Читать книгу Dreh den Schubkarren um! - Dieter M. Hörner - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
Ganz oben – aus und vorbei?
Der Schubkarrenmann schiebt fröhlich einen mit kleinen Steinen und Sand mäßig beladenen Schubkarren.
„Wir fahren heute durch eine Ebene, danach geht es über einen Fünftausender! Teilweise über Schotter, es wird einige Wasserdurchfahrten geben. Bitte achtet darauf, genügend Wasser zu trinken. Vier bis fünf Liter täglich sind das Minimum! Dann wird es nicht zur Höhenkrankheit kommen. Trinkt bitte keinen oder nur sehr wenig Alkohol. Heute Abend campen wir auf einer Höhe von ca. 4.000 Metern, morgen geht es weiter zum Kardung La. Das Wetter hält sich gut, doch es sind Stürme und Schnee angesagt. Bitte richtet euer Material heute Abend schon her, wir müssen morgen früh los. Ich kann nicht garantieren, dass der Pass offen ist. Alleine die Anfahrt wird anspruchsvoll, also achtet bitte darauf, dass es heute nicht zu spät wird. Und nochmals, nicht zu viel Alkohol, das verträgt sich nicht in dieser extremen Höhe!“
Unser sonst so lustiger, lockerer Guide ist bei dieser Ansprache klar und ernst.
Ich blicke zu meinem Freund Ralf. Dieser sitzt wie immer ruhig und tiefenentspannt, mit einem Gesichtsausdruck, der für andere immer gleich aussieht, auf seinem Moped. Es ist eine wunderschöne, extrem zuverlässige Royal Enfield. Ich kann seinen Gesichtsausdruck mittlerweile lesen. Es sind nur Nuancen, die sich mir über die vielen Jahre, in denen wir zusammen biken, erschlossen haben. Er spricht es nicht aus, denn er spricht sehr wenig, außer du beginnst ein Gespräch über Computer oder Software, dann spricht er sehr viel.
Sein Gesichtsausdruck sagt Folgendes: „Ok, morgen geht es also auf den höchsten befahrbaren Pass der Welt. Gut. Bin dabei. Wetter soll schlecht werden. Hmpfff. Was soll‘s. Nun sind wir schon über zwei Wochen unterwegs, da werden wir uns vom Wetter nicht aufhalten lassen. Los geht‘s!“
Genau Ralf, wir fahren da hoch. Sind ja nur ein bisschen über 5.600 Meter, ein Klacks, denke ich zurück.
Motorradfahren im Indischen Himalaja ist etwas Besonderes und Einmaliges. Enge, sehr enge Bergpfade, tiefe Schluchten, am Horizont die Siebentausender im Blickfeld. Eine enorme Weite, es riecht anders, das Essen ist speziell, die Menschen sind freundlich und die Luft sehr dünn.
Es ist der Tag vor dem absoluten Highlight dieser Tour. Die Auffahrt zum höchsten befahrbaren Pass der Welt. Das Wetter ist ideal, Sonnenschein und so warm, dass einige mit dem T-Shirt fahren. Nun, ich liebe meine Haut und meinen Körper, ich fahre auch bei großer Hitze mit der Jacke. Lieber ein bisschen schwitzen als sich vielleicht nach einem Sturz die Kieselsteine aus der Haut pulen zu müssen.
Wir fahren durch ein wunderschönes Tal. Gefühlt nehme ich auf dem gesamten Trip täglich ein Kilogramm Himalaja-Staub zu mir, denn wir fahren immer wieder Militärkolonnen hinterher. Überholen ist unmöglich und wenn, dann ist es lebensgefährlich. Das Militär findest du überall in dieser Gegend. Sobald wir uns einem größeren Militärstützpunkt nähern, werden die Straßen überraschend gut. Du kannst dir vorstellen, wie verblüfft ich war, als wir aus einem dieser Ziegenpfade auf einer Höhe von über 4.000 Metern um die Kurve biegen und plötzlich eine vierspurige, perfekt asphaltierte Straße vor uns liegt.
Wahnsinn, denke ich, wo kommt denn plötzlich diese Autobahn her? Liegt es am Luftmangel? Eine Sauerstoffmangel-Fata Morgana?
Da braust der Guide mit einem breiten Grinser an uns vorbei und ruft: „Vollgas, Jungs!“
Vollgas mit einer Royal Enfield, das ist ein Erlebnis! Mit atemberaubenden 90 km/h rasen wir über diese geniale Bahn. Das erste Mal in meinem Bikerleben darf ich wahrnehmen, wie der Motorradrahmen ganz harmonisch ins Schwingen kommt, sich bewegt. Ein irres Gefühl. Die Militärkolonne wird überholt, es geht nun hoch auf den nächsten Pass.
Kurz darauf ist es wieder vorbei mit dem schönen Asphalt, wieder ist eine Staubpiste angesagt. Und vor uns die nächsten Lastwagen. Toll, das nächste Kilogramm Dreck, ich brauche heute kein Mittagessen! Im Geiste höre ich Petras Stimme: „Das ist es doch, was du wolltest, oder?“
„Ja, ja, schon klar, ist ja auch geil!“, sage ich meiner Petra in Gedanken und muss daran denken, wie es ihr wohl im Moment ergeht. Tja, ich weiß genau, was sie gerade macht – auf den Malediven! Denn dort ist meine liebe Petra. Zusammen mit zwei unserer Kinder, Tashina und Marvin. Sonnen, tauchen, schnorcheln, an der Bar sitzen! Welch krasser Gegensatz zu dem, was hier gerade abgeht.
Plötzlich lautes Hupen! Ein riesiger, bunt bemalter Lastwagen kommt von hinten und drängt mich ab! Wahnsinn, der Spinner will mich tatsächlich überholen. Das ist zu eng! Viel zu eng! Ich winke verzweifelt, doch der Lastwagen bleibt hart am Gas, kommt immer näher. Ich spüre ihn förmlich im Nacken. Bremsen geht nicht, dann überrollt mich das Teil. Also ebenso am Gas bleiben, links ran. Ich streife mit der Schulter an der Felswand entlang, bin hoch konzentriert dabei mein Motorrad auf Spur zu halten. Ein kleiner Fehler und es ist vorbei! Der Truck donnert an mir vorüber. Sein Außenspiegel streift meine rechte Schulter. Uff! Geschafft!
Nun, das ist etwas, was du als Biker im Himalaja sehr schnell lernst. Du bist als Motorradfahrer in der „Nahrungskette“ der kleinste Happen! Keine Rücksicht auf Biker! Vorfahrtregeln? Vergiss es! Hier lernst du Demut und vor allem, vorausschauend und „egofrei“ zu fahren. Du musst nachgeben, denn deine einzige Knautschzone ist dein Körper.
Mich stresst das nicht, warum auch? So ist das hier eben. Ich bin Gast in diesem Land und ordne mich den Gepflogenheiten unter. Mir ist bewusst, dass, wenn ich mich auf solch ein Abenteuer einlasse, neue Dinge auf mich zukommen.
Vor der Reise habe ich mir ein Vademekum, also einen Reiseratgeber über den Himalaja besorgt und studiert. Auf was muss ich achten als Europäer? Was kann ich essen? Wovon sollte ich die Finger lassen? Was ist mit der Wasserqualität? Wie verhalte ich mich im Kloster, beim Essen, in den Dörfern usw.?
Irgendwann in einer dieser faszinierenden Nächte sitze ich vor dem Zelt und lese in diesem Vademekum. Der Sternenhimmel ist so nah, dass ich das Gefühl habe, wenn ich jetzt die Hände ausstrecke, kann ich die Sterne berühren. Vollkommene Ruhe.
Wie wäre es, denke ich, wenn es solch ein Vademekum auch für unser „Abenteuer Leben“ gäbe. Eines, das sich mit Fragen befasst, die uns alle beschäftigen. Warum geschehen mir immer die gleichen Dinge? Wieso kreiere ich mir immer die gleiche Realität? Bin ich tatsächlich der Schöpfer meines Lebens? Gibt es Zufälle oder eine Vorbestimmung? Gibt es Selbstbestimmung? Gibt es einen Gott? Wie werde und bleibe ich glücklich? Wie bin ich ein guter Vater, eine gute Mutter? Wie pflege ich Freundschaften? Wie gehe ich mit meinen Ängsten um und wo kommen diese eigentlich her? Warum werde ich krank oder unglücklich? Gibt es Prinzipien, also Grundregeln oder gibt es eine Anleitung fürs Leben?
Wie genial wäre es, wenn ich einen Lebensreisebegleiter hätte, in dem ich nachschauen kann, welche universellen Gesetze wirken und wie sie zusammenhängen; in dem ich nachschlagen kann, was die Hintergründe der Situation sind, in der ich mich gerade befinde; welche Möglichkeiten, welche Wahl ich im Moment habe; der mich durch mein Leben begleitet, wie ein bester Freund, immer an meiner Seite, immer für mich da?
Mittlerweile habe ich dieses Vademekum geschrieben. Ich habe mich dazu ermächtigt, 30 Evolvere-Prinzipien zusammenzustellen. All mein Wissen aus bald 60 Jahren Lebenserfahrung, aus fast drei Jahrzehnten intensiver Persönlichkeitstrainertätigkeit und die Essenz aus ungezählten Büchern. 30 Lebensprinzipien, die dir zur Verfügung stehen, wann immer dir danach ist.
Nach der Staubfahrt kommen wir an einen schönen Ort, dieser hat sogar ein Restaurant. Ok, wir Europäer würden es eine Bretterbude nennen, doch hier ist das Luxus pur. Sogar einen Wasserschlauch gibt es. Wie genial! So können wir unsere schwarzen Gesichter waschen, die Kehle ausspülen und einen Teller Reis mit Gemüse essen.
Weiter geht die Fahrt über einen Fünftausender und dann hinein in ein fantastisches Tal. Kennst du Filme über die extremsten Straßen der Welt? Nun, so ungefähr kannst du dir die Strecke vorstellen, die sich vor uns öffnet.
Wow ... bloß nicht rechts runter schauen, denn da ist der Abhang. Ungesichert. Schmal, der Weg. Unbefestigt. Ab und an ist die halbe Straße weggebrochen und gleich müssen wir durch einen Wasserfall fahren. Unfassbar! Links geht die Steilwand hoch. Also konzentriert und mittig fahren.
In diesen Momenten bist du mit dir alleine. Vollkommen gegenwärtig. Bewusst. Aufmerksam.
Diese Momente sind der Grund, warum ich diese extremen Reisen unternehme. Du bist lebendig. Wirst eins mit dir, der Natur und deiner Maschine.
PENG! Plötzlich bekommt mein Motorrad einen gewaltigen Schlag von unten, bockt wie ein wildgewordenes Pferd und reißt mich in Richtung Abgrund. Im nächsten Sekunden-bruchteil übernimmt mein Unbewusstes die Regie. Meine Erfahrung aus über einer halben Million Kilometer auf dem Motorrad übernimmt die Situation. Den Blick weg vom Abgrund! Wo willst du hin? Zum Berg. Blickrichtung beachten! Die Energie folgt der Aufmerksamkeit! Hände locker am Lenker. Der Blick lenkt, der Arsch folgt.
Ich komme mittig auf dem Pfad zum Stehen.
Mein Blick geht zum Abgrund. Ich nehme die Spur meines Vorderreifens wahr! Diese führt geradewegs an die Kante der unbefestigten Straße und haarscharf am Abgrund entlang! Ein paar Millimeter weiter und ...!
Ich nehme Ölgeruch wahr. Mein linker Stiefel wird heiß. Öl fließt aus der Maschine. Über meinen Stiefel. WTF? Keine Verletzung, ok. Aber Ölaustritt ist schlecht, sehr schlecht. Morgen geht es hoch auf den Kardung La, auf den höchsten befahrbaren Pass der Welt! Wir haben kein Ersatzmotorrad dabei! Was für ein Mist!
Hey, Dieter, spricht eine Stimme in mir. Du bist am Leben. Könntest jetzt auch unten in der Schlucht liegen! Also ganz easy, schau einfach, wie es weitergeht. Du kennst das doch, du bist bis jetzt immer da hingekommen, wo du hinwolltest. Vertraue und bleibe in deiner Mitte! Ok?
Ich bleibe kurz sitzen, schließe die Augen, lege die Hand auf mein Herz und werde gegenwärtig. Du lebst, bist mitten im Himalaja, sitzt auf deiner Maschine, atmest und fühlst das pure Leben! Das ist die Realität! Nicht deine Befürchtungen, nicht dein Wollen, sondern schlicht und einfach das, was jetzt ist. Das ist das Echte! Also, du bist inmitten dieser genialen, einmaligen Natur, die Sonne scheint, du lebst und spürst die Einmaligkeit deines Seins. Fühle. Atme. Geh in deinen inneren Tempel, an deinen Kern und sei aufmerksam und in Liebe.
Ich steige ab und laufe zur Schlucht. Ok, das ist tief. Das hätte übel enden können. Ich bleibe stehen, lege nochmals die Hand auf mein Herz und erinnere mich an die Übung, die seit fast drei Jahrzehnten in meinem Leben und in meinen Seminaren ist und eine wichtige Rolle spielt. Ich gehe in meinen inneren Tempel, meinen inneren Kern. Nehme bewusst Verbindung mit meiner Seele auf. Ich bin der Kern im Kern, stehe in der Sonne und lebe! Danke!
Das innere Gebet kommt wie von alleine. Währenddessen bleibe ich vollkommen ruhig. Kein Zittern, kein Adrenalinschub. Das kenne ich von mir in solchen Situationen.
Ich drehe mich um und nehme wahr, dass die anderen auf ihren Bikes sitzen und mich beobachten. Keiner spricht ein Wort. Wie lange stehe ich schon hier?
Da kommt Ralf mit der Kamera angelaufen und schaut mich nur an, mit seinem „Ralfgesichtsausdruck“. Geht zur Schlucht, schaut runter, sagt „Hmpff - tief“, knipst ein Foto von der Reifenspur, kommt zu mir und meint:
„Dein Schutzengel ist genial. Und gut, dass du so viel Fahrerfahrung hast. Bin hinter dir gefahren. Hast die Kiste gewaltig nach links geworfen. Das hätte übel ausgehen können!“
Du sagst es, Ralf, du sagst es, denke ich amüsiert.
Ich gehe zum Bike. Hmm, ein Loch im Motor. Nicht gut, gar nicht gut.
Unser Enfield-Spezialist kommt mit dem Begleitfahrzeug an, springt aus der Karre, die Werkzeugtasche schon in der Hand, lächelt dieses freundlichen Inder-Lächeln, wackelt mit dem Kopf, wie es nur die Inder können, und sagt:
„No problem!“
„No problem? The engine is broken.”
„No problem, wait a minute!”
Er schraubt das Motorgehäuse ab. Dieses hat ein riesiges Loch an der Unterseite. Ein Stein hat sich aufgestellt und mich ausgehebelt. Er nimmt einen Lappen, stopft diesen in das Loch und fixiert das Ganze mit einem stabilen Reparaturband. Dann öffnet er eine Tube und trägt dick eine ölige Paste auf das Motorgehäuse. Danach schraubt er es wieder dran, kickt die Maschine an und mit einem leichten Klappern bullert diese los.
„Ok!“, sagt er und lächelt mich fröhlich an.
„Ok? Are you sure?“, frage ich zweifelnd.
„Yes, drive away, have fun, it´s ok.”
„And tomorrow?”
„Yes, yes, it’s ok. Drive and have fun.“
Mit dieser, in meinen Augen notdürftig zusammengeflickten Maschine sollte es am nächsten Tag auf den höchsten befahrbaren Pass der Welt gehen?
Aber, so einer Royal Enfield macht es nichts aus, wenn da ein bisschen Öl aus dem Motor fließt. Lappen rein, Tesaband drüber, ein bisschen Schmierpaste drauf und weiter geht es. Einfach unglaublich! Denn das sei schon einmal vorweggenommen: meine Enfield hat durchgehalten, ganz im Gegensatz zu einigen anderen Bikes.
Die 1. Botschaft des Schubkarrenmanns
Wir sind immer in der Verantwortung, bei dem, was uns geschieht. Auch wenn wir nicht verantwortlich sind, sollten wir so handeln, als ob wir verantwortlich wären. Das bringt und hält uns in unserer Entscheidungskraft. Das gibt uns die Macht des Handelns.
Sich aufzuregen bringt einfach nichts. Ärger macht alles ärger! Den Schubkarren in Eigenverantwortung wahrzunehmen, das ist es, was uns den Mut, die Kraft und vor allem die Entscheidungsfähigkeit gibt, unser Leben in Besitz zu nehmen!
Während unserer Himalaja-Motorrad-Tour mussten mein Freund Ralf und ich einige mal den Inhalt unseres Lebens-Schubkarrens genau wahrnehmen und abwägen, welche Dinge wir hineinwerfen und was wir uns von anderen hineinwerfen haben lassen. Wir mussten aber auch bewusst die Entscheidung treffen, was wir wieder herausnehmen, um den Schubkarren leichter zu machen, damit er nicht zu schwer wird und wir ihn weiter in Freude schieben können. Und ja, wir mussten ihn auch einmal radikal umdrehen. All unsere Sorgen und Ängste symbolisch ausschütten, die uns dort oben plagten und daran hinderten, diese extreme Situation mit Freude und Mut anzugehen.
Die von uns selbst kreierten Umstände zwangen uns dazu, unser Denken und Handeln auf die Gegebenheiten vor Ort einzustellen. Wir mussten abwägen, was zu tun ist. Wir haben den vollen Schubkarren (unsere Wünsche, unsere Ängste, Zweifel und Befürchtungen) wahrgenommen, innegehalten und uns entschieden, den Schubkarren leichter zu machen. Wir haben uns befreit von all dem, was uns hinderte, weiterzugehen bzw. zu fahren. Wir durften erkennen, dass es an uns selbst liegt, was wir tun und wie wir an die Sache herangehen. Vom Schubkarren-Blickpunkt aus gesehen, haben wir uns mit der Entscheidung, diesen Pass mit dem Motorrad zu bezwingen, selbst unseren Lebens-Schubkarren vollgeladen. Es war unsere ganz persönliche Entscheidung.
Wenn ich davon erzähle, wie ich fast in diese Schlucht gestürzt wäre, werde ich oft gefragt, wie ich mit solchen Situationen umgehe. Ich habe immer wieder festgestellt, dass ich in extremen oder dramatischen Situationen einen sehr pragmatischen Ansatz habe. Ich bleibe bewusst im Jetzt, nehme wahr, was gerade geschieht, und gehe in meine Mitte, zu meinem Kern, zu meinem inneren Tempel. Dann geht es weiter, ohne endlos darüber zu grübeln, was alles hätte passieren können. Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Punkt! Ich fühle mich immer geführt, deshalb vertraue ich dem Leben. Ich habe tief in mir verankert, dass jede Situation einen Sinn hat, der sich mir nur nicht immer gleich, vielleicht sogar nie, erschließt.
Damals, hoch oben auf dem Pass, war ich einfach nur dankbar, dass ich lebe, in der Sonne stehe und lächeln, fühlen, aber vor allem weiter Motorrad fahren kann.
Da jeder Mensch anders ist, gibt es selbstverständlich unendlich viele Möglichkeiten des „sich damit Auseinandersetzens“.
Bei einigen Menschen ist der Schubkarren in solch intensiven Momenten plötzlich vollkommen leer. Jegliche Last verliert ihre Macht. Sie reflektieren neu, ja, leben sozusagen neu auf und füllen sich bewusst ihren Schubkarren mit Freude, Demut und einer unbändigen Lebensenergie. Sie werden sich des Wunders ihres Lebens bewusst und können somit neue Glaubenssysteme in ihren Lebensschubkarren legen, gefolgt von all den Dingen, die ihnen wirklich wichtig sind im Leben.
Andere reagieren mit Angst oder Verzweiflung, sind über einen längeren Zeitraum wie gelähmt und nicht in der Lage die Gedanken von den Ereignissen wegzulenken. Erst durch Impulse von außen gelingt es diesen Menschen die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein wieder ins Hier und Jetzt zu richten.
Es gibt aber auch Menschen, die suchen einen Schuldigen, einen, dem sie die Geschehnisse vorwerfen können. Sie werden aggressiv, schimpfen und toben und regen sich über alles auf. Solche Menschen hätten sich auf unserer Tour den Organisator geschnappt, ihm die Beschaffenheit der Straße vorgeworfen oder die Voraus- oder Hinterherfahrenden verantwortlich gemacht. Sie hätten die Tour abgebrochen, wochenlang nur gezetert und Rechtfertigungen gesucht und schließlich überlegt, wer ihnen den Schaden ersetzt. Für Freude und die Bewusstheit, noch am Leben zu sein, ist bei dieser Reaktion kein Platz. Stattdessen wird der Schubkarren weiter mit Dingen gefüllt, die ihn noch schwerer machen.
Sicherlich hast auch du schon Situationen erlebt, die dich an den Rand deiner Existenz, in deinen Grundfesten erschüttert oder zumindest arg gebeutelt haben.
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