Читать книгу Mordnacht - Dieter Weißbach - Страница 7

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P aulig?«

»Hauptkommissarin Paulig? Grüß Gott, Neuner hier. Polizei Garmisch. Wir haben hier einen Mord.«

»Guten Morgen, Herr Kollege. Wann?«

»Wahrscheinlich heut Nacht.«

»Mann, Frau, Kind?«

»Männlich.«

»Wie?«

»Erschlagen.«

»Hat ihn jemand berührt?«

»Ja. Aber wir haben ihn nicht bewegt, wenn Sie das meinen.«

»Sehr gut. Wir sind in einer Stunde da. Wo müssen wir hin?«

»Kennen Sie Farchant?«

»Ja. Kenn ich.«

»Auch den kleinen Skihügel?«

»Meinen Sie den hinten am Freibad?«

»Ja, genau den.« Der Mann klang verwundert. »Ja dann – ein Kollege erwartet Sie am Parkplatz.«

»Gut. Wir fahren gleich los. Rufen Sie mich bitte in zehn Minuten auf meinem Handy an? Dann können wir weiterreden. Nein, ich ruf Sie an. Geben Sie mir Ihre Nummer? Und können Sie bitte weiter dafür sorgen, dass keiner was anfasst?«

Mit der freien Hand gab sie Oberkommissar Tilman Würfel ein Zeichen, die Kollegen zu informieren. Beinahe gleichzeitig griffen sie sich Jacke und Mütze, Kollege Würfel, der schon in der Schule nie etwas anderes werden wollte als Kommissar – die Kombination aus Abenteuer und Pensionsanspruch –, zusätzlich Handschuhe und einen riesigen Schal.

Auf dem Gang lief ihnen Staatsanwältin Yasmin Schäfer-Kaan über den Weg, eine Deutschtürkin, immer in Eile, gut zwanzig Jahre jünger als sie, verheiratet, keine Kinder.

»Na, wohin so eilig?«

»Nach Farchant. Die haben da eine Leiche.«

»Farchant? Ist das nicht da unten bei Garmisch, da, wo deine Eltern zu Hause sind? Aber bevor du gehst, was ist eigentlich mit dem toten Ehepaar? Gibt’s da was Neues?«

»Wollte sich nicht der Manzoni um den Fall kümmern?«

»Eigentlich schon, aber …«

»Versteh schon«, sagte Paulig rasch. Sie wusste, dass die beiden nicht miteinander konnten. »Also kurz gesagt, wir gehen davon aus, dass es der Eigentümer war. Die beiden Alten waren die letzten Mieter im Haus. Die hätte der nie im Leben hinaus bekommen. Du hast ja die Protokolle gelesen. Die waren fit.«

»Aber deshalb bringt man keinen um.«

»Und warum hat er dann den Kamin zubetonieren lassen?«

»Schon, aber doch nicht mit der Absicht, sie zu töten. Der wollte die fertigmachen. Totschlag meinetwegen. Aber nicht einmal das können wir ihm nachweisen. Wir haben nichts in der Hand. Er behauptet nach wie vor, dass er nichts damit zu tun hat.«

»Das würde ich an seiner Stelle auch behaupten. Yasmin, hier geht’s um Millionen. Lad doch noch mal die beiden Arbeiter vor, am besten gleich heute, damit die nicht zu viel Zeit zum Nachdenken haben. Bei denen müssen wir ansetzen. Wirst sehen, die knicken schon noch ein.«

»Aber die behaupten auch steif und fest, dass sie von nichts wissen.«

»Jaja, sag ich ja, Druck aufbauen. Die geben schneller auf, als du denkst. Oder glaubst du, dass die ewig den Kopf hinhalten für ihren Chef. Lass die mal eine Nacht … Wer hat die eigentlich so schnell wieder heimgeschickt?«

»Der Erich hat mit denen geredet.«

»Der Erich. So … Ich muss jetzt leider. Kann er mir ja unterwegs erzählen. Aber tust du mir schon mal den Gefallen und fängst sie wieder ein? Aber diesmal nicht als Zeugen, die sollen ruhig Angst bekommen.«

»Das sagst du so einfach. Der Erich hat die ja nicht einfach so wieder gehen lassen. Die hatten einen Anwalt dabei, dreimal darfst du raten, wen.«

»Den von ihrem Chef? Den, wie heißt er gleich noch mal …?«

»Erraten.«

»Tja, was tut man nicht alles für verdienstvolle Mitarbeiter. Aber da haben wir es doch schon. Welcher Zeuge kommt gleich mit einem Anwalt. Das stinkt doch. So, jetzt muss ich aber wirklich, die anderen warten schon. Und halt mich auf dem Laufenden.«

»Mach ich. Und viel Glück. Was ist das eigentlich für eine Leiche da unten in Farchant?«

»Männlich, vermutlich erschlagen. Mehr weiß ich auch noch nicht. Ciao, Yasmin.«

»Äh, Christine …?«

Während ihre Mutter noch davon träumte, einmal eine Oberärztin als Tochter zu haben, war Yasmin Schäfer-Kaan längst klar, dass, zumindest in diesem Leben, daraus wohl nichts werden würde. Sie war zwar gut in der Schule, und sie hätte sich ein Medizinstudium auch vorstellen können, aber der erforderliche Notendurchschnitt schien ihr dann doch etwas zu ambitioniert. Dem heiteren Beruferaten ihrer Mutter begegnete sie weiter leidenschaftslos. Deren Vorstellungen von der Zukunft ihrer Tochter kamen und gingen wie die Serienheldinnen der Daily Soaps, die sie schaute. Schon bald würde Mutter Kaan wieder etwas Neues einfallen. Im Moment liefen, soweit Yasmin das überblickte, drei Serien, die die Blaupausen für ihre Zukunft lieferten. Die letzte Staffel einer himmelschreienden Klinikserie, eine Winzerserie, aus der sie die Rolle der Gutsherrin übernehmen sollte, und »Richterin Holm«. Der Numerus clausus für Jura war machbar, das Studium anspruchsvoll, die Richterserie zwar auf unterstem Niveau, aber die Richterin echt und sogar richtig gut. Also beschloss sie, ihrer Mutter eine Freude zu machen, und studierte Jura. Zumindest machte es Spaß, die Geschichte so zu erzählen. Richtig war, dass der Beruf ihr entsprach, dass es Yasmin Kaan – der Schäfer kam erst später hinzu – lag, etwas zu durchdringen, an etwas dran zu bleiben, wenn es kompliziert wurde, sich hineinzufuchsen, all das, was man gemeinhin unter Ehrgeiz versteht. Waren es die Gene, wie ihr Vater meinte? Oder lag es an der konsequenten und vorausschauenden Erziehung ihrer Mutter, wie diese nicht müde wurde zu betonen? Oder doch eher am Nachnamen, was auch immer der im Konkreten heißen mochte, auf jeden Fall Verpflichtung, Erwartungen erfüllen, Stärke zeigen. Sie hatte ihn gehasst. Ein Mädchen, das von seiner Mutter Kaan gerufen wurde. Eine Kaan tut das nicht, eine Kaan tut jenes nicht. Wenn sie etwas gut gemacht hatte, eine echte Kaan eben, Kaan als Lob und Kaan als Tadel, Kaan in allen Lebenslagen. Aber als sie heiratete und ihn problemlos hätte loswerden können, behielt sie ihn.

Auf Staatsanwältin kam sie, weil ihr das Konkrete gefiel, die Möglichkeit, für etwas zu kämpfen, Stellung zu beziehen, auf der richtigen Seite zu stehen und nicht zuletzt wegen der lebendigen Vorlesungen des Oberstaatsanwalts Bernhauer. In einem seiner Vorträge hörte sie auch von Christine Paulig, der Hauptkommissarin mit der höchsten Aufklärungsquote im Freistaat. Legendär, wie sie aus Protest über das skandalös milde Urteil für einen von ihr überführten Doppelmörder ihren Job schmiss und erst Jahre später zurückkam. In der Zwischenzeit hatte sie eine Security-Firma gegründet, wieder verkauft und eine Zeit lang auf Mallorca gelebt.

Als Yasmin Schäfer-Kaan quasi bei ihr anfing, merkte sie eines sehr schnell: dass es eine feine Sache war, ein abgeschlossenes Jurastudium in der Tasche zu haben, aber etwas ganz anderes, ein Gespür zu entwickeln. Beinahe bestürzend war die Erkenntnis, dass da noch etwas anderes sein musste als Fleiß, etwas, das man nicht studieren konnte, das keiner Logik folgte, sich auf nichts stützte. Der Begriff »Instinkt« griff zu kurz, gefiel ihr aber noch am besten, passte er doch zu einem anderen der wegen ihrer Alleingänge gefürchteten – der Jagdlust. Vielleicht bedingte das eine ja das andere. Sie selbst blieb, trotz ihres martialischen Nachnamens, lieber auf der sicheren Seite, jener der Paragrafen.

Mordnacht

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