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Gipfel und Tal

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Wir wollen die Unterschiede zwischen diesen beiden Herangehensweisen an die orgasmische Erfahrung etwas genauer betrachten. Grundsätzlich unterscheiden sich die beiden von Anfang an durch das Vorgehen und die innere Einstellung. Beim Gipfelorgasmus geht es in erster Linie darum, ein Ziel zu verfolgen. Wir wollen ihn „haben“ und „gehen dafür“, das heißt, wir steuern ihn bewusst an und tun einiges dafür, um zum Höhepunkt zu kommen. Das Erreichen eines Gipfelorgasmus wird somit zu einer linearen, zielgerichteten Aktivität, die einer mentalen Absicht bedarf, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Dabei wird vorausgesetzt, dass wir etwas tun müssen (was auch immer wir für nötig erachten), um das Endziel – den Höhepunkt – zu erreichen. Im Unterschied dazu entspricht eine Talerfahrung eher einer Einladung, ohne die fixe Idee, einen Orgasmus zu erwarten oder zu fordern. Es kann passieren – oder auch nicht.

Und wenn es passiert, passiert es ganz von selbst. Es geht nicht um das Endergebnis. Vielmehr ist die ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, den Augenblick zu genießen – hier und jetzt in unserem Körper zu sein. Dadurch kann sich die sexuelle Begegnung ohne vorher festgelegte Richtung spontan entfalten.

Statt einen Orgasmus anzupeilen, sind wir einfach offen und sagen Ja zu allem, was im Körper von Moment zu Moment geschieht. Nur auf diese Weise kann sich die notwendige Sensibilität entwickeln, die eine Voraussetzung für die Erfahrung eines orgasmischen Tales ist.

Um einen Gipfelorgasmus zu erlangen, müssen wir uns normalerweise körperlich ziemlich anstrengen. Wir verfolgen dabei die Absicht, durch immer intensivere Stimulation die köstlich erregenden Empfindungen zu einem glorreichen Crescendo zu steigern. Dazu gehören ständig wiederholte mechanische Beckenbewegungen, die zum Ende hin immer schneller und schneller werden. Diese Aktivität ist erforderlich, um die Energie bis zum Höhepunkt zu steigern. Gleichzeitig wird dadurch aber eine Menge Spannung aufgebaut und die ganze Energie sammelt und komprimiert sich in den Genitalien.

Anders als bei dieser üblichen Art kann sich eine orgasmische Talerfahrung erst entfalten, wenn wir uns erlauben, weniger zu tun und mehr zu sein. Das setzt voraus, dass wir die Dinge auf eine möglichst gelassene, entspannte, geruhsame Weise angehen und sich selbst entwickeln lassen. Wir vermeiden bewusste Anstrengungen, Bewegungen oder Stellungen, die unnötige Spannung hervorrufen.

Das Eindringen des Penis in die Vagina geschieht sehr bewusst und ganz langsam, ebenso alle Beckenbewegungen. Diese Entspannung der Genitalien bei beiden Partnern begünstigt das Ausstrahlen und Ausbreiten der Energie in andere Bereiche des Körpers.

Der Gipfelorgasmus ist normalerweise eine ziemlich heiße Angelegenheit. Im Tal läuft alles viel kühler ab. Hier kann jeder einzelne lustvolle Augenblick der Erregung für sich genossen werden, immer gefolgt von einigen Minuten der Entspannung. Die Erregung wird nicht geschürt und angefacht, um zu einem Höhepunkt zu kommen, wie es beim Gipfelorgasmus der Fall ist. Durch die langsamere, weniger auf Aktivität ausgerichtete Vorgehensweise und die Achtsamkeit auf den Energiefluss wird eine innere Feinfühligkeit geweckt, die wenig mit der üblichen Stimulation und Erregung gemein hat. Durch die zunehmende Empfindsamkeit offenbart sich im Körper eine Ebene magnetischer Anregung, die sich kühl, zellaktivierend und ekstatisch anfühlt. Für diese entspannte Art des Orgasmus ist es noch nicht einmal nötig, Erregung gezielt aufzubauen. Ein weiteres Element, durch das sich Gipfel- und Talorgasmus voneinander unterscheiden, ist die Dauer des Geschehens. Ein Gipfelorgasmus dauert – an einem guten Tag – schätzungsweise zehn Sekunden. Man könnte sagen, dass dieser Höhepunkt einen ziemlich präzisen Anfang und ein ziemlich präzises Ende hat. Es ist ein Ereignis. Wir haben einen Orgasmus – oder auch nicht, je nachdem.

Im Gegensatz dazu ist der Talorgasmus ein länger andauernder Zustand, eine zeitlose Erfahrung ohne einen speziellen Anfang oder ein spezielles Ende. Er kann einige Sekunden, aber auch einige Stunden anhalten. Die Zeitdauer spielt keine Rolle, aber die Erfahrung ist immer ähnlich: Beim Talorgasmus senkt sich ein ekstatischer Friede auf uns herab, umhüllt uns, umarmt und nährt uns; wir fühlen uns, als ob wir schweben. Wir sind orgasmisch. Es handelt sich um einen erweiterten Bewusstseinszustand, nicht um ein flüchtiges Ereignis wie beim Gipfelorgasmus, der innerhalb von Sekunden wieder abgeflaut ist.

Wenn wir völlig eins sind mit den subtilen Empfindungen unseres physischen Körpers, erleben wir diese sexuelle Erfahrung als ekstatische Körperlosigkeit. Das klingt zwar widersprüchlich und paradox, funktioniert aber tatsächlich so.


Abb. 1 Biologische oder reproduktive Phase sexueller Energie.


Abb. 2 Spirituelle oder kreative Phase schöpferischer Energie.


Abb. 3 Vollständiger sexueller Energiekreis, mit zurückgeleiteter sexueller Energie, die sich spiralförmig durch die Energiezentren bewegt.

Die nach innen zurückgenommene Energie breitet sich aus und steigt im Körper orgasmisch nach oben. Statt aus dem Körper ausgestoßen und entladen zu werden, sammelt sich die Energie in unserem System und bewirkt eine Steigerung der Vitalität und Kreativität. Wenn Sex auf diese Weise gelebt wird, intensiviert und stärkt er unsere Lebenskraft. Bestimmte Hormone, die beim Sex freigesetzt werden, gelangen ins Gehirn, wo sie die Hauptdrüsen, Hypophyse und Epiphyse, versorgen. Das wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit und Langlebigkeit aus – Sex verlängert so das Leben.

Beim Gipfelorgasmus bewegt sich die Energie in entgegengesetzter Richtung. Beim Höhepunkt fließt die Energie nach unten und außen, um den Bedingungen der Fortpflanzung zu entsprechen. Auf die intensive Steigung der Erregung folgt eine lustvolle Entladung der Energie, die nach unten aus dem Körper ausgestoßen wird. Dass eine Entladung stattfindet, zeigt sich am spürbaren Energieverlust des Mannes bei einem Samenerguss. Häufig ist er gereizt, nervös und fühlt Distanz zu seiner Partnerin. Viele Frauen beobachten bei sich ebenfalls einen erheblichen Energieverlust durch den Orgasmus, genau wie der Mann, obwohl sie keinen Samenerguss haben. Plötzlich ist keine Bereitschaft mehr da, Liebe zu machen, und man hat weder Energie noch Lust zum Weitermachen. Dieser Energieverlust beim Orgasmus ist die Ursache dafür, dass sich Frauen oft im Stich gelassen, einsam, traurig oder deprimiert fühlen.

Der Gipfelorgasmus wird als eine mehr oder weniger auf die Genitalien reduzierte Erfahrung erlebt, weil sich die sexuelle Energie nicht in andere Körperteile ausdehnen kann. Durch das Bemühen einen Orgasmus zu bekommen wird eine Ausdehnung der Energie geradezu blockiert; die dabei entstehende Anspannung hindert die Energie daran, sich auszudehnen. Das ganze aufgebaute Energiepotenzial geht verloren und steht nicht mehr zur Verfügung, um seine heilsame, belebende Wirkung auf Körper und Seele auszuüben.

Durch bestimmte Techniken lässt sich der Gipfelorgasmus willentlich verlängern bzw. können mehrere Orgasmen hintereinander erlangt werden. Durch die Abstimmung von Atem, Bewegung und Entspannung ist es möglich, die Energie über die automatischen Barrieren hinwegzuheben und in unbegrenzte Energiezustände zu gelangen. Um dahin zu kommen, braucht man allerdings ziemlich viel Übung und eine zielgerichtete Konzentration; jedenfalls entstehen ganz selten multiple Gipfelorgasmen aus einem entspannten Zustand.

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