal klar. Jetzt hatte ich die Gewissheit, dass die Sache zum Himmel stank. Nun konnte ich meine Recherchen beginnen und meiner Spürnase heute einen Schampus ausgeben, weil sie mal wieder richtig geschnuppert hatte.
Ich tätschelte Fanny und er lächelte zurück. Nur für mich erkennbar …
Wenn nun noch morgen die zwanzig Mille auf meinem Konto eingehen würden, könnte ich mit Volldampf loslegen.
Wohin mich die Reise mit der Familie Wille am Hacken noch treiben würde, davon hatte ich an diesem Spätnachmittag keine Ahnung.
Ich lud meinen Kumpel noch auf einen French Icône ein, das relativ neue In-Getränk der Münchener In-People: 2 cl Wodka, 1 cl Rose-Sirup, 2 Barlöffel Sommerbeerentee, 15 cl Champagner. Der Kellner musste erst noch einmal nachfragen, ob sein Barkeeper das Zeug mixen kann. Er war wohl nicht auf dem Laufenden oder neu in der Branche. Entzückt servierte er uns wenig später die Drinks und ich muss sagen – dieser French Icône, erfunden vom Barkeeper von Klaus Hoppe vom ›Charles Hotel‹ hinterm Bahnhof, ein edler Schuppen, hat Zug, schmeckt und geht ab wie ‘ne Rakete.
Côte d’Azur-Feeling.
Wird Zeit, dass ich Geld verdiene, damit ich mir den öfter leisten kann …
Ich ließ Fanny das Glas auslecken. Er schmatzte, wie nach einem Rinderfilet frisch vom Grill, medium! Dann kam der Rülpser. Laut und deutlich.
Fanny!
»Wollen wir uns morgen um die gleiche Zeit wieder hier treffen, Mario? Ist mir sicherer als das Handy.«
»Geht klar, Kumpel. Pass auf dich auf und grüß Anna von mir, ja?!«
Wunder über Wunder.
Sooo eng waren wir nun auch wieder nicht. Dass er sich um mich Sorgen macht und Anna grüßen lässt? Vielleicht weiß er doch schon mehr, als er mir sagte.
Ich schnalzte mit dem Finger. Signal für Fanny, dass die Reise weitergeht. Er wedelte noch mal kurz mit dem Schwanz und schob ganz lässig eine hässliche Handtasche mit MCM-Werbung drauf zur Seite, die etwas sehr viel teurer war als die Rechnung, die ich gerade cash beglichen hatte.
Morgen werden die zwanzig Mille da sein, redete ich mir schon wieder ein. Ist ja auch Scheiße, wenn man immer klamm ist.
Ich wusste, dass ich von nun an noch vorsichtiger sein musste, als ich es ohnehin war.
Der Teufel lauert überall, hat tausend Gesichter und eine Kugel mehr im Lauf …
Bei Anna angekommen, die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und ich wurde auch nicht verfolgt, musste ich ihr wohl oder übel reinen Wein einschenken.
Es war nicht das erste Mal, dass ich in Gefahr war.
Daran hatte sie sich inzwischen widerwillig gewöhnt. Aber diesmal befürchtete ich nach Lage der Dinge, dass ich es mit einer besonderen Spezies von Gegnern zu tun haben würde. Oder schon habe.
Das hieße, dass auch die Fischer auf einem brennenden Ast sitzt.
»Anna, ich bin inmitten eines neuen Falles. Aber anders als sonst glaube ich, dass du auch in Gefahr bist. Bevor ich nicht weiß, wer meine Gegner sind, werde ich in meiner Bude wohnen. Hier, bei deinen Eltern, bist du sicherer als bei mir oder wenn ich hierbleibe. Wenn du willst, lasse ich dir Fanny zu deinem Schutz da. Ja, ich weiß, du bist kein Fan von ihm, aber …«
»„Aber …“ Was soll das? Ich hasse dich, Richter! Du bockst rum, schweigst dich aus, verschwindest, wann du willst, machst immer nur dein Ding und ich bin dein dämliches Anhängsel. So läuft das nicht. Spielst den Macho. Aber ich kenne dich besser! Ja, hau einfach ab. Lass mich allein!«
Anna war drauf und dran, sich in Rage zu reden. Fanny schaute sie an, ich schaute Fanny an. Wir waren beide der Meinung, dass es in dieser Stimmung besser wäre, wenn wir uns verziehen. Fanny sprang hoch, wedelte freudig mit dem Schwanz – das kann die Töle wirklich gut –, schmiss aber nichts um und ich drückte Anna einen letzten Kuss auf die Stirn. Morgen würde alles schon wieder anders aussehen. Wir schlenderten zum F-Type und beim Umdrehen sah ich, dass Anna weinte. Also hielt ich noch mal kurz am Haupthaus, klingelte bei den Fischers.
Der Alte kam zur Tür, sah mich hasserfüllt an, wie immer. Ich sagte nur:
»Passt bitte gut auf eure Tochter auf!«
Der Arsch verstand das genau. Irgendwie war der nicht koscher, den sollte ich mir auch mal vornehmen. Kann man mit dem Verkauf von Klamotten so viel Geld machen?
Aber er liebte seine Tochter über alles und würde sofort eine Horde von Totschlägern engagieren, die rund um die Uhr ihr prächtiges Anwesen überwachten. Es war gut so, wie es ist. Anna war hier sicher. Nur das zählte im Moment.
Ich hielt auf dem Parkplatz vor dem Autohaus auf der Münchner Straße, das auch nur Edelschlitten verkauft. Öffnete den Kofferraum, entnahm ihm mein kleines, aber feines elektronisches Suchgerät und checkte meinen Boliden. Das wollte ich bei Fischer nicht machen. Hätte noch mehr Unruhe gebracht.
Hatte auch ich schon eine Wanze am Wagen? Nach drei Minuten war die Sache erledigt. Der F-Type war sauber. Keine Wanze, keine GPS-Verbindung, nichts.
19:30. Wir fuhren nun beruhigter zu meiner Bude im Lehel. Unter dem Dach fünfundachtzig Quadratmeter auf zwei Zimmer. Edel und für mich seit ein paar Monaten zu teuer. Thierschstraße. Schön, aber viel Verkehr und ‘ne quietschende Straßenbahn. Haltestelle unter meinen Fenstern. Wenn nur das Gebimmel der Kirche nebenan mir nicht dauernd auf den Sack gehen würde!
Ich schmiss Fanny noch ein Steak in die Pfanne – das mochte er am liebsten –, setzte mich an den Mac und begann meine Recherchen fortzuführen. Schnell wurde es Nacht. Um zehn nach Zwei fragte Fanny an, ob wir denn nicht noch mal Gassi gehen könnten.
Klar.
Sonst scheißt der mir noch auf den nicht vorhandenen Perserteppich!
»Komm, Nervensäge! Ist ja gut. Ich habe dich vernachlässigt. Kommt nicht wieder vor!«
02:15. Fanny strahlte und wir liefen die fünf Treppen, achtundsiebzig Stufen, zu Fuß runter. Wie auch sonst. Es gibt keinen Fahrstuhl im Haus.
Jetzt wusste ich zwar, wo und mit wem der tote Staatssekretär zur Schule gegangen war, mit wem er studiert hatte usw. Ich checkte auch das ganze mir nun bekannte Personenregister durch, um irgendwie einen Ansatz zu finden, checkte Hannelore, die Untrainierte, checkte ihren zweiten Mann, den Trainierenden, versuchte, etwas über die Tochter der Willes herauszufinden.
Nada.
Nichts, was mich auf irgendeine Fährte gebracht hätte. Das war schon ermüdend.
Fanny und ich liefen die Isar zwischen Alpenmuseum, Friedensengel und Müllersches Volksbad entlang. Es war nichts los. Plötzlich schoss Fanny wie eine giftige Natter, sich blitzschnell um seine eigene Achse drehend, mit einer noch blitzartigeren Bewegung hinter mich und schon krachte es brutal: Fanny hatte kurzerhand mit einem einzigen harten Biss einem vermummten Mann die rechte Hand abgetrennt. Fannys Nacken war halt extrem trainiert und er wusste, welchen Biss er wie ansetzen musste, damit so eine Hand vom Körper fällt. Das hatten wir nicht nur einmal trainiert. Er hielt mir die Hand für Sekundenbruchteile als Trophäe entgegen. Dann ließ er sie fallen. An der Hand hing noch ein riesiges Messer. Der gellende Schrei des Handlosen ging im Lärm unter, den Fanny veranstaltete.
Alles ging so schnell, dass ich jetzt wohl auch einen Blechsarg gebraucht hätte, wenn mein geliebter Mastiff nicht wahnsinnig aufmerksam gewesen wäre und rigoros eingegriffen hätte. Der besitzt halt eine feinere Nase und bessere Ohren. Fanny riecht Gefahr. Er hatte wohl auch im schwachen Mondschein den Stahl des Messers aufblitzen sehen.
Logische Konsequenz für Fanny: Das Messer muss weg.
Und wenn da noch eine Hand dran ist – Pech gehabt.
Alles ging dermaßen schnell, dass ich noch gar nicht richtig geschnallt hatte, was passiert war. Ich kann das nur im Nachhinein berichten. Die schwarze Gestalt lief, vor Schmerzen laut winselnd wie hundert hungrige Kojoten in der Prärie von New Mexico, über die Maximiliansbrücke Richtung Parlament davon. Ihn zu verfolgen, machte wenig Sinn. Den würden die morgen identifizieren. Der musste ja irgendwann in ein Krankenhaus. Und zwar so schnell wie möglich, sonst …
02:27. Es war an der Zeit, dass wir uns verdrückten, bevor die Sache Staub aufwirbelte. Ich hatte keine Lust, meinen Kollegen erklären zu müssen, woher die einzelne Hand mit dem Messer kam. Sie würden Fanny einschläfern. Dabei hatte er ‚nur‘ mein Leben gerettet.
Schon zum dritten Mal in den letzten zwei Jahren.
Da kann man doch verstehen, dass Fanny mein Ein und Alles ist, oder?
Also verzogen wir uns auch blitzschnell. Es war unser Glück: kein Auto, kein Nachbar mit Schlafstörungen.
Nichts.
In meinem Luxusapartment angekommen, merkte ich, dass die Aktion auch Fanny an die Nieren gegangen war. Er legte seinen Riesenschädel auf mein Knie, so dass ich dort morgen einen blauen Fleck haben würde, schaute mich fragend an. Es war beschlossene Sache, dass das liebenswerte Viech die Nacht heute mit mir im Bett verbringen durfte.
Ich verstand die sensible Seele meines Hundes.
Immer!
Es stand außerdem fest wie das Amen in der Kirche, dass der Anschlag nicht rein zufällig mir galt, sondern ausschließlich und gezielt mir. Sonst wären das der Zufälle zu viel. Und, ich sagte es schon, die gibt es in meiner Branche nicht. Das Wespennest hatte sich ausgeweitet. Der Staatssekretär musste jemandem gehörig auf die Nerven gegangen sein. Ich war mir schon jetzt ziemlich sicher, dass eine der unzähligen Mafia-Organisationen in unserer Stadt verantwortlich für die Morde sein würde. Fragte sich nur, ob es eine der italienischen Gruppen ist oder eine russische, kroatische, georgische, türkische, rumänische …
Verdammt.
Ich konnte die Gefahr jetzt ebenfalls riechen. Saurer Killergeruch, böse, brutal und gefährlich.
Als ich noch in meiner Behörde war, hatten wir über 20 verschiedene Gangstervereine identifiziert, die ihr Business ziemlich professionell und mit bester technischer Ausrüstung von München aus betrieben. Fast jeder Mafiosi-Club ist auf ein Gebiet spezialisiert, aber untereinander miteinander konkurrierend, weil die Geschäftsfelder immer die gleichen waren: Prostitution, Drogenhandel, Geldwäsche, Menschenhandel, Wirtschaftskriminalität, Waffenhandel und Auftragsmorde.
Schöne Scheiße.
Nur menschlicher Dreck war unterwegs. Der stinkt. Und fast immer involviert: die ‚feine‘ Gesellschaft.
Nein, die Finger machen die sich nie schmutzig, aber sie arrangieren, kontrollieren, finanzieren und partizipieren von den menschlichen Abgründen. Rechtlich geführt durch ihre Ärsche von Anwälten. Große Kanzleien mit viel Schnickschnack und Pseudokunst im Büro und besten Adressen. Briennerstraße, Maximilianstraße, Weinstraße, Theatiner. Protzen ist angesagt. München halt. Man zeigt, was man hat. Das hat sich in den Jahren nicht verändert. Im Gegenteil. Die Geschäftsfelder haben sich in den letzten zehn Jahren enorm ausgeweitet und wurden in jeder Hinsicht perfektioniert. Dank einer Technologie, die wir alle nutzen.
IT.
Wenn Sie verstehen, was ich meine …
Dass der Wille im Drogenhandel tätig war oder da jemandem auf die Füße getreten hatte, war unwahrscheinlich. Logisch wäre es, dass er irgendwelche wirtschaftlichen ‚Unregelmäßigkeiten‘ im Bauministerium entdeckt hatte oder dass Geldwäsche im Spiel war. Schließlich gehen jährlich riesige Summen über den Tisch des Ministeriums. Es ist das größte in Bayern und hat über 900 Mitarbeiter. Die Geschäftsfelder sind weit gestreut: Hochbau, Straßen- und Brückenbau, Wohnungsbau, Städtebauförderung, aber auch, und das ist noch viel interessanter, öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Verfassungsschutz und Cybersicherheit, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. Da geht die Post ab! Milliarden fließen durch die Kassen des Ministeriums. Wen wundert es da, wenn es in den Behörden und Ministerien Personen gibt, die sich ein Stück vom Kuchen abschneiden wollen.
Während ich mich noch hin und her wälzte, schlief mein Retter Fanny den Schlaf des Gerechten.
Er furzte, grunzte und jaulte.
Vermutlich ging ihm der Angriff, der nur Sekunden gedauert hatte, durch seinen dicken Schädel.
Danke, mein Freund!
Das Problem lag bei mir. Wer auch immer die Willes erpresst und getötet hatte: Jetzt stand ich auf deren Liste. Und spätestens wenn der Armlose seinen Chefs berichtet, sollte ich mein Testament machen.
Obwohl – wofür eigentlich? Bei mir gab es nichts zu holen. Bis auf den F-Type und Fanny …
08:52. Ziemlich down wachte ich auf. Fanny hatte sich schon verkrümelt. Er lag nun unter dem Schreibtisch und beobachtete mich. Wie immer in letzter Zeit: die eine Vorderpfote über die andere geschlagen, so wie es die Dichter und Denker gerne tun, um vornehm und gebildet daherzukommen. Das machte Fanny seit wir beide mal kurz in Salzburg waren – das war mein erster Auftrag nach meiner LKA-Karriere – und für schlappe fünf Mille einen Autohändler für einen anderen Autohändler beobachten sollten, da hatte Fanny das in einem Café gesehen.
Im ›Heart of Joy‹ in der Franz-Josef-Straße lag neben einer attraktiven Blondine ein süßer Mischling genauso vor dem Eingang. Elegant die Vorderpfoten übereinander geschlagen.
Clevere Intelligenzbestie, dachte sich mein Mastiff, der den Kleinen mit zwei Happen hätte verschlingen können, was er aber nicht tat. Die beiden begrüßten sich wie alte Kumpels und schon hatte Fanny das Pfotenübereinanderschlagen übernommen und lag seitdem auch immer so elegant in der Gegend rum wie jetzt unter meinem Schreibtisch.
Als ich mich aus dem Bett quälte, kam er sofort freudig grinsend auf mich zu und leckte mir quer über mein verquollenes Gesicht.
Eine Dusche konnte ich mir heute sparen …
»Na, Dicker? Alles wieder gut? Jetzt hast du Hunger, habe ich recht? Na komm schon, heute gibt es die doppelte Ration!«, versprach ich Fanny und suchte im Kühlschrank nach Fressbarem für uns beide.
An meinem Entschluss, den Vorfall von letzter Nacht nirgends und niemandem gegenüber zu erwähnen, hatte sich nichts geändert. Ändern musste ich meine Taktik, meinen Aufmerksamkeitsgrad. Einfach durch Münchens Straßen bummeln und scharfen Hintern hinterherschauen, wäre jetzt kontraproduktiv gewesen. Fanny würde ab sofort immer und überall hin mitkommen. Er war meine Überlebensgarantie. Und nie mehr würde ich ohne meine Derringer Double Tap aus dem Haus gehen. Leicht, unauffällig, schlank, aus Titan und dennoch 9mm Kaliber. Durchschlagskraft enorm, nur zwei Schüsse im übereinanderliegenden Doppellauf. Absolut tödlich.
Das musste jetzt sein.
Als nächster Trip stand der Besuch bei der Untrainierten an. Werde sehen, was ich machen kann, damit sie wieder ins Training kommt. Fanny wird Fun haben, schätze ich mal.
11:23. »Guten Morgen, Hanni!«, flötete ich mit sanfter Stimme, in meiner Stimmung eigentlich null Bock auf ‘ne Nummer habend.
Hannelore hatte sich aufgemotzt. Ich hatte sie richtig eingeschätzt. Die war scharf wie ein japanisches Kai Shun Kaji Messer aus Damastener Stahl. Aber als sie Fanny sah, bekam sie wohl doch einen leichten Panikschub. Vielleicht dachte sie auch, dass ich ein Perverser sei.
Egal.
Wir drangen in ihr Wohnzimmer. Ich wieder auf die karierte Couch, Fanny legte sich sofort unter den Esstisch mit der karierten Plastikdecke, ein paar Meter abseits. Pfoten übereinandergeschlagen. Guter Hund! Weiß, was sich gehört. Abstand halten und beobachten. Aufmerksam sein. Das hatte ich ihm auf der Fahrt zu Hanni, der Trainergattin, noch einmal eingeschärft. Und Fanny verstand das. Hannelore hatte wieder von dem grässlichen Gebäck etwas stehen, dazu roch es nach Kaffee. Vermutlich Tchibo oder so‘n Zeug. Aber sie hatte auch einen Kräuterlikör angeschleppt.
Wer steht denn am frühen Vormittag auf sowas!
Sie setzte sich sofort neben mich. Enger ging‘s nicht. Der Abstand zu mir und ihrem Minirock. Der rutschte bis hoch an die Hüfte und wenn ich nicht irre, wurde Fanny rot vor Scham.
Doch vor ihrem Vergnügen musste ich noch einiges von ihr wissen.
»Sag mal, Hanni, was genau hat denn dein Dahingeschiedener in seinem Amt gemacht? Weißt du da was Genaueres?«
Als ob sie nur darauf gewartet hätte, legte Hannelore, die zu Trainierende, los. Ein offenes Buch. Ich musste nur noch blättern, registrieren und mir alles merken. Wie ein Wasserfall betete sie die unglaubliche Karriere ihres Ex-Mannes runter und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Dame hatte ein verdammt gutes Gedächtnis und bei vielen Details, die sie wie nebenbei erzählte, ratterte es in meinem grauen Kasten und mir wurden schlagartig viele Zusammenhänge klar.
Während sie mir mit ihren Details aus dem Leben ihres Ex-Mannes, ohne es zu ahnen, sehr half, rutschte nicht nur der Rock noch höher, so dass ich Einblick in ihr unbedecktes Innerstes bekam, sie rutschte auch immer näher, um nicht zu sagen, auf meinen Schoß, was Fanny mit einem Grunzen begleitete und er mir einen gemäßigt bösen Blick zuwarf. Als wolle er sagen:
Alter, pass auf!
Es half nichts, ich ergab mich freiwillig und über den Rest des Vormittags schweigt des Genießers Höflichkeit.
13:39. Als wir uns endlich vom Acker machten – Hannelore hatte es plötzlich sehr eilig, vermutlich kam der Trainer vom Training und wollte seinen Fressnapf gefüllt sehen –, hatte ich rund ein Dutzend interessanter Informationen aus ihren Sprachergüssen herausgefiltert.
»Fanny, das wird jetzt spannend. Gleich bekommst du was Gutes zum Essen und einen riesigen Napf Wasser. Wir fahren wieder ins Brenner. Pass bitte auf uns auf, du weißt schon: Die Menschen sind böse!«
Fanny nickte.
Wir hatten unsere Augen überall und kamen problemlos ohne Stau zur Maximilianstraße. Einen Parkplatz bekommt man dort nie. Und in die Operngarage? Nee – bei den Preisen. Nach der zweiten Runde hatten wir Glück. Fanny bellte einmal kurz und kräftig. Er bestätigte, dass er mit dem endlich gefundenen Platz direkt neben Hermés, gegenüber vom Vier Jahreszeiten, einverstanden war. Eine Politesse war nicht zu sehen. Ich wagte es, mich dem staatlichen Wegelagererzoll zu entziehen. Kein Geld erreichte den hungrigen Automaten. Fanny bekräftigte meine Entscheidung und nickte erneut.
Der Gute hatte ebenfalls Hunger und Durst. Aufpassen strengt an.
Mein Kumpel Mario, der Kommissar mit dem Blick für das Wichtige, saß schon. Am gleichen Tisch wie gestern. Es stand bereits ein Trog Wasser neben ihm. Auf dem Boden. Für Fanny. Der Mann überraschte mich immer mehr. Da der Kellner gerade vorbeikam, orderte ich als Erstes ein riesiges Steak für Fanny. Medium, versteht sich. Fanny quittierte das mit kräftigem Schlabbern. Ihm lief jetzt schon das Wasser im Maul zusammen. Aber das hatte er sich verdient, oder?
»Heute Morgen haben wir eine Hand gefunden. Mit einem zwanzig Zentimeter langen Messer daran. Russischer Stahl. Gleich in deiner Nähe …«
Das saß! Wollte er damit etwas andeuten? Ich stellte mich dumm. Ob er es glaubte? Ich wage es noch heute zu bezweifeln.
»Ist ja schön für euch, Mario. Eine Hand. Das ist doch mal ein Anfang. Habt ihr denn den Rest auch schon?!«
Ich schaute Fanny an, er blickte vielsagend zurück. Wir hatten ein gemeinsames Geheimnis. Bei Fanny war es auf jeden Fall besser aufbewahrt als bei mir. Selbst wenn sie ihn foltern würden, was der da oben verhindern möge: Der sagt nichts …
»Nein. Haben wir nicht. Von keiner Klinik kam eine Meldung. Bis jetzt jedenfalls. Aber du weißt es selber, die Suche kann lange dauern. Monate. Wir haben die Hand gecheckt … Abgebissen … Vermutlich … Wenn das stimmt, muss das beißende Wesen ein riesiges Ungeheuer gewesen sein. Mindestens wie das hier.«
Und deutete mit dem Kopf auf Fanny, der das gar nicht gerne sah und mir einen fragenden Blick zuwarf.
»Wir haben Fingerabdrücke verglichen. Der Mann ist uns kein Unbekannter, wenngleich wir ihm bislang nichts nachweisen konnten. Er ist aus Moldawien. Russe aus Transnistrien, genauer gesagt, er ist dort aufgewachsen. Irgendwann kam er ohne Papiere zu uns. Ein Mann fürs Grobe. Wir rechnen ihn zur DDBC-Organisation. Das ist Russisch ‚Деньги делают вас счастливым‘ und heißt so viel wie ‚Geld Macht Glücklich‘. Das kannst du doch auch bestätigen, Doktor!?«
»Nein, kann ich nicht. Seit die mich beim LKA in der Maillingerstraße gefeuert haben, fehlen mir monatlich ein paar Tausend Euro! Ich muss mich verdammt einschränken. Kann keine Recherchen auf eigene Faust anstellen. Aber DDBC sagt mir was. Irgendwie habe ich das schon mal gehört mit den Moldawiern.«
Fanny nickte schon wieder zustimmend.
Bis jetzt hatte er aufmerksam zugehört und ständig in alle Richtungen geschaut. Sie wissen – er riecht die Gefahr.
Dann kam auch schon sein Mammutsteak in der Größe eines Fußballfeldes für lauffaule Fußballprofis und von diesem Moment an waren wir ausgeblendet. Das heißt, nicht ganz. Kaum war das Steak für ihn gekommen und unsere French Icône – ich hatte sie wieder geordert, konnte einfach nicht widerstehen –, da klingelte Marios Smartphone.
»Was gibt’s?«
Dann war Stille am Tisch. Nur unter dem Tisch hörte man anfangs noch Fanny schmatzen, laut, wie zwei Models nach einer Hungerkur wegen des letzten Jobs in Milano…
Mario sagte nur hin und wieder „hm“, oder „aha“, dann „wo? “, dann „bist du sicher? “, „aha“, „Irrtum ausgeschlossen? “, „OK“, „nein! “, „ich bin in dreißig Minuten da, nein, sagen wir vierzig“.
Er legte das Handy weg und schwieg.
Ich schaute Fanny an, der sein Fressen während des Telefonats plötzlich ruckartig unterbrochen hatte, und mir war klar, dass Mario-Hauptcommissario soeben die Nachricht erhalten hatte, dass sie den dazugehörigen Körper zur Hand mit dem Messer gefunden hatten.
Was unweigerlich den Schluss zuließ, dass auch der Körper nicht mehr lebte.
Fanny war sich zu 100 Prozent sicher. Sein Blick sagte alles. Er hatte es gehört! Sein Gehör ist eben x-mal besser als das von uns Menschen … Er kann Geräusche besser filtern als wir. Er kann sich auf einen Sound total fixieren und seine Gehörmuscheln drehen, so dass er rundum hören kann. Er kann unwichtige Geräusche ausblenden und erinnert sich an jedes Detail. Das Telefonat hatte meinen Mastiff erschüttert. Das sah ich sofort und sein Blick bestätigte mir seine Vermutung.
Ich sagte zu Mario:
»Ihr habt die Leiche gefunden. Zur Hand mit dem Messer, richtig?«
»Scheiße. Woher weißt du das. Kann man so gut in meinem Gesicht lesen? Dann bin ich kein guter Bulle. Scheiße …«
»Nein. Fanny hat mitbekommen, dass bei dir irgendetwas oberfaul sein muss, schau ihn dir an!«
Nun warf mir Fanny einen vorwurfsvollen Blick zu. Biss leidenschaftlich und wütend in sein riesiges Stück Fleisch und mir war klar, was er mir sagen wollte:
Doktor, du bist ein Arschgesicht. Verrätst uns hier!
Und er hatte nicht unrecht. Es war ein Spiel mit dem Feuer. Ich musste es eingehen. Mario würde mir schon sagen, was abgelaufen war.
An unserem Tisch war nun wieder das nervöse und gierige Schmatzen von Fanny zu hören. Zwischen jedem Bissen schaute er mich an. Fragend und wütend.
Ich beruhigte ihn mit Blicken.
»Ja, sie haben den Mann gefunden. Am Flaucher. Allerdings nur den Körper. Ohne Kopf. Sauber abgetrennt. Dennoch war die Zuordnung leicht. Wer liegt schon im Wasser mit nur einer Hand und ohne Kopf. Das wird richtig eklig. Die, die ihn beseitigt haben, wissen nicht, dass wir diese Fingerabdrücke bereits vorher hatten. Sie glauben, dass wir ihn nicht identifizieren können. Spuren in der Isar zu finden, ist nicht einfach. Die müssen ihn von der Brücke geschmissen haben. Gegen drei Uhr morgens, sagt der Doc.«
»Scheiß Tag für dich. Tut mir leid.«
Was sollte ich auch anderes sagen.
»Du weißt schon, was die DDBC aus Transnistrien, einem dämlichen und ziemlich öden Landstrich im Nordosten Moldawiens, macht, oder?«
Ich zog nur die linke Augenbraue hoch.
»‚Geld Macht Glücklich’. Eine Mafia-Organisation. Nicht groß, aber effektiv, wie wir glauben. ‚Macht‘ schreiben die immer in Großbuchstaben. Doppeldeutig. Weil – Geld ist Macht. Die handeln im großen Stil mit Währungen. Echt und falsch zugleich. Aus welchen Geschäften auch immer. Eine perfekte Waschmaschine. Das vermuten wir. Jedenfalls waren wir damals verdammt nah dran, als wir einen toten Usbeken in einem Schwulenpuff auf der Landsberger fanden und Fingerabdrücke von dem suchten und im Puff abnahmen. Sie stammten, das weiß ich nun, von dem Typen, der letzte Nacht seine Hand auf mysteriöse Weise verloren hat. Mit einem Messer dran. Was hatte er wohl vor, der diensthabende Killer? Das Messer war sauber. Kein Blut dran …«
Pause.
»Der tote Usbeke im Stricherpuff hatte einen Stick in der Tasche, den der/die damals übersehen haben mussten. Darauf war überwiegend nur perverses Zeug, aber auch ein kurzer Ausschnitt einer Logistik, die nur mit Geldtransfers im großen Umfang zu tun haben konnte. Wir gaben das weiter an euren Verein. Aber da warst du schon nicht mehr bei dem Haufen. So ist das wahrscheinlich untergegangen. Oder deine Ex-Kollegen basteln noch daran. Na ja, das ist nicht mein Revier. Ich muss mich um die verfickten Morde in dieser Stadt kümmern! Das ist nervig genug. Heute ist wieder so ein Tag. Wo finde ich nun den passenden Kopf?«
Mario stand auf. Er ging davon aus, dass ich wieder bezahlen würde. Machte ich ja auch. Sagte nicht „Servus“, beachtete Fanny nicht, der ihm beleidigt und erleichtert zugleich hinterherschaute. Ich bestellte noch einen French Icône mit viel Wodka. Das war irgendwie ein guter Tag für Fanny und mich. Bis jetzt verdächtigte uns keiner und wir waren ja letztlich schuldlos am Tod des Handlangers, der mir das Lebenslicht hinterrücks ausstechen sollte.
Dann die Begegnung mit der Frau des Trainers, die ich ein wenig trainiert hatte, was gar nicht so übel war. Nach ihren Infos zusammen mit dem, was mir Mario heute nicht gesagt und doch ausgeplaudert hatte, war ich auf der richtigen Fährte.
Geldwäsche.
Und Mario hatte mir sehr geholfen mit dem Erwähnen der DDBC. Die kannte ich zwar nicht näher, aber ich wusste jetzt, wo ich ansetzen konnte. Um den Wichser im Ministerium greifen zu können, der vielleicht ziemlich sicher mit Geldwäsche zu tun haben könnte, hatte ich noch viel zu erledigen. Ich hatte schon eine ziemlich genaue Vorstellung, in welchem Bereich ich suchen müsste und wer er sein könnte, doch ohne handfeste Beweise konnte ich nichts gegen ihn machen.
Mir war klar, dass ich in den sauren Apfel beißen musste, auf eine komplizierte Reise zu gehen. Es würde eine elende Reise werden, so viel stand fest … Die kostete nicht nur Geld, sondern war nicht ohne Gefahren. Fanny konnte ich leider dorthin nicht mitnehmen. Weil …
Jetzt musste ich meinen Entschluss, in den Südosten Europas zu reisen, nur noch Anna verklickern. Ich war mir unsicher, wie weit ich sie einweihen sollte, oder besser gar nicht. Letztlich war das eine Abwägung der Gefahren. Am liebsten hätte ich Anna zur Tarnung mitgenommen. Doch das ging aus einem anderen Grund nicht, den ich Anna aber nicht erklären konnte. Vielleicht war es auch besser so.
Ich musste das alleine durchziehen.
Ich zahlte, Fanny sprang auf. Keine Handtasche in der Nähe, die er vom Tisch wedeln konnte. Alles ging gut. Wir hatten kein Ticket am Angeberschlitten und sprangen gemeinsam forsch auf die Ledersitze. Auf dem Weg zur Fischer machte ich einen Umweg zu meiner Bank. Der Schleimer war heute nicht da, aber die Schöne an der Kasse. Sie strahlte mich an wie eine Hiroshima-Bombe.
Hochexplosiv.
Ich kann es ja nicht ändern – sie stand nicht auf meiner Abräumliste!
Leider waren die Zwanzig von Meister Wille nicht gekommen. Komische Sache, denn den Eindruck eines Lügners machte der Wille mir nun wahrlich nicht! Ich ahnte, dass ‚die‘ auch da ihre Finger im Spiel hatten.
Die Gefahrenlage nahm zu.
Also fuhren wir nach Grünwald.
Ohne Frischgeld in der Tasche.
Es war an der Zeit, dass ich die Fischer einigermaßen aufklärte.
Ich fragte Fanny, was ich denn für Musik hören dürfte, denn ich wollte meinen Lebensretter ja nicht enttäuschen. Wir einigten uns auf die neue Scheibe von Joe Bonamassa, „Blues Of Desperation“, die ich auf die Hard-Disc kopiert hatte: „…The heavens may fall and the rain may come / You fight and you die but what’s done is done / Smile at me, while I live in damnation / Trying to make sense of these blues of desperation…“
Der Text passte wieder einmal. Aber ich hoffte, dass wir alle drei, Anna, Fanny und ich, noch nicht zum Sterben antreten mussten. Inzwischen hatte mich der Schock des nächtlichen Angriffs auch erreicht. Ich streichelte meinen Retter und er dankte es mir mit dem Abschlecken meiner rechten Hand.
Der hat eine riesige, raue Zunge …
Ohne Zwischenfall erreichten wir die großzügige Hütte der Fischers. Zwei Gärtner waren am Rummachen. Warum lassen die Alten den Garten nicht einfach so, wie er ist? Natürlich und wild wachsend? Immer ondulieren, kopulieren, Rasenmäher, Laubbläser, Heckenschere und sonst noch was.
Da das Wetter heute wunderschön war, Anna keinen Job hatte, war alles gut. Sie modelt hin und wieder, obwohl sie es nicht nötig hat und von ihren Eltern die Kohle nur so hinterhergeschmissen bekommt und jetzt lag sie in ihrer Hängematte. Relaxen. Ihr Groll gegen mich war verflogen. Ich hatte unterwegs noch eine gute Flasche Rotwein eingekauft und sogar endgeil verpacken lassen, um ihr zu zeigen, dass ich sie liebte.
Das sage ich ihr fast nie, aber sie kennt schon meine Gesten. Wir Männer sind da oft komisch.
Dass ich heute früh eine verheiratete Witwe beglücken musste, würde ich für mich behalten. Wie sie da völlig relaxt lag, wurde ich scharf auf Anna.
Sie ist schon eine wunderbare Person, ehrlich!
»Hi Fischer! Gut schaust du aus.«
»Hi Doktor. Sehe ich dich auch mal wieder …?«
Verschmitzt lächelte sie mich an, winkte mich zu sich und die Hängematte musste nun die Last von uns beiden tragen. Wir küssten uns innig, wie schon lange nicht mehr.
Anna ist eine Schlaue und sie wusste, dass ich in Gefahr war.
Der siebte Sinn.
Manche Frauen haben den untrüglich.
Fanny beobachtete uns, schüttelte wild mit dem Kopf und sah mich strafend, fast verächtlich an. Er dachte wohl an mein Training von heute früh …
Was für eine widerliche Töle!!
»Es ist einiges passiert, Anna. Das zwingt mich eine Reise anzutreten, die ich mir und uns liebend gerne erspart hätte.
Als ich am Sonntag in die Stadt fuhr, traf ich mich mit einem Staatssekretär. Der hatte mich kurz zuvor angerufen und um eine Begegnung gebeten. Wenig später war er tot. Noch dazu haben sie ihn so umgebracht, dass ich es unweigerlich mitbekommen musste. Der Wink mit dem Zaunpfahl. Direkt am Geiselgasteig haben die seinen Wagen in die Luft gehen lassen. Da du nicht mal im Netz surfst, hast du davon nichts mitbekommen. Ich fühle mich dem Mann gegenüber verpflichtet. Schätze, das ist eine große Sache. Seine Tochter haben sie wenige Tage vorher gekillt. Deshalb wollte er mich beauftragen ihren Mörder zu finden. Inzwischen ist noch viel mehr passiert, aber das willst du alles gar nicht wissen.«
Sie schaute mich verwundert an. Dann wurde aus ihrer Verwunderung Angst.
»Was heißt das: „Du willst das alles gar nicht wissen“, Richter?! Und ob. Ich will alles wissen! Du hast dich seit Sonntagnachmittag verändert. Sehr sogar. Ich habe ein Recht darauf, du liebenswerter arroganter Ex-Superbullenschnösel! Du bist der Mann, den ich liebe, falls das in deinen dämlichen Dickkopf geht!«
Sagte es und nahm mich wahnsinnig zärtlich und liebevoll in ihre Arme. Tränen liefen schon wieder über ihr wunderschönes Gesicht, in das ich mich vor vier Jahren unsterblich verliebt hatte. Die Isar würde bald über die Ufer treten. Fanny brach es das Herz Anna leiden zu sehen und ich fühlte so etwas wie Scham in mir aufkommen. Sie wissen schon, die Frau des Trainers …
Ich sagte ihr, dass wir uns in großer Gefahr befinden. Ist es ein Wunder, dass sie sich ängstigte?
»Ich kann nicht anders. Der Mann, ein Herr Wille, hat mich beauftragt, den/die Mörder seiner Tochter zu finden. Die Angst in seiner Stimme war so intensiv, dass ich mich dem nicht entziehen kann. Du kennst mich. Mein Zwang zur Gerechtigkeit ist angeboren. Den kann ich nicht abstellen und mir ist im Laufe der letzten 48 Stunden klar geworden, dass ich den Auftrag annehmen muss, obwohl ich weder Geld dafür erhalte noch die Toten etwas davon haben. Ich muss einfach, verstehst du mich?«
Anna verstand mich. Ich las es in ihren Augen. Sie litt, auch das konnte man sehen. Stumm schaukelten wir in der Matte hin und her. Fanny ließ uns nicht aus den Augen, war aufmerksam wie ein Luchs beim Luchsen und ihm entging nichts, dessen war ich mir sicher und deshalb konnten wir uns auch sicher fühlen.
Noch.
»Ich glaube, da geht die Hölle ab. Geldwäsche in Milliardenhöhe. Riesige Waschsalons. Eigentlich könnte mir das egal sein, denn das System versaut ohnehin fast alles und schmeißt Geld zum Fenster raus. Mich stören die Morde und ich will die Täter und deren Hintermänner stellen. Der Dreck muss aufhören.«
»Warum du? Sag mir einen triftigen Grund, warum du dich in Gefahr begeben solltest. Du kannst weder die Welt retten, noch irgendetwas bewirken«, flehte mich die Fischer an.
»Weil ich es muss. Begreif das bitte. Die Ermordete war erst 22. Man hatte sie zur Prostitution gezwungen. Du weißt, ich bin keiner, der bei schönen Frauen „nein“ sagen kann. Sie war eine.
Aber:
Es geht um Gerechtigkeit. Darin bin ich altmodisch!«
Mein Statement war gesetzt.
Jetzt hieß es, Anna Fischer aus der Gefahrenzone zu bringen, bis ich wieder in der Stadt sein würde. Wohin mein Trip mich führen würde, war mir klar. Moldawien. Oder auch bei uns Republik Moldau genannt. Kein Land, in das man gerne freiwillig geht, obwohl es in Kischinau unzählige wunderhübsche Mädels gibt. Stolz, großgewachsen wie Anna, sexy und zu allem bereit. Weil sie aus dem Land wollen, weil sie bettelarm sind, weil sie Spaß an Sex haben.
Ich hatte da meine Erfahrungen gemacht …
Moldawien.
Der gekillte Killer ohne Kopf und Hand kam von dort. Die Mafiagruppe, die sich mit der Geldwäsche die Hände schmutzig macht, ebenfalls. Eins und Eins zusammengezählt. Dank Mario, dem Superbullen vom Dezernat 1. Der tote Schwule hatte Aufzeichnungen bei sich, wie sie die Geldtransfers organisieren. Staatssekretär Wille, das stand für mich fest, wusste davon. Sein DVD-Statement war nur teilweise ehrlich. Ein Verdränger, der Herr Staatssekretär …
Hatte einige wichtige Personen in der Hand.
Glaubte er.
Dabei hatten die seine Tochter in der Hand. Ich wusste auch, an wen ich mich wende, wenn ich erst einmal dort bin. Moldau … Erinnerungen … Es würde nicht ganz einfach sein, dass ich mich unbemerkt aus München wegschleichen kann. Aber wozu bin ich vom Fach.
Was die können, kann ich auch.
Besser!
»Fischer, ich glaube, es ist das Beste, wenn du für die Zeit, die ich auf Reisen bin, das Land verlässt. Ihr habt doch ein Ferienhaus in Kapstadt. Flieg morgen da hin. Solange kann ich dich beschützen. Ja, so ernst ist es!«
»Ich gehe ohne dich nirgendwohin. Das weißt du doch, Bastard!«
»Keine Widerrede, Flittchen. Du buchst jetzt gleich für uns beide einen Kurztrip nach London. Bei einer Airline, die auch nach Kapstadt fliegt. Ich checke das gleich mal. Wir packen beide. Wir checken nach London ein, nur mit Handgepäck, aber dann buchst du direkt noch in München um nach Kapstadt. Bleibst bis zu deinem Flug im Auslands-Abflugbereich. Da können die, die hinter mir her sind, auf die Schnelle nicht rein. Dann fliegst du nach Kapstadt. Da bist du sicher. Ich weiß, wie ich wieder aus dem Abflugbereich komme, ohne dass man mich sieht. Bleibe in München und trete morgen meinen Trip an. Bis dahin bin ich unsichtbar. Fragt sich nur: Was machen wir mit Fanny?«
Fanny hatte aufmerksam zugehört und er ahnte, was auf ihn zukommen würde.
Sein Blick war vernichtend.
»Doch!«, sagte ich zu ihm, »das muss sein!«
»Bitte deine Eltern, dass sie Fanny für ein paar Tage nehmen. Nur solange, bis wir aus London zurück sind. Das kannst du ihnen doch verklickern, oder?«
»Kann ich. Mir schlagen sie keinen Wunsch ab und ich werde sagen, dass ich kurzfristig einen Job von Armani für London reinbekommen habe und du mich, ausnahmsweise, auf die Insel begleitest. Mein Vater wird uns zum Flughafen bringen.«
»Super Idee. So machen wir es. Pack schon mal ein paar Klamotten zusammen, für dich und mich. Ich kümmere mich um Flüge.«
Anna zog sich ein Kleid über und ging zum Haupthaus, ihre Eltern bezirzen. Ich erläuterte Fanny die Lage und bekam mein Fett weg. Er mochte den Alten so wenig wie ich. Der war aber auch verdammt arrogant und großkotzig. Fake-Dealer. Wenn das alles ist … Aber im Moment war das für uns drei die sicherste und beste Lösung. Anna verschwindet von der Bildfläche, ich auch und Fanny beschützt den riesigen Steinhaufen, genannt Villa, und hat ein Dach überm Kopf. Jessica Fischer, Annas Mutter, ist ja ganz passabel. Sie liebt ihre Tochter abgöttisch und selbst mit Fanny kommt sie einigermaßen zurecht. Sie mochte Tiere, wenn auch nicht gleich einen 98-Kilo-Brocken wie Fanny …
Es gab eine Maschine um 20:30 Uhr nach London und ebenfalls mit der BA einen Flug um 22:00 Uhr nach Kapstadt. Das passte.
Anna kam zurück. Victoryzeichen. Also grünes Licht.
»Hier, schau mal. Buche bitte die Londonflüge. Irgendetwas werden die noch haben.«
Ich hatte ja seit meiner Entlassung keine private Kreditkarte mehr. Die, die ich noch hatte, war Eigentum des LKA, die konnte ich für den Zweck nicht benutzen. Dann hätte jeder Esel checken können, wohin ich geflogen bin und eine neue private hatte ich mir bewusst nicht ausstellen lassen. Nach außen hin gesagt.
Erstens weil keine Kohle da war, die ich hätte abheben können, und zweitens war es auch gut so, denn dann konnten ‚die‘ – mein Ex-Verein – mich schwerer überwachen.
Wir hatten Glück. In der Businessclass gab es noch ein paar Plätze. Die Taschen waren schnell gepackt. Ich musste noch auf einen Abstecher in meine Bude.
Fanny wurde unruhig und der Alte würde uns tatsächlich, wenn auch widerwillig, zum Franz-Josef-Strauss-Airport bringen. Einen besseren Schutz konnte ich mir für uns gar nicht wünschen. Ich brachte Fanny zur Villa der Alten. Jessica tat zumindest so, als ob sie sich freuen würde. Meinen vierbeinigen Beschützer hatte ich gebrieft, der würde keine Probleme machen.
17:42. Schon fuhr der Alte mit seinem Bentley vor. Wir warfen die Taschen in den Kofferraum, Jessica winkte, Fanny heulte und schon waren wir auf dem Weg. Umweg über die Thierschstraße. 67 Kilometer bis zum Airport, Rushhour schon auf der Leopoldstraße – die Zeit würde dennoch reichen.
Im Auto herrschte Ruhe. Auf halber Strecke, in Fröttmaning, bat ich um eine kurze Pinkelpause.
Mit mir wollte Manfred Fischer nicht reden.
Der Entschluss zu fliegen war eine spontane Aktion, aber in Anbetracht der Aggressivität der Mafiosi nicht verkehrt. Das gab ihnen weniger Chancen, uns zu überwachen.
»Guten Flug euch beiden!«
Dazu raffte sich Fischer auf. Gab seiner Tochter eine Kuss auf die Stirn, an mir schaute er vorbei, stieg wieder in seinen schwarzen Bentley Flying Spur und verschwand in die Nacht.
Mein Smartphone hatte ich bei mir zu Hause gelassen. Anna würde sich in Südafrika eines kaufen und mit einer Prepaid-Karte ihre Eltern anrufen können. Dass ‚die‘ so gut ausgerüstet sein würden, dass sie Anna in Südafrika finden, davon war nicht auszugehen. Dass mein Job nicht nur ein paar Tage dauern würde, das hatte ich Anna nicht gesagt. Fanny würde ebenfalls stinksauer sein, mich aber auch verstehen. Dessen war ich mir sicher.
Am Flughafen bat ich Anna, mir ein paar Tausender abzuheben. Ich brauchte mindestens zehn, um über die Runden zu kommen. Die Fischer fragte nicht nach und brachte mir glatte zwanzig. Ein Goldschatz. Wir checkten nach London ein. Bisher war alles nach meiner Zufriedenheit verlaufen. Im Auslandsbereich steuerten wir als erstes British Airways an. Auf der Maschine nach Kapstadt war noch ein Platz erster Klasse frei. Gut für Anna, so konnte sie sich die Nacht über ausruhen.
Der Abschied war spannungsgeladen. Auch an mir perlte die Situation nicht einfach so ab.
»Wenn ich meinen Trip erfolgreich beendet habe, melde ich mich bei dir über euren Festnetzanschluss in Somerset West. Ich klingele dreimal durch. Erst dann hebst du ab und weißt, dass ich es bin. Okay? Du kannst mich nicht erreichen. Mach dir bitte keine Sorgen. Wichtig ist, dass du außer Schussweite bist.«
Anna war sehr nervös. Sie kaute auf ihren Fingernägeln, ein ganz schlechtes Zeichen.
Vielleicht bin ich ja auch ein riesiger Idiot!
Was geht mich der Wille an, seine Tochter erst! Ihn habe ich für zehn Sekunden gesehen, die Tochter kannte ich gar nicht. Sollten die doch machen, was immer sie wollten.
Die ganze Aktion, die ich veranstaltete, war hirnrissig.
Idiotischer Altruismus!
Scheiß LKA, scheiß Ausbildung, scheiß Gerechtigkeitssinn.
Doktor, du hast einen an der Klatsche!
Trotzdem schlich ich mich aus dem Abflugbereich. Wartete noch, bis die Maschine nach Kapstadt in der Luft war. Dann hielt ich ein Taxi an, das gerade den Airport ansteuerte. So konnte ich sicher sein, dass man mich nicht verfolgen kann. Ich wusste schon, wo ich heute Nacht schlafen würde. Nein, keine Angst: nicht bei Hannilein …
Danach stand mir nicht der Sinn. Es gab noch viel zu tun, um meine Reise nach Moldawien antreten zu können …