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2. Kapitel

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«Einer müsste Stallwache halten», erklärte Herr Konradi. «Möglich, dass irgendwelche Nachrichten einlaufen, die für den infrage stehenden Fall von Bedeutung sind.»

Frau Öztürk sah ihre Nachbarin, Frau Kantelberg, fragend an. Die flüsterte: «Der meint ihren Sohn.»

«Ach so, natürlich», flüsterte Frau Öztürk zurück und fasste sich an die Stirn. «Ich bin noch ganz durcheinander. Hoffentlich ist ihm nichts …» Wieder kamen ihr Tränen.

Selbst, wenn er recht hat, stehen einem die Haare zu Berge, ärgerte sich Oma Schmitz. Stallwache halten für den infrage stehenden Fall! Mensch Konradi, versuch’s mal mit Normal!

«Wir werden ihn sicher finden, ganz sicher. Jungens in dem Alter können einen schon mal in Angst und Schrecken versetzen, und nachher war alles ganz harmlos», versuchte Frau Kantelberg zu beruhigen.

«Meinen Sie?», flüsterte Frau Öztürk, während sie sich Tränen aus dem Gesicht wischte.

«Bestimmt», bekräftigte Frau Kantelberg. Hoffentlich, dachte sie.

Oma Schmitz bot an, das Haus zu hüten. Sie sei eh nicht besonders gut zu Fuß.

Und womöglich geh ich bei dem Durcheinander am Krater auch noch verschütt. Aber das dachte sie nur.

«Oh Gott, und was ist mit der Kleinen?» Frau Kantelberg fiel ein, dass sie ihre Tochter in der Aufregung aus den Augen verloren hatte.

«Die spielt oben», erklärte Finn.

«Ach ja? Aber … mitnehmen?»

«Ich bin doch schließlich auch noch da», beruhigte Oma Schmitz Frau Kantelberg. «Ich kümmere mich schon. Keine Sorge.»

Ne Oma im Haus ist irgendwie praktisch, ging Edel durch den Kopf. Und unsere Oma sowieso.

Auf dem Weg zum Krater übernahm Herr Konradi wieder die Führung.

Auf Grund alter Beziehungen verfüge er über ein Funktelefon - mit stolzem Grinsen zeigte er auf einen schwarzen Kasten, der an seinem Hosengürtel baumelte - , das ihm einen ständigen Kontakt mit der Einsatzleitung ermögliche.

Aus welchem Jahrhundert stammt das Gerät denn?, dachte Jana. Dieses … dieses Schrottomobil.

Herr Konradi ging also voran, es folgten Frau Öztürk und Frau Kantelberg und zum Schluss Jana und Edel mit Finn in ihrer Mitte.

«Das hast du alles genau so gesehen und gehört?», sagte Edel vor sich hin.

«Wenne mich meinst, ja, wirklich. Ich weiß auch nich. Ich hab das eben manchmal, dass ich Sachen träume, die genau so passiert sind, sogar, wenn ich vorher noch nie was davon gehört habe.»

«Leck mich, ich meine, ach du Scheiße», Jana betrachtete Finn mit ungläubigen Blicken. «Echt scharf die Nummer. Und», sie überlegte, »sind das immer nur Sachen, die schon passiert sind, oder klappt das auch mit der Zukunft, also mehr so science-fiktionmäßig, ich meine in Richtung Wahrsagen oder so was in der Art …?»

Gedanken wie: ich Feuerschlucken - du Wahrsagen - wir Superduo - Zirkus Roncalli - Megakohle - Europatournee - Las Vegas? - purzelten in ihrem Gehirn herum.

Finn blieb stehen, kräuselte die Stirn, so, als ob ihn Janas Worte auf etwas gebracht hätten.

«Quatsch, ich doch nicht. Aber in Frankreich hat es mal einen gegeben, Nostradamus hieß der» - «bitte Finn, nicht schon wieder französisch, wirklich», stöhnte Edel - «nee wirklich, der hat schon vor ein paar hundert Jahren Sachen vorausgesagt» - Finn war jetzt nicht mehr zu bremsen -, «die erst in diesem Jahrhundert passieren sollen. Zum Beispiel …»

«Ja was, zum Beispiel?»

Die ist ja richtig aufgeregt, unsere schwarze Jana, stellte Edel fest. Die ist doch sonst so cool. Oder, interessieren wir uns in Wirklichkeit gar nicht für diesen komischen und schon seit Ewigkeiten toten Nostradingsbums, sondern für den im Augenblick zwar auch ein bisschen durchgeknallten aber dafür sehr lebendigen Finn, my dear? Mit einem strengen Prüfblick sah sie zu Jana hinüber.

«Also», fuhr Finn fort, «zum Beispiel, was war das noch? Ach ja: den Weltuntergang.»

«Ach nur den», bemerkte Edel und dachte, Weltuntergang … Krater …, passt irgendwie, aber nur, wenn man plem plem ist.

«Und wann soll der sein, der Weltuntergang?»

Die lässt nicht locker, dachte Edel.

«In ein, zwei Jahren, glaub ich, nach neuesten Untersuchungen. Eigentlich schon 2012. Soll sich aber um einen Rechenfehler handeln, das mit 2012. Irgendwie logisch, sonst wär ja schon alles im Eimer. Aber egal. Auf jeden Fall soll es einen Punkt, beziehungsweise Ort in Europa geben, wo nix passiert, der also übrig bleibt, oder wo ein Landeplatz für Ufos ist, oder so ähnlich, und wo Außerirdische die Menschen einsammeln, die zu dem Zeitpunkt gerade da sind. Sowas in der Art eben. Und dieser Ort ist in …»

«Lass mich raten», unterbrach Edel. «Kann sein in Frankreich? Vielleicht?»

Würd mich nicht wundern nach dem ganzen Frankreichgedödel, dachte sie.

«Genau. Wieso …?»

«Ach, nur son Gedanke», wehrte Edel ab.

«Und, hat er auch gesagt, wo genau in Frankreich?»

Langsam reicht’s, dachte Edel und sagte: «Lass mich noch mal raten. Ich tippe auf die Gegend, in die wir im Sommer fahren wollen. Stimmt’s? Wir könnten ja dann schon mal ’ne preiswerte Unterkunft …, wär doch ’ne günstige Gelegenheit, oder?»

Finn blieb stehen, sah Edel mit weit geöffneten Augen an und sagte: «Das ist jetzt aber fast unheimlich. Bis auf ein paar Kilometer stimmt’s wirklich. Ein bisschen weiter unten, in den Pyrenäen. Woher», Finn kam ins Stottern, «ich meine wieso…? Haben wir schon mal ..., ich meine darüber ..., eigentlich nich oder?»

«Schon okay Finn, wieder mal nur son Gedanke», wehrte sie erneut ab. «Ich dachte: unsere Fahrt im Sommer, Südfrankreich, Canal du Midi, die Gegend um Paraza, Weltuntergang, beziehungsweise: Weltuntergang mit Ansage, dein komischer Nostradingsda, deine grauen Zellen …,passt doch. Na ja, die Pyrenäen, war jetzt knapp daneben, die Lokation. Aber sonst!»

Edel machte eine Pause, kräuselte Kinn und Unterlippe und sah Finn so an, als ob er beim Mogeln während 'ner Mathearbeit erwischt worden wäre.

«Mal im Ernst, Finn, du glaubst doch nicht etwa an son Quatsch.»

«Eigentlich nich. Können übrigens auch die Maja gewesen sein, oder beide, also die Maja und Nostradamus, das mit dem Weltuntergang. Aber egal.»

- Maja?, überlegte Edel, ich kenne nur Majo und Ketchup und am liebsten rot/weiß mit Pommes, und wenn’s geht, auch noch nach’em Weltuntergang. Und möglichst die von … -.

«Aber», unterbrach Finn ihre Lieblingsspeise, «denk mal an so Sachen wie … wie Tsunamie zum Beispiel und Finnland mit dem Aschevulkan und Erdbeben und davon mehrere gleichzeitig, die ganzen Atommailer und dann noch die - was weiß ich - trillionenmäßigen Strahlen und Signale überall und immer, und … und die ganzen Atombomben, die hab ich noch vergessen. Und jetzt stell ich mir so vor, dass einer von diesen Winzlingen…»

«Welchen Winzlingen?», erkundigte sich Edel mit starken Zweifeln an Finns geistiger Gesundheit in der Stimme.

«Die Strahlen und Signale natürlich, der ganze digitale Kram eben. Dass also eins von diesen Mikronanoteilen, die da so rumschwirren, an einer bestimmten Stelle die vorgesehene Kurve nicht so richtig kriegt, und auf seiner Irrfahrt - mal angenommen wie’n Geisterfahrer - auf andere Winzlinge knallt und die kommen ins Schleudern und fegen irgendwohin, wo sie gar nicht hingehören und dann sausen alle wild durcheinander und krachen aufeinander und veranstalten ein Riesentheater, Chaos im Orbit sozusagen, und dann, wenn zufällig alles zusammenpasst - also im Sinne von erdbeben-, zunami- und sagen wir mal ... atombombenmäßig - gibt’s den großen Knall und Buff, das war’s.»

Na dann, dachte Jana, und sah Finn von der Seite an. Hoffentlich kreist bei dir noch alles einigermaßen richtig, hirnmäßig. Obwohl ...

«Außer in den Pyrenäen in Südfrankreich natürlich. Was reden wir überhaupt hier!», fuhr Edel in Janas Gedanken. «Finn, komm mal wieder runter. Der Krater dahinten reicht erstmal, und Klotz. Vielleicht ist ja an deinem Traum wirklich was dran. Schick Nostra und die Majo» - «Maja», verbesserte Finn - «egal, in die Wüste und volle Konzentration auf den Krater und Klotz. Stell dir vor, wir finden ihn wirklich. Ich glaube jedenfalls dran.»

«Genau, alles andere is pille palle, erstmal, jedenfalls», stimmte Jana zu. Und die Winzlinge haben erstmal Pause, dachte sie. Obwohl, worüber der so nachdenkt, der Finn. Toll oder durchgeknallt, auf jeden Fall anders, ganz anders.

«Mein Reden, Nostra war gestern und heute is Klotz», bekräftigte Edel, und sie hoffte, dass etwas dran wäre an Finn und seinem Traum.

Finn nickte. Aber, dachte er, mal angenommen, es käm nochmal so einer wie damals der …, der ... Snowden, genau, wie der Snowden und der würde erzählen, was die inzwischen so alles machen oder machen können, außer abhören. Aber egal, jetzt is erstmal Klotz dran, stimmt schon Mädels.

Herr Konradi marschierte weiter voran. Mit festem Schritt bestimmte er das Tempo der Gruppe. Die beiden Frauen hinter ihm, bemüht, möglichst nah an ihm dran zu bleiben. Wortlos gingen sie nebeneinander her. Die Hoffnung auf ein gutes Ende bewegte ihre Gedanken genau so, wie die Furcht vor dem Schrecklichsten. Ab und zu streichelte Frau Kantelberg Frau Öztürk über die Schulter.

Edel, Jana und Finn hielten Abstand zu den dreien. Sie wollten ihre eigenen Gedanken denken, und nicht ständig durch irgendwelche Hinweise ihrer Erwachsenen abgelenkt werden.

Dafür sorgten jedoch immer mehr Menschen, die einzeln und in Gruppen an ihnen vorbeihasteten, so, als ob es um die besten Plätze bei irgendeinem Event ginge, oder die Jagd nach irgendwelchen Schnäppchen in vollem Gange wäre.

Am Straßenrand wurden Stände aufgebaut. Getränkedosen stapelten sich. Der Geruch von Grillwürsten und ranzigem Frittenöl breitete sich aus. Das Gedränge wurde immer dichter. Aus Lautsprechern wehten unverständliche Botschaften über das Gelände. Hubschrauber sah man hoch- und niedergehen, hin und wieder verharrten sie auch über bestimmten Stellen, als ob sie was entdeckt hätten. Polizisten und andere Uniformierte versuchten Chaos zu verhindern. Immer wieder drängten Reporter mit Ihren Teams in die geräumte Sicherheitszone um den Krater.

Herr Konradi winkte seine Leute zu sich, erklärte, dass es nun ernst würde, bis zum Krater sei es nicht mehr weit.

«Da hinten, die riesige leere Fläche, da, wo sozusagen nichts mehr ist, da ist er. Und da, wo sie gerade ein Gerüst aufbauen, da muss die Einsatzleitung sein. Ich werde jetzt dort anrufen und einen Kollegen anfordern, dass wir heil dort ankommen. Geleitschutz sozusagen. Solche Massen wie hier sind unberechenbar.»

Dass ich mich in diesem Leben, ohne jeden Scheiß, mal über einen Bullen an meiner Seite freuen würde … Jana schüttelte mit dem Kopf. Superkrass und nichts für schwache Nerven. Ausgerechnet ein Bulle, der natürlichste aller Feinde in meinen Kreisen.

Die Ruhrpotters

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