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3. Kapitel

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Bei Tante Trudel läuft so was unter bedröppelt, dachte Edel, als sie Herrn Konradi aus dem Zelt der Einsatzleitung kommen sah: Herabhängende Mundwinkel, der Mund eine einzige dicke Unterlippe, auch Schmollmund genannt, das Kinn in vorgeschobener War-wohl-nix-Stellung.

Jana gab nichts weiter als ein langgezogenes: «Oh - oh - », von sich, während Finn sich auf den Teil seines Traumes konzentrierte, der mit dem bevorstehenden Abstieg zu tun hatte.

Wie schnell man sich verändern kann, dachte Frau Kantelberg. Eben noch forsch wie’n Jagdhund und jetzt belämmert wie’n begossener Pudel.

Frau Öztürk hoffte weiter auf gute Nachrichten.

Dann hörte sie, wie Herr Konradi «leider» sagte, und «Hirngespinste» und «keine Chance» nahm sie auch noch wahr.

Sie hauchte: «Und Klaus-Dieter?» aus sich heraus, hielt sich an Frau Kantelberg fest und wiederholte: «Und was ist mit Klaus-Dieter? Nun sagen Sie doch endlich, was ist mit meinem Sohn!»

«Wie gesagt, keine Nachricht, keinerlei Hinweise, nicht die geringste Spur. Auch die Nachfrage bei der Polizeidirektion habe nichts Verwertbares ergeben, bedauerlicherweise.»

Da bleibt eigentlich nur der Krater. Hoffentlich nich, aber damit rechnen muss man schon, dachte er. Dieser … dieser Klotz wird uns doch nicht aus Jux und Dollerei zum Narren halten. Und dass er von dem ganzen Theater hier nichts mitgekriegt hat, kann man sich auch nicht vorstellen.

«Na ja, wird schon werden, irgendwie. Die Hoffnung stirbt …»

«Wer stirbt?» Frau Öztürk schreckte zusammen. Wie aus weit entfernten Welten gerissen, starrte sie Herrn Konradi an. «Was reden Sie denn da von sterben! Sind Sie noch bei Trost. Hier stirbt doch keiner und Klaus-Dieter …» Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht so, als ob sie die nächsten Worte daran hindern wollte, ihren Mund zu verlassen.

«Natürlich nicht, ganz bestimmt nicht», versuchte Frau Kantelberg zu trösten. «Das wird alles gut, Sie werden sehen.» Sie nahm Frau Öztürk in die Arme und drückte sie an sich.

Herr Konradi brummte: «So war das ja nun auch wieder nicht gemeint», und Finn gab den beiden anderen mit eindeutigen Kopf- und Handzeichen zu verstehen, dass sie sich kurz von den Erwachsenen entfernen sollten.

«Wir gehen mal eben zu dem Stand da vorne, für ’ne Cola. Soll’n wir was mitbringen?»

«Gern, Kaffe wäre nicht schlecht, wenn die welchen haben, oder?» Frau Kantelberg sah, dass der begossene Pudel nickte und auch von Frau Öztürk hörte sie zustimmende Worte.

Sie reichte ihrem Sohn einen Zehneuroschein, wollte ihm noch ihre übliche Coca-Cola-Warnung mit auf den Weg geben, in der meistens Teufelszeug und Zuckerplörre vorkam, aber Finn nahm nur Wenn’s-denn-unbedingt-sein-muss auf dem Gesicht seiner Mutter wahr und dachte, Mama wirft das Handtuch, ausgerechnet bei einem ihrer Lieblingsgegner: Cola? Jetzt muss uns was einfallen, die sind am Ende.

«Wir müssen unbedingt einmal rund um den Krater. Ich muss wissen, ob an meinem Traum was dran ist. Ich muss! Ich dreh noch durch, wenn ich dran denke: Klotz ist da unten und lebt noch und braucht Hilfe, weil er alleine nicht mehr klar kommt, und es gibt tatsächlich ’ne Möglichkeit, runterzukommen, und nur weil Konradi zu dämlich … und diese Sturböcke … Scheiße, Scheiße, Scheiße!»

«Versucht hat er’s immerhin», versuchte Edel zu beruhigen, «aber trotzdem… Das kann’s nicht gewesen sein. Da haste recht.»

«Konradi hat’s nicht geschafft», überlegte Jana laut. «Da sind aber immer noch zwei Frauen. Deine Mutter, Finn, und die Mutter von Klotz. Deine Mutter hat noch den Überblick, glaube ich, aber die Mutter von Klotz ist mit den Nerven unten, absolut. Tiefer geht’s gar nicht. So, und das hört sich jetzt zwar blöd an, aber das ist unsere Chance.»

«Ach wirklich? Und wieso? Ausgerechnet …»

«Ich tippe, Jana setzt auf die Mutter von Klotz», unterbrach Edel. «Oder Jana?»

Jana nickte.

«Stell dir vor, Finn, da kommt eine Mutter, total mit den Nerven fertig, auf der Suche nach ihrem Sohn zu dem, der da hinten in dem Zelt das Sagen hat, und bittet um nichts weiter, als einen harmlosen Rundgang um den Krater, weil, möglich, das Leben dieses Sohnes dadurch gerettet werden könnte. Und deine Mutter, Finn, übernimmt die Einzelheiten, also die Sachen mit deinem Traum. So war’s doch gemeint Jana, oder?»

Jana nickte. «Schon, so ungefähr.»

«Dann müssen die einfach weich werden», erklärte Edel, «oder …»

«Oder was?» Jana schlug mit ihrem Pappbecher auf den vollbesetzten Stehtisch vor dem Getränkestand. Der Pappbecher war aber noch halb voll Cola, wenigstens vor dem Aufschlag, und sie hielten es deshalb für das Beste, möglichst schnell in der Menge zu verschwinden. Einigen von Colaspritzern Getroffenen sah man das Verlangen nach Vergeltungsschlägen an.

Einer nahm tatsächlich die Verfolgung auf. In dem unübersichtlichen Gedränge verlor er aber die drei schon nach wenigen Metern aus den Augen.

«Kaffee war leider im Augenblick alle. Aber», schlug Edel vor, «wie wär’s mit dem Zelt. Vielleicht, dass man da …»

Edel hatte sich auf Drängen von Finn und Jana bereit erklärt, die Mütter von ihren Überlegungen zu überzeugen.

«Du meinst also, wir gehen jetzt in das Zelt und bestellen bei der Einsatzleitung: drei Kaffee bitte, schwarz, zum Mitnehmen. Ich glaube …»

«Für mich mit Milch und Zucker und für Sie Frau Öztürk?», unterbrach Frau Kantelberg Herrn Konradi, »oder habe ich da was falsch verstanden?»

Ihr kamen Zweifel, als sie die plötzlichen Veränderungen in Konradis Gesicht bemerkte. So sieht also schweißrot aus, ging ihr durch den Kopf.

«Ich komme gerade von denen. Was meinen Sie denn, was da los ist. Auf so was haben die gerade noch gewartet», polterte er los, «drei Kaffee bitte …, vielleicht auch nochen paar Teilchen?, und … und …»

Gleich geht dem die Luft aus, dachte Jana, und Frau Kantelberg nutzte die Unterbrechung für eine schnelle Entschuldigung. Ein dummes Missverständnis, erklärte sie, und so sei es wirklich nicht gemeint gewesen.

«Meine Nerven sind wohl auch nicht mehr die besten», entschuldigte sich Herr Konradi nach ein paar tiefen Atemzügen und reichte Frau Kantelberg die Hand.

Hier geht’s zu, wie aufem Schulhof, bei Aufsicht von Laborleo, von wegen shakehands, dachte Jana, gab Edel einen leichten Klaps auf den Hintern und flüsterte: «Du bist dran. Die Gelegenheit, so weichgespült wie die sind. Good luck, Lady.» Edels Vorliebe für’s Englische war ihr nicht verborgen geblieben.

Brauchbar mit Einschränkungen, dachte Jana, als es Herrn Konradi wieder gelungen war, sich und diesmal auch den anderen Zutritt zu dem Zelt zu verschaffen.

Immerhin, sagte sich auch Edel, und Finn redete sich Worte seines Vaters ein, mit denen der sich und andere in ausweglosen Situationen mit Mut versorgte: der Glaube versetzt Berge der Glaube versetzt Berge der Glaube versetzt Berge. Obwohl, Berge und Krater? Egal, Hauptsache es hilft.

Herr Kaminski hörte tatsächlich, trotz der Unruhe um ihn herum, Finns Mutter aufmerksam zu, nickte manchmal an Stellen, die ihm schon bekannt waren, ließ aber auch stirnrunzelnd Zweifel erkennen, vor allem bei den Erscheinungen in Finns Traum.

Der neben ihm würde am liebsten in Hohngelächter ausbrechen, so wie der grinst, dachte Finn. Wenn Mama das merkt, geht die zum Angriff über, und das war’s dann.

Erst jetzt schien Herr Kaminski Frau Öztürk zu bemerken. Die saß zwischen Edel und Frau Kantelberg. Hilflos und verzweifelt sah sie die auf der anderen Seite des Tisches an und jeder, der es wollte, konnte erkennen, was sie im Innersten bewegte: Rettet meinen Sohn.

Herbert Kaminski stammte aus einer alten Bergleutefamilie. Mit seinen sechzig Jahren war er einer der wenigen aus seiner Familie, der sich nicht Untertage sein Geld verdient hatte, der aber trotzdem von sich behauptete, jeden Stollen und Flötz, jede Kammer, jeden Schacht und jeden Gang in Dortmunds kohlehaltigem Untergrund zu kennen, und wenn auch nur aus Berichten und Erzählungen von Familienmitgliedern auf längst vergilbten Fotos, viele braunstichig und in kostbar verzierten Fotoalben.

Der kennt in Dortmund jeden Maulwurf mit Spitznamen, frotzelte seine Frau gern.

Mit den Geschichten hatte er Kohle eingeatmet, fast so wie die, die tatsächlich Untertage geschuftet hatten. Er hatte die Wetter und Einbrüche und Explosionen gespürt und auf Rettung gehofft, wenn in ihren Erzählungen schon alles verloren schien. Dieser Mann sah Frau Öztürk in ihrem ganzen Elend, und er spürte die Verzweiflung fast so, wie in den Geschichten von verschütteten und vermissten Kumpeln und von den für immer in der Kohle begrabenen.

«Dann versuchen wir es eben», sagte er und schüttelte beiden Frauen die Hand so, wie man es unter Männern macht, wenn man einen Vertrag besiegelt.

Die Ruhrpotters

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