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Vorspiel: die Entscheidung für den Beruf

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Sie werden sich fragen: Wie kommt jemand auf die Idee, nach einem halbwegs passablen Abitur ausgerechnet zur Polizei zu gehen?

Die Frage ist berechtigt, zählte ich doch bei meinem Abiturjahrgang 1974 zu den lediglich zwei Prozent, die nicht den Weg zur Uni eingeschlugen. Aber warum?

Ich hatte es satt, weiterhin zu lernen. Ich hatte es satt, kein eigenes Geld zur Verfügung zu haben. Ich hatte es satt, von meinen Eltern abhängig zu sein.

Da ich eigentlich ein Studium der Rechtswissenschaften angestrebt hatte und noch kurz vor dem Abi ein berühmter Rechtsanwalt wie z.B. Bossi werden wollte, machte ich mich danach auf die Suche nach einer möglichst ähnlichen Tätigkeit. Für Recht und Gerechtigkeit zu kämpfen, konnte man doch auch bei der Polizei - dachte ich mir.

Damit Sie verstehen, warum ich wurde, was ich bin, muss ich ein paar kurze Erläuterungen machen:

Ich wurde in Frankfurt am Main geboren und bin dort aufgewachsen. Bereits 1968 - ich war damals dreizehn Jahre alt - machten Andreas Baader und seine Komplizen in Frankfurt durch Brandanschläge auf sich aufmerksam. Sie wurden später als die Baader-Meinhof-Bande und noch später als die RAF bekannt. 1972 wurden Baader, Ensslin, Meinhof, Raspe und andere verhaftet. Das war zwei Jahre vor meinem Abi. 1973 wurde die 3. Fassung des BKA-Gesetzes geschaffen und das Bundeskriminalamt, dessen Zentrale sich schon damals, wie auch noch heute, unweit von Frankfurt in Wiesbaden lag, war auf einmal in aller Munde, da bei ihm ab diesem Zeitpunkt die deutschlandweite Zuständigkeit für Terrorismus und Staatsschutz lag. Gleichzeitig wurden dort zwei neue Abteilungen gegründet: die Abteilung TE (Terrorismus) und die Abteilung ST (Staatsschutz). Von denen werden sie später noch mehr lesen.

Was lag also näher, als mich mit dem Abi in der Tasche genau bei dieser Polizei zu bewerben. Ein zusätzlicher Pluspunkt war für mich zu dieser Zeit, dass der Polizeidienst von der Pflicht des Wehrdienstes bei der Bundeswehr befreite. Und da ich damals wirklich keinen Bock hatte, mich mit gleichaltrigen Jungs von irgendwelchen Ausbildern durch den Schlamm hetzen zu lassen, fiel mir die Entscheidung nicht schwer.

Man stelle sich vor, solche Ausbilder waren nach meinen Kenntnissen noch nicht mal Offiziere und hatten demzufolge auch kein Abitur. Absolut unvorstellbar!

Gesagt getan: Bewerbung geschrieben, zum Test eingeladen worden, nach Wiesbaden gefahren - und dann saß ich dort, zusammen mit dreißig anderen Jungs und Mädels und ließ mich drei Tage lang testen.

Mein erster Schock kam, als ich mit einigen anderen Bewerberinnen und Bewerbern auf die Tests wartete und feststellte, dass die nicht wie ich in einem mitgebrachten Perry Rhodan - Science-Fiction-Heftchen lasen, um die Wartezeit totzuschlagen, sondern alle den Spiegel, die Frankfurter Rundschau oder andere aktuelle Presseorgane studierten. Ich kam mir ehrlich gesagt ein wenig blöd vor.

Nun war ich schon immer ziemlich skeptisch und bin es noch heute, was die Qualität von Eignungstest angeht. Auf jeden Fall zog ein intellektuellen Zeitungsleser nach dem anderen mit eingezogenem Schwanz von dannen und ich ... blieb zu meiner Überraschung übrig. Wenn ich ganz ehrlich bin, kam ich mir damals wie ein Hochstapler vor, der es auf irgendeine Weise geschafft hatte, etwas vorzugaukeln, was er nicht hatte: Intelligenz und die Eignung für den Beruf des Kriminalisten.

Dennoch hatte man mir genau das bescheinigt und ich hatte die Papiere mit der Zusicherung der Einstellung bei der Kriminalpolizei des Bundes in der Hand. Eine Woche später kam mein Einberufungsbescheid zur Bundeswehr. Nach einem kurzen Schockmoment machte ich mich mit meinen Einstellungsunterlagen des BKA auf zum Kreiswehrersatzamt und erlebte dort den Schock meines bis dato noch kurzen Lebens.

Ich konterte die in meinen Augen unberechtigte Einberufung mit der Bemerkung: »Da muss ja wohl ein Missverständnis vorliegen. Sie haben mir zwar eine Einberufung geschickt aber ich bin doch vom Wehrdienst befreit, ich habe nämlich hier die Zusage der Polizei.« Die Dame vom Kreiswehrersatzamt nahm die ihr voller Stolz überreichten Unterlagen in die Hand und studierte sie aufmerksam.

Mit einem etwas hämischen Grinsen reichte sie mir die Unterlagen zurück und bemerkte: »Nein. Kein Missverständnis. Der Polizeidienst befreit zwar vom Wehrdienst, aber Sie wollen ja zum BKA.« Sie musste mir mein Unverständnis angesehen haben, denn sie ergänzte: »Das ist ja keine RICHTIGE Polizei!«

Nach zwei Wochen großer Unsicherheit bei mir und einem regen Schriftwechsel zwischen der Rechtsabteilung des BKA und dem Kreiswehrersatzamt klärte es sich insofern auf, dass auch der Dienst beim BKA vom Wehrdienst befreite. Also doch: Bundeswehr - Du kannst mich mal! BKA - ich komme!

Dennoch dachte ich in den kommenden Jahren noch oft an die Aussage der Dame vom Kreiswehrersatzamt. Der Spruch hätte mir zu denken geben müssen. Irgendwie musste sie ja auf diesen Gedanken gekommen sein.

Aber zu dieser Zeit tendierte ich noch nicht zu zweifelnden und misstrauischen Überlegungen. Ich hatte ihn in der Tasche: den sicheren Job als unkündbarer Beamter, als Kämpfer für die Gerechtigkeit, als Beschützer der Witwen und Waisen und mit Aussicht auf Pension. Was wollte man mehr?

Es kann sein, dass ich an dieser Stelle die Reihenfolge und Wertigkeit der einzelnen Aspekte ein wenig durcheinandergeworfen habe, aber das war mir alles irgendwie wichtig.

***

Der Termin für den Beginn der Ausbildung stand fest und am ersten Tag wurden wir vereidigt, also leisteten wir einen Treueschwur auf die Bundesrepublik Deutschland und hörten uns dann noch eine Rede zu unserer Begrüßung an. Ich weiß heute wirklich nicht mehr, wer die hielt, aber ein Spruch wird mir immer in Erinnerung bleiben. Damals fand ich ihn toll, er machte mich stolz und ich fühlte mich gut. Die Ernüchterung und was der Spruch bei manchen meiner Kolleginnen und Kollegen angerichtet hat, wurde mir erst viel später bewusst:

»Meine Damen und Herren, machen Sie sich immer eines bewusst - Sie sind etwas ganz Besonderes. Sie wurden aus zweitausend Bewerbern ausgewählt. Fünfzig aus zweitausend. Denken Sie immer daran, Sie sind die Creme de la Creme der deutschen Polizei. Bitte vergessen Sie das nie und verhalten Sie sich entsprechend.«

Leider, leider, haben manche von uns das nicht nur falsch verstanden, sondern sich das auch so zu Herzen genommen, dass sie sich genauso verhalten haben.

Wiederholt habe ich erleben müssen, dass Kolleginnen und Kollegen sich selbst als etwas »Besseres« gesehen haben und diese Einstellung anderen gegenüber sehr, sehr deutlich gemacht haben. Ich schäme mich heute noch für diese Kollegen, aber muss man sich wirklich wundern, wenn jungen Leuten ohne jegliche Lebenserfahrung so ein Stuss erzählt wird?

Polizeibeamte sind auch nur Menschen, oder?

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