Читать книгу Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien - Dietmar Friedmann - Страница 8
1.3 Differenzialdiagnose der drei Grundtypen
ОглавлениеEs gibt Diagnostikmodelle, die zwei, drei, vier, sechs, neun oder mehr Typen unterscheiden. Das hat seine Berechtigung, denn neben den drei psychologischen Grundtypen gibt es die damit nicht identischen Körpertypen,2 der leptosome, athletische und pyknische, dazu jeweils einen eher ichbezogenen Typ I und einen ichvergessenen Typ II, sowie die Auswirkungen der Persönlichkeitsentwicklung, die dazu führt, dass der Beziehungstyp klar denkt und gelassen reagiert, der Sachtyp tatkräftig und kraftvoll handelt und der Handlungstyp spontan und herzlich ist.
Schon aus der Kombination dieser Komponenten ließen sich 18 oder mehr verschiedene Persönlichkeitstypen beschreiben. So interessant die differenzierten Modelle für Selbsterfahrung und Menschenkenntnis sind, für die Arbeit in der Praxis gilt das Motto: zurück zu den drei Grundtypen! Denn mit der prozessorientierten Darstellung der drei Grundtypen erhalten wir einen hohen Prozentsatz der anwendungsrelevanten Aussagen.3
Um von den pathologisierenden Bezeichnungen der psychoanalytischen Charakterkunde wegzukommen, habe ich die drei Grundtypen Beziehungstyp, Sachtyp und Handlungstyp genannt. Damit wird jeweils die Ausgangspersönlichkeit bezeichnet, die dadurch zustande kommt, dass sich das kleine Kind auf eines der drei Lebensthemen spezialisiert, auf das Thema Beziehung, das Thema Erkennen oder das Thema Handeln. Auch dann, wenn sich der kleine Beziehungstyp später verstärkt das Erkennen zugänglich macht, der Sachtyp das Handeln oder der Handlungstyp das Beziehungsthema, so bleibt doch von der Bezeichnung her jeder das, was er ursprünglich ist. Allerdings wird man jetzt von einem entwickelten Beziehungs-, Sach- oder Handlungstyp sprechen.
In der Praxis kommt es deshalb vor allem darauf an, den richtigen Grundtyp zu erfassen. Dabei bewährt sich eine Mischung aus phänomenologischem und prozessorientiertem Vorgehen: was beobachte ich und was weiß ich über den Persönlichkeitstyp (Tab. 1)? Das Wissen über die Persönlichkeitstypen ist deshalb wichtig, weil beispielsweise entwickelte Persönlichkeiten sich deutlich unterscheiden von weniger entwickelten oder unentwickelten. Bei einem Gefühlsmenschen wäre es beispielsweise naheliegend, anzunehmen, es handle sich um einen Beziehungstyp. Es könnte jedoch auch ein entwickelter Handlungstyp oder ein wehleider Sachtyp sein.
Oder jemand wirkt ruhig und nachdenklich. Ist das nun ein Sachtyp, ein entwickelter Beziehungstyp oder ein etwas depressiver Handlungstyp? Oder jemand verhält sich aktiv und zielbewusst. Zuerst denkt man an einen Handlungstyp. Es könnte jedoch auch ein entwickelter Sachtyp oder ein ehrgeiziger Beziehungstyp sein. Fortgeschrittene Anfänger in der Persönlichkeitsdiagnostik machen meist den Fehler, dass sie sich zu rasch für einen bestimmten Persönlichkeitstyp entscheiden, bzw. ihre Entscheidung nicht mehr überprüfen.
Tab. 1: Checkliste: beobachtbare Merkmale.
Bei einer persönlichen Begegnung werden wir zuerst mit dem Gesamteindruck, den eine Person auf uns macht, konfrontiert. Wie wirkt jemand auf mich, wie kommt er auf mich zu? Der Beziehungstyp wirkt gewinnend, lebendig, dynamisch und beweglich. Er kann sich gut auf andere einstellen, reagiert gefühlsmäßig sensibel und kommunikativ. Auch wenn der Beziehungstyp eine eher unbewusste Sehnsucht danach hat, von allen geliebt zu werden, sei es durch ein besonders liebenswürdiges Verhalten oder durch brillante Leistungen, so gehen doch sein Wertesystem und seine Persönlichkeitsentwicklung in eine andere Richtung, in die des klaren Erkennens. Diese unterschiedlichen Intentionen können für andere oder ihn selbst irritierend wirken. Er äußert sich kritisch, möchte jedoch Sympathie gewinnen. Oder er zeigt spielerische Freude, möchte jedoch für intelligent gehalten werden.
Der Sachtyp wirkt gutmütig und aufgeschlossen, natürlich, weich, nachdenklich, mancher eher unsicher, ein anderer übertrieben selbstbewusst. Oft zeigt er eine Mischung aus Bescheidenheit und egoistischer Anspruchshaltung. Kritik kann ihn tief kränken. Der Sachtyp verhält sich in fast allen Lebenssituationen ähnlich, zeigt den gleichen Gesichtsausdruck, spricht mit der gleichen Betonung, nimmt die gleiche Körperhaltung ein. Egal wie dramatisch die Situation ist, er nimmt die Gefühle und Stimmungen anderer wenig wahr und stellt sich kaum darauf ein. In Beziehungen gibt er sich äußerlich unabhängig, macht sich aber unbewusst abhängig.
Da er gerne erfolgreich und anerkannt sein möchte, spricht er über Dinge, die ihm gelungen sind. Umgekehrt reagiert er auf Misserfolge unverhältnismäßig niedergeschlagen und deprimiert. Das Widersprüchliche seines Verhaltens zeigt sich in der Neigung, sich verwöhnen zu lassen, sich passiv zu verhalten und seinem tiefen Bedürfnis nach kraftvoller Souveränität, also etwas zu unternehmen und sein Leben selbstverantwortlich und aktiv zu gestalten. Erfüllt man seine Wünsche, wird er immer unzufriedener. Er stöhnt, wenn er kleinere Aufgaben erledigen soll, doch wenn es hart auf hart geht, wachsen ihm ungeahnte Kräfte zu.
Der Handlungstyp kommt freundlich und geradlinig auf den anderen zu, wirkt kraftvoll und aktiv, will gute Laune verbreiten in einer Mischung aus fürsorglichem und bestimmendem Verhalten. Meistens sind Handlungstypen ordentlich, zuverlässig und pflichtbewusst. Man könnte sie mit einem Gastgeber vergleichen, der sich für das Wohl seiner Gäste verantwortlich fühlt. Handlungstypen möchten respektiert werden. Deshalb bemühen sie sich einen guten Eindruck zu machen, sie vermitteln: ich bin o.k.! Ihr Verhalten ist kameradschaftlich, verlässlich und bei zunehmender Persönlichkeitsentwicklung menschlich und gefühlsmäßig engagiert. Dabei kommen sie gelegentlich in Konflikt mit ihrem Drang, sich an Regeln zu halten und sich nach Autoritäten zu richten. Handlungstypen sind auch an ihrer Präsenz zu erkennen. Sie vermitteln den Eindruck, als ob sie mit ihrer Energie den ganzen Raum ausfüllen würden. Das Widersprüchliche ihres Verhaltens liegt in der Ambivalenz zwischen ihrer ausgeprägten Ordnungsliebe und Regelhaftigkeit und dem tiefen Bedürfnis danach, spontan und lebendig sein zu können.
Hat man es, etwa bei einem Telefongespräch, nur mit der Stimme zu tun, so gilt Ähnliches wie beim Gesamteindruck. Klingt die Stimme melodisch, gewinnend, sind die Worte klar akzentuiert, wird eher rasch und gewandt gesprochen, hell und deutlich, werden Gefühle an- und ausgesprochen, so dürfte es sich um einen Beziehungstyp handeln. Hat der andere eine monotone Sprechweise, redet er sachlich und erklärend, spricht er leise und etwas undeutlich, langsam und ausführlich, macht er ‚gut Wetter‛, ohne dass deutlich wird, was er persönlich will, oder klingt sein Tonfall rebellisch, so könnte dies ein Sachtyp sein. Spricht der andere eher laut und in kurzen Sätzen mit einem freundschaftlichen oder kameradschaftlichen Ton, energisch und handlungsbetont, will er gute Stimmung vermitteln, spricht er direkt an, was er will, sagt er den anderen, was er denkt, ob sie es hören wollen oder nicht und klingt seine Stimme kräftig und etwas gepresst, so könnte dies ein Handlungstyp sein.
Da sich die persönlichkeitstypische Wesensart in fast allen Lebensäußerungen zeigt, kann man auch aus der Haltung, der Gestik, dem Gesichtsausdruck, dem Gang, der Kleidung, dem Konflikt- und Beziehungsverhalten, dem Lachen, der Art, wie sie mit Thema Ordnung umgehen, was ihnen bei ihrer Arbeit leicht fällt und was sie schätzen, wie sie ihre Wohnung einrichten, ihre Freizeit gestalten, über welche Witze sie lachen oder was für Ängste sie haben und aus vielen anderen Merkmalen auf ihren Persönlichkeitstyp schließen. Zunächst sind wir nicht gewohnt, solche Unterschiede deutlich wahrzunehmen und sie zuzuordnen. Es ist wie bei jedem Können, ein Musiker hört mit anderen Ohren, ein Maler sieht mit anderen Augen als ein Laie oder ein Blinder hat einen anderen Tastsinn entwickelt als ein Sehender. Deshalb braucht Persönlichkeitsdiagnostik neben dem diagnostischen Wissen über einen langen Zeitraum viel Übung und Erfahrung, um sicher und zuverlässig zu werden.