Читать книгу Die großen Western Staffel 5 - Diverse Autoren - Страница 12
Оглавление»Die Yankees kommen! Holt eure Schießeisen!«
Laut gellte die Stimme des Mannes über die Straße und trieb die Menschen fluchtartig in die Häuser.
Drohend und wie ein Symbol der Gewalt tauchten die Reiter in ihren verwaschenen und vom Kampf zerfetzten blauen Uniformen auf, formierten sich und verhielten auf der Bodenwelle vor der Stadt. Aufgewirbelter Staub zog in Schwaden über Pferde und Reiter hinweg. Gezogene Kavalleriesäbel blitzten im Sonnenschein.
Die Straße war wie leergefegt.
Nun war der unselige Krieg auch nach hier gekommen.
In einem kleinen Haus am Stadtrand stand ein grauhaariger Mann und starrte aus dem staubbeschlagenen Fenster hinaus.
»Sam!« Die Stimme der Frau im halbdunklen Raum war voller Angst. »Geh nicht raus! Das ist nicht dein Krieg, Sam.«
Der Mann am Fenster drehte sich nicht um, als er mit spröder Stimme sagte:
»Es muss sein. Wir haben uns alle miteinander abgesprochen. Ich werde nicht der einzige Mann sein, der das Haus verlässt.«
Im Hintergrund des Zimmers stand Dave Long. Niemals in seinem ganzen Leben sollte er diesen schrecklichen Tag vergessen, niemals die Worte seines entschlossenen Vaters und die Angst seiner Mutter. Er spürte das Unheil, das schon drohend über der Stadt lastete. Er hörte, wie seine Mutter aufstand und wie der Stuhl knarrte.
»Sam, hör auf mich, nur einmal. Ich flehe dich an, lass es sein. Der Süden hat den Krieg doch längst schon verloren! Du musst dich damit abfinden. Sam. Oh, ich weiß ja, was in euren stolzen Köpfen vor sich geht, aber es ist doch keine Ehre, zu sterben, nur um zu sterben, Sam!«
»Ich kann nicht als Einziger im Haus bleiben, Frau«, hörte Dave seinen Vater mit fester Stimme sagen.
»Aber weißt du denn so genau, dass die anderen gegen die Yankees kämpfen werden?«
Dave sah, wie seine Mutter zum Fenster lief, wie sie seinen Vater umarmte und ihn festzuhalten versuchte. Dann hörte er den fernen dumpfen Hufschlag, der dröhnend und unaufhaltsam näher kam.
Neunzehn Jahre lang hatte Dave in Frieden gelebt. Der Frieden war ihm zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Doch nun kam der Krieg aus dem Norden mit seinem ganzen Hass und Tod in die Stadt. Dave empfand das alles wie in einem schlimmen Albtraum, der nicht wahr sein durfte. Er versuchte, tapfer zu sein, doch in den braunen Augen flackerte die Angst, gegen die er sich nicht wehren konnte. Schweiß lief über sein schmales Gesicht, und das strohblonde Haar klebte nass auf der Stirn.
»Vater«, rief er, »hör auf Mutter! Lass sie doch kommen. Sie werden auch wieder verschwinden.«
Langsam drehte der Vater sich um, hob sich fast schwarz vor dem hellen Fenster ab und sagte: »Ich bin kein Feigling, mein Junge. Die Yankees werden unsere Stadt und die Felder verwüsten, wenn wir ihnen nicht entgegentreten. Du bleibst bei Mutter und sorgst für ihren Schutz. Hast du mich verstanden, Dave?«
»Ja, Vater.«
Klirrend und rasselnd kamen die Yankee-Soldaten näher.
Noch war kein Schuss gefallen. Der Hauch des Todes wehte die leere Straße hinauf.
»Sam!«, schrie Daves Mutter und umklammerte den Arm des Vaters. »Bleib bei uns!«
Sam Long sah seinen Sohn an.
»Kümmere dich um Mutter.«
Dave lief zum Fenster, schlang beide Arme um seine Mutter und hielt sie fest.
Sie wurde auf einmal ganz still. Starr sah sie zur Tür, wohin ihr Mann gegangen war.
»Vater«, stöhnte Dave, »lass es doch sein, bitte! Es sind zu viele Yankees. Ihr habt doch gar keine Chance. Sie schießen euch alle nieder.«
Sam Long antwortete nicht. Er öffnete die Tür, hielt das Gewehr in der Rechten und trat hinaus, drückte die Tür hinter sich zu und verharrte still in der Hausnische.
Das Verderben kam näher.
Dave zog seine Mutter sanft herum und blickte aus dem Fenster. Noch waren die Nordstaatler nicht zu sehen, aber das Klirren und Stampfen wurde immer lauter.
Und dann sah Dave sie.
Fremde in Uniformen, bewaffnet, verstaubt und bärtig. Sie kamen im Trab heran, geschlossen und formiert wie ein Keil. Sie hielten Gewehre und Revolver schussbereit und blickten umher. Vorn ritten zwei Männer, die diesen Keil von Soldaten führten.
In den wenigen Sekunden, da Dave sie sah, prägte er sich ihr Aussehen ein. Er tat es unbewusst, denn es waren Fremde.
Da war ein Sergeant, schwer und grobknochig, alt und hart. Mit verkniffenem Gesicht.
Gleich neben dem Sergeant ritt der Captain, er war jünger und größer. In der Faust hielt er einen Colt. Der linke Arm ruhte in einer Schlinge. Das Gesicht war von einer dicken Staubschicht überzogen. Mund und Augen wirkten ungewöhnlich hell.
Schon waren sie vorbei, schon folgten die anderen.
Dave wechselte die Fensterseite, erblickte wieder den Captain und den Sergeant, und dann sah er entsetzt, wie sein Vater auf die Straße hinauslief und irgendetwas hinausbrüllte, wie er dann das alte Gewehr anhob und zielte.
Alles geschah sehr schnell.
Der Captain drehte sich noch nicht einmal im Sattel um. Er nahm die Faust mit dem Colt nur etwas herum und schoss. Noch wahrend der Knall von den Hauswänden widerhallte, stoben die Yankees auseinander, wieherten schrill die Pferde, wallte Staub auf, und Sam Long sank vornüber in den heißen Sand.
»Sam!«, schrie Daves Mutter und taumelte, wollte zur Tür und wurde ohnmächtig.
Dave zog sie schnell zum Sessel, legte sie hinein und hetzte zur Tür, riss sie auf und eilte hinaus. Als er den Vater erreicht hatte, drehte er ihn auf den Rücken.
Der Vater war tot.
In der Stadt fielen mehrere Schüsse. Reiter jagten an den Häusern entlang und feuerten in die Fenster hinein. Glas zersprang, klirrte und regnete auf die Gehsteige. Frauen schrien, Kinder weinten. Tot kippte ein Mann aus dem Fenster, blieb auf den Brettern liegen.
Dave hörte das alles, doch er nahm den Blick nicht vom Gesicht des Vaters. Für Dave brach eine Welt des Friedens zusammen. Zitternd berührte er das Gesicht des Vaters und stöhnte in großer Verzweiflung.
Beschlagene Hufe stampften dicht vorbei. Leder ächzte, Zaumzeug rasselte. Eine heisere Stimme sagte:
»Das ist der Sohn! Nehmt ihn euch vor!«
Dave ließ den Kopf hoch, sah den Sergeant zu Pferde, hörte etwas über sich und sah dann die Schlinge, die sich um den Oberkörper legte. Mit einem harten Ruck zog der Reiter neben dem Sergeant die Schlinge zu, straffte das Lasso und ritt an. Dave wollte sich wehren, aber er konnte nicht. Schon wurde er hinter dem Pferd hergezerrt. Er rutschte mit dem Oberkörper über die Straße, sah das Pferd groß und schwarz vor sich, sah die Hufeisen im Sonnenschein blitzen, hörte Schüsse und brüllende Stimmen. Erbarmungslos trieb der Soldat das Pferd an und ritt im Galopp die Straße hinauf. Dave wurde mitgeschleift, schlug gegen die Kante des Gehsteigs und schrie vor Schmerz.
»Halt!«, flehte er. »Halt, ich …«
Der Soldat lachte heiser, sah zurück, ritt weiter und verhielt erst am Stadtrand. Das Lasso lockerte sich ein wenig, doch die Schlinge hatte sich ganz fest um Daves Körper gezogen und presste ihm die Luft aus den Lungen.
Feuer schlug aus manchen Häusern. Schwaden von Rauch zogen über die Stadt hinweg. Jaulend lief ein Hund über die Straße und bellte kläglich.
Von links kam ein Reiter heran und sagte heiser:
»Das reicht. Lass ihn los!«
Dave sah auf und in das grobe Gesicht des Sergeants. Zugleich spürte er, wie der furchtbare Druck nachließ. Der Soldat war abgesprungen und löste die Schlinge.
Zitternd wollte Dave sich mit dem Oberkörper aufrichten, doch er sank in den heißen Staub. Wie aus weiter Ferne hörte er den Sergeant sagen:
»Der hat genug.«
Dann ritten sie davon. In der Stadt fielen Schüsse. Menschen stürzten aus ihren brennenden Häusern und flohen an den Stadtrand, wo sie sich zusammenrotteten. Reiter jagten über die Felder und warfen Feuer in die Schuppen. Blasse Flammen schlugen hoch und breiteten sich auf den Feldern aus, vernichteten die Ernte.
Dave lag halb bewusstlos am Stadtrand. Er war zerschunden und gequält worden. Das Herz schlug in schnellen und heftigen Stößen. Schweißnass war das Gesicht, und Sand klebte darauf.
Nach einer Ewigkeit kam er hoch, stand schwankend auf den Beinen, taumelte am Straßenrand entlang, fiel neben dem Vater zu Boden.
Die Yankees kümmerten sich nicht um ihn. Er beugte sich tief über den Vater und stöhnte laut auf.
Dann richtete er sich auf und lief ins Haus, stand seiner Mutter gegenüber.
Sie war totenblass.
Er umarmte sie ganz fest und geleitete sie zurück zum Sessel, ließ sie hineingleiten und machte kehrt. Yankees jagten an ihm vorbei, Befehle tönten über die Straße, ein paar Schüsse fielen noch. Er hob den Vater zitternd auf und schleppte ihn mühsam ins Haus, legte ihn aufs Bett.
Seine Mutter kam nach, setzte sich auf einen Stuhl und starrte mit leblosem Blick auf den Toten. Sie schien in einer anderen Welt zu sein. Alles, was um sie herum geschah, nahm sie gar nicht mehr wahr. Die Hände krampften sich ineinander. Das Haar war noch grauer geworden.
»Mutter«, flüsterte Dave, »wir haben doch alles versucht, um Vater zurückzuhalten.«
»Ja, Dave«, sagte sie klanglos, mit erschreckender Ruhe. »Mach dir keine Vorwürfe.«
Dave schluckte und legte die Hände auf ihre Schultern. Er wusste nicht, was er tun sollte.
Mit leerer Stimme flüsterte seine Mutter immer wieder: »Sie haben ihn umgebracht. Sie haben ihn umgebracht.«
Er nahm die Hände zurück, drehte sich um und ging hinaus. Das Gewehr seines Vaters lag noch im Staub. Pferde waren darüber hinweggetrampelt. Vielleicht war der Lauf verbogen. Dave dachte nicht daran. Er blickte die Straße hinauf, sah, wie die Yankees sich vor dem großen Saloon zusammenrotteten. Grauer Rauch wehte über die Straße. Auf den Feldern wütete das Feuer. Die Sonne stand schon tief über den Hügeln von Südwest-Texas. Dort im Westen stieg der Abenddunst aus den Niederungen empor und ließ die Konturen der Hügel verschwimmen.
Langsam ging Dave zum Gewehr, hob es auf und ging zurück, blieb im Hauseingang stehen und sah, wie mehrere Yankees mit gefesselten Männern zum Saloon kamen. Es waren vier Männer aus dieser Stadt, die erbittert Widerstand geleistet hatten, nachdem Daves Vater erschossen worden war. Dave kannte sie alle. Unwillkürlich wich er zurück und starrte wie gebannt zum Saloon. Deutlich erkannte er den Captain zwischen den Soldaten, und ihm wurde auf einmal heiß unter der Haut.
Der Captain hatte seinen Vater erschossen, aber niemand würde den Captain dafür zur Verantwortung ziehen. Sein Vater hatte den Tod herausgefordert.
Sonnenschein fiel über die Dächer der Häuser und brachte noch mal große Hitze in die Stadt. Lange Schatten krochen über die Straße.
Dave hielt das Gewehr fest umklammert und schluckte schwer. Er sah zum Saloon, wo die Gefangenen in einer Reihe standen. Der Captain sprach zu ihnen, doch Dave konnte die Worte nicht verstehen.
Er verließ seinen Platz an der Tür und ging in den Wohnraum zurück. Still stand er dort einige Sekunden und horchte. Stimmengemurmel tönte von der Straße herein. Er hörte nichts von seiner Mutter, keine Worte und kein Weinen.
Vor dem Saloon brüllte der Sergeant einen Befehl.
Dave lief zur Tür zurück und sah, dass die Yankees die vier Männer zum Mietstall nebenan zerrten. Das Stalltor war ein großes, dunkel gähnendes Loch. Zwei Soldaten holten vier Pferde aus dem Stall, brachten die ungesattelten Tiere unter den Holzpfosten, der weit über dem Stalltor hervorragte und an dem eine Winde befestigt war. Schon warf jemand einen Strick über den Balken, zog ihn stramm und knüpfte eine Schlinge. Reglos stand der Captain neben dem Tor und sah hoch. Die Schlinge baumelte herunter und bewegte sich im Abendwind.
Die vier Gefangenen wurden auf die sattellosen Pferde gehoben.
Voller Entsetzen begriff Dave, was geschehen sollte.
Das war der Krieg – mitleidlos, unmenschlich. Dave hatte manchmal vom Krieg gehört und nicht daran glauben wollen. Auch der Süden sollte entsetzliche Gräueltaten begangen haben. Aber er war ja immer in dieser Stadt gewesen, und darum glaubte er, dass nur die Yankees so unmenschlich wären.
Er warf sich herum, lief in den Wohnraum und stürzte in den kleinen Schlafraum.
Tot lag der Vater im Bett. Die Mutter saß reglos auf dem Stuhl und hatte den Kopf gesenkt.
»Mutter!«, keuchte Dave. »Die Yankees werden vier Männer aufhängen! Sie rächen sich für die Schüsse, Mutter! Großer Gott, was sollen wir tun, Mutter?«
Sie gab keine Antwort.
Dave kam näher, ging um den Stuhl herum und kniete nieder. Er sah in das Gesicht seiner Mutter und wurde auf einmal steif.
Frieden war in ihrem Gesicht. Die Augen waren geschlossen. Noch immer waren die Hände ineinandergelegt.
»Mutter, was ist denn?«
Ihr Mund war für immer stumm. Sie hatte ihn verlassen. Sie war tot. Das Herz hatte versagt. Aber das wusste Dave nicht. Er wusste nur, dass sie tot war.
Sein Gesicht sank auf ihren Schoß. Er weinte wie ein kleiner Junge.
Draußen wurde ein Befehl laut.
Dave stand auf. Sein Gesicht war nass, eine erstarrte Landschaft der Gefühle. Das Gewehr rutschte ihm aus der Hand, polterte auf den Bretterboden. Das harte Geräusch ließ ihn zu sich kommen. Er packte das Gewehr und rannte durch die Hintertür auf den Hof, lief in den Stall und sattelte das Pferd des Vaters in fieberhafter Eile. Er wollte hinausreiten und irgendwo dort draußen allein sein. Später wollte er zurückkehren und der traurigen Pflicht nachkommen.
Als das Pferd gesattelt war, hörte er einen Schrei. Er zuckte zusammen, lief ins Haus und nach vorn. An der Tür prallte er zurück.
Der erste der vier Männer hing schlaff und tot am Strick. Das sattellose Pferd war bis zum nächsten Haus gelaufen und dort von einem Yankee aufgehalten worden. Gerade holte ein Soldat den leblosen Mann herunter, löste die Schlinge und zwei andere brachten den zweiten Gefangenen zu Pferde unter die Schlinge.
»Nein«, stöhnte er, »nein, das dürft ihr nicht tun!«
Aber sie würden es tun. Das war das Gesetz eines grausamen Krieges. So und nicht anders hatte auch der Süden seine Feinde gerichtet.
»Nein«, flüsterte Dave mit zersprungener Stimme, »nein.« Doch schon befand sich der zweite Gefangene unter dem mörderischen Strick, wurde ihm die Schlinge um den Hals gelegt.
Dave sah ganz deutlich das Gesicht des Mannes, den er so gut kannte. Jeden Tag hatte er ihn irgendwo in der Stadt getroffen, und sie hatten auch manchmal ein paar Worte miteinander gewechselt, hatten einander einen guten Tag gewünscht. Jetzt saß der Mann unter der Todesschlinge.
Dave konnte das alles nicht verstehen.
Wie im Traum hob er das Gewehr seines Vaters an.
Niemand sah herüber. Die Yankees hielten Waffen in den Händen, aber sie kehrten Dave den Rücken. Rauch wallte von den Feldern herüber und wehte am Mietstall vorbei. In der Stadt brachen die brennenden Häuser zusammen, und Funken wirbelten über die Straße. Deutlich sah Dave den Captain und den Sergeant. Der Captain stand gleich neben dem Strick und sagte irgendetwas zum Gefangenen. Der gefesselte Mann schüttelte den Kopf und presste den Mund ganz hart zusammen. Tapfer saß er auf dem Pferd. Die Schlinge lag um den Hals. Noch hing der Strick locker durch.
Schwer ruhte das Gewehr in Daves nassen Händen. Der Lauf ragte über den Platz hinweg, auf dem sein Vater den Tod gefunden hatte.
Immer wieder zogen Rauchschwaden über die Yankees hinweg. Die beiden Männer, die etwas abseits gefesselt auf den Pferden saßen, waren so bleich wie der Tod. Sie klagten nicht.
Dave wusste nicht, dass er Schicksal sein würde. Er würde diese beiden Männer retten, aber er ahnte es nicht. Er wollte den Mann mit dem Strick um den Hals retten.
Oft hatte Dave am Rande der Stadt mit dem Gewehr auf kleine Ziele geschossen. Sein Vater hatte nie etwas dagegen gehabt. Dave konnte sicher schießen, und er traute sich auch jetzt zu, den Strick mit einem einzigen Schuss zu durchtrennen.
Auf einmal war er ganz ruhig. Die Hände zitterten nicht mehr. Er war allein und würde wohl immer allein bleiben. Das Pferd stand hinterm Haus bereit. Die Dämmerung kam immer näher. Schon sank die Sonne hinter den Hügeln, und auf der Straße herrschte seltsam fahles Licht.
Da hob der Captain die Hand.
Hinter dem Pferd stand ein Soldat mit einem schweren Waffengurt in beiden Händen. Damit sollte er auf das Pferd losschlagen, damit es vorwärtssprang. Dann würde der Gefangene vom Pferd rutschen und an der Schlinge hängen Schieß, schrie es in Dave. Rette ihn! Schieß auf den Strick! Du triffst den Strick bestimmt!
Seine Augen flackerten heftig. Sekundenlang konnte er nichts sehen. Er kniff sie schnell zusammen – dann war alles wieder erschreckend klar zu erkennen.
Und dann schoss Dave.
Laut peitschte der Schuss über die Straße. Das Pferd machte einen wilden Sprung. Der Strick straffte sich. Die Soldaten wirbelten herum.
Du hast vorbeigeschossen, dachte Dave erschrocken und schnellte ins Haus, sah zurück. Die Menge der Yankees klaffte auseinander. Eine breite Gasse tat sich auf. Der Mann hing am Strick. Am Boden, fast unter dem Erhängten, lag der Captain, von der Kugel tödlich getroffen.
Dave warf das Gewehr weg, als wäre es plötzlich ein glühendes Eisen.
Er hatte doch ganz ruhig auf den Strick gezielt und geschossen! Aber die Kugel hatte den Captain getroffen!
Dave hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Unter den Hufen der Pferde hatte sich der Lauf ein wenig nur verbogen. Es war eigentlich ein Wunder, dass Dave mit diesem Gewehr überhaupt noch hatte schießen können. Die Kugel hatte ein Ziel gefunden, auf das Dave niemals geschossen hatte.
Ein Bleihagel kam herüber und prasselte gegen das Haus. Kugeln fauchten durch die offene Tür und schlugen in den Wohnraum hinein. Dave rannte nach hinten, warf sich aufs Pferd und jagte hinterm Haus entlang. Er ritt im Schutz der Häuser, kam an einem brennenden Haus vorbei, jagte davon.
Angst peitschte ihn in die Nacht hinaus.
Er sah und hörte nichts mehr.
Yankees hetzten zu den Pferden und wollten Dave folgen. Der Sergeant rief sie zurück. Schon kniete er neben dem Captain.
»Ich werde ihn erwischen, Captain!«, keuchte er. »Der Bastard entkommt mir nicht!«
Noch war Leben im Captain. Er sah hoch und in das raue Gesicht des Sergeant. Mühsam flüsterte er:
»Verständige – meinen Bruder, Sergeant. Er ist auch – Captain. Ihr werdet ihn – schon finden. Sagt ihm, dass ich …«
Über ihnen knarrte der Strick am hervorspringenden Dachbalken. Langsam stand der Sergeant auf, sah die Soldaten an und schüttelte den Kopf.
»Der Captain ist tot.«
Vielleicht hatten sie ihren Captain verehrt. Sie standen reglos und sagten nichts.
Düster blickte der Sergeant hoch und betrachtete den Mann am Strick, blickte dann zu den beiden Männern hin, die auf den Pferden hockten und mit dem Schlimmsten rechneten, holte tief Atem und sagte dumpf:
»Holt sie von den Gäulen. Wir haben diese Stadt erledigt. Ich will den verdammten Kerl erwischen. Soldat Heath, Cassidy und Klondike – ihr kommt mit mir. Corporal, Sie übernehmen das Kommando. Sie reiten mit den Männern weiter nach Süden. Zehn Meilen von hier ist die nächste Stadt. Dort werden wir uns treffen. Noch eine Frage?«
Niemand fragte.
Mit wuchtigen Schritten stapfte der Sergeant zu seinem Pferd und saß auf. Heath, Klondike und Cassidy folgten ihm.
Cassidy war es gewesen, der Dave hinter sich her gezerrt hatte.
Im Galopp jagten sie in die Nacht hinein.
Am nächsten Morgen kapitulierte der Süden, ging der Krieg offiziell zu Ende.
Befreite Farbige zogen in riesigen Scharen durch die Südstaaten. Der Süden entließ seine Soldaten. Der Norden brauchte seine Millionen Soldaten nicht mehr. Hunger und Elend breiteten sich im ganzen Süden aus und bis nach Norden. Auf den verbrannten Feldern gab es keine Ernte. Ausgebrannte Wagenwracks säumten die Wege von Norden nach Süden. Nordstaatler übernahmen die wichtigsten Posten im besetzten Süden. Darunter waren auch Farbige. Präsident Lincoln wollte Frieden und Versöhnung, doch im Süden wurde der Hass geboren. Der Krieg war vorbei, doch nicht der Hass, der zu immer schlimmeren Kämpfen führte.
Ein Mann, fast noch ein Jüngling, namens Dave Long, wusste davon nichts. Er wurde zum Spielball eines launischen Schicksals und in die wilden Strudel des blinden Hasses hineingetrieben. Er war ein Sohn des Südens, und ein Yankee hatte gesagt:
»Geh doch vor die Hunde!«
Diese Zeit kannte keine Menschlichkeit. Vor die Hunde gehen sollte alles. Vor die Hunde.
*
Dave ritt nach Südwesten.
Hell leuchteten die Sterne über dem weiten Texas und tauchten Hügel, Täler und Senken in bleiches Licht.
Wenn Dave verhielt, wenn das Pferd keuchend unter ihm stampfte und er zurücksah, hörte er den Wind über die Hügel kommen, sah er fernab das Feuer in der Stadt.
Und bald erkannte er die vier dunklen Staubwirbel hinter sich – die Verfolger.
Zäh und unerbittlich blieben sie auf seiner Spur. Er hatte keine Möglichkeit, die Spur zu verwischen. Zu weich war der Boden des Graslandes. Und er durfte es nicht zum Kampf kommen lassen, denn er hatte keine einzige Waffe bei sich.
Im Morgengrauen stieß er auf den Fluss, trieb das Pferd hinein und ließ es im Fluss weiterlaufen. Jetzt hatte er eine kleine Chance, die Spur zu verwischen.
Manchmal sah er herrenloses Vieh in Flusssenken stehen. Viele Rancher und ihre Söhne hatten gegen den Norden gekämpft. Der Süden hatte viele seiner Einwohner in den Krieg gejagt. Es waren nicht nur Freiwillige gewesen.
Stunden später sah Dave eine Ranch.
Er verließ den Fluss und ritt hinüber. Er hoffte, dort Unterstützung zu finden, Hilfe.
Das Pferd keuchte laut. Deutlich gruben sich die Hufe im Boden ein. Dave atmete rasselnd und spürte noch den Schmerz überall im Körper.
Niemand trat ihm entgegen und rief ihn an.
Der Corral war eingerissen, der Stall halb zerfallen. Unkraut wucherte überall. Ein loses Brett knarrte im heißen Wind. Die Tür des Ranchhauses schwang langsam hin und her.
»He!«, schrie Dave heiser. »Ist da jemand?«
Seine Stimme fand im Haus ein schwaches und unheimliches Echo.
Verkrampft stieg er vom Pferd und lief zur Tür. Vorsichtig trat er ein, stand in einem leeren und versandeten Raum, sah zerbrochene Flaschen und Krüge, ein paar Reste von Stühlen und sonst nichts.
Die Ranch war verlassen.
Dave hatte Zeit verloren – und dazu auch noch eine deutliche Spur hinterlassen.
Er kehrte um, lief zum Pferd und zog sich hinauf, ritt wieder los und näherte sich dem Fluss und der Baumkette. Verstaubtes Grün warf Schatten auf den Flusslauf. Dave neigte sich tief nach vorn, um nicht von den Ästen getroffen zu werden, lenkte das Pferd zum Wasser und horchte.
Dumpfes Hufgetrappel kam näher. Äste brachen, und Wasser spritzte auf.
Die Verfolger kamen!
Dave rutschte vom Pferd, hielt es fest und legte die Hand auf die Nüstern des Tieres.
»Ruhig«, flüsterte er, »mach keinen Lärm.«
Sonnenlicht durchdrang die Baumkronen und flirrte über den Uferrücken. Hell gleißte das Wasser vor Dave. Er verbarg sich und sein Pferd unter den Bäumen und wartete.
Und dann sah er sie kommen.
Der Sergeant ritt vorn, ihm folgten drei Soldaten. Dave erkannte den Mann wieder, der ihn über die Straße gezerrt hatte.
Sie trieben die Pferde durch den Fluss und zügelten sie plötzlich. Heiser tönte eine Stimme herüber:
»Hier, das ist seine Spur! Er ist zur Ranch geritten!«
Ihre Gesichter waren schweißnass und vom Jagdfieber verzerrt. Sie starrten umher und wischten sich übers Gesicht.
Die Uniformen waren nassgespritzt. Die Armwinkel des Sergeant leuchteten gelb herüber.
Dave wagte nicht, sich zu rühren. Er hielt das Pferd fest und starrte mit brennenden Augen zum Fluss hinunter. Tief hängende Zweige schützten ihn.
»Weiter!«, krächzte der Sergeant.
Sie jagten aus dem Fluss und über den sanften Uferrücken, verschwanden zwischen den Bäumen, dann sah Dave, wie sie im Galopp zur Ranch ritten.
Schon saß er auf und ritt wieder ins Wasser hinein, folgte dem Fluss, nach Süden und glaubte, die Verfolger endlich abgehängt zu haben.
Da fielen hinter ihm Schüsse.
Kugeln fauchten durch die Bäume und zerfetzten das Blätterwerk. Zweige knickten und fielen ins Wasser. Dicht neben Dave spritzte es hoch. Er sah zurück.
Die Verfolger waren hinter ihm im Fluss. Gewehre blitzten im Sonnenlicht grell auf. Blasses Mündungsfeuer flammte vor den Reitern. Ihre Gesichter waren vor Anstrengung gerötet. Sie schossen und kamen nähergeritten. Eine Kugel streifte Dave am Hemdsärmel.
Die Angst jagte Dave voran.
Er hatte schreckliche Angst, dass sie sein Pferd treffen könnten. Zu Fuß hätte er keine Chance.
So trieb er das Pferd unter die Bäume und ritt dicht am Baumstreifen entlang, und als die Verfolger hinter ihm hervorkamen, jagte er sofort wieder zum Wasser. So geschah es mehrere Male. Die Verfolger holten nicht auf. Sie blieben sogar ein wenig zurück, weil sie sich gegenseitig behinderten.
Der Tag war lang und heiß, die Soldaten zäh, und sie folgten ihm verbissen. Dave hatte kaum noch Hoffnungen. Irgendwann würde sein Pferd zusammenbrechen. Er konnte nicht zurückschießen, konnte sich die Yankees nicht vom Leibe halten.
Aber er hatte doch eine kleine
Chance. Er war nicht schwer, und das Pferd hatte sich lange im Stall ausruhen können, während die Yankees schon lange vorher unterwegs gewesen waren.
Langsam wurde der Abstand größer.
Dave sah vor sich die Hügel und dahinter die Berge. Irgendwo im Südwesten lag die Grenze nach Mexiko.
Als die Verfolger wieder einmal zwischen den Bäumen waren, riss Dave das Pferd hart nach rechts und ritt zu den Hügeln. Keuchend jagte er durch die Hitze des Nachmittags.
Die Verfolger entdeckten ihn zu spät.
Schon war er zwischen den Hügeln.
Sie blieben aber auf seiner Spur.
Noch niemals zuvor hatte Dave sich die Nacht so sehnlichst herbeigewünscht. Nur die Nacht konnte ihn retten.
Wildes Gestrüpp wucherte zwischen den Hügeln. Bäume standen in den Hügelfalten.
Immer wieder sah Dave nach der Sonne. Sie sank viel zu langsam. Die messingfarbenen Hitzeschleier am hügeligen Horizont ließen Himmel und Erde ineinanderfließen.
Aber dann war die Nacht da, und Sternenlicht sickerte durch die heranziehenden Wolken.
Es war eine schweigende Welt, die Dave umgab. Er stieg vom Pferd, als es nicht mehr weiter konnte. Zerschunden und kraftlos zog er es hinter sich her. Der Wind bewegte sein blondes Haar und trocknete ihm das Gesicht.
Die Sträucher flüsterten im Wind, und hohl hallte das Heulen der Texas-Wölfe herüber. Die Hufe des Pferdes klapperten über hartes Gestein. Der Pferdeschweiß tropfte auf Fels. Dave hörte nichts von den Verfolgern. Auch sie mussten von den Pferden gestiegen sein, vielleicht schon eine Meile vorher.
Allein kämpfte er sich durch die Nacht. Das Pferd erholte sich langsam. Er hatte den Wunsch, sich irgendwo zu verkriechen, sich einzugraben.
Sie wollten ihn töten, denn sein verhängnisvoller Schuss hatte ihren Captain getroffen. Er durfte nicht langsamer werden. Er musste zurück in den Sattel.
So ritt er weiter.
Und noch immer nicht wusste er, wohin der Ritt ihn führen würde.
*
Glühende Hitze nistete im weiten Tal. Staubige Wege führten von den Anhöhen herunter und zum Haus, das dort unten stand. Von Wind und Wetter ausgedörrt, abgewaschen und aufgesprungen, erhob sich die hässlich graue Fassade des Bretterhauses, die Aufschrift über dem Eingang war nicht mehr zu erkennen.
Langsam kam Dave herangeritten.
Er sah den versandeten Platz vor dem Haus und die offen stehende Tür. Eine zweite Tür, mit feinstem Draht bespannt, sollte die lästigen Fliegen aufhalten. Was hinter dieser Tür war, konnte Dave nicht erkennen. Aber dieses einsame Haus stand ja im Süden. Hier konnte er vielleicht Hilfe erwarten.
Als er das Pferd hinter das Haus lenkte, sah er ein Sattelpferd dicht am Brunnen im Schatten stehen. Im Scabbard steckte kein Gewehr.
Dave war nie Cowboy gewesen, aber er konnte erkennen, dass das fremde Pferd viele Meilen gelaufen und hier hinterm Haus abgerieben worden war.
Der Fremde musste im Haus sein.
Viel Zeit hatte Dave nicht, um nachzudenken. Die Verfolger mussten schon bald ins Tal kommen.
Langsam stieg er ab, fasste unwillkürlich dorthin, wo er sonst einen Colt getragen hatte, hob die Schultern an und ließ sein Pferd stehen. Mit tastenden Schritten ging er am Haus entlang zum Hof, verharrte an der Hausecke, roch das trockene Holz und den Staub im Tal und verengte die Augen. Forschend starrte er ins Tal hinaus, doch die Verfolger waren noch nicht zu sehen.
Was ihn auch immer im Haus erwarten mochte, er wollte hinein und die Menschen, die hier hausten, um Hilfe bitten.
Ein wenig geduckt, die Hände zu Fäusten geballt, näherte er sich der Fliegendrahttür, berührte schwach die offen stehende Holztür und horchte angestrengt.
Kein Laut kam aus dem Haus. Totenstille nistete hinter der Tür. Dave aber spürte, dass jemand hinter der Tür war, dass man ihn beobachtete.
Vielleicht war es eine Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Doch Dave war entschlossen, hineinzugehen.
Er streckte die linke Hand aus und berührte die Tür, drückte sie in den Raum hinein und schob sich über die Schwelle des Hauses. Er hielt die Tür fest und blickte suchend umher, im Haus war es halbdunkel. Dave konnte nichts erkennen. Er ließ die Tür los, und sie schlug knarrend hinter ihm auf und zu.
»Komm schon rein«, sagte jemand mit rauer, spröder Stimme. »Ich beiße nicht.«
Dave atmete schnell ein und versuchte den Mann im Halbdunkel zu erkennen. Er tappte wie geblendet in den Raum hinein und blieb stehen. Langsam konnte er nun alles wahrnehmen. Er sah braune hässliche Wände, einen Tresen aus Kistenholz, ein paar grobgezimmerte Tische, Hocker und ein paar verstaubte Flaschen auf den Tischen, die seit einer Ewigkeit nicht mehr berührt worden waren. Er erkannte Sandwehen auf dem Boden, die Stiefeleindrücke im Sand – er folgte jener Spur mit den Augen und sah einen Mann.
Dieser erschreckte ihn.
Trotzdem gehörte die Begegnung mit diesem Fremden zu Daves größten Erlebnissen, die er niemals vergessen würde.
Sonnenschein stach herein. Die Fliegendrahttür filterte das grelle Licht. Es erreichte kaum die verstaubten alten Stiefel des Mannes. Der Fremde saß auf einem Stuhl, hatte die Beine weit von sich gestreckt. Die schweren Chaps baumelten träge von den langen Beinen. Blankgeriebenes Leder schimmerte hervor. Tief hing das Halfter mit dem schweren Colt. Ein raues, mürbe gewordenes Hemd bedeckte den hageren Oberkörper, eine ausgebeulte Lederjacke hing über seine Schultern. Sehnige Hände lagen ruhig auf den Oberschenkeln. Die rechte Hand hielt eine Flasche Whisky.
Wie gebannt sah Dave in das Gesicht des Fremden. Es war ein hartes, faltiges Gesicht, in dem die schiefergrauen Augen wie blanke Steine schimmerten. Der Hauch der Wildnis umwehte den Mann. Kalt strömte es zu Dave herüber. Er fühlte sich wie festgenagelt. Der Blick dieser grauen Augen bannte ihn.
»Bedien dich, Hombre«, sagte der Fremde kühl. »Ein paar Flaschen sind noch voll.«
Dave schluckte trocken und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ich will keinen Whisky trinken.«
»Ach was«, knurrte der Fremde und bewegte die Flasche, dass der Whisky gluckste, »auch wohl so ein Muttersöhnchen, wie? Geh auf die Weide und trink Milch, warum kommst du überhaupt hierher, Bursche? Hast dich wohl verlaufen, was?
»Sie sind hinter mir her«, flüsterte Dave heiser.
Der Fremde neigte den kantigen Kopf zur Seite und schielte ihn durchdringend an.
»Wie heißt du?«
»Dave Lang.«
»Ich bin McGill.« Der Fremde sprach fast verächtlich. »McGill, der Dummkopf, der an Frieden und Liebe und so geglaubt hat. Der genau gewusst hat, wie verflucht schlimm der Krieg ist – und der doch nichts dagegen getan hat. Aber was rede ich. Wer ist hinter dir her, Hombre?«
»Yankees«, sagte Dave leise.
Der Fremde verzog das faltige Gesicht.
»Vielleicht bin ich auch ein Yankee, Hombre. Ich könnte dich hier festhalten, bis sie hier wären.«
»Ja, ich weiß.«
»Du weißt gar nichts, du Narr!« Mit wilder Bewegung schleuderte der Fremde die Flasche gegen die Wand, mit einem Knall zersprang sie. McGill zog die Beine an und erhob sich. Groß und hager stand er vor Dave und starrte ihn an. »Warum wollen sie dich erledigen?«
Dave sagte es.
McGill starrte dabei zu Boden. Nicht ein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht. Er schien Dave vergessen zu haben, ihn, das Tal, die Yankees und die ganze Welt.
»Das ist ja nicht gerade schön«, meinte er dann lakonisch und wandte sich dem Tresen zu, ging dahinter und nahm sich eine volle Flasche, biss in den Korken und spie ihn aus. »Den Captain hast du dabei erwischt. Ja, sie werden dich hetzen, Hombre – so lange, bis du tot vor ihren Stiefeln liegst. Sie sind wie Bluthunde, die Blut gerochen haben. Aber glaube nur nicht, dass die Südstaatler besser wären. Das sind genauso fanatische und verrückte Leute. Die würden gar nicht anders handeln. Der Krieg hat sie alle versaut. Diese Kerle können an nichts anderes mehr denken – nur an Hass und Kampf, Abschießen und Umbringen.«
Dave spürte einen kalten Schauer. Der Fremde sprach so ruhig über diese schrecklichen Dinge, als ginge ihn das alles gar nichts an, als stände er weit abseits und wäre nur stiller Beobachter eines grauenhaften Geschehens.
»Was tun Sie hier?«, fragte Dave unwillkürlich.
»Ich?« McGill lächelte zum ersten Mal. »Ich warte, ruhe mich aus und trinke. Frag nicht, warum. Yeah, ich glaube dir. Dann werden die Yankees wohl bald hier auftauchen, wie?«
»Ja.«
»Na, fein.« McGills Lächeln gefror. Er wandte sich ab und ging hinterm Tresen entlang. »Dieser Sauladen war mal eine Pferdewechselstation. Ein Stück hinterm Haus liegt ein Grab. Und in ihm der Mann, dem das hier einmal gehört hatte.« Er ging zum Fenster und wischte die Spinnweben und den Staub vom Glas, sah hinaus und murmelte: »Trostlose Gegend. Die Grenze ist nicht weit. Vielleicht warte ich hier vergebens, aber ich habe Zeit. Weißt du, wie der Captain hieß, den du erschossen hast?«
»Nein.« Dave lief plötzlich zur Tür und blickte ins Tal, doch die Verfolger kamen noch nicht.
»Nur immer ruhig bleiben, Hombre«, sagte McGill. »Deine Spur führt zu diesem Haus. Du gehst jetzt hinaus und reitest weiter. Nimm den Weg nach Süden. In den Bergen wirst du Freunde finden. Ich bleibe hier.«
Dave atmete schwer und tief ein und zögerte. Vielleicht wollte McGill ihn nur verraten. Dieser Mann kam Dave unheimlich vor. Seine eiskalte Ruhe erschien ihm verdächtig. Die Worte passten nicht zum Äußeren. Irgendetwas war mit diesem McGill nicht in Ordnung.
»Die Yankees werden Ihnen viele Fragen stellen«, flüsterte er. »Was werden Sie dann sagen?«
McGill drehte sich um, blieb vor dem Fenster stehen und blickte Dave durchdringend an.
»Nichts werde ich sagen. Ich werde dich vergessen haben, wenn du aus diesem Tal geritten bist. Vielleicht sehen wir uns mal wieder, Hombre. Verschwinde jetzt. Noch hast du Zeit.«
Diese Worte klangen ehrlich. Dave ging zurück zur Tür und drehte sich dort noch einmal zu McGill um.
»Wer sind Sie wirklich?«, flüsterte er. »Was tun Sie hier? Warum warten Sie hier?«
McGill trank, lächelte ausdruckslos und starrte dann düster hinaus ins sonnenhelle Tal.
»Verschwinde«, sagte er rau. »Niemand wird dir mehr folgen. Du hast das Glück gehabt, mich zu treffen, Hombre. Steig aufs Pferd und reite in die Berge. Mach’s gut, Dave Long. Und jetzt hau endlich ab!«
Dave biss die Zähne zusammen und verließ das Haus. Die Sonnenhitze traf ihn wieder und machte das Atmen schwer. Er blickte auf die knarrende Tür, hörte sein Pferd schnauben und lief plötzlich eilig nach hinten, warf sich aufs Pferd und ritt weiter nach Süden.
Am zerklüfteten Talrand verhielt er und sah zurück. Der Hof vor dem einsamen Haus war leer, der Fremde war im Haus geblieben. Das Sattelpferd stand noch im Schatten.
»McGill«, flüsterte Dave vor sich hin, als müsste er sich diesen Namen für alle Zeiten im Gedächtnis einbrennen, »McGill!«
Dann ritt er nach Süden davon und folgte den öden Pfaden in die Berge.
*
McGill stand am Fenster, hielt die Volcanic lässig in der linken Hand und starrte unentwegt hinaus.
Unter der Hitze flimmerte die Luft im Tal. Staub wanderte über die Hänge und tanzte im Wind.
Nach langer Zeit kehrte McGill zum Tisch zurück, legte die Volcanic darauf, setzte sich, und legte die Füße auf den Nebenstuhl. Dann nahm er die Flasche Whisky und trank etwas.
»Feiges Gesindel«, murmelte er einmal vor sich hin, blieb sitzen und starrte zum Fenster hinüber.
Die Sonne stand tief über den fernen Höhenzügen, und schon krochen die Schattenfelder vom westlichen Talrand herüber, als plötzlich der Hufschlag mehrerer Pferde die lastende Stille unterbrach.
McGill nahm noch einen Schluck aus der Flasche, dann ließ er den Whisky aus der Flasche glucksen und zu Boden fließen. Die leere Flasche legte er auf den Tisch und begann sie langsam hin und her zu rollen.
Die Reiter kamen schnell näher. Die Pferde keuchten, und Reiter husteten im Staub.
Der hagere Mann neigte sich nach vorn, spielte weiter mit der Flasche und starrte unter dem verschwitzten Stetson hervor. Er sah, wie vier Reiter dicht am Fenster vorbeikamen und auf dem Hof die Pferde zügelten.
Sein Gesicht war maskenhaft erstarrt. In diesem Gesicht gab es kaum Leben.
Draußen war es still. Hier im Haus war nur das dumpfe Geräusch der Flasche zu hören, die über die derbe Tischplatte rollte.
Schritte kamen näher.
McGill blieb lässig sitzen, ließ die Flasche rollen und starrte auf die Fliegendrahttür.
Mit gezogenem Army-Colt kam Sergeant Blackman herein und blickte suchend umher. Auch er brauchte Zeit, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. McGill konnte ihn forschend und abschätzend betrachten.
»He, Sergeant«, rief draußen der Soldat Klondike, »hier sind Spuren.«
Blackman knurrte und warf einen schnellen Blick hinaus, kam dann näher und blieb wie erstarrt stehen. Jetzt hatte er McGill erkannt.
Wieder rollte die Flasche über den Tisch und stieß diesmal gegen die Volcanic-Rifle. Es gab einen hellen, klirrenden Laut.
Blackman atmete pfeifend ein und starrte McGill unverwandt an. »Kommt rein!«, rief er dabei halblaut, ohne sich zu bewegen. »Hier ist jemand.«
Langsam lehnte McGill sich zurück, hob den Kopf und maß den Sergeant mit einem durchdringenden und kalten Blick.
»Lass deine Leute draußen, Sergeant«, murmelte er mit frostig klingender Stimme, »sonst bekommst du Ärger.«
Blackman drehte sich halb um und sah schnell über die Schulter hinweg. Dabei zog er unwillkürlich die Hand mit dem Colt hoch.
»Wartet noch!«, rief er heiser.
Dicht vor der Tür verharrten Heath, Cassidy und Klondike und versuchten, ins Haus zu sehen.
»Was ist denn los?«, krächzte Cassidy. »Hast du den Dreckskerl erwischt?«
»Nein, das ist er nicht«, antwortete Blackman. »Bleibt auf dem Posten, Jungs.«
Sie wichen zurück, blieben aber in der Nähe der Tür. An der Stimme des Sergeant erkannten sie, dass irgendetwas Bedrohliches im Haus sein musste. Sie zögerten, waren unruhig wie Bluthunde an der Kette und blickten sich mit flackernden Augen an.
»Ich sehe, wir verstehen uns«, sagte McGill leise. »Wenn diese Burschen hereinkommen sollten, wird es eine Schießerei geben, Sergeant.«
Blackman verzog das Gesicht und lächelte geringschätzig und verächtlich.
»Einer gegen vier Mann? Das wird ins Auge gehen, Mister.«
McGills Rechte ruhte auf dem Tisch. Mit der linken Hand ließ er die Flasche rollen. Sein starrer Blick fraß sich in die Augen des Sergeants.
»Ich würde es nicht erst versuchen, Sergeant.«
»Wer, zum Teufel, bist du, dass du das Maul so voll nimmst?«, flüsterte Blackman gereizt und drohend. »Wir sind hinter einem jungen Kerl her, der unseren Captain ermordet hat. Du weißt, wo er ist?«
McGill lächelte kalt.
»Ich weiß gar nichts«, dehnte er. »Ich will auch gar nichts wissen, Sergeant. Du bist für mich ein Yankee – und solchen Leuten helfe ich nicht.«
»Gut, dass du mir das sagst«, entgegnete Blackman düster. »Ich weiß jetzt wenigstens, auf welcher Seite du stehst. Wir werden dich schon noch in die Knie zwingen. Vielleicht hat sich der verdammte Halunke hier im Haus verkrochen. Du willst ihn schützen, aber das wird ihm nichts nützen.«
Bei diesen Worten wich der Sergeant langsam zur Tür zurück. Im Raum waberte die Luft vor Hitze, und der sengende Atem des nahenden Todes wehte durch den Raum.
Hass glühte im Gesicht des Sergeants auf. Der Blick der Augen verriet Gewalttätigkeit. Blackman würde sich nicht aufhalten lassen wollen.
Er war davon überzeugt, stark genug zu sein. Blitzschnell stieß er mit dem Rücken gegen die Fliegendrahttür, warf sich hinaus und schoss auch schon ins Haus.
McGill saß noch, aber die Rechte hatte blitzschnell die Volcanic gepackt, der Lauf zuckte herum und richtete sich auf die Tür. McGill erkannte den Sergeant deutlich hinter der aufschlagenden Tür und drückte ab. Die Kugel durchschlug die Tür und traf Blackman, noch ehe er sich in Deckung werfen konnte. Blackman stürzte schwerfällig auf den Hof. Staub wallte unter dem Körper hervor.
Ein Bleihagel zerfetzte die Drahttür und prasselte in den Raum hinein. Cassidy, Heath und Klondike schossen wie verrückt, trennten sich dann, hetzten auseinander. Cassidy blieb in der Nähe der Tür, Klondike rannte unterm Fenster entlang und Heath lief nach hinten, zerschlug dort mit wilder Bewegung das Fenster.
Wiehernd liefen die Pferde über den Hof.
McGill hatte sich Sekunden vor dem Bleihagel fallenlassen, kroch hinter die Theke.
Blindlings schoss Cassidy herein. Eine Kugel traf die Flasche, ließ sie auseinanderplatzen.
Unheilvolles Leben war in den Mann McGill gekommen. Er verlor nicht diese eiserne, unheimliche Ruhe, doch er war von einer Schnelligkeit, die tödlich sein musste, für alle Gegner, die ihm nach dem Leben trachteten.
Nicht er hatte diesen Kampf begonnen, sondern Blackman. Aber er hatte Blackman gereizt und die Ehre des Sergeants schwer getroffen.
Blackman lag still im Sand, die Hand mit dem Army-Colt vorgestreckt, als wollte er sich jeden Augenblick herumwerfen und ins Haus zurückschießen.
Aber nichts geschah. Blackman war tot. Sein heimtückischer Versuch, McGill vom Stuhl zu schießen, hatte ihn das Leben gekostet. Vielleicht hatte er auch geglaubt, dass McGill nicht so schnell und sicher reagieren würde.
Hallend lief das Echo der Schüsse durchs Tal und erstickte in der Hitze. Totenstille herrschte wieder im Tal. Selbst die Pferde waren still, und die Tür knarrte nicht mehr.
Dann tönte plötzlich schweres Stöhnen aus dem Haus. Cassidy hörte es deutlich und versteifte sich. Er lauschte angestrengt, während es im schweißnassen Gesicht zuckte und die Augenlider hektisch flatterten.
Klondike kauerte schräg unter dem Fenster und starrte mit geröteten Augen zu Cassidy hinüber. Beide zögerten noch.
Das Stöhnen nahm zu, verebbte, verstummte – und dann war es wieder da, so mühsam und langanhaltend, dass Cassidy und Klondike glaubten, McGill getroffen zu haben. Aber sie harrten noch aus, warteten und horchten.
Nach langen, zermürbenden Minuten erstarb das Stöhnen. Totenstill war es im Haus. Der raunende Wind trieb Flugsand übers Dach hinweg und ließ den Sand herniederrieseln. Die Tür bewegte sich ein wenig, wie von Geisterhand berührt.
Blutrot versank die Sonne im Westen und schickte ihre letzten Strahlen über das weite Land. Die Fensterscheibe reflektierte den Sonnenschein, und es sah so aus, als wäre im Haus Feuer ausgebrochen.
McGill war noch hinter der Theke. Er hatte die Volcanic auf den Tresen gelegt und den Colt gezogen. Lautlos glitt er zur Tür, hinter der die kleinen Hinterräume lagen. Vorsichtig öffnete er die Tür und lauschte. Heath war von hinten ins Haus gestiegen und schlich durch die Räume. McGill hörte ihn kaum, doch er spürte die Nähe des Gegners.
Schnell glitt McGill zurück, packte eine volle Flasche Whisky und stellte sich hinter die Tür. Er atmete flach und lautlos und wartete mit gezogenem Colt.
Tief geduckt näherte Heath sich der angelehnten Tür. Er hörte nichts, hielt den Army Colt festgepackt und starrte mit glühenden Augen auf die Tür.
In diesen Tagen, Wochen und Monaten gab es nur Hass, keine Versöhnung.