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Kapitel vier

Die Senir-Brücke

Im Gegensatz zu Jägern und Mädchen finde ich Pferde nicht im Geringsten romantisch. Sicher, die verdammten Biester haben mich schon immer gehasst, ich bin also voreingenommen. Ein paar andere Höllenbruten haben mir erzählt, sie hätten dasselbe Problem, während andere den ganzen Tag auf einem Pferd verbringen können. Allerdings reicht ein Schniefen von mir aus, damit die meisten Zugtiere vor Angst wiehernd in die Scheunen zurückrennen. Die Mutigen warten manchmal, bis ich nahe herankomme, und dann versuchen sie, mich zu Tode zu trampeln. Der Sicherheitsabstand liegt bei drei Metern, sodass ich nicht auf dem Bock der roten Kutsche mitfahre, es sei denn, der Prinzipal hat es eilig.

Also, so oft ich auch von Reitern höre, die sich darüber beschweren, dass sie sich wund geritten haben: Ich weiß, es ist allemal besser, als auf dem Trittbrett zu stehen. Nach fünf Tagen, die ich hinten an der Kutsche hing, fühlten sich meine Beine an wie zwei Säulen aus geschmolzenem Blei. Ich hielt es nicht mehr aus. Mein Rücken brachte mich um, und die Kutsche verdeckte die Hälfte meines Blickfelds. Ich kletterte auf das Dach.

Da es so hoch gestapelt war, brachte das Gepäck die Kutsche aus dem Gleichgewicht, also hockte ich mich neben eine Kiste mit Armbrustbolzen und sah mich um. Die letzten bewohnten Bauernhöfe bei Caliphas lagen bereits eine Tagesreise hinter uns. Am Morgen waren wir an einigen zerfallenen Kaminen vorbeigefahren, den Grabsteinen verlassener Häuser. Seitdem war die Straße das einzige Zeichen menschlichen Lebens in der Landschaft. Sie wand sich hinauf in das bewaldete Gebirge bis zu einem Pass, von dem aus wir die winzige Grafschaft Ulcazar durchqueren würden, bevor wir nach Amaans einfuhren, das Hoheitsgebiet Graf Galdanas.

Es waren noch Stunden bis zum Einbruch der Nacht, doch die Schatten der Bergspitzen im Westen streckten sich nach uns aus, und ihre Finger kamen mit jeder Kurve näher. Ich spürte ein Frösteln und wünschte mir, unter der Jacke etwas Wärmeres angezogen zu haben. Ich hätte eines dieser wollenen Hemden kaufen sollen, die ich auf dem Markt von Vauntil gesehen hatte, doch nach einem langen Tag auf dem Trittbrett war ich zu müde, um selbst eine halbe Stunde in einem vernünftigen Bett gegen die Aussicht auf Bequemlichkeit einzutauschen. Es war keine Frage der Kohle – ich hatte das Geld aus Nicolas Börse als Einsatz beim Türme-Spiel verwendet, nachdem ich die Sczarni verlassen hatte. Ich war also flüssig. Man sollte meinen, Varisier seien beim Spiel mit den Turmkarten besser, doch Desna lächelte mir zu. Vielleicht spielten sie einfach nicht so wie wir unten im Süden. Sie bekamen nicht einmal mit, wie ich ihre Karten einsteckte, als ich ging. Ich streute damit noch Salz in die Wunden, das weiß ich, aber ich wollte einen genaueren Blick auf das hiesige Blatt werfen.

Die Aufmachung war anders als das, was ich bisher gesehen hatte, aber das war nicht ungewöhnlich. Im Laufe der Jahre hatte ich ein halbes Dutzend Variationen der Karten gesehen. Selbst in Cheliax verwenden die Wahrsager auf den Märkten sie für die Turmdeutung, und adlige Damen halten es für schick, sich über Kuchen und Likör ihre eigenen Menetekel zu legen. Mein alter Brötchengeber, Sandros der Schöne, verbot der Bocksherde das Spielen mit den Turmkarten, was er für unheilbringend, wenn nicht sogar für eine ausgemachte Gotteslästerung hielt. Er war übermäßig abergläubisch geworden nachdem er eine varisische Hexe um ihre Ersparnisse gebracht hatte und sich bald darauf langsam in etwas zu verwandeln begann, das einer Ziege ähnelte. Ich hatte ihn fast ein Jahr lang nicht mehr gesehen, aber wenn es irgendeine Gerechtigkeit auf der Welt gab, lief der verkommene alte Bastard mittlerweile auf allen Vieren und fraß aus Mülleimern.

Dadurch, dass er den Jungs das Spielen mit den Turmkarten untersagt hatte, machte er es unter uns nur beliebter. In den Jahren verbotener Glücksspiele in der Aalgasse hatte ich die unterschiedlichsten Turmkarten gesehen, sodass ich die vierundfünfzig Karten auswendig kannte. Trotzdem hatte ich noch nie eine gesehen, wie Malena sie mir gezeigt hatte. Das Motiv blieb mir wegen meiner Überraschung darüber lebhaft im Gedächtnis: Ein Mann, der ein Zepter hielt, eine Krone zu seinen Füßen, glühende Augenpaare an einem dunklen Hügel.

Ich wollte den Prinzipal fragen, ob er etwas über diese Karte wusste, doch er war mit seinen Gästen beschäftigt. Außerdem war er in letzter Zeit außergewöhnlich hochnäsig gewesen, und wenn man an seine Launen dachte, war ich nicht bereit, ihm von meiner Meinungsverschiedenheit mit den Sczarni zu erzählen. Ich würde einfach den nächsten Turmdeuter fragen, den ich traf. Es gab mindestens einen in jedem größeren Dorf in Ustalav.

Die Münze, die Malena mir gegeben hatte, war ein weiteres Rätsel. Das Gesicht des Mannes, der darauf abgebildet war, hatte etwas Bekanntes an sich. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich es schon einmal auf einem Gemälde oder in einem der Bücher aus der Bibliothek des Prinzipals abgedruckt gesehen hatte, doch das fühlte sich nicht richtig an. Es war, als wäre ich einmal jemandem begegnet, der wie der Mann auf der Münze aussah, doch die Erinnerung war in der Kindheit vergraben, die ich solange versucht hatte zu vergessen. Oder die Nebel von Ustalav beflügelten meine Vorstellungskraft.

Vor dem Aufbruch aus Caliphas hatte ich den Hufschmied bei den Ställen dafür bezahlt, ein Loch nahe dem oberen Rand von Malenas Kupfermünze zu stanzen und ein Lederband hindurchzuziehen. Seitdem trug ich sie wie einen Talisman um meinen Hals. Ich sagte mir, es sei ein Andenken, das mich an den Duft von Malenas Haar erinnerte, doch wenn es um Turmdeutung geht, bin ich nicht so skeptisch, dass ich nicht auf Nummer sicher gehen würde.

Die Lichter der Kutsche gingen an, als wir in ein dichteres Waldstück einfuhren. Selbst nach fünf Tagen war der Kutscher, Petru, von diesem Effekt noch immer überrascht, da er es gewohnt war, bei Dämmerung anzuhalten und an einem profanen Fahrzeug die Öllampen anzuzünden. Ich hoffte, der Prinzipal würde aus dem Inneren ein Auge auf ihn haben und die Lampen genau in dem Moment anzünden, wenn es ihn am meisten erschreckte. Doch das schien unwahrscheinlich, so wie der Prinzipal sich in letzter Zeit benommen hatte. Er wurde mehr und mehr wie jedes andere Mitglied dessen, was er als „Adelsstand“ bezeichnete.

Von meinem Ausguck auf dem Kutschendach aus entdeckte ich die Späher. Anton und Kostin ritten einige hundert Meter voraus und hielten auf der Straße nach möglichem Ärger Ausschau. Sie trugen ihre Armbrüste auf den Rücken gegürtet, also hatten sie nichts Außergewöhnliches entdeckt. Dimitru und Emil flankierten, wenn möglich, die Kutsche und ritten vor dem Gespann her, wenn das Unterholz neben der Straße zu dicht wurde. Grigor und Luka bildeten die Nachhut. Ich winkte dem Pferdedieb zu, zufrieden darüber, dass er sich nicht mit unserem besten Pferd davongemacht hatte. Zumindest noch nicht.

Zwischen dem Gepäck zu hocken war wesentlich bequemer als hinten an der Kutsche zu hängen, doch es führte mich in Versuchung, mich zurückzulehnen und ein Nickerchen zu machen. Selbst wenn ich hätte eindösen wollen, war das keine gute Idee, denn je höher wir ins Gebirge kamen, desto mehr Äste streiften das Dach. Nachdem ich nach der Armbrust gegriffen hatte, die ich neben der Kiste mit Munition untergebracht hatte, kroch ich nach vorne, um dem Kutscher auf die Schulter zu klopfen.

Petru schreckte auf, als ich ihn an der Schulter berührte, nickte mir dann aber zu. Als wir uns kennengelernt hatten, hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er in mir die Höllenbrut erkannte. Im Dunkeln komme ich als Mensch durch, oder wenn die Kneipe voller Betrunkener ist, aber für die meisten ist es offensichtlich, dass ich nicht wirklich einer von ihnen bin. Nur wenige hatten es so ruhig aufgenommen wie Petru, erst recht in Ustalav.

Petru war ein außerordentlich gepflegter Varisier von dreißig oder vierzig Jahren. Trotz seiner bescheidenen Geldmittel trug er einen Zylinder mit bunten Pfauenfedern, die in der Krempe steckten. Sein langer Frack war sauber, und ich hatte ihn dabei beobachtet, wie er den Mantel bei jedem Halt ausbürstete, nachdem er sich um die Pferde gekümmert hatte. Er hatte einen fantastischen spitzen Haaransatz und faszinierende Augen, wie Schauspieler oder Magier sie haben. Nicola hatte ihn angeheuert, aber das wollte ich Petru nicht zur Last legen. Er rutschte herüber, um mir auf dem Bock Platz zu machen, doch ich schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, die Pferde zu verschrecken.

„Wie weit noch, bis wir anhalten?“, fragte ich. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ich hatte vergessen, dass er nur wenig Taldani sprach. „Viel weit?“, versuchte ich es in seiner Sprache.

„Hinter Brücke, zwei, drei Stunden. Nach Dunkelheit.“

Welche Freude, dachte ich bei mir. Kein Grund, guten Sarkasmus auf mein schlechtes Varisisch zu verschwenden.

Bevor ich wieder zurück kletterte, sah ich noch einmal nach vorn. Anton hatte angehalten und hob die Faust über den Kopf.

„Heda“, sagte ich zu Petru. Die Bedeutung war in beiden Sprachen die gleiche. Er zog die Zügel an, und die Kutsche wurde langsamer und kam zum Stehen.

Die Kutschentür öffnete sich, als ich hinunter sprang. „Was ist los?“, fragte Nicola.

„Bin nicht sicher“, antwortete ich. „Bleib in der Kutsche!“

Er schürzte die Lippen, bewies aber, dass er schlau genug war, meinen Anweisungen zu folgen.

Anton blieb, wo er war, als Kostin zu uns zurückgeritten kam. Ich kam ihm auf halbem Wege entgegen und ging nahe genug an den Pferden vorbei, um sie nervös zu machen.

„Ein Geräusch“, sagte Kostin. Seine knabenhafte Stimme strafte die Narbe um seinen Hals Lügen. „Fallender Baum.“

„Irgendwas gesehen?“

„Nein“, gab er zurück. „Aber Banditen blockieren manchmal Straße mit Baum.“

Ich pfiff laut genug, um die anderen Reiter zu mir zu rufen. Als sie ankamen, schickte ich Grigor los, um sich Kostin und Anton anzuschließen.

„Bleibt in Sichtweite der Kutsche“, sagte ich. „Wenn ihr irgendwas seht, kommt auf der Stelle zur Kutsche zurück.“

Anton salutierte zackig. Die Anderen nickten, und die drei ritten voraus.

Ich ignorierte Nicola, der seinen Kopf aus dem Kutschenfenster hängte, als ob ich ihm berichten sollte, kletterte zurück auf das Trittbrett und öffnete die Sprechklappe. Der Prinzipal hatte bereits sein Ohr nah an die Öffnung gelegt, sodass ich ihm zuflüstern konnte. Ich erklärte ihm, was wir wussten, und sagte: „Wir fahren vorsichtig weiter, alles klar?“

Er nickte und murmelte seinen Gästen eine beruhigende Variante meines Berichtes zu. Die Frau war ein Schatz. Bevor ich ihr jedoch zuzwinkern konnte, zog der Prinzipal die Klappe zu. Wahrscheinlich besser so. Diese Edelfrauen – sie können nicht genug von mir bekommen. Und ausgehend von dem, was ich von ihrem Vetter gesehen hatte, würde das nichts als Ärger bedeuten.

Wir fuhren verglichen zu vorher mit halber Geschwindigkeit weiter. Ungefähr alle zehn Minuten wandte Anton sich um und gab uns mit einem Winken zu verstehen, dass die Straße frei war. Beim vierten Mal hielt er wieder die Faust hoch. Anstatt Kostin zurückzuschicken winkte er mich nach vorne. Diesmal gab ich mir Mühe, den Kutschpferden aus dem Weg zu gehen, doch sie wieherten trotzdem und stampften mit den Hufen.

„Heulsusen“, murmelte ich.

Unter einem Wegweiser an der Straßengabelung gesellte ich mich zu Anton, Kostin und Grigor. Während mein aktiver Wortschatz mit jedem Tag anstieg, konnte ich doch nicht viel Varisisch lesen. Anton zeigte den rechten Weg hinunter, während er übersetzte.

„Die Senir-Brücke“, sagte er. Das war unser Ziel. Sobald wir den Fluss überquert hatten, ging es von Ulcazar aus abwärts und hinein nach Amaans. Anton zeigte auf den Weg, der nach Westen führte und auf dem quer eine mächtige Tanne lag. „Kloster vom Schleier“, las er laut vor.

Wenn der Prinzipal an diesem Punkt nicht vorhatte, uns mit einem Umweg zu überraschen, lag die Barriere uns nicht im Weg. Trotzdem war der Zeitpunkt verdächtig. Es konnte sein, dass uns jemand absichtlich auf einen bestimmten Weg lenken wollte.

„Gebt mir Deckung“, befahl ich. Anton wiederholte den Befehl für Kostin auf Varisisch. Ich raunte ihm zu: „Sag Kostin, wenn er mich aus Versehen trifft, werde ich ihm ordentlich den Arsch versohlen.“

Anton lächelte mich grimmig an, gab die Nachricht jedoch nicht weiter.

Ich verließ die Straße und machte einen Bogen, um zum Fuß des umgestürzten Baumes zu gelangen. Wie ich vermutet hatte, war er gefällt worden und nicht durchgefault. Und er hatte genau die richtige Größe an genau dem richtigen Ort, um ein Fahrzeug davon abzuhalten, den Weg zum Kloster einzuschlagen.

Zurück bei der Kutsche berichtete ich dem Prinzipal, was ich gesehen hatte. Er wusste, dass er mir nicht zu sagen brauchte, dass jemand uns ganz sicher dazu bringen wollte die Brücke zu überqueren. Der Wald war auf beiden Seiten viel zu dicht, als dass es sicher gewesen wäre, den Baum mit der Kutsche zu umfahren.

„Wie lange, um die Straße freizuräumen?“, fragte er. Wir hatten zwei Äxte in der Kutsche, aber keine Sägen.

„Ungefähr eine Stunde“, schätzte ich. Weniger, hoffte ich, aber es ist eine dumme Idee, mehr zu versprechen als man halten kann. „Wollt Ihr dort Rast machen?“

Der Prinzipal wandte sich an Kasomir. „Wie weit ist es bis zum Kloster?“

„Vielleicht sechs Meilen“, sagte der junge Adlige. Er zog die Schultern hoch und wandte die Handflächen nach außen. „Ich habe Landkarten gesehen, das Kloster aber nie besucht.“

Der Prinzipal wog vermutlich ab, ob es besser wäre, hier zu bleiben und die Straße freizuräumen, oder zu versuchen, das Kloster zu Fuß zu erreichen. Ein Blick in sein Gesicht sagte mir, dass er keine der beiden Möglichkeiten mochte, nicht mit Fräulein Tara unter seinem Schutz.

„Wir fahren weiter“, sagte er. „Höchste Alarmbereitschaft.“

Das brauchte er mir bestimmt nicht zu sagen, aber vielleicht dachte er, es würde Eindruck auf Kasomir machen und Tara beruhigen.

Ich kletterte wieder auf das Dach, damit alle Männer mich hören konnten, doch als ich mich umsah, zählte ich nur fünf.

„Wo ist Emil?“

Wir alle blickten zu den Bäumen. Sie waren um einiges finsterer, als ich es zu dieser Stunde erwartet hatte. Die dunklen Äste schluckten das Licht, das über die Berge kroch.

„Schaut“, rief Dimitri und zeigte nach vorn. Emils Pferd trottete aus dem Dunkel auf die Kutsche zu, warf dabei seinen Kopf hin und her und blähte stark die Nüstern. Die Augen des Tieres waren geweitet, der Sattel leer.

Kostin und Grigor riefen nach Emil, aber Anton und Dimitru sahen zu mir. Die Veteranen wussten genauso gut wie ich, dass er nicht zurückkommen würde.

„Vorwärts“, befahl ich. Ich nahm meine Armbrust auf und spannte sie. „Bleibt in der Nähe! Beobachtet den Wald!“

Petru ließ die Zügel knallen. Ich legte einen Bolzen gegen die Sehne und ging einen knappen Meter hinter ihm in die Hocke, bereit, an seine Seite zu springen, wenn wir den Pferden zusätzlich Ansporn geben mussten. Vor uns teilten sich die Bäume und gaben den Blick auf die Senir-Brücke frei, eine gewölbte Steinbrücke, die kaum breiter war als die Kutsche. Sobald wir drüben waren, dachte ich, konnten wir uns umdrehen und uns auf die Verteidigung konzentrieren.

Ungefähr da begann das Heulen.

Das Geräusch kam von beiden Seiten und von hinten. Die Erfahrung, die ich erworben hatte, als ich die Gassen des westlichen Egorian durchstreifte, sagte mir, was das bedeutete. Sie trieben uns vorwärts. Ich hob meine Armbrust und heftete meinen Blick auf die Straße vor uns: Wann würden die ersten Augenpaare aufglühen?

Grigor schrie. Ich drehte mich um und sah, dass sein Pferd vor dem, welches Luka geritten hatte, zurückscheute, da es laut wieherte und auf den Rücken fiel. Dahinter, in der Düsternis kaum zu erkennen, zeichnete sich eine dunkle, rote Spur auf der Straße ab. Aus den Augenwinkeln sah ich einen verschwommenen Schatten im Wald verschwinden. Grigor brachte sein Pferd wieder unter Kontrolle und trieb es auf die Kutsche zu, da er nicht gewillt war, allein die Nachhut zu bilden.

Wieder hörten wir den Schrei eines Mannes und eines Pferdes. Vor uns schoss Anton mit seiner Armbrust auf einen grauen Wolf, der Kostin aus dem Sattel gerissen hatte. Es sah wie ein Treffer aus, doch der Wolf, dessen Kiefer rot vom Blut waren, wich nur von der Straße zurück und bereitete sich auf einen weiteren Angriff vor. Die Kutsche machte einen Satz, als sie über Kostins zerrissenen Körper hinweg raste. In der kurzen Zeit, die es brauchte, um es zu beschreiben, hatten sie die Hälfte unserer Wächter erledigt. Das waren keine gewöhnlichen Wölfe, und mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich der Grund für ihren Angriff war.

„Seht!“, schrie der Kutscher und deutete mit seiner Peitsche nach links. Mein Kopf ruckte herum und ich sah zwei Wölfe, die neben der Kutsche her rannten. Einer lief auf den Hinterbeinen wie ein Sprinter. Anstelle von Pfoten hatte er menschliche Hände, die eine Armbrust hielten, die er einem der gefallenen Wächter abgenommen hatte. Dieses beunruhigende Detail lenkte mich von einer anderen merkwürdigen Sache ab, die ich gerade bemerkt hatte: Der ausgestreckte Arm des Fahrers war nackt. Als ich mich wieder zu ihm umwandte, sah ich, dass er gänzlich nackt war, abgesehen von dem hohen Hut. Er ließ die Zügel und die Peitsche los und drehte sich zu mir um. Ich sah nicht Petru, sondern das grinsende Antlitz von Vili, dem Sänger der Sczarni.

Er schlug mir die Armbrust aus der Hand, gerade als ich den Abzug betätigte. Der Bolzen verschwand zwischen den Bäumen. Ich drückte mich nach vorn, um ihn von der Kutsche und unter die Räder zu schieben, doch er veränderte die Gestalt, während er sich wand. Als er aufstand, brachte er mich zu Fall und drückte mich gegen das Dach, während seine Grimasse sich zu geifernden Kiefern verbreiterte. Ich hieb ihm die Armbrust ins Maul, doch er riss sie mir aus der Hand und schleuderte sie davon.

Vili, nun ein Halbwolf, auf dessen nackter Haut sich neues Fell aufstellte, ging in die Hocke – nicht um zuzuschlagen, sondern um in Deckung zu gehen. Zu spät bemerkte ich, dass er mich übertölpelt hatte. Ich hörte eine Sehne einrasten, gerade als ich mich umdrehte, und sah, dass der Wolf mit den Menschenhänden auf mich zielte.

Ich holte mit meinem linken Arm aus. Desna lächelte, denn ich fing den Bolzen. Doch dann lachte die Göttin auch, denn das Geschoss steckte bis zur Feder in meiner Handfläche. Meine Hand war so gut wie unbrauchbar, doch zumindest war die silberne Spitze knapp vor meiner Brust aufgehalten worden.

Jemand rief meinen Namen, aber ich konnte nicht sagen, ob es einer der Wächter oder jemand aus der Kutsche war. Mit einem Satz erreichten wir den Rand der Senir-Brücke. Ich wäre vom Dach gestürzt, hätte Vili mit seinem Maul nicht meinen gesunden Arm gepackt. Er biss zu – hart.

Der Schmerz überzog die Welt mit Blut. Alles, was ich sah, war rot und schwarz. Ich schrie in Vilis halb hundeartiges Gesicht, doch er schreckte nicht länger vor dem Anblick meiner Zähne zurück. Seine Klauen durchschnitten von beiden Seiten die Luft, doch ich blockte sie mit den Ellenbogen ab. Mit einem meiner Sporen erwischte ich ihn am Arm, und er winselte – doch sein Maul blieb geschlossen, mein Arm saß fest. Seine Kiefer hätte genauso gut ein eiserner Schraubstock sein können.

„Radovan“, schrie der Prinzipal. Die Kutschentür öffnete sich, doch als die Kutsche sich in diese Richtung neigte, riss Vili mich wieder in die andere. Die Räder der Kutsche schlugen hart auf – Funken sprühten, als der Stahl auf den Stein der Brücke krachte.

Ich hatte keine Zeit, dem Prinzipal zu antworten. Ich konnte kaum meine Eingeweide vor Vilis Klauen schützen. Das Messer an meinem Rücken war nicht zu erreichen, genauso wie jene in meinen Stiefeln und Ärmeln. Der Werwolf brauchte nur noch zwei oder drei Mal mit dem Kopf zu rucken, und von meinem rechten Arm würde nichts anderes übrigbleiben als zerfetzte Sehnen. Meine linke Hand war noch immer von dem Armbrustbolzen gelähmt, und ich konnte nur noch zusehen, dass ich mich damit nicht selbst erstach.

Was mich auf eine Idee brachte.

Ich konnte meine Hand kaum spüren, ballte sie jedoch zu einer lockeren Faust und schlug aus der Hüfte heraus zu. Wir schrien gemeinsam auf, als der versilberte Bolzen in Vilis Unterkiefer, durch meinen Arm zwischen seinen Zähnen hindurch drang und schließlich das Gehirn des Werwolfs durchbohrte.

Dies hätte ihn auf der Stelle töten sollen, doch noch einmal stieß sich Vili mit den Beinen ab und warf uns vom Dach der Kutsche. Wir flogen an einem steinernen Gargyl vorbei, der auf einem Brückenpfeiler ruhte, so nahe, dass ich die Hand nach ihm hätte ausstrecken können, wenn nicht beide Arme an meinem Feind festgenagelt gewesen wären. Mit dem Gesicht nach unten hatte ich einen schönen Ausblick auf das schwarze Band des Flusses unter uns. Mein Bein streifte das Geländer, als wir hinüber fielen. Wir taumelten, und die Zeit wurde langsamer, während wir hinabstürzten. Zwei rote Sterne glänzten unter der Brücke, und eine orangefarbene Blüte öffnete sich, wo die Kutsche gewesen war.

Das Letzte, was ich sah, waren die Türen der roten Kutsche, die, umringt von einem feurigen Glorienschein, hinter mir ins Wasser fielen. Dann spürte ich die kalte Hand Pharasmas, die mich schlug wie ein Neugeborenes kurz vor dem ersten Schrei.

Prinz der Wölfe

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