Читать книгу Auf der Suche nach dem Märchenprinzen - Denise B. Frei Lehmann - Страница 6
ОглавлениеWie alles begann
„Geh in den Wald, such dir einen Frosch, küsse ihn und wer weiss, vielleicht ist es der langersehnte Märchenprinz“, grinste Alan seine Freundin Vivienne beim gemeinsamen Mittagessen an, nachdem sie sich wieder einmal ausgiebig über die Unzulänglichkeiten ihres Partners Richard beklagt hatte. Vivienne lachte ob des Vorschlags, der so typisch war für ihren eher sarkastisch gestrickten Freund, den sie aus dem Berufsleben kannte. „Ist es denn so wichtig, eine romantische Liebesbeziehung zu führen?“ wollte er noch wissen. „In einer Partnerschaft sind meiner Meinung nach vor allem Vertrautheit, Zuverlässigkeit und Loyalität ausschlaggebend, denn Liebesgefühle haben früher oder später ein Verfallsdatum.“ „Interessant – hast Du Dich schon mal gefragt, warum du eigentlich regelmässig von deinen Partnerinnen verlassen wirst, obwohl du so gut weisst, wie eine perfekte Partnerschaft zu funktionieren hat?“ konnte sich Vivienne nicht verkneifen nachzufragen. „Hm, ja gute Frage. Vielleicht war die Richtige noch nicht dabei und vielleicht fehlt mir halt doch die gewisse Prise Romantik, um in Liebesgefühlen zu schwelgen, was euch Frauen so in Entzücken versetzt“ gab er nach einiger Überlegung zu. „Ja, so sehe ich das auch. Euch Männern ist vielleicht der Sinn nach Sex gegeben, doch an romantischen Gefühlen und an der Sehnsucht nach der vollkommenen Liebe fehlt es euch gänzlich.“ „Was ist die vollkommene Liebe?“ wollte Alan provozierend wissen. „Zur vollkommenen Liebe gehören neben Vertrautheit, Zuverlässigkeit und Loyalität auch Leidenschaft und tiefe, verschmelzende Gefühle dazu. Sich in den Armen des anderen geborgen fühlen, sich anlehnen, verschmelzen, das alles gehört zur vollkommenen Liebe. Als Kind und später Jugendliche wünschte ich mir oft, in einen Tiefschlaf zu verfallen, um nach meinem 20. Altersjahr vom Märchenprinzen wach geküsst zu werden. Dann wäre ich erwachsen gewesen und meine Eltern hätten nichts mehr zu sagen gehabt“ erklärte Vivienne ihren Hang zur Märchenwelt. „Jetzt bist du aber erwachsen und kannst tun und lassen was Du willst. Und vor allem kannst du nach dem Märchenprinzen Ausschau halten, der alle deine Sehnsüchte erfüllt“ spöttelte Alan. „Vivienne, ich kenne dich vor allem aus dem Geschäftsleben und da agierst du klar und zielorientiert. Und nun schwärmst du mir vom Märchenprinzen vor, den es in der Realität nicht gibt? Ich kann das kaum glauben!" „Vergiss unser Gespräch wieder, Alan, ich wollte dich nicht überfordern“ wechselte Vivienne frustriert das Thema. ‚Vielleicht muss ich tatsächlich endlich so richtig erwachsen werden und meine Vorstellungen über eine perfekte Partnerschaft herunterschrauben‘ kam sie zur Überzeugung, nachdem sie sich von Alan verabschiedet hatte und mit ihrem Auto zurück zur Arbeit fuhr.
„Warum machst du so ein wütendes Gesicht?“, wollte der 14jährige Fabian abends von seiner Mutter wissen, als er nach der Schule zur Haustüre reinkam. „Weil ich es satthabe, mit einem Partner zusammen zu leben, der kaum Zeit für uns aufbringt. Soeben hat sich dein Stiefvater fürs Abendessen abgemeldet und ist zurück in sein Geschäft gefahren!“ „Mein Stiefvater hat einen Namen, Mami, er heisst Richard. Immer wenn du wütend bist, nennst du ihn Stiefvater. Wie das tönt! Du weisst ja, dass er grad sein neues Geschäft aufbaut und das braucht halt Zeit.“ „Jaja, schon gut. Damit hat sich dein Grossvater auch immer herausgeredet. Obwohl weder meine Mutter noch wir Kinder Freude an seinem Dauerfernbleiben vom Familientisch hatten! Nun wiederholt sich das Ganze mit Richard. Ich verstehe nicht, warum er seinen gut bezahlten Job für ein eigenes Geschäft aufgegeben hat. Zusammen mit meinem Einkommen könnte es uns nun so richtig gut gehen. Aber nein, Monsieur greift lieber nach den Sternen, als am Boden zu bleiben und das Leben zu geniessen!“ „Wann gibt es zu essen?“ wollte Fabian wissen, ohne weiter auf das Gezeter seiner Mutter einzugehen. „In zehn Minuten, bitte wasch dir vorher noch die Hände.“ „Bin ich ein kleines Bubi Mami?“ fragte er augenrollend und machte sich dann aber doch auf, um sich im Badezimmer frisch zu machen. Vivienne ging in die Küche, um die Pfanne mit Geschnetzeltem vom Herd zu nehmen.
Die wahren Gründe, warum sich Richard kurzfristig fürs Abendessen abgemeldet hatte, verschwieg sie Ihrem Sohn. Der unschöne Streit ging ihr nun durch den Kopf. Ihr Partner hatte ihr ein aus ihrer Sicht unmoralisches, nein, ungeheuerliches Angebot gemacht, nachdem sie sich einmal mehr über seine Distanziertheit und Karrieregeilheit beklagt hatte. „Ich liebe dich nach wie vor“ meinte er daraufhin. „Du bist grundsätzlich meine Traumfrau, doch ich kann deinen Ansprüchen nicht gerecht werden, das bin ich mir wohl bewusst und das hast du nicht verdient. Darum mache ich dir jetzt einen Vorschlag: Wir bleiben zusammen und du suchst dir nebenbei einen Liebhaber.“ „Machst Du Witze, Richard?!“ bebte Vivienne vor Wut. „Manchmal frage ich mich, ob du nicht schwul bist und dir der Mumm fehlt, dazu zu stehen?“ „Sicher bin ich nicht schwul…“, entrüstete er sich. „Ich mag einfach keinen Sex, das war schon immer so! Meine Devise ist, dass man mit seiner Partnerin einmal Sex hat und dann gehört man zusammen. Mehr benötigt es meiner Meinung nach nicht. Das wäre verschwendete Energie!“ „Geh doch endlich mal zu einem Psychiater!!! Du tickst einfach nicht richtig! Oder werde Priester! In einem katholischen Orden rennst du mit deiner Einstellung offene Türen ein!“ „Wie soll mir ein Psychiater helfen? Die haben selbst nicht alle Tassen im Schrank und von Priestern halte ich noch viel weniger. Ich mag keinen Sex, damit hat es sich. Und das hat weder mit dem Zölibat noch mit Gott weiss was zu tun.“ „Okay, dann nimm jetzt einfach zur Kenntnis, dass ich mich sicher nicht in eine Affäre stürzen werde, nur damit du dein schlechtes Gewissen beruhigen kannst. Unsere Zeit ist abgelaufen, so sieht es aus!“, Richard schüttelte den Kopf. „Mir ist der Appetit vergangen, ich esse besser auswärts“, dann verliess er wütend die Wohnung, um zurück ins Geschäft zu fahren. Dort angekommen setzte er sich ans Pult und versuchte einen Auftrag zu bearbeiten. Doch das fiel ihm nach dem Streit mit seiner Partnerin schwer. Nachdem er sich eine Zigarette angezündete hatte, schenkte er sich Kaffee aus der Thermoskanne ein. Dann griff er zum Telefonhörer und rief Vivienne an. „Hast Du Dich wieder beruhigt?“ wollte er wissen. „Nein, mein Entscheid steht fest. Wir passen einfach nicht zusammen, um auf Dauer glücklich zu sein“ tönte es ungnädig aus dem Hörer. „Ich bedaure deinen Entscheid sehr, denn grundsätzlich bist du die einzige Frau, mit der ich mir ein gemeinsames Leben bis ans Ende meiner Tage vorstellen kann. Doch mag ich einfach keinen Sex.“ „Ja, Richard, das wissen wir ja jetzt. Nur, eine Partnerschaft zu dritt kommt für mich niemals in Frage, niemals!!! Es ist eine Unverschämtheit, mir so etwas vorzuschlagen!“ schrie Vivienne durchs Telefon und legte auf. ‚Zum Glück hat Fabian nichts vom Streit mitbekommen‘, überlegte sie, währen die das Essen auf die Teller schöpfte. Ihr Sohn mochte Richard, auch wenn er ihn nicht viel zu Gesicht bekam.
Anderentags einigte sich das Paar darauf, dass es nur noch solange zusammenleben würde, bis Richard eine eigene Wohnung gefunden hätte.
Vivienne informierte ihren Sohn abends nach der Arbeit über die Trennungsabsichten. „Aber gell Mami, ich wünsche eine friedliche Trennung. Das Theater, wie bei der Scheidung zwischen dir und Papi muss ich nicht mehr haben.“ Mit Schaudern erinnerte er sich an die Scheidungsschlacht seiner Eltern. Damals, zehn Jahre zuvor, war es für ihn als kleines Kind kaum nachvollziehbar, warum sich seine Eltern nicht auf ein gemeinsames Sorgerecht einigen konnten. Doch dies war Ende der 1970er Jahre verpönt und vor allem sein Vater und der Rest der Familie sannen auf Rache, weil seine Mutter, die als ledige Schwangere zur Ehe genötigt wurde, nun um jeden Preis ihr ungeliebtes Ehejoch verlassen wollte. Fabian hing zu jenem Zeitpunkt mehr an seinem Vater und dessen Familie als an der Mutter und deren Familie. So entschied er sich als Fünfjähriger, lieber bei seinem nachsichtigen und nachgiebigen Papi zu bleiben. Seine Mutter war damals am Ende ihrer Kräfte und ertrug den aufgezwungenen Ehemann kaum noch, weshalb auch ihre Ärzte zur Scheidung drängten. Keiner jedoch hätte mit einem Scheidungskrieg derartigen Ausmasses gerechnet. Dies vor allem, weil sich Viviennes Vater als Gegenanwalt aufspielte, um seine Tochter wieder zurück an den heimischen Herd zu zwingen. Dabei ging es ihm als christlich konservativem Politiker vor allem um sein politisches Ansehen. Doch alles nützte nichts: Vivienne beharrte auf der Scheidung und war ab jenem Zeitpunkt eine Persona non grata für ihre Familie.
Fabian wohnte einige Jahre bei seinem Vater und bat eines Tages darum, nun doch bei seiner Mutter leben zu dürfen. Sein Vater Bruno begrüsste den Wunsch seines Sohnes, weil er als Erziehungsberechtigter immer mehr an seine Grenzen stiess, was auch Fabians Lehrer und der Tagesmutter nicht entgangen war. Beide machten Vivienne auf Brunos fahrlässiges Verhalten aufmerksam und baten sie eindringlich, das elterliche Sorgerecht wieder zu übernehmen, das sie einst freiwillig ihrem damaligen Ehemann überlassen hatte. Das Familiengericht entsprach diesem Wunsch nach einer Anhörung problemlos und glücklicherweise lebte sich Fabian rasch im mütterlichen Umfeld ein, das ihm aus seinen regelmässigen Wochenendbesuchen bereits bestens bekannt war. Einzig in der neuen Schule gab es Probleme, weil er mit einigen Lehrern nicht klarkam. Darum meldete Vivienne ihren Sohn in einer Privatschule in der Nähe der Firma Matter an, in der sie seit bald zwei Jahren als Personalchefin arbeitete. Die Stelle fand sie über ein Chiffre Inserat, das Richard für sie gestaltete und in einer der Tageszeitungen veröffentlichte. Einige interessierte Firmen meldeten sich und sie entschied sich schlussendlich für die Firma Matter, die in ihrer Wohnregion als Arbeitgeber einen ausgezeichneten Ruf genoss.