Читать книгу Kaiserkrieger 13: Flammen über Persien - Dirk van den Boom, Emmanuel Henné - Страница 3

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Pāygān-sālār Jawed war noch am Leben, er atmete schwer und betete wahrscheinlich bereits zu seinen Göttern. Zenturio Marcus Sempronius Metellus hatte nicht die Absicht, seinen Kameraden sofort aufzugeben und alles höheren Mächten zu überlassen – nicht, solange er hier war. Er drückte mit beiden Händen auf die Wunde. Die Blutung ließ nach, als er die Schlagader im Becken fand und abpresste. Die Blutung stoppte dann fast vollständig und er starrte Jawed in die Augen, die verschleiert wirkten. Der Schock, so hatte man ihm bei der obligatorischen Sanitätsausbildung auf der imperialen Akademie beigebracht, und er hatte oft genug miterlebt, was das bedeutete. Jawed war jemand, dessen Leben er schätzte. Der Offizier hatte mit ihm in den letzten drei Monaten die persische Ostgrenze bewacht, jederzeit in Erwartung eines Angriffes. Er war kein Freund. Metellus hatte eher wenig Freunde. Jawed kam aber einem am nächsten.

Es gab diese Scharmützel. Es gab Verletzte. Noch wurde nicht richtig gekämpft. Es war ein Abtasten vor dem großen Angriff, wann auch immer der kommen mochte. Und Pāygān-sālār Jawed war nun zu einem Opfer dieses Abtastens geworden. Metellus kontrollierte seine Wut, konzentrierte sich. Die Befehle waren eindeutig: nicht provozieren lassen, sich nur verteidigen, alles melden, sich vor einer Übermacht zurückziehen. Das war vernünftig. Die Instinkte des Zenturios aber sagten etwas anderes.

»Herr, die Angreifer haben sich zurückgezogen!« Ein persischer Soldat meldete direkt einem römischen Offizier. Vor Jahren ein unmöglicher, ein undenkbarer Vorgang, doch Metellus, der keine Mühen gescheut hatte, die zum Glück recht logische Sprache der neuen Verbündeten Roms zu lernen, hatte sich angepasst.

»Wo ist der Arzt?«, fragte er.

»Draußen. Er versorgt …«

»Blutet dort jemand zu Tode?«

»Ich frage nach.«

Das kleine Grenzfort bot kaum 40 Mann Platz und es war ein willkommenes Ziel gewesen für eine starke Baekye-Patrouille, bewaffnet mit Gewehren. Ein Angriff aus der Ferne, der relativen Sicherheit einer guten Deckung, wohl wissend, dass weder Perser noch Römer die Erlaubnis hatten, auf die andere Seite vorzudringen, um eine passende Antwort zu geben.

Wut, da war sie wieder. Verdammt! Seit Imperator Haraldus tot war, ging alles den Bach runter. Es gab diese Momente, in denen rang Metellus um seine Selbstdisziplin. Er war Soldat. Dort war der Feind. Und sie saßen hier und ließen es zu, dass die engsten Verbündeten aus der Ferne niedergeschossen wurden, und durften nichts tun.

»Sie drücken auf die Arterie?«

Der Medicus kam an, erschöpft, voller Blutspritzer. Er schaute auf Jawed, dessen Augen ihren Fokus verloren hatten. Cornelius war ein alter Mann, stand am Ende seiner Dienstzeit und hatte sich, des Wahnsinns fette Beute, freiwillig zur gemeinsamen Grenzwache mit den Persern gemeldet. Wollte es noch einmal wissen, sich beweisen, etwas tun, bis er nicht mehr konnte oder man ihn nicht mehr haben wollte.

Das hatte er nun davon.

»Ja.«

»Bleiben Sie so. Auf den Tisch mit ihm. Wo ist mein Assistent?«

Männer kamen herein, schleppten Verwundete, manche mit Bandagen. Keinen hatte es so schwer erwischt wie den persischen Kommandanten, der zur falschen Zeit an der falschen Stelle des kleinen Wachturms gestanden hatte. Schicksal. Hinterhalt. Heimtücke.

Feigheit, dachte Metellus. Die des Feindes und die der eigenen Anführer.

Cornelius machte sich an die Arbeit. Die Medizin hatte fantastische Fortschritte gemacht. Früher wäre so eine Verwundung tödlich gewesen, früher waren die Felddoktoren lediglich bessere Metzger gewesen. Jetzt aber gab es die Neumann-Akademien im ganzen Imperium und eine, neu eröffnet, in Persepolis. Jetzt gab es Leute wie Cornelius, die Leute wie Jawed zusammenflickten, damit sie wieder auf Wachtürme klettern und aus der Ferne abgeknallt werden konnten wie ein Rehbock.

Die Wut. Metellus knirschte mit den Zähnen. Diese Regung lag in seinem Blut, in dem seines Vaters, seines Großvaters: gewalttätige Männer, die es nie geschafft hatten, sich zu beherrschen. Er war zur Armee gegangen, aus Angst davor, so zu werden wie sie. Doch die Anlage war da, der Fluch seiner Familie, und er drückte in seinem Zorn auf die Arterie, bis Cornelius’ Assistenz diese Pflicht übernahm und er für die Operation nicht mehr gebraucht wurde.

Nicht mehr gebraucht.

Er suchte nach heißem Wasser, wusch sich das Blut des Persers ab. Hörte Meldungen. Jaweds Stellvertreter war kein Idiot, er tat, was zu tun war, intelligent, ruhig, ein Mann, auf den man bauen konnte. Alle ließen Metellus das Blut abwaschen, keiner sprach ihn an. Der Römer merkte nicht, dass der eigentliche Grund seine von wildem Hass verzerrte Fratze war, ein Gesichtsausdruck, der allen, selbst den Hartgesottenen, Angst einflößte.

Dann trat er aus dem kleinen Gebäude ins Freie. Die Lage hatte sich beruhigt, aber alle Soldaten verharrten noch in Deckung. Der dritte Römer in diesem Grenzabschnitt, Hans Lucretius, kam auf ihn zu. Der Mann war seit zehn Jahren bei den Legionen, trug den Rang eines immunes und war vor allem deswegen für den Dienst ausgewählt worden, weil er aufgrund seiner Verwandtschaftsverhältnisse leidlich Persisch sprach. Dass sein Vater ihm aus Ergebenheit gegenüber dem Erbe der Zeitenwanderer einen Vornamen gegeben hatte, der mit Persien eher wenig zu tun hatte, war nur auf den ersten Blick überraschend. Das Römische Reich war und blieb ein Völkergemisch und die enge Kooperation mit Persien, das selbst viele Völkerschaften unter seiner Herrschaft vereinte, intensivierte diese Tendenz nur noch. Von der endlosen Schlange an Flüchtlingen, die aus dem nunmehr unter der Kontrolle Baekyes stehenden Indien nach Westen strömte, einmal ganz zu schweigen. Tatsächlich hatten die Grenzsoldaten mehr damit zu tun, die ankommenden Kriegsflüchtlinge in jene Regionen zu verweisen, wo sie Aufnahme fanden, anstatt die Grenze im engeren Sinne zu schützen.

Die großen, fatalen Fehler des Römischen Reiches zu Beginn der Völkerwanderung, das Versagen im Umgang mit den Goten, hatte dazu geführt, dass man diesmal gelernt hatte. Die Menschen aus dem indischen Subkontinent, Überlebende zerschlagener und einst mächtiger Großreiche, waren nur dann eine Gefahr, wenn man sie als solche behandelte. Tatsächlich meldeten sich viele, vor allem ehemalige Soldaten, nach kurzer Zeit freiwillig in den Militärdienst. Sie wurden gerne genommen. Erfahrungen mit einem Feind, der bisher nur aus der Ferne angriff, waren wertvoll.

»Hast du den Angriff gemeldet?«, fragte Metellus und sein Untergebener nickte.

»Ich habe sofort telegrafiert. Persepolis dürfte schon Bescheid wissen und Rom spätestens in einer Stunde.« Die größte technologische Anstrengung der letzten drei Jahre – neben der Bahnstrecke, die aus dem Imperium direkt nach Persepolis führte – war das Aufstellen der Telegrafenmasten gewesen. Die Grenzstationen damit zu verbinden, hatte einen immensen Aufwand bedeutet, aber wenn die Kommandeure der Großen Allianz, wie das Bündnis aus Rom, Aksum, Teotihuacán und Persien nunmehr genannt wurde, eines gelernt hatten, dann dies: In einem den Globus umspannenden Krieg waren Informationen alles und ohne Informationen war alles nichts. Die richtige Nachricht zur richtigen Zeit war wertvoller als zehn Legionen und die größten Kanonen und konnte über das Schicksal ganzer Nationen entscheiden. Also waren dies die Projekte gewesen, die man als Erstes angegangen war: Infrastruktur und Kommunikation.

Metellus befürwortete das. Er war ein vernünftiger, ein gebildeter Mann. Er war aber auch der Ansicht, dass es nach all den wunderbaren Informationen langsam Zeit für die Legionen und die Kanonen wurde. Er war mit dieser Ansicht gewiss nicht alleine, doch die vom Zorn genährte Ungeduld loderte in diesem Zenturio mit besonderer Intensität. Es war gut, dass er kein General war. Er hoffte, niemand kam je auf die Idee, ihn noch weiter zu befördern.

»Sag mir Bescheid, wenn es eine Antwort gibt.«

»Was für eine Antwort erwartet Ihr, großer Zenturio?«

Es gab einen guten Grund dafür, warum Hans Lucretius trotz seiner unbestreitbaren Talente niemals über den aktuellen Dienstgrad hinaus befördert worden war. Seine Vorgesetzten schwankten stets darin, ihn zu loben und seine Leistungen anzuerkennen und ihn für Wochen in eine Zelle zu sperren oder ordentlich verprügeln zu lassen. Letzteres war nach Abschaffung der Prügelstrafe nur noch möglich, wenn niemand zu genau hinsah, aber der Legionär hatte es sich mit seinem losen Mundwerk und seiner ironischen Art schon bei vielen verscherzt. Bei Metellus hatte er gute Karten, da dieser seine Händel selbst ausfocht und seine Beliebtheit höheren Ortes nicht zuletzt aufgrund seiner beständigen Eingaben, endlich diesen Krieg zum Feind zu tragen, begrenzt war.

»Ich erwarte gar nichts«, knurrte der Zenturio also nur. »Das übliche Gewinsel. Und ein Versprechen auf baldige Ablösung. Ich will keine verdammte Ablösung. Ich will die Dampfwagen bemannen, die Kanonen laden und die feigen Arschlöcher da drüben ausräuchern, bis sie ihre eigenen Kugeln fressen.«

Das war nur halb metaphorisch gemeint. Weiterhin war es schwierig, Kriegsgefangene zu nehmen, denn die Soldaten aus Baekye hatten die unangenehme Angewohnheit, sich lieber selbst zu töten, als dies geschehen zu lassen. Jene, die man festsetzte, erwiesen sich als schweigsam, störrisch und jederzeit bereit, ihre Häscher anzugreifen. Man musste ihren Mut und ihre Entschlossenheit bewundern und irgendwo in Metellus gab es eine solche Regung auch. Er war gar nicht darauf erpicht, sie alle festzunehmen. Er wollte vor allem eines: sie für das bestrafen, was sie taten. Nein, wenn er ehrlich war, lag der Grund für seine Absichten etwas tiefer. Er wollte seine Wut ausleben, er wollte dem Feind Gewalt antun, und das bis zur Selbstaufgabe.

Metellus wusste, dass dieser Drang ihm einst zum Verhängnis werden würde.

Er stand oft genug nahe am Abgrund und erkannte, wie dieser ihn anstarrte, mit der Verlockung, die sein Ende sein konnte. Er trat oft genug einen Schritt zurück, ließ die Selbstdisziplin obsiegen. Aber er wusste, dass die Verlockung niemals nachließ und er ihr mit Freuden nachgeben würde, wenn seine Befehle dies rechtfertigten.

Deswegen wollte er diese Befehle unbedingt. Deswegen war er so frustriert, weil sie nicht kamen.

»Herr, da tut sich was!«

Metellus fuhr aus seinen Gedanken hoch. Gewaltfantasien oder nicht, wenn die Pflicht rief, war er ganz da, schob die Emotionen beiseite, die ihn eben noch gebeutelt hatten. Jawed war außer Gefecht gesetzt, und obgleich er einen Stellvertreter hatte, war Metellus der Offizier mit der höchsten Seniorität, und die Kooperation zwischen Rom und Persien war in den letzten drei Jahren so eng geworden, dass die Kompetenzen sich mehr und mehr verschränkten. Das sofort begonnene Offiziersaustauschprogramm hatte schneller Früchte getragen als von seinen Kritikern erwartet.

Und so machte der persische Soldat erneut ihm Meldung. Er trug die eiserne Brustplatte eines Unsterblichen, der Elitetruppe des persischen Königs, die hier wie anderswo mit der Grenzsicherung beauftragt worden war. Eine bewusste Entscheidung, den Besten die schwere Aufgabe zu überantworten, im Falle des erwarteten Angriffes die Last der unmittelbaren Verteidigung aufzubürden.

»Was gibt es?«

»Bewegung aus Richtung des Feindes.«

Metellus war so schnell an der Balustrade, dass er gar nicht bewusst wahrnahm, wie er die hölzerne Leiter emporglitt und Deckung nahm. Jemand reichte ihm ein Fernrohr – mittlerweile auch aus persischer Produktion, da die hiesigen Glasbläser sich als äußerst talentiert erwiesen hatten – und er schaute in die angegebene Richtung.

»Da rennt einer«, murmelte er. »Ein Mann.«

»Er trägt die Uniform des Feindes«, hörte er den Soldaten neben sich sagen, ebenfalls mit einem Fernrohr bewaffnet.

»Das stimmt. Es gibt keine Überläufer unter den Männern aus Baekye.«

»Zumindest keinen, der lange genug gelebt hätte«, ergänzte der Soldat. Er senkte das Fernrohr. »Die Chinesen sagen, dass es durchaus Deserteure gäbe. Nur waren die schon tot, als man sie fand.«

»Wie weit hat er noch?«

»Einen Kilometer. Falls er vorher nicht erschossen wird.«

»Er hat einen guten Zeitpunkt gewählt, das muss man ihm lassen.«

Metellus runzelte die Stirn. Die mobilen Scharfschützen des Feindes hatten die Angewohnheit, sofort nach einem erfolgreichen Angriff die Position zu wechseln, um keinerlei Angriffsfläche für eventuelle Gegenreaktionen zu bekommen – wohl in der Unkenntnis über die Befehlslage, die den Grenztruppen so die Hände band. Das hieß, dass der Überläufer … wenn er denn einer war … exakt den richtigen Moment abgewartet hatte.

Er kannte sich aus.

Er baute darauf, dass der Tod einiger Perser ausreichend war, um sein eigenes Überleben zu sichern.

Das war wieder so eine Vorgehensweise, die Metellus wütend machte. Er kämpfte den Zorn nieder, er führte in dieser Situation zu nichts. Wenn es sich tatsächlich um die einmalige Chance handelte, einen Deserteur aufzunehmen, dann musste er sie nutzen, und machte er einen Fehler, würden seine Vorgesetzten dafür herzlich wenig Verständnis aufbringen.

»Schickt ihm eine Patrouille entgegen. Mit dem gepanzerten Dampfwagen.«

»Aber.«

»Los jetzt! Nehme ich auf meine Kappe. Sag einfach, der verrückte Römer habe es befohlen. Außerdem ist es ein römischer Dampfwagen. Ich habe quasi unmittelbare Befehlsgewalt.«

Das war natürlich ausgesprochener Blödsinn. Aber es half dem Perser, dem Befehl Folge zu leisten. Der große Dampfwagen stand ständig unter Dampf und es brauchte nicht lange, um das schnaufende Monstrum zu bemannen und auf den Weg zu schicken.

Das Tor des kleinen Kastells öffnete sich.

Wenn Jawed erwachte und wieder bei Sinnen war, würde er, mit etwas Glück, persönlich begutachten dürfen, wofür er geblutet hatte und beinahe gestorben war.

Metellus ballte die Hände zu Fäusten.

Hoffentlich war es die Sache wert!

Kaiserkrieger 13: Flammen über Persien

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