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PROLOG

Flughafen Calgary, vor 15 Jahren. Der Bus zum Terminal war voll. Kanadier, die von einem Deutschland-Trip zurückkamen. Geschäftsleute. Deutsche Touristen, Angler, Skifahrer, Kanada-Fans. Alle ziemlich müde vom Flug. Die hatten auch schon mal besser ausgesehen.

Und da war dieser Typ. 1,85 Meter. Braungebrannt. Die Augen eines Eroberers. Kein Hauch von müde. Später stieg er in den kleinen Flieger, der uns mitten in die Rockys bringen würde. »Ist da noch frei?«, fragte er und saß schon neben mir. »Bist du Deutscher?«

»Ja.« Gut so.

»Wo fliegst hin?«

»Zum Heliski. Da gibt es eine Gruppe deutscher Alpinisten, die sich mit dem Hubschrauber auf Dreitausender bringen lassen und dann bislang unbefahrenes Terrain testen …«

»Was? Du auch? Is ja geil. Ich bin der Gerd.«

Ich wollte ihm die Hand geben. Das war kompliziert. Denn der Gerd hatte nur einen Arm. Und die Hand am Ende des anderen war auch ziemlich kaputt. Zwei Finger – und die sahen ziemlich bizarr aus.

Autsch! Der Gerd hatte den Händedruck einer Schraubzwinge.

Vom nächsten Tag an waren wir in den Bergen unterwegs. Gerd Schönfelder – der mittlerweile von sich erzählt hatte, er sei mehrfacher Paralympics-Sieger in den alpinen Wettbewerben – schien keine Furcht zu kennen. Vom Hubschrauber aus sah er auf die Steilflanken, die befahren werden sollten. Er schnalzte mit der Zunge und freute sich wie ein Kind.

»Interessantes Gelände«, sagte er. Der Heli landete auf dem Gipfelgrat, Gerd hüpfte als Erster raus. Der Typ steckte schneller in den Skiern als jeder andere. »Auf geht’s!«

Gerd war der Mann, der die ersten Spuren in steilste Hänge zog. Im Tal schwang er ab, blickte nach oben und grinste. Das war wieder mal ein Spaß gewesen.

Es waren anstrengende Tage in dünner Luft. Aber wenn nach dem Abendessen die meisten nur noch träge vor dem Kamin hingen und ihr Bier tranken, fragte Gerd: »Und was machen wir jetzt?«

Einmal beschlossen ein paar Jungs, sie wollten sich einen Nachmittag lang auf Motorschlitten vergnügen. Da sei er dabei, verkündete Gerd. Nein, sagte man vorsichtig, daraus werde wohl nichts. Schließlich brauche man zwei Hände zum Fahren eines Ski-Doos.

Na und? Nachts bastelte sich Gerd mithilfe eines kanadischen Guides eine Konstruktion, die ihm half, die fehlende Hand durch ein Zugseil zu ersetzen, das Gerd mit den Zähnen bediente.

Auf dem Rückflug kümmerten sich drei Stewardessen um ihn und vergaßen den Rest der Skifahrer. Er war so charmant und kannte so viele Witze. Für uns andere Kerls kaum zum Aushalten.

Doch jeder, der ihn trifft, mag Gerd Schönfelder. Im Frühjahr 2016 hielt er vor 2.000 Menschen in Salzburg einen kleinen Vortrag. Er erzählte, wie er als junger Mann unter einen Zug gekommen war und seinen rechten Arm verloren hatte. Die Zuhörer waren starr vor Schock.

Dann sprach er davon, wie er gesund geworden sei. »Gesund ist, was nicht krank macht«, sagte er. Er hatte die eine Hand lässig in der Jeanstasche und redete, wie er auch über den Gartenzaun im heimischen Kulmain mit dem Nachbarn ratscht. Locker berichtete er aus einem Leben, das er als ein Geschenk betrachtet. Aus der Welt der Krankenhäuser und Rehazentren. Er erzählte vom Sport, der für ihn schon immer so wichtig gewesen ist – und der ihn nun in ein neues Leben geführt hatte. In das des erfolgreichsten deutschen Behindertensportlers.

Schönfelder gab ein paar Behindertenwitze zum Besten, im Saal wieherten sie erleichtert. Er nahm den Menschen die Scheu. Sie wollten immer mehr wissen. Zum Schluss lief eine Bilderschau auf der Leinwand. Zu sehen war ein echter Held im Schnee und auf den Siegerpodesten der Welt – die 2.000 im Saal standen von ihren Sitzen auf, als sie applaudierten. Viele hatten etwas Feuchtes in den Augen.

Einmal rief er an. »Du läufst doch Marathon.«

Ja.

»Was meinst, schaff ich einen Marathon unter fünf Stunden?«

Halt, nicht so schnell! Das braucht Training. Selbst ein Athlet wie der Goldgewinner muss sich darauf vorbereiten. Außerdem habe er Beine wie Baumstämme, so muskulös sind die. Er sei ein bulliger Typ, die tun sich schwer beim Marathon. Das solle er lieber bleiben lassen, das tue nur weh.

»Also, unter fünf Stunden?«

Na gut.

Der Marathon führte rund um Bad Staffelstein. Da sind viele kleine Berge: Staffelberg, Banz, Vierzehnheiligen. Ein zermürbendes Auf und Ab ist das. Schönfelder litt ab Kilometer zehn. Er schleppte sehr an seinen Muskeln, die er noch die Woche zuvor im letzten Schneelehrgang des Winters trainiert hatte. Das Gesicht wurde hart, man ahnte nicht, dass dieser Mensch auch lächeln konnte. Er redete nicht, auf den letzten fünf Kilometern eierte er nur noch. Gleichmäßiges Laufen wurde natürlich auch dadurch erschwert, dass ein Arm fehlte.

Die Menschen in den Dörfern sahen zu diesem Behinderten und hatten eine große Frage in den Gesichtern: Warum tut der arme Kerl sich das nur an?

Schönfelder erreichte das Stadion von Bad Staffelstein. Er straffte sich. Zieleinlauf. Gerd Schönfelder mühte sich um einen sportlichen Stil. Er überquerte die Ziellinie. Nach 4:57 Stunden.

Von der Sparkasse – so war das vereinbart worden – bekam er einen Scheck für eine Spende. Man brachte ihm ein Bier. Zisch und weg.

Gerd Schönfelder wischte den Schaum von den Lippen. Blickte in die Sonne, lachte wie der Hans im Glück und meinte: »So ist das also. Schon hart so ein Marathon – dann haben wir das auch.«

15 Jahre kennen wir uns jetzt. Einmal habe ich dem Chef des Stern von Gerd erzählt. Über den würde ich gerne ein großes Stück schreiben.

Der Blattmacher dachte nach. »Das ist eine tolle Geschichte, echt toll. Aber irgendwie passt sie gerade nicht.«

Wie das?

»Wissen Sie, wir haben im Augenblick so viele traurige Storys. Und der Mann ist schließlich behindert.«

Auch Stern-Bosse dürfen mal Unsinn reden.

Denn eines war immer klar: Die Geschichte des Gerd Schönfelder gehört aufgeschrieben.

Detlef Vetten, im Sommer 2016

Sieger

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