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«Wollen wir weiterwandern?», fragte Pfarrer Jacques, der in römischer Liegeposition den Kopf auf die Hand stützte.

«Nach Carschenna?», antwortete der auf dem Rücken ausgestreckte Prior Hans-Peter.

«Ja, zu den berühmten Felszeichnungen.»

«Gut, Jacqui, erheben wir uns.»

Die beiden packten ihre Sachen zusammen und liefen los. Der Weg führte hangaufwärts durch Wald und über Wiesen, was den runden Prior des Öfteren dazu bewog, seinen Strohhut in den Nacken zu schieben, um sich mit einem bestickten Stofftaschentuch die Stirn abzutrocknen. Endlich am Aussichtspunkt Crap Carschenna angelangt, hielten sie inne, ließen den Blick weit schweifen und löschten erst einmal ihren Durst. Ein angenehm kühler Waldpfad führte zu den Steinzeichen aus der vermutlich späten Jungsteinzeit und frühen Bronzezeit, wo sie auf eine Frau trafen, die im Schneidersitz neben der Großen Platte mit ihren konzentrischen Kreisen auf der Wiese auf einer Decke hockte und meditierte. Als die beiden Klerikalen ganz nah waren, öffnete sie die Augen und sagte lächelnd: «Wollt ihr einen Keks?»

«Gerne», sagte Hans-Peter sofort und war schon beim zweiten angelangt, als Jacques immer noch vorsichtig am ersten herumknabberte.

«Willst du vielleicht ein paar Kirschen? Es ist schon Mittag», bot ihr der Prior eine Handvoll davon an. «Ich bin übrigens Hans-Peter, katholischer Prior aus Sankt Gallen.»

«Und ich bin Jacques, reformierter Pfarrer aus Zürich.»

«Setzt euch nur neben mich. Ich bin Dorothea.»

Alle drei aßen friedlich zu Mittag, die Welt um sie herum wurde immer intensiver. Und dann wurde sie noch intensiver.

«Sagt mal», sprach Jacques, «seht ihr auch, wie die Pflanzen leben? Wie sich die Welt langsam dreht und wie alles Grüne hier ein- und ausatmet?»

Die beiden anderen fingen an zu kichern.

«Ich höre Trommeln und Gesang. Ich sehe Menschen, die hier tanzen. Sie feiern. Sie feiern den Vollmond. Es ist schon Nacht. Jacques, wie spät ist es?», lachte der Prior.

«Erst früher Nachmittag, Hans-Peter.»

«Heute ist Vollmond», sagte Dorothea, «in wenigen Stunden werden wir ihn alle sehen.»

«Dorothea, was ist in den Keksen?», wollte der Pfarrer wissen.

«Oh! Nur Pflanzen aus der Gegend. Geheimrezept. Keine Sorge, ihr werdet nicht daran sterben, nur etwas bewusster werden. Wisst ihr, ich komme von hier. Ich wohne in Sils unten.»

«Schön ist es hier oben», war Hans-Peter absolut begeistert und streckte sich auf dem kurzen Gras aus. Er starrte in den Himmel, wo der Mond voll leuchtete und lauschte den jungsteinzeitlichen Feierlichkeiten. Jacques streckte sich ebenfalls aus und spürte, wie Mutter Erde sich drehte, stetig und scheinbar unbeeindruckt von allem, was sich auf ihr ereignete. Er sog den klaren Duft nach Wald durch die Nase ein und ließ alle Sorgen Sorgen sein. Dorothea blieb in ihrem Schneidersitz und wachte über die beiden, bis es dunkel wurde.

«Der Mond», sagte sie in die Stille hinein.

«Ja, jetzt sehe ich ihn auch», setzte sich Jacques auf.

«Habe ich einen Hunger!», rief Hans-Peter, setzte sich ebenfalls auf und alle drei aßen zu Abend.

«Wo übernachten wir eigentlich?», schaute sich Hans-Peter um und das einzig Lichtspendende, das er sah, war der Mond. «Der Rückweg ist sicher stockfinster.»

«Wir übernachten natürlich hier», lachte Dorothea. «Die Decke unter uns ist auf der Rückseite mit einer isolierenden Schicht überzogen und zum Zudecken habe ich noch eine genauso riesige Thermodecke.»

«Dann hol die mal langsam hervor. Es ist schon recht kühl geworden», knöpfte Jacques seine leichte Regenjacke bis unter die Nase zu.

Eingekuschelt in ihre Decke betrachteten sie den Vollmond, sagten ab und an etwas, glitten sachte in den Schlaf hinüber. Jacques träumte. Er sah im Traum einen großen Wolf, der ihm direkt in die Augen sah, ruhig und lange. Ein großer graufelliger Wolf mit klarem Blick, der sich in des Pfarrers Augen festsetzte. Und dann war es Morgen.

Die vertauschten Bronzebecher

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