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Johnnys Kindheit ab 1975

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Johnny wurde 1975 in Darmstadt geboren und wuchs im Vorort Eberstadt auf. Er war der Sohn des Bauunternehmers Walker Mackebrandt und der Rechtsanwältin Margot Mackebrandt. Das Leben von Johnny war ein Musterleben. Oder besser gesagt, sollte es sein. Von außen schien es auch so. Zwei Jahre vor seiner Geburt hatten sich seine Eltern Walker und Margot Mackebrandt kennengelernt. Damals arbeitete Walker Mackebrandt in der kleinen Baufirma seines Vaters, Johnnys Großvater.

Er war gerade mit dem Studium fertig geworden und hatte sich bei verschiedenen Firmen beworben. Während er auf eine positive Antwort wartete, half er in der Firma seines Vaters, die ständig gegen die Pleite kämpfen musste. Er hatte nicht vor, in dieser kleinen Stadt und in der Nähe seiner Eltern zu bleiben, deswegen bewarb er sich nur bei Firmen, die in großen Städten saßen.

Aber der frühe Tod seines Vaters änderte seine Zukunft. Er nahm sich aus bis heute ungeklärten Gründen das Leben. Walker blieb doch in Darmstadt, denn die Firma seines Vaters zu retten wurde für ihn eine persönliche Sache, eine Ehrensache. Bald wurde die Firma Mackebrandt Bau die größte Baufirma der Region, und der Name Mackebrandt eine Institution in Darmstadt.

Walker machte die Bekanntschaft mit Margot, als er Baumaterial bei ihren Eltern abliefern musste. Sie war allein zu Hause und lernte für ihr Abitur. Eine Woche später trafen sie sich zufällig in der Straßenbahn nach Eberstadt wieder, und seitdem waren sie nicht mehr zu trennen.

Margot studierte nach ihrem Abi Jura in Frankfurt und zwei Jahre später heirateten sie. Sehr schnell, noch während des Studiums, wurde sie schwanger und 9 Monate später, vor exakt 32 Jahren, wurde Johnny W. Mackebrandt geboren. Der kleine Johnny war für die Familie Mackebrandt das Zentrum des Lebens. Als einziges Enkelkind auf beiden Elternseiten wurde er entsprechend verwöhnt und bekam alles, was er wollte und auch alles, was er nicht wollte und gar nicht brauchte.

Er wuchs in einem sehr behüteten Umfeld auf, in dem man sich über Geld keine Gedanken machen musste, es aber ein wichtiges Statussymbol war. Es wurde nicht nur luxuriös gelebt, sondern es wurde auch gezeigt und präsentiert, wie reich man war und in welchem Luxus man lebte.

Als Johnny 7 war, zogen seine Eltern aus Eberstadt direkt nach Darmstadt, in das noble Steinbergviertel, wo sie zu dritt in einer riesigen, dreistöckigen Villa wohnten. Margot war mit dem Studium fertig und arbeitete nun als Rechtsanwältin in einer Kanzlei in Frankfurt.

Die Firma Mackebrandt Bau wurde immer größer und erhielt sogar Aufträge aus dem Ausland. Beide Elternteile waren beruflich erfolgreich und gesellschaftlich anerkannt, aber privat unglücklich.

Der kleine Johnny liebte es Fußball zu spielen, und nach einigem Zögern stimmte die Familie zu, dass er in einer Mannschaft spielen durfte. Häufig musste seine Oma ihn zum Training und auch zu den Spielen fahren. Seine Mama schaffte es meist, am Wochenende Zeit zu haben, aber sein Papa kam selten. Er hatte immer etwas zu tun, war ständig auf Veranstaltungen, und wenn er zu Hause war, wurden Gäste eingeladen.

Der kleine Johnny hatte seinen Vater selten für sich allein und das machte ihn sehr traurig. Er hatte alles, was andere Kinder nicht hatten, er konnte sich alles kaufen und bestellen lassen, aber das, was die anderen Jungs in seinem Alter hatten, vermisste er sehr: seinen Papa und eine normale Familie. Er träumte davon, im Sommer nachmittags nach der Schule oder am Wochenende mit seinem Papa auf den Fußballplatz zu gehen und Fußball zu spielen. Er träumte davon, mit Papa und Mama einfach zu spielen, auf seinen Vater zu hüpfen, mit ihm Quatsch zu machen. Aber dieser Traum wurde selten Wirklichkeit. Wenn er sich beklagte, sagte die Oma nur: „Deine Eltern müssen so viel arbeiten, damit es dir gut geht.“ Johnny verstand das nie richtig und war sehr traurig darüber. Er fing an, an seinen Fingernägeln zu kauen, sich immer an den Kopf zu schlagen, und seinen Frust verarbeitete er mit Sport: viel Fußball, Schwimmen und Fitness im Sportkeller der Villa.

Fußball spielte er sehr gut und er wurde bei den Spielen seiner Mannschaft fast immer aufgestellt. Er war zielstrebig, fleißig und zuverlässig, genau die Werte, die man ihm zu Hause mitgab. Er bekam eine elitäre Erziehung, bzw. eine Erziehung für Menschen, die morgen herrschen würden. Diese Werte bekam er aber nicht direkt von den Eltern, sondern von einem Lehrer, der speziell dafür engagiert worden war.

Seine Familie hielt es für sehr wichtig, dass er nur mit Kindern entsprechender gleichwertiger Familien verkehrte. Die Eltern entschieden somit, wer seine Freunde sein sollten. Das hasste er sehr, weil viele Kinder vom Fußball, die er gern nach Hause eingeladen hätte, nicht aus so ruhmreichen Familien kamen. Hautfarbe, Herkunft, Religion, Erziehungsweise waren allerdings nicht wichtig. Wichtig für seine Eltern war allein, wie vermögend sie waren.

Seine Eltern fragten immer, wenn er ein Kind nach Hause einladen wollte: „Was machen ihre Eltern? Wo und wie wohnen sie?“ Niemals Fragen wie „Sind sie nett?“. Das war weniger interessant. Dass viele dieser Kinder reicher Eltern ständig Pornos anschauten, Zigaretten rauchten, sich asozial benahmen, böse Wörter benutzten oder respektlos waren, war nicht wichtig.

Er hasste es, wenn er sich mit den Kindern von Freunden seiner Eltern traf und sie immer nur über das neue Handy, Tablett, den neuen Laptop, oder die neue Sony Playstation redeten. Er hasste es dabei zu sein, wenn diese Freunde bei anderen Kindern angaben, wie viel ihre Eltern verdienten, dass sie ein neues Haus kaufen wollten, wie viel Geld sie im Urlaub ausgegeben hatten, wie teuer ihre Kleidung war. Er fühlte sich nicht dazugehörig und fand es peinlich, den Reichtum der Eltern zur Schau zu stellen. Er verstand seine Eltern nicht. „Reichtum bedeutet offensichtlich nicht gut erzogen zu sein“, meinte er schon in seinem jungen Alter. Er empfand diese von den Eltern ausgewählten Freunde als die schlimmsten. Sie konnten überhaupt kein Vorbild für ihn sein.

Wenn er etwas machte, machte er es voll und ganz. Es war für seinen Vater wichtig, dass er immer der Beste war. Das Einzige was er von der Schule wissen wollte, war: „Hast du eine Eins bekommen?“ und vom Fußball: „Wie viele Tore hast du geschossen?“ Er musste immer abliefern und der gute Sohn sein, mit dem man überall angeben und zeigen konnte, dass man eine tolle Familie hatte. Doch in Wirklichkeit war alles nur zum Schein. Er gab in allem sein Bestes, so auch im Fußball, hatte keine Angst vor Verletzungen und Verlusten, war sehr kämpferisch. Das gefiel seinem Trainer sehr, und obwohl er nicht herausragend talentiert war, war er dennoch immer dabei.

Dann kam dieser Tag, der Tag des Schreckens. Es war im Mai 1990. Obwohl er die letzten Tage eine schwere Erkältung gehabt hatte und Antibiotika einnehmen musste, hatte er sich entschieden, das nächste Spiel zu spielen. Als Kind eines Mackebrandts durfte er nicht einfach so aufgeben. Es war ein wichtiges Spiel und viele Eltern waren da bei. Es war eine gute Gelegenheit für seinen Vater dabei zu sein und jedem, der aussah wie er, seine Karte zu geben. Johnny fand dieses Verhalten widerlich. Schon mit 15 ahnte er, dass das mit wenig Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu tun haben musste.

An diesem Tag passierte es. Er erinnerte sich noch daran, wie er mitten beim Spiel der TSG 1846 gegen den SV Darmstadt 98 plötzlich auf dem Boden lag und alles vor seinen Augen verschwamm. Er erinnerte sich noch, dass er wie im Traum etwas hörte: „Schnell, schnell, einen Krankenwagen! Ruf einen Krankenwagen!“, und auf einmal war der Blackout da. Er war gerade 15 Jahre alt. Danach konnte er nie wieder Fußball spielen.

Kurz nach diesem Erlebnis beim Fußball und dem ersten Auftreten von Johnnys gesundheitlichen Problemen geschah etwas, das seine Welt völlig aus dem Gleichgewicht brachte. Sein Vater Walker nahm sich das Leben. Johnny empfand diesen Tod als persönlichen Angriff gegen ihn. Und er machte sich viele Vorwürfe. Hatte es daran gelegen, dass er seinem Vater die Liebe verweigerte und kaum Bindung zu ihm hatte? Hatte es daran gelegen, dass er unglücklich gewesen war und sein Vater es bemerkt hatte? Hatte es daran gelegen, dass er seinem Vater einmal gesagt hatte, er solle sich mehr um seine Familie kümmern, statt um den Ruhm bei falschen Freunden? Hatte es daran gelegen, dass er kein Interesse gehabt hatte, den Ingenieurberuf zu erlernen wie sein Vater? Dass er immer das Gegenteil gemacht und gewollte hatte als sein Vater? Tatsache war, dass ihn dieser Selbstmord, genau wie der seines Großvaters, schwer erschütterte.

Er erinnerte sich an den besagten Tag, an dem er gegen 14 Uhr von der Schule nach Hause kam und den Krankenwagen und das Polizeiauto im Hof des Hauses sah. Er hatte sofort gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war, und dass es um seinen Vater gehen musste, da dessen Auto im Hof stand. Normalerweise war er um diese Uhrzeit nie zu Hause. Ein Polizist kam auf ihn zugerannt und brachte ihn sofort ins Wohnzimmer. Der Weg in den Keller war versperrt, sonst war alles ruhig. Das Dienstmädchen war nicht zu sehen.

Der Polizist blieb bei ihm und hatte offensichtlich Schwierigkeiten, eine Erklärung abzugeben. Er schaffte es nicht, ihm in die Augen zu schauen und sagte ihm nur, er müsse noch ein bisschen warten. Bald kam eine Polizistin und fragte ihn, ob er wisse, wie man seine Mutter erreichen könne. Er war wie in Trance und ahnte, was passiert war. Er tat alles, was von ihm gefordert wurde, ohne ein Wort zu sagen. Leider war die Mutter zuerst nicht zu erreichen, sie war auf dem Rückweg von einem Kongress in Mailand. Aber 10 Minuten später rief sie an und sagte, dass ihr Flug gelandet und sie fast schon in Darmstadt sei. Er redete nicht mit ihr. Sie telefonierte mit der Polizistin, die ihr nicht direkt sagte, was los war, sie aber bat, schnell nach Hause zu kommen.

Er spürte nur noch Wut. Auch in diesem harten Moment war seine Mutter nicht da, um ihm zu erklären, was los war und ihn zu trösten. Er wollte die Wahrheit nicht aus dem Mund der fremden Leute hören. Er stand auf und rannte schreiend aus dem Haus und war weg.

Er kam 20 Minuten später zurück, seine Mama war schon da und weinte. Dann erfuhr er, was er geahnt hatte. Sein Vater hatte sich, ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen, das Leben genommen. Er hatte sich erhängt. Er hatte den schlimmsten Tod gewählt und seine Familie damit verflucht. So hatte Walker auch immer über den Tod seines eigenen Vaters, Johnnys Großvater, geredet und jetzt hatte er das Gleiche getan. War gegangen, ohne etwas zu erklären, damit jeder sich Vorwürfe machen konnte. Johnny war so außer sich vor Wut, dass er nicht einmal um seinen Vater weinte.

Er entschied sich weiterzuleben und niemals so zu werden wie sein Vater. Er hasste seine Familie. Er wollte niemals so viel Geld haben. Er wollte keine Frau haben, die Karriere machen wollte und wollte dies selber auch nicht. Er wollte in keinem großen Haus wohnen. Er wollte nichts von seinem Vater haben. Auch nicht seine berühmten Ratschläge wie:

„Du bist dein Gott. Du lebst für dich. Denk zuerst an dich, jeder ist Meister seines Schicksals.“

Loslassen: Glückssegen hat kurzen Weg

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