Читать книгу Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis - Dietrich Schulze-Marmeling - Страница 8
ОглавлениеKapitel 3
Antisemiten und »Pioniere der Moderne«
Wenige Monate nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kehrt William J. Townley nach München und zum FC Bayern zurück. Der Trainer-Pionier aus England findet ein Land und eine Stadt vor, die sich seit seinem kriegsbedingten Fortgang im August 1914 grundlegend verändert haben.
Am 9. November 1918 gibt Reichskanzler Max von Baden eigenmächtig bekannt, Kaiser Wilhelm II. habe abgedankt. Der Adelige will die Monarchie retten, aber noch am selben Tag proklamiert der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann von einem Fenster des Berliner Reichstagsgebäudes aus die Republik. Am 11. November wird der Erste Weltkrieg mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens beendet. Wenige Stunden später schweigen an allen Fronten die Waffen – nach über vier Jahren des blutigen Kampfes, den fast zehn Millionen Menschen mit ihrem Leben bezahlten.
Aus den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gehen die Mehrheits-Sozialdemokraten von der SPD mit 37,9 Prozent als stärkste Partei hervor. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) kommt auf 18,5 Prozent. Das katholische Zentrum wird von 19,7 Prozent gewählt, der sozialistischen USPD, einer Linksabspaltung von der SPD, geben 7,7 Prozent ihre Stimme. Die großen Verlierer sind die dezidiert republikfeindliche Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die auf nur 10,3 Prozent kommt, und die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), für die sich lediglich 4,4 Prozent erwärmen.
SPD, DDP und Zentrum bilden die »Weimarer Koalition«. Erster Reichspräsident wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, erster Reichsministerpräsident sein Parteikollege Philipp Scheidemann.
Die bürgerlichen deutschen Juden votieren zunächst vor allem für die DDP, der u. a. Albert Einstein, Walther Rathenau, Rudolf Mosse, Theodor Wolff und Hugo Preuß, der »Schöpfer« der Weimarer Verfassung, angehören. Zu Beginn des kurzlebigen Aufstiegs der linksliberalen Sammelpartei geben »mindestens die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel (…) der jüdischen Wähler« (Hans-Ulrich Wehler) der DDP ihre Stimme. Die »linken« deutschen Juden bevorzugen die SPD, zugleich die prowestlichste Partei in Weimar, die bis zum Ende der Republik am durchgängigsten und – vergleichsweise – unmissverständlichsten Position gegen den Antisemitismus bezieht. Mit Eduard Bernstein und Rudolf Hilferding haben die Sozialdemokraten prominente jüdische Politiker in ihren Reihen. Als die DDP 1930 mit völkischen Nationalisten und anderen Kräften fusioniert und in der Deutschen Staatspartei aufgeht, suspendiert sie ihre Kritik am Antisemitismus, ist für die deutschen Juden nicht mehr wählbar und verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.
In Teilen der katholischen Zentrumspartei lebt der christliche Antijudaismus weiter. Bei aller Abgrenzung zum antisemitischen Radikalismus werden Juden hier vielfach als Urheber der zerstörerischen Tendenzen der Moderne betrachtet.
Die DVP verfolgt in Sachen Antisemitismus zunächst einen »Mittelweg«. Die Führung bezieht zwar dagegen Stellung, will aber gleichzeitig keine völkisch geprägten Mittelstandswähler verprellen. Nach dem Tod von Gustav Stresemann schwenken die Nationalliberalen ins Lager der offenen Antisemiten über. Die DNVP ruft bereits in ihrem Programm von 1920 zum Kampf gegen die »jüdische Vorherrschaft« auf und schließt Juden von einer Mitgliedschaft aus.
Die Republik ist von Beginn an eine fragile Angelegenheit, denn es mangelt ihr an überzeugten Demokraten und Republikanern. Für die deutschen Juden bedeutet Weimar zunächst einen hoffnungsvollen Neubeginn, doch der Antisemitismus ist von Anfang an Dorn im Fleische und ständiger Begleiter der ersten deutschen Demokratie.
»Judenrepublik«
Die Weimarer Verfassung wird vom liberalen Juristen und DDP-Politiker Hugo Preuß ausgearbeitet, einem profilierten Kritiker des Obrigkeitsstaates. Preuß wird anschließend auch erster Reichsinnenminister der Republik. Seine Gegner beschimpfen den in Berlin geborenen Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie als »Hugo Preuß aus Jerusalem«.
Bei der nationalistischen Rechten gelten die demokratischen Ideen der Französischen Revolution als »dem deutschen Wesen« fremd. Und dass ein Jude bei der Formulierung der Verfassung die Feder geführt hat, bestärkt sie nur in ihrer Meinung, dass es sich bei der Demokratie um eine »undeutsche« Angelegenheit handelt. Die neue Ordnung wird als »Judenrepublik« denunziert.
In München wird die »Republik-Werdung« von einer ersten antisemitischen Gewaltorgie begleitet. Im November 1918 wird auch die bayerische Metropole von revolutionären Wirren heimgesucht. Am 7. November 1918 erklärt der USPD-Politiker Kurt Eisner, ein aus Berlin stammender Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten und Intellektueller – insbesondere seine geschliffenen Nietzsche-Kritiken genießen hohe Anerkennung –, auf einer Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im Mathäserbräu die Dynastie Wittelsbach für abgesetzt und ruft die Republik Bayern als Freistaat aus.
Die Räte wählen Eisner zum ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik, der kurz darauf ein Regierungskabinett aus Mitgliedern der SPD und USPD bildet, in dem die Mehrheitssozialdemokraten die wichtigsten Ressorts besetzen. Eisners Programm ist moderat, besteht in seinem Kern aus bürgerlich-demokratischen und sozialen Zielen.
Erster Kultusminister des Freistaats wird Gustav Landauer, Vertreter eines undogmatischen Sozialismus und Anarchismus und wie sein Ministerpräsident Jude.
Die führende Rolle einiger Juden reicht vielen Münchnern, um die Revolution als »jüdisches Projekt« zu betrachten. So auch Thomas Mann, der am Tag der Revolution in seinem Tagebuch notiert: »München, wie Bayern, wird regiert von jüdischen Literaten. Wie lange wird es sich das gefallen lassen? (…) Das ist Revolution! Es handelt sich so gut wie ausschließlich um Juden.«
Aber auch große Teile der jüdischen Gemeinde begleiten die revolutionären Ereignisse mit tiefem Unbehagen. Ein Großteil der Gemeinde zählt zum bürgerlichen Milieu, ist mitnichten radikal gestimmt, denkt liberal oder konservativ. Wie die Münchner Stadthistorikerin Heike Specht schreibt, waren »nicht wenige treue Wähler der Bayerischen Volkspartei«. Die BVP war gewissermaßen eine bayerische Ausgabe der Zentrumspartei, von der sie sich vor allem in der Föderalismusfrage und durch einen noch größeren Konservativismus unterschied, und eine Interessenvertretung von Besitzbürgertum und Industrie. Bis 1933 wird die BVP Bayerns stärkste politische Partei bleiben.
Antisemitischer Furor
Münchens Fußballmacher plagen andere Sorgen. Die politische Umwälzung bedroht die Unabhängigkeit ihres Spiels. Schließlich sind die neuen Machthaber nicht gerade als Freunde des bürgerlichen Sports bekannt, sondern frönen ganz eigenen Vorstellungen.
Walther Bensemann, weiterhin häufig zu Gast in München, ersucht deshalb um eine Audienz bei Eisner, die ihm zu seiner Überraschung auch prompt gewährt wird. Dem bürgerlich-liberal gesonnenen Bensemann, der für die Sozialisten wenig übrig hat, ist der Revolutionär Eisner nicht unsympathisch. Wie Bensemann besitzt auch Eisner ein Faible für die Boheme-Kultur. Bensemann nennt ihn später »den fähigsten Kopf seiner Partei«. Der Ministerpräsident versichert dem Fußballemissär, dass die neue Regierung die Unabhängigkeit des Sports nicht anzutasten gedenke.
Wenig später erleidet das sozialistische Experiment einen schweren Rückschlag. Bei den Landtagswahlen vom 19. Januar 1919 wird die USPD vernichtend geschlagen. Nur fünf Prozent votieren für die Linkssozialisten. Am 21. Februar will Eisner seinen Rücktritt erklären. Doch auf dem Weg von seinem Amtssitz zum Landtag feuert ein Attentäter aus unmittelbarer Nähe zwei Schüsse auf Bayerns ersten Ministerpräsidenten, die ihn tödlich treffen.
Geschossen hat der völkisch-nationalistische Student Graf Anton Arco-Valley, ein mit der Absetzung der Wittelsbacher beurlaubter Leutnant des bayerischen Infanterie-Regiments. Über sein Motiv schreibt er vor der Tat: »Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist, ein guter Katholik. (…) Er (Eisner, d. A.) ist Bolschewist. Er ist Jude. Er ist kein Deutscher. Er verrät das Vaterland.«
Im folgenden Chaos konstituiert sich ein provisorisch regierender Zentralrat der bayerischen Republik. In der Folgezeit streitet man heftig über die Frage »Parlamentarismus oder Räterepublik«, wobei die Räte-Befürworter bald durch die Ausrufung einer sozialistischen Räterepublik in Ungarn Auftrieb erhalten. Am 7. April wird in München die Räterepublik proklamiert, und Thomas Mann schreibt in sein Tagebuch: »Wir haben ›Räteregierung‹ à la russe.«
Viele Münchner Juden fürchten nun einen antisemitischen Furor. Einer von ihnen ist Sigmund Fraenkel, der langjährige Vorsitzende des orthodoxen Synagogenvereins Ohel Jakob und Propagandist eines »bodenständigen bayerischen Judentums«. Fraenkel verfasst einen offenen Brief an einige jüdische Köpfe der Räterepublik, in der er diese als »landfremde, des bayerischen Volkscharakters unkundige Phantasten und Träumer« denunziert. Man habe geschwiegen, »weil wir fürchteten, unsere Glaubensgemeinschaft zu schädigen, wenn wir Sie in der Öffentlichkeit abschütteln. (…) Der heutige Tag, an dem Tausende und aber Tausende von aufreizenden antisemitischen Flugblättern in Münchens Straßen verteilt wurden, zeigt mir mit aller Deutlichkeit die Größe der Gefahr, die nicht die Bekenner unserer Glaubensgemeinschaft, sondern das Judentum selbst bedroht, wenn die große Masse von Münchens werktätiger Bevölkerung die erhabenen Lehren und Dogmen der jüdischen Religion in ideellen Zusammenhang mit den bolschewistischen und kommunistischen Irrlehren bringt, die Sie seit Wochen den durch die viereinhalbjährige Kriegsdauer zermürbten und verwirrten Volksmassen predigen. (…) Dieses Judentum hat Sie und Ihre verworrenen und krausen Phantasien nicht gebraucht.«
Sigmund Fraenkel behält mit seinen Befürchtungen recht, verkennt aber, dass der Antisemitismus auch dann bestens funktioniert, wenn Judentum nicht mit »bolschewistischen und kommunistischen Irrlehren« assoziiert wird. Einige Jahre später, Deutschland und München werden durch die Inflation malträtiert, wird man den Münchner Ostjuden nunmehr »kapitalistische Raffgier« vorwerfen: Sie hätten sich zum Schaden der bayerischen Bevölkerung an der heimischen Wirtschaft bereichert.
Am 30. April 1919 begehen Freikorps in den Vororten Münchens grausame Massaker an Angehörigen der »Roten Armee« der Räterepublik und unbeteiligten Zivilisten. Gustav Landauer, der der Räterepublik längst den Rücken gekehrt hat, wird inhaftiert, geprügelt, gefoltert und, wehrlos am Boden liegend, erschossen. Anschließend wirft man seinen Körper in die Waschküche des Gefängnisses. Am 2./3. Mai 1919 wird München von der Reichswehr und rechtsradikalen Freikorps eingenommen.
Die meisten führenden Mitglieder der Münchner Räterepublik werden vor Standgerichten des Hochverrats angeklagt. Gegen Ernst Toller und Erich Mühsam, aus Posen (Deutsches Reich, später Polen) bzw. Berlin stammende jüdische Literaten, werden fünf bzw. 15 Jahren Festungshaft verhängt. Eugen Lévine, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus St. Petersburg und Kopf der zweiten Münchner Räterepublik, wird sogar zum Tode verurteilt und am 5. Juni 1919 im Gefängnis Stadelheim erschossen. München hat seinen ersten antisemitischen Furor, kaschiert als Niederschlagung des Bolschewismus.
Die Räterepublik verschwindet, und mit ihr das »linke Judentum« Münchens. Der Antisemitismus aber bleibt und wird im Laufe der Weimarer Republik weiter zunehmen. München wird zu seiner Hochburg. Heike Specht: »Krieg, Revolution und Räterepubliken (veränderten) die Atmosphäre in der Stadt und damit auch die Parameter jüdischen Lebens in ihr dauerhaft. Mehr und mehr wurde München zum Sammelbecken für chauvinistische, revisionistische und antisemitische Kräfte und Gruppierungen.«
Die Niederschlagung der Räterepublik ist nur ein erster Prolog für das, was nach dem 30. Januar 1933 kommen wird. Weitere werden folgen.
Pioniere der Moderne
Wie sich ein Jude definiert, primär als Deutscher oder primär als Jude, als Deutscher jüdischen Glaubens oder als Jude deutscher Staatsangehörigkeit, ist auch abhängig vom Verhalten der nicht-jüdischen Mitbürger. Auf den Sport bezogen heißt dies für den amerikanischen Soziologen Andrei Markovits: »Wie in Politik, Gesellschaft und Kultur verfolgen Juden auch im Sport eine zweigleisige Strategie, die im wirklichen Leben zwar Wechselwirkungen untereinander gestattet, deren Konzepte sich aber von ihrer jeweiligen Anlage her ausschließen: einerseits die Segregation, auf der anderen Seite die Assimilation. Welche von beiden dominierte, bestimmte auch das Verhalten der nicht-jüdischen gesellschaftlichen Umwelt.«
Trotz der bitteren Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, trotz Judenzählung, Dolchstoßlegende und der Ermordung von Außenminister Walter Rathenau im Juni 1922, als, wie Gordon Craig schreibt, »eine Grenze überschritten wurde und Deutschland ein neues und erschreckendes Gebiet betreten hatte, in dem Jude-Sein nicht mehr nur ein Handikap und gesellschaftlicher Nachteil war; jetzt bedeutete es Gefahr, möglicherweise für Leib und Leben«: Auch in den Weimarer Jahren dominiert unter Deutschlands Juden das Streben nach Assimilation, und ihr gesellschaft-licher Aufstieg scheint ihnen recht zu geben. In den meisten deutschen Ländern gibt es jüdische Minister, zwischen 1919 und 1924 sogar sechs Reichsminister. Viele Neuerungen im Film, im Theater, in Literatur, Malerei, Musik, Architektur und Wissenschaft verdanken sich den Berliner oder Wiener Juden.
Auch im Fußball agieren Juden als »Pioniere der Moderne« oder, wie Adorno und Horkheimer es in ihrer »Dialektik der Aufklärung« formulieren: als »Kolonisatoren des Fortschritts«. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme sind nur ein bis zwei Prozent der ca. 500.000 deutschen Juden in exklusiv jüdischen Sportvereinen organisiert. Dies entspricht ihrer politischen und kulturellen Orientierung: Die nationaljüdische Bewegung findet nur bescheidenen Zuspruch. Dagegen zählt der assimilatorisch orientierte Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1926 bereits über 60.000 Mitglieder. Seine seit 1922 erscheinende Verbandszeitung trägt den programmatischen Titel »Im deutschen Reich«.
Wo Europas Juden sportliche Erfolge erringen, tun sie dies nicht in exklusiv jüdischen, sondern in überkonfessionellen Vereinen. Die Ausnahmen bilden der Wiener Sportklub Hakoah (»Hakoah« ist das hebräische Wort für »Kraft«), Makkabi Brünn (Brnó) und VAC (Vivo Atlètikai Club) Budapest.
Die Hakoah gehört zeitweise zu den weltbesten Vereinsmannschaften und wird 1925 Österreichs erster Profimeister. Bereits 1923 schlagen die Wiener Juden den englischen Cup-Finalisten West Ham United auf eigenem Platz sensationell mit 5:0. Der Berichterstatter der »Daily Mail« sieht eine Vorführung »wissenschaftlichen Fußballs«: »Kein Kraftfußball, kein ›kick and rush‹, dafür hatten sie nichts übrig. Dagegen kombinierten sie prächtig, ohne dem hohen Spiel zu frönen.«
Das tschechische Makkabi Brünn (Brnó) besteht in seiner Blütezeit fast ausschließlich aus Ungarn, darunter die ungarisch-jüdischen Nationalspieler Gyula Feldmann, Alexander Neufeld (ungarisch: Sándor Nemes), Ernö Schwarz, Arpád Weisz, Reszö Nikolsburger und Jószef Eisenhoffer. Letzterer ist zum Judentum konvertiert und gehört später – wie Alexander Neufeld und Ernö Schwarz – zur Meisterelf der Wiener Hakoah. Die Mannschaft, de facto eine der ersten waschechten Profitruppen auf dem Kontinent, unternimmt ausgedehnte Tourneen durch Europa und schlägt dabei Real Madrid mit 3:1. Als der Klub mit Ferenc Hirzer und Gábor Obitz auch nicht-jüdische ungarische Internationale verpflichtet, gerät er in Konflikt mit dem tschechoslowakischen Verband und muss diese Spieler wieder abgeben.
VAC Budapest hält sich in den 1920ern immerhin sechs Jahre (1921/22–1925/26) in der höchsten Liga Ungarns.
Der »Schlappe-Stinnes« und andere Mäzene
Auch in Deutschland existieren vielerorts jüdische Sport- und Turnvereine, aber in der Organisationsgeschichte des deutschen Sports sind deren Dachverbände Makkabi, VINTUS und Schild lediglich Marginalien. Und Fußball ist in den jüdischen Vereinen häufig nur eine Randsportart. Dies wird sich erst nach der nationalsozialistischen Machtübernahme und dem folgenden Ausschluss der Juden aus den »normalen« Vereinen radikal ändern.
Bis dahin erfolgt die fußballerische Aktivität ganz überwiegend in Vereinen wie dem FC Bayern München, die deshalb von ihren Gegnern zuweilen als »Judenklubs« denunziert werden, obwohl der Anteil jüdischer Mitglieder in der Regel gering ist.
Entscheidend ist nicht ihre Zahl, sondern ob sie im Klub Funktionen bekleiden und Einfluss besitzen. In den meisten Fällen sind es keine »Arbeitervereine«, sondern »bürgerliche Klubs«, in denen Juden ein Betätigungsfeld finden.
Bei Eintracht Frankfurt heißt der Hauptsponsor seit Mitte der 1920er J. & C.A. Schneider, mal als »größte Schuhfirma des Kontinents«, mal sogar als »größte Schuhfirma der Welt« beschrieben. Besitzer des Unternehmens, in dem täglich mehr als 3.000 Angestellte bis zu 75.000 Paar Schuhe (und »Hausschlappen«) produzieren, sind die drei jüdischen Geschäftsleute Lothar Adler, Fritz Adler und Walter Neumann. Insbesondere Walter Neumann, genannt der »Schlappe-Stinnes«, hat sich der Eintracht verschrieben, deren Spieler man bald »Schlappe-Kicker« nennt. 1949 heißt es in der Festschrift »50 Jahre Eintracht« rückblickend: »Der Mann, der die Eintracht führte, ohne auf dem Präsidentenstuhl zu sitzen, hieß Walter Neumann.« Auf der Lohnliste der Firma stehen Leistungsträger wie Nationalspieler Rudi Gramlich und Willi Lindner, ebenso Eintrachts jüdischer Schatzmeister Hugo Reiß.
Lokalrivale FSV Frankfurt, in den 1920ern eine große Nummer im deutschen Fußball, wird von zwei Juden geführt: zunächst vom Mediziner Dr. David Rothschild und anschließend von Alfred Meyers, Direktor der IG Farben und Erbauer des FSV-Stadions am Bornheimer Hang. Einer der wichtigsten Förderer des VfR Mannheim ist der jüdische Textilgroßhändler Max Rath, der 1921 den jungen Sepp Herberger vom »Arbeiterverein« Waldhof zum bürgerlichen VfR lockt.
Bei den Stuttgarter Kickers engagieren sich als Mäzene die Bettfederfabrik Rothschild & Hanauer, der Schuhfabrikant Moritz Marx und der Lederfabrikant Hugo Nathan. Als die Kickers 1929 und 1933 württembergischer Meister werden, heißt der Meistercoach Fritz Kerr. Als Aktiver hat Kerr für die Wiener Hakoah und die österreichische Nationalelf gespielt. Seine erste Trainerstation war der jüdische Sportklub Hasmonea im polnischen Lemberg (heute Ukraine) gewesen.
Bei Tennis Borussia Berlin ist die zentrale Figur des Vereinslebens bis 1933 der Jude Alfred Lesser. Lesser ist nicht der einzige jüdische TeBe-Funktionsträger. Der englische Sozialwissenschaftler Mike Ticher kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass weit über zehn Prozent der Mitglieder Juden waren. Für die Führungsetage vermutet er das Doppelte oder gar Dreifache. Im Oktober 1924 ist TeBe der erste deutsche Verein, der nach dem Ersten Weltkrieg gegen eine Elf des französischen »Erzfeindes« antritt – die heikle außen- und sportpolitische Mission wird vermutlich von Außenminister Gustav Stresemann angeregt. Star des Teams ist der Jude Simon »Sim« Leiserowitsch, Vorbild der späteren Berliner Fußballlegende Hanne Sobeck.
Der Aufstieg des 1. FC Nürnberg zu einem deutschen Spitzenklub ist eng mit dem Namen des jüdischen Rechtsanwalts Dr. Leopold Neuburger verbunden. Unter seiner Club-Präsidentschaft (1912-14 und 1919-21) werden »in entscheidenden Phasen der Entwicklung des Vereins die Weichen gestellt« (Club-Chronist Bernd Siegler). Dazu gehört der Bau der berühmten Kampfbahn »Zabo« wie der Aufbau einer spielstarken Mannschaft, die 1920 die erste Deutsche Meisterschaft für den Club gewinnt, der in fast der gleichen Besetzung vier weitere folgen.
Als der 1. FC Nürnberg 1925 sein 25-jähriges Jubiläum feiert, bereichert Neuburger die Festschrift mit einem Beitrag zum Thema »Sport und Politik«, der vielleicht repräsentativ ist für das Denken vieler deutsch-jüdischer Fußballfunktionäre im bürgerlichen Fußball. Neuburger bevorzugt eine Verbands- und Vereinspolitik auf »politisch und religiös neutraler Grundlage«. Der Sportler darf zur Politik Stellung beziehen, aber »während der sportlichen Betätigung muss er vermeiden, Politiker sein zu wollen«. Neuburger grenzt sich sowohl gegen die sozialdemokratische Arbeiter-Sport- und Turnbewegung wie gegen die deutsch-nationalistische und konservative Turnerschaft ab, die »im Gegensatz zu uns von politischen Einflüssen niemals freigeblieben« sei. Er bemängelt die »allzu deutliche Hervorhebung des Wortes ›deutsch‹ (…), als schritte sie (die Turnerschaft, d. A.) bereits auf einem Wege, der in gerader Richtung auf den Nationalismus zuführt«. Neuburger versteht den Sport als Mittel zur Völkerversöhnung: »Je enger sich die internationalen Bande des Sportes knüpfen, umso mehr werden bei den einzelnen Völkern das Verständnis und die Achtung für das Wesen des anderen geweckt und gefördert.«
Die (weiter unten dargestellte) Politik des DFB, den Spielverkehr mit ausländischen Profiteams zu unterbinden, stößt auf völliges Unverständnis: »Wollte man die Sportausübung in den Grenzen des Landes festhalten, wollte man in strenger Durchführung dieses Gedankens alle ausländischen Einflüsse auf das deutsche Sportlerleben unterbinden, der Sport müsste an dieser Inzucht zugrunde gehen.«
Landauer: »Mit weitschauendem Blick…«
Last but not least: der FC Bayern München, wo Kurt Landauer 1919 ein zweites Mal den Vorsitz übernimmt und den Klub schließlich 1932 zum ersten deutschen Meistertitel führen wird. Landauers zweite Amtszeit beginnt im Januar 1919, inmitten der revolutionären Wirren. Der Bayern-Präsident wohnt mit zwei Brüdern (vermutlich Franz und Leo) in einer Wohnung in Schwabing, versorgt von der jungen protestantischen Haushälterin Maria Baumann.
Landauer ist, wie die Macher des Films »Kick it like Kurt« in ihrem Film-Exposé schreiben, »ein lebenslustiger Mensch, Frauen durchaus zugetan, aber eben in erster Linie Präsident des FC Bayern. Heirat und Familiengründung liegen ihm fern.« In München ist Landauer »bekannt wie ein bunter Hund«, berichtet sein Neffe Uri Siegel. An eine »athletische Figur, mehr so tendiert auf einen Gewichtheber als auf einen Fußballer«, und einen »Kavalier der alten Schule (…), tipptopp gekleidet«, erinnert sich Hans Schiefele. Im Stadion habe Landauer »in der ersten Reihe gesessen, im Winter mit einer Pelzmütze und mit einem Pelzkragen im Mantel«.
Schiefele, für die 1. Mannschaft des FC Bayern von 1937 bis 1943 am Ball, von Beruf Journalist im Sportressort der »Süddeutschen Zeitung« und von 1987 bis 2002 Vizepräsident des Klubs, hat den legendären Vereinsboss schon »als Bub kennengelernt« und »ihn immer bewundert«. Zu dieser Zeit arbeitet Landauer noch als Buchhalter im Familienbetrieb in der Kaufingerstraße 26 (Werbung: »Das erste Haus für Damenmoden«). Seine Spieler versorgt er immer mal wieder mit Textilien.
Das Klischee vom bürgerlichen Juden kann Landauer nur bedingt bedienen. Der Bayern-Boss wird als »bayerisches Urgestein« beschrieben, der die Münchner Lebensart »mit Schweinsbraten und allem« zelebriert habe. Zugleich heißt es aber auch, Landauer sei »überaus ideenreich«, weitblickend«, »akkurat und auf größtmögliche Korrektheit bedacht« gewesen.
Der Bayern-Präsident ist kein gläubiger Jude, geschweige denn Zionist. Für Heike Specht war Kurt Landauer »ein glänzendes Beispiel« jener Münchner Juden, die »sich der Stadt, in der sie lebten, sehr verbunden fühlten. Für viele machte die bayerische Lebensart und Kultur, ja selbst die stolze Abgrenzung gegenüber allem Preußischen einen wichtigen Teil ihres Selbstverständnisses aus. Man liebte die Museen und Theater, die Biergärten und nicht zuletzt die Seen und Berge des Umlandes. Über Jahrzehnte brachten die Juden Münchens, zum Teil sehr erfolgreich, Judentum und Bayerisch-Sein in Einklang.«
Mit Kurt Landauers Rückkehr auf den Präsidentenstuhl brechen für den Klub neue Zeiten an. Man erinnert sich an die Hoffnungen, die man vor dem Weltkrieg an ein Engagement von William J. Townley geknüpft hatte. Ambitionierte Klubs wie der FC Bayern scheren sich nicht um politische Verstimmungen und Feindschaften, Profis wie Townley ebenfalls nicht. Kaum ist der Krieg zu Ende, holt man den britischen Entwicklungshelfer wieder zurück.
Der FC Bayern gibt sich nun ambitionierter denn jemals zuvor. Landauer will an die Spitze des deutschen Fußballs. Investitionen in die Mannschaft haben für ihn vor dem Bau eines eigenen Stadions Vorrang – zum Unverständnis vieler Klubmitglieder.
In diesem Prozess avanciert Kurt Landauer nun zu einem der großen Visionäre und treibenden Kräfte im deutschen Klubfußball. Sein FC Bayern gehört bald zu den fortschrittlichsten Klubs in Deutschland. Damit verbunden sind zum Teil heftige Konflikte mit dem DFB und dessen Konservativismus. Insbesondere in der Profifrage gerät man ein ums andere Mal aneinander. Landauer spricht hier nicht nur für den FC Bayern, sondern agiert auch als »Führer der großen süddeutschen Ligavereine, die in nützlichen Fragen stets immer dem Bayernvorsitzenden die Vertretung gegenüber dem Verband beließen« (»25 Jahre FC Bayern«).
1920 schließt Landauer für seine Spieler eine Unfallversicherung ab, ein erster Schritt in Richtung der von ihm befürworteten Professionalisierung.
In der Festschrift zum 25-Jährigen steht über den Bayern-Boss Landauer: »Seine überaus große Arbeitsleistung, er bewältigte die vielen Jahre hindurch oftmals neben dem Amt des ersten Vorsitzenden auch alle schriftlichen Arbeiten, haben wir das Ansehen zu danken, dass wir heute in der Sportwelt des In- und Auslandes genießen. Mit weitschauendem Blick war Kurt Landauer stets bemüht, für die FA (Fußballabteilung, d. A.) und den FC Bayern das zu schaffen, was für ihn von größter Wichtigkeit war.«
»Wer die Jugend hat, hat die Zukunft«
Bereits 1901 hatte der Klub eine Jugendabteilung ins Leben gerufen, die nun in den Weimarer Jahren erheblich ausgebaut wird. »Wer die Jugend hat, hat die Zukunft« lautet das Motto, unter dem Siegfried Herrmann als Jugendleiter und sein Stellvertreter Otto Albert Beer eine Nachwuchsarbeit betreiben, die in Deutschland einzigartig ist. Und mit der die Grundlagen für den Gewinn der Deutschen Fußballmeisterschaft 1932 gelegt werden.
Otto Albert Beer ist ein Sohn des jüdischen Facharztes Dr. Heinrich Beer, der sich im Januar 1900 in der Münchner Maffeistraße niedergelassen hatte. Später praktiziert Heinrich Beer in der Lindenschmittstraße 25. Beer junior besucht in München das Gymnasium und erlernt anschließend den Beruf des Textilkaufmannes. Der Bayern-Funktionär wird Teilhaber der Firma Theilheimer & Beer, einer Warenagentur in der Landwehrstraße 64/I, die später in die Herzog-Heinrich-Straße 10 umzieht.
An der Ungererstraße in Schwabing werden für den FC Bayern Jugendspielplätze geschaffen und große Umkleidehütten mit Waschgelegenheiten aufgestellt, die fast 30 Mannschaften zugleich aufnehmen können. Für die Instandhaltung von Plätzen und Hütten sorgt ein eigener Platzwart. Der FC Bayern lässt sich seine Jugendarbeit einiges kosten. »Über 10.000 Mk. hatte der F.C. Bayern seinem Jugendleiter zur Verfügung gestellt, um das alles schaffen zu können.« (»50 Jahre FC Bayern«).
In der Saison 1927/28 zählt die Jugendabteilung insgesamt 535 Mitglieder, die sich auf 36 Mannschaften verteilen (fünf Junioren, 17 Jugendliche, 14 Schüler). Der FC Bayern darf sich des größten Jugendbetriebs im deutschen Vereinsfußball rühmen, der auch sportlich kräftig abräumt. So gewinnt die Bayern-Jugend 1927/28 zehn der 14 Gruppenmeisterschaften, und von den zu vergebenden neun Jugendmeistern von München entfallen sechs auf die jungen Rothosen. In dieser Saison gibt der Klub allein für seine Jugend die stattliche Summe von 7.949,30 Mark aus.
Beim FC Bayern findet aber auch der »Breitenfußball« ein Zuhause. Unter dem Dach des Klubs tummeln sich zahlreiche Firmen- und Privatmannschaften, so auch die Kicker der Kaufhäuser Hermann Tietz (heute: Hertie) und Uhlfelder, deren Besitzer Juden sind. Der aus Posen stammende Hermann Tietz gehörte zu den Pionieren dieser neuen Form des Warenhandels. Sein erstes Kaufhaus hatte er 1904 am Berliner Alexanderplatz eröffnet. Die Münchner Niederlassung am Bahnhofplatz war das größte Kaufhaus in der bayerischen Metropole, gefolgt vom 1878 gegründeten Kaufhaus Uhlfelder im Rosental. Das Kaufhaus Uhlfelder wandte sich an eher niedrige Einkommensgruppen und war 1931 das erste in München mit einer Rolltreppe. Das Unternehmen hatte zeitweise gleich zwei Betriebsmannschaften beim FC Bayern. Neben Tietz und Uhlfelder kickten noch weitere im Besitz jüdischer Bürger befindliche Unternehmen beim FC Bayern: Bamberger & Hertz, Friediger, Hahn & Bach und Neuburger D.M.
»Der Kicker«: Völkerverständigung durch Sport
1920 ruft Walther Bensemann den »Kicker« ins Leben. Bensemann-Biograph Bernd-M. Beyer: »Anfangs war die wöchentlich erscheinende Zeitung ein reines Ein-Mann-Unternehmen, chaotisch verwaltet und von ewiger Geldnot verfolgt. Ihre Kernregion war Süddeutschland; die Redaktion residierte zunächst in Konstanz, dann in Stuttgart, Ludwigshafen und schließlich in der Fußballhochburg Nürnberg. Einen Großteil des Inhalts füllten regionale Beiträge, doch für Profil und Aufsehen sorgten vor allem die fundierten Korrespondentenberichte aus dem Ausland sowie Leitartikel, die Bensemann allwöchentlich als ›Glossen‹ veröffentlichte. Diese ›Glossen‹ waren oft journalistische Meisterstücke, in denen Elemente der Nachricht, der Reportage, des Kommentars, der Satire, des Reiseberichts und der Leseransprache kühn miteinander vermengt wurden – nicht selten auf durchaus hohem intellektuellen Niveau und garniert mit Auskünften über die privaten Befindlichkeiten des Verfassers.« 50 Jahre nach der »Kicker«-Gründung wird der bekannte Sportpublizist Richard Kirn Bensemanns »Glossen« als »ungewöhnliche Arbeiten« und »das Bedeutendste, was je ein deutscher Sportjournalist geschrieben hat«, preisen.
Bensemann fühlt sich durch den Ersten Weltkrieg in seiner internationalistischen und pazifistischen Idee vom Sport bestätigt. Den Krieg habe er »doppelt empfunden«. Es seien »Jahre der Trauer« gewesen, »um meine eigenen Landsleute, deren Pyrrhussieg mir das Ende nicht verschleiern konnte; Jahre der Trauer um liebe Kollegen, liebe Schüler aus meiner (…) Tätigkeit in England.« Engstirniges Nationaldenken ist dem polyglotten Fußballpionier nun mehr denn je zuwider: »Auf den Geburtsort des Menschen kommt es so wenig an, wie auf den Punkt, von wo er in den Hades fährt.« Seinen »Kicker« betrachtet Bensemann als »Symbol der Völker-Verständigung durch den Sport«.
In der ersten Ausgabe vom 14. Juli 1920 widmet sich der Ex-Münchner auch dem 20. Stiftungsfest des FC Bayern. »Wenn die ›Bayern‹ Feste feiern, dann geht es fidel zu; ich habe leider nur einen der Festabende der vergangenen Woche mitmachen können; aber ich kenne das System und verneige mich vor Ferdl Weiss und seinen Mitkünstlern.«
Der Mann, dem Bensemann seine Hochachtung entbietet, wird Jahre später sein Publikum mit antisemitischen »Späßen« unterhalten. Weiß Ferdl zählt zur Zunft der Gesangshumoristen, einer Münchner Spezialität, deren Blütezeit in die 50 Jahre vor und nach der Jahrhundertwende fällt, als sich, wie Klaus Pemsel schreibt, »die Handwerker- und Kleinbürgerseele in aller dumpfen Begrenztheit und geselligen Amüsiersucht breitmachte, nur am Rande von der Schwabinger Boheme angegriffen«. Die komischen Vorträge, Parodien und Possen »blieben immer ausgesprochen volkstümlich, ortsverbunden und stereotyp, kurz, sie blieben auf dem Erwartungsniveau des Publikums und dienten dem einfachen Unterhaltungsbedürfnis.«
Internationaler Sportverkehr
1921 schreibt Walther Bensemann: »Wenn man die Unmenge der internationalen Spiele betrachtet, möchte man fast doch daran glauben, dass wir endlich wieder in unserem zerfleischten Europa einen wirklichen Frieden haben; nicht mehr den, der nur ein verdeckter Krieg ist, sondern einen wirklichen, wahrhaftigen Frieden. Unser Fußballsport hat den Frieden gemacht – das ist einmal gewiss.«
Die DFB-Führung steht Bensemanns Sport-Internationalismus und -Pazifismus eher feindselig gegenüber. Als Bensemann im April 1923 den Verband bezichtigt, er habe in Verhandlungen über Länderspiele gegen Ungarn und Schweden einen »Mangel an Diplomatie« gezeigt und ein »Kabinettstück an Taktlosigkeit« abgeliefert, kontert der angesprochene DFB-Funktionär Felix Linnemann, zuständig für internationale Beziehungen und ein zum Gärtner gemachter Bock, dem »Kicker«-Herausgeber: »Sie denken zu international. Sie wissen ja selbst, dass Sie nicht nur in fremden Sprachen träumen. Sie fühlen leider nach meinem Empfinden auch zu stark in fremder Mentalität.«
Als der Verband 1925 sein 25-jähriges Bestehen feiert, verzichtet man erst nach harscher Pressekritik auf das Hissen der angestammten Verbandsfahne in den Kaiserreich-Farben Schwarz-Weiß-Rot. Dafür verunziert man die Festschrift mit diesen. Ein Jahr später verkündet der Vorstand des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen (DRA), darunter der mittlerweile zum DFB-Vorsitzenden aufgestiegene Linnemann, die Turn- und Sportwelt bilde für die ersehnte neue Reichswehr eine »freiwillige Kerntruppe«, »die durch keinen Friedensvertrag verboten ist«.
Auch beim Bayern-Rivalen TSV 1860 hält sich die Begeisterung für den »Sport-Internationalismus« in Grenzen. So fordert im April 1923 der »Löwen«-Vorsitzende Dr. Ernst Müller-Meiningen laut »Kicker«: »Sportliche Wettkämpfe dürften zurzeit nicht nur nicht mit Frankreich und Belgien, sondern auch nicht mit Italien, Polen, Tschechoslowakei usw. ausgetragen werden. Wer nicht so viel nationalen Stolz habe, schade der deutschen Turn- und Sportbewegung und gäbe denen recht, die in dieser Bewegung zersetzende Einflüsse feststellen möchten. Jetzt heißt es: nationale Interessen über alles andere.«
Walther Bensemann und Kurt Landauer haben mit diesem engstirnigen Nationalismus nichts am Hut. Zumal beide wissen: Um den deutschen Fußball qualitativ voranzubringen, bedarf es internationaler Kräftemessen jetzt – und nicht erst zu einem Zeitpunkt, wo man dem Gegner auf Augenhöhe begegnet oder gar überlegen ist.
Bei einigen der internationalen Begegnungen des FC Bayern hilft Bensemann Landauer mit seinen zahlreichen internationalen Kontakten – u. a. nach Prag und Budapest, wohin er wiederholt gereist ist. Der FC Bayern ist nicht der einzige Klub, dem der »Kicker«-Herausgeber außenpolitisch unter die Arme greift. Auch der Bayern-Pate FC Freiburg kommt in den Genuss Bensemann’scher Hilfe. FFC-Chronist German Kramer: »Er war derjenige, der die vielen Auslandseinsätze des FFC organisiert und angeleiert hat. Es gibt viele Belege hierzu in den Clubnachrichten des FFC.«
Dass es Kurt Landauer und Walther Bensemann nicht nur um ein sportliches Kräftemessen geht, sondern auch um Völkerverständigung, dokumentiert ein Bericht Bensemanns über ein Bankett im »Bayerischen Hof«, das sich dem Spiel der Bayern gegen die Northern Normads, ein Team von Kickern aus Liverpool und Manchester, anschloss: »Die Worte des englischen Präsidenten erhoben sich über das übliche Niveau derartiger Festreden. (…) Dieser Mann, der den Krieg in Frankreich vom August 1914 bis November 1918 an der Front mitgemacht hatte, schloß mit den Worten: ›Das Vergangene ist vergangen, für uns sind Sie wieder liebe Kameraden. Kameraden im völkerversöhnenden Sport.‹ Überhaupt waren die Engländer von dem Empfang, den ihnen der F.C. Bayern bereitet hatte, gerührt und begeistert. (…) Die Münchener Hotelindustrie braucht eine sorgfältige, ausgedehnte und nie ermüdende Propaganda, um das in Jahrzehnten gutzumachen, was die Fremdenpolizei in Jahren verpatzt hat. Und Deutschland braucht Tausende und Abertausende ausländische Sportleute der guten Klasse, die sich bei uns wohlfühlen können und in ihren Ländern die Überzeugung von den faustdicken Lügen feindlicher Propaganda mit zurücknehmen und verbreiten können.«
Im Zeitraum vom 8. Juni 1919 bis 29. Juni 1933 bestreitet der FC Bayern die beeindruckende Zahl von 56 internationalen Begegnungen. Eingeläutet wird diese Serie bereits am 6. Juni 1919 mit einem Spiel gegen den FC St. Gallen, Bayerns erster ausländischer Gast seit dem 9. Mai 1914. An der Leopoldstraße gewinnen die Hausherren mit 4:1.
Der FC St. Gallen bleibt mit acht Begegnungen bis 1933 Bayerns häufigster ausländischer Gegner. Lausanne Sports, FC Basel, FC Bern, Young Fellows und Grasshoppers Zürich und Servette Genf bringen die Zahl der Spiele gegen Teams aus der Schweiz auf 20. Zehnmal geht es gegen Klubs aus Wien (Rapid, Amateure/Austria, WAC und Vienna), viermal gegen Klubs aus Prag (Slavia, Sparta, DFC) und dreimal gegen Klubs aus Budapest (MTK, MAC, Ferencváros). Aus England kommen noch der FC Chelsea, West Ham United, Bolton Wanderers und Birmingham City, aus Südamerika die Boca Juniors Buenos Aires und Penarol Montevideo.
Die meisten Zuschauer mobilisiert Penarol. 1924 hatte Uruguay das olympische Fußballturnier gewonnen, mit 22 Nationalteams die bis dahin größte dieser Veranstaltungen und mit den südamerikanischen Teilnehmern das erste interkontinentale Länderturnier. Für die Münchner Presse sind die Penarol-Kicker »Weltmeister«. Am 10. April 1927 besiegt der FC Bayern Penarol Montevideo vor der Rekordkulisse von 30.000 Zuschauern an der Grünwalder Straße durch ein Tor von Josef Pöttinger und ein Eigentor des Uruguayers D’Agosto mit 2:1.
»Markstein in der Geschichte des Sports«
Sein 25-jähriges Wiegenfest feiert der FC Bayern nicht irgendwo, sondern im Deutschen Theater, was vor ihm noch kein Münchner Fußballklub gewagt hat. Die Verbindung zum Theater stellt dessen Pächter und Leiter Hans Gruß her, seit 1912 und bis zu seinem Tod 1959 Mitglied des FC Bayern. 1924 hat Gruß in Starnberg das mondäne Strandrestaurant »Undosa« eröffnet, in dem der FC Bayern wiederholt zu Gast ist. Unter der Leitung von Gruß wird das Deutsche Theater zu einem Operetten- und Revue-Theater, wie man es aus anderen europäischen Metropolen kennt. Gruß lässt im Haus auch ein Nobelrestaurant einbauen. Der umtriebige Theaterleiter gründet ein eigenes Ballett aus 36 Tänzerinnen. Dass sich München zu einem Zentrum des modernen Tanzens entwickelt, ist maßgeblich das Werk von Hans Gruß. In seinen Ausstattungsrevuen wirken auch Karl Valentin und Liesl Karstadt regelmäßig mit. Auch der Münchner Fasching wird durch Gruß bereichert, der hier u. a. das bald weltberühmte Faschingsfest »Venetianische Nacht« aufleben lässt. Als die Nazis 1933 die Macht übernehmen, ist Hans Gruß Parteigenosse. Trotzdem muss er bald als Intendant zurücktreten, da er unverändert Stücke jüdischer Autoren aufführt.
Doch zurück zum Festakt der Bayern im Deutschen Theater, über das »Kicker«-Korrespondent Kraus schreibt: »Es darf ruhig behauptet werden, dass wohl noch kein Fußballverein mit einer solch glänzenden Veranstaltung in der breiten Öffentlichkeit aufgetreten ist. (…) Anwesende Vertreter von Staat, Gemeinde, Reichswehr und Polizei u.s.f. gaben beredtes Zeugnis davon, welchen guten Ruf und guten Klang der FC Bayern überall besitzt.« Das Orchester des Deutschen Theaters spielt, ein Fest-spiel mit dem Titel »Beim himmlischen Torwächter« wird aufgeführt, Rezitationen werden vorgetragen, und ein Sänger der Staatsoper tritt auf.
Der stilvolle Festakt ist ganz nach dem Geschmack von Walther Bensemann. Landauer hebt den Fußballsport auf ein kulturell und gesellschaftlich neues Niveau und führt ihm neue Kreise zu, was der »Kicker«-Herausgeber in seiner Zeitschrift zu würdigen weiß: »Dieser Festabend wird jahrelang im Gedächtnis der Tausende von Teilnehmern haften bleiben, denn er bot gar Vielen, als da sind: Bürgermeister, Generäle, Stadträte, Industriemagnaten, Gelehrte aller Observanzen und andere Freundlichkeiten, einen bisher ungeahnten Kontakt mit unserem Sport. (…) In farbenreichen Bildern wurde uns und den Andern illustriert, was Curt Landauer in seiner sehr einfachen, sehr ausgezeichneten Rede zuvor erläutert hatte: die ethische Macht des Sports. Dies war keine Jubiläumsfeier eines großen Clubs mehr, sondern ein Appell an das Gewissen einer großen, berühmten und künstlerisch hervorragenden Stadt. Am 13. Juni 1925 ist der Münchener Fußballsport, vertreten durch den F.C. Bayern München, in jene Kreise eingedrungen, die ihm bis jetzt vielleicht nicht feindselig, aber herablassend oder neutral gegenüberstanden. Die Festvorstellung im Deutschen Theater war ein Markstein in der Geschichte des Sports. Genau wie das Erscheinen der Corinthians in Hamburg, genau so wie der erste Besuch der Freiburger in Straßburg nach dem Kriege; nur dass sich der Appell diesmal nicht ans Ausland, sondern an die oberen Kasten der eigenen Volksgenossen richtet. (…) Hier hat zum erstenmal im deutschen Sport die Theorie die Praxis überflügelt.«
Antiliberalismus
Doch das »Gewissen einer großen, berühmten und künstlerisch hervorragenden Stadt« beginnt sich zu dieser Zeit auf ganz andere Art zu belasten: München zeigt sich früh anfällig für nationalsozialistische Propaganda. Am 24. Februar 1920 war im Münchner Hofbräuhaus die Nationalsozialistische Partei Deutschlands (NSDAP) aus der Taufe gehoben worden, durch Umbenennung der 1919 im Café Gasteig gegründeten kleinen Deutschen Arbeiterpartei (DAP). Knapp drei Jahre später, Ende Januar 1923, hält die Partei im Münchner Löwenbräukeller ihren Reichsparteitag ab. München, Bayern und Österreich sind Adolf Hitlers erste Rekrutierungsgebiete.
Im Herbst 1923 werden in München eine Reihe antisemitischer Attacken registriert. Die Fenster der großen Synagoge werden eingeschlagen, die Laubhütte eines Juden wird angezündet, und in einer anderen Münchner Synagoge werden Gottesdienstbesucher beleidigt und belästigt.
Am 8./9. November 1923 kommt es in München zu einem rechtsextremistischen Putschversuch, angeführt von Adolf Hitler und Erich Ludendorff. Ex-Quartiermeister Ludendorff war nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Idol der völkischen, chauvinistischen und antirepublikanischen Kreise aufgestiegen. Auf einer bierschwangeren Versammlung im Haidhausener Bürgerbräukeller proklamiert Hitler eine »provisorische deutsche Nationalregierung« und bricht – nach dem Vorbild der italienischen Faschisten um Mussolini – mit seinen Getreuen zum »Marsch auf Berlin« auf, der allerdings in einer Schießerei vor der Feldherrnhalle am Odeonsplatz endet.
Die Bierkeller werden beim Aufstieg Münchens zur Hauptstadt der braunen Bewegung eine wichtige Rolle spielen. Der Politikwissenschaft-ler Martin Hecht: »Der Marsch (…) entpuppte sich (…) als ein selten erbärmlicher Zug alkoholisierter und/oder schon verkaterter Bierdimpf und Zechbrüder, die sich eine Nacht lang gewaltig die Kante gegeben hat-ten. Hitlers Münchner Helfer waren zum großen Teil schwer angeschlagene, enthemmte und, heute würde man sagen: ziemlich durchgeknallte Saufnasen. Nun könnte man einwenden, gesoffen wurde und wird überall in Deutschland – zumal in Krisenzeiten. Wo München den Unterschied macht: Nur hier gab es in hohem Maß eine so unheilvolle Verknüpfung von Suff und Politik. Ironisch gesprochen: Die Bierkeller wurden hier zur Agora. Sie gaben die Bühne für Hitlers publikumswirksame Auftritte ab, sie begründeten erst seine Popularität – schließlich auch in den großbürgerlichen Kreisen.«
So operettenhaft der Marsch auf die Feldherrnhalle, bei dem vier Polizisten und 16 Putschisten ums Leben kommen, auch anmuten mag: Für Münchens Juden brachte die Aktion Stunden der Angst. Und sie liefert einen weiteren Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. So wird der Rabbiner Baerwald von Nazis aus seiner Wohnung geholt und vor die Stadt gefahren, wo man ihn an einen Baum fesselt, einen Revolver auf ihn richtet und mit seiner Erschießung droht.
Nach dem verlorenen Krieg hatte sich das politische Klima in München gründlich verändert. Einst war die bayerische Metropole – nicht zuletzt dank der Bayern-Heimat Schwabing und Maxvorstadt – zum geistigen Gegenpol des wilhelminischen Berlin avanciert. Um die Jahrhundertwende galt München als heimliche Hauptstadt für alle, die das wilhelminische Preußen als Inbegriff des Anti-Liberalen ablehnten. Tho-mas Mann, der von 1910 bis 1913 zunächst in der Mauerkircherstraße und anschließend in der Poschingerstraße (heute: Thomas-Mann-Allee) im Stadtteil Bogenhausen lebte, charakterisierte die Atmosphäre als eine »der Menschlichkeit, des duldsamen Individualismus, der Maskenfreiheit«.
Doch im Lauf der 1920er setzt ein radikaler Wandel ein. Münchens Juden erleben »früher als Juden in anderen Teilen Deutschlands (…), wie sich die Atmosphäre in ihrer Heimatstadt veränderte, wie sich die Stimmung radikalisierte und sich die bayerische Staatsregierung auf dem rechten Auge als blind erwies« (Heike Specht).
Entsprechend milde werden die nationalsozialistischen Putschisten behandelt: Hitler kommt mit fünf Jahren Festungshaft davon, sein Mitstreiter Ludendorff wird mit Verweis auf seine »Verdienste« im Ersten Weltkrieg sogar freigesprochen. Von einer Ausweisung des Ausländers Hitler wird abgesehen, da, so das Gericht, »auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler, (…) die Vorschrift des Republikschutzgesetzes ihrem Sinn und ihrer Zweckbestimmung nach keine Anwendung finden« kann.
Am 6. April 1924, wenige Tage nach Hitlers Haftantritt, wird der Bayerische Landtag gewählt. Sämtliche demokratischen Parteien erleiden Verluste, insbesondere die liberale DDP, die zehn ihrer bis dahin 13 Sitze verliert. Hingegen kann der aus Nationalsozialisten und völkischen Sympathisanten geschmiedete Völkische Block die Zahl seiner Abgeordneten von zwei auf 23 erhöhen. Bereits am 20. Dezember 1924 ist Adolf Hitler wieder ein freier Mann und kehrt auf Münchens Straßen zurück.
»Nicht nur, dass die Münchner Juden Adolf Hitler und andere Nazi-Funktionäre quasi als Nachbarn ertragen mussten – der zukünftige ›Führer‹ im braunen Mantel und mit seinem Schäferhund an der Leine gehörte zum Leidwesen vieler ab Mitte der zwanziger Jahre zum Straßenbild – man musste auch mit ansehen, wie die SA die Plätze der Stadt als Aufmarschgebiet benutzte, darauf erpicht, aus ihr die ›Hauptstadt der Bewegung‹ zu machen.« (Heike Specht)
Zur Hochburg des lokalen Antisemitismus gerät die Universität, wo bereits Mitte der 1920er Jahre die Präsenz von Juden, ob als Lehrende oder Lernende, ganz offen infrage gestellt wird. An der Zweiten Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität kommt es seit dem Hitler-Putsch zu antisemitischen Aktionen gegen den Chemiker Richard Willstätter, dem 1915 für seine »Untersuchungen der Farbstoffe im Pflanzenreich, vor allem des Chlorophylls«, der Nobelpreis verliehen wurde. 1925 schlägt Willstätter für einen frei werdenden Posten den Osloer Wissenschaftler Viktor Moritz Goldschmidt vor. Doch das Kollegium votiert mehrheitlich gegen Goldschmidt, denn der Kandidat ist wie Willstätter Jude. Willstätter gibt seine Professur ab. Einigen Kollegen wirft er vor, sie würden antisemitischen Erwägungen ein höheres Gewicht einräumen als wissenschaftlichen Leistungen. Ohne Professur setzt er seine Forschungstätigkeit an der Uni München fort, auch noch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. Am 4. März 1939 wird er in die Schweiz emigrieren, wo er in der chemischen Industrie, bei Sandoz in Basel, arbeitet.
Bereits Mitte der 1920er Jahre sind mehr und mehr Intellektuelle, Schriftsteller, Schauspieler und Regisseure der sich radikalisierenden Atmosphäre überdrüssig und verlassen München, das sie »jahrzehntelang (…) wegen seiner Offenheit und Hochschätzung der Kunst so geliebt hat-ten« (Heike Specht). Bertolt Brecht zieht 1925 nach Berlin, Lion Feuchtwanger, Sohn eines jüdisch-orthodoxen Margarinefabrikanten, und seine Frau Maria folgen ihm wenig später. 1928 wählt auch Heinrich Mann die Reichshauptstadt zum neuen Wohnsitz.
Thomas Mann, der bis 1933 in München bleibt, gehört zu den Ersten, die vor rechtsradikalen Tendenzen in Schwabings Schickeria warnen. Denn auch das einst so liberale Schwabing wird vom Antisemitismus durchdrungen. Mitte der 1920er ist die NSDAP-Sektion Schwabing die stärkste in der Stadt. Nicht von ungefähr eröffnet Hitler seine Parteizentrale (das »Braune Haus«) in der Briennerstraße in der Maxvorstadt (zuvor saß die Partei in der Schellingstraße).
In seinem 1930 erscheinenden Roman »Erfolg«, einem Porträt Münchens der 1920er, beschreibt Lion Feuchtwanger den Wandel seiner Heimatstadt seit dem Ersten Weltkrieg: »Früher hat die schöne, behagliche Stadt die besten Köpfe des Reiches angezogen. Wie kam es, dass die jetzt fort waren, dass an ihrer Stelle alles, was faul und schlecht war im Reich und sich anderswo nicht halten konnte, magisch angezogen nach München flüchtete?«
Der FC Bayern mit seinem jüdischen Präsidenten erscheint in diesen Jahren fast wie ein Fels in einer anschwellenden antisemitischen und antiliberalen Brandung.