Читать книгу Dreh den Schubkarren um! - Dieter M. Hörner - Страница 8

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Kapitel 4

Verkackt!


Der Schubkarrenmann steht vor seinem schwer beladenen Schubkarren. Ein platter Reifen hat ihn zum Anhalten gezwungen. Um den Reifen reparieren zu können, muss er den Schubkarren abladen. Bei dieser Gelegenheit versucht er seine Ladung zu ordnen.

1982, nach meinem Öleinkauf, besuche ich mein erstes Persönlichkeits-Seminar und bin sofort hoch begeistert von diesen Themen. Es geht um das Thema Unbewusstes und ich bin erstaunt, dass es so etwas gibt. In mir soll diese Kraftzentrale sein, mit der ich all die Dinge erreichen kann, die ich mir ersehne? Wahnsinn!

Alles verstehe ich nicht, doch das Wesentliche eröffnet sich mir tief im Herzen. Du kannst dein Leben selbst in die Hand nehmen! Die Worte des Seminarleiters fließen förmlich in mich hinein. Er spricht etwas an, von dem ich weiß, dass es meine Zukunft werden wird! Das ist es, was ich tun möchte, denke ich mir. Ich möchte Seminare geben!

Das Unternehmen bietet kurz darauf eine interne Präsentationsausbildung an, bei der man für einen Produkt-Vortrag geschult wird. Ich melde mich an, werde zugelassen und absolviere diese Ausbildung. Es sind schreckliche Tage für mich. Das, was da von mir verlangt wird, kann ich nicht leisten. Oh Gott, wie machen die das alle? Ich kann nicht mal gerade stehen, meine Beine zittern, mir ist schlecht, ich schwitze schon beim Gedanken, da vor zu müssen. Der Ausbildungsgleiter hat ein Einsehen mit mir, ich muss nicht einmal vor die Gruppe. Überraschenderweise bekomme ich am Ende das Speaker-Zertifikat überreicht und der Referent spricht mich direkt an:

„Herr Hörner, um das Sprechen in der Praxis zu lernen, haben Sie die Möglichkeit an der nächsten Veranstaltung den Produktvortrag zu referieren, trauen Sie sich das zu?“

Was, so schnell? Das klappt nie, Hilfe, ich will nicht! Ich habe während der ganzen Schulung still im Raum gesessen, was soll das? Meint der das im Ernst? Da sind doch die anderen, die können das viel besser! Meine Gedanken rasen, ich spüre meinen hochroten Kopf und stottere irgendwas. Er bleibt ruhig und schaut mich nur an. In meinen Gedanken tauchen die Worte aus dem Persönlichkeits-Seminar auf, ich höre die Stimme des Trainers klar und deutlich in meinem Kopf:

„Sie haben in sich eine Kraftzentrale, die ist unerschöpflich. Sobald Sie diese Kraftzentrale aktivieren, steht Ihnen alles zur Verfügung. Geben Sie sich eine Chance, überwinden Sie Ihre Ängste und Zweifel, nehmen Sie diese Kraftzentrale in Besitz!“

Ok, Dieter, du Weichei, sag was, sag zu. Jetzt! Wird schon schiefgehen! Mein Mund spricht ganz von alleine:

„Ja, das traue ich mir zu. Das Konzept kann ich fast auswendig, danke für Ihr Vertrauen.“

„Gut, dann sind Sie nächsten Mittwoch als Produktsprecher eingeteilt“, ist die kurze Antwort.

Bis zu diesem schrecklichen Mittwoch verbringe ich schlaflose Nächte. Dann ist es soweit. Der erste Teil der Veranstaltung ist vorbei, nun geht es darum, die Produkte vorzustellen. Mein Name wird aufgerufen. Wie in Trance laufe ich nach vorne und beginne irgendwas zu erzählen. Ich spreche und merke selbst, mein Vortrag ist eine Katastrophe. Ich bringe es hinter mich, verlasse die Bühne und setze mich auf meinen Platz. So ein Mist, war das schlecht, ich habe die Hälfte vergessen, peinlich gestottert, oh Gott, ich will hier raus, ich will heim, bloß weg hier!

Meine Gedanken rasen, ich habe einen hochroten Kopf und spüre kalten Schweiß auf meiner Stirn. Vorne auf der Bühne beginnt der Redner zu sprechen:

„Meine Damen und Herren, ich möchte mich an dieser Stelle für meinen Vorredner Herrn Hörner entschuldigen. Wir haben einen Fehler gemacht ihn auf die Bühne zu lassen. Das wird uns nicht mehr passieren. Ich möchte hier die Aussagen nochmals wiederholen und verständlich aufzeigen. Vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Geduld!“

Ich sitze im Raum und weiß, er hatte recht. Ich spüre die Blicke der anderen und werde überraschenderweise ruhig und auf eine angenehme Art und Weise gelassen. Mir ist klar, dass ich das besser kann und vor allem, dass ich aktiv etwas unternehmen muss. Ich kann reden! Und ich weiß, wovon ich rede. Mein Dilemma ist schlicht und ergreifend mein fehlendes Vokabular.

Dieter, das kannst du lernen! Sammle Wörter, Sätze, Begriffe und übe, übe, übe. Füttere dein Unbewusstes damit. Das ist es, was du tun musst. Du brauchst schlicht und einfach mehr Worte, fordere ich mich gedanklich selbst auf.

Am nächsten Tag kaufe ich mir ein Notizbuch und sitze über Wochen in all den Vorträgen und Seminaren vieler brillanter Redner. Ich notierte mir die Worte, Sätze, Satzübergänge, die Storys, Vergleiche, Metaphern usw. Ich versuche zu ergründen, wie diese Sprecher das Publikum förmlich fesseln.

Das Sprechen übe ich daheim vor meinem Aquarium. Ich halte meine Vorträge vor meinen Guppys und Neonfischen. Nicht ein Mal komme ich auf die Idee, meine Eltern oder Lehrer für meine Vortragskatastrophe verantwortlich zu machen. Das habe ich schon selbst verkackt! Also kann ich es auch selbst wieder in Ordnung bringen. Ich habe den inneren Drang zu sprechen. Ich spüre tief in mir, dass das ein wichtiger Teil meines Lebens ist und in der Zukunft sein wird, also fördere ich mich selbst.

Zwei Begebenheiten geben mir die Chance aus einer meiner größten Schwächen eine meiner größten Stärken zu machen. Zum einen das Seminar „Freies Sprechen – ein neuer Weg zum erfolgreichen Redner!“ Ich melde mich sofort an und sauge die Informationen förmlich in mir auf. Ich nutze jede Möglichkeit zum Üben. Zum anderen der Ausfall eines Produktsprechers bei einer größeren Veranstaltung mit über 100 möglichen Kunden.

Ich sitze im Aufenthaltsraum, als der zuständige Organisator in den Raum kommt, sich umschaut und nervös fragt:

„Haben wir einen Produktsprecher hier?“

Das ist meine Chance! Einerseits sitzen der Schock und die Enttäuschung des ersten Auftritts noch tief, doch anderseits, wenn nicht jetzt, wann dann? Vom heutigen Blickwinkel aus gesehen, ist dieser Moment einer der wichtigsten Momente in meiner Tätigkeit als Persönlichkeitstrainer.

Ich hebe die Hand: „Ich bin Sprecher!“, sage ich, nicht ganz überzeugt, auch nicht sonderlich selbstbewusst, aber ich spreche es aus.

„Oh je, der Hörner“, höre ich eine Stimme im Raum, „der darf doch nicht mehr auf die Bühne!“

Ich stehe mit hochrotem Kopf da und lasse diese Demütigung über mich ergehen. Stehen bleiben, Dieter, lächeln, der braucht dich, es ist kein anderer da, er wird die Kunden nicht nach Hause schicken, das kann er sich gar nicht leisten. Der Organisator ist in einem sichtlichen Dilemma. Nervös schaut er durch die Türe in den vollbesetzten Raum.

„Ok, machen Sie das, Herr Hörner. Viel Erfolg!“

Und weg ist er.

Ich nehme meinen Präsentationsordner, bin aufgeregt und nervös, schwitze und laufe in Richtung Vortragsraum. Plötzlich steht mein Regionalleiter vor mir und nimmt mir den Präsentationsordner aus der Hand. Häh, was soll das jetzt?, denke ich erschrocken.

„Den braucht es nicht, Herr Hörner, das ist nicht die Sprache, die Sie sprechen. Kennen Sie den ungefähren Ablauf der Präsentation?“

„Ja, der ist ja auf den Folien im Overheadprojektor.“

„Gut, daran orientieren Sie sich!“

„Ja, aber …“

„Kein Aber, Sie waren auf dem Seminar „Freies Sprechen“, dort habe ich gesehen, dass Sie das können. Außerdem habe ich abends an der Bar zugehört, wie toll Sie Geschichten erzählen können und genau das machen Sie jetzt auch!“

„Ich soll Geschichten erzählen?“

„Ja, wenn es sein muss. Reden Sie so, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist und lassen Sie um Gottes willen die Fremdwörter weg. Also los jetzt!“

Ok, dann mach ich das so, wie ich mir das vorstelle, so, wie ich es gerne hören würde und vor allem so, dass es ein jeder versteht! Und Spaß muss es machen, bloß nicht langweilig daherreden.

So sind meine Gedanken, als ich mich in Richtung der Sprecherbühne bewege. So viel zu lachen hatten die Kunden noch nie bei einer Präsentation.

Zu Beginn meiner sozusagen „freien Rede“ nehme ich wahr, wie die Bezirksleiter in der letzten Reihe die Hände überm Kopf zusammenschlagen und irritiert die Köpfe schütteln. Das stört mich in diesem Moment nicht im Geringsten. Ich spüre, dass ich angedockt bin und die Menschen mir interessiert zuhören. Das Kopfschütteln meiner Vorgesetzten geht mit der Zeit in ein irritiertes Erstaunen über. Herrlich!

In dem Moment, als sich abzeichnet, dass es eine spektakuläre Bestellquote geben wird, hat die gesamte letzte Reihe ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Dieser Vortrag ist mein Durchbruch als Sprecher! In den folgenden Monaten bin ich als Vorzeigeredner (!) auf einer großen Deutschlandtournee und stelle die neue Art der Präsentation meinen Sprecherkollegen vor.


Die 4. Botschaft des Schubkarrenmanns

Wenn dich das Leben zum Anhalten zwingt, kannst du jammern und dich beschweren und alles noch schwerer machen! Oder du kannst die Gelegenheit nutzen, dir einen Überblick über deine aktuelle Lebenssituation zu verschaffen und den Inhalt deines Lebens-Schubkarren neu zu ordnen.

Jeder Stein deiner Schubkarrenladung steht für etwas, was dich aktuell beschäftigt oder dir das Leben schwer macht. Du kannst dich fragen:

 Was liegt aktuell in meinem Schubkarren?

 Was davon macht mein Leben schwer?

 Was will ich nicht mehr mit mir herumschleppen?

 Was fehlt mir zu meinem Glück?

 Wo liegen meine Schwächen?

 Wo liegen meine Stärken?

 Was kann ich aktiv, also ganz bewusst in meinen Schubkarren hineinpacken?

Ich hatte bei meinem ersten Sprecher-Auftritt einen Platten mit Speichenbruch erlebt. Ich hätte sagen können:

„Ok, ich bin zu blöd, zu wenig begabt, ich kann das nicht, ich habe es endgültig verkackt.“

Ich hätte meine Eltern, Lehrer, Ausbilder oder wen auch immer dafür schuldig sprechen können. Ich hätte ...

Ach, ich hätte vieles machen können, um mich aus der eigenen Verantwortung herauszureden. Und ich hätte aufgeben können. Doch ich wollte von ganzem Herzen Sprecher sein. Ich erkannte, dass ich bisher zu wenig dafür getan hatte und entschied mich, Dinge, die mich hinderten durch solche zu ersetzen, die mich förderten. Also habe ich die Steine des Selbstzweifels und der Angst, es beim nächsten Mal wieder nicht zu schaffen, aussortiert und durch Steine des Selbstvertrauens und der Freude am Sprechen ersetzt.

Du brauchst nicht zu warten, bis dich das Leben durch einen platten Reifen dazu zwingt, dich mit dem Inhalt deines Lebens-Schubkarren zu beschäftigen. Du kannst jederzeit innehalten.

 Was glaubst du nicht zu können?

 Wo meinst du Schwächen zu haben?

 Wo hat dir jemand eine Schwäche eingeredet?

 Wo hast du etwas „verkackt“ und traust dich nicht mehr, es ein zweites Mal zu versuchen?

Wenn uns etwas belastet und wir diese Last beseitigen möchten, dann geht das am einfachsten, wenn wir aussprechen, was uns das Leben schwer macht. Mit dem Aussprechen geht unsere Aufmerksamkeit über die Selbsterkenntnis hin zum aktiven Handeln.

Wenn wir die Dinge bewusst angehen, die uns schwer auf der Seele liegen, fühlen wir uns nicht mehr ohnmächtig (ohne Macht) und verlieren unsere Angst davor.

Wir sind dann auch in der Lage zu erkennen, ob es tatsächlich eine unveränderliche Schwäche ist oder ob wir auf ein Veredelungspotential gestoßen sind oder einen förderungswürdigen Punkt unserer Persönlichkeit entdeckt haben.

 Was solltest du offen aussprechen, was dir auf der Seele liegt?

 Bei welcher Gelegenheit solltest du aussprechen, was dich belastet?

 Kennst du das Gefühl, wenn bereits mit dem Aussprechen die Last leichter wird?

 Was hindert dich daran auszusprechen, was dich belastet?

 Wo ist der Mensch in deinem Umfeld, dem du dich anvertrauen kannst?

 Was in deinem Leben möchte veredelt werden?

 Was an dir oder in deinem Leben solltest du fördern?

 Was ist der erste Schritt?

Meine große Schwäche zu Beginn meiner freiberuflichen Selbstständigkeit war vor allem meine Sprache. Das habe ich schnell erkannt und vor allem akzeptiert! Als Tatsache, aber nicht als etwas, das fest betoniert und damit unveränderlich in meinem Leben ist.

Ich wusste, nur wenn ich mich selbst fördere und meine Sprache und meinen Wortschatz verbessere, also veredle, dann erst wird mein gesamtes Potential als Sprecher sichtbar.

Seit meinem verkackten Vortrag lebe ich vom Sprechen, weil ich aus einer meiner größten Schwächen eine meiner größten Stärken entwickelt habe.

Ich lebe vom Sprechen und vom Schreiben, aller anfänglichen Widrigkeiten zum Trotz.

Und wie ich mit einer förderungswürdigen Deutschnote zum Schreiben kam, ist eine andere Geschichte.

Dreh den Schubkarren um!

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