Читать книгу Auf der Suche nach dem Märchenprinzen - Denise B. Frei Lehmann - Страница 8

Оглавление

Der Griff nach dem Rettungs-Anker

Im Frühsommer, fünf Monate nach Charlottes Herzstillstand lud Konrad Koch Vivienne und die Personalassistentin samt ihren Partnern zu einem gemeinsamen Abendessen zu sich nach Hause ein. „Passt Ihnen Samstag in zwei Wochen?“ wollte er von seinen Mitarbeiterinnen wissen. „Danke für die Einladung, doch ich muss zuerst meinen Partner fragen. Er ist momentan ziemlich beschäftigt mit dem Aufbau seiner Setzerei“ erwiderte Vivienne wenig begeistert. Dass Richard und sie mehr oder weniger getrennt lebten, verschwieg sie bislang ihrem Chef, weil sie fand, das sei ihre Privatsache. Nach wie vor stand Richard als Begleiter zur Verfügung, wenn sie nicht allein zu irgendwelchen Anlässen gehen wollte. „Bis mein Nachfolger eingearbeitet ist, übernehme ich diesen Job halt noch“ witzelte er jeweils, wenn Vivienne ihn wieder mal um seinen Begleitservice bat. „Ich komme mit, aber nicht mit Freuden. Wie Du weisst, mag ich die Kochs nicht besonders. Zudem habe ich keine Lust, den ganzen Abend da zu sitzen und mir Geschichten aus der Firma Matter anzuhören. Und warum laden die uns überhaupt ein?“ wollte er noch wissen. „Keine Ahnung, aber gut, kommst du mit“, bedankte sich Vivienne, die ebenfalls erstaunt über die Einladung war.

Der Abend bei Kochs entpuppte sich angenehmer, als erwartet. Die Gastgeberin gab sich alle Mühe und das von ihr servierte Filet im Teig war vorzüglich. Trotzdem fühlten sich die Gäste in der Gesellschaft des vom Schicksal gebeutelten Ehepaars unwohl, vor allem auch, weil der gegenseitige Umgang zwischen den Ehepartnern eher unterkühlt und distanziert zu sein schien.

„Zu Ihrer Information, wir wagen räumlich einen Neuanfang und werden nächstens in eine andere Wohngegend umziehen. Hier erinnert uns alles zu sehr an Charlotte und das schmerzt uns jeden Tag aufs Neue“ liess Konrad Koch seine Gäste während des Desserts wissen. „Das würde mir wahrscheinlich auch so gehen“ meinte Vivienne kurz angebunden, weil es sie je länger je mehr befremdete, was ihr normalerweise zurückhaltender Chef alles aus seinem Privatleben preisgab.

„Vor Charlottes Unglücksfall erzählte er kaum etwas über sich oder seine Familie und irgendwie war mir dies auch recht so. Plötzlich sucht mein Chef nun meine Nähe und erzählt mir Dinge, die ich so nie von ihm erwartet hätte“ meinte Vivienne auf dem Nachhauseweg zu Richard. „Ich weiss nicht, was du hast. Er muss sich halt mit jemandem austauschen, nachdem was er alles erlebt hat. Auf jeden Fall war‘s ein netter Abend und das Essen schmeckte ausgezeichnet.“

Tatsächlich zog die Familie Koch wenig später in eine neue Wohnung und ihr Chef wirkte nach dem Umzug um einiges gelassener und zufriedener. Nachdem das neue Zuhause eingerichtet war, lud Konrad Koch sein Führungsteam zu einem Mittagessen ein, worüber vor allem Fridolin Tobler erstaunt war. „Noch nie in der bald vierzehnjährigen Zusammenarbeit habe ich erlebt, dass der Koch irgendjemanden aus der Firma in seine Wohnung eingeladen hätte. Ob ihn das Unglück seiner Tochter geläutert hat? Er ist in letzter Zeit um einiges ruhiger und zugänglicher geworden. Selbst wenn es Probleme mit dem Lohnsystem gibt, reagiert er gelassener.“ ‚Hauptsache das Arbeitsklima hat sich verbessert, warum auch immer‘, überlegte Vivienne, während sie ihrem Kollegen zunickte. Auch ihr war nicht entgangen, dass sich ihr Chef nach dem Wohnortwechsel um einiges umgänglicher verhielt und lernte ihn so von einer völlig neuen Seite kennen.

Nachdem sich das positive Arbeitsklima über drei Monate hinweg hielt, gab es für Vivienne keinen Grund mehr, sich um eine neue Stelle zu bemühen. Wohl gab es Momente, in denen sie gewisse Animositäten ihres Chefs nicht verstand, doch da diese nichts mit ihr zu tun hatten, nahm sie sich vor, darüber hinwegzusehen. Natürlich war ihr bewusst, dass Konrad Koch Tag für Tag alle Kraft zusammennehmen musste, um mit der neuen Familiensituation klar zu kommen. Einmal gestand er ihr unter Tränen ein, dass er aus verschiedenen Gründen nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen war und sich dies nun durch Charlottes Unglück noch verstärkt hätte. „Ich verstehe Gott nicht, wenn es ihn überhaupt gibt, warum er so etwas zulässt. Charlotte war so eine hoffnungsvolle und fröhliche junge Frau. Warum musste ausgerechnet sie einen Herzstillstand erleiden? Nie klagte sie über Herzprobleme. Warum nur muss sie jetzt für den Rest ihres Lebens als Schwerstinvalidin leben?“ „Dies ist Charlottes Schicksal und Sie als Vater müssen das wohl lernen zu akzeptieren. Sie können für den Moment nichts anderes tun, als ihr beizustehen“, versuchte sie ihn zu trösten. Dann wollte sie noch wissen: „Wie geht Ihre Frau mit der Situation um?“ „Keine Ahnung, wie meine Frau damit umgeht, wir sprechen nicht darüber. Und warum muss meine Tochter so ein grausames Schicksal überhaupt durchleben, haben Sie dazu auch eine Antwort?“ fragte Konrad Koch, der alles andere als begeistert über Viviennes Auslegung der traurigen Situation war. Erstaunt blickte ihn Vivienne an, was ihn irritierte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er seiner Mitarbeiterin gar nicht so viel aus seinem Privatleben Preis geben wollte. Er wandte sich rasch ab und verliess ihr Büro, um in seines zu gehen. Nachdem er an seinem Pult Platz genommen hatte, überlegte er, dass er bis zum heutigen Moment noch nie so offen mit jemandem über seine wahren Gefühle gesprochen hatte. Früher als Kind und in seiner Jugendzeit war er sehr emotional veranlagt. Doch durch die Ehe mit Elena legte er jene Seite ab, weil sie Gefühlsduseleien nichts abgewinnen konnte. Der Umgang zwischen ihm und seiner Frau war eher rational, respektvoll und kumpelhaft, statt von grosser Nähe und Zärtlichkeit geprägt. Er liebte seine Frau, doch von der wahren, grossen Liebe, wie er sich diese immer mal wieder zwischen Mann und Frau vorgestellt hatte, konnte keine Rede sein. Grad jetzt, wo er ihre Nähe gebraucht hätte, wo auch er ihr gerne Nähe gegeben hätte, verhielt sie sich ihm gegenüber noch distanzierter und kühler.

Am anderen Morgen suchte Konrad Koch wieder Viviennes Nähe und erzählte ihr von einem Konzert, das er kürzlich besucht hatte. Es kam Vivienne langsam so vor, als würde er durch die persönlichen Gespräche mit ihr Lebenskraft tanken. Für die Personalchefin war es nicht neu, dass Menschen ihre Nähe suchten, um ihr Herz auszuschütten. Das gehörte zu ihrem Beruf und gerne half sie mit aufmunternden Worten oder Ratschlägen weiter. Doch dass nun ihr sonst so distanzierter Chef ihre Nähe suchte, überforderte sie, weil sie der Meinung war, dass er besser professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte, um den schweren Schicksalsschlag zusammen mit seiner Familie zu verarbeiten.

Dass Konrad Koch immer mehr Viviennes Nähe suchte, fiel mit der Zeit auch anderen Mitarbeitenden auf. Vor allem die Assistentin des Unternehmensleiters, Irma Müller, flüsterte ihrer Kollegin während eines Firmen-Apéro augenzwinkernd und mit vorgehaltener Hand zu: „Was mit dem Koch los ist, sieht ein Blinder.“ „Ja was denn?“ fragte Vivienne arglos zurück. „Der ist in Sie verschossen, mein liebes Kind. Schade, gefällt er Ihnen nicht. Er könnte tatsächlich verborgene Qualitäten haben, die bis jetzt noch keiner wahrgenommen hat. Und wissen Sie, seine Frau ist doch etwas zickig und haben Sie gesehen, wie es in deren Wohnung aussieht? Wie in einem Museum.“ Tage zuvor besuchten Vivienne und Irma Müller das Stadtkino, um sich den Film „Nicht ohne meine Tochter“ anzusehen. Ihr Chef bekam dies mit und da das Kino direkt neben seiner Wohnung lag, passte er die beiden Damen nach der Vorstellung ab und lud sie spontan zu einem Glas Champagner ein. Seine Frau schien etwas irritiert darüber zu sein, liess ihren Ehemann jedoch gewähren. Irma Müller, eine kultivierte und vom Leben nicht gerade verwöhnte Deutsche, die sich und ihren kleinen Sohn allein durchbringen musste, nachdem ihr Mann bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, musste man nichts vormachen. Durch ihre Lebenserfahrung besass sie einen Röntgenblick, dem nichts entging. So auch nicht, dass Kochs Wohnung kein gemütliches Zuhause war, sondern, wie sie es ausdrückte, eine sterile Museumsatmosphäre ausstrahlte. „Vielleicht kommt der Mann emotional zu kurz und ist deswegen immer so komisch drauf“ mutmasste die Geschäftsleitungsassistentin, während sie eines der Apéro-Häppchen in ihren Mund schob.

Vivienne bewunderte die grossgewachsene, kluge Deutsche mit Stil, Weitsicht und klarem Verstand, mit der sie sich nach deren Anstellung in der Chefetage etwas angefreundet hatte. Die Initiative hatte damals Irma Müller ergriffen, weil diese nach ihrem Eintritt rasch erkannte, dass Vivienne die einzige weibliche Person im Unternehmen war, mit der Unterhaltung auf gehobenem Niveau möglich war. Ihr gefiel die Art, wie sich die junge Frau kleidete und auch sonst immer gepflegt daherkam, genauso wie sie selbst. Darum hatte sie Vivienne und ihren Partner bereits einige Wochen vor dem Kinobesuch zu einem gemeinsamen Abendessen zu sich nach Hause eingeladen. Mit gemischten Gefühlen hatte Vivienne damals Richard mitgenommen, weil er sich von morgens bis abends und auch an den Wochenenden abrackerte, was zwangsläufig zu Schlafmangel führte. Eingeladen bei Freunden, konnte er sich meist nach dem Essen kaum mehr auf den Beinen halten und legte sich, ohne um Erlaubnis zu bitten, aufs Sofa der Gastgeber, um begleitet von einem lauten Schnarchkonzert in Tiefschlaf zu fallen. Leider fehlte Richard jegliches Fingerspitzengefühl, bei welchen Gastgebern es irgendwie drin lag, sich für ein Schläfchen aufs Sofa zu legen und bei welchen unter keinen Umständen. „Wir wären nächstes Wochenende bei Frau Müller zum Nachtessen eingeladen, Richard. Du hast aber sicher keine Zeit, so wie ich das einschätze?“ hatte Vivienne damals vorsichtig nachgefragt. Insgeheim hatte sie gehofft, dass er ihre Annahme bestätigen und abwinken würde. Doch das Gegenteil war der Fall: „Etwas Abwechslung tut mir gut und die Müller wollte ich schon lange mal kennen lernen“ hatte er Vivienne wissen lassen. „Kann die überhaupt kochen oder lässt sie kochen?“ Vivienne hatte ihm schon einiges über die schillernde, 57jährige Assistentin des CEO erzählt und so war er gespannt auf die Begegnung gewesen. „Du weisst dich zu benehmen, gell, Richard. Schläfchen auf dem Sofa liegt bei der Deutschen Lady nicht drin. Ich glaub, die würde dich hochkant rauswerfen“ hatte sie ihn unmissverständlich wissen lassen.

Wie abgemacht waren die beiden zur verabredeten Zeit bei Irma Müller eingetroffen und diese begrüsste ihre Gäste freundlich und damenhaft, wie dies ihre übliche Art war. Grosse Herzlichkeitsbekundungen waren von ihr nicht zu erwarten, sie war von ihrem Wesen her eher rational und distanziert gestrickt. Ganz im Gegensatz zu Vivienne, deren Grundwesen herzlich und empathisch war. Bereits im Korridor roch es nach Braten und die beiden freuten sich auf einen kulinarisch vielversprechenden Abend. Im Wohnzimmer herrschte eine noble Atmosphäre, die vor allem von den sorgfältig ausgewählten, dunkelgrünen Lederpolstermöbeln im englischen Stil ausging und den in Goldrahmen gehaltenen Stiche an den Wänden. Im angrenzenden Esszimmer war der Tisch bereits mit einem weissen Tischtuch und schönem Porzellan gedeckt, so wie es Vivienne nicht anders erwartet hatte. Sie schaute Richard kurz von der Seite an und gab ihm mit Blick auf den Diwan heimlich einen Stupser. Dabei schüttelte sie den Kopf mit strenger Miene und wollte ihn so nochmals daran erinnern, dass er sich nach dem Essen dort auf keinen Fall hinlegen durfte. Richard grinste nur und nickte ihr zu.

Nach dem üppigen Essen und dem dazu gereichten edlen Wein wurde Richard wie üblich müde, blieb aber am Tisch sitzen und folgte dem anregenden Gespräch zwischen den beiden Frauen. Ab und zu gab er seinen Kommentar ab, doch mit der Zeit ermattete ihn die Diskussion, die sich hauptsächlich um den Geschäftsalltag der beiden Frauen drehte. „Wo ist die Toilette?“ wollte er von der Gastgeberin wissen. Sie stand auf und zeigte ihm den Weg ins obere Stockwerk, wo sich die Gästetoilette befand. Dann kam sie wieder zurück und die beiden setzten ihr Gespräch fort. Dabei bemerkten sie nicht, dass sich Richard nicht mehr zu ihnen an den Tisch setzte, sondern sich in der Zwischenzeit ungefragt aufs edle Sofa legte und sogleich in einen Tief schlaf gefallen war, untermalt von seinem üblichen Schnarchkonzert. „Woher kommen diese lauten Geräusche?“ wollte Irma Müller konsterniert wissen. „Klingt, als würde einer schnarchen.“ Als die Gastgeberin realisierte, woher die Schnarchgeräusche kamen, wandte sie sich mit strenger Miene Vivienne zu: „So etwas ist mir noch nie passiert! Nicht einmal mir käme es in den Sinn, mich zum Schlafen aufs Sofa zu legen. Was fällt dem Kerl eigentlich ein?! Den lassen Sie das nächste Mal bitte zu Hause! Was wollen Sie überhaupt mit solch einem, der passt doch gar nicht zu Ihnen!“ Richard bekam von der Schelte nichts mit und schlief weiter, bis ihn Vivienne weckte, um nach Hause zu fahren. Auf dem Heimweg meinte er: „War soweit ein netter Abend und das Essen schmeckte sehr gut. Doch Frau Müllers noble Art ging mir etwas auf den Kecks. Die Verabschiedung war in meinen Augen zu unterkühlt. Ich glaube nicht, dass die uns nochmals einlädt.“ „Dich bestimmt nicht!“ zischte Vivienne Richard wütend an. „Du hast dich unmöglich benommen und in Zukunft bleibst du zu Hause. Ich muss mich wohl tatsächlich nach einem neuen Begleiter umsehen. Notfalls nehme ich Fabian mit, im Gegensatz zu dir weiss er sich zu benehmen!“

Nun, einige Wochen nach jenem Besuch, versuchte Irma Müller ihrer zwanzig Jahre jüngeren Arbeitskollegin klarzumachen, dass sich der nicht immer unproblematische Personaldirektor in sie verliebt hätte. Vivienne schüttelte den Kopf und wehrte ab. „Sie irren sich Frau Müller! Der Mann ist glücklich verheiratet und wenn’s solche Dramen gibt, wie die Familie Koch grad durchlebt, wird eine Ehe noch enger zusammengeschweisst. Niemals würde sich Herr Koch nach einer anderen Frau umsehen. Seine Gefühle mir gegenüber sind meiner Meinung nach rein freundschaftlicher Natur.“ Innerlich musste Vivienne jedoch zugeben, dass sich das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Chef seit Charlottes Unglück tatsächlich verändert hatte. Seit ihrer Anstellung vor bald zwei Jahren ging man sachlich und distanziert miteinander um, nun war eine gewisse Vertrautheit spürbar. Doch sie pflegte auch mit anderen Arbeitskollegen aus dem Kader einen vertraulicheren Umgang. Doch im Gegensatz zu ihren Kollegen, war Konrad Koch ihr Chef und da war aus ihrer Sicht Distanz Pflicht.

Nach Irma Müllers Hinweis beobachtete Vivienne das Verhalten ihres Chefs genauer und musste Tage später ihrer Kollegin recht geben, denn tatsächlich schien es, als hätte ihr Chef ein Auge auf sie geworfen. Vivienne fühlte sich peinlich berührt und nahm sich vor, Konrad Koch weiterhin ausschliesslich als ihren Chef zu behandeln und sein seltsames, oft liebevolles Benehmen einfach zu ignorieren. ‚Er durchlebt eine schwierige Zeit und wenn er das Unglück mit seiner Tochter etwas verdaut hat, wird sich das Ganze wieder normalisieren‘ gelangte sie zur Überzeugung. ‚Ich bin jetzt sowas wie ein Rettungsanker, an dem er sich festhält, bis sich der Sturm wieder gelegt hat.‘

Auch dem Verkaufschef und Personalkommissionspräsidenten im Nebenamt, Fritz Weber, entging die positive Verwandlung des Personaldirektors nicht. Er arbeitete seit bald 20 Jahren in der Firma und kannte Konrad Koch aus verschiedenen hart geführten Sitzungen und persönlichen Gesprächen rund um die Belange der Personalkommission bestens. „Was ist eigentlich mit Ihrem Chef los, Frau Zeller? Er zeigt sich in letzter Zeit während Verhandlungen ungewöhnlich locker und verständnisvoll. Dies vor allem, wenn Sie zugegen sind“, wollte er verschmitzt lächelnd wissen, nachdem er Vivienne wieder einmal in ihrem Büro aufsuchte, um mit ihr verschiedene personelle Anliegen zu besprechen. „Ich weiss nicht, was mit ihm los ist, ausser, dass er sehr unter Charlottes Unglück leidet“, versuchte Vivienne das für sie unangenehme Gespräch in andere Bahnen zu lenken. „Vielleicht sucht er in Ihrer Nähe Liebe und Geborgenheit, weil er die zu Hause nicht findet. Seine Frau scheint doch eher unterkühlt zu sein, wie ich schon beobachtet habe. Nun fehlt ihm seine Tochter, die er richtiggehend vergöttert hat, wie man sich so erzählt.“ „Sie meinen, er sucht in mir einen Ersatz für seine Tochter?“ fragte Vivienne empört nach. „Nein, das denke ich nicht. Er sucht eher eine starke Schulter zum Anlehnen und wir wissen hier ja alle in der Firma, dass Sie über solche Qualitäten verfügen. Darunter verstehe ich trösten, Zuspruch und die richtigen aufmunternden Worte in Krisensituationen zu finden“, fügte Fritz Weber augenzwinkernd hinzu, bevor er sich wieder verabschiedete.

Nach ihrem obligaten Feierabend-Bad rief Vivienne Richard an und erzählte ihm von den seltsamen Annäherungen ihres Chefs. „Er sucht Trost und Halt, ist doch verständlich“, war sein einziger Kommentar. „Musst halt selbst wissen, wie du damit umgehst, da kann ich dir nicht helfen. Ich hab jetzt grad einen Kunden hier und kann nicht frei sprechen.“

Vivienne nahm sich vor, ihrem Chef gegenüber wieder mehr auf Distanz zu gehen. Doch Konrad Koch bemerkte ihr distanziertes Verhalten sofort und sprach sie bei passender Gelegenheit darauf an. „Habe ich was falsch gemacht, dass Sie mein Büro meiden wie die Pest?“ fragte er geradeheraus. „Nein, Sie haben nichts falsch gemacht“ antwortete sie und wollte sogleich wieder gehen. „Sehen Sie, Sie halten es keine zwei Minuten in meiner Gegenwart aus“ amüsierte er sich. „Ein Mitarbeiter wartet in meinem Büro, darum bin ich in Eile“ versuchte sich Vivienne rauszureden, bevor sie sein Büro wieder verliess. ‚Irgendetwas beginnt sich zwischen uns schicksalshaft zu verändern‘ wurde ihr mit mulmigem Gefühl in der Magengegend bewusst. ‚Ist es Liebe oder einfach eine besondere Sympathie? Egal, beides bringt Ärger‘ ging es ihr durch den Kopf, bevor sie den wartenden Mitarbeiter in ihrem Büro begrüsste.

Auf der Suche nach dem Märchenprinzen

Подняться наверх