Читать книгу Wie Schneeflocken im Wind - Denise Hunter, Denise Hunter - Страница 14
SECHS
Оглавление„Ich finde, wir sollten abwarten, ob Kate die Stelle überhaupt will“, sagte Paige am nächsten Morgen im Wicked Good Brew, wo sie noch vor dem Gottesdienst eine Krisensitzung anberaumt hatten. „Aber sie braucht einen Job und hat keine Unterkunft, also wäre es für sie im Grunde die perfekte Lösung.“
Beau drückte kurz bestätigend Paiges Schulter. In ein paar Stunden würde Tante Trudy aus der Klinik entlassen werden, und deswegen musste rasch etwas geschehen.
„Was wissen wir denn überhaupt über sie?“, fragte Riley jetzt. „Sie taucht hier plötzlich wie aus dem Nichts auf mit nichts als den Kleidern, die sie am Leib trägt, und bricht in unseren Schuppen ein … Woher wissen wir denn, dass sie Tante Trudy nicht betäubt und sich dann mit unseren Wertsachen aus dem Staub macht?“
„Sie hat ein Kind, Riley“, sagte Paige dazu nur beschwichtigend. „Was willst du denn machen? Sie wieder auf die Straße setzen?“
„Vielleicht will sie die Stelle ja auch gar nicht“, schaltete sich jetzt Zac ein.
Beau trank seine Tasse leer und stellte fest: „Sie wird die Stelle auf jeden Fall annehmen.“
„Aber Riley hat auch recht“, wandte Zac ein. „Wir brauchen wenigstens einige Referenzen.“
„Ja, es kann sicher nicht schaden, etwas mehr über sie in Erfahrung zu bringen“, stimmte Riley zu, schaute dann zu Beau hinüber und fuhr fort: „Das ist ja wohl dein Ressort, oder?“
„Ja, aber vor vierzehn Uhr kann ich da nichts machen. Wir sind uns also alle einig?“
Paige und Zac nickten, aber Riley zuckte nur mit den Achseln, nickte dann ebenfalls etwas widerstrebend und wandte noch ein: „Aber ihre Unterbringung kostet uns ja dann noch zusätzlich etwas.“
„Du kannst ja die Unterkunft, die sie bei mir bekommt, noch von ihrem Lohn abziehen, wenn du unbedingt willst“, sagte Paige. „Aber das Zimmer bei mir steht ja sowieso leer, und ich kann weiß Gott ein bisschen mehr Östrogen in meiner Umgebung gebrauchen.“
Dankbar lächelte Beau Paige an und sagte: „Also gut, dann fahre ich jetzt bei dir zu Hause vorbei und rede mit ihr. Es kann sein, dass ich ein bisschen zu spät zum Gottesdienst komme.“
Eden wachte mit einem Ruck auf, blieb dann aber ganz ruhig liegen, bis sie wieder wusste, wo sie war. Ach ja, das Bett, in dem sie lag, stand im Haus von Beau Callahans Freundin. Die Morgensonne schien durch die einfarbig blauen Vorhänge auf Micahs Gesicht. Er lag neben ihr im Bett, ein Bein seitlich abgewinkelt, sein Teddy eingequetscht zwischen seinem Brustkorb und der Matratze.
Es war Sonntag, und sie wäre am liebsten in die kleine Kirche gegangen, die sie schon im Ort entdeckt hatte, und hätte sich einfach unter die Gemeindemitglieder gemischt.
Jetzt kam die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück, und sie dachte an Beau … ein interessanter Mann. Als Webdesignerin war es ihre besondere Stärke, Websites zu gestalten, die den Charakter der jeweiligen Firma widerspiegelten. Deshalb beschrieb sie die Persönlichkeit von Menschen, die sie neu kennenlernte, gerne mit Hilfe der Farben, welche sie bei der Gestaltung von deren persönlicher Website verwendet hätte.
Eden kannte Beau zwar noch kaum, aber mit ihm brachte sie Blau in Verbindung. Blau stand bei ihr für Loyalität, Zuverlässigkeit und eine Beschützermentalität. Als Farbe für sein Selbstbewusstsein würde sie noch ein wenig Weiß mit ins Spiel bringen und eine weitere Akzentfarbe sowie vielleicht einen kleinen Schuss Gelb, um den starken Unabhängigkeitsdrang auszudrücken, den sie bei ihm vermutete.
Als es jetzt an der Tür läutete, erschrak Eden und presste sich die Bettdecke an die Brust.
Böse Menschen läuten doch nicht.
Außerdem hatte sie wirklich sehr sorgfältig ihre Spuren verwischt. Zwei Mal hatten sie das Taxi gewechselt, bevor sie den Wagen gekauft hatte, und jedes Mal hatte sie ihr Aussehen verändert, genau so, wie die Bundespolizisten Walter und Brown sie instruiert hatten. Langley würde sie hier bestimmt nicht finden.
Bitte nicht, Gott!
Wieder läutete es, und ihr wurde bewusst, dass Paige wahrscheinlich gar nicht mehr zu Hause, sondern schon auf dem Weg in die Kirche war. Sie stand also schnell, aber so leise sie konnte auf, weil sie auf keinen Fall Micah wecken wollte, tapste barfuß durch den Flur und war sich dabei bewusst, dass sie eine geliehene Yogahose und nur ein dünnes Hemd trug. Als sie durchs Wohnzimmer kam, sprang Paiges graue Katze vom Sofa und folgte ihr zur Tür.
Beim Blick durch den Spion sah sie ein bekanntes Gesicht, öffnete deshalb die Tür und verschränkte die Arme vor dem Körper, um sich vor der eisigen Luft draußen zu schützen.
„Guten Morgen“, sagte sie.
Bei Tageslicht sah Beau noch besser aus. Er war frisch rasiert, und sie bemerkte, dass er zwei kleine Kerben im Kinn hatte, so als hätte er sich geschnitten.
„Kann ich hereinkommen?“, fragte er.
Sie trat zur Seite, und ein würzig maskuliner Duft strich an ihr vorbei, als sie die Tür wieder schloss.
Er rieb sich die Hände, während die Katze um seine Beine strich, und sagte: „Heute morgen sehen Sie schon ausgeruhter aus.“
„Ich bin gerade erst vor ein paar Minuten aufgewacht“, erklärte sie, strich sich das kurze Haar hinter die Ohren und versuchte, es etwas zu ordnen, obwohl sie wusste, dass das ziemlich zwecklos war. Außerdem war es sowieso egal, wie sie aussah, denn er hatte ja eine Freundin. Wahrscheinlich tat sie ihm einfach leid, denn man brauchte keine übersinnlichen Fähigkeiten, um das Mitleid in seinem Blick zu erkennen.
Sie trat von der Tür weg und fragte sich, wieso er wohl gekommen war.
„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte sie, zog dann aber eine Grimasse und fuhr fort: „Aber wahrscheinlich wäre es gut, auch zu wissen, wo der Kaffee ist, wenn ich Ihnen welchen anbiete, oder?“
Er hatte ein nettes Lächeln, und die kleine Furche neben seinem linken Mundwinkel war fast ein Grübchen – aber nur fast.
„Da machen Sie sich mal keine Gedanken“, beruhigte er sie. „Ich habe gerade schon einen Kaffee gehabt. Aber zu Ihrer Information: Der Kaffee steht links von der Spüle, nur für den Fall, dass Sie jetzt erst mal eine Dosis Koffein brauchen.“
„Ich glaube, was ich noch dringender brauche, ist eine heiße Dusche“, erklärte sie.
Beau nahm die Katze vom Boden auf, die daraufhin sofort zu schnurren begann, und sagte mit einem schiefen Grinsen: „Sie haben noch gar nicht gesagt, was Sie eigentlich in unsere Stadt führt. Dass zurzeit nicht gerade Hochsaison für Touristen ist, ist Ihnen ja wahrscheinlich auch klar, oder?“
Er bemühte sich dabei zwar um einen scherzhaften Ton, aber sie wusste aus Erfahrung, wie misstrauische Fragen klangen.
„Wir sind nur auf der Durchreise, aber mein Wagen ist liegengeblieben“, antwortete sie.
Er nahm eine Krippenszene aus Keramik in die Hand, die als Weihnachtsdekoration aufgestellt war, stellte sie dann wieder hin und fragte: „Woher kommen Sie denn?“
„Aus dem Süden. Aber ich habe schon überall gelebt. Ich bin gern unterwegs und immer offen für Neues.“
Vielleicht hatte Paige ihn geschickt, um nach dem Rechten zu sehen und sich zu vergewissern, dass sie sich nicht mit ihrem Laptop oder anderen Wertsachen aus dem Staub gemacht hatte. Paige war wirklich nett zu ihnen gewesen – und Beau war es auch.
„Ich lasse für Paige eine Nachricht da, um mich zu bedanken“, sagte sie deshalb zu Beau. „Ich bin wirklich sehr dankbar für Ihre Gastfreundschaft, und die zerbrochene Scheibe ersetze ich natürlich, sobald ich …“
Aber er winkte nur ab und entgegnete: „Ach, da machen Sie sich mal keine Gedanken. Eigentlich bin ich nämlich gekommen, um Ihnen zu sagen, dass …
Als er plötzlich mitten im Satz innehielt, schaute sie ihm ins Gesicht und sah, dass er die Lippen fest zusammengepresst hatte.
Sie folgte seinem Blick zu der Reihe von Blutergüssen auf ihrem Oberarm – Resultat ihrer kleinen nächtlichen Rangelei in dem Schuppen.
„Oh nein …“, sagte er, streckte seine Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen ganz, ganz sachte ihre Haut.
„War ich das?“, fragte er.
Die Berührung und seine belegte Stimme sorgten für Gänsehaut bei ihr, und sie entzog ihm rasch den Arm, weil sein Blick und ihre Reaktion darauf sie verlegen machten.
„Ach was … das ist doch fast nichts“, erklärte sie. „Beim Raufen mit Mi … Jack habe ich mir schon schlimmere blaue Flecken geholt.“
Doch ihre Worte änderten nichts an seiner gequälten Miene – die sie noch schlimmer fand als sein Mitleid.
„Es tut mir wirklich leid“, sagte er, woraufhin sie die Arme vorm Körper verschränkte, sodass man die blauen Flecke nicht mehr sehen konnte, und antwortete: „Ich bin sehr dankbar, dass ich einen warmen Platz zum Schlafen hatte. Paige war so nett zu uns, und sie hat uns zum Aufwärmen sogar noch eine tolle Suppe gekocht.“
„Also, wenn sie Ihnen etwas von ihren Dosensuppen abgegeben hat, dann muss sie Sie wirklich ins Herz geschlossen haben“, bemerkte er in scherzhaftem Ton.
Das war schon möglich, aber Eden hatte nicht vor, diese Gastfreundschaft auszunutzen. „Also …“, sagte sie und machte einen Schritt Richtung Flur. „Dann werde ich jetzt mal Jack wecken, und in ein paar Minuten sind wir dann auch schon verschwunden. Sie können Paige ausrichten …“
„Also eigentlich …“, sagte er und machte wieder einen Schritt auf sie zu, „… bin ich gekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich zusammen mit Paige und meinen Brüdern zu dem Schluss gekommen bin, dass wir doch einen Job für Sie haben.“
Wollte er ihr etwa weismachen, dass sich zwischen gestern Abend und heute Morgen ein neuer Job aufgetan hatte? Sie mochte zwar völlig mittellos und ohne Dach über dem Kopf sein, aber sie war nicht dumm. Sie merkte, wie ihr die Röte vom Hals aufwärtsstieg, und fand es ganz furchtbar, dass sie es sich nicht leisten konnte, ein Angebot, wie auch immer es aussehen mochte, auszuschlagen.
Deshalb hob sie fast ein wenig trotzig das Kinn, versuchte zu lächeln und sagte: „Ach ja?“
„Unsere Tante Trudy, die mit mir und meinem Bruder Riley auf der Farm lebt, hat sich das Bein gebrochen und liegt im Krankenhaus, wird aber demnächst entlassen. Sie wird allerdings noch eine ganze Weile Hilfe brauchen und muss außerdem ein paarmal in der Woche zur Physiotherapie in die Stadt begleitet werden. Ich habe im Moment sehr viel mit der Weihnachtsbaumplantage zu tun, denn wir öffnen am Tag nach Thanksgiving. Riley arbeitet mit mir zusammen auf der Farm, und Zac – das ist unser anderer Bruder – leitet das Roadhouse. Das ist ein Lokal etwas außerhalb der Stadt direkt am Meer“, erklärte Beau.
„Da habe ich gestern auch nach einem Job gefragt“, erinnerte sie sich. „Ich glaube, ich habe dort mit einem Kellner gesprochen.“
„Das kann sein“, sagte Beau daraufhin. „Zac stellt im Moment nicht ein.“
„Ja, das hat man mir auch gesagt“, bestätigte sie.
„Also, noch einmal zurück zu dem Job bei uns auf der Farm … unsere Tante muss also zu ihren Therapieterminen begleitet werden, aber noch wichtiger ist, dafür zu sorgen, dass sie sich möglichst ruhig verhält. Wir brauchen für fünf bis sechs Wochen – also etwa bis Weihnachten – jemanden, der den Haushalt führt. Sie müssten kochen, putzen und sich um die Wäsche kümmern – und Tante Trudy zur Therapie fahren.“
Das klang eigentlich nach einem ganz guten Angebot, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass er noch irgendetwas zurückhielt. Und außerdem war sie für diese Tätigkeit eigentlich überhaupt nicht qualifiziert. Doch im Moment hätte sie sogar eine Stelle als Buchhalterin angenommen und auch falsche Aussagen über ihre Qualifikation gemacht, um an einen Job zu kommen.
„Also wir bräuchten möglichst schnell jemanden – genau genommen in ein paar Stunden. Um die Referenzen können wir uns ja auch nachträglich noch kümmern. Könnten Sie sich vorstellen, diese Aufgabe zu übernehmen?“
In Gedanken ging sie noch einmal durch, was dagegensprach, und zwar erstens, dass sie keine Referenzen vorzuweisen hatte, und zweitens, dass sie keine Papiere hatte, weder Ausweis noch Führerschein, noch sonst etwas. Vielleicht würden sie sie ja auch schwarz arbeiten lassen, aber darüber würde sie sich später Gedanken machen.
„Ja, klar“, antwortete sie deshalb. „Vielen Dank.“
Er nannte ihr das Gehalt und fügte dann noch hinzu: „Paige hat gesagt, sie würde Ihnen gern als Teil der Vergütung das Zimmer vermieten – wenn es Ihnen recht ist. Sie müssten es allerdings mit Ihrem Sohn teilen.“
Eden atmete einmal ganz lange und langsam aus. Dass es ihr recht war, drückte nicht annähernd aus, wie erleichtert und dankbar sie über diese Regelung war. So dankbar, dass sie einen Kloß im Hals hatte und heftig schlucken musste.
„Das … also das ist wirklich großartig. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen allen bin.“
„Ach was …“, sagte er achselzuckend. „Wir brauchen eine Haushälterin, und Sie brauchen einen Job – das passt doch perfekt.“
Wo er recht hatte, hatte er recht.
Als ihr jetzt die Tränen kamen, blinzelte sie sie weg und saugte den warmen Blick seiner schokoladenbraunen Augen auf. Dabei merkte sie, dass dieser Blick nicht mehr mitleidig war, sondern einfach mitfühlend.