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Vorwort

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Wenn es um den Austausch skurriler Reiseerlebnisse geht, erzähle ich gern die Geschichte von dem Dessert beim Galadiner im Grandhotel Le Touessrok auf Mauritius. Man war beim letzten Gang angelangt, in einem der hellerleuchteten Säle des Restaurants standen die Meisterwerke der Patisserie zum Verzehr bereit. Die Gäste defilierten an den Köstlichkeiten vorüber, nahmen all die Cremes und Crêpes, all die Kompotte, Puddings und Soufflés in Augenschein, weideten sich am Anblick der kunstvoll getürmten Pyramiden aus seltenen Früchten, der üppigen Torten, der in allen Farbtönen schillernden Parfaits und trafen, indem sie dem in strenger Formation bereitstehenden Servierpersonal die entsprechenden Anweisungen gaben, ihre Wahl.

Auch ich reihte mich unter die das Süßspeisenbuffet Inspizierenden ein, ließ mir, um nur ja keinen der vielen Leckerbissen zu übersehen, bei der Besichtigung des Angebotenen reichlich Zeit und entdeckte plötzlich, als ich mit meinem Rundgang schon fast zu Ende war, auf einem der Tabletts ein Gebilde, das mir besonders vertraut vorkam. War das nicht gar eine – Linzertorte? Die typische dunkle Kuchenmasse, die Marmeladeglasur, darüber das obligate Teiggitter – ganz klar: eine Linzertorte.

Doch wie sollte diese typisch österreichische Mehlspeise hierhergelangt sein – hierher auf die dreizehn Flugstunden entfernte Tropeninsel im Indischen Ozean? Ich war sicherlich einer Sinnestäuschung erlegen, tat die Sache fast schon wieder ab und schickte mich an, mich der Kaffeebar zuzuwenden, als mit dem ganzen Liebreiz ihrer Spezies eine der dunkelhäutigen Serviererinnen auf mich zutrat, um mir ihre Assistenz bei der Dessertauswahl anzutragen. Ja und da, auf einmal, wollte ich es ganz genau wissen. Ich deutete also auf das bewußte Tablett und fragte mein Gegenüber, indem ich mich so unwissend stellte wie nur möglich:

»Tell me, honey, what is that?«

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen:

»This is a Linzer Tart, Sir. Do you want one?«

Es stimmte also. Ich griff zu. Und es war – nebenbei bemerkt – eine der besten Linzertorten, die ich je gegessen habe. Und noch etwas: Ich war einen Moment lang tief bewegt. Eine Art patriotischer Aufwallung schien mich erfaßt zu haben: An diesem so fernen Ort mit einer der traditionsreichsten Errungenschaften aus der Heimat konfrontiert zu werden, verschlug mir die Sprache: Ich war baff.

Ein läppisches Beispiel, gewiß. Aber so sind wir Menschen nun einmal: Es tut uns gut, draußen in der Welt Beweise dafür zu sammeln, daß auch unsereins seinen Beitrag zur Kulturgeschichte geleistet hat – und sei es nur in Gestalt einer Torte.

Um noch wieviel beglückender müßte es da sein, in fernen Weltgegenden auf die Spuren von Landsleuten zu stoßen, die weit weg von der Heimat Großes gewirkt und auf diese Weise Ruhm und Ansehen ihres Herkunftslandes gemehrt haben. Ja, wird nicht dem Österreicher überhaupt nachgesagt, er wisse die Verdienste der Seinen immer erst dann zu schätzen, wenn sie im Ausland errungen und vom Ausland bestätigt worden sind?

Man mag es einem allgemeinen Mißtrauen zuschreiben oder mangelndem Selbstbewußtsein, mag es einen Minderwertigkeitskomplex nennen oder (wie der Kulturkritiker Hans Weigel im Titel eines seiner Österreichbücher) »Flucht vor der Größe«: Fest steht, daß Berühmtheit hierzulande an die Akkreditierung von außen gebunden ist. »Aus allen Fernen tönt zurück sein Ruhm«, läßt Grillparzer in seinem Trauerspiel »König Ottokars Glück und Ende« die Titelfigur verkünden und spielt damit auf das an, was man anderwärts noch bombastischer »Weltgeltung« nennt. Wie ist es diesbezüglich um Österreich bestellt?

Das vorliegende Buch will versuchen, auf diese Frage eine Antwort zu geben – und zwar am Beispiel von 40 Namen, die allesamt eines gemeinsam haben: Ihre Träger entstammen dem österreichischen (oder auch altösterreichischen) Kulturraum. Aber nicht dort, nicht in der Heimat haben sie ihre Lebensleistung erbracht, sondern in der Fremde.

Ein Thema von so enormem Umfang ist nicht ohne Grenzziehungen zu bewältigen: Ich bitte daher um Verständnis dafür, daß die von mir getroffene Auswahl auf historische Beispiele beschränkt bleiben muß. Kein Wort also über die noch Lebenden: Der Filmschauspieler Arnold Schwarzenegger, die Skigrößen Anderl Molterer und Pepi Grams-hammer, der Chemiker Max Perutz, der Physiker Fritjof Capra, der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick, der Maler Gottfried Helnwein, der Regisseur Billy Wilder, die Meisterphotographin Inge Morath, der Vatikanbibliothekar Kardinal Alfons Maria Stickler, der Dirigent Walter Weller, der Jazzmusiker Joe Zawinul, der Großreeder Helmut Sohmen, der Modeschöpfer Helmut Lang, der Entwicklungshelfer Karlheinz Böhm – sie alle ergäben ein eigenes Buch.

Und ein eigenes Buch ergäbe erst recht jene große Zahl von Auslandsösterreichern, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen haben. Gemeint ist der verheerende Aderlaß, den Österreich erlitt, als in der NS-Ära ein Großteil seiner intellektuellen und künstlerischen Elite aus dem Land gejagt wurde. Stellvertretend für diese Personengruppe seien der Schöpfer der österreichischen Verfassung, der Rechtsgelehrte Hans Kelsen, der Religionsphilosoph Martin Buber, der Wirtschaftstheoretiker Josef Alois Schumpeter, die Physiker Erwin Schrödinger, Lise Meitner und Walter Kohn, die Komponisten Ernst Krenek, Egon Wellesz und Hermann Leopoldi, der Dirigent Erich Leinsdorf, der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim, der Marktforscher Ernest Dichter, die Schriftstellerin Gina Kaus und der Regisseur Berthold Viertel genannt. Ihrem Schicksal und dem ihrer zahlreichen Leidensgenossen gebührt selbstverständlich eine eigene Untersuchung (die es zum Teil bereits gibt).

Wenden wir uns also zunächst jener Kategorie von Auslandsösterreichern zu, die im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte ihre Heimat aus freien Stücken verlassen haben, um draußen in der Welt ihr Glück zu suchen – sei es, weil es ihnen im kleinen Österreich zu eng wurde, weil sie in der Fremde die besseren Chancen für ihr Fortkommen sahen oder einfach weil das Ausland nach ihnen rief.

Heimat bist du großer Namen

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