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GEFÄHRLICHE VEREISUNG

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Auf den Fangplätzen Westgrönlands, insbesondere auf der Fyllasbank, wurden im Februar große Mengen Kabeljau in guter Qualität gefangen. Die Bank liegt 25 Seemeilen westlich von Nukaret und erstreckt sich 50 Seemeilen bis zum Godthaabsfjord. Die Wassertiefen betragen vierzig bis hundert Meter. Westlich der Bank fällt der Meeresgrund stark ab. Auf der Bank und den schrägen, zur Tiefsee fallenden Hängen, konzentrierten sich große Kabeljauschwärme. Gefangen wurde aber auch Rotbarsch und Schwarzer Heilbutt.

Der Meeresgrund besteht aus Sand und Muscheln. Häufig hakte das Fanggeschirr an großen Steinbrocken, die verstreut am Meeresgrund liegen. Nicht selten brachen die Kurrleinen, nachdem sich die Seitenscherbretter an den felsigen und großen Steinen verhakt hatten. Totalverluste des Fanggeschirrs waren nicht selten. Kapitän Franz Lukas kannte den Fangplatz. Er hatte eine Arbeitskarte angefertigt, in der er die Hindernisse am Meeresgrund, Fischkonzentrationen zu bestimmten Zeiten und die Wassertiefen eingetragen hatte. Lukas setzte das Fanggeschirr unweit der Bank aus. Der Aussetzkurs war Südost und führte direkt von der Tiefsee zur Bank.


Fangplätze vor Westgrönland


Fischschwarm am Hang der Fyllasbank

Die Kurrleinen wurden zügig gefiert. Sobald der Echograph den steigenden steinigen Hang mit Kabeljauschwärmen anzeigte, ließ Lukas das Schleppnetz hieven. Das durch die Scherbretter offen gehaltene Netz wurde in den Fischschwarm gezogen. So wurden große Mengen Kabeljau gefangen.

Kapitän Lukas war erfahren in dieser Fangmethode und hatte in der Vergangenheit mit seinem Trawler, der „Beatrix“, große Mengen an Kabeljau gefangen.

Es gab aber auch verlustreiche Tage. Der Bruch einer Kurrleine oder eines Verbindungselementes, der Verlust eines Seitenscherbrettes, ein total zerrissenes Netz, sobald das Fanggeschirr sich an einem Hindernis verhakt hatte, einen zerrissenen Steert und geringe Fänge drückten die positive Stimmung der Decksleute und des Kapitäns.

„Viel Arbeit und keine Fangprämie“, fluchte der Bestmann. In der Regel wurden achtzehn Stunden ununterbrochen an Deck gearbeitet.


Zweiter Steuermann beim Öffnen des Steertes

Das Einholen und Aussetzen des Fanggeschirrs, Schlachten, Lebern und Waschen des Kabeljaus, vereisen der bearbeiteten Fische in den Hocken der Eisräume, die Reparatur der beschädigten Teile des Fanggeschirrs, Ruder und Wachdienst im Brückenraum – all das musste getan werden und wiederholte sich täglich für jedermann. In der verbleibenden Zeit waren die Männer in ihren Kammern, ruhten sich aus, tranken Kaffe und rauchten, lasen Bücher und schliefen fest, bis sie wieder für die weitere Arbeit an Deck geweckt wurden. Dann waren sie wieder den kalten Temperaturen, Wind, Sturm und Seegang ausgesetzt. Die Kleidung, wie Wattejacke und -hose, Strickpullover, Lungenschützer, Pelzmütze, Seestiefel und Ölhemd, Gummi- und Schlachthandschuhe schützten vor der arktischen Kälte und Nässe, behinderte aber die körperliche Beweglichkeit bei allen anfallenden Tätigkeiten an Deck. Sehr niedrige Lufttemperaturen bis Minus zwanzig Grad Celsius, Seerauch, Nieselregen, Spritzwasser, Starkwind und oft hoher Seegang erschwerten zusätzlich die Arbeit der Decksleute. Der Atem fror, die Augenbrauen und der Bart wurden weiß.

Es gefror alles, was feucht war. Sobald das Schleppnetz nach dem Einholen an Deck lag, wurde es knüppelhart. Die gefangenen Fische wurden steif. Die Bearbeitung, wie das Schlachten und Lebern des Kabeljaus war besonders für die Auszubildenden körperlich sehr anstrengend. Der Rücken und die Arme schmerzten. Das wiederholte Bücken, Greifen und Entweiden der Fische führte zu Sehnenscheidenentzündungen in den Armen bei einigen Decksleuten.

*

Der Funker überreichte Lukas den aktuellen Wetterbericht.

„Nördliche Winde, Frost, örtlich Seerauch, zunehmende Eisfelder, treibende Eisberge und Growler erwarten uns in den kommenden Stunden auf der Fyllasbank“, sagte der Funker, als er den Bericht an den Kapitän überreichte.

„Der zunehmende Frost und der Seerauch machen mir Sorgen. Beides führt zur zunehmenden Vereisung des Schiffes. Die Eisstärke nimmt zu und deren Gewicht verringert die Stabilität und den Freibord unseres Schiffes. Das Schiff könnte kentern“, erwiderte der Kapitän sorgenvoll.


Seerauch

„Hol mir den Ersten Steuermann auf die Brücke“, befahl Lukas dem Ausguckmann.

Eilig meldete sich der Erste beim Kapitän im Brückenraum.

„Was liegt an?“, fragte er den Kapitän.

„Schau dir die zunehmende Vereisung an. Das Backdeck, die Brückenaufbauten, die Masten und die Takelage sowie die Taljen und Läufer, die Decksrollen und Galgen sind vollständig von einer durchsichtigen glasurähnlichen Eisschicht umgeben. Bei diesen Wetterbedingungen wächst sie weiter“, antwortete der Kapitän seinem Ersten.

„Der Schwerpunkt des Schiffes verändert sich nach oben. Das Schiff könnte kentern“, meinte der Erste.

„Vor noch nicht langer Zeit sind englische Trawler durch den ‚Schwarzen Frost‘, so nannten die Männer die Art der Vereisung, gekentert. Die Besatzungen sind im eiskalten Wasser Ostgrönlands ertrunken“, sagte der Funker, der damals die Hilferufe über Funk mit verfolgt hatte.

Gesagt, getan.


Zunehmende Vereisung durch Frost, Wind und Seerauch

„Wir werden jetzt hieven und danach mit der Enteisung beginnen. Die Situation ist bedrohlich“, sagte der Kapitän zum Ersten Steuermann.

Das Fanggeschirr wurde gehievt. Die Fangmenge war diesmal gering und wurde durch zwei Decksleute bearbeitet. Alle anderen Decksleute, auch die wachfreien, wurden mit der Enteisung beauftragt.

Kapitän Lukas fuhr das Schiff in Richtung der nach Süden treibenden Eisfelder. Im Treibeisfeld gab es keine überkommende See, keine Gischt und kein Spritzwasser.


Vereiste Ankereinrichtung

Der Zweite Steuermann überwachte die Enteisung. Mit großen Hämmern, Brechstangen, Feuerwehrbeilen, Äxten und Kusenbrechen wurde das Eis abgeschlagen und gleich außenbords geworfen oder geschaufelt, um das Schiff zu entlasten.

*

„Wir haben es hier mit Spritzwasservereisung und Süßwasservereisung zu tun“, meinte der Erste, der sich auf der Brücke aufhielt und den Kapitän zum Mittagessen ablösen wollte.

„Die Spritzwasservereisung, der ‚Weiße Frost‘, entsteht, wenn die Lufttemperatur niedriger als die Temperatur des Seewassers ist“, sagte der Kapitän und zeigte auf das Außenthermometer in der Brückennock.

„Die Vereisung, die sich jetzt weiter bildet, ist nicht nur von der Luft- und Wassertemperatur, sondern auch von der Windstärke, vom Seegang und vom Verhalten des Schiffes in der See abhängig“, ergänzte der Funker die Einschätzung des Kapitäns.


Spritzwasservereisung

„Eine Süßwasservereisung, der ‚Schwarze Frost‘, entsteht bei Lufttemperaturen unter dem Gefrierpunkt durch Seerauch. Die örtlichen Seerauchfelder ermöglichen die Eisbildung und es entsteht eine sehr harte feste Eisschicht, die sich nur schwer abschlagen lässt“, sagte der auf diesem Gebiet erfahrene Kapitän.

„An vielen Stellen lässt sich das Eis nicht abschlagen. Es ist eisenhart und stellenweise sehr dick“, berichtete der Zweite, der sich auf Anweisung des Kapitäns im Brückenraum meldete. Das Schiff fuhr mit „Langsamer Fahrt“. Auf einmal trat eine feste Krängung nach Steuerbord ein. Der Krängungsmesser zeigte fünfzehn Grad. Der örtlich auftretende Seerauch führte weiter zur gefährlichen Vereisung. „Kapitän, wir schaffen es mit unseren Kräften nicht, das Schiff wirksam zu enteisen. Das zeigt auch die zunehmende Krängung“, sagte der Zweite.


Schwarzer Frost

Die Gefahr des Kenterns nahm zu. Das glatte Deck und die Schräglage des Schiffes erschwerten die Enteisung. Die Männer rutschten aus dem Stand, ohne die Einwirkung von Schiffsbewegungen, aus.

Lukas nahm die Hinweise ernst. Er setzte sich über Funk mit den Kapitänen der Trawler der eigenen Reederei, die sich nördlich auf der Bananenbank befanden, in Verbindung und bat um Hilfe. Die Schiffe auf der Bananenbank hatten keine so starke Vereisung – die meteorologischen Bedingungen waren dort günstiger.

Am Treibeisgürtel, nordwestlich der Fyllasbank, traf die „Beatrix“ auf die zur Hilfeleistung bereiten Trawler. Auf den schiffseigenen Schlauchbooten setzten die Decksleute, in wetterfeste Bekleidung und Schwimmwesten, mit ihrem Enteisungswerkzeugen auf die „Beatrix“ über. Alle hatten sich freiwillig bereit erklärt, den Männern des stark vereisten Schiffes zu helfen.

Planmäßig begannen sie auf den Decks, an den Aufbauten und Masten mit den Enteisungsarbeiten. Die Einnahme der Mahlzeiten erfolgte gruppenweise. Zwischendurch versorgte der Koch alle mit warmen Getränken. Die Arbeiten waren mühevoll und kräftezehrend, da das Eis sich nur langsam beseitigen ließ. An Schlaf und Ausruhen war nicht zu denken. Jeder wusste um die Gefahr des Kenterns und die Folgen für die persönliche Gesundheit und das eigene Leben. Die Angst, im kalten Wasser vor Westgrönland zu ertrinken, motivierte alle bis zur Entkräftung zu enteisen. Der Untergang der englischen Trawler durch den „Schwarzen Frost“ vor Ostgrönland – alle Decksleute hatten davon gehört – war eine weitere Motivation, alle körperlichen Kräfte zu mobilisieren. Nach zwölf Stunden ununterbrochener Enteisungsarbeiten verringerte sich die Krängung des Schiffes, die sich bei der Ankunft im Bereich des Treibeisgürtels um weitere zehn Grad vergrößert hatte.

Die Enteisung der Reling, des Schanzkleides, des Wetterschutzdaches und der Masten trug wesentlich zur Verringerung der Eislast des Schiffes bei. Die Männer waren übermüdet. So sehnten sich die meisten nach einer warmen Koje und einer Mütze voll Schlaf. Kapitän Lukas ließ aber keine Schwäche zu.

„Es muss weiter enteist werden, bis das Schiff wieder gerade liegt“, war die Weisung des Kapitäns an alle Decksleute, die durch das Maschinenpersonal unterstützt wurden.



Decksleute enteisen die Reling auf dem Vorschiff

Nach weiteren sechs Stunden trat das ein, auf das alle gehofft hatten. Die Krängung ging weiter zurück. Kapitän Lukas bat die Kapitäne der Hilfe leistenden Trawler ihre Männer abzuholen. Die meteorologischen Bedingungen hatten sich wesentlich verbessert. Örtlicher Seerauch war nicht mehr vorhanden. Der Wind hatte nachgelassen und kam nur schwach aus nördlicher Richtung. Die Gefahr einer neuerlichen Vereisung durch den „Weißen und Schwarzen Frost“ war vorbei.

Die Decksleute der anderen Trawler wurden total übermüdet und körperlich geschwächt, übergesetzt. Dankbar wurden sie von den an Deck stehenden Männern der „Beatrix“ verabschiedet.


Beatrix

*

Jetzt gingen alle wieder ihren regulären Arbeiten nach. Kapitän Lukas suchte mit dem Echographen und der Fischlupe nach weiteren Fischanzeigen im Nordwesten der Fyllasbank, bevor er das Fanggeschirr wieder aussetzen ließ. Er ortete Kabeljaukonzentrationen größeren Ausmaßes direkt auf der Bank. Nach einer relativ kurzen Schleppzeit ließ er das Fanggeschirr hieven. Hundertzwanzig Körbe mit großem Kabeljau wurden an Deck gehievt. Bis zum späten Abend kamen noch vierhundertzwanzig Körbe Kabeljau und Rotbarsch dazu, die bearbeitet werden mussten.

Um Mitternacht trat das Schiff die Heimreise an. Kapitän und Besatzung waren mit dem Fangergebnis zufrieden. Die Menge und die Qualität des gefangenen Grönlandkabeljaus sicherten allen einen guten Verdienst.

Die körperlichen Anstrengungen bei der Enteisung und die Angst vor dem Kentern des Schiffes hatten die Decksleute schnell vergessen. Alle freuten sich auf die baldige Heimkehr und das Zusammensein mit ihren Angehörigen.

Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung (Band 3)

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