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»Die Zeichen sind unverkennbar.«

Huan Xuan, ehemaliger kaiserlicher Gesandter nach Mittelamerika und im Regelfall ein affektiertes Arschloch, hielt sich bei diesen Worten ein parfümiertes Tüchlein vor die Nase, als könne er den Gestank dräuenden Unheils dadurch von seiner feinfühligen Nase fernhalten. Es half gewiss, die möglicherweise unangenehmen Körperausdünstungen von Latinus zu überdecken, der nach einer viertägigen Reise zu Pferd und in einer Kutsche an den kaiserlichen Hof zurückgekehrt war, um seine eigenen Erkenntnisse mit dem zu teilen, was man mit etwas gutem Willen als imperialen Krisenstab bezeichnen konnte. Seit dem Tode von Erzkanzler Yu im letzten Jahr war der Vorsitz dieses Gremiums an den neuen Erzkanzler gefallen, besagten Huan Xuan, dessen Verdienste bei den Maya, seine hervorragenden familiären Beziehungen sowie machtpolitische Rücksichtlosigkeit dazu geführt hatten, vom Kaiser auf diese erlauchte Position berufen worden zu sein.

Außerdem roch er immer gut. Wer wusste schon, wie wichtig das hier tatsächlich war?

Latinus war sich nicht sicher, ob das eine gute Entscheidung gewesen war. Xuan war ein kluger Mann. Er hatte unbestreitbar seine Qualitäten. Er war aber als Mensch nur schwer zu ertragen und seine Arroganz hatte sich eher verschlimmert, soweit Latinus das zu bewerten imstande war.

Es änderte nichts daran, dass er mit ihm zusammenarbeiten musste. Seine eigene Stellung als Botschafter Roms erlaubte ihm allerdings, so manches zu sagen, was sich die Unterlinge bei Hof nicht trauten. Er machte von dieser Möglichkeit aber nur sehr selten Gebrauch. Es half nicht, es sich mit wichtigen Leuten zu verscherzen.

Huan Xuan hielt sich für sehr wichtig.

Bedauerlicherweise entsprach diese Selbstsicht durchaus der Realität.

»Die Zeichen sind unverkennbar«, bekräftigte der Erzkanzler. Er stand neben der großen Weltkarte, die in einem Rahmen aufgespannt im Raum stand und auf deren ledriger Oberfläche mit kleinen Nadeln allerlei Stoffstücke und -fäden befestigt worden waren: Garnisonen, Truppenteile, Bewegungspfeile, Grenzlinien, gleichermaßen bestätigte wie angenommene, die strategische Gesamtlage. Auch weit im Westen gab es diese Markierungen. Die Funkverbindung wurde durch mehrere Relaisschiffe aufrechterhalten und ein Frachtdienst war eingerichtet worden, der zwischen den vier Reichen der Allianz verkehrte. Man war einigermaßen über das informiert, was auf der anderen Seite der Welt so passierte. Auch dort waren die Zeichen unverkennbar. Latinus kam nicht umhin, dieser Bewertung zuzustimmen.

Es verursachte eine dauerhafte, leichte Übelkeit bei ihm.

»Die nächste Offensive steht bevor«, bestätigte General Xi, der in etwa das gleiche Alter wie der Erzkanzler hatte und ein professioneller Soldat durch und durch war. Für Latinus etwas spröde, war der neu ernannte Oberbefehlshaber der kombinierten chinesisch-nigerianischen Streitkräfte dennoch weitaus besser zu ertragen als Xuan, vor allem deswegen, weil er nicht grundsätzlich jeden anderen Menschen in seiner Gegenwart für eher minderwertig hielt. Tatsächlich gab es für Xi weitaus einfachere Kategorien: nämlich Freund oder Feind. In beiderlei Hinsicht diskriminierte er nicht. Ob nun die Maya oder die Römer, die Perser oder die Aksumiten an seiner Seite kämpften – das ausschlaggebende Kriterium war »an seiner Seite«. Und wer sich erniedrigte und für Baekye stritt, ob gezwungen oder freiwillig, war es eben nicht. Latinus hatte seine Probleme mit dieser Sichtweise, aber auch hier bemühte er sich um Zurückhaltung. Mit Xi konnte er gut. Es half, den Erzkanzler besser zu ertragen, wenn der Haudegen anwesend war.

»Die Zeichen sind eindeutig«, ließ nun auch Latinus keinen Zweifel an der Einschätzung. Er zeigte auf die Karte. »Die letzten beiden Überwachungsflüge an der persischen Ostgrenze haben Truppenbewegungen hier und hier gezeigt. Nun sind diese Flüge auch schon drei Wochen her. An der Grenze selbst ist noch nichts erkennbar gewesen, vielleicht werden noch letzte Vorbereitungen abgewartet. Aber die Hinweise sind nicht zu übersehen.«

»Es würde auch die relative Ruhe an der chinesischen Front erklären«, sagte Xi nachdenklich. »Die Kämpfe haben sich in eine Art Stellungskrieg verwandelt. Einige meiner Offiziere sagen, dies wäre eine schöne Gelegenheit, selbst in die Offensive zu gehen.«

»Die Idee ist an sich nicht schlecht«, meinte Xuan. »Aber haben wir die Mittel dazu?«

»Nach den beiden letzten verlorenen Schlachten und der anschließenden … Frontbegradigung eher nicht.« Xi sagte es mit großer Fassung, obgleich diese Einschätzung an seinem Selbstwertgefühl nagen musste. Baekye hatte China in der Tat empfindliche Verluste beigebracht. Die chinesischen Streitkräfte mussten sich neu formieren, neue Rekruten ausbilden, neues Material heranschaffen und herstellen. Das erforderte einiges an Zeit und es erforderte mehr als nur Überredungskunst. Die Bevölkerung war der Lasten des langen Krieges müde und diese Müdigkeit machte sich überall bemerkbar. Der Kaiser konnte das eine Weile ignorieren, aber nicht ewig. Selbst eine so absolute Monarchie wie diese war irgendwann an ihren Grenzen angelangt, wenn die eigenen Untertanen nicht mehr mitmachten. Aktuell war die Angst vor der Invasion stark genug, um motivierend zu wirken. Latinus wagte allerdings keine Prognose, wie lange das noch ausreichend sein würde.

Die Stimmung im Volk war schlecht und der Unmut richtete sich in alle Richtungen.

»Das muss die Führung unserer Feinde wissen«, sagte Xuan. »Dort sieht man ein geeignetes Zeitfenster, um einen vermeintlich schwächeren Feind anzugreifen.« Er sah Latinus an. »Ich sagte vermeintlich«, fügte er beinahe als Entschuldigung hinzu.

»Es kann sein, dass diese Einschätzung nicht ganz falsch ist«, gab der Botschafter ungerührt zurück. Dass der Erzkanzler überhaupt bereit war, auf das von ihm verwendete Vokabular hinzuweisen, deutete darauf hin, dass er heute besonders sanftmütig war, eine Phase, die sehr selten zu beobachten war und meist auch schnell verging. »Unsere Armeen sind zwar frisch und motiviert, die Wirtschaft nicht geprägt durch einen langen Krieg und sowohl der persische König wie auch der Imperator mit ausreichend Rückhalt in der Bevölkerung gesegnet, aber technologisch hängen wir hinter Baekye hinterher, weitaus mehr als China. Von unseren tapferen aksumitischen Verbündeten einmal ganz zu schweigen. Die können Soldaten stellen, ausrüsten aber müssen wir diese.«

»Wir helfen, dies auszugleichen.«

»Und diese Hilfe wird von uns mit großer Dankbarkeit entgegengenommen«, betonte Latinus und verneigte sich knapp vor dem Erzkanzler. »Aber die Zeit war kurz und die Aufgaben mannigfaltig. Ich befürchte, dass meine Aussage weiterhin zutreffend ist. Wir sind vorbereitet. Wir sind nicht bereit, aber vorbereitet. Besser kann ich es leider nicht zusammenfassen. Viel wichtiger ist, wie es unseren persischen Freunden ergeht. Wir müssen ihnen unsere neuesten Lageberichte gleich übermitteln.«

»Wir schicken regelmäßig Botschaften, die meisten über die See-Funkbrücke auf Kurzwelle«, sagte der General. »Sie sollten von unseren Befürchtungen informiert sein. Ihr Römer solltet sie auch auf dem Laufenden halten.«

Latinus nickte. Leider war sein Kollege, der römische Botschafter zu Persepolis, nicht für seine übergroße Effektivität bekannt, eine Einschätzung, die er in dieser Runde lieber für sich behielt.

Er sah die anderen abwartend an. Schweigen antwortete ihm und Latinus wusste, dass sie all dies in verschiedenen Variationen bereits durchgesprochen hatten, wenngleich in einer anderen Situation: Damals war der mögliche Angriff im Westen nur eine ferne Idee gewesen, die konkreter geworden war, als die indischen Teilreiche, trotz tapferer Gegenwehr, eines nach dem anderen gefallen waren. Ein großer, ein gigantischer Brocken, den Baekye daher auch gar nicht schluckte. Mit kleinen Vasallenstaaten gespickt, die man sofort geschickt gegeneinander ausgespielt hatte, und einem militärisch direkt kontrollierten Korridor durch Indien hindurch bis zur persischen Ostgrenze hatte Baekye langsam und beharrlich die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Krieges geschaffen.

Warum? Wozu? Die Frage blieb im Grunde unbeantwortet. Die Erklärung mochte in der fanatischen Staatsideologie liegen, die die Zeitreisenden aus der Zukunft importiert und auf ihre eigenen Leute in der Vergangenheit, dieser Gegenwart, oktroyiert hatten. Oder sie lag irgendwo anders. Baekye blieb, trotz aller Bemühungen, ein Enigma und daher auch immer gut für Überraschungen.

»Wir benötigen mehr Informationen«, fasste er dann das Problem in wenige Worte zusammen. Er blickte Xi an, der damit wohl gerechnet hatte. »Wir müssen die Aufklärungsflüge auch von hier aus beginnen. Wie weit sind wir?«

»Die chinesische Luftflotte ist einsatzbereit«, meldete Xi mit Stolz in der Stimme. Dies war ein Feld gewesen, in dem die Römer den Chinesen geholfen hatten, wodurch die Einseitigkeit des andauernden Technologietransfers zumindest ein wenig ausgeglichen worden war.

»Das ist eine gute Nachricht«, bestätigte Latinus. »Dann sollten wir sehen, wie wir zu umfassenden Aufklärungsergebnissen kommen, damit wir eine bessere Entscheidungsgrundlage haben.«

Es gab da einen Elefanten im Raum, den sie alle nicht erwähnten. Aufklärungsflüge hin oder her, das größte Problem war, dass es weder den Chinesen noch sonst jemandem bisher gelungen war, einen Agentenring oder auch nur einen Kreis von Informanten in Baekye zu etablieren, der es ihnen erlauben würde, handfeste Informationen aus dem Inneren des mysteriösen Reiches zu erlangen. Es schien, als gäbe es dort keine Verräter, oder den Experten war es noch nicht gelungen, sie zu finden oder mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Sie hatten viel versucht. Doch bisher ohne Erfolg. Latinus erwähnte es nicht, weil niemand mehr gerne darüber sprach. Denn es war frustrierend, auch nur daran zu denken, was richtig erfolgreiche Geheimdienstarbeit für ihre gemeinsamen Kriegsanstrengungen bedeuten würde, gelänge sie ihnen endlich.

Xuan räusperte sich. Er beendete damit die Diskussion über ein Thema, die sie alle nur in Gedanken geführt hatten, wohl wissend, dass es eines Anlasses bedurfte, zum nächsten überzugehen. Latinus war sich darüber im Klaren, dass das Unausgesprochene zurückkehren musste, allein schon deswegen, weil es immer mal wieder jemanden gab, der etwas dazu sagte. Naiv. Unbekümmert. Vielleicht ein wenig dumm. Solche Leute gab es.

»Wir müssen noch einmal über die Rolle von Teotihuacán reden«, sagte der Erzkanzler nun. »Ich höre eher unangenehme Neuigkeiten von unserem Freund Metzli.«

»Er ist unser Freund«, bestätigte Latinus. »Ist er doch?«

»Er ist vor allem sein eigener Freund«, sagte Xi bitter. »Aber er möchte jetzt auch Luftschiffe.« Der General sah in die Runde. »Was sollen wir ihm sagen?«

»Ist es eine offizielle Anfrage?«, fragte Latinus.

»Noch nicht. Eher ein Vorfühlen. Unsere Botschaft in Mutal hat bereits mehrfach entsprechende Dossiers gefunkt. Ach ja …« Xi verzog das Gesicht. »Kurzwellensender will er auch. Eigene. Mindestens ein Dutzend, für alle wichtigen Städte.«

Latinus unterdrückte ein Seufzen, mehr oder weniger offensichtlich. Metzli wollte so einiges. Es waren keine absurden Forderungen, nichts, was sich nicht logisch aus ihrer Situation ergab. Aber dennoch. Dennoch …

»Ist er bündnistreu? Gibt es Hinweise darauf, dass er mit dem Feind konferiert?«, fragte er dann. Er bekam natürlich seine eigenen Dossiers, aber es schadete nicht, deren Wahrheitsgehalt mit dem abzugleichen, was die Chinesen dachten.

»Es gibt keine offensichtlichen Hinweise«, sagte der Erzkanzler. »Aber er ist gewitzt – nein, verschlagen – und sehr selbstbewusst. Ich habe die größten Befürchtungen. Was werden Sie Ihrem Imperator empfehlen, Latinus?«

»Meine Ansichten sind zweitrangig. Ich werde allein die offizielle Haltung des chinesischen Hofes weitergeben.«

Xuan sah Xi an. »Was ist unsere offizielle Haltung, General?«

Sie fingen an, das Für und Wider abzuwägen. Es wurde eine lange Besprechung und sie kamen zu keinem Ergebnis.

Kaiserkrieger 13: Flammen über Persien

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