Читать книгу Progressive Rock - David Weigel - Страница 8
ОглавлениеEin britischer Fan moderner Musik, der, aus welchem Grund auch immer, in der Zeit von Sommer 1968 bis Sommer 1969 keine Live-Bands sehen konnte, musste sich mit Colour Me Pop begnügen. Bislang hatte die BBC zwar bereits neue Acts für andere, anspruchsvollere Shows gebucht, doch die Londoner Szene lieferte Hits und Idole schneller ab, als die Presse darüber berichten konnte. Dem Überfluss an neuen Gruppen – jede von ihnen würde möglicherweise die nächste Sgt. Pepper produzieren – wurden nun jeden Samstagabend 30 Minuten Sendezeit zugebilligt, um sich zu beweisen.
Die Erstausstrahlung von Colour Me Pop fand am 14. Juni 1968 statt, mit einem Abspann, der unverhohlen Klischees bediente. Ein „cooler“ Basslauf und ein Snare-Wirbel begleiteten die psychedelisch bearbeiteten Fotos von Jimi Hendrix, Mick Jagger und Frank Zappa, als stelle man sich die Frage, wer als Nächstes in diesen Pantheon aufsteigen würde. Die Antwort wurde am ersten Freitag gegeben – es war der zunehmend progressiv agierende Manfred Mann. Spooky Tooth traten in einer Sendung Ende August auf, und das Set der Nice flimmerte am 16. November über den Bildschirm, als ihre Popularität den Höhepunkt erreicht hatte.
Am selben Tag zeichneten Giles, Giles and Fripp ihr Debüt für die Sendung auf. Dank der Lobbyisten-Bemühungen von Peter Giles sicherten sich die Musiker eine 30-minütige, allein ihnen vorbehaltene Sendung. Das geschah zu einer Zeit, in der „Leute wie die Hollies nur ein halbes Programm aufführten und sich eine Show mit einer anderen Band teilten“. Das ahnungslose Publikum an dem Abend hörte acht Tracks von einem Album, das wohl niemand gekauft hatte, einer davon – das gesprochene Märchen „Elephant Song“ – mit eigenen Animationen bizarr wiedergegeben.
Es war das letzte Aufeinandertreffen von Giles, Giles and Fripp. Nach einem harten Aufnahmetag blieben Fripp und Michael Giles bis weit nach Mitternacht wach und versuchten herauszufinden, was die Truppe für den Durchbruch benötigte. Fripp drängte auf einen Sänger, den er schon seit mehreren Jahren kannte. Greg Lake, der 21-jährige Vokalist und Gitarrist, stammte aus der Bournemouth-Szene und hatte die Stimmbänder und die Ausstrahlung eines Stars, etwas, nachdem die Band händeringend suchte. Fripp: „In meinem Kreis wurde Greg Lake als einer der Spitzenreiter im Rennen um den Erfolg angesehen.“
Lake wirkte wie ein Star und klang wie ein Star. Er war groß, sah gut aus, hatte volle Lippen und Augen, deren Ausstrahlung von einer scharf konturierten Nase unterstrichen wurde. Fripp und er nahmen beim selben Gitarrenlehrer Unterricht, doch Lake besuchte niemals Gesangsstunden. Sein lustvoller, akzentuierter und schmeichelnder Vokalstil war ein Naturgeschenk und verlieh jedem Text ein dramatisches Element. Die beiden freundeten sich an, als Fripp den zukünftigen Bandkollegen Lake als Roadie auf einer von Pannen überschatteten Konzertserie in Südengland unterstützte.
Lake: „Wir kamen endlich in Ventor auf der Isle of Wight an und fuhren zu dem Club, wo sprichwörtlich niemand da war. Kein Publikum! Der Veranstalter hatte den Auftritt gebucht, es aber auf eine geradezu rätselhafte Art verpasst, den Leuten Karten zu verkaufen. Die Band war spielbereit, die Türen geöffnet, aber keiner kam. Und so entschieden Robert und ich uns dazu, einige Unterrichtstücke zu spielen. Wir fingen mit Malagueñas an und entwickelten daraus Duette. So begann unsere Zusammenarbeit.“
1967 veröffentlichte Lakes Band Shame eine Coverversion des Janis-Ian-Songs „Too Old To Go ’Way Little Girl“. Die 16-jährige Künstlerin hatte einen an die Frauen ihres Alters gerichteten und düsteren Ratschlag vertont: „Now, there is no escaping, and you’d enjoy a raping just to find out the facts of life.“ Die Shame veränderten den Text grundlegend. Die Schlüsselzeile des Stücks lautete nun: „There’s no denyin’ you’re gonna end up cryin’“, was eine eindeutig einfühlsamere Art war, einem Mädchen auf den Verlust ihrer „Unschuld“ vorzubereiten. Lake zieht die Wörter „sexxx“, „guuuuuuys“ und „Your dirty miiind“ in die Länge. Das könnte gar nicht weiter von den harmlosen und naiv-unschuldigen Vocals eines Peter Giles entfernt sein.
Fripp bediente sich einer salomonischen Finte. Lake sollte unbedingt in die Band einsteigen. Gleichzeitig musste ein Opfer gebracht werden. Fripp diskutierte mit Michael Giles. Möglicherweise könnte Lake Peter Giles am Bass und den Vocals ersetzen? Vielleicht konnte er Fripps Gitarristen-Job übernehmen?
Peter Giles empfand das Gespräch aus der Retrospektive betrachtet nicht als offene Absprache: „Fripps Angebot auszusteigen war doch nur ein cleverer Schachzug. Es hätte sich sowieso in diese Richtung entwickelt. Was politische Strategien anbelangt, ist Fripp ziemlich clever.“ Michael Giles war mehr als bereit dazu, seinen Bruder fallen zu lassen und eine neue Gruppe ins Leben zu rufen. „So sehr ich ihn auch mag, waren wir niemals das Paar unzertrennlicher Brüder, die beabsichtigten, die Welt zu verändern.“
Am 30. November, als man den Zuschauern von BBC 2 die durchgeknallten und humorvollen Klänge von Giles, Giles and Fripp präsentierte, hatten zwei der Musiker schon mit den Proben mit Greg Lake begonnen. Nachdem sie hörten, wie Lake Songs wie „Drop In“ veredelte, weinte niemand Peter Giles auch nur eine Träne nach. Die Band hatte originellen und lustigen Sprechgesang gegen selbstbewusste und kraftvolle Vocals eingetauscht. „Ich hätte niemals so singen können“, gibt Michael Giles offen und ehrlich zu. „Robert konnte überhaupt nicht singen und Peter kam nicht an einen Lake heran. Keiner von uns verfügte über so eine Power.“
Am 13. Januar 1969 fand die neue Band einen Proberaum im Keller des Fulham-Palace-Cafés in London, mit – und das ist besonders wichtig – genügend Platz für ein Mellotron. Es war der geeignete Ort und eine adäquate Atmosphäre für einen Peter Sinfield, der mit wenigen bunten Glühbirnen experimentierte, die zu wichtigen Passagen bei den Songs oder den Sets aufleuchteten. Fripp schrieb in seinem Tagebuch: „Die Basics waren nun alle da. Sinfields Lightshow im Embryonalstadium. … Er kann eine Bühnenbeleuchtung aus Backfolie und Sperrholz basteln.“
Trotz aller Beschwerlichkeiten funktionierte es. Greg Lake erzählte seinem Biografen Sid Smith: „Bis heute noch frage ich bei einem Auftritt die Leute von der Lichtproduktion: ‚Brauchen wir da oben all die verdammten Lichter?‘ Und sie antworten mit einem ‚Oh, auf jeden Fall!‘ Und aus dem Grund erzähle ich immer wieder die alte King-Crimson-Story. Eine Glühbirne an der richtigen Stelle [und im richtigen Moment] ist mehr wert als 100 Varilights, die zur falschen Zeit ausgehen.“
Peter Sinfield erzählte dem Autor: „Die meisten Clubs hatten eine Birne über der Bühne hängen, und das war’s dann auch schon – das ist doch ein Witz! Und so entschieden wir uns, eigenes Licht mitzubringen. Wir besaßen immer eine großartige Lightshow, mit der man die Stimmung der Musik unterstreichen konnte. Und exakt das soll eine Lightshow auch bewirken.“
Neun Tage nach dem Beginn der Proben im Keller des Fullham Palace kam von Sinfield ein zweiter wichtiger Beitrag. Nach der „Freisetzung“ von Peter Giles konnte die Gruppe zwangsläufig nicht mehr unter dem Namen Giles, Giles and Fripp auftreten. Er zog ein Notizbuch aus der Tasche und deutete auf den Begriff King Crimson, der ihm bei einem Text als Alternative eingefallen war, da sich „Satan“ nicht reimte. „Ich wollte einen Bandnamen, der energiereich klingt, ähnlich Led Zeppelin“, erzählte Sinfield Paul Stump. „Und natürlich war jeder Name besser im Vergleich zu Giles, Giles and Fripp. King Crimson transportierte auch eine gewisse Arroganz und Überheblichkeit.“
Der Vorschlag wurde ohne Zögern angenommen. Fripp verfasste am 27. Januar folgenden Eintrag für sein Tagebuch: „Haben Publikum zu einer Probe eingeladen. Erfolg. Die Band wird bekannter werden, als wir dachten.“
Ende Februar setzte sich die Gruppe in einen Zug, der sie innerhalb von drei Stunden Richtung Norden nach Newcastle zu einem ihrer ersten Engagements beförderte – sieben Abende in einem dreistöckigen Gebäude mit dem Namen „Change Is“. Jede Woche wählte der Club ein Thema aus – „Liebe“ oder „Spaß“ oder Ähnliches –, wonach ein neues Motto an der Reihe war. Als King Crimson ihr Gastspiel antraten, lautete der Überbegriff „Horror“.
Doch das Thema konnte das Publikum nicht auf das vorbereiten, was ihnen King Crimson boten – Riffs, Improvisationen, Gustav Holst und eine Lightshow, die an wie irre tanzende Elfern erinnerte. Als die Band zum zweiten Set zurückkehrte, machte der Club-Manager Ron Markham eine besondere Ansage, die Fripp als so amüsant empfand, dass er sie in sein Tagebuch eintrug. „Ladies und Gentlemen, Giles, Giles and Fripp, die aufgrund diverser Gründe – die wohl vor allem sie selbst kennen werden – ihren Namen in King Crimson geändert haben, werden ein Freak-Out veranstalten – ohne Hilfsmittel wie Pot, LSD oder andere Drogen.“
Die amerikanische und britische Jungend war in dem Augenblick zusammengewachsen, als die Beatles auf dem JFK landeten. 1969 begannen sich die beiden Klangwelten wieder zu trennen. Es war das Jahr, in dem die Grateful Dead Country- und Roots-Sounds bei Songs wie „St. Stephen“ in ihre Musik einwoben und damit die nächsten drei Jahrzehnte ihrer Karriere als Jam-Band antizipierten. Jefferson Airplane und Love nahmen ihre eigenen und tendenziell bodenständigeren Klassiker auf. Ein sich von seinem Motorradunfall erholender Bob Dylan sang bei Stücken wie „Lay, Lady, Lay“ mit einem neuen Gesangstimbre, das er auf diese Art nie wieder einsetzte. Die Beach Boys hatten alle Spuren des Smile-Debakels verwischt, coverten den Folk-Standard „Cotton Fields“ und veröffentlichten die Nummer als Single. Creedence Clearwater Revival, die aus der Bay Area stammten, entwickelten sich zur populärsten Gruppe der USA, mit nur drei Alben des gerade entstehenden Country-Rock.
Die britischen Bands entschieden sich für einen anderen Weg. Durch das zunehmende Wachstum der „Special Interest“-Labels boten sich ihnen neue Plattformen. Deram begann seine Vermarktung aktueller und progressiver Musik mit den Moodies und Procol Harum. 1969 gesellte sich der EMI-Ableger Harvest dazu, der sich auf „progressive“ Musik im weitesten Sinn ausrichtete, und Chrysalis wurde von den beiden ambitionierten Veranstaltern Terry Ellis und Chris Wright ins Leben gerufen. Sie entstammten der College-Szene, hatten Bands für studentische Partys gebucht und sahen nun ein weitaus größeres und bislang „unangezapftes“ finanzielles Potenzial.
„Wir verpflichteten Ten Years After und umgaben uns mit Bands, die wir wirklich mochten und von deren Talent wir überzeugt waren, egal, was andere darüber dachten“, berichtete Ellis 1969 der Top Pops and Music Now. „Die Karrieren der Interpreten nahmen an Fahrt auf, nicht wegen eines Hypes, sondern wegen des Live-Erfolgs. Sie zogen in die Läden, in denen wir die Veranstalter von der Qualität überzeugt hatten, spielten und all die Kids hoben ab. Das war für uns der Beginn der ‚Underground‘-Szene. Wir beabsichtigten, die ganze Organisation unter einem Dach zu vereinen.“
Auch der EMI-Ableger Harvest spielte dasselbe Spiel, allerdings von einer Position innerhalb der Musikindustrie aus. Malcolm Jones, ein Auszubildender bei der EMI, hatte Pink Floyd zum Label vermittelt – und seinen Vorgesetzten den „mühseligen“ Job überlassen, das in Strömen fließende Geld zu zählen. Die Underground-Szene versprach einen deftigen Profit, und der beste Weg, um das Kapital abzuschöpfen, bestand in der Gründung eines Mikro-Labels mit einem knackigen Namen. In den ersten sechs Monaten erschienen bei Harvest das Debüt von Deep Purple, das erste post-Soft-Machine-Album von Kevin Ayers und mit der Pink-Floyd-Scheibe Ummagumma sogar ein nennenswerter „Hit“. „Am Ende dieses Jahres“, triumphierte Jones im Beisein eines Reporters, „werden 75 Prozent der Charts von Progressive-Alben bestimmt sein.“
Zumindest die Bands dafür standen in den Startlöchern, auch wenn nicht alle Hits schreiben konnten. Doch das Augenmerk lag nicht auf Hit-Singles. Bands, die Alben absetzen und britische Veranstaltungsorte füllen konnten, unterschrieben Verträge und wurden augenblicklich von der Musikpresse unter die Lupe genommen. A&R-Scouts warben Gruppen von Schulfesten und aus den Londoner Clubs ab – zwei Szenen, deren Schnittmenge sich monatlich vergrößerte. Niemand durfte sich über ähnliche Beziehungen wie Genesis freuen, doch das stellte kein Problem dar, wenn die Scouts sich darum rissen, den „Underground“ aufzukaufen und dann zu verkaufen.
Van der Graaf Generator profitierten von der wilden Jagd. Die Gigs bei Schulfesten hatten der Band eine treue Anhängerschaft gesichert sowie ein beeindruckendes Medieninteresse. Ende 1967 nahmen Peter Hammill, Judge Smith und Nick Pearne ein Demo für alle Interessierten auf, mit „Sunshine“ auf der einen Seite und dem isländischen Mythos „Firebrand“ auf der anderen. Innerhalb von einigen Monaten lag das Demo auf dem Tisch von Mercury Records, woraufhin man die Band mit aller Macht in die Londoner Clubs „drückte“. Im Mai 1968 unterzeichneten die drei Musiker einen Vertrag, unter den Augen ihres kritischen Managers, eines Kommilitonen.
„Sie verbrachten den ganzen Morgen, um John Sipple, dem Vorstand von Mercury World Publicity, ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und zogen daraufhin nach Littlehampton zum Foto-Shooting“, berichtete der Manchester Independent. „Generator erwarben später einen 120-Watt-Verstärker und eine Vox-Gitarre, die sie Meurglys [=Mulagir] tauften, nach Ganelons Schwert im Rolandslied. Die Gitarre wurde mit einem Fell bezogen, sodass sie wie ein fliegendes Eichhörnchen mit aufgezogenen Saiten aussah.“
Doch schon eine Woche später zerbrach die Band. Ein zufälliges Gespräch an einer Bushaltestelle führte dazu, dass Hugh Banton als Keyboarder einstieg. Die Inkarnation wurde von Tony Stratton-Smith „entdeckt“, der gerade seine Verträge mit Genesis abgeschlossen hatte. Fünf Monate nach dem Mercury-Deal nahmen die neuen Van der Graaf Generator die erste Single auf: „People You Were Going To“ mit der B-Seite „Firebrand“. Verständlicherweise verweigerte Mercury die Veröffentlichung einer Single einer ihrer Gruppen bei einem anderen Label.
Die verschiedenen Parteien gerieten in eine Sackgasse. Erneut lösten sich Van der Graaf Generator auf, woraufhin Hammill zielstrebig in die Londoner Trident Studios ging, um ein Soloalbum aufzunehmen – oder so in der Art. Er erzählte einem Rundfunkmoderator: „Da sich mir nun die Möglichkeit zur Aufnahme eines Albums bot, lud ich die gesamte Band ein.“ Hammill erfüllte seinen Vertrag bei Mercury, indem er das Label dazu brachte, sein „Soloalbum“ als VdGG-Album anzuerkennen und zu vermarkten und ihn somit von weiteren Verbindlichkeiten zu befreien.
Die scheinbare unzerstörbare Gruppe durfte nun offiziell The Aerosol Grey Machine auf den Markt bringen. Hammill hatten den Titel „Drogen-erträumt“, nachdem jemand die Drinks bei einem der VdGG-Gigs mit LSD „verfeinert“ hatte. „Peter witzelte, dass ich eine Zerstäubungsmaschine mit grauer Farbe benutzen solle, mit dem gegenteiligen Effekt psychedelischer Drogen, durch den alles künstlich grau wird“, erklärt Smith.
Man bastelte an einem Cover, auf dem ein grimmig wirkendes Hippie-Mädchen mit angewinkeltem Kopf den Hintergrund aus Bäumen und Gras mit einer Dose grauer Farbe übersprüht. Der Entwurf wurde verworfen und stattdessen entschieden sich die Produzenten für ein generell psychedelisch wirkendes Motiv – nicht, dass das bei dem Titel noch ein zusätzlicher Kaufanreiz gewesen wäre …
Das Album erschien schließlich in den USA und Europa, jedoch nicht in Großbritannien. Mercurys Investition löste sich größtenteils in Luft auf, da sie der Band einen Abschlag für eine Platte überwiesen hatten, die sich kaum verkaufte. Das Label bezahlte also blutjunge Musiker – kaum über 20 Jahre alt – für Experimente und die Aufnahmen von Stücken, die größtenteils bei Studentenpartys im Norden Widerhall fanden. Doch alle Labels gingen so ein Risiko ein, denn aus der nächsten Gruppe konnten sich die „neuen Pink Floyd“ entwickeln. Als The Aerosol Grey Machine viele Jahre später als CD-Reissue veröffentlicht wurde, schrieb Peter Hammill: „Die knallharte Ablehnung, die wir nach der Produktion der Musik erlebten, feuerten mich und die anderen an, weitere Songs zu schreiben und einzuspielen. Daraus folgt, dass ohne diese Erfahrung keine weitere Musik entstanden wäre. Ich hätte nicht diese [ambitionierte] Haltung, hätte ich das nicht durchmachen müssen. Unter uns: Auf dem Album finden sich Passagen, bei denen ich aus heutiger Sicht wie ein waschechter Zwanzigjähriger klinge, ein besserwisserischer Bengel, der von nichts eine Ahnung hat. So war ich. Doch die Passagen sind lediglich Ausreißer beim Versuch, Musik zu machen. Und dafür will und kann ich mich nun wirklich nicht schämen.“
Das einwöchigen Gastspiel im „Change Is“ schweißte King Crimson zusammen. Greg Lake und Robert Fripp waren sich seit den Tagen in Bournemouth selten begegnet, in denen Fripp sporadisch als Roadie für seinen jetzigen Kollegen geschuftet hatte. Nun in einer gemeinsamen Band spielend, lehrte Lake den wenig älteren Musiker, wie man sich als zukünftiger Star verhielt.
Lake: „Als ich in die Gruppe einstieg, trug Robert einen rötlichbraunen Pullover, graue Flanellhosen und schwarze Oxford-Schuhe – als sei er gerade auf dem Weg in die Grammar School.“
„Greg meinte, wir sollten in die Clubs gehen und so spielen, dass die Miezen Schlange stehen“, erzählte Fripp seinem Biografen. „Er sah mich – und das mit Recht – als unbeholfenen Frischling und machte es sich zur Aufgabe, mir in Sachen Strategie und Manöver zu helfen.“ Lake erwies sich als exzellenter Lehrer, der sein Wissen ohne einen Ansatz von Egomanie weitergab, woraufhin auch Fripp bei den Gigs in Newcastle „Miezen aufriss“.
Als die Band nach London zurückgekehrt war, schleppte Lake seinen Gitarristen in die Portobello Road und kleidete ihn in „schwarzmagische“ Klamotten, relativiert durch ein dezentes Hippie-Jackett. Fripp hatte sich allerdings ein Andenken an seine „Ausschweifungen“ in Newcastle mitgebracht – einen reifen und wie die Hölle brennenden Tripper.
King Crimson gaben ihr Londoner Debüt am 9. April 1969 im Speakeasy, traten während des Frühjahrs regelmäßig auf und etablierten sich in der Szene. Sie sprachen mit den Moody Blues über eine gemeinsame Tournee, bei der im Grunde genommen eine gerade in der Entstehung begriffene Gruppe vor den sinfonischen Hit-Lieferanten auftreten sollte. Daraus wurde jedoch nichts. Michael Giles: „Ich glaube, die Moodies hatten Bammel, denn von King Crimson ging eine nicht zu verleugnende Wucht und Energie aus.“
Keiner der Musiker, die bei den Gigs von King Crimson aufliefen, versuchte auch nur im Ansatz, diese Tatsache abzustreiten. Fripp, der sich nie wohlgefühlt hatte, wenn er die Gitarre im Stehen spielte, entschied sich beim Konzert am 14. Mai dafür, von nun an auf einem Stuhl zu hocken. „Du darfst dich doch nicht hinsetzen“, warnte ein mittlerweile genervter Lake. „Dann siehst du doch wie ein Pilz aus!“
Fripp ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. „Meiner wohldurchdachten Meinung nach“, erklärte er dem Publikum bei einem späteren Konzert, „gilt der Pilz in vielen Kulturen als Fruchtbarkeitssymbol.“ Fripp setzte sich also hin und gewann unverzüglich eine Wertbekundung von einem der wenigen Menschen, deren Meinung wirklich zählte. Jimi Hendrix erschien bei einem ihrer Konzerte, „sprang auf und ab“ und erklärte King Crimson „zur besten Gruppe der Welt.“
Nach dem Gig ging Hendrix auf Fripp zu. Er trug ein weißes Hemd und eine passende Schlinge, in der sein rechter Arm steckte. Fripp: „Einer der humorvollsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Er meinte zu mir: ‚Gib mir die linke Hand, die ist näher an meinem Herzen‘.“
Die Rolling Stones hatten sich für ein Open-Air-Konzert am 5. Juli im Hyde Park vorbereitet. King Crimson, die es erst seit circa sechs Monaten gab, wurden als Support gebucht. Am 3. Juli [genauer gesagt, kurz vor Mitternacht des 2. Juli] wurde die Leiche von Brian Jones, dem Multiinstrumentalisten der Stones, am Boden seines Swimmingpools entdeckt. Es folgten einige Stunden panischer Aufregung, in denen geklärt werden musste, ob das Konzert stattfinden solle oder nicht. Die Panik ebbte ab, das Konzert wurde bestätigt, und zum Andenken an Brian Jones platzierten die Stones Porträts des Bandgründers an jeder Seite der Hyde-Park-Bühne. King Crimson standen 40 Minuten zur Verfügung, um vor dem größten Publikum zu spielen, das sie bislang gesehen hatten.
„Nun kommt eine Band, die noch eine lange Geschichte vor sich hat“, prophezeite der Ansager. Sieben Sekunden später erklangen die brachialen Akkorde von „21st Century Schizoid Man“, alles zu Beginn auf Dur hinweisende Schichtungen, gekreuzte Harmonien und chromatische Läufe. Die gesamte Gruppe zeichnete ein Klangbild, das einer geballten Faust glich. Sie spielten das aufsteigende Riff drei Mal, wobei einige Absätze mit einem mehrmaligen Saitenziehen Fripps endeten. Das Riff endete und Fripp spielte [in dem Fall] verminderte C-Akkorde, während Lake den Text Sinfields mit einem klagenden Unterton intonierte.
Nach der letzten Zeile wechselte Lake von einem Heulen zu einem lang gezogenen Gesangston, wonach sich das Riff und eine Strophe wiederholten. Schon nach 90 Sekunden änderte die Band das Tempo und spielte eine Art rasanter Jazz-Nummer, die auf einer alten Idee von Ian McDonald basierte, die dieser „Three Score And Four“ betitelt hatte. Die Instrumentalisten rasten ganze drei Minuten durch die Soli, die der Backbeat eines schwitzenden Michael Giles begleitete. Dann endeten King Crimson mit einem Krachen und wiederholten zum Schluss den Refrain. Nach etwas über sechs Minuten war der Sound-Orkan vorbei und das Publikum stand ausnahmslos auf der Seite der Band.
King Crimson bewiesen sich 40 Minuten auf der Bühne des Hyde Park und gaben ausgearbeitete und strukturierte Kompositionen zum Besten – „The Court Of The Crimson King“ und „Epitaph“ – sowie Titel, die ein Gerüst für die unglaublich schnellen Soli boten. Im Laufe der letzten 13 Minuten verzichtete man sogar ganz auf den Gesang. Das kurze „Mantra“ beruhte auf einer sanften Flöten-Melodie Ian McDonalds. „Travel Weary Capricorn“ stellte hingegen für Giles einen Showcase dar. Das Stück evozierte die Atmosphäre einer im Keller gelegenen Jazz-Bar und wirkte so vereinnahmend, dass die Erinnerung an „21st Century Schizoid Man“ beinahe verblasste.
Doch die Jazz-Nummer endete mit einem Solo Fripps, das Spöttern nach an das Strangulieren einer Katze erinnerte, während Lake und Giles für einen hämmernden Beat sorgten. Es war „Mars“, ein verlängertes Cover aus Gustav Holsts Zyklus Die Planeten. Das Mellotron trug die Melodie, während die restliche Gruppe das klassische Stück mit einem satanischen Groove unterlegte. Der Tumult endete mit dem Schrillen von Luftschutzsirenen, eingespielt von einem Band auf Wunsch des Managements. Das war die Show! „Standing Ovations“, notierte Fripp in seinem Tagebuch. „Ein Mammut-Erfolg von einem Ausmaß, für das man Zeit benötigt, um es zu verdauen und schätzen zu lernen. In kommenden Jahren werden wir zu diesem Tag zurückblicken und erst dann dessen Bedeutung völlig realisieren.“
Sinfield war weniger zufrieden, denn das Open-Air-Festival hatte seinen wichtigsten Beitrag zum Auftritt vereitelt – die Lightshow. Am nächsten Abend im Marquee kontrollierte er wieder das visuelle Geschehen, während die Band sich bemühte, den Sound und die Musik zu verfeinern, die sie gleichzeitig im Studio einzufangen versuchte. „Sie haben endlich gelernt, wie man applaudiert“, schrieb Fripp in sein Tagebuch.
1969 traten King Crimson 13 Mal im Marquee auf, auch an dem Abend, an dem sich drei Amerikaner in hüpfenden Sprüngen über die Oberfläche des Mondes bewegten. „Wir wünschen ihnen alles Gute“, machte Lake seine Ansage. King Crimson spielten „Epitaph“, wobei sich die Stimme des sehr jungen Lake an den Wänden brach und er etwas über „the wall on which the prophets wrote“ und „the instruments of death“ sang.
Ende Juli standen King Crimson im Studio und nahmen ihr Album auf. Es war schon der zweite Anlauf, nachdem sich die Sessions mit dem Moody-Blues-Produzenten Tony Clarke als absolut fruchtlos erwiesen hatten. Michael Giles ärgerte sich: „Unsere Energie sollte zu einer Art zweiter Moody Blues runtertransformiert werden. Etliche Rhythmusgitarren wurden übereinander geschichtet, alle stark komprimiert, wodurch die Dynamik fehlte.“
Beim zweiten Versuch nahmen King Crimson ihre Scheibe im Alleingang auf. Sie sollte fünf Songs enthalten, alle von der Gruppe bei den meisten Shows dem Live-Härtetest unterzogen. „21st Century Schizoid Man“ wurde langsamer eingespielt und begann mit circa einer halben Minute von „Naturgeräuschen“ –
Wind-Sounds, die dadurch entstanden, dass Luft durch die Pfeife einer Orgel geleitet wurde. Der schwerfällige Rhythmus glich in der Essenz den Versionen, die Zuschauer im Marquee hörten, doch auf der Studioversion wurde Lakes Gesang extrem stark verzerrt, was er bei der Phrasierung berücksichtigte und dabei jede Strophe mit einer tiefer klingenden Note beendete und den Refrain besonders offensiv gestaltete.
Das Album folgt einem grundlegenden Muster, bei dem tendenziell schnellere Songs sich mit langsameren abwechseln. Bei „I Talk To The Wind“ wird Lakes Hauptgesang von Michal Giles harmonisch gedoppelt, wobei Ersterer seinen Stimmumfang zurückhaltend einsetzt. Einige dezente Fills von Fripp und Ian McDonalds Flöte unterstreichen die getragene Atmosphäre. „Epitaph“ und „The Court Of The Crimson King“, beides Konstanten der Konzerte, drehen sich um Orchester-Samples vom Mellotron, die als eine Art Anker der Komposition dienen.
Dazwischen erklingt „Moonchild“, ein größtenteils experimentell angelegter Song, beginnend mit einem sanften Walzer-Takt, der George Gershwins „Summertime“ evoziert. Jeder Takt endet an dieser Stelle mit einem bedrohlich anmutenden Ton. Nach dem Ausklang des Intros startete die Gruppe eine lange Improvisation, eine Art langsamer Anklang an Jazz-Figuren, die ein von Fripp gespieltes Zitat der Melodie von Rodgers und Hammersteins „Surrey With A Fringe On Top“ enthält.
Die Recordings erstreckten sich über einen Zeitraum von zwei Monaten. Barry Godber – ein Künstler, den Peter Sinfield bei einem Job in der Computerindustrie kennengelernt hatte, wo die beiden sich zu Tode langweilten – erhielt eine Kopie der Aufnahmen mit der Bitte um einen Cover-Entwurf. Nach vollbrachter Arbeit präsentierte der Künstler Motive für beide Seiten des Klappcovers, allerdings ohne einen Freiraum für den Bandnamen oder den Albumtitel.
Auf der Vorderseite ist ein surreal verzerrtes Gesicht zu sehen, dessen Rottöne an Muskelfasern erinnern, schreiend, als würde die Person sich vor einer hinter ihr befindlichen Gefahr fürchten. In der Innenseite des Covers begrüßt ein weiteres Gesicht den Fan, doch diesmal in einer rötlichen Mondform und auf den ersten Blick weniger erschreckend. Die Hände der Figur machen eine Geste, ähnlich der Darstellung mancher Jesus-Figuren. Das Gesicht lächelt und entblößt dabei weiße, fangähnliche Zähne.
Das waren sie: der Schizoid Man und der Crimson King.
Am 10. Oktober stand In The Court Of The Crimson King in den Regalen der britischen Platten-Shops. Einen Tag darauf spielten King Crimson das letzte Hauptstadt-Konzert des Jahres, und zwar im London College Of Printing. Das Equipment war aufgebaut und die meisten Musiker hatten sich schon positioniert. Doch niemand konnte Greg Lake finden, woraufhin man Charlotte Bates, Ian McDonalds Freundin, mit der Suche beauftragte. Bates: „Wir mussten ihn schleunigst auftreiben, und er steckte noch in der Garderobe und bumste. Greg war ein unglaublicher Egomane, ein Riesenpenis auf zwei Beinen.“
Doch das stand dem Schlüsselbestreben jeder britischen Band – in den USA Fuß zu fassen – nicht im Weg. King Crimson flogen im Oktober über den Atlantik, während EG Records ihr Möglichstes versuchten, die Werbung zu forcieren. Das Label trat an Pete Townshend mit der Bitte heran, einen Kommentar abzugeben. Seine uneingeschränkten Lobesbekundungen fielen so überzeugend aus, dass man eine ganzseitige Anzeige gestaltete, die sowohl in den amerikanischen als auch den britischen Magazinen geschaltet wurde. Als Motiv wählten die Verantwortlichen Godbers Artwork, begleitet von dem Text unter der Überschrift „Pete Townshend über King Crimson“:
„Ein unter mir wohnender Freund fragte mich: ‚Ist das das neue WHO-Album?‘ Nein, was mir einerseits peinlich ist, aber worüber ich gleichzeitig froh bin. Diese spezielle Art der Intensität ist Musik, kein Rock. ‚21st Century Schizoid Man‘ ist einfaches alles, millionenfach verstärkt, wie bei einer Multitrack-Aufnahme. Wenn man es sich anhört, schlägt es millionenfach ein. Muss wohl das härteste Riff sein, das seit Mahlers Achter [Sinfonie] im Mittelfrequenzbereich ins Vinyl gepresst wurde.“
Damit wurde King Crimson den Massen an Musikfans vorgestellt, während die Musiker die amerikanische Ostküste anflogen. „Auf unserem Weg von der Ost- zur Westküste werden wir Geld verlieren“, erklärte Fripp dem Beat Instrumental in einem ehrlichen Interview vor Tourbeginn. „Wenn man sich als Rockband ausgibt, limitiert man sich damit gleichzeitig.“
Die Tour rieb die Gruppe schnell auf. Michael Giles: „All das Abhängen in Hotels und an Flughäfen oder im Backstage-Bereich – es ist ein merkwürdiges Land. Ich empfand es – und ich empfinde es immer noch – als einen Kampf in der Arena. Die Löwen werden aus ihren Käfigen durch einen Tunnel in den Zirkus geleitet, freigelassen, wonach sie sich beweisen müssen und dann wieder weggeschlossen werden.“
Der Zirkus schleppte sich durch den November und führte King Crimson von Boston über Chicago und Detroit nach Florida. Die Musiker setzten Speed und Marihuana auf ihren täglichen Menüplan, je nachdem, was für eine Arbeit oder welche Reise anstand. Giles sprach schon davon, King Crimson in eine Studioband umzuwandeln, was Fripp jedoch ignorierte.
Die Gruppe spielte fünf aufeinander folgende Abende im Whisky A Go Go in Los Angeles und wurde von der Los Angeles Times beschrieben als „Künstler, kluge Innovatoren unzähliger Rockvarianten und anderer Techniken“, die angeblich so „langweilig seien, dass sie jeder Beschreibung spotteten“.
Giles und McDonald standen unter extremer Anspannung und sehnten sich nach ihren Freundinnen. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal drohten die USA King Crimson auseinanderzureißen. McDonald: „Wir brachten das Publikum voll drauf, doch die ganze Sache verwandelte sich in ein Monster, das stetig wuchs. Vielleicht war ich damals einfach nicht gut genug darauf vorbereitet, damit umzugehen.“ Fripp: „Ich fühlte mich taub. Für mich bedeutete King Crimson alles. Um die Band am Leben zu halten, bot ich meinen Ausstieg an, doch Ian meinte, dass die Gruppe eher mit mir als mit ihnen identifizierbar sei.“
„King Crimson sind wahrscheinlich verdammt dazu, als aufgeblasen und arrogant zu gelten, doch diese Kritik hat keine Berechtigung“, erklärte John Morthland im Rolling Stone. „Sie haben verschiedenste Elemente zahlreicher musikalischer Formen kombiniert und eine surreale Arbeit voller Energie und Originalität kreiert. Mal ganz davon abgesehen, sind sie auch gute Musiker.“ Doch es gab leider einen Wermutstropfen. „Wie effektiv diese Musik auf der Bühne ist, das ist zugegebenermaßen die große Frage. Die Antwort: wahrscheinlich nicht so gut.“
Die Besprechung erschien Wochen, nachdem King Crimson nicht mehr als Live-Band existierten. Sie sollten für mehr als ein Jahr nicht auftreten.
„Die Band starb schon bei den Aufnahmen zum ersten Album“, erläuterte Fripp einem Interviewpartner einige Jahre danach. „Das Ganze hatte so eine Schwungkraft angenommen, dass der Antrieb den Korpus noch zum Zucken brachte, bis er schließlich im Dezember 1969 in San Francisco stürzte. Nur eine kleine Seitenstraße vom Sunset Strip entfernt entschieden sich Ian und Mike in einem Hotel zum Ausstieg. Danach sprangen sie voller Freude und Glückseligkeit durch das gesamte Gebäude, froh darüber, die Last der Verantwortung abgeworfen zu haben. Ich beneidete sie immens, denn ich durfte den Schritt nicht machen.“
Die Musikpresse reagierte verspätet auf die Probleme von King Crimson. Fripp hatte sich schon länger als Bandleader etabliert, ähnlich einem Wissenschaftler, der seine Gleichungen in langen Interviews vorstellt. Lake galt hingegen als die Stimme und nicht der Sprecher der Band. Ende 1969 veränderten sich sowohl der Underground als auch die populäre Szene radikal, allein durch die reine Anwesenheit und den wahnsinnigen Erfolg von Fripp und seinen Kollegen. Bill Bruford, damals Schlagzeuger von Yes, sah die Band bei einem Auftritt um 4.30 Uhr am Morgen und verließ den Veranstaltungsort wie ein von der Musik Besessener. Der spätere Genesis-Gitarrist Steve Hackett erlebte auch einen der Londoner Gigs und empfand die Präsentation als überwältigend. Für ihn stellte sie ein Rätsel dar.
„Yes und King Crimson lassen sich durchaus als Rivalen beschreiben“, erzählt der Yes-Gitarrist Peter Banks. „Als King Crimson auftauchten und wir eine Performance sahen, waren wir absolut verblüfft. Ich erinnere mich an Bill, der sagte: ‚Ich will da einsteigen‘, was er später tatsächlich auch machte.“
Yes konnten sich über ein gutes Jahr freuen. Die Band hatte einen Plattenvertrag bei Atlantic unterschrieben und im Frühjahr ein Album mit sechs Eigenkompositionen und zwei Cover-Versionen aufgenommen. Sie klangen nicht wie King Crimson und versuchten es auch nicht. Chris Squires Bass stach im Gesamtmix wesentlich lauter hervor als Greg Lakes, spielte den prägnanten und knackigen Rhythmus von „Beyond And Before“ und interpretierte „Every Little Thing“ von den Beatles, das man nur noch als eine Art Jam wiedererkannte. Andersons Texte lagen damals weit vom Mystizismus Sinfields entfernt, waren bizarr und verschroben, doch immer noch geerdet und keinesfalls undurchsichtig. Wenn sich Anderson düsteren Themen widmete – wie zum Beispiel beim Antikriegssong „Harold Land“ –, erzählte er die realistisch anmutende Geschichte eines Veteranen, der bei seinem Fronteinsatz jeglichen Realitätssinn verloren hatte.
In The Court Of The Crimson King stellte den Yes-Sound in ein anderes Licht. Er schien mehrere Evolutionszyklen darunter zu liegen. „Das Album nahm uns den Wind aus den Segeln“, ärgert sich Peter Banks. „Auch verkaufte sich die Platte sehr gut, ganz im Gegensatz zu unserem Album, das schlecht lief.“
Dann standen King Crimson – wie auch die Nice – vor einem Kollaps. Keith Emersons Band hatte gerade ihre zweite Sinfonie aufgenommen, die sich noch weiter von den herkömmlichen Rock-Strukturen entfernte als Ars Longa Vita Brevis. 19 Minuten lang und rein instrumental war sie für ein Orchester arrangiert worden und sollte auch live mit Unterstützung der Klassiker aufgeführt werden. Allerdings stellten sich Emersons Ambitionen als weitaus größer heraus, als dass sie von seiner simplen Rockband umgesetzt werden konnten. Nach einer Probe trafen sich Emerson und Davison im Speakeasy, wo die Vorschläge des Keyboarders das Meeting in ein „Fuck you!“-„Fuck you!“-Streitgespräch verwandelten.
Emerson begab sich auf die Suche nach neuen Talenten und begann bei Greg Lake. Er traf ihn zuerst in der Garderobe nach einem Showcase von King Crimson in San Francisco, also zu einem äußerst heiklen Zeitpunkt. Der Keyboarder erinnert sich an ihn als „auf dem einzigen, geschmacklos aufgepolsterten Sessel majestätisch thronend. Er schnippte mit dem Finger, damit ihm die ihm am nächsten stehende Person Feuer geben durfte“. Das erste Gespräch glich einer Belehrung von Lake, der Emerson etwas über die „Klarheit des Sounds“ predigte und ihn darauf hinwies, dass „einige deiner Töne verschwommen klingen“.
Der Keyboarder ließ sich nicht beirren. Während der langen Weihnachtsferien traf er Lake erneut, diesmal im Cottage des Bassisten. „Er war immer noch unentschlossen“, erinnert er sich, „wich einem Gespräch über die Zukunft King Crimsons aus und lenkte die Diskussion auf das, was ich machte, und darauf, wie ich es besser machen konnte.“
Wochen später – um exakt drei Uhr morgens – rief Emerson Lake an und unterbreitete ihm ein Angebot. „Hör mal, ich habe nachgedacht. Wir sollten die Band gemeinsam gründen.“
Emerson machte sich also wieder zu Lakes Cottage auf, bereit, einen Deal mit einer Flasche Rotwein zu feiern.
„Du musst einfach mit Profis zusammenarbeiten“, belehrte Lake den Star, der beinahe drei Mal so lang im Musikbusiness tätig war. „Das ist das Stichwort – ‚Profis‘ –, und der Grund, warum die Nice auseinandergingen, liegt beim schlechten Management.“
„Warte mal“, fiel Emerson seinem Gegenüber ins Wort. „Die Nice haben sich wegen ihrer unterschiedlichen künstlerischen Vorstellungen aufgelöst. Das lag in keinem Fall an äußeren Bedingungen. Zufälligerweise halte ich Tony Stratton-Smith für einen sehr, sehr guten Manager.“
„Vielleicht war er für die Nice gut“, meinte Lake mit einem Achselzucken. „Aber wir müssen weiter kommen.“
Lake brachte das Management von EG Records ins Spiel, womit er sich an der Karriere von King Crimson orientierte. Doch das war nicht der einzige Bezug zu seiner „alten“ Band. Er ging mit Fripp eine abschließende Vereinbarung ein, die die Musik nach vorne bringen sollte, die er mit seinem neuen genialen Partner ins Auge fasste. „Das tatsächliche Zitat lautete ,für meine Kunst‘,“ amüsiert sich Fripp.
Lake: „Robert fragte mich, ob ich die [neue] Band mit dem Namen King Crimson weiterführen wolle. Ich glaube, ich hätte das sogar gemacht, wenn wenigstens entweder Ian oder Mike noch da gewesen wäre, die Crimson ja verlassen hatten.“
Fripp boten sich keine Wahlmöglichkeiten. Die Band – seine Band – war immer noch an einen Vertrag gebunden und hatte kein Songmaterial vorzuweisen. „Cat Food“, das eher aus Fragmenten zusammengesetzte Stück, war auf einer von chemischen Substanzen gepushten Busfahrt von Detroit nach Chicago entstanden und lässt sich als dadaistische und kritische Auseinandersetzung mit der Fast-Food-Kultur interpretieren.
Lake blieb allerdings noch in der Gruppe, um die Vocals zum nächsten Album beizusteuern, während Fripp, ein großer Fan des Freestyle-Pianisten Keith Tippett, diesen einlud. Der King-Crimson-Sound änderte sich radikal, sehr zum Unbehagen der anderen Musiker. „Ohne das Piano hätte möglicherweise etwas daraus entstehen können“, kommentiert Peter Giles. „Na schön! Fripp blieb bei seinem Ansatz, obwohl er in eine falsche Richtung deutete.“
Doch ein stilistischer Wandel wurde nicht nur von Fripp angestrebt, sondern auch von den überaus talentierten McDonald und Giles. Wieder in Großbritannien, schrieben Fripp und Sinfield wie am Fließband Songs für das zweite Album. Sie besuchten den Multiinstrumentalisten McDonald mit einigen unvollendeten Songs: „Meinem Gefühl nach versuchten sie mir [bislang ungenutzte] Ideen abzuluchsen, und ich hielt einfach die Klappe.“
Fripp widerspricht der Auffassung mit einer rhetorischen Frage: „Wenn die halbe Besetzung der aufregendsten Band gerade in dem Moment geht, wenn diese abhebt – was sie später als einen Fehler anerkennt –, kann man ihnen doch nicht mehr trauen oder sich auf sie verlassen, oder?“
Kurz darauf arbeiteten McDonald und Giles an einem eigenen Album und nutzten dafür einige der Melodieläufe, die sie für King Crimson geschrieben hatten. „Einige Hörer haben die Musik mit den Beatles in ihrer mittleren Phase in Verbindung gebracht“, erläuterte Giles einem Journalisten, der das Album noch nicht gehört hatte. „Das ist für mich okay, da wir das auch anstrebten: eine Musik, die nicht von der Technik bestimmt wird, sondern auf einer wärmeren Ebene ausstrahlt.“
McDonald und Giles begannen das selbst betitelte Album McDonald & Giles mit einer Suite namens „Birdman“, die sich über eine LP-Seite erstreckte. „Fripp hatte gehofft, dass das Stück das Zentrum des zweiten King-Crimson-Albums ausmachen würde“. „Flight Of The Ibis“ war hingegen eine knappe, süßliche und erhebende Ballade, deren Text für pure Sentimentalität stand.
Dieselbe Melodie wurde auch von Fripp und Sinfield genutzt, doch in den Händen des Lightshow-Poeten wurde daraus die prickelnde Story der Verführung eines Roadies.
Das Album von McDonald und Giles erschien in einem Klappcover und zeigte ein Foto der Band und ihrer damaligen Freundinnen, die durch einen Garten trapsten, wobei man die Farben zum psychedelischen Standard aufmotzte. Es wirkte angenehm und positiv, was im starken Kontrast zu den Machenschaften in Fripps Studio stand. In The Wake Of Poseidon, das zweite King-Crimson-Album, bestand aus Neuarrangements von Songmaterial, das die alte Band sich bei den Konzerten erarbeitet hatte. Der abschließende Track „The Devil’s Triangle“ entstand, nachdem man den Musikern verwehrt hatte, das Cover von Holsts „Mars“ zu veröffentlichen. Der neue Song klang, als sei Holsts Musik von Dämonen zertrampelt worden, während die Melodien aus dem Mellotron hervorquollen. Den Song beschloss ein Verweis auf die Harmonien von In The Court Of The Crimson King.
Fripp sah sich nun mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Er war hinsichtlich der Presse offen und zeigte sich zu Interviews bereit. Die Presse interessierte sich für alles, was King Crimson anbelangte. Allerdings ließ sich die mindere Qualität der neuen Musik kaum beschönigen. Die Gruppe hatte die Konzerte eingestellt und sollte erst mehr als ein Jahr nach dem Ende der US-Tour wieder live spielen.
Sinfield war optimistischer, sicher, dass die Inspiration wieder käme, da er sich daran erinnerte, was aus den Überresten von Giles, Giles and Fripp entstanden war. „Innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung und dem Beginn des Niedergangs hatte jemand einen Hexenkessel angerührt, Freunde verraten, einen Thron gemalt und einen König gekrönt“, meinte der Texter gegenüber Fripp. „Du wirst es schon hinbekommen.“
Doch mit welcher Band? Die Poseidon-Sessions wurden durch den Saxofonisten Mel Colins bereichert und danach durch die Zusage des Sängers Gordon Haskell, den Platz von Greg Lake einzunehmen. Haskell verband seit den Tagen in Bournemouth eine tiefe Freundschaft mit Fripp, denn die beiden hatten in der Schule nebeneinander gesessen. Haskell: „Robert brachte mich zur Musik. Er spielte mir Django Reinhardt vor, doch ich stand auf amerikanische Musik. Rückblickend erkenne ich, dass Robert die europäische Musik interessierte und ich dem Geschmack meines Vaters folgte, eines amerikanischen Griechen.“ Seit dieser Zeit hatte sich der Unterschied zwischen dem Sänger und dem Gitarristen nur noch vergrößert. Haskell verbrachte einige Zeit in der Londoner Szene, spielte kurzfristig mit den Fleur de Lys und nahm ein von Streichern dominiertes Soloalbum auf – Sail In My Boat – das er später als „Jugendwerk“ verdammte. „Man konnte mich leicht manipulieren“, gab er zu. Haskells angeborenes Misstrauen gegenüber der Musikindustrie glich den Bedenken Fripps, doch er hatte das Angebot einzusteigen zuerst deshalb abgelehnt, weil ihm die Musik zu schräg war.
Als er zögerlich nachgab, schaffte es die Band jedoch sogleich, ihn in seiner Skepsis erneut zu bestärken. Haskell: „Sie benötigten zwölf Stunden für den Schlagzeug-Sound, und es klang immer noch beschissen. Otis Reddings Truppe brauchte zwei Minuten für den Drum-Sound und der war perfekt. Fripp und Sinfield wussten einfach nicht, wonach sie suchten.“
Das traf nicht nur auf das Schlagzeug zu, sondern auch bezüglich der generellen stilistischen Ausrichtung – nicht nur nach Haskells Meinung, die auch von anderen geteilt wurde, die man zum Einsteigen überreden wollte. Der Posaunist Nick Evans zeigte sich hochgradig irritiert, als er erlebte, wie „unsere Beiträge in kleinsten Teilen übernommen wurden, vielleicht nur vier oder acht Takte auf einmal“, wozu er die Passagen auf seinen Notenblättern mit Tinte markierte, um die von Fripp verlangte Reihenfolge zu gewährleisten.
Die Entscheidungen lagen eindeutig bei dem Gitarristen. Nach dem Ausstieg von McDonald und Giles, dem der Lakes folgte, verschob sich die Tantiemenbeteiligung Fripps von 22,5 Prozent auf 60 Prozent. Nun war er der Impresario, auch wenn sich sein neuer Sänger überhaupt nicht von Keith Tippetts Piano-Eskapaden beeindrucken ließ. Haskell verstand nicht den musikalischen Sinn der Fingerübungen, wie man sie bei „Cat Food“ hört.
„Das klingt doch wie eine Katze, die über die Tastatur rennt“, monierte Haskell gegenüber Fripp.
„Ja“, lenkte der Impresario ein, „doch Keith weiß, was er macht, und eine Katze nicht.“
„Sicher“, seufzte Haskell, „aber das Resultat bleibt doch dasselbe.“
Doch der Sänger blieb bei der Band. Poseidon war im Kasten und die Single „Cat Food“ sollte die Presse und die Öffentlichkeit „anfüttern“. Den neuen King Crimson blieb jetzt genügend Zeit, als Band eine Einheit zu bilden – und sich mit internen Kleinkriegen zu zermürben. Nach einer Auseinandersetzung maulte Fripp Haskell an und fragte, wer denn nun den größten Vorteil durch die Band hat: „Wie viele Hits hast du denn bisher gehabt?“
Der Sänger stand kurz vorm Überkochen. „Es musste ständig alles ‚innovativ‘ klingen“, nörgelte er Jahre darauf in einem Interview. „Die hätten keine Drums benutzen sollen – die hätten meinen Schwanz nehmen können.“
Fripp wusste nicht, wie wütend Haskell war. „Ich kann ehrlich behaupten, dass ich mich wie ein Sklave gefühlt habe, da ich immer meinem Gespür gefolgt bin“, erinnert sich der Sänger. „Ich merkte, dass wir Sklaven in einem vom Faschismus bestimmten Land waren, doch brachte es nicht fertig, es zu artikulieren. Und so duckte ich mich ständig, statt aufzustehen und wie ein Krieger mein Territorium zu verteidigen. Ich gab mich unglaublich bescheiden und zurückhaltend. Dumm, wirklich. Eigentlich hätte ich ein paar Köpfe abreißen sollen.“
Die Beziehung zwischen Fripp und Haskell stand kurz vor der Explosion, denn der Sänger wusste nicht, worauf Fripp abzielte. Fripp strahlte in Gesprächen mit der Band und der Öffentlichkeit das Selbstbewusstsein eines totalitären Kontrolleurs aus. „Die ideale Größe einer Band beträgt circa 15 Musiker. Somit hätte man immer genügend Instrumentalisten [zur Verfügung], die jeden gewünschten Song interpretieren könnten, doch das ist unmöglich“, erzählte Fripp Tony Newman von Music Now. „Die Beatles hatten schon früh eine Kunstform [aus ihrer Musik] entstehen lassen. Hörte man einen ihrer Songs zum ersten Mal, wurde das Interesse unmittelbar angeregt. Seit Sgt. Pepper sind drei Jahre vergangen, doch man entdeckt immer noch etwas Neues. Genau das streben wir an. Wir wollen, dass unsere Alben eine lang anhaltende Wirkung erzielen.“
Haskell konnte dieses Phänomen nicht in der Musik entdecken. „Indoor Games“ hatte die Struktur eines Popsongs, doch zusätzlich Elemente, die das Stück stilistisch unterschiedlich nuancierten. Die den bestimmenden Teil der Melodie übernehmende Trompete beendete jeden Takt mit einem kreischenden, höheren Ton. Der Abschluss überblendete diesen Sound mit einem Synthesizer-Effekt. Haskell: „Das waren doch solche Arschlöcher. Überhaupt keine Studioerfahrung. Ich hingegen hatte drei Jahre in Studios verbracht und das mit superben Musikern, einfach Weltklasse.“
Im Studio stand Haskell die Aufgabe bevor, „Indoor Games“ zu singen, ein grundsätzlich simpler Song, verschmolzen mit einem abstrusen Text Sinfields. Er musste regelrecht kämpfen, weil er die Lyrics nicht ernst nehmen konnte. „Ich stand alleine in der Schallkabine, das Textblatt vor mir liegend und in der letzten Zeile stand ein ‚Hey Ho‘. Als ich die Passagen intonieren musste, dachte ich nur, dass ich überhaupt nicht weiß, wie so etwas klingen soll. Ich hielt das für total bescheuert und sang ein teilnahmsloses ‚Hey Ho‘. Wer sagt denn schon bitte ‚Hey Ho?‘“ Haskell platzte beinahe vor Lachen. „Das war der schlimmste lyrische Erguss, den ich jemals gehört hatte, und da stand ich nun und setzte ihn tatsächlich um.“ Auf dem Track – kennt man den Kontext nicht – klingt Haskells eigentlich gehässiger Ansatz eher jovial. Das Gekicher blieb.
Außerhalb des Studios stellte Fripp die Entwicklung von einer positiven Seite dar. „Cirkus“, ein Song mit der Struktur und dem Text einer Ballade aus der Renaissance, unterlegt mit den Tönen eines Horrorfilms, war für den neuen Sänger eine Herausforderung gewesen. Fripp: „Gordon Haskell bemüht sich heldenhaft, ein Sänger in einem Kontext zu sein, in dem solche tonalen Experimente funktional eigentlich unmöglich sind. Es ist eine Leistung, die man eigentlich nicht erbringen kann, und es ist ein Text, der ausreicht, um die Psyche des stärksten Mannes zu zerrütten.“
Doch trotz solcher Nettigkeiten stellte sich der Ausstieg Haskells als unausweichlich heraus. Das Zerwürfnis geschah, als die Gruppe „klassische“ Crimson-Songs probte – Material, das kaum älter als ein Jahr war, jedoch das kreative Werk einer anderen Besetzung. Haskells trockene, nasale Stimme glich nicht dem tremolierten und rauen Gesang eines Greg Lake. Darüber hinaus wollte er, dass man „21st Century Schizoid Man“ in seine Tonlage transponierte.
„Ich gehe doch nicht auf die Bühne und mache mich zum Arsch“, giftete er.
„Willst du aussteigen?“, fragte ein ärgerlicher Fripp.
„Ja, das will ich“, antwortete Haskell, was seine Version der Geschichte anbelangt. „Ich werde nicht auf die Bühne gehen und etwas singen, von dem ich nicht überzeugt bin. Das ist doch ein Riesenscheiß.“
Haskell erinnert sich, erbost aus dem Raum gerannt zu sein, und an Fripp, der ihn darauf hinwies: „Du bekommst noch deine Tantiemen.“ Als Nächstes sah er den ganzen Disput ausgebreitet in der Musikpresse.
„Der wusste, wie man eine Schlagzeile bekommt“, grummelt Haskell. „Das war wohl das Erste, um das er sich in der Nacht des Streits gekümmert hat. Und aus dem Versprechen, mir einen Anteil an Lizard zuzugestehen, wurde nichts –
eine unverhohlene Lüge, denn ich erhielt niemals einen Penny. Typisches Faschisten-Verhalten. Der kam doch wie ein Kasper rüber.“
Die Lizard-Inkarnation von King Crimson sah niemals eine Bühne, und Haskell sollte nie das beklemmende und dunkle Gefühl der Streitigkeiten vergessen. Er und Fripp trafen sich später auf einer fairen, annehmbaren Basis. Haskell nahm dann das Soloalbum It Is And It Isn’t auf, initiiert von Ahmet Ertegun, nach einer spontanen Session in dem Hotelzimmer des Atlantic-Gurus. „Freudige Aufregung, Rechtfertigung und der Beweis für meine psychische Gesundheit“, erinnert sich Haskell.
Er machte weiter und schnitt die Art von beseelter Musik mit, die er immer schon singen wollte und die im Grunde genommen die Antithese zu King Crimson darstellt. Später kommentierte Haskell: „King Crimsons Waffe ist musikalischer Faschismus, gemacht von Faschisten, entworfen von Faschisten, um zu entmenschlichen, um der Menschheit ihre Würde und ihre Seele zu rauben. Es ähnelt den Versuchen des Tavistock Institute, finanziert von Rothschild-Zionisten und promotet von zwei affigen Schulkindern mit Beziehungen zur Stadt London.“
Das – nicht unbedingt alles, aber zumindest ein Teil – war das Material, durch das die Welt sich immer für Fripp interessierte. Sogar während sich die letzte Inkarnation der Band aufrieb, gab der Gitarrist Interviews zur Philosophie von King Crimson. In einem Gespräch mit Music Now erklärte Fripp: „Einige behaupten, unsere Musik sei prätentiös. Ich würde unsere Musik als arrogant bezeichnen. Sicherlich ist das Vertreten einer klar umrissenen Meinung anmaßend, doch andererseits ist es besser, so zu agieren, als gar keine Meinung zu haben. Ich frage mich, ob wir schon etwas ausprobiert haben, was außerhalb unser Begrifflichkeit liegt.“
Die Frage war Ende 1970 mit Optimismus aufgeladen. King Crimson ließ sich nun größtenteils als Fripps Projekt beschreiben, aber auch, in geringerem Maße, als Sinfields. Definitiv fand es in einem anderen Kosmos statt. Die von derselben Musikpresse gefeierten Progressive-Bands tummelten sich hingegen am dunklen Nachthimmel. Sinfield hörte wiederholt eine Art Theorie Fripps, die diesem eines Tages eingefallen war – die Parabel von der „guten Fee“: Ein positiver gesinnter Geist flitze von Band zu Band und wirkte lange genug als Muse, um ein großartiges Werk entstehen zu lassen. War der Kreativprozess beendet, entschwand die Muse.
„Man muss nicht an Gott glauben, aber ein Musiker glaubt an die Musik, als sei sie ein Gott“, erzählte Fripp in der Ausführung seiner Theorie. „Man muss zu dieser Band erklären, dass etwas außerhalb ihres Wirkungskreises geschah. In meinen eigenen Worten würde ich das so beschreiben, dass die Musik in unseren Kreis eindrang und uns in ihr Vertrauen einbezog. Für einen kurzen Zeitraum spielte die Musik die Band. Bei King Crimson nannten wir das unsere ‚gute Fee‘. Wir wussten, dass es nichts mit uns zu tun hatte. Und dennoch – trotz aller Schrullen, Schwächen, Animositäten und Beschränkungen der einzelnen Mitglieder dieser erstaunlichen Gruppe – geschah etwas Außergewöhnliches. Trotz der Menschen.“