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~ Das Sommerhäuschen ~

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Das Sommerhäuschen ~

Anna Svensson hatte sich seit Wochen auf diesen Urlaub gefreut. Endlich würde sie die Zeit finden, ihr Sommerhäuschen in der Nähe von Mora zu renovieren und einzurichten. Björn und sie hatten sich dieses Schmuckstück im Frühjahr gekauft und sich vorgenommen, es in ihrem Sommerurlaub zurechtzumachen. Es gab so einiges zu tun und Anna wollte schon mal vorfahren und mit der Renovierung beginnen, während ihr Mann eine Woche später nachkommen sollte. Sie hatten bereits Tapeten, Kleister und Farbe gekauft und Anna hatte vor, in der Küche mit den Vorarbeiten zum Malen und Tapezieren zu beginnen.

Ihren alten Kombi hatte sie schon am Vorabend mit allerhand Werkzeug und Material vollgepackt und hätte dabei fast vergessen, dass sie in dem ab gelegenen Sommer-Domizil auch etwas zu Essen brauchen würde. Sie würde auf der Fahrt dorthin einfach an einem Geschäft anhalten und dort das Nötigste einkaufen, nahm sie sich vor.

Nach fast 5 Stunden Fahrt kam sie endlich am Ziel an. Beinahe wäre sie an der Auffahrt des Grundstückes vorbeigefahren, da diese seit ihrem letzten Besuch so zugewuchert war, dass man sie nur erkennen konnte, wenn man wusste, dass überhaupt eine da war. Der lange Weg zu ihrem Grundstück führte sie über einen Schotterweg mitten durch einen kleinen Wald und endete nach etwa 1 Kilometer direkt vor ihrem Sommerhaus.

Das Grundstück war riesig, ein kleiner Wald gehörte mit dazu, ebenso ein privater Weg, der direkt zum angrenzenden See führte. Sie hatten sich Beide sofort in dieses Haus und seinen Charme verliebt und da sie die Höchstbietenden gewesen waren, auch sofort den Zuschlag erhalten.

„ Komisch, obwohl wir Sommer haben und die Sonne vom blauen Himmel strahlt, wirkt hier alles so düster“, dachte Anna verwundert, wischte den Gedanken aber gleich wieder beiseite. „Ich bin doch ganz schön müde vom Fahren und ich werde mir gleich erst einmal einen Kaffee kochen“, dachte sie sich und schloss die alte Holztür zum Haus auf.

Das Erste, was sie vernahm, war der typische Geruch alter Häuser. Immerhin war es um 1910 erbaut worden und war damals Teil eines Bauernhofes gewesen. Zudem war der vorherige Besitzer vor fast 30 Jahren gestorben und seitdem hatte das Haus einfach leer gestanden. Es gab 1 ½ Stockwerke, wobei im unteren Geschoss eine große, im Original erhaltene Küche ihren Platz hatte. Hier war sogar noch die alte Küchenhexe vorhanden und Anna freute sich schon sehr darauf, diese endlich einmal auszuprobieren. Eine Speisekammer schloss direkt an die Küche an, von der aus man über eine Luke in den Keller gelangte. Den Keller hatten sie sich noch nicht angesehen, denn den würden sie während ihrer Urlaube sowieso kaum nutzen.

Nachdem sie die Kaffeemaschine vorbereitet hatte, öffnete sie im ganzen Untergeschoss die Fenster, um die abgestandene Luft herauszulassen. Den Korb mit Lebensmitteln und Getränken, die sie zuvor noch eingekauft hatte, stellte sie erst einmal so in die Kammer, sie wollte ihn erst später auspacken.

Der Kaffee war durchgelaufen und so nahm sie sich eine Tasse, die sie mitgebracht hatte und füllte das heiße Getränk ein. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl, der hier geblieben war und wollte gerade einen großen Schluck aus ihrer Tasse nehmen, als sie ein Geräusch hörte. „Hmm, was war das denn? Hörte sich fast so an, als sei eine Katze irgendwo eingesperrt und würde um Hilfe miauen“, dachte sie sich, als sich das Geräusch noch einmal wiederholte. Es klang tatsächlich wie das klägliche Miauen einer Katze, die in Not ist, oder wie das Wimmern eines Kindes. Letzteres kam Anna dann aber doch sehr suspekt vor und schob diesen düsteren Gedanken beiseite.

Sie stellte den Kaffee zur Seite, stand auf und lief in der Küche die Wände ab, während sie immer wieder „Mietz, mietz, mietz“ rief. Das Kätzchen schien ihr zwar nicht direkt zu antworten, verstärkte aber sein Gewimmer. „Wo kommt das Wimmern nur her? Nicht, dass hier wirklich ein Kätzchen irgendwo eingesperrt wurde und nicht mehr herausfindet“, dachte sich Anna, als sie plötzlich einen lauten, dumpfen Knall hörte. Sie erschrak so fürchterlich, dass sie beinahe gegen den Türpfosten gelaufen wäre.

„ Was war das denn?“, sagte sie laut und bekam als Antwort einen zweiten Knall zu hören. Dieses Mal hatte sie das Gefühl, dass der Knall direkt aus der Küche kam und sie bildete sich ein, sie habe im Augenwinkel gesehen, wie die Kammertür zugeflogen sei. Sie lachte auf und sagte laut mehr zu sich selbst: „Ich sollte meinen Kaffee trinken, ich scheine müder zu sein, als ich dachte!“. Also nahm sie einen großen Schluck aus der Tasse und stellte fest, dass der Kaffee mittlerweile komplett erkaltet war. „Wie kann der Kaffee so schnell kalt werden? Den schütte ich weg, der schmeckt ja widerlich“, dachte sie und kippte den Kaffee in die Spüle.

Plötzlich hörte sie ein leises Quietschen wie von einer Tür und als sie sich umdrehte, sah sie, wie sich die Kammertür ganz langsam von alleine öffnete. Sie erstarrte und traute ihren Augen nicht und während ihre Gedanken sich überschlugen, was das zu bedeuten habe, hörte sie das leise Wimmern des Kätzchens erneut. Diesmal konnte sie eindeutig zuordnen, dass das Geräusch aus der Kammer kam. „Armes, Kätzchen, jetzt hast Du mich aber erschreckt“, lachte sie und fügte hinzu: „Dann wollen wir Dich mal befreien!“.

Zielstrebig steuerte sie auf die Speisekammer zu und fiel beinahe über ihren Proviant-Korb, den sie dort abgestellt hatte. Sie schob ihn zur Seite und schaltete das Licht in der Kammer ein.

Unter „Mietz, mietz, komm her, hab keine Angst“, suchte sie in den Regalen und alten Apfelkisten nach dem Kätzchen, konnte es aber nirgends ausmachen. „Vielleicht ist es ja auch im Keller eingesperrt?“, fragte Anna sich und öffnete kurzerhand die Luke, die in den Keller hinunterführte.

Ein bestialischer Gestank schlug ihr entgegen, sodass sie für einen kurzen Moment den Atem anhielt. „Vermutlich haben die hier Lebensmittel vergessen“, dachte sie sich und hielt sich die Hand vor die Nase. „Oh, Gott, die Sachen müssen hier ja schon 30 Jahre drin liegen, kein Wunder, dass es so stinkt!“, ging ihr durch den Kopf, während sie sich vor Ekel einmal schüttelte.

Leider gab es in dem Keller kein Licht, sodass sie erst einmal ihr Handy aus der Hosentasche nahm und dort die Taschenlampe einschaltete. Nun wagte sie sich die alte Holzleiter in den Keller hinunter in der Hoffnung, das Holz sei über die Jahre nicht morsch geworden und würde sie noch halten. Der Geruch hier unten war unerträglich und so hoffte sie, sie würde das Kätzchen schnell finden und wieder nach oben gehen können. „Wir müssen unbedingt hier ausmisten und sauber machen, wer weiß, was hier gerade vor sich hin schimmelt“, dachte sie bei sich.

Nachdem Anna den ganzen Keller ausgeleuchtet hatte, stellte sie mit Erstaunen fest, dass der knapp 2 Meter lange und 3 Meter breite Raum komplett leer war. Hier befand sich absolut nichts, bis auf eine alte Zinkwanne, auf der ein großes Brett lag, das man mit Steinen beschwert hatte. Der erste Gedanke, der Anna durch den Kopf schoss, war: „Die haben hier bestimmt irgendetwas fermentiert, Sauerkraut vielleicht und das wohl vor 30 Jahren, so wie das stinkt“.

Beim Gedanken wurde ihr übel und sie spürte, wie sich das Wasser in ihrem Mund sammelte, so, als müsste sie sich gleich übergeben. „Das fehlt mir noch, dass ich mich jetzt übergeben muss", dachte sie und nahm sich zusammen. Sie nahm die Steine herunter und legte das Handy zur Seite, um auch das Brett über der Wanne zu entfernen. Nun wollte sie endlich sehen, was sich in der Zinkwanne befand und leuchtete mit ihrem Handy hinein. Das Letzte, woran sie sich dann erinnern konnte, war, dass sie das eindeutige Wimmern eines kleinen Kindes hörte und noch dachte: „Das ist kein Kätzchen, das ist ein Baby“.

In weiter Ferne hörte sie das Lied „You are my Sunshine“ spielen. Das Lied wurde unterbrochen und begann dann von Neuem zu spielen, als sich endlich in ihr Bewusstsein drängte, dass dies der Handy-Klingelton für Björn war. Als sie die Augen aufschlug, fand sie sich liegend auf dem Boden wieder, konnte aber nichts sehen außer dem Display von ihrem Handy, auf dem das Foto von ihrem Mann aufleuchtete. Benommen nahm sie das Handy in die Hand und nahm das Gespräch an. „Schatz, endlich gehst Du ans Telefon! Ich rufe Dich schon seit einer halben Stunde an und dachte schon, Dir sei was passiert!“, hörte sie Björn aufgebracht ins Handy rufen. „Nun sag doch was, Schatz, was ist los, was ist passiert, geht es Dir gut?“, prasselte es aus ihm heraus. Annas Kopf arbeitete langsam und so dauerte es, bis sie ihm mit belegter Stimme antwortete: „Ich weiß es nicht“.

Noch bevor ihr Mann etwas dazu sagen konnte, durchfuhr es sie wie ein heißer Blitz und ihr blieb fast der Atem weg. Sie erinnerte sich wieder daran, was passiert war und plötzlich begann sie zu weinen und hysterisch ins Handy zu schreien: „Ich bin ohnmächtig geworden...das tote Baby hat mich gerufen, hier stinkt es nach Verwesung...mir ist ganz schlecht....hier liegt ein totes Baby in einer Zinkwanne....es wurde ermordet...“. Björn verstummte komplett und sie dachte schon, er habe aufgelegt, als sie schrie: „Ich bin im Keller ohnmächtig geworden, weil ich das tote Baby gefunden habe! Schatz, bitte hol mich hier raus, ich habe Angst!“.

„Anna, bitte versuche, Dich zu beruhigen. Du bist im Keller ohnmächtig geworden? Geht es Dir jetzt besser, könntest Du jetzt aufstehen und nach oben gehen?“. Seine Stimme klang ungewohnt besorgt und es hörte sich so an, als würde sie zittern. „Ja, ich glaube, das kann ich. Ich muss hier raus“, brachte sie hervor, während sie unter Weinen die alte Holztreppe herauf kletterte und wieder in der Kammer landete.

Ihr schienen die Kammer und auch die Küche mit einem Mal eiskalt, obwohl es draußen sicher seine 30° C im Schatten hatte, aber das lag wohl daran, dass sie ohnmächtig gewesen war und ihr Kreislauf sich erst einmal wieder stabilisieren musste.

Beim Ausatmen sah sie ihren eigenen Atem, wie im Winter, wenn draußen Frost ist, aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie wollte nur noch raus hier und bewegte sich mit unsicheren Schritten in Richtung Auto. Dort angekommen, setzte sie sich auf den Fahrersitz und schluchzte bitterlich. Die Tränen rannen ihr unaufhörlich über die Wangen, während sie Björn fragen hörte: „Was um Himmels willen meinst Du mit dem toten Baby? Ich habe überhaupt nicht verstanden, wovon Du redest!“.

Als Anna das Brett von der Zinkwanne entfernt hatte und diese mit der Taschenlampe von ihrem Handy ausleuchtete, blickte sie auf die mumifizierte Leiche eines Babys. Ganz deutlich konnte sie das Köpfchen und ein paar Haare erkennen und noch ehe sie sich versah, hörte sie das Wimmern eines Kindes. Dann wurde alles schwarz um sie herum und sie fand sich schließlich auf dem Boden des Kellers wieder.

Nachdem sie ihrem Mann das alles erzählt hatte, rief er vom Festnetz aus die Polizei in Mora an und versprach ihr, sich sofort auf den Weg zu ihr zu machen. Kurze Zeit später hörte sie bereits Polizeisirenen, die immer lauter wurden und sah gleich zwei Polizeiwagen auf das Grundstück einbiegen. Ihnen folgte ein Krankenwagen, der ebenfalls Blaulicht eingeschaltet hatte und sie dachte noch: „Das Kind ist tot, dem könnt ihr nun auch nicht mehr helfen!“.

Der erste Polizist, der ausstieg, kam auf sie zu und wurde begleitet von einer Polizeibeamtin, die sich zu ihr niederkniete und sie fragte: „Bist Du Anna? Dein Mann hat uns alarmiert und wir sind gekommen, um herauszufinden, was passiert ist!“.

Die Beamtin war noch sehr jung aber mit einem gewinnenden Lächeln sah sie Anna an und wirkte ernstlich besorgt. „In meinem Keller liegt ein totes Baby“, stammelte Anna und begann wieder zu weinen. „Wer tut denn so etwas? Mein Mann und ich wünschen uns schon seit vielen Jahren ein Kind und andere werfen ihre Kinder einfach weg wie ein Stück Müll“, rief sie verzweifelt aus und hielt sich die Hände vors Gesicht. „Anna, wir werden uns jetzt den Keller anschauen und in der Zeit werden sich die Sanitäter um Dich kümmern und Deine Wunde versorgen, ok?“.

Als sie das gesagt hatte, kamen die beiden Sanitäter auch schon auf Anna zu und halfen ihr aus dem Wagen. Sie führten sie zum Krankenwagen und forderten sie auf, sich auf die Liege zu legen. Als sie sich gerade hinlegte, konnte sie sehen, wie die Polizisten ins Haus gingen.

„ Ich werde mich erst einmal um die Platzwunde an der Schläfe kümmern, da musst Du ganz schön heftig aufgeschlagen sein“, sagte der Sanitäter zu ihr und sie wunderte sich, denn von einer Verletzung hatte sie gar nichts bemerkt.

Er schaute sich die Wunde an und als er sie mit einem getränkten Tupfer säuberte, heulte sie einmal kurz auf, weil es plötzlich wie Feuer brannte. „Was bin ich für eine Mimose geworden“, mahnte sie sich selbst, „erst wird mir übel und dann stelle ich mich wegen einer kleinen Wunde so an!“. „Anna, wir würden Dich gerne mit ins Krankenhaus nehmen und Dich dort für eine Nacht zur Beobachtung einweisen. Du könntest eine Gehirnerschütterung haben und das ist nicht ohne“, sagte der Sanitäter mit Besorgnis.

Vernünftig willigte sie ein, denn sie war froh, hier erst einmal wegzukommen und wollte so schnell wie möglich vergessen, was sie gesehen hatte. Sie setzte sich auf, wurde angeschnallt und während einer der Sanitäter sich neben sie setzte, ging der andere nach vorne und startete den Wagen. Die Fahrt dauerte nicht lange und am Krankenhaus angekommen führte man sie in ein Behandlungszimmer, in dem sie von der diensthabenden Ärztin bereits erwartet wurde.

Die Ärztin stellte sich als „Svea Johansson“ vor und erklärte ihr, dass sie heute als Notfallärztin Bereitschaftsdienst habe. Sie nahm den Verband von der Wunde ab, schaute sich diese genauer an und fragte Anna, ob sie Schmerzen habe. Anna verneinte dies, denn sie spürte noch immer nichts von der Wunde. „Anna, was ich von Deinem Erlebnis gehört habe, hat mich wirklich sehr erschüttert. Ich bin eigentlich Frauenärztin und helfe regelmäßig neuen Erdenbürgern auf die Welt und nun so was. Magst Du mir noch einmal genau erzählen, was passiert ist? Wir müssen das ja auch für die Polizei festhalten....“. Das Letzte, was Anna wollte, war, noch einmal darüber zu sprechen, was sie erlebt hatte, aber sie sah ein, dass es für die Akten wichtig sein würde, solange die Erinnerung noch frisch war. Also erzählte sie Svea alles, von den komischen Geräuschen, dem Gestank, dem toten Baby und der Eiseskälte in der Küche. Die Ärztin hörte aufmerksam zu und machte sich Notizen, während sie immer wieder auf Anna schaute.

„Was mich wundert ist eines: Du sagst, Du hättest den Geruch von Verwesung wahrgenommen, aber als ich vorhin mit der Polizei telefoniert habe, sagten sie, dass das Baby schon seit Jahrzehnten dort gelegen haben muss. Noch dazu war die Leiche mumifiziert, eigentlich riecht man dann nichts mehr und die Polizei hat auch nichts gerochen“, grübelte Svea. „Glaubt sie jetzt, ich sei verrückt und habe mir das alles nur eingebildet?“, fragte sich Anna. Sie schob den Gedanken aber beiseite und erklärte sich selbst, dass sie nicht nur unter Schock stünde, sondern ja auch total erschöpft sei. Sie hatte keine Kraft, mit Svea darüber zu diskutieren und schwieg einfach. „Ich würde eigentlich gerne eine Röntgenaufnahme von Deinem Kopf machen, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist, aber darauf müssen wir jetzt leider verzichten, da kein Röntgenassistent da ist“, sagte Svea abschließend.

„Ich möchte Dich aber für eine Nacht hier behalten, damit wir Dich unter Beobachtung haben. Du könntest eine Gehirnerschütterung davon getragen haben oder ein Schleudertrauma und wenn das so sein sollte, können wir gleich eingreifen“, stellte Svea fest. Dann rief sie nach einer Schwester, die Anna auf ihr Zimmer begleitete und ihr sagte, dass sie gleich mit etwas Kaffee und einem Käsebrot zurückkäme.

Anna ließ sich auf das Bett fallen und atmete tief ein. Plötzlich bemerkte sie ihre Wunde. „Aua“, dachte sie bei sich und griff automatisch an ihren Kopf. Da kam schon die Schwester wieder und hatte ein Tablett mit heißem, dampfenden Kaffee und einer belegten Scheibe Brot bei sich. Jetzt, wo Anna den Duft wahrnahm, bemerkte sie, dass sie Hunger hatte und genoss diese kleine Mahlzeit. „Dein Mann hat sich schon bei uns gemeldet und sollte so in 3 Stunden hier sein“, sagte die Schwester mit einem Lächeln zu Anna. „Bis dahin solltest Du Dich sich ein wenig hinlegen und ausruhen“.

Als Anna aufwachte und zur Seite schaute, sah sie in Björns besorgtes Gesicht. Sie versuchte zu lächeln, aber als er sie in den Arm nahm, brachen die Tränen aus ihr heraus und er ließ sie einfach weinen. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, fragte sie ihn, wie lange er dort schon gesessen habe und er antwortete: „Ich bin gestern angekommen, aber nachdem Du so tief und fest geschlafen hast, bin ich erst einmal zur Polizei gefahren, um zu erfahren, was eigentlich passiert ist“. Und dann erzählte er: „Ich bin auf das Revier gefahren und da haben die mich gleich in ein Zimmer geführt. In dem Zimmer warteten eine junge Beamtin und ein weiterer Polizist und stellten sich als „Per-Ole Olafsson“ und „Mia Andersson“ vor. Mia ist die Polizistin gewesen, die mit Dir gesprochen hat und sie erzählte mir dann, dass der Keller nun zu einem Tatort erklärt worden ist, nachdem sie da die Leiche eines Babys gefunden haben. Das hat die Polizisten sichtlich mitgenommen, aber was sie mir dann erzählt hat, hat mich echt geschockt“. Er machte eine lange Pause, als würde er darüber nachdenken, ob er ihr überhaupt davon erzählen sollte. Sie sah ihn ernst an und äußerte ungeduldig: „Nun sag schon, ich will wissen, was es mit dem Baby auf sich hat!“.

„Unser Haus war ja früher mal ein Bauernhof, wie Du weißt. So um 1940 herum war der Hof noch bewirtschaftet und der Bauer hatte einige Mägde und Knechte in Anstellung, die auch auf dem Hof gewohnt haben. Eine dieser Mägde hieß Hanna und verstarb mit gerade einmal 18 Jahren unter mysteriösen Umständen. Der Bauer erzählte allen, sie sei an einer Blinddarmentzündung gestorben, aber es machte sich das Gerücht breit, er hätte sie geschwängert und sie wäre nach der Geburt an einer Unterleibsentzündung gestorben. Man hatte sie wohl viele Monate nicht mehr in der Kirche gesehen und als sie eines Sonntags wieder am Gottesdienst teilgenommen hatte, habe sie geistesabwesend und krank gewirkt. Kurz darauf sei sie dann gestorben und auf dem Friedhof der Kirche beigesetzt worden. Aber ein Baby habe man nie bei ihr gesehen“.

Anna wurde blass wie die Wand und dann sprudelte es aus ihr heraus: „Dann hat er das Kind umgebracht und sie ist an den Folgen der Geburt gestorben. Was für ein Schwein!“, schoss es aus ihr heraus, „Da bringt er ein unschuldiges Kind um, damit niemand erfährt, dass er sich an der jungen Magd vergangen hat!? Arme Hanna, sie muss unendlich gelitten haben!“. Tränen standen ihr in den Augen, als sie fragte: „Wird man das je herausfinden und aufklären können?“.

Björn erklärte ihr, dass man das Baby nun obduzieren würde und da es mumifiziert sei, könnte man Gewebeproben entnehmen. Es gäbe wohl noch Verwandte von Hanna im Dorf, mit deren DNA man Vergleiche zu dem Jungen ziehen könnte. „Ein Junge?“, fragte Anna mit leiser Stimme und fing wieder an zu weinen. „Ja“, antwortete er, „es war ein neugeborener Junge, vermutlich ist er direkt nach der Geburt gestorben“. Sie schwiegen beide, denn diese Tragödie traf sie Beide zutiefst, nicht zuletzt, weil sie selbst sich so sehr Kinder wünschten und es einfach nie geklappt hatte.

Für die nächsten Tage zogen die Beiden in eine Pension und warteten die Ermittlungen ab. Einmal noch musste Anna zu einer Zeugenaussage zur Polizei, aber diesmal fiel es ihr nicht mehr so schwer, von ihrem Erlebnis zu berichten. Man versprach ihr, sich bei ihr zu melden, wenn die Ergebnisse vorlägen und ihr Haus wieder freigegeben sei. Einen Tag nach ihrer Zeugenaussage rief das Revier an und bat Beide zu einem erneuten Termin. Nervös und aufgeregt fuhren sie hin und wurden aufgefordert, sich zu setzen. Man bot ihnen Kaffee an, den sie gerne annahmen und mit großer Erwartung in ihren Gesichtern lauschten sie den Ausführungen von Mia, der jungen Beamtin.

„ Wir hatten euch ja darüber informiert, dass ein Genvergleich stattfinden sollte, da Hanna hier im Ort ja noch Verwandte hat. Wie sich herausgestellt hat, war der kleine Junge tatsächlich Hannas Kind und die Obduktion hat ergeben, dass er vermutlich direkt nach seiner Geburt gestorben ist. Eine Röntgenaufnahme hat dann leider ergeben, dass sein Genick gebrochen war, was darauf schließen lässt, dass er brutal ermordet wurde.“ Plötzlich stiegen Mia Tränen in die Augen, was Björn und Anna sehr irritierte. „Hanna war die Schwester meiner Urgroßmutter und ich war diejenige, die eine Blutprobe zum Abgleich abgegeben hat. In meiner Familie ging man immer davon aus, dass Hanna von dem Bauern geschwängert worden sei und dass sie an den Folgen der Geburt gestorben ist. Sie war noch so jung und hatte ihr ganzes Leben noch vor sich, das hat meine Urgroßmutter ihr Leben lang schwer belastet. In unserer Familie haben wir beschlossen, dass der Kleine in der Grabstätte bei meiner Urgroßmutter und Hanna beigesetzt werden soll. Wir hoffen, dass er dort Ruhe findet und Hanna und er wieder vereint werden“.

Sprachlos hörten sich Anna und Björn die Ausführungen der Polizistin an und brachten kein Wort heraus. Ihre Gedanken überschlugen sich und vor allem Anna fragte sich ernsthaft, ob es möglich sei, dass der Kleine auf sich aufmerksam gemacht hatte, damit sie ihn finden würde. Sie hatte ja auf jeden Fall Wimmern gehört, denn das war ja der Grund gewesen, weshalb sie überhaupt erst in den Keller gegangen war. „Könnte es wirklich sein, dass Hanna und der Kleine wollten, dass ich diese Gräueltat aufdecke?“, fragte sie sich.

Mia nannte den Beiden den Termin für die Beerdigung und lud sie hierzu ein. „Ohne euch wären wir ja nie dahinter gekommen, was wirklich passiert ist. Wir sind wirklich dankbar und würden uns freuen, wenn ihr auch zur Beerdigung kämt“. Die Beiden fühlten sich so involviert in die Geschichte, dass für sie außer Frage stand, ob sie ablehnen oder annehmen würden und so sagten sie zu.

Auf dem Weg zum Auto läutete Annas Handy und sie sah, dass es das Krankenhaus war.

Sie ging ran und hörte Sveas Stimme sagen: „Hallo, Anna, hier ist Svea, Deine Ärztin aus dem Krankenhaus. Ich wollte Dir eben noch die Ergebnisse Deiner Blutuntersuchung mitteilen. Also, Deine Blutwerte sind richtig gut, aber ich möchte Dich dennoch als Ärztin darauf hinweisen, dass Du Dich die nächsten Monate etwas mehr schonen solltest. Ohnmacht und Gehirnerschütterungen sind ebenso schlecht während einer Schwangerschaft, wie Renovieren und Leitern rauf – und herunterklettern“, lachte Svea und machte eine Pause. „Anna, Du hättest mir ruhig sagen können, dass Du schwanger bist. Wie gut, dass wir keine Röntgenaufnahme machen konnten, das wäre für das Baby gar nicht so gut gewesen. Hallo, bist Du noch dran?“, fragte sie und Anna stammelte: „Was hast Du da gerade gesagt?“. „Na, dass Du mehr auf Dich achten solltest, denn Du bist ja sozusagen nicht mehr allein“, antwortete Svea verdutzt. Anna ließ das Handy fallen, fiel ihrem Mann um den Hals und lachte und lachte und lachte. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Anna immer wieder rief: „Wir sind schwanger!“.

In der Nacht vor der Beerdigung träumte Anna von Hanna und ihrem kleinen Jungen. Im Traum hatte Hanna den Kleinen im Arm und wandte sich lächelnd an Anna. „Der Kleine heißt Mads, Du hast ihn mir zurückgebracht, dafür werde ich Dir für immer dankbar sein. Pass Du immer gut auf Dein Baby auf!“, sagte Hanna im Traum zu ihr und schon löste sich ihre Gestalt auf und Anna erwachte. Ihr erster Gedanke war: „Deswegen habe ich den Kleinen gehört, weil ich selber schwanger bin und Hanna das wusste. Wenn Björn und ich uns über einen Namen für unser Baby einig werden müssen, weiß ich schon, welche Namen ich vorschlagen werde“, grinste sie.

Die Beerdigung war sehr bewegend. Der Kleine wurde in einem weißen Kindersarg beigesetzt und das halbe Dorf war hierbei anwesend. Mia wandte sich an Anna und bedankte sich mit einer Umarmung bei ihr. Sie sagte auch, dass sie es nur schade fände, dass auf dem Grabstein nie sein Name stehen würde, sie aber froh sei, dass Hannas Name nun sozusagen reingewaschen sei. „Mads“, sagte Anna, „das war sein Name! Das hat Hanna mir im Traum verraten“. „Mads“, wiederholte Mia, lächelte und nickte dann: „Dann schreiben wir Mads auf den Stein!“.

Von Trollen, Elfen und Geisterhäusern

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