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»Sie haben Unglaubliches durchgesetzt!«

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Ida Pfeiffer

Zählt man die Kilometer zusammen, die sie auf ihren Reisen zurückgelegt hat, kommt man auf das Siebenfache des Erdumfangs. Um so verwunderlicher, daß sie sich eines der Nahziele ganz bis zum Schluß aufspart: Erst auf ihrer allerletzten Tour macht Ida Pfeiffer auch in Paris Station. Und was beeindruckt sie dort besonders? Die »Morgue«, das berühmte Leichenschauhaus, »in welchem die Totgefundenen zur Schau ausgestellt werden, damit die Verwandten oder Freunde sie erkennen können«. Und sie fährt fort: »Manche meiner Leser werden vielleicht darüber erstaunt sein, wie ich, eine Frau, einen ähnlichen Ort besuchen konnte; sie mögen aber bedenken, daß ich selber auf meinen Reisen nicht selten dem Tode sehr nahe war, daß daher sein Anblick für mich nicht so schrecklich ist wie für den größeren Teil der Menschen.«

Wie wahr! Nur tollkühner Gegenwehr mit ihrem Sonnenschirm hat die kleinwüchsige Endvierzigerin es zu verdanken, daß sie die Messerattacke eines Eingeborenen auf einem ihrer Streifzüge durch Brasilien überlebt. Den bei dem dramatischen Zweikampf abgebrochenen Griff ihrer Verteidigungswaffe wird sie, mit einem feinsäuberlich beschrifteten Etikett versehen, bis ans Ende ihrer Tage als stolze Trophäe aufbewahren.

Was ihr wirklich Schrecken einjagen kann, sind niemals Menschen, denen sie begegnet, sondern Naturgewalten, denen sie sich aussetzt – so etwa, als sie auf einer Island-Reise den berüchtigten Vulkan Hekla besteigt und beim Blick in den Krater von panischer Angst befallen wird, »vielleicht nimmer wieder aus diesem gräßlichen Labyrinthe hinauszufinden«.

Um mit Menschen, die ihr nach dem Leben trachten, fertigzuwerden, verfährt sie nach einem denkbar einfachen Rezept: Sie versucht sie zum Lachen zu bringen. Selbst bei den Kannibalen vom gefährlichen Stamme der Batak, bis in deren Domäne im tiefsten Inneren Sumatras sie sich vorwagt, hat Ida Pfeiffer mit ihrer Methode Glück: Als sie ihren Angreifern mit einer kuriosen Mischung aus Sprachkauderwelsch und Pantomime zu verstehen gibt, das Fleisch einer so alten Frau sei hart und zäh, verdirbt sie ihnen wahrhaftig den Appetit, und die schon zum Äußersten Entschlossenen lassen prompt von ihrem Opfer ab.

Eine Wiener Biedermeierdame, die sich ohne männliche Begleitung auf Weltreise begibt und vor keinem noch so kühnen Schritt zurückschreckt – wer ist dieses »Herzerl«?

Sie stammt aus gutem Hause, Vater Aloys Reyer hat sich mit Musselinhandel ein stattliches Vermögen erwirtschaftet, die Mutter ist eine »von«. Ida wächst mit fünf Brüdern auf – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Auch sie trägt Bubenkleider, spielt mit Trommel, Säbel und Gewehr; der Vater versteigt sich gar zu dem Scherz, sie mit vierzehn in die Militärschule zu stecken. Obwohl es den Reyers an nichts fehlt, werden die Kinder spartanisch streng erzogen – mag sein, daß hier die Wurzel für jene extreme Zähigkeit zu suchen ist, die in späteren Jahren unsere Globetrotterin alle ihre Abenteuer bravourös bestehen lassen wird.

Zunächst aber muß Ida noch mit einer Reihe schlimmer Wechselbäder fertigwerden, die ihr Zug um Zug das Elternhaus beschert. Als der Vater stirbt, dreht die Mutter das Erziehungsziel um, zwingt Ida nun in Mädchenkleider, ans Klavier und an den Stickrahmen, und als sie schließlich flügge wird und sich in ihren Hauslehrer verliebt, wird sie zur Buße auf eine Wallfahrt geschickt. Um weiteren Bevormundungen einen Riegel vorzuschieben, reißt sie mit 23 von daheim aus und geht im fernen Galizien eine Vernunftehe mit dem 24 Jahre älteren Advokaten Dr. Mark Anton Pfeiffer ein, aus der zwei Söhne hervorgehen. Da sich ihr Mann jedoch an seinem Wirkungsort Lemberg Feinde gemacht hat und daraufhin seine Kanzlei schließen muß, landet man notgedrungen wieder in der Heimat, und für Ida Pfeiffer und die Ihren beginnen entbehrungsreiche Jahre in Wien. Erst als 1833 Dr. Pfeiffer nach Galizien zurückkehrt und Frau und Kinder in Wien zurückläßt, kann die inzwischen Vierzigjährige darangehen, an ihre Selbstverwirklichung zu denken: Eine Badereise mit dem jüngeren Sohn Oscar nach Triest, wo man zum erstenmal das Meer sieht, weckt in Ida Pfeiffer eine – wie sie es später ausdrücken wird – »kaum zu bewältigende Reiselust«.

Sechs Jahre darauf ist es soweit: Unter dem Vorwand, eine in Konstantinopel ansässige Brieffreundin zu besuchen, besteigt sie, nicht ohne zuvor ihr Testament aufgesetzt zu haben, in Kaisermühlen den Donaudampfer und durchstreift neun Monate lang den Orient. Ihr Gewand besteht aus Kniehose, knöchellangem Rock und Umhang; das Haar trägt sie entgegen der herrschenden Mode kurz; reiten lernt sie erst unterwegs; der einzige Reisekomfort, den sie sich gönnt, ist das eigene Kopfkissen, und das wichtigste Stück im Handgepäck ist ihr Tagebuch.

Zurück in Wien, geraten ihre Aufzeichnungen in die Hände eines Verlegers, und der zeigt sich von dem Manuskript so angetan, daß er es auf der Stelle drucken will. Doch gemach, gemach: Da hat auch noch die Familie ein Wörtchen mitzureden! Erst nachdem Gatte und Geschwister den Text »approbiert« haben, kann das Buch »Reise einer Wienerin in das Heilige Land« erscheinen (und auch nur anonym). Bei der 4. Auflage endlich löst man sich von dem gängigen Vorurteil, die Veröffentlichung des Erlebnisberichtes einer alleinreisenden Frau für etwas Unschickliches anzusehen.

Ida Pfeiffer hat nunmehr Blut geleckt. Nicht nur, daß ihr das Debüt als Schriftstellerin 700 Gulden Tantiemen eingebracht hat, die einen schönen Grundstock für weitere Unternehmungen dieser Art abgeben, sind inzwischen auch die Söhne aus dem Haus, außerdem hat Ida Pfeiffer ihre Fremdsprachenkenntnisse vervollkommnet und sich in der jungen Kunst der Daguerrotypie (Photographie auf Metallplatte) unterweisen lassen: Sie fühlt sich reif für ihre erste Weltumseglung! Zweieinhalb Jahre ist sie in Südamerika, China, Ostindien, Persien, Kurdistan und zahlreichen europäischen Ländern unterwegs, und träfen nicht plötzlich beunruhigende Nachrichten aus der Heimat ein (wo die Revolution von 1848 ihre Schatten vorauswirft), hätte sie wohl keine Eile, nach Österreich zurückzukehren.

Diesmal bringt sie nicht nur ein Buchmanuskript mit, sondern auch allerlei Fundgegenstände: seltene Pflanzen und Mineralien, Insekten-, Vögel- und Reptilienpräparate, und mit dem Erlös, den ihr die einschlägigen wissenschaftlichen Sammlungen dafür zahlen, füllt sie ihre Reisekasse auf. Denn schon 1851 zieht sie neuerlich los – und nun gleich für über vier Jahre. Die österreichische Regierung gewährt ihr einen Zuschuß von 150 Pfund Sterling, und Alexander von Humboldt, dem sie in Berlin ihre Aufwartung macht, verhilft ihr nicht nur zu der Auszeichnung, als erste Frau in die »Gesellschaft für Erdkunde« aufgenommen zu werden, sondern erwirkt der Kollegin sogar eine Audienz beim preußischen König: »Sie haben Unglaubliches durchgesetzt!«

Ja, das hat sie, die Ida Pfeiffer aus Wien. Nur bei ihrer zweijährigen Reise nach Madagaskar, wo sie unter anderem Zeugin grausamster Christen-Hinrichtungen wird, in einen Staatsstreich verwickelt wird und froh sein kann, mit bloßer Abschiebung davonzukommen, stößt sie erstmals an ihre Grenzen: Außerstande, sich von dem Tropenfieber zu befreien, das sie sich am Indischen Ozean geholt hat, stirbt Ida Pfeiffer einundsechzigjährig am 27. Oktober 1858 in ihrer Vaterstadt Wien. Fünf mehrbändige Werke sind ihre Hinterlassenschaft, in vielen führenden Zeitungen erscheinen Nachrufe auf sie, nur das Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof läßt auf sich warten. Erst 34 Jahre nach ihrem Tod gelingt es dem »Verein für erweiterte Frauenbildung«, die Umbettung der Gebeine und die Errichtung eines Ehrenmals durchzusetzen, das Ida Pfeiffers Verdienste auf seine Weise würdigt: ein Obelisk, auf dem die von zwei Delphinen gestützte Weltkugel ruht.

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