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Licht ins Dunkel der Depression
Ein gebrochenes Bein, eine entzündete Zahnwurzel oder eine schwere Bronchitis – all das können leidvolle und bisweilen quälende Zustände sein. Die Ursachen und die damit verbundenen Beschwerden sind jedoch greifbar und meist verständlich. Heilkundige können die Symptome erklären und eine hilfreiche Behandlung initiieren, und die Patienten haben eine konkrete Erklärung, warum es ihnen gerade schlecht geht, warum sie leiden. Eine Depression entzieht sich alldem. Die abhandengekommene Lebensfreude, der fehlende Antrieb, die innere Leere, die vielen körperlichen Symptome und all die Schwere im Leben sind zwar deutlich spürbar und auch nach außen hin sichtbar, die Ursachen und Hintergründe bleiben jedoch meist lange Zeit schleierhaft. Das lässt direkt Betroffene wie auch das soziale Umfeld rätseln, was hier eigentlich genau vor sich geht. Es macht den Zustand der Depression etwas unheimlich und bietet viel Potenzial für Spekulation, Unverständnis und Einsamkeit. Doch das müsste es nicht. Jedenfalls nicht so ausgeprägt, wie es heute verbreitet der Fall ist.
Ob Depression, Burnout, Angst oder Panik: Fehlendes Wissen zu diesen Ausnahmezuständen des menschlichen Erlebens und Empfindens verzögert den Behandlungsbeginn. Aus Unwissenheit entsteht Unsicherheit, und so werden die belastenden Veränderungen des Gefühlslebens und die vielfältigen körperlichen Beeinträchtigungen oft verschleiert und verheimlicht. Auch dies verzögert den Genesungsprozess.
Manchmal werden depressive Symptome sogar mit Charaktereigenschaften gleichgesetzt. Das macht das zwischenmenschliche Miteinander so kompliziert. »Du bist immer so negativ, ich komme gar nicht mehr an dich ran«, monieren Angehörige und wenden sich ab – getrieben vom Eindruck, der andere habe kein Interesse mehr an der Partnerschaft oder gar eine Affäre. Dabei sind es die typischen Symptome der Depression, die diesen irreführenden Eindruck bewirken. Aufseiten der direkt betroffenen Menschen kann dieses Nichtwissen zu einer jahrelangen Odyssee durch Allgemein- und Facharztpraxen führen. Irgendwie müssen die körperlichen Symptome doch zu erklären sein!
Dieses Buch möchte Licht ins Dunkel der Depression bringen. Es zeigt auf, was depressive Symptome entstehen lassen kann und was sie aufrechthält und verstärkt. Welche Vorgänge verankern das depressive Erleben im Körper? Was hat Dauerstress mit Depression zu tun? Was verbinden Burnout und Depression – und was nicht? Wie wichtig sind die Eigenschaften Akzeptanz und Loslassenkönnen von Ereignissen, Situationen und Menschen? Und warum fällt uns dieses Loslassen oft so schwer? Gleichzeitig werden die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten skizziert. Was bewirken Psychopharmaka? Warum dürfen Beruhigungsmittel allenfalls sehr kurzfristig eingenommen werden? Und was passiert eigentlich genau bei einer Psychotherapie?
Das Wissen um diese Zusammenhänge kann für die Bewältigung zahlreicher Alltagssituationen hilfreich sein. Doch handelt es sich dabei naturgemäß um derbe Kost, und für Laien sind die Informationen zum Wesen der Depression in der Komplexität meist schwer verständlich. Deshalb habe ich als Stilmittel die Form des lebendigen Gesprächs gewählt. Der Autor spricht mit sich selbst. Diese sprachliche Darstellung folgt bewusst einer zwischenmenschlichen und alltagspraktischen Herangehensweise und weniger einer ärztlich-klinischen Perspektive. Dazu gibt es bereits viele Abhandlungen.
Dieses Buch beleuchtet zahlreiche Aspekte der Depression – und wie sich der Zustand depressiven Erlebens auf das Leben von Betroffenen und Angehörige auswirken kann. Diese Informationen sollten Angehörige jedoch keineswegs dazu verführen, die Persönlichkeit ihres Partners, Freundes oder Familienangehörigen zu durchleuchten oder ihn auf dieser Basis gar therapieren zu wollen. Aber sie können viel zum Verständnis füreinander beitragen, weil sie verdeutlichen, dass ein depressiv leidender Mensch oft nicht anders kann, als auf jene, für Depression so typische Art zu denken, zu fühlen und sich zu verhalten – und dass auch Angehörige oft gar nicht anders können, als auf die Not des anderen sowie die eigene Hilf- und Ratlosigkeit mit Stress zu reagieren.
Das alles macht aus einer Depression kein gebrochenes Bein, keine Zahnwurzelentzündung und keine Bronchitis, dennoch kann dieses Wissen helfen, den herausfordernden Alltag in Zeiten einer Depression besser zu meistern und das Verständnis füreinander, so gut es geht, zu wahren und vielleicht sogar zu fördern.
DIRK BIERMANN