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Der einfältige Gehorsam.
ОглавлениеAls Jesus vom reichen Jüngling freiwillige Armut forderte, da wusste dieser, dass es hier nur Gehorsam oder Ungehorsam gab. Als Levi vom Zoll, Petrus von den Netzen gerufen wurde, da war es nicht zweifelhaft, dass es Jesus mit diesem Ruf ernst war. Sie sollten alles verlassen und nachfolgen. Als Petrus auf das schwankende Meer gerufen wird, da muss er aufstehen und den Schritt wagen. Es war in all dem nur eines gefordert, sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt. Die Mächte, die sich zwischen das Wort Jesu und den Gehorsam stellen wollten, waren damals ebenso groß wie heute. Die Vernunft widersprach, das Gewissen, die Verantwortung, die Pietät, ja selbst das Gesetz und das Schriftprinzip traten ins Mittel, um dieses Äußerste, diese gesetzlose „Schwärmerei“ zu verhüten. Aber der Ruf Jesu durchbrach dieses alles und schuf sich Gehorsam. Es war Gottes eigenes Wort. Einfältiger Gehorsam war gefordert.
Würde Jesus Christus durch die Heilige Schrift heute zu einem von uns so sprechen, so würden wir wohl folgendermaßen argumentieren: Jesus befiehlt etwas ganz Bestimmtes, das ist wahr. Wenn aber Jesus befiehlt, dann soll ich wissen, dass er niemals gesetzlichen Gehorsam fordert, sondern dass er nur eines von mir will, nämlich dass ich glaube. Mein Glaube aber ist nicht gebunden an Armut oder Reichtum oder Ähnliches, vielmehr kann ich im Glauben beides, arm und reich sein. Nicht darauf kommt es an, dass ich keine Güter habe, sondern dass ich die Güter so habe, als hätte ich sie nicht, und dass ich innerlich von ihnen frei bin, dass ich mein Herz nicht an meinen Reichtum hänge. Also, Jesus sagt etwa: Verkaufe deine Güter! Jesus meint aber: Nicht darauf kommt es in Wahrheit an, dass du das nun auch äußerlich vollziehst, vielmehr sollst du die Güter ruhig behalten, aber du sollst sie haben, als hättest du sie nicht. Hänge dein Herz nicht an die Güter. Unser Gehorsam gegen das Wort Jesu würde also darin bestehen, dass wir den einfältigen Gehorsam als gesetzlich gerade verweigern, um dann „im Glauben“ gehorsam zu sein. Damit unterscheiden wir uns vom reichen Jüngling. Er vermag sich in seiner Traurigkeit nicht damit zu beruhigen, dass er zu sich sagte: Ich will nun zwar trotz des Wortes Jesu reich bleiben, aber ich will innerlich von meinem Reichtum frei werden und mich in aller meiner Unzulänglichkeit der Vergebung der Sünde trösten und im Glauben mit Jesus Gemeinschaft haben; sondern er ging traurig davon und war mit dem Gehorsam um den Glauben gekommen. Darin war der Jüngling ganz aufrichtig. Er trennte sich von Jesus, und gewiss hat diese Aufrichtigkeit größere Verheißung als eine Scheingemeinschaft mit Jesus, die auf dem Ungehorsam beruht. Offenbar stand es nach der Meinung Jesu mit dem Jüngling so, dass dieser sich eben nicht innerlich von seinem Reichtum freimachen konnte. Vermutlich hatte der Jüngling als ernster und strebender Mensch das tausendmal selbst versucht. Dass es misslang, zeigt die Tatsache, dass er im entscheidenden Augenblick dem Wort Jesu nicht zu gehorchen vermochte. Darin war also der Jüngling aufrichtig. Wir unterscheiden uns aber mit unserer Argumentation vom biblischen Hörer des Wortes Jesu überhaupt. Sagt Jesus zu diesem: Lass alles andere zurück und folge mir nach, geh aus deinem Beruf, aus deiner Familie, aus deinem Volk und Vaterhaus!, so hatte dieser gewusst: Auf diesen Ruf gibt es nur die Antwort des einfältigen Gehorsams und dies darum, weil eben diesem Gehorsam die Verheißung der Gemeinschaft mit Jesus gegeben ist. Wir aber würden sagen: Der Ruf Jesu ist zwar „unbedingt ernstzunehmen“, aber der wahre Gehorsam gegen ihn besteht darin, dass ich nun gerade in meinem Beruf, in meiner Familie bleibe und ihm dort diene, und zwar in wahrer innerer Freiheit. Jesus würde also rufen: Heraus! – Wir verstehen ihn aber, wie er es eigentlich meint: Bleib drinnen!, freilich als einer, der innerlich herausgetreten ist. Oder Jesus würde sagen: Sorget nicht; wir aber würden verstehen: Natürlich müssen wir sorgen und arbeiten für die Unsern und für uns. Alles andere wäre ja unverantwortlich. Aber innerlich sollen wir freilich von solcher Sorge frei sein. Jesus würde sagen: So dir jemand einen Streich gibt auf die rechte Backe, so biete ihm auch die andere dar; wir würden verstehe: Gerade im Kampf, gerade im Widerschlagen soll erst die wahre Liebe zum Bruder ganz groß werden. Jesus würde sagen: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes; wir würden verstehen: Natürlich hätten wir zuerst nach allerlei anderen Dingen zu trachten. Wie sollten wir sonst existieren? Gemeint sei eben die letzte innere Bereitschaft, für das Reich Gottes alles einzusetzen. Es ist überall dasselbe, nämlich die bewusste Aufhebung des einfältigen, wörtlichen Gehorsams.
Wie ist solche Verkehrung möglich? Was ist geschehen, dass das Wort Jesu sich dieses Spiel gefallen lassen muss? Dass es so dem Spott der Welt ausgeliefert wird? Wo immer sonst in der Welt Befehle ausgegeben werden, sind die Verhältnisse klar. Ein Vater sagt zu seinem Kind: Geh ins Bett!, so weiß das Kind wohl, woran es ist. Ein pseudotheologisch dressiertes Kind aber müsste nun folgendermaßen argumentieren: Der Vater sagt: Geh ins Bett. Er meint, du bist müde; er will nicht, dass ich müde bin. Ich kann über meine Müdigkeit auch hinwegkommen, indem ich spielen gehe. Also, der Vater sagt zwar: Geh ins Bett!, er meint aber eigentlich: Geh spielen. Mit einer solchen Argumentation würde das Kind beim Vater, würde der Bürger bei der Obrigkeit auf eine sehr unmissverständliche Sprache stoßen, nämlich auf Strafe. Nur dem Befehl Jesu gegenüber soll das anders sein. Hier soll einfältiges Gehorchen verkehrt, ja Ungehorsam sein. Wie ist das möglich?
Es ist dadurch möglich, dass dieser verkehrten Argumentation tatsächlich etwas ganz Richtiges zugrunde liegt. Der Befehl Jesu an den reichen Jüngling bzw. der Ruf in die Situation, in der geglaubt werden kann, hat tatsächlich nur das eine Ziel, den Menschen zum Glauben an ihn, d. h. in seine Gemeinschaft zu rufen. Es hängt letzten Endes gar nichts an dieser oder jener Tat des Menschen, sondern es hängt alles an dem Glauben an Jesus als den Sohn Gottes und Mittler. Es hängt letzten Endes allerdings nichts an Armut oder Reichtum, Ehe oder Ehelosigkeit, Beruf oder Nicht-Beruf, sondern es hängt alles am Glauben. Soweit haben wir also ganz recht, es ist möglich, in Reichtum und Besitz der Güter der Welt an Christus zu glauben, so dass man diese Güter hat, als hätte man sie nicht. Aber diese Möglichkeit ist eine letzte Möglichkeit christlicher Existenz überhaupt, eine Möglichkeit angesichts der ernsten Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi, und gerade nicht die erste und einfältigste Möglichkeit. Das paradoxe Verständnis der Gebote hat sein christliches Recht, aber es darf niemals dazu führen, dass es das einfältige Verständnis der Gebote aufhebt. Es hat vielmehr sein Recht und seine Möglichkeit nur für den, der an irgendeinem Punkt seines Lebens mit dem einfältigen Verständnis schon ernstgemacht hat, der so in der Gemeinschaft Jesu, in der Nachfolge, in der Erwartung des Endes steht. Es ist die unendlich viel schwerere, ja die menschlich gesprochen unmögliche Möglichkeit, Jesus Ruf paradox zu verstehen, und sie ist gerade als solche dauernd in der äußersten Gefahr, in Ihr Gegenteil umzuschlagen und zum bequemen Ausweg, zur Flucht vor dem konkreten Gehorsam zu werden. Wer nicht weiß, dass es ihm unendlich viel leichter wäre, das Gebot Jesu einfältig zu verstehen und wörtlich zu gehorchen, also etwa die Güter auf einen Befehl Jesu tatsächlich hinzugeben, statt sie zu behalten, der hat kein Recht zu dem paradoxen Verständnis des Wortes Jesu. Es ist also notwendig in dem paradoxen Verständnis des Gebotes Jesu das wörtliche immer mit eingeschlossen.
Der konkrete Ruf Jesu und der einfältige Gehorsam hat seinen unwiderruflichen Sinn. Jesus ruft damit in die konkrete Situation, in der ihm geglaubt werden kann; darum ruft er so konkret und will eben so verstanden sein, weil er weiß, dass nur im konkreten Gehorsam der Mensch frei wird zum Glauben. Wo der einfältige Gehorsam grundsätzlich eliminiert wird, dort ist abermals aus der teuren Gnade des Rufes Jesu die billige Gnade der Selbstrechtfertigung geworden. Dort ist aber damit auch ein falsches Gesetz aufgerichtet, das das Ohr gegen den konkreten Ruf Christi verstockt. Dieses falsche Gesetz ist das Gesetz der Welt, dem das Gesetz der Gnade gegenübertritt und entspricht. Die Welt ist hier nicht die in Christus überwundene und in seiner Gemeinschaft täglich neu zu überwindende, sondern sie ist zum starren, undurchbrechbaren prinzipiellen Gesetz geworden. Gnade aber ist dann auch nicht mehr das Geschenk des lebendigen Gottes, in dem wir der Welt entrissen und in den Gehorsam Christi gestellt werden, sondern sie ist ein allgemeines göttliches Gesetz, ein göttliches Prinzip, um dessen Anwendung auf den Spezialfall es allein noch geht. Der prinzipielle Kampf gegen „die Gesetzlichkeit“ des einfältigen Gehorsams richtet selbst das allergefährlichste Gesetz auf, das Gesetz der Welt und das Gesetz der Gnade. Der prinzipielle Kampf gegen die Gesetzlichkeit ist selbst am allergesetzlichsten. Gesetzlichkeit wird allein überwunden durch den wirklichen Gehorsam gegen den gnädigen Ruf Jesu in seine Nachfolge, in der das Gesetz durch Jesus selbst erfüllt und aufgehoben ist.
Wo der einfältige Gehorsam grundsätzlich eliminiert wird, dort wird ein unevangelisches Schriftprinzip eingeführt. Voraussetzung für das Schriftverständnis ist dann die Verfügung über einen Schlüssel zum Schriftverständnis. Dieser Schlüssel ist aber hier nicht der lebendige Christus selbst in Gericht und Gnade, und die Handhabung dieses Schlüssels liegt nicht mehr allein im Willen des lebendigen Heiligen Geistes, sondern der Schlüssel der Schrift ist eine allgemeine Gnadenlehre und wir selbst verfügen über seine Handhabung. Das Problem der Nachfolge erweist sich hier auch als ein hermeneutisches Problem. Es muss einer evangelischen Hermeneutik klar sein, dass es zwar nicht ohne weiteres angeht, uns mit den von Jesus Gerufenen unmittelbar zu identifizieren; vielmehr gehören ja die Gerufenen der Schrift selbst mit zum Worte Gottes und damit zur Verkündigung. Wir hören in der Predigt nicht nur die Antwort Jesu auf die Frage eines Jüngers, die auch unsere Frage wäre, sondern Frage und Antwort zusammen sind als Wort der Schrift Gegenstand der Verkündigung. Einfältiger Gehorsam wäre also hermeneutisch missverstanden, wenn wir in direkter Gleichzeitigkeit mit dem Gerufenen handeln und nachfolgen wollten. Aber der Christus, der uns in der Schrift verkündigt wird, ist durch sein ganzes Wort hindurch ein solcher, der den Glauben nur dem Gehorsamen und nur dem Gehorsamen den Glauben schenkt. Nicht zurück hinter das Wort der Schrift zu den realen Vorgängen können und dürfen wir gehen, sondern unter dem ganzen Worte der Schrift werden wir in die Nachfolge gerufen, eben weil wir der Schrift nicht durch das Prinzip, und sei es eine Gnadenlehre, gesetzlich Gewalt antun wollen.
Es bleibt also dabei, dass das paradoxe Verständnis des Gebotes Jesu das einfältige Verständnis einschließt, gerade weil wir nicht ein Gesetz aufrichten, sondern Christus verkündigen wollen. Damit erübrigt sich nun fast ein Wort gegen den Verdacht, es könne mit diesem einfältigen Gehorsam von irgendeiner Verdienstlichkeit des Menschen, von einem facere quod in se est, von einer zu erfüllenden Vorbedingung des Glaubens geredet werden. Gehorsam gegen den Ruf Jesu ist niemals die eigenmächtige Tat des Menschen. Es ist also auch keineswegs etwa die Weggabe der Güter an sich schon geforderter Gehorsam; es könnte durchaus sein, dass mit solchem Schritt gerade nicht Gehorsam gegen Jesus geschieht, sondern freie Setzung eines eigenen Lebensstils, eines christlichen Ideals, eines franziskanischen Armutsideals. Es könnte also gerade in der Weggabe der Güter der Mensch sich selbst und ein Ideal bejahen und nicht das Gebot Jesu, nicht frei von sich, sondern noch mehr in sich gefangen werden. Der Schritt in die Situation ist eben kein Angebot des Menschen an Jesus, sondern immer das gnädige Angebot Jesu an den Menschen. Nur wo er so getan wird, ist er legitim, aber dort ist er allerdings keine freie Möglichkeit des Menschen mehr.
„Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen. Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Da das seine Jünger hörten, entsetzten sie sich sehr und sprachen: Ja, wer kann denn selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich“ (Mt. 19,23-26).
Aus dem Entsetzen der Jünger über das Wort Jesu und aus ihrer Frage, wer denn selig werden könne, geht hervor, dass sie den Fall des reichen Jünglings nicht für einen Einzelfall halten, sondern für den allgemeinsten Fall schlechthin. Sie fragen ja nicht: Welcher Reiche?, sondern ganz allgemein: „Wer“ kann denn selig werden?, eben weil ja alle, weil die Jünger selbst zu diesen Reichen gehören, für die es so schwer ist, in das Himmelreich zu kommen. Die Antwort Jesu bestätigt diese Auslegung seiner Worte durch die Jünger. Selig werden in der Nachfolge ist keine Möglichkeit bei den Menschen, aber bei Gott sind alle Dinge möglich.