Читать книгу Wie Schneeflocken im Wind - Denise Hunter, Denise Hunter - Страница 16
SIEBEN
ОглавлениеDie Frau um die sechzig, die in dem provisorischen Schlafzimmer in einem Doppelbett lag, schaute Eden finster an. Sie hatte silbergraues Haar, ein schmales Gesicht und auffällig blaue Augen. Um die Augen herum hatte sie ein Gespinst aus feinen Fältchen, aber die beherrschenden Linien in ihrem Gesicht waren die beiden senkrechten Falten zwischen ihren spärlichen Augenbrauen. Ihr eines Bein war eingegipst und lag steif und klobig auf dem hellblauen Bettlaken.
„Wer ist denn das?“, fragte Miss Trudy missmutig.
Beau lächelte Eden entschuldigend an und sagte dann zu seiner Tante: „Also wirklich, Tante Trudy, so kannst du doch nicht mit einem Gast umgehen! Kate wird uns den Haushalt führen, und es wäre vielleicht klüger, ein bisschen netter zu ihr zu sein.“
Daraufhin wurde Miss Trudys Blick noch finsterer, und sie fragte: „Ihr habt einen Babysitter für mich engagiert?“
„Jetzt sei doch nicht albern“, sagte Beau. „Wieso sollten wir denn für dich einen Babysitter engagieren? Das ist Kate – und jetzt stelle ich gerade fest, dass ich Ihren Nachnamen noch gar nicht kenne.“
„Du hast also eine völlig unbekannte Person als Babysitter für mich eingestellt?“, fragte Miss Trudy empört.
Bei dem barschen Tonfall der Frau drückte sich Micah immer fester an Eden.
„Bennet“, sagte Eden auf Beaus Bemerkung und spürte, wie sie unter dem prüfenden Blick der älteren Dame rot wurde.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Trudy. Das hier ist mein Sohn Jack“, stellte sie sich und den Kleinen vor.
„Er bringt sicher ein bisschen Leben ins Haus, wenn ich bei der Arbeit bin“, sagte Beau.
„Ja, großartig! Bettruhe, Schmerzen und einen lärmenden Jungen im Haus. Genau, wie es der Doktor verordnet hat“, bemerkte die Frau mit Zynismus in der Stimme.
Beau warf Eden einen entschuldigenden Blick zu und sagte: „Tut mir leid. Normalerweise ist sie nicht so unleidlich. Na ja, eigentlich doch, aber sie hat einen weichen Kern. Man muss nur ein wenig graben, um ihn zu finden.“
Die Farbe, die ihr zu der direkten Art von Beaus Tante sofort in den Sinn kam, war Indigo. „Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen“, sagte sie.
Beau überreichte ihr die Entlassungspapiere der Klinik mit den Anweisungen für zu Hause und sagte: „Miss Trudy soll nichts Schweres heben, aber daran wird sie sich nicht halten, und deshalb sollen Sie sie daran hindern, sich zu überanstrengen. Sie hat in der Klinik zwar Krücken bekommen, aber ich weiß nicht, wie sie damit zurechtkommt.“
„Ach, das bekommen wir schon hin. Mi … also mein Sohn hat sich auch einmal das Bein gebrochen, als er drei war. Wenn ich einen drei Jahre alten Jungen dazu bringen kann, sich ruhig zu verhalten, dann schaffe ich das bei Ihrer Tante bestimmt auch“, versicherte sie.
„Das habe ich gehört!“, war Tante Trudys empörte Stimme durch die Wand zu hören. „Ich bin kein Kind mehr, merkt euch das.“
Ups. Eden biss sich auf die Unterlippe.
Beau senkte die Stimme und sagte: „Ich hätte Sie warnen sollen. Sie hat ein geradezu bionisches Gehör.“
Eden musste über das Gesicht lachen, das er dabei machte, und ihr Lachen klang sogar für ihre eigenen Ohren ziemlich eingerostet.
„Wenn es Ihnen gelingt, sie aus der Küche fernzuhalten“, fuhr Beau leise fort, „dann grenzt das an ein Wunder. Sie ist nämlich eine Art Kontrollfreak, und die Küche ist auf jeden Fall ihr Hoheitsbereich.“
„Okay, ich soll sie aus der Küche fernhalten. Kapiert. Sonst noch etwas?“
„Es sieht im ganzen Haus total chaotisch aus, und die Lebensmittelvorräte sind aufgebraucht, weil es hier in der Zeit, seit sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde, unglaublich hektisch zugegangen ist. Wir sind also mit allem zufrieden, was Sie uns zum Abendessen zaubern“, erklärte er.
„Verstanden“, sagte sie darauf nur.
Dann blätterte er einen Stapel Papiere durch, die in der Küche auf einer Ablage lagen, und gab ihr ein Blatt davon. Es war das W-4-Formular, die Vollmacht des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber, die Steuer direkt vom Lohn abzuziehen und abzuführen. Als sie es sah, wurde ihr ziemlich mulmig zumute.
„Bitte füllen Sie das doch bei Gelegenheit aus, ja?“, bat Beau sie.
„Sonst noch etwas?“, fragte sie rasch, um die Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen.
„Wo ist mein Strickkorb?“, rief Miss Trudy in dem Moment. „Und was ist das für ein Geruch? Es stinkt nach Babykotze.“
Als Eden Beau daraufhin fragend ansah, zwinkerte er ihr erheitert zu, und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin sofort bei Ihnen, Miss Trudy“, rief sie zurück.
„Ihre Stricksachen sind wahrscheinlich in der Tasche, die sie aus dem Krankenhaus mitgebracht hat“, sagte Beau. „Ich muss noch ein paar Stunden nach draußen und arbeiten, aber Sie können mich immer auf dem Handy erreichen.“ Er schrieb ihr die Nummer auf einen kleinen Zettel und sagte dann noch: „Ich lasse Ihnen auch Zacs und Rileys Nummer da, aber rufen Sie bitte immer zuerst mich an. In der Schreibtischschublade liegt Geld für Notfälle.“ Er zog die Schublade auf und zeigte ihr einen kleinen Packen Zwanzigdollarscheine, der zwischen Stiften und Rechnungen lag. „Wenn Sie einkaufen gehen wollen, sagen Sie mir bitte Bescheid, dann gebe ich Ihnen Geld. Sie können Tante Trudys Wagen benutzen – hier sind die Schlüssel. Riley und ich kommen gegen sechs nach Hause. Manchmal kommt auch Zac zum Essen vorbei, aber normalerweise nicht. Jack und Sie sind natürlich herzlich eingeladen, mit uns zu essen.“ Er legte einen Scheck auf den Tisch und fuhr fort: „In Anbetracht der besonderen Umstände habe ich gedacht, dass es vielleicht ganz gut ist, wenn ich Ihnen die erste Woche im Voraus bezahle.“
Eden wurde ganz warm ums Herz bei so viel Umsicht, und sie sagte: „Vielen Dank, das ist wirklich nett von Ihnen.“
„Anscheinend muss ich aufstehen und mir mein Strickzeug selbst holen!“, rief Miss Trudy in diesem Moment.
Beau grinste Eden an und sagte: „Das ist mein Stichwort.“
Als er weg war, flitzte Eden ins Wohnzimmer und fand dort den Strickkorb mit einem gerippten, blaugrauen Strickzeug. Sie brachte ihn Miss Trudy, die das Strickzeug nahm und wortlos zu stricken begann.
Micah hatte inzwischen aufgehört zu malen und schaute sich einen Zeichentrickfilm im Fernsehen an. Nachdem Eden Miss Trudy versorgt und im Haus für Ordnung gesorgt hatte, kümmerte sie sich um das Abendessen. Sie schaute ins Tiefkühlfach und fühlte sich völlig überfordert. Sie hatte gehofft, dort etwas Einfaches zu finden, etwas in einer Packung mit einer Gebrauchsanweisung auf der Rückseite, aber es gab nicht ein einziges Fertiggericht, sondern nur tiefgekühlte Hähnchenbrüste und Hackfleisch. Sie hatte keine Ahnung, was sie damit anstellen sollte.
Sie hatte sich eigentlich immer gewünscht, Kochen zu lernen, und nach ihrer Heirat mit Antonio hatte sie sich vorgestellt, ihm jeden Abend ein viergängiges Candlelight-Dinner zu servieren, aber davon hatte er nichts wissen wollen. In der Welt, in der er lebte, war das nicht die Aufgabe einer Ehefrau. Dafür hatte man Personal. Das Äußerste, was sie in dieser Beziehung hatte erreichen können, war, ihm nach Micahs Geburt auszureden, eine Nanny einzustellen.
Als sie Miss Trudy gefragt hatte, wo ihre Kochbücher wären, hatte die Frau nur laut und spöttisch gelacht und dann gesagt: „Richtige Köche brauchen kein Rezept.“
Eden wünschte, sie hätte daran gedacht, Beau zu fragen, ob sie den Computer benutzen dürfe. Sie brauchte jetzt dringend den Rat einer Expertin, aber als sie in Miss Trudys Zimmer schaute, lag sie mit geschlossenen Augen da, und ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Eden brachte es nicht übers Herz – und hatte auch nicht die Nerven –, sie zu wecken, und zog deshalb leise die Tür wieder zu.
Es sah also ganz so aus, als wäre sie in dieser Angelegenheit auf sich allein gestellt. Eden holte einmal tief Luft und atmete dann langsam wieder aus. Nun komm schon, Eden. Du hast wirklich schon Schlimmeres überstanden. So schwer kann es doch nicht sein, ein Abendessen zu kochen.
„Die Brötchen sind in einer Minute fertig“, sagte Kate, als sich die Familie um den Esstisch versammelte.
Beau sprach das Tischgebet und reichte die Schüssel Riley, der sie an Zac weitergab. Ihm hing der Magen schon in den Kniekehlen vor Hunger, aber als er den ersten Bissen von dem dampfenden Gulasch im Mund hatte, war er zunächst irritiert über die unterschiedlichen Temperaturen und Konsistenzen in seinem Mund. Die Sauce war heiß, aber irgendetwas – war es das Fleisch? – war noch hart und eiskalt. Die seltsame Konsistenz lenkte ihn vorübergehend von dem Geschmack ab, aber nicht lange.
Irgendein Gewürz, er wusste nicht so genau, was es war, schmeckte penetrant hervor, und er hoffte, so etwas nie wieder in den Mund zu bekommen.
Im selben Moment hustete Riley neben ihm, presste sich dann die Serviette vor den Mund, und Beau war sich ziemlich sicher, dass das Gulasch aus seinem Mund ein neues Zuhause gefunden hatte. Als er dann selbst den ersten Bissen hinunterwürgte, war er für einen Moment ein wenig neidisch auf seinen Bruder.
Sein Blick ging ganz kurz zu Kate, deren Blick fest auf ihren eigenen Teller gerichtet war, und auch ihr Sohn kaute mit gerunzelter Stirn.
„Herr im Himmel, was soll denn das sein?“
„Tante Trudy!“, ermahnte Beau sie.
„Da ist ja genug Salbei drin, um zehn Jahre Hitzewallungen zu verhindern.“
Salbei – ja, genau, das war der penetrante Geschmack.
Kate wurde rot und erklärte: „Es tut mir wirklich leid, aber ich hatte kein Rezept – und ich wollte nicht ohne Erlaubnis den Computer benutzen.“
„Sie können ihn gern benutzen“, sagte Riley und hustete noch einmal. „Ich bitte Sie sogar inständig darum.“
Ganz kurz blitzte Angst in Kates Blick auf, und sie sagte: „Nächstes Mal wird’s besser – versprochen!“
Beau warf Riley einen finsteren Blick zu und sagte dann zu Kate, die ganz krank aussah: „Ist schon okay. Sie können den Computer jederzeit benutzen. Dann essen wir heute Abend eben einfach nur die Brötchen.“
„Was riecht denn hier so?“, erkundigte sich jetzt Tante Trudy misstrauisch, genau in dem Moment, als auch er den Geruch von etwas Verbranntem bemerkte.
„Die Brötchen!“, rief Kate, sprang auf und sauste in die Küche.
Rileys und Beaus Blicke begegneten sich über den Tisch hinweg, und Riley fragte: „Möchte noch jemand außer mir Chicken Wings aus dem Roadhouse?“
Beau brachte seinen Teller zur Spüle und fragte: „Kann ich Ihnen noch bei irgendetwas helfen?“
Sie waren fertig mit dem Essen, das sie geholt hatten, und seine Brüder richteten Tante Trudy ein Lager auf dem Sofa im Wohnzimmer her.
„Bitte nicht. Das hier ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann“, antwortete Kate, stellte die Teller ins Spülbecken, drehte sich dann um und sah ihn zerknirscht an. „Das mit dem Abendessen tut mir wirklich leid. Es kommt nicht wieder vor, versprochen.“
Ihre blonden Ponyfransen fielen ihr in die sorgenvoll gekrauste Stirn, und es juckte ihn in den Fingern, sie zurückzustreichen, sodass er sicherheitshalber die Hände in die Hosentaschen steckte.
„Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Sie haben ja auch nicht von sich behauptet, eine Sterneköchin zu sein.“
„Ich habe nicht viel Erfahrung im Kochen, aber ich lerne schnell. Wenn ich ein paar Rezepte habe, komme ich schon zurecht.“
„Das glaube ich auch“, beruhigte er sie, fragte sich aber, wie sie wohl als Mutter bisher ohne auch nur die geringsten Grundkenntnisse im Kochen zurechtgekommen war. Sogar er war ja in der Lage, ein paar einfache Gerichte zuzubereiten.
„Beau“, rief jetzt Zac vom Wohnzimmer aus. „Kommst du bitte mal?“
Er überließ das Aufräumen in der Küche Kate und Jack und ging wieder ins Wohnzimmer.
Das Sportprogramm im Fernseher dort war auf stumm geschaltet, und alle schauten Riley an.
„Was ist denn los?“, fragte Beau.
„Riley muss mit uns reden, sagt er“, antwortete Zac.
„Du hast eine Frau kennengelernt, oder?“, fragte Tante Trudy.
Riley verdrehte die Augen und antwortete entnervt: „Nein, Tante Trudy, habe ich nicht!“
Sie versuchte ständig, die Brüder unter die Haube zu bringen, was seltsam war, denn sie selbst hatte nach dem Tod ihres Mannes vor vierzehn Jahren jeden Versuch anderer abgewehrt, sie zu verkuppeln.
Rileys Gesicht wirkte versteinert. Seine Augenbrauen stießen über der Nasenwurzel zusammen, und sein Kinn war entschlossen vorgeschoben.
Seine Miene machte Beau Angst, und er beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und fragte: „Was ist denn los, Bruderherz?“
„Es ist eine Frau. Ich sag’s euch. Es ist diese Millie Parker aus dem Frumpy Joe’s, oder? Als wir das letzte Mal dort waren, hat sie wild mit dir geflirtet“, spekulierte Miss Trudy jetzt.
Riley zog eine Grimasse in ihre Richtung und sagte: „Wenn es eine Frau gäbe, dann würde ich sie doch ab und zu mit herbringen, oder? Nein, ich muss mit euch über meine Zukunftspläne reden. Ich …“, Riley starrte auf den Couchtisch zwischen ihnen und fuhr dann fort: „Ich habe mich freiwillig zu den Marines gemeldet.“
„Du hast was?“, fragte Zac völlig entgeistert.
„Grundgütiger …“, murmelte Tante Trudy.
Beaus Herz rumpelte einmal heftig, was eine Serie innerer Beben auslöste, und dann fragte er völlig entgeistert: „Wieso denn das?“
„Ich rede doch schon lange davon“, antwortete Riley.
„Reden tun wir ja über vieles, aber wir hätten doch nie damit gerechnet, dass du es wirklich ernst meinst“, sagte Beau mit gerunzelter Stirn.
Riley funkelte ihn angriffslustig an und sagte: „Ich schon.“
„Ohne es auch nur kurz mit uns zu besprechen?“ Beau konnte nicht fassen, dass sein Bruder eine so wichtige Entscheidung getroffen hatte, ohne sie dazu um ihre Meinung zu fragen. Das sah ihm eigentlich gar nicht ähnlich.
„Ich bin vierundzwanzig und brauche eure Zustimmung nicht“, bemerkte Riley nur.
„Und wann geht’s los?“, erkundigte sich Zac.
„In vier Wochen.“
„Also noch vor Weihnachten?“, fragten Beau und Miss Trudy fassungslos wie aus einem Mund.
„Unserem ersten Weihnachten ohne Vater?“, fügte Beau hinzu.
„Wir hatten doch auch vorher schon kein richtiges Weihnachten mehr“, antwortete Riley darauf nur.
Sie hatten wirklich nicht mehr richtig Weihnachten gefeiert, seit ihre Mutter vor zwölf Jahren an Heiligabend gestorben war. „Aber trotzdem … ausgerechnet in der Zeit, in der auf der Farm mit den Weihnachtsbäumen am meisten zu tun ist, und bei all dem, was sonst noch nebenbei läuft … genau da beschließt du abzuhauen?“
„Ich hau nicht ab, sondern ich schließe mich der Army der Vereinigten Staaten von Amerika an“, erklärte er.
„Na, wenn du es sagst …“, sagte Beau ironisch.
„Jetzt hör auf, so zu reden, als wäre ich feige. In den meisten Familien ist man stolz, wenn jemand aus den eigenen Reihen zur Army geht.“
Das kurze Schweigen darauf verstärkte die Anspannung im Raum noch.
Beau sah Riley scharf an, aber Zac legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Lass mal gut sein, Beau. Es ist nun mal so.“
„Wir haben doch schon unsere Eltern verloren, und jetzt setzt du irgendwo am anderen Ende der Welt dein Leben aufs Spiel. Was, wenn du in einem Leichensack zurückkommst, was dann?“
Riley verdrehte die Augen und antwortete: „Ich werde nicht sterben, Beau.“
„Das kannst du doch gar nicht wissen“, entgegnete der.
„Jetzt kommt schon, Leute“, sagte Zac. „Beruhigt euch mal. Wir schlafen jetzt erst einmal eine Nacht darüber und reden dann morgen weiter, ja?“
Beau stand auf, ging im Zimmer auf und ab und sagte: „Ich fass es einfach nicht, dass du das gemacht hast.“
„Und ich fasse es einfach nicht, dass du darauf so reagierst“, entgegnete Riley.
„Weiß Paige es eigentlich schon?“, erkundigte sich Beau jetzt.
„Warum sollte ich es ihr denn sagen?“, fragte Riley daraufhin. „Na, weil sie dich lieb hat, du Blödmann. Schließlich bist du schon seit einer Ewigkeit ihr bester Freund.“
Darauf reagierte Riley nur mit einem frustrierten Schnauben.
„Aber offenbar bedeuten dir zehn Jahre Freundschaft ja nicht so besonders viel. Hast du eigentlich überhaupt an jemanden außer dich selbst gedacht, als du diese Entscheidung getroffen hast?“, fragte Beau. Da kam Riley auf ihn zu und sagte mit zynischem Unterton: „Ach, das musst du gerade sagen.“
„Was soll denn das nun wieder heißen?“, fragte der daraufhin.
Wütend starrte Riley ihn an und sagte dann: „Nichts! Gar nichts soll das heißen!“
„So, es reicht jetzt, ihr beiden!“, mischte sich Tante Trudy ein. „Im Wohnzimmer wird nicht gestritten.“
Zac trat zwischen die beiden und sagte: „Jetzt komm mal wieder runter, Riley. Beau kümmert sich schon sein ganzes Leben um uns, das weißt du ganz genau. Er fühlt sich eben für uns verantwortlich.“
„Und was ist mit der Farm?“, fragte Beau und schaute an Zac vorbei, damit er Riley sehen konnte. „Was ist mit deinem Leben hier? Willst du das wirklich alles einfach so hinter dir lassen?“
„Was denn für ein Leben?“, fragte Riley. „Ich habe hier doch nichts anderes als die Arbeit. Tante Trudy hat euch, Zac hat das Roadhouse, du hast Paige …“
„Du hast Paige doch auch“, sagte Beau und merkte, wie ganz kurz ganz viele Gefühle gleichzeitig in Rileys Miene aufflackerten, bevor er sich umdrehte und sich fast verzweifelt mit der Hand in den Nacken fuhr.
Tante Trudy erhob sich jetzt ganz langsam und griff nach ihren Krücken.
„So, ich glaube, für heute Abend habe ich genug Theater gehabt. Ich gehe ins Bett“, sagte sie, bedachte die beiden Streitenden mit einem durchdringenden Blick und fügte noch hinzu: „Ihr beiden benehmt euch wie Zwölfjährige, und ich bin zurzeit nicht in der Verfassung, eine Rauferei zu verhindern.“
„Warte, ich helfe dir“, sagte Beau und ging zu ihr hin. Er war immer noch völlig aufgewühlt wegen der Neuigkeiten, die er gerade von Riley erfahren hatte. Aber Tante Trudy scheuchte ihn mit einer Geste weg und schaute ihn finster an. „Ich kann ganz gut allein ins Bett gehen. Du bleibst gefälligst hier und glättest ein bisschen die Wogen.“
Nachdem sie weg war, herrschte erst einmal eine ganze Weile Schweigen.
Riley hatte die Arme vor der Brust verschränkt und saß mit verkniffenem Mund und angriffslustig vorgeschobenem Kinn da. Beau stellte sich vor, dass sein Bruder verwundet würde oder, noch schlimmer, gar nicht wieder zurückkäme. Er glaubte nicht, dass er nach dem Verlust der Eltern auch noch den des jüngeren Bruders verkraften würde. Er schluckte, weil er einen dicken Kloß im Hals hatte, nahm seinen Mantel von der Garderobe, zog ihn an und sagte: „Ich bin draußen in der Scheune und hänge die Kränze auf.“
„Brauchst du Hilfe?“, fragte Zac.
„Nee“, antwortete er nur einsilbig.
Und dann trat er hinaus in die Dunkelheit, so aufgewühlt, dass er die beißende Kälte im Gesicht kaum spürte.
Micah flitzte zur Toilette, und Eden stellte den Besen zurück in den Schrank. Sie hatte den Streit zwischen den Brüdern und auch Beaus plötzlichen Abgang genau mitbekommen und zögerte jetzt, ins Wohnzimmer zu gehen. Am liebsten hätte sie sich klammheimlich fortgestohlen, aber das kam ihr dann doch irgendwie feige und unprofessionell vor. Es war ihr erster Abend in der Familie, und sie hatte mit dem Gulasch und den verbrannten Brötchen nicht gerade einen guten Eindruck hinterlassen. Als sie also jetzt wieder ins Wohnzimmer kam, saßen Zac und Riley mit dem Rücken zu ihr immer noch vor dem auf stumm geschalteten Fernseher.
„Es ist wegen Paige, oder?“, fragte Zac Riley in dem Moment, als sie in der Tür stand.
„Ich wollte schon immer zur Army, das weißt du doch“, antwortete Riley.
„Aber du bist nie gegangen“, sagte Zac und sah seinen Bruder an. „Ich habe neulich Abend genau deine Miene gesehen, als Beau gesagt hat, dass das zwischen Paige und ihm etwas für immer ist.“
„Was hast du denn erwartet?“, fragte Riley jetzt aufgebracht. „Dass ich einfach hierbleibe und zuschaue, wie mein Bruder die Frau heiratet, die ich liebe?“
Ach du liebe Güte, dachte Eden und trat wieder den Rückzug an.
„Es ist schon schwer genug, die beiden ständig zusammenzusehen …“, fügte Riley noch hinzu.
In dem Moment knarrte der Holzfußboden unter Edens Füßen, und Riley drehte sich mit einem Ruck um. Seine Augen wurden ganz groß, und er sah sie mit durchdringendem Blick an.
Mist. „Äh … tut mir leid. Ich wollte nur gute Nacht sagen. Ich wollte wirklich nicht …“
„Wie viel haben Sie gehört?“, fragte Zac.
Eden zuckte zusammen, während Riley sich abwandte und in zynischem Ton sagte: „Na großartig! Ganz großartig.“
„Ich sag nichts weiter. Das geht mich doch alles gar nichts an“, beteuerte sie und griff nach ihrer Jacke. „Wir tun einfach so, als wäre das hier nie passiert, ja?“
In dem Moment hörte sie, wie die Badezimmertür ging und Micah in die Küche kam. Sie half ihm in seine Jacke und verabschiedete sich mit einem Lächeln von den beiden Brüdern. Aber nur einer der beiden lächelte zurück.