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Kapitel zwei

Tanz der Sczarni

Gib mir einfach das gottverdammte Geld.“

Nicola beugte sich vor, um über seine dürre Nase zu mir hinunterzublicken, und stierte mich mit seinen schwarzen Augen an. Er hatte keine Ahnung, wie sehr er durch diese Haltung einem riesigen Grashüpfer ähnelte. Wenn wir Publikum gehabt hätten, hätte ich es ihm gesagt, nur um zu sehen, wie er rot anlief. Unglücklicherweise hatte sich sogar der angeheuerte Fahrer von uns entfernt, um seine Pfeife ungestört von Nicolas Beschwerden über den Rauch genießen zu können. So standen wir allein neben dem Wagen, der mit Vorräten für die Expedition beladen war. Die aufgehende Sonne hatte den Morgennebel vertrieben, und langsam wurde es warm auf der gepflasterten Straße, die sich von den geschäftigen Märkten ausgehend den Hügel hinaufschlängelte. Wir hatten unsere Einkäufe erledigt und ich war erpicht darauf, für einen kühlen Schluck des lokalen Gebräus wieder hinunter zum Markt zu kommen.

„Gerade du solltest wissen“, sagte Nicola, „dass ich meine Pflichten ernstnehme. Der Herr hat mir aus gutem Grund seine Börse anvertraut, und er hat nichts von einem Taschengeld für dich erwähnt, nachdem du zusätzlichen Schutz für uns angeheuert hast. Da das nun erledigt ist, nehme ich an, dass du über genügend eigene Mittel verfügst, um dich auf dem Markt zu amüsieren, oder wo auch immer du in Caliphas deine Freizeit verbringen willst. Falls nicht, gebe ich dir den Rat, besser auf dein Geld zu achten. Es wäre mir ein Vergnügen, dir eine simple Methode für eine monatliche Kostenabrechnung zu zeigen ...“

„Hör zu.“ Ich stieß ihm mit dem Finger auf die Brust, nicht zu hart, da ich keinen blauen Fleck hinterlassen wollte, den er dem Prinzipal hätte zeigen können. „Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du die Börse gar nicht mehr.“ Der junge Beutelschneider, dem wir zuvor begegnet waren, war kein Anfänger gewesen, aber ich hatte mehr Übung als er mit seinen zehn oder zwölf Jahren.

„Und für diesen Dienst werde ich dich mit Freuden Seiner Exzellenz empfehlen“, sagte Nicola. „Und als persönlichen Dank werde ich darüber hinwegsehen, dass du die Aufmerksamkeit der Gendarmen auf uns gezogen hast.“

Da konnte ich kaum widersprechen. Die kleine Kanalratte hatte mich gebissen, als ich ihn um die Börse erleichterte, und wir hatten so nahe am Wasser gestanden, dass ich nicht hatte widerstehen können und ihn hineinschmiss. Mir hätte klar sein müssen, dass er sofort Zeter und Mordio schreien würde, sobald er nach Luft schnappend an die Oberfläche kam. Trotz Nicolas makelloser Jeggare-Livree sah der Wächter, der uns angehalten hatte, in uns beiden keine unschuldigen Besucher seines schönen Landes sondern zwei Ausländer mit einer fetten Geldbörse. Mein teuflisches Aussehen half dabei wenig. Che­laxianer sind selten irgendwo willkommen, aber eine Höllenbrut reicht aus, um einen Aufstand anzuzetteln.

Ich atmete tief durch und schenkte Nicola ein schmales Lächeln, weil es keinen Sinn gehabt hätte, ihm zu drohen. „Hör zu, der Wächter wollte nur ein kleines Stück vom Kuchen. Das ist alles, was ich dir sagen wollte.“

„Du meinst, so etwas wie ein Schmiergeld?“ Nicolas Wangen wurden rot.

Desna weint. „Ich meine genau so etwas wie ein Schmiergeld.“

„Mach dich nicht lächerlich. Er hat immer wieder betont, dass es ihm nur um das Wohlergehen dieses Straßenbengels ging ...“

„Der sich verzogen hat, weil er ein Taschendieb war.“

„... und um die Aufrechterhaltung des Friedens entlang des Ufers ...“

„Der von dem Bengel gestört wurde, der deine Börse geklaut hat.“

„Wenn dein Varisisch zu etwas mehr ausreichen würde, als zu ein paar Phrasen, um Bier zu bestellen und die Dienste von Prostituierten in Anspruch zu nehmen, hättest du verstanden, dass der Mann nur seine Pflicht getan hat.“

„Warum hat er dann seine Hand so aufgehalten?“ Ich demonstrierte es ihm.

Nicola blickte auf meine Hand hinunter. Ich übertrieb nicht zu sehr, doch man konnte diese Aufforderung unmöglich missverstehen. „Ich hatte angenommen, es sei eine lokale Geste“, sagte er. „Außerdem ist er schließlich doch weggegangen, oder nicht?“

„Sicher doch“, sagte ich mit so viel Sarkasmus, dass ich fürchtete, meine Lippen würden gleich bluten. „Und wann genau war das nochmal?“

„Gleich nachdem du seine Hand geschüttelt ...“ Er stand einige Sekunden mit einem komischen Gesichtsausdruck da, als der Groschen langsam fiel. „Du hast ihm Schmiergeld gezahlt!“

„Den Rest von meinem Kleingeld“, sagte ich, „weshalb ich auf den Aquirierungsfonds zurückgreifen muss.“ Nun wurde es Zeit für Nicola zu kapieren, dass es einfacher war, mir das Geld zu geben. Er war zwar ein händeküssender Speichellecker, aber nicht völlig verblödet. Manchmal brauchte er nur einen kleinen Stoß in Richtung Vernunft. Ich winkte mit meiner Hand und hielt sie so auf, wie der Stadtwächter es getan hatte.

„Das kannst du vergessen, Radovan“, sagte er mit einem griesgrämigen Blick. „Trotz deines offensichtlichen Grolls darüber, dass mir Graf Jeggare vertraut, habe ich versucht, dir ein Freund zu sein. Zweifellos hast du in der Vergangenheit den zwangloseren Umgang mit dem Herrn genossen, aber da er mich in seine Dienste genommen hat, solltest du keinen Zweifel daran haben, dass er eigentlich eine traditionelle Rangordnung unter seinen Dienern bevorzugt.“

„Eigentlich bin ich nicht sein Diener, sondern ...“

„Sei mir gegenüber bitte so höflich und unterbrich mich nicht. Ich versuche, dir zu helfen, Radovan. Viele in meiner Position würden dies nicht tun. Nein, ich spreche nicht von den unglücklichen Umständen deiner Herkunft – natürlich beuge ich mich in all diesen Dingen dem Urteil des Herren, und da er es für angebracht hält, dich trotz des höllischen Schandfleckes auf deiner Familie in seinen Diensten zu haben, unterstütze ich seine Wahl vorbehaltlos. Stattdessen ist es vielmehr der Schatten, unter den dich deine eigenen Handlungen gestellt haben, Radovan, der verhindert, dass andere dich in einem so sympathischen Licht sehen, wie ich es immer getan habe. Kam nach dem bedauernswerten Vorfall mit dem Wein des Herrn je ein Wort der Verurteilung über meine Lippen? Nein, kam es nicht, Radovan!“

Wenn er meinen Namen noch einmal gesagt hätte, wäre es mir schwergefallen, ihm nicht mein besonders breites Grinsen zu zeigen, und das endete immer übel. Stattdessen atmete ich tief durch die Nase ein und zischte: „Du hast ihm gesagt, ich sei der derjenige gewesen, der den Seeleuten verraten hätte, dass Wein im Frachtraum lagerte.“ Ich wusste nicht, ob das stimmte, doch die Art, wie böse der Prinzipal mich nach seiner Unterredung mit Nicola angesehen hatte, war ein ziemlich guter Hinweis gewesen. Der Prinzipal hätte mir dankbar sein müssen. Ich bin der Einzige, der es ihm sagt, wenn er zu tief im purpurnen Meer schwimmt. Alles, was ich getan hatte, war – ganz zwanglos und in Hörweite der Mannschaft – zu erwähnen, dass eventuell ein paar Dutzend Flaschen guten chelischen Weines in der Kabine der roten Kutsche verstaut wären, die sie mit so viel Mühe in den oberen Lade­raum verfrachtet hatten. Diese Arbeit hätte sicher durstig gemacht, hatte ich – mehr oder weniger – beiläufig erwähnt. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass der abstinente Kapitän den Rest des Weines über Bord werfen lassen würde? Ich konnte schließlich nicht der Einzige gewesen sein, der mitgehört hatte, wie er Cayden Cailean und all seine betrunkenen Diener verflucht hatte, während er seiner verkaterten Mannschaft Befehle zubrüllte.

Nicola hob in schlechter Nachahmung des Prinzipals eine Augenbraue, und ich wusste, dass ich richtig geraten hatte. Er sagte: „Der Herr wünschte, dass ich ihm einen wahrscheinlichen Grund für das Verschwinden seines persönlichen Vorrates nannte, und es war meine Pflicht zu gehorchen. Ich habe mich allerdings nicht schlecht über deinen Charakter oder über die Gewissheit deiner Schuld geäußert. Wie ich jedoch bereits gesagt habe, liegt es an deiner eigenen Unfähigkeit, wenn du das Vertrauen des Herrn verloren hast, und nicht an irgendeiner eingebildeten Konkurrenz meinerseits. Außerdem, während es dir gefällt, den Begriff ‚Diener‘ zu verunglimpfen, hat meine Familie seit Generationen voller Dankbarkeit den Herrschern von Egorian gedient, und ich bin nicht weniger stolz als mein Urgroßvater Orellius, der täglich die Stiefel und die Schwertscheide des großen Generals Fedele Elliendo polierte, mich den Bedürfnissen unseres geehrten Herrn und Meisters, Graf Varian Jeggare, anzunehmen.“

Ich wartete einen Moment, um zu sehen, ob Nicola sein Ziel aus den Augen verloren hatte oder sich bloß aufplusterte. Als er mich ansah, als erwarte er eine Antwort, klopfte ich ihm leicht auf den Arm und sagte: „Tja, Nicola, du hast mich erwischt.“

„Du verstehst also?“, fragte er zögernd.

„Voll und ganz“, antwortete ich und tätschelte ihm erneut den Arm.

„Ausgezeichnet“, sagte er. „Einen Moment lang fürchtete ich, du könntest die Beherrschung verlieren. Ich bin froh, dass wir diese Möglichkeit genutzt haben, uns auszusprechen. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich muss noch einige Dinge für die nächste Etappe der Reise des Herrn erstehen.“ Er zupfte am Revers seiner Jacke und wartete, ob ich ihm die Hand reichen würde. Was ich auch tat und ordentlich zudrückte, aber nicht so fest, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb.

„Danke, Nicola. Ich bin froh, dass wir diesen kleinen Plausch halten konnten.“ Ich winkte und schlenderte davon – dieses Schlendern hatte ich für ebensolche Gelegenheiten eingeübt – und klopfte auf die fette Börse, die ich ihm gerade stibitzt hatte. Sehr bald würde es Nicola sein, der die Beherrschung verlor.

Abgesehen von dem Geschrei der Sklavenhändler oben auf ihren Gerüsten ist der auffälligste Unterschied zwischen den Märkten von Caliphas und Egorian der Geruch von Knoblauch. Wir Chelaxianer mögen das Zeug. Wir ertränken nur nicht alles darin, wie es diese Ustalaver tun. Vielleicht sollte ich mich langsam daran gewöhnen, „wir Ustalaver“ zu sagen, da die Hälfte meines Blutes, die nicht direkt aus der Hölle stammt, gänzlich varisisch ist, vielleicht gänzlich ustalavisch. Ich würde meine Mutter fragen, aber wir haben nicht viel geredet, seit sie mich verkauft hat.

Knoblauch ist, wie der vielzitierte Nebel, eines dieser Dinge, die jeder unten im Süden mit Ustalav in Verbindung bringt. Da die Bevölkerung größtenteils varisisch ist, erwartet man solch eine gewisse Würze zusammen mit den Armreifen und Schleiertänzen, aber langsam begann ich mich zu fragen, was zuerst da war: der Knoblauch oder der Vampir?

Der Prinzipal ist nicht humorlos, obwohl er bei denen, die ihn nur flüchtig kennen, diesen Eindruck erweckt. Als er mir erzählte, dass die Bewohner von Ustalav zu jeder Mahlzeit Knoblauch essen, um Vampire abzuhalten, war ich mir nicht sicher, ob er mich auf den Arm nahm. Ich meine, klar, eine der Kisten, die Nicola auf seiner Inventarliste stehen hatte, war voller silberner Klingen und Armbrustbolzen, dazu noch Phiolen mit heiligem Wasser, Bündel von Eisenhut, all dieser Kram. Das beunruhigte mich nicht, da ich bereits einige Male mit Werratten aneinandergeraten war, als ich damals bei der Bocksherde war. Ich wusste also, dass es eher Pragmatismus denn Aberglaube war.

Aber mal im Ernst: Knoblauch? Wenn dieses Zeug wirklich wirken würde, würden die Vampire nur einmal an den Mauern von Caliphas schnuppern und niemals zurückkommen. Andererseits ist das vielleicht der Beweis, dass das Zeug wirkt, denn die meisten Vampirgeschichten, die ich gehört habe, spielen sich in irgendwelchen abgelegenen Dörfern ab. Vielleicht ziehen die Vampire von Ustalav Schäfer und Milchmädchen als Kost vor.

Was mich betrifft, bin ich mit einem Laib dieses körnigen Schwarzbrots und einer Kelle Pilzeintopf glücklich. Als ich den großen Markt erreichte, auf dem ich zuvor ein halbes Dutzend Wachleute für unsere Reise ins Inland ausgesucht hatte, lenkte mich etwas von meinem knurrenden Magen ab. Ich folgte der Melodie, bevor ich begriff, was mich anzog.

Zunächst konnte ich das Lied nicht von einem halben Dutzend anderer Weisen unterscheiden, die sich im Marktgetöse vermischten. Es gab einige kleine Gruppen von Straßenmusikanten, darunter auch eine Frau mit Opernstimme, die der Prinzipal sicher genossen hätte, wenn er nicht noch ins Elfenland starren würde – zweifellos berieselten ihn die hiesigen Adligen mit hiesigen Angelegenheiten. Ich ließ eine Münze in einen Korb neben einem jungen Mädchen fallen, das mit einem Ausdruck auf sein Hackbrett einhämmerte, der eher dazu gedacht war, Fliegen zu zerquetschen. Ich hielt einen Moment inne, um einem Gnom mit Backenbart zuzusehen, der auf einer Hirtenflöte spielte und um einen trommelnden Bären herumhüpfte. Abgesehen von mir und meinem Brötchengeber, war er der erste Nichtmensch, den ich in Caliphas gesehen hatte.

Das Lied wurde lauter als ich mich einem gewundenen Sträßchen näherte, das mit gestreiften Zelten gesäumt war. An jedes war ein Schild angebracht, einige mit varisischen Worten versehen, andere mit Bildern von Kristallkugeln, Zauberstäben, Karten und Kelchen. Ich kapierte. Das hier war die Mystikergasse, und durch die Öffnungen in den Zelten erspähte ich Handleser, Kristallkugelgucker, Knochenwerfer und Teesatzleser. Die meisten von ihnen waren alte Frauen, eine oder zwei auch jünger und schöner. Einer war ein gebrechlicher alter Mann, der einen purpurnen Turban und ein Pfund Schminke in dem vergeblichen Versuch trug, einem Vudrani-Mystiker zu ähneln. Er formte stumm ein Wort und zeigte mit einer knorrigen Klaue auf mich, doch ich ging weiter.

Das Lied war jetzt nahe genug, dass ich einige Wörter verstehen konnte. Hinter der letzten Biegung der Mystikergasse fand ich eine Gruppe von Städtern, die um ein weiteres, spitz zulaufendes Zelt herumstanden und mit ihren Händen zum Takt des Liedes klatschten. Ich drängte mich nach vorn, um einen besseren Blick zu erhaschen.

Der Sänger war ein junger Mann mit einem langen, schwarzen Schnurrbart und einem kleinen Bärtchen gleich unterhalb der Lippe. Seine Haut, sichtbar unter einer bestickten Weste, war gebräunt. Sein klarer Tenor verband sich mit der Melodie von einer kreischenden Fidel, die von einem schlanken, alten Mann mit grauem Haar und identischer Gesichtsbehaarung gespielt wurde. Sie und die anderen Musiker spielten auf einem ringförmigen Haufen ausgetretener Teppiche, während die Übrigen aus ihrem Clan sich unter das Publikum mischten und jeden dazu ermutigten, den Refrain mitzusingen. In dem Moment, als ich sah, wie sie sich unter den Zuschauern bewegten, wusste ich, was sie waren: Sczarni.

Über die ganze Welt verstreut, sind diese besonderen Clans von umherziehenden Varisiern Diebe, Landstreicher, Betrüger, Banditen, Beutelschneider, Mörder, Schmuggler und Halunken aller Couleur, von durchschnittlichem Grau bis zu Blutrot. Genau die Menschen, die ich mag.

Der Sczarni sang davon, durch Kiefernwälder zu laufen, über grüne Hügel zu wandern, im Nebel seiner Heimat zu baden, so etwas in der Art. Auch wenn ich nur die Hälfte der Worte verstand, konnte ich doch feststellen, dass es sich um ein fröhliches Lied handelte. Auch die Zuschauer mochten es, und sie sangen beim Refrain mit und klatschten zum Takt der drei Kistentrommeln. Als das Lied zu Ende war, überhäuften die Städter den Teppichring mit roten und silbernen Münzen. Ich nahm eine aus Nicolas Börse und warf sie hin, und erst, nachdem sie das Licht eingefangen hatte, erkannte ich, dass es eine aus Gold war. Was solls. Es war ein gutes Lied.

Die Farbe meines Geldes erweckte die Aufmerksamkeit einer der Sczarni-Frauen, die die Münzen einsammelten. Sie war so hübsch wie ein Frühlingsmorgen: Ein zarter Rotton zierte ihre Wangen, und sie trug gerade genug Farbe auf ihren Lidern, dass man hätte meinen können, eher die Natur denn Absicht hätte sie aufgetragen. Ihre Augen hatten die Farbe von frischem Moos, und als sie sich hinab beugte, um meine Münze aufzuheben, zog das Klingeln ihrer Armbänder meinen Blick auf ihre zarten Handgelenke.

Sie kniete dort für einen Moment und sah zu mir auf. Die Winkel ihres nicht geschminkten Mundes zuckten, und eine Sekunde lang wusste ich nicht zu sagen, ob es ein Lächeln oder ein spöttisches Grinsen war. Bevor ich mit einer meiner nützlichen varisischen Redewendungen herausplatzen konnte, rief ein Junge nach ihr.

Es war der Beutelschneider, den ich ins Hafenbecken getaucht hatte. Sein Haar war trocken, doch seine wollene Kleidung triefte noch immer, und ich sah, dass ein Stück graues Seegras an seiner Hose hing. Er spuckte ein paar Worte in Varisisch aus, von denen ich einige gut kannte. Ich zeigte ihm den Zinken, eine fiese Geste mit dem Zeigefinger und dem kleinen Finger an meiner Kehle. Es wirkt übler, wenn man weiß, wie wir in Cheliax Verbrecher hinrichten.

Der Bursche beschwerte sich lang und breit bei den Sczarni. Der junge Mann, der vorhin gesungen hatte, stellte ihm eine Frage, und wieder schnappte ich ein paar Worte auf: „Geld“ und „Fremder“. Da begriff ich, wie dumm es gewesen war, mein Gold aufblitzen zu lassen. Auch wenn sie nicht vor der Menge über mich herfallen würden, könnte ich einen langen Schwanz von Halsabschneidern hinter mir herziehen, wenn ich hier wegging.

Der grauhaarige Geiger sagte etwas, woraufhin das gesamte Lager der Sczarni in Gelächter ausbrach, doch das rot anlaufende Gesicht des Jungen sagte mir, dass der Witz auf seine Kosten ging, nicht auf meine.

„Wir stehlen nicht von denen, die freiwillig geben“, sagte die Schönheit vor mir. Ihr Taldani war ausgezeichnet, wenn auch mit starkem Akzent. „Dragos hat Recht. Du hast Milosch eine gute Lektion erteilt.“

Ich lächelte ein wenig und kratzte mir die Nase. „Und auch ein gutes Bad, hoffe ich.“

Einige der Sczarni lachten sofort und ebenso die anderen, nachdem der Geiger es übersetzt hatte. Milosch durchbohrte mich mit einem brennenden Blick.

„Ich heiße Malena“, sagte die Tänzerin. Ihr Haar war dunkler als eine Nacht bei Neumond, besetzt mit Juwelen, die wie Sterne zwischen den Wolken hervorblitzten.

„Radovan.“ Ich bot ihr eine vereinfachte Version einer dieser vornehmen Verbeugungen an, die der Prinzipal vor dem Spiegel übt, wenn er glaubt, dass keiner zusieht.

Malena musterte mich. „Du siehst aus wie ein Varisier“, sagte sie, „aber deine Kleidung ist die eines Ausländers.“ Ich hatte meine neuen roten Stiefel und die Jacke besonders lieb gewonnen. Alles war aus bestem chelischen Leder hergestellt und verbarg den Großteil meiner Arbeitsmittel. Ihr Kompliment machte die ständigen Diskussionen wett, die ich mit meinem Brötchengeber darüber auszufechten hatte, dass ich es vermied, die Jeggare-Livree zu tragen.

„Mein Name ist varisisch“, sagte ich. „Geboren wurde ich in Cheliax.“

„Aber deine Eltern stammen aus Ustalav?“

„Vielleicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. Die Chancen dafür standen ziemlich gut, aber ich wusste nicht genug über meine Eltern, um eine Unterhaltung über sie zu führen, also wechselte ich das Thema.

„Ich mag dieses Lied“, sagte ich. „Wie heißt es?“

„Das ist ‚Der Prinz der Wölfe‘, ein sehr altes Lied“, antwortete sie. „Vili singt es gut.“ Ohne ihre Augen von mir abzuwenden, nickte sie in Richtung des Sängers, der mir diesen territorialen Blick zuwarf, den ich häufig sehe, wenn ich mit schönen Frauen spreche.

„Ganz bestimmt“, sagte ich in dem Versuch eines Freundschafts­angebots. Ich konnte in Vilis Gesicht erkennen, dass er kein Wort Taldani verstand.

„Weißt du, wie Varisier tanzen?“ Sie bewegte ihre Hände so schnell, dass die Armreifen an ihren Handgelenken dabei klingelten und warf sich in eine Pose, die ich auf Kopien berühmter Gemälde gesehen hatte, von denen viele ihr verblüffend ähnlich sahen.

Bevor ich antworten konnte, spielte der Geiger zum Tanz auf. Noch vor dem zweiten Takt klatschten die Zuschauer mit über ihren Köpfen erhobenen Händen. Dieses Mal zogen sich die Musiker zu ihren Zelten zurück, ließen den Teppichring frei, und Malena wirbelte in die Mitte wie eine Königin auf ihrem Podium. Dort nahm sie eine weitere typische Pose ein, und die Menge grölte ihren Namen.

Zunächst schien sie sich kaum zu bewegen, doch die Reifen an ihren Handgelenken und Fesseln erklangen im Takt der Musik. Dann drehte sie sich, und ihre Rocksäume flogen hoch und entblößten schlanke, muskulöse Beine. In Egorian war eine Frau, die sich nicht rasierte, eine Seltenheit, und irgendetwas an ihren mit Flaum bewachsenen Waden kitzelte mich im Nacken. Es war entweder das oder ihr natürlicher Moschusgeruch, als sie so nahe an mir vorbeiwirbelte, dass ihre Haare mein Gesicht streiften. Ich erkenne eine Einladung, wenn ich sie sehe, also folgte ich ihr zu dem Teppich und fügte ihrem Dreierschritt ein Gleiten hinzu, um mich ihrem Rhythmus anzupassen. Die Menge lachte, doch Malena begegnete mir auf halbem Wege mit einem Seitschritt, sodass ich sie verfolgen musste, während sie mit einem hauchdünnen Schal, den sie aus ihrer Schärpe gezaubert hatte, Figuren in die Luft malte. Schon bald brachen die Einheimischen in Jubel wie in Gelächter aus, besonders, wenn ich einen Arm um Malenas Taille gleiten und sie wieder entkommen ließ, wenn sie mich mit dramatischer Geste weg stieß. Ich machte eine Schau daraus, nach meiner Börse zu greifen, um sicherzustellen, dass sie sie nicht hatte mitgehen lassen, und die Leute grölten vor Begeisterung. Sie liebten es zu lachen, und ich hatte für sie den Narren gespielt.

Malena wirbelte herum und lockte mich mit ihrem Schmollmund. Ich ahmte einen unter dem Pantoffel stehenden Ehemann nach, den ich in einer Straßenposse gesehen hatte, die Hände weit und niedrig ausgestreckt, das Gesicht um Verzeihung flehend. Ich kniete mich hin und bot ihr einen unsichtbaren Blumenstrauß.

Sie zierte sich, tanzte um den Kreis herum, sodass ihr Schal nach und nach die Gesichter der Männer streifte. Einige scheuchten sie weg, als ihre Frauen sie finster anblickten, während andere nach ihr griffen, doch keiner von ihnen war flink genug, um sie zu berühren, als sie sich zurückzog.

Ich machte einen Schritt auf sie zu, hielt dann jedoch inne. Als ich das letzte Mal an einer schönen Frau Gefallen gefunden hatte, hatte sich sehr schnell die Hölle aufgetan. Während der Monate danach hatte ich nicht einmal die Blicke der Damen des Gewerbes erwidert, und diese hatten begonnen, es mir übelzunehmen. Dennoch, vielleicht wurde es Monate später und fern von daheim allmählich Zeit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen und nach vorne zu blicken.

Während ich nachdachte, musste Malena mein Zögern gespürt haben, denn sie strich nahe an mir vorbei. Ihr Haar roch wie Gras im Spätsommer, und ich fasste einen Entschluss. Ich schlang einen Arm um ihre Taille, beugte sie in meinen Armen nach unten und küsste sie.

Was Küsse betrifft, war das nicht mein bester. Ich war zu sehr damit beschäftigt, für die Menge eine gute Figur zu machen, und sie war zu überrascht, um zu entscheiden, ob sie sich darauf einlassen oder mich wegstoßen sollte. Ich zog sie wieder hoch. Als ich sie auf die Füße stellte, bestätigte sich meine Vermutung, dass sie einige Zoll größer war als ich. Ich trat einen Schritt zurück, lud sie beinahe zu einer Ohrfeige ein, doch als sie ihre Hand auf meine Wange legte, war es nur eine sanfte Liebkosung. Sie lächelte mich strahlend an.

Irgendetwas traf meinen Schädel so heftig, dass es mir die Sicht nahm. Ich drehte mich um und machte einen Schritt zurück, während ich die Fäuste hob, um meinen Kopf vor einem weiteren Hieb zu schützen. Mein Blick klärte sich genug, um zu erkennen, dass Vili Malena von mir fortzog. Sie schrie ihn auf varisisch an, zu schnell, als dass ich ihr folgen konnte. Er ignorierte sie und starrte mich zornig an.

Nun gab es etwas, das ich noch mehr wollte, als ein Tänzchen mit Malena. Ich nickte in Vilis Richtung und winkte ihn mit altehrwürdiger Geste zu mir herüber. Die anderen Sczarni nahmen alle gleichzeitig Abstand, als hätten sie von vornherein gewusst, was geschehen würde. Natürlich wussten sie es – ebenso wie das Publikum, das näherkam, um besser sehen zu können.

Die Sczarni begannen, in einem unregelmäßigen Rhythmus zu klatschen, und die Menge schloss sich ihnen an. Sie hatten diesen Tanz schon einmal gesehen. Ich ließ Vili führen, und er fing an, mich von links nach rechts zu umkreisen, wie es ein ernstzunehmender Kämpfer niemals tun würde. Er machte eine Schau daraus – für das Publikum, für seine Kumpane und besonders für Malena. Ich ließ ihm Zeit für seine Darbietung, während ich ihn taxierte. Er war fünf oder sechs Zoll größer, aber ich war gut ein oder zwei Stein schwerer als er. Ich stürzte nach vorn.

Ein Messer erschien in seiner rechten Hand. Es war eine gekonnte Bewegung, so schnell wie Magie. Das Publikum keuchte, und ich kam in der Mitte des Teppichrings zum Stehen. Die Klinge war so lang wie eine Handspanne und sah scharf aus. Es war eine einfache Waffe, gut gepflegt und oft benutzt. Ich schätzte Vilis Fähigkeiten neu ein. Er war gefährlich.

Ich zog mein eigenes Messer aus der eingenähten Scheide an der Rückennaht meiner Jacke, wo der umgedrehte Griff des Messers aussieht wie der Schwanz, den ich nicht habe – was auch immer einige dieser lügnerischen Dirnen aus dem Listgang sagen mögen. Das Messer war doppelt so lang wie das Vilis, mit einer teuflischen Krümmung, die von den Halsabschneidern in Cheliax und den Priestern des Asmodeus bevorzugt wird. Ich hatte die Schneide heute Morgen geschärft, und die silberne Filigranarbeit glühte im Licht der Nachtmittagssonne auf.

Vilis Mund blieb unbeweglich, doch das Feuer war aus seinen Augen verschwunden. Er änderte die Richtung und umkreiste mich linksherum, bis er innehielt und eine Schau daraus machte, wie er das Messer auf den Teppich legte. Ich schüttelte meinen Kopf in gespielter Enttäuschung, trat jedoch einen Schritt zurück und stieß das Messer tief in den Block eines Goldschmiedes, der neben einem nahen Zelt stand. Aus den Augenwinkeln sah ich die Gestalt des Taschendiebes heranhuschen. Ich hielt meinen Blick auf Vili gerichtet und sagte auf Varisisch: „Nein.“ Dann, darauf hoffend, dass es jemand übersetzte, fügte ich auf Taldani hinzu: „Wenn du es anfasst, versohle ich dir den Arsch und schmeiße dich wieder ins Hafenbecken.“

Ich meinte es ernst. Das Messer war teuer gewesen.

Vili stürmte auf mich zu. Ich wich nach links aus, hakte sein Bein mit meinem Fuß ein und gab ihm einen Stoß, als er vorbeilief. Er stolperte, drehte sich jedoch wesentlich geschickter, als ich gedacht hatte, wieder um. Zähnefletschend senkte er den Kopf und knurrte. Seine Eckzähne waren lang und gelb. Gestank wie von einem Tier stieg von seiner Haut auf, und das blonde Haar auf seinen nackten Schultern wurde dicker.

Ich wünschte mir, wieder dieses Silbermesser in der Hand zu haben.

Der Kreis um uns herum vergrößerte sich, und die Menge wurde still. Vilis Knurren wurde tiefer, und auch sein Gesicht begann sich zu verändern. Seine dicken Augenbrauen wuchsen zusammen, während das Haar über seine sich verbreiternde Nase und über seine Stirn floss. Seine Kiefer wurden länger, und die großen Zähne wuchsen weiter. Bevor jemand „Werwolf“ sagen konnte, hatte er mich bereits angesprungen.

Ich ergriff seine langen Ohren und hielt sie fest. Er rammte seine Fäuste in meine Rippen, doch ich machte mir mehr Sorgen wegen der Zähne. Während ich mich darauf konzentrierte, seine Kiefer von meiner Kehle fernzuhalten, schoss sein Knie hinauf in meine Leistengegend. Er heulte auf, als der Stachel in meinem Lederschutz seine Kniescheibe zertrümmerte. Ich würde morgen einen Schneider brauchen, er dagegen eine Krücke.

Ich zog ihn über mein Bein und warf ihn zu Boden, während ich mich noch immer an seinen Ohren festklammerte. Er packte mich, und ich konnte spüren, wie sich seine Finger zu stählernen Nägeln verhärteten, die sich schmerzhaft in meinen Nacken bohrten. Ich zog sein Gesicht nah an meines und grinste ihn breit an.

Das ist etwas, das ich nicht oft versuche, da meine Zähne nicht die hübschesten sind. Die Barbiere bekommen von mir ein zusätzliches Trinkgeld, wenn sie meinen Zahnstein entfernen sollen, und das Netteste, was je irgendjemand über meine Beißerchen gesagt hat, war, dass sie ihn an einen Kasten mit feinem Silberbesteck erinnerten, den der Hausdiener fallen gelassen hatte.

Jemand in der Menge kreischte, und das halbe Publikum rannte entweder nach Hause oder in den nächsten Tempel. Selbst die Sczarni hörten auf zu klatschen.

„Zwing mich nicht, dich zu beißen, Junge“, sagte ich, ohne darauf zu achten, dass er gut fünf Jahre älter aussah als ich. Von dem Geruch zu schließen war ich ziemlich sicher, dass er derjenige war, der Schiss hatte.

Einer der Sczarni brüllte eine Übersetzung. Vili lockerte langsam seinen Griff, während er mich nicht aus den Augen ließ und blieb still auf dem Rücken liegen. Ich stand auf und musterte ihn nach einem Anzeichen dafür, dass die Kampfeslust wieder in ihm hochkommen würde.

Als ich außerhalb seiner Reichweite war, sah ich, dass der Großteil der Menge verschwunden war. Bald würde ich mit den Sczarni allein sein, sodass es auf jeden Fall Zeit war zu gehen. Ich drehte mich um und sah, wie der Bursche vor meinem Messer floh, dass noch immer in dem Arbeitsblock des Goldschmieds steckte. Ich hätte gerne gesehen, wie er versuchte, es herauszubekommen. Ich zog es heraus und hob den schweren Block einen Zoll in die Höhe, bevor die Klinge herausrutschte.

Vili stahl sich zu der Gruppe Sczarni zurück. Ohne das Publikum, das ihre Zahl verdeckt hatte, zählte ich vierzehn. Sie warfen dem grauhaarigen Geiger von der Seite lange Blicke zu, und ich erkannte, dass er ihr Anführer – Häuptling, Oberhaupt, was auch immer – sein musste. Ich zuckte mit dem Kinn in seine Richtung, bevor mir klar wurde, dass die Geste vielleicht nicht verstanden wurde, doch er erwiderte sie in einer Weise, die mich glauben machte, dass es so war. Das konnte heißen, dass alles geregelt war, oder es konnte bedeuten, dass ich einen Vorsprung bekam.

Als ich mich umdrehte, sagte Malena: „Warte! Sei uns nicht böse, Radovan. Lass mich dir die Turmkarten legen. Als Geschenk.“

Die besten Sprichworte über Rache stammen von den Sczarni, daher wusste ich, dass es keine gute Idee war, ohne eine Menschenmenge in der Nähe unter ihnen zu weilen. Außerdem habe ich die Turmdeuter noch nie gemocht. Sie sind schlimmer als die meisten Wahrsager, denn gelegentlich findet sich ein wahrer Turmdeuter unter ihnen, einer dieser Kartenleser, die tatsächlich etwas auf eine Distanz von tausend Tagen sehen können. Wesentlich öfter hat man nur ein paar Silbermünzen an einen Betrüger bezahlt, und dann geht man davon und glaubt, etwas über sich selbst gelernt zu haben, aber es ist nur das übliche Sczarni-Geschwätz: Irgendein Dreck über Liebe, irgendein Dreck über Reichtum, noch mehr Dreck über die eigene Großzügigkeit, die nur vom skeptischen Verstand in Schach gehalten wird. Ich könnte das selbst, wenn es mir gelänge, dabei ernst zu bleiben.

Wie immer ich es auch betrachtete, es gab keinen guten Grund, wegen eines Kartentricks zu bleiben. Trotzdem, die Vorstellung, mich abzusetzen und dabei in Malenas Augen keinen Deut mutiger auszusehen als Vili – das wurmte mich.

Bevor ich mich dazu entschlossen hatte zu gehen, brachte eine Gruppe von Sczarni-Frauen einen kleinen, runden Tisch und zwei Hocker, bevor sie sich wieder zurückzogen, und ließen Malena und mich auf den Teppichen allein. Der Geiger drückte sich in der Nähe herum, vielleicht weil er sich für eine Anstandsdame hielt.

Alles geschah im Freien, mitten in Caliphas, und es gab noch immer genügend Tageslicht. Ach, zur Hölle! Ich nahm gegenüber von Malena Platz.

Sie ließ das einführende Brimborium weg, das ich schon einmal gesehen hatte, und gab mir einfach die Turmkarten. Die Karten waren alt, aber ihre Ränder waren noch immer so glatt, dass ich die Markierungen eines Falschspielers nicht sofort bemerkte. Ich drehte sie um und betrachtete die Vorderseiten: Der Jongleur, Der Pfau, Die Königinmutter, Der Paladin. Ich hatte sie alle schon einmal gesehen, von anderen Künstlern gemalt. Wer auch immer diese Karten bemalt hatte, hatte eine gruselige Art von Talent, oder die Bilder erschienen mir unter den gegebenen Umständen einfach unheilvoller.

Zufrieden, dass ich ihren Karten den nötigen Respekt oder sonst irgendwas entgegengebracht hatte, nahm Malena sie wieder an sich. „Warum du gekommen bist“, sagte sie, während sie die Karten mischte. Sie tat es wie ein Glücksspieler in einer Hafenkneipe und legte die Karten, anstatt sie zurück in die bekannte Schachtel zu tun, mit der Vorderseite nach oben in einem halbmondförmigen Muster aus, dessen Spitzen auf mich zeigten. „Was du finden wirst.“

Schließlich, ohne Kommentar, legte sie eine einzelne Karte mit der Vorderseite nach unten zwischen die Spitzen des Halbmondes.

Sie begann in der Mitte mit dem Teufel. „Dies zeigt, wo du herkommst“, sagte sie. „Von einem Ort der Stärke.“

„Unglaublich“, sagte ich. Sie ignorierte meinen Sarkasmus. Wenn ihre Finger so geschickt waren, wie ich es mir vorstellte, war es kein großer Trick für sie, die Karten dort zu platzieren, wo sie sie haben wollte, und nachdem sie mein breites Grinsen gesehen hatte, gab es keine andere Möglichkeit mehr: Sie musste verstanden haben, dass meine Vorfahren aus einem wärmeren Klima stammten.

„Dies sind die Mächte, die dich antreiben.“ Sie zeigte auf die Karten, die daneben lagen. Den Tyrannen und den Wanderer. Sie sprach dichterisch über die Aspekte des Geistes und der Persönlichkeit, und ich nickte, ohne richtig zuzuhören. Ihre Augen waren grüner, als ich es zuvor bemerkt hatte, und sie hatte mehrere Ringe in ihren Ohrläppchen. Eine tätowierte Schlange wand sich über ihren Hals und eine Schulter hinab. Ich wollte ihr folgen, doch da fiel mein Blick auf den Geiger. Würde ich einen neuen Streit anfangen, wenn ich eine Haarlocke von dieser freiliegenden, gebräunten Schulter strich?

„Dies sind die Mächte, die sich dir entgegenstellen“, sagte sie. Der Narr und Der Verrat – gute Wahl. „Und diese könnten dich unterstützen oder irreleiten.“ Die Stumme Vettel und Der Tanz. Dies erschien mir einigermaßen in Ordnung, wenn man die derzeitige Gesellschaft in Betracht zog, und ich wurde langsam nervös. Ich sah mich um und bemerkte dass niemand mehr in Sichtweite war.

Sie hatte die Spitzen des Halbmondes erreicht und beschrieb den Zwilling und den Leeren Thron als Schatten meines Schicksals. Perfekt, dachte ich. Als Nächstes wird sie mir erzählen, dass ich die Reichtümer eines lange verloren geglaubten Bruders erben werde, und dann wird mir der Geiger eine Landbesitzurkunde zum Kauf anbieten.

Ich erhob mich. Sie sah mit einem rätselhaften Blick zu mir auf. Wartete sie jetzt darauf, dass ich eine Frage stellte? Dass ich ihr Geld anbot? Ich tastete nach meiner Börse, um sicherzugehen, dass sie noch da war, doch dann bemerkte ich, dass sie die letzte Karte nicht angerührt hatte. Ich drehte sie um.

Die Karte zeigte einen Mann, der auf einem vom Mondlicht beschienenen Hügel stand, mit einem Zepter in der Hand und einer Krone zu seinen Füßen. Unter ihm blickten Dutzende glühender Augen aus den Schatten heraus, als warteten sie auf einen Befehl von oben.

„Nein!“, schrie der Geiger. Er trat den Tisch um, und die Karten segelten davon.

Etwas in seinem Ton erschreckte mich. Ich war mehrere Schritte zurückgetreten, bevor ich es richtig begriffen hatte. Malena bückte sich, um die Karten aufzuheben, und der Geiger schalt sie heftig auf Varisisch. Ich schnappte nur ein paar Worte auf, doch ihre Körpersprache sagte mir alles, was ich wissen musste. Sie hatte etwas falsch gemacht, und er war zornig.

„Wo liegt das Problem?“, fragte ich.

„Schnell“, sagte Malena. Sie drückte mir etwas in die Hand. „Hier ist deine Münze. Jetzt geh!“

Der Geiger zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger auf mich; irgendwie eine umgedrehte Form des Zinkens. „Halt dich von meiner Familie fern, Teufel“, sagte er. „Du bist verflucht!“

„Na, von mir aus“, war die schlagfertigste Antwort, die ich herausbrachte. Dennoch, ich verstand mein Stichwort, wenn ich es hörte. Ich nahm Abstand von der Mystikergasse. Erst nachdem ich um die Ecke gebogen war, schaute ich mir an, was Malena mir gegeben hatte.

Ein Kupferstück, und nicht einmal ein glänzendes neues. Der Kopf des uralten Fürsten darauf hob sich spangrün von dem schwarzen Dreck der Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, ab. Vielleicht sogar mehr. Er war ein hübscher Kerl, aber mit einem sauertöpfischen Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er gerade etwas gekostet, von dem er erwartet hatte, dass es ihm schmecken würde, was er stattdessen aber hatte ausspucken müssen.

„Du und ich, wir beide“, sagte ich zu ihm.

Prinz der Wölfe

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