Читать книгу Eine liberale Versuchung - Delilah Jay - Страница 6
EDWINA
Оглавление"Lasst die Hunde draußen."
Die Kinder hören nicht und schon sind Biscuit und Jolly, Theodors Labrador, im Haus. Beide nass schütteln sie sich erst einmal. Eddies Hund kann einfach nicht hören, ebenso wenig wie Eddie selbst. Niemand gehorcht in der Familie von Edward Senior, dem Vierten, sie sind alle unerzogen, aber das wird sich bald ändern.
Ich habe gerade Miranda und Daisy vom Bahnhof in Perth abgeholt. Schon klingelt das Haustelefon. Es ist Aelita mit ihrem Sohn Felix und ihrer neuen Liebe Matthew. "Wo seid ihr? Ja, es ist die große Einfahrt. Von dort aus liegt der Fluss zu eurer Rechten", beschreibe ich die Zufahrt zu unserem Anwesen.
"Ich glaube wir sind da. Kannst du uns sehen?"
"Nein, ihr seid am Cottage. Das Herrenhaus liegt weiter hinten. Noch eine halbe Meile weiter. Du fährst am Fluss und am Fischerhäuschen vorbei und siehst dann oben auf dem Hügel das Haus."
Eine Weile höre ich nur das leise Atmen und Seufzen von Aelita, dann ruft sie aufgeregt: "Ja, ich hab's. Wir sind da!"
Aelita, Felix und Matthew sind angekommen.
"Das ist Miranda, meine beste Freundin", mache ich alle miteinander bekannt, nachdem sie ausgestiegen sind.
"Wir kennen uns von Eddies Geburtstagsfeier, Miranda. Und da ist ja auch Daisy", erinnert sich Aelita.
"Ja, ich erinnere mich. Sie haben uns doch nach der Geburtstagsfeier nach Hause gefahren, nach Holland Park, Daisy und mich."
"Ja, richtig. Das ist schon wieder so lange her. Fast zwei Jahre, kann das sein? Wir haben eingekauft. Wo können wir das alles hinbringen?", fragt mich Aelita.
Matthew bringt inzwischen Kisten mit Wein und Körbe voller delikater Leckereien herein.
"Dort, in die zweite Küche, dahinter sind die Kühlräume. Ja, richtig! Oh, mein Gott, was habt ihr denn alles mitgebracht?", freue ich mich, denn Maria Clara habe ich nicht immer zur Hand — aus Kostengründen.
Das Anwesen wurde zum Zeitpunkt der Scheidung verkauft. Jetzt hat Victor es gemietet und ich darf es mit den Jungs dann und wann nutzen, wenn er nicht da ist. Die Kinder lieben es, sie sind ja hier aufgewachsen. Auch Victor verbringt hier Zeit mit ihnen, geht mit ihnen fischen und jagen. Er ist Schotte durch und durch mit einem gewissen Touch des englischen Snobismus. Als Lobbyist der Liberalen machte er sich einen Namen, von dem wir immer sehr gut gelebt haben. Der wichtige Liberalist in Englands Politik arbeitete vor vielen Jahren für ihn. Heute gehen die beiden Hand in Hand: Victor als sein Lobbyist verschafft ihm Stimmen und überzeugt die Mitglieder im Parlament davon, dass vor den Wahlen bestimmte Themen vom Tisch gekehrt werden. Die Chemiekonzerne, die Zigarettenindustrie — sie alle bezahlen Victor fürstlich dafür, dass heikele Themen kein Thema mehr sind, besonders wenn es um die bevorstehenden Wahlen geht.
Nun sind alle unsere Immobilien verkauft, was übrig blieb aufgeteilt zwischen Victor und mir. Jetzt bin ich frei für Edward. Von dem, was mir nach der Scheidung bleibt, kann ich meinen Lebensstandard nicht aufrechterhalten — kein Leben in Knightsbridge oder Chelsea, kein Queen's Club mehr, keine First-Class-Reisen und auch nicht unsere Haushälterin Maria Clara jeden Tag. Momente wie dieser, wo meine Gäste die Lebensmittel in die Küche tragen, erinnern mich an meine Eltern und an die Haushälterin, die ich mir nicht einmal mehr täglich für dieses große Haus leisten kann.
Meine Eltern haben mich zu größter Sparsamkeit erzogen. Deshalb stört es mich überhaupt nicht, dass ich Easy Jet fliege, während Eddilein den Business Class-Platz nimmt und sein Vater Edward den Privatjet nutzt. Noch heute bekomme ich jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte von meiner sparsamen Mutter mit einem gelben Post-it-Sticker in die Innenseite geklebt. Darauf stehen dann die aller herzlichsten Weihnachts- und Neujahrswünsche. Gleich im neuen Jahr erinnert sie mich daran, ihr die Karte beim nächsten Familientreffen im Club zurückzugeben. "Dann kann ich sie dir zum nächsten Weihnachtsfest noch einmal schicken, Edwina", bemerkt sie dann flüsternd. Ja, ich bin zur Sparsamkeit erzogen worden, auch wenn ich immer einen großen Lebensstil zu schätzen wusste.
"Oh, Miranda, schön, dass ihr da seid. Stellt euch vor, Edward und ich werden noch in diesem Sommer heiraten!", teile ich den beiden Freundinnen vergnügt mit.
"Wow, das ist ja toll! Heiratet ihr in England oder in San Francisco? Darf ich Blumen streuen? Oder den Brautstrauß fangen?", amüsiert sich Aelita über die freudige Mitteilung.
"Ich freue mich so sehr für dich, Edwina. An welcher Stelle der reichsten Männer Amerikas steht Edward laut Forbes Magazine denn momentan?", beneidet mich Miranda.
"Keine Ahnung, ist auch egal, solange er auf der Liste ist!"
Wir lachen darüber, über mich und meinen Ultra-Millionär, über mein Glück, dass er mich heiraten wird.
"Schaut mal hier, das ist der Verlobungsring, den Edward D. Wilton IV mir geschenkt hat!" Ich ziehe den Ärmel meiner Bluse hoch und halte meine Hand, fast wie zum Handkuss, meinen beiden Freundinnen entgegen.
"Wo ist der Stein? Ich kann ihn nicht sehen", fragt Aelita.
"Schau doch mal da, die drei Steine, hier oben!" Mirandas Stimme bebt, als sie meinen Ring versucht zu verteidigen. "Sie brauchen eine Brille, my Dear", fügt Miranda hinzu, Aelita mit abwertendem Blick strafend.
"Kontaktlinsen, Miranda, minus acht plus Astigmatismus. Sie sind klein, die Steine, sehr klein", kontert Aelita schlagfertig. Ihre blauen Augen formen sich zu zwei herausfordernden Schlitzen — zwei Saphire in Form von Katzenaugen. Ihr voller Mund ist leicht geöffnet. Sie setzt sich aufrecht hin, ihre Brüste stehen prall und voll wie die einer Zwanzigjährigen. "Sag mal, Edwina, Edwards ältester Sohn hat sich doch auch gerade vor Kurzem verlobt, oder?", strahlt Aelita mich an, ein Funkeln sprüht aus ihr, gegen das sich niemand hier im Raum wehren kann. "Zeig uns doch bitte das Foto, das Edward dir geschickt hat, du weißt schon, den Verlobungsring am Finger der Liebsten seines Sohnes!", fordert mich Aelita auf.
"Oh ja Edwina, bitte, den möchte ich auch sehen", fügt Miranda hinzu.
Ich krame in meinem iPhone, eigentlich will ich den Ring nicht zeigen, nicht nach Aelitas Bemerkung eben.
"Ah, da ist er ja!" Aelita scheint bessere Augen zu haben, als ich dachte, und schnellere, denn ich klicke durch die Bilder so schnell ich nur kann.
"Zeig her … ja, das ist ein Ring." Miranda atmet tief durch.
"Ein toller Stein, auf dem Foto sieht er wirklich weiß aus, kein Gelbstich. Wie groß mag der wohl sein? Ich schätze ihn auf fünf Karat! Ihr wisst doch, dass der Verlobungsring mindestens das Vierfache des monatlichen Einkommens des künftigen Ehemannes haben muss. Daran messen die Amerikanerinnen den Wert der Ehe und ihres zukünftigen Lebensstandards." Aelita ist unverschämt ehrlich.
"Mir ist der Ring nicht so wichtig, wisst ihr", versuche ich die Situation zu retten.
Die Jungs sind nicht mehr zu sehen. Der Tag neigt sich dem Ende zu und wir nehmen wieder einmal im Kaminzimmer Platz.
"Chablis oder lieber Champagner?", frage ich meine Gäste.
Matthew geht mir charmant zur Hand und öffnet beide Flaschen. Wir genießen die Tageszeitung, den Wein und das Kaminfeuer.
"Ich koche heute. Es gibt Spaghetti-Carbonara. Das geht schnell und alle mögen es", schlage ich vor.
"Super, ich kann dir helfen", bietet sich Aelita an und schlägt vor, die ganze Woche über zu kochen.
Wir gehen in die Küche und ich hole Crème fraîche für die Carbonara aus dem Kühlschrank.
"Was willst du denn damit?", fragt mich Aelita mit vorwurfsvollem Blick.
"Na, die ist für die Soße", erwidere ich.
Aelita hat einige Jahre in Italien verbracht und übernimmt die Carbonara für mich. Wir nippen alle an unseren Weingläsern während wir kochen, rühren und schnippeln.
"Der Salat ist köstlich. Hier, du kannst schon den Lachs ins Esszimmer bringen."
Matthew deckt inzwischen den Tisch, dicht gefolgt von Miranda, die jede Gabel und jedes Messer entweder umdreht oder an eine andere Position bringt.
"Wir nehmen das Silberbesteck, Matthew. Das andere ist für schnelle Snacks in der Küche. Die Gabel muss links außen liegen, das Messer mit der Schneide zur rechten Seite des Tellers", korrigiert Miranda Matthews Tischlein-deck-dich. Ja, sie hat Stil und Klasse.
"Ich bin Linkshänder", bemerkt Matthew.
"Und wir wechseln die Gläser, bitte, Edwina. Wo sind die Batistservietten? Die Kinder können auch mal was tun, hier Eddie, hol doch noch etwas Holz aus dem Schuppen. Nein Daisy, du brauchst nicht helfen, dafür sind doch die Jungs da", korrigiert Miranda die Abendszene.
"Als Erste bekommen die Erwachsenen etwas zu essen, dann die Kinder, Daisy zuerst. Eddie, du kannst ruhig warten, bis du an der Reihe bist. Das gehört sich nicht." Er hat einfach keine Manieren, dieser Junge. Was erwarte ich auch bei der amerikanischen Mutter … und Edward konnte ja noch nicht einmal Biscuit, die Labradorhündin, erziehen.
Das Telefon klingelt. Es ist Mary Grace, Edwards Mutter aus San Francisco. Sicher ist sie wieder betrunken, es ist ja schon 11.00 Uhr morgens in Kalifornien, denke ich.
"Hey Mum, ich vermisse dich so sehr", höre ich Eddie durch die offene Tür ins Telefon jammern. "Wann sehe ich dich endlich wieder", seine Stimme bricht, er beginnt fast zu weinen. Felix sieht mich schockiert an. "Ja, bitte, komm bald hierher, ich halte es nicht mehr aus ohne dich."
"Wir essen jetzt, mach bitte Schluss, Eddie", fordere ich ihn auf. "Sie weiß doch ganz genau, dass sie nicht um diese Zeit anrufen soll, wenn wir bei Tisch sitzen."
"Das Telefon war die ganze Zeit vorher besetzt", murmelt Eddie. Wir haben hier sehr schlechten Handyempfang, deshalb rufen alle auf dem Festnetz an.
"Eddie, wir sind schon fast fertig mit dem Essen. Jetzt müssen wir alle nur auf dich warten mit dem Dessert", bemerkt Miranda.
"Darf ich noch etwas Spaghetti haben, bitte? Sie schmecken so gut", fragt Eddie.
"Lass doch noch welche für Daisy übrig."
"Aber sie hatte doch schon zwei Teller … ist schon okay, hier Daisy, nimm dir noch mehr." Eddie reicht Daisy die Schüssel.
Matthew betrachtet das ganze Spiel ausgesprochen skeptisch.
"Hier, ich habe meine Carbonara noch nicht angerührt, Eddie. Nimm!" Aelita reicht Eddie ihren Teller. Sie setzt ein arrogantes Lächeln auf, tauscht einen wissenden Blick mit Matthew aus, der neben ihr sitzt.
Aelita sitzt neben Miranda, die sich jetzt sicher gerne intensiv mit Matthew austauschen würde. Morgen werde ich die Tischordnung ändern …
… No one noticed what she'd done,
by the pricking of the thumbs,
something wicked this way comes …
LADY MACBETH, written by John Lees, Barclay James Harvest