Читать книгу Die großen Western Staffel 5 - Diverse Autoren - Страница 6

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»Mister«, sagt Wesley mit seiner krächzenden Stimme scharf. »Mister, Sie haben gar nichts zu verlangen, verstehen wir uns? Wann und an wen man hier Geld auszahlt, das ist meine Sache, begriffen? Ich habe zu arbeiten, Mister. Das ist alles!« Er nimmt das Lineal wieder hoch. Dann legt er es auf eine der Seiten seines dicken Hauptbuches und zieht sorgsam einen Strich unter eine Kolonne Zahlen.

»Wesley, ich rede mit Ihnen«, murmelt Jim Kendall leise und doch so grimmig, dass die draußen versammelten Fahrer die Luft anhalten. »Sie haben doch wohl nicht richtig verstanden, wie? Ich sage, Sie zahlen den Lohn an Van Buren jetzt aus. Und wenn ich jetzt sag, dann meine ich jetzt, ist das klar?«

John Wesley zieht noch einen schönen Strich. Dann erst hebt er, als sei er mächtig erstaunt, den Kopf.

»Sie sind ja noch immer da, Mister«, stellt er verwundert fest. Er nennt Kendall nie beim Namen. Für ihn ist jeder ein einfacher »Mister«, und damit hat es sich. »War ich nicht deutlich genug?«

Er will die Seite umblättern, legt das Lineal beiseite und zuckt jäh zusammen. Kendall schnappt sich das Lineal, holt aus und schlägt es mit voller Wucht auf das Buch. Es klatscht so laut, als hätte Wesley eine Backpfeife bekommen.

»Zum letzten Male, Wesley«, grollt Kendall. »Wollen Sie nun auszahlen, oder haben Sie Lust, Ärger zu bekommen?«

Wesley lehnt sich zurück. Sein rotes Gesicht ist bleich geworden, aber sicher nicht vor Furcht, eher vor Wut.

»Kendall«, sagt er nun, und jetzt nennt er Kendall doch beim Namen, »wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, erleben Sie einige Dinge. Sie können zu sonst wem unverschämt sein, aber nicht zu mir, verstanden? Scheren Sie sich zu Ihresgleichen. Das ist ein Befehl, Mister!«

»Was ist das?«, erkundigt sich Kendall leise. »Wesley, Sie haben vor, mir einen Befehl zu geben? Mann, jetzt reicht es, Ihr Größenwahnsinn ist nicht mehr zu ertragen. Ich zähle bis drei. Ist dann die Geldkassette nicht auf dem Tisch, haben Sie Ärger. Ich habe Sie höflich gebeten, der Anweisung Mr Spaldings nachzukommen. Sie aber reden mich mit Mister an, tun so, als sei ich nicht vorhanden und malen in Ihrem verdammten Buch seelenruhig weiter. Sie sind wie ich an Mr Spaldings Weisungen gebunden. Eins, zwei …« Er macht eine kleine Pause und sieht, wie Wesley die Zähne zusammenbeißt.

»Drei.«

John Wesley stößt einen leisen zerbissenen Fluch durch die Zähne. Dann beugt er sich nach rechts und greift in den Schreibtisch. Dort steht die Kassette.

Aber als Wesley die Hand hochbringt, hat er nicht etwa die Kassette in ihr.

Stattdessen erscheint über der Tischkante der sechskantige Lauf von Wesleys Trubia-Revolver.

Die Mündung zuckt hoch und richtet sich blitzschnell auf Kendall. In Wesleys Augen glitzert Wut.

»Raus!«, sagt er wild. »Hinaus, Sie Strolch. Scheren Sie sich zu den anderen Vagabunden, die dort draußen neugierig die Löffel aufhalten, sonst mache ich Ihnen Beine. Hinaus, Sie verdammter Herumtreiber!«

Und dann knackt der Hammer.

Wesley hat den Hahn gespannt.

*

Joe Moore hat sich auf zwei Kisten gestellt. Der untersetzte Mann kann in den Raum blicken und stößt entsetzt den Atem aus. Neben den Kisten steht Tom Blyton, ein anderer Fahrer. Auch er hört das Klicken. Ehe er aber raten kann, was es zu bedeuten hat, sagt Kendall im Office spröde:

»Wesley, nehmen Sie den Revolver weg. Sind Sie verrückt, Mann? Sie zielen mit einem gespannten Revolver auf meine Brust.«

»Wenn du verdammter Herumtreiber willst, auch auf deinen Schädel«, erwidert Wesley mit fauchender Stimme. »Hinaus, sagte ich. Scher dich zum Teufel, Kendall. Noch bin ich hier der Boss, begriffen?«

Jim Kendall rührt sich nicht. Er blickt auf den hochwandernden Revolverlauf und mitten in die Mündung.

»So ist das?«, fragt er leise. »Wesley, ich bin also ein Strolch, ein Herumtreiber und Vagabund. Nun gut, Wesley, die Sache wird Sie einiges kosten. Wir werden sehen, was passiert, wenn Mr Spalding zurückkehrt. Wie Sie wollen, Mister.«

Er wendet sich langsam um, zuckt die Achseln und geht zur Tür. Dort steht auf einem Blumenständer eine Topfpflanze. Sie gehört Spalding. Seitdem Spalding fort ist, hat Wesley die Pflanze nicht mehr gegossen. Er findet jede Art Pflanzen in einem Office als blödsinnigen Raum und Zeit wegnehmenden Quatsch.

»Raus! Und mach die Tür gefälligst leise zu!«, giftet Wesley in seinem Rücken. »Leise, verstanden?«

»Sicher«, antwortet Kendall kurz. Er greift nach dem Türdrücker, öffnet die Tür, streckt dann aber blitzschnell die Hand nach der vertrockneten Topfpflanze aus.

Moore draußen hat es kommen sehen. Kendall stammt aus Texas. Dort bringt man manchmal einen Mann wegen weniger als einer Beleidigung um. Zielt jemand jedoch auf einen anderen mit einem Colt, kann das tödlich sein.

Was immer Wesley gedacht haben mag, an den Blumentopf ganz sicher nicht. Zudem hat Kendall sich friedlich und nachgebend verhalten.

Als Kendall jetzt halb in der Tür ist und seine rechte Hand zuschnappt, reagiert Wesley viel zu spät.

Ohne sich umzusehen, schleudert Kendall den Blumentopf nach hinten. Im gleichen Moment wirft er sich auch schon geduckt herum. Er ist blitzartig zusammengesunken, um Wesley kein Ziel zu bieten. Vielleicht würde Wesley seine Drohung, ihm mit dem Colt Beine zu machen, auch nie in die Tat umgesetzt haben.

Im Herumschwingen hört Kendall Wesleys heiseren schrillen Aufschrei. Dann sieht er den Mann nach hinten kippen.

Im nächsten Augenblick brüllt der Trubia-Revolver in Wesleys Hand los. Die Kugel fährt ausgerechnet in das Bild von Isaak Wade, dem Gründer der Overland. Glas regnet herunter. Das schwere Dröhnen hallt durch das ganze Haus und über den Hof. Dort fahren sämtliche Zuhörer zusammen.

Moore springt mit einem Satz von den Kisten herab, um sich durch das offenstehende Fenster in das Office zu stürzen. Doch er bleibt einen Augenblick später stehen. Jetzt sieht Moore, wie Kendall mit einem Riesensatz auf den Schreibtisch Wesleys zufliegt. Dort brüllt Wesley nun wie ein Jungstier, dem man das Brandzeichen aufdrückt. Zwar versucht Wesley noch den Colt zu schwenken und auf Kendall zu richten, aber es ist zu spät.

Kendalls linke Hand fängt Wesleys Unterarm ab. Gleichzeitig prallt Kendall so wuchtig gegen den Schreibtisch, dass der über den Boden saust. In der nächsten Sekunde hockt Wesley eingeklemmt zwischen Tür und Zimmerwand auf seinem Bürostuhl.

»Du verdammter lausiger Maultiertreiber!«, brüllt Wesley giftig. »Ich werde dich zum Sieb machen.«

Jim Kendall reißt Wesleys Arm nach unten. Wesleys Ellbogen knallt auf die Tischplatte. Augenblicklich öffnet er die Finger, und dann poltert der Colt zu Boden.

»Was bin ich, du hinterlistiger Halunke?«, fragt Kendall mit einem grimmigen Fauchen. »Du nennst mich einen Strolch, Mensch, du bedrohst mich mit deinem Revolver? Warte, dir bringe ich bei, mich wie einen Narren zu behandeln. Raus da hinten!«

Er packt Wesley am Kragen. Während er sich über die Tischplatte beugt und Wesley hochreißen will, schlägt der mit der linken Faust zu. Der Hieb des stämmigen Mannes trifft Kendalls rechtes Auge. Es ist ein Schmerz, der Kendall rasend vor Zorn werden lässt. Ohne noch ein Wort zu sagen, schleudert Kendall nun den Tisch zur Seite. Im nächsten Augenblick schon ist Wesley frei und nutzt die Gelegenheit, sich abzustoßen und auf Kendall zu werfen.

»Er bringt ihn um«, keucht Moore draußen entsetzt. »Der Narr Wesley, warum hat er nur geschossen?«

Im Office erschallt Wesleys schrilles, wütendes Geschrei. Wesley keilt wie wild aus. Seine Arme sausen wie Windmühlenflügel durch die Luft. Dann sieht er die Faust durch das Umherzucken seiner Arme heranschießen und schreit nicht mehr. Der Haken Kendalls erwischt Wesley am Kinn und hebt ihn hoch. Er saust rücklings auf das Fenster zu. Das Fensterbrett stoppt seinen Flug einen winzigen Augenblick, bis Wesley das Übergewicht verliert. Er stürzt rücklings über das Brett und landet draußen vor dem Haus.

Halb benommen will Wesley sich aufstemmen, als er über sich Kendalls Schatten auftauchen sieht. Augenblicklich zieht Wesley die Beine an. Er tritt aus, und es gelingt ihm, Kendalls rechtes Bein zu treffen. Kendall stürzt schwer hin. Ehe er auf die Beine kommen kann, hat Wesley neben sich gegriffen. An der Hauswand lehnen einige Kistenbretter. Wesley packt eins, holt aus und schlägt zu.

Im gleichen Moment wirft Kendall sich zur Seite. Das dicke Kistenbrett trifft den Sand neben Kendall und jagt eine Staubwolke hoch. Kendalls Zurückrollen kommt schnell genug, um das Brett gegen den Boden zu pressen. Wesley kann es nicht mehr hochschwingen und noch einmal zuschlagen. Stattdessen tritt Wesley noch einmal zu. Diesmal aber hat er kein Glück. Kendall weicht aus, packt Wesleys linkes Bein und dreht.

Über den Hof gellt Wesleys kreischender Schmerzschrei. Um nicht den Fuß ausgedreht zu bekommen, muss Wesley sich herumwerfen. Er fliegt auf den Bauch. Zwar reißt er noch seinen rechten Hacken hoch, doch Kendall landet trotzdem auf seinem Rücken und packt ihn nun richtig.

»Du hinterhältiger Bursche«, knirscht Kendall voller Zorn. »Treten kannst du. Das ist deine Art zu kämpfen, was? Jetzt pass auf, so kämpfe ich.«

Er reißt Wesley hoch und beginnt sich zu drehen. Vergeblich bemüht sich der kreischende Wesley, mit nach hinten greifenden Händen irgendwo an Kendalls Rockärmeln einen Halt zu finden. Es ist umsonst. Um Wesley dreht sich der Hof immer schneller, bis Kendall ihn jäh loslässt. Brüllend fliegt Wesley mehrere Schritte weit. Er landet im hochpuffenden Staub an der Rampe des Verladeschuppens neben dem Haus.

Keuchend und fluchend zieht Wesley sich an der Rampenkante hoch.

»Du wirst das büßen!«, schreit Wesley gehässig. »Deine Station kannst du dir in den Mond schreiben, Kendall, das verspreche ich dir. Achttausend Dollar hast du haben wollen, aber du bekommst sie nie, sage ich. Du willst selbstständiger Handelsagent mit einem Vertrag der Overland werden? Niemals, solange ich etwas zu sagen habe. Du fliegst so schnell hier heraus, dass dir …«

Kendall nimmt die Arme herunter und macht zwei Schritte auf den Trog zu. Augenblicklich stellte Wesley sein gehässiges Geheul ein und krümmt sich angstvoll.

»Dir reicht es noch nicht, was?«, erkundigt Kendall sich finster. »Nun, die achttausend Dollar bekomme ich schon, du kannst Gift darauf nehmen, Mister. Irgendwoher treibe ich das Geld auf. Einer von uns beiden ist auf die Dauer hier zu viel, denke ich. Je eher ich das Geld habe, umso schneller kann ich mich auf eigene Füße stellen. Warte, dir zeige ich …«

»Kendall!«

Der scharfe, grollende Ruf lässt Kendall stehen bleiben. Langsam wendet Jim sich um.

Er sieht Roy Spalding auf seinem großen knochigen Wallach am Tor halten.

Spalding hat die Hand am Revolver. Er ist bereit, jeden weiteren Streit zu verhüten.

Mit einem Hackenschlag treibt Spalding sein Pferd an.

»Kendall, Wesley, was ist los?«

»Er hat mich angegriffen«, geifert Wesley und krabbelt fluchend aus dem Trog. »Er hat …«

»Er lügt«, meldet Moore sich scharfzüngig. »Mr Spalding, ich habe alles gesehen. Er hat Jim mit dem Colt bedroht und geschossen.«

Spalding runzelt finster die Brauen. Dann steigt er ab, wirft einem der Männer die Zügel zu und deutet auf das Office.

»Beide hinein und absoluter Friede«, sagt er scharf. »Wir werden sehen, was hier passiert ist. Geht an die Arbeit, Leute. Die Sache ist vorbei.«

»Für mich nicht«, giftet Wesley. »Wenn Sie mir keine Genugtuung verschaffen, Mr Spalding, beschwere ich mich in Salt Lake City bei …«

»Wesley, seien Sie ruhig«, knurrt Spalding gereizt. »Gehen Sie beide ins Haus, vorwärts.«

Er wird keinem etwas tun, denkt Moore bitter. Spalding ist ein gutmütiger Mann, der immer den Ausgleich sucht. Er braucht Wesley, aber mehr noch hat er Jims unersetzbare Erfahrungen nötig. Es wird mit einer Menge Worten ausgehen. Recht bekommt Jim nicht.

Genauso kommt es!

*

Wesleys Gesicht sieht nun aus, als hätte er die Beulenpest. Schwellungen zeichnen sich rot an Kinnwinkel, Mund und Wangenbögen ab. Der stechende, scharfe Blick John Wesleys wandert zu Roy Spalding hinüber.

»Mr Spalding, ich – ich hatte es vergessen«, sagt er, und niemand ist sicherer als Kendall, dass Wesley glattzüngig lügt. »Zuerst nahm ich an, dass Sie, als Sie Van Buren besuchten, Geld dagelassen hätten. Und dann vergaß ich die Sache. Meine Arbeit, die neuen Listen und Kundenbücher.«

»Schon gut«, erwidert Spalding finster. »Haben Sie Kendall von diesem Vergessen berichtet, Mr Wesley?«

»Ich – ich sah keinen Grund. Er ist nicht mein Vorgesetzter«, murrt Wesley. »Zudem war es mir peinlich, mein Vergessen einzugestehen. Wo kommen wir hin, wenn jeder Mann ankommen und mir Vorschriften machen kann.«

Spaldings hageres, von Falten durchzogenes Gesicht zuckt einmal. Kendall weiß genau, dass Spalding einige Dinge an Wesley nicht gefallen. Jedoch ist Wesley mit einem der Bosse der Overland aus Saint Louis verwandt. Der Mann lässt nie eine Gelegenheit aus, um mit seiner Verwandtschaft zu protzen. Wesleys Verbindungen reichen auch nach Salt Lake City zum Hauptquartier der Overland. Er ist von dort aus hergeschickt worden, um alle Geldangelegenheiten der Overland zu regeln. Diese Vormachtstellung nutzt Wesley bei jeder Gelegenheit aus. Er macht in Gelddingen auch Spalding etwas vor. Spalding hat sich vom einfachen Kolonnenboss zum Leiter der Overland in Nevada hochgearbeitet. Aber er kennt sich mit den Geldangelegenheiten nicht gut genug aus.

»Kendall ist nicht irgendwer, nicht irgendein Mann«, brummt Spalding, der selbst jedem Streit aus dem Weg geht. Spalding versucht immer erst zu vermitteln, ehe er sich zu einem harten Entschluss durchringt. »Wesley, Sie wissen verdammt genau, dass Kendall unser bester Mann von Salt Lake City bis nach San Franzisko ist. Niemand kennt dieses Land wie er. Sie hätten Ihren Colt nicht auf ihn richten sollen.«

»Ich hätte nicht geschossen, aber seine Unverschämtheiten …«

»Hören wir davon auf«, schneidet Spalding ihm das Wort ab. »Die zwei wichtigsten Leute der Nevada Overland prügeln sich vor allen Leuten, der Teufel soll das holen. Kendall, ich hätte Sie für klüger und besonnener gehalten, verstanden? Ich liebe solche Sachen nicht, ist das klar, in Zukunft kommen Sie zu mir, ehe Sie jemand angreifen. Schon gut, ich will nichts mehr hören. Zuerst kommt hier die Arbeit, und damit Sie sich beide beruhigen können, werde ich Sie einige Zeit trennen. Kendall, Sie leiten den morgigen Transport nach Salt Lake City. Die Listen werden heute noch zusammengestellt. Dann fahren Sie los.«

Er tritt mit einem immer noch finsteren Gesicht ans Fenster.

Dann schließt er es und dreht sich um.

»Was ich Ihnen jetzt sage«, beginnt er danach, »haben Sie beide unter allen Umständen für sich zu behalten. Sie dürfen mit niemandem darüber reden, verstanden?«

Wesley grinst mit offenem Hohn Kendall an. Kendalls Auftrag erscheint Wesley wie eine Strafversetzung. Sein überlegenes Lächeln erlischt aber, als Spalding fortfährt:

»Kendall, Salt Lake City hat Sie vorgeschlagen. Man hat keinen besseren Mann für die Sache. Die California Statebank hat in der US Münzanstalt Silberdollars im Wert von etwa achtzigtausend Dollar prägen lassen. Es sind Jubiläumsdollar zum Tag der zwanzigsten Wiederkehr der Zugehörigkeit Kaliforniens zu den USA. Das Geld liegt ab nächste Woche in Salt Lake bereit. Es wird mit einem normalen Transport hergebracht. Das heißt, Sie werden wie bei einigen wertvollen Transporten lediglich zwei zusätzliche Wachreiter erhalten. Dazu vier Fahrer für die beiden Wagen. Das Geld wird in Kisten verpackt, die den Aufdruck ›Maschinenteile‹ tragen – Pumpen und so weiter, verstanden?«

»Und die Schwere der Kisten?«, fragt Kendall sofort. »Mr Spalding, wenn die Kisten verladen werden, muss man sie notgedrungen anheben. Man wird merken, dass sie voll Metall sind.«

»Pumpenteile, Ventile und das Zeug für Minenmaschinen sind aus Rotguss und fast so schwer«, antwortet Spalding trocken. »Damit kein Verdacht aufkommt, machen Sie beim Verladen selbst mit, Kendall. Sie lassen eine Kiste auf die Laderampe fallen. Sie wird aufplatzen und eine Menge Gussteile ausspucken. Es ist alles verabredet, Kendall. Niemand wird erfahren, was in Wahrheit in den Kisten ist. Außerdem wird eine ganze Anzahl wirklicher Maschinenteile mitgeführt. Es sind die gleichen Kisten, sie tragen nur eine andere Bezeichnung auf dem Deckel. Die Silberdollarladung wäre zu klein für zwei Wagen. Wir haben, wie Sie sehen, an alles gedacht.«

»Achtzigtausend Dollar«, murmelt Kendall nachdenklich. »Und wie unterscheide ich die Kisten?«

»Sie haben gerade und ungerade Nummern, Kendall. In den Ungeraden ist das Geld. Sie werden den größten Teil der Geldkisten auf einen Wagen laden, da es mehr ungerade Nummern gibt als gerade. Die Fahrer suchen Sie selbst aus, aber so, dass es keinem auffällt. Teilen Sie nachher die Leute so ein, dass die besten Fahrer in die Salt-Lake-Gruppe kommen. In jedem Fall nehmen Sie Moore mit. Er hat Augen und Ohren wie ein Luchs. Der Mann riecht Verdruss auf zehn Meilen.«

»Ich hätte ihn ohnehin mitgenommen, Mr Spalding. Noch etwas: Ich habe neulich Mr Wesley den Vorschlag gemacht, eine Zweigstelle in Idaho einzurichten. Twin Falls wäre der beste Ort dafür. Es gibt immer mehr Transporte ins Idaho-Territorium, Mr Spalding. Ich könnte den Handel dort intensivieren und eine Hauptstation aufbauen, die ich selbst leite. Die Station kann ich nicht selbst aufbauen, mein Geld reicht nicht dazu. Mein Vorschlag war …«

»Sein Vorschlag war«, unterbricht ihn Wesley kühl, »dass ihm die Overland achttausend Dollar für diese närrische Idee vorschießen solle. Kendall sagte mir, er würde die Leitung der Overland im westlichen Idaho übernehmen und zehn Jahre lang für uns arbeiten. Aber nur, wenn er das Geld bekäme. Erhielt er es nicht, würde er sehen, einen Partner zu bekommen und dort oben eine eigene Transportlinie aufzumachen. Diese unverschämte Drohung …«

»Wesley!«, knurrt Spalding scharf. »Die Idee ist nicht mal schlecht. Kendall, sollte der Vorschlag so lauten, dass Sie sich nach zehn Jahren eine eigene Linie aufbauen würden?«

»Ja«, antwortet Kendall knapp. »Das meine ich. Wenn die Overland in zehn Jahren die Hauptstrecken besitzt, bleiben mir genug Nebenstrecken. Ich sehe eine riesengroße Chance für die Overland.«

»Und für sich selbst, was?«, fragt Wesley nicht ohne Hohn. »Kendall, Ihr Plan ist zu leicht zu durchschauen. Wir geben Ihnen kein Geld für eine Hauptstation. Zehn Jahre lang können wir sie nur nutzen, dann gehört sie Ihnen – und damit die meisten Kunden dort. Und das sollen wir auch noch finanzieren? Keinen Cent, ich wiederhole es nochmals.«

»Hören Sie zu«, knurrt Kendall und geht zur Tür, »ehe ich Sie noch mal aus dem Fenster werfe, Sie Giftnatter, gehe ich besser. Aber eins sage ich Ihnen, Wesley, den Plan führe ich durch. Mr Spalding, wenn Sie mich noch brauchen, ich bin im Hof.«

Er schmettert die Tür hinter sich ins Schloss und geht hinaus.

»Dieser Halbwilde«, stößt Wesley hinter ihm heraus. »Er bekommt es fertig und geht in Ihrer Gegenwart auf mich los, Mr Spalding. Ich sage Ihnen, einer von uns beiden ist zu viel hier. Entweder geht Kendall, oder ich gehe eines Tages.«

*

Kendall muss sich mit aller Gewalt zwingen, weiter gegen den von Westen kommenden Sturm anzurennen. Das Pferd will ihm kaum gehorchen. Aus dem Basin der Vierzig-Meilen-Wüste peitscht der Weststurm ungeheure Mengen Sand vor sich her auf die Humboldt-Berge zu.

Seit sechzehn Tagen rollen die beiden Transportwagen unter Kendalls Führung von Utah aus durch Nevada. Bis auf einen Radbruch ist nichts passiert, was Kendall Anlass zu irgendwelchen Sorgen geben könnte. Beim Verladen hat Kendall eine Kiste mit gerader Nummer auf die Kante der Verladerampe in Salt Lake krachen lassen. Die Kiste brach entzwei, ihr Inhalt kollerte in den Hof. Die Männer hatten sich schon über das Gewicht der Kisten gewundert. Als sie jedoch sahen, was an Einzelteilen in der zerbrochenen Kiste war, verstummte das Gerede. Außer Kendall hat niemand eine Ahnung, was wirklich in den Kisten mit den ungeraden Nummern steckt.

Im Brausen und Heulen des Sturms hört Kendall hinter sich den Hufschlag. Ed Yatskell, einer der beiden Wachreiter, kommt zu ihm. Yatskell hat wie alle das Halstuch vor den Mund gebunden, um nicht dauernd Sand zu schlucken. Die Sicht reicht kaum fünfzig Schritt weit, und der Sturm nimmt an Heftigkeit zu.

»Kendall!«

»Was ist?«, fragt Kendall, als Yatskell neben ihn kommt. »Noch zehn Meilen, dann ist es für heute vorbei. Wir brauchen Wasser, Ed.«

»Das wollte ich gerade fragen«, schreit Yatskell ihm heiser zu. »In der Tonne unter Moores Wagen ist noch etwas. Sollen wir halten und die Tiere tränken? Kendall, vielleicht hätten wir doch besser auf dem normalen Weg bleiben sollen?«

»Mein lieber Mann, dort hätte der Sturm uns weggeblasen«, antwortet Kendall. »Sieht man in der Halbwüste einen Sturm aufkommen, dann muss man Schutz suchen und in die Berge. Keine Rast jetzt, Mann. Wir müssen erst am nächsten Berg vorbei, dann durch ein Tal und wieder um einen Berg. Der Weg vor uns wird schmal. Reite zurück und sage Bescheid, dass die Wagen dicht hintereinander fahren sollen. Dort vorn packt uns der Wind besonders stark.«

»Gut, Jim. Wie weit noch, bis wir auf dem schmalen Weg sind?«

»Eine halbe Meile. Moore kennt die Stelle, dem brauchst du nichts zu sagen. Erkläre aber Thomas, dass er auf meine Rufe achten und dann scharf rechts fahren soll. Es geht linker Hand an der schmalsten Stelle verdammt steil hinunter. Diese Stelle ist kaum mit einem Pferd zu schaffen, geschweige denn mit einem Wagen. Eine halbe Meile noch, Yatskell. Danach durch das Tal und um den nächsten Berg. Dort gibt es steiniges Gelände und bald Wasser. Zurück mit dir, Mann.«

Obgleich die Sicht immer schlechter wird, kennt Kendall sich auf diesem Abkürzungsweg durch die Berge genau aus. Der Weg führt schließlich durch die Vierzig-Meilen-Wüste. Aber er ist wesentlich kürzer als der Hastings Cutoff. Dieser letztere Wagenpfad schneidet das Wüstenbecken des ehemaligen Lahontan-Sees in seiner ganzen Länge.

Hinter Kendall wird nun das Rasseln und Knarren der Wagen lauter. Kendall hält sein Pferd etwas zurück und legt weniger Abstand zwischen sich und die Wagen.

Es ist keine halbe Meile mehr bis zum Berghang. Dort zieht sich der Weg auf halber Höhe an einem gigantischen stufenförmigen Hangabschnitt entlang.

*

Klick. Der eine Mann fährt hinter dem Busch herum. Er sieht seinen Partner undeutlich hinter einigen Felsbrocken kauern und sagt wütend:

»Was fingerst du denn dauernd mit deinem Schießprügel herum. Wozu lädst du dauernd durch?«

»Wozu – wozu?«, knurrt der andere mürrisch und gereizt. »Du hockst da gut im Windschatten der Felsen, Mann. Aber ich bekomme den dreimal verfluchten Sand dauernd ab. Ich halte es vor Jucken bald nicht mehr aus. Verfluchter Alkalistaub, mistiger. Das kratzt wie Läuse.«

»Na, das könnte dir doch kein unbekanntes Jucken sein«, sagt der Mann hinter dem Busch hämisch. »Im Jail hatten wir doch Läuse genug. Deck deinen Schießprügel zu, dann dringt kein Sand in den Verschluss, verstanden?«

Jemand taucht aus den wie Nebelschleier wirkenden Wogen des Sandsturmes auf und wirft sich neben dem Busch hin.

»Was ist los? Wie lange sollen wir hier noch hocken? Das hält ja kein Mensch aus, Mann. Ausgerechnet bei dem verdammten Wetter müssen wir hier warten?«

»Yeah, ausgerechnet bei dem Wetter«, entgegnet der Ankömmling finster. »Er weht alle Spuren wieder zu. Darum sitzen wir ja hier. Niemand wird die Huftritte entdecken, wenn wir mit der Sache fertig sind. Ob der Kerl wirklich hier herauffährt?«

»Muss er, er kann nicht über den Berg fliegen«, gibt der Hagere kurz zurück. »Es kann nicht mehr lange dauern, dann sind sie hier. Ich wünschte, die Sicht wäre etwas besser. Verdammt schlecht zu zielen bei dem Sandsturm.«

»Ja, und wenn du das Gewehr hebst, wackelt das Ding auch noch, sobald der Sturm es packt.«

»Ihr werdet treffen. Wir müssen sie schlagartig erwischen, vergesst das nicht. Finden sie in den Wagen Deckung, sieht die Sache nicht ganz so leicht aus.«

»Dazu kommen die doch nicht mehr«, mischt sich der dritte Mann ein. Er ist hinter den Felsen herausgekommen und breitet seine Decke aus. »Haltet sie mal hoch, ich will mir eine anstecken.«

Er brennt sich seine Pfeife an und starrt aus schmalen Augen zu dem unter ihnen liegenden Weg hinab. Die Sandwogen peitschen über den Hang und lassen bereits die Büsche am linken Wegrand verschwimmen.

Der Mann mit der Pfeife vergisst im nächsten Augenblick zu rauchen.

Aus dem nebelartigen Dunst schält sich langsam ein Reiter. Dann taucht auch der zweite Reiter auf. Eine wie eine Nebelwand über den Weg streichende Sandwolke verschluckt den Mann gleich darauf und macht auch den zweiten Reiter unsichtbar.

Verdammt, denkt der Bandit hinter seinen Steinen erschrocken, da sind sie ja schon. Man hat sie nicht mal gehört. Der verfluchte Sturm. Dann sind die Wagen zu erkennen. Der Geldtransport ist da.

*

Kendall sieht sich um, als sie die schmalste Wegstelle erreicht haben.

Der erste Wagen mit Thomas und March auf dem Bock ist etwas zu weit nach links gekommen und hält an der Hangkante.

»Thomas, rechts halten! Mehr rechts.«

Sein Schrei erreicht Thomas, einen mittelgroßen rothaarigen und immer zu Streichen aufgelegten Fahrer. Thomas zerrt sofort an den Leinen. Die beiden Pferde an der Deichsel ziehen augenblicklich herum. Der Wagen nähert sich jetzt der Wand des Hangabsatzes.

»Gut so! Pass auf, wohin du fährst!«, brüllt Kendall durch das Heulen und Fauchen des Windes. »Wenn wir im Tal sind, lässt der Wind nach, dann haben wir …«

Und weiter kommt Kendall nicht. Er wirft gerade noch einen Blick auf die Ersatzpferde hinter Thomas’ Wagen. Dort sind sie angebunden. Hinter ihnen aber erscheint auch schon Joe Moores schwerer Transporter. Auf ihm liegen die meisten der ungerade nummerierten Kisten.

In diesem Augenblick streift Kendalls Seitenblick auch Yatskell. Und dann ist plötzlich die Hölle los.

In Kendalls Ohren dröhnt der Abschuss eines Gewehres. In derselben Sekunde sieht Kendall Yatskells Pferd jäh steigen und Yatskells weit aufgerissene Augen über dem Halstuch. Es kommt Kendall vor, als passierten die folgenden Dinge nur in seiner Phantasie.

Yatskell scheint von irgendeiner Gewalt aus dem Sattel geschleudert zu werden. Der Mann breitet die Arme aus, als wolle er sich irgendwo festhalten. Dann ist er auch schon verschwunden, während sein Pferd auf der Stelle zusammenbricht. Zur gleichen Zeit spürt Kendall das Zucken seines großen, breitbrüstigen und ausdauernden Pferdes, Kendall hat nun nicht nur einen donnernden Abschuss in den Ohren. Er glaubt sieben oder acht Schüsse zu hören und wirft sich augenblicklich nach links vom Pferd. In seinem Unterbewusstsein handelt er, wie er oft genug während des Krieges und der Indianerüberfälle reagiert hat.

Er streckt im Weghechten die Hand nach dem Gewehr aus. Er bekommt die Waffe zu fassen und weiß, dass sein Pferd getroffen worden ist. Mit diesem Bewusstsein saust er aus dem Sattel. Irgendetwas pfeift grell singend über ihn hinweg. Dann kommt er hoch. Er sieht hinter Moores Wagen das Pferd von Luke Bates, des zweiten Wachreiters, durchgehen. Der Gaul macht jedoch nur vier Sätze zurück, dann scheint er vor eine Mauer zu rasen. Das Pferd stellt sich jäh hoch und kracht zusammen. Bates saust aus dem Sattel. Er wirft sich hinter sein Pferd und beginnt zu schießen.

All das registriert Kendall während des Losrennens. Er sieht irgendwo rechts am Hang einen Feuerblitz und dann Thomas langsam nach vorn kippen. Thomas fällt vom Bock herunter, während March hinter dem Kastenbrett untergetaucht ist und zu schießen beginnt.

Wohin March feuert, ob er etwas trifft, Kendall weiß es nicht. Er läuft nur in wilden Sätzen wie ein Wahnsinniger an dem ersten Wagen vorbei. Kugeln scheinen nach ihm greifen zu wollen und fauchen mit bösartigem Heulen an ihm vorbei. Irgendwann erreicht er Moores Wagen. Er sieht von Moore nicht mehr als nur die Hutspitze und einen Colt. Der Colt spuckt Feuer, während Kendall zum Ende des Wagens rennt. Weiter zurück, etwa acht Schritt entfernt, liegt Bates hinter dem toten Pferd und schießt zur Hanghöhe hinauf.

»Die Pferde! Schneide die Pferde los!«, hört Kendall Moore brüllen. »Rauf danach, Jim, schnell herauf.«

In der nächsten Sekunde hat Kendall auch schon das Messer herausgerissen. Zu seinem Schreck sieht er, dass das eine Ersatzpferd von Moores Wagen tobt. Das andere liegt am Boden. Warum die Kugeln nicht auch die beiden Wagenpferde Moores niedermähen, wird Kendall nun klar. Moores Wagen steckt ja hinter dem ersten Fahrzeug. Der Weg ist zu schmal, um wenden zu können. Und selbst wenn das ginge, lägen immer noch die Pferde hinter Moores Wagen tot auf dem Weg. Moore steckt in einer Falle, aus der es keinen Weg mehr zu geben scheint.

Mit einem Hochreißen des Messers schneidet Kendall die beiden Stricke durch. Das angeschossene Tier bäumt sich auf und rast davon.

»Rauf, Jim! Rauf!«

Moores Stimme ist so drängend, dass Kendall seinen Versuch, unter den Wagen zu kriechen, aufgibt. Er wirft sich hoch, fliegt über das hintere Abschlussbrett des Wagenkastens und landet neben Tom Blyton. Blyton ist der einzig verheiratete Fahrer des Transportes. Er hat eine junge Frau und ein sechs Monate altes Baby. Jetzt kauert er an der rechten Kastenwand und hat die Plane hochgeschoben. Da die Kisten ausreichend Deckung geben, hockt er einigermaßen sicher.

Zu Kendalls Schreck hat Moore die Peitsche genommen und den Colt hingeworfen.

»Joe, bist du wahnsinnig?«, kann Kendall noch schreien, ehe er sich neben Joe niederduckt und auf einen Feuerblitz am unteren Hangende schießt. »Das schaffst du nie.«

»Dann brechen wir uns den Hals«, erwidert Moore mit der ihm eigenen Sturheit und Entschlossenheit. »Ich habe schon ganz andere Sachen versucht. Yüüaaahh – lauft!«

Er hat die linke Leine ganz angerissen und schlägt jetzt aus der Deckung des Kastenbrettes mit der Peitsche über die Pferde.

Und dann ruckt der Wagen an.

Es kommt Kendall vor, als gäbe es ein Wunder. Zwar knallt ein halbes Dutzend Kugeln in den Wagen, aber keine scheint die beiden Wagenpferde zu treffen. Kendall feuert nun auf einige blendend rote Flammenzungen am Hang. Er schätzt, dass sie von mindestens sechs Männern beschossen werden. Wo die Kerle überall stecken, kann er nicht feststellen. Er hört vom ersten Wagen ein Gewehr krachen und auch noch, dass Bates schießt. Dann kommt es ihm vor, als wolle Moore den ersten Wagen rammen. Nur um Handbreite schieben sich die Vorderräder des zweiten Wagens am ersten vorbei.

»Joe, du schaffst es nicht, wir stürzen um«, keucht Kendall, indem er sich neben Moore wirft. »Mann, am Hang sind auch ein paar Kerle hinter Büschen. Die sehen uns und schießen die Pferde ab. Du kommst nie herunter.«

Moore antwortet mit einem Fluch. Im nächsten Moment sind sie neben dem ersten Wagen. Was jetzt von der Hanghöhe auf sie gefeuert hat, muss warten, bis sie wieder zum Vorschein kommen. Doch dazu reicht es nicht mehr. Schrill wiehernd gehen die Pferde an.

Allmächtiger, denkt Kendall noch verstört. Wenn der Wagen umkippt, schlagen uns die Kisten tot.

Eine Sekunde später sieht er den Busch am Hang und den Feuerblitz. Er macht den dunklen Schatten des Banditen dort aus. So gut er kann, lehnt er sich gegen die Kastenseite und nimmt die Waffe hoch. Gleichzeitig kommt der schwere dröhnende Schlag, mit dem das Mittelstück des Wagens einen winzigen Augenblick die Hangkante streift. Aus dem Gewehr des Burschen hinter dem Busch bricht die nächste Feuerlanze. Kendall spürt, wie sich der Wagen neigt. Er sieht verschwommen, wie tief es hier ins Tal hinabgeht. Dann sind sie auf dem Hang. Moore, der wie ein Teufel fahren kann, lässt die Leinen locker.

Du großer Gott, schießt es Kendall durch den Kopf, das wird eine Fahrt in die Hölle. Verdammt, der Kerl da hinter dem Busch …

Der Bandit sieht nun den Wagen kommen. Er steht auf, reißt das Gewehr hoch und legt auf die Pferde an. Im selben Moment aber hat auch Kendall die Waffe an der Schulter.

Es reicht bei den fürchterlichen schaukelnden und schwankenden Bewegungen des Wagens nur zu einem Schnappschuss Kendalls. Der Schuss fährt heraus. Kendall blickt auf den Feuerblitz des Banditengewehres. Er spürt einen heftigen Schlag an die Rippen. Seine linke Seite wird von irgendetwas getroffen, und er kann nicht sagen, ob das Geschoß von hinten oder unten gekommen ist. Dafür sieht er, wie seine Kugel den Banditen trifft. Der Mann verliert sein Gewehr im Hinstürzen. Er kracht auf die kleinen Steine des Hangs. Der Busch bietet ihm nun keine Deckung mehr.

Augenscheinlich hat Kendalls Kugel den Banditen in der Hüfte oder dem rechten Oberschenkel erwischt. Der Bursche fasst im Wegkollern nach einer Seite. Dann rollt er bis an den nächsten Busch, bleibt liegen und stiert dem herabrasenden Wagen entgegen.

Noch ist der schwere Wagen nicht allzu schnell. Aber seine Geschwindigkeit vergrößert sich von Sekunde zu Sekunde. Die Hölle wird kommen, sobald sie weiter unten sind. Dort liegen bereits größere Steine.

Kendall hört, wie Blyton am Endbrett flucht und feuert. Seine ganze Aufmerksamkeit aber konzentriert sich nun auf den Banditen. Er sieht von diesem Gesicht nur ein Drittel, weil der Bandit Hut und Halstuch trägt. Es kommt Kendall vor, als schrie der Mann unter seinem Tuch. Der Bandit beginnt jetzt zu kriechen. Der Wagen aber rast auf ihn zu. Moore kann nicht lenken, er muss die Pferde laufen Lassen.

Mit unwillkürlichem Frösteln sieht Kendall, wie der Bandit verzweifelt versucht, aus der Bahn des Wagens zu kommen. Wie ein Irrer stemmt sich der Rustler ab, aber das Geröll gibt nun nach. Der Mann beginnt zu rutschen, und der Wagen rast heran. Kendall hört durch die wilde Schießerei, wie der Bandit gellend schreit, je näher ihm der Wagen kommt. Das schwere Gefährt ist nun so schnell geworden, dass nichts und niemand es noch aufhalten könnte. Es ist auch nicht aus der Bahn zu bringen. Die fürchterlichen und durchdringenden Schreie des Banditen gehen im Knattern und Tosen der Wagenräder unter. Die Pferde wiehern, dann sind sie über dem Mann. Und danach kommt es Kendall vor, als ging ein leichtes Rucken durch den Wagen.

Der Bandit schreit nicht mehr.

»Joe, schräg lenken. Schräg!«, brüllt Kendall. »Joe, die Leinen rechts anziehen, wir rasen mitten in die Steine.«

Erst in diesem Augenblick erkennt Kendall, dass Joe Moore sich tiefer hingekauert hat. Moore sieht gar nicht mehr über den Kastenrand hinweg.

Als sich Kendall nach links wirft und Moores Kopf sieht, weiß er genug. Moores Kopf ist an der linken Seite voller Blut.

Mein Gott, er ist tot, denkt Kendall entsetzt.

Er wirft sich vor Moore gegen das Kastenbrett und reißt die Leinen an sich. Dann zieht er sie sofort rechts an. Hinter ihm feuert Blyton noch zweimal, das nimmt Kendall im Unterbewusstsein wahr. Er muss nun versuchen, den Wagen mehr nach rechts zu bekommen. Es gelingt ihm auch kurz vor den ersten Felsblöcken in der Taltiefe. Wie ein Spuk ziehen die Felsen hart am linken Vorderrad vorbei. Einen schrecklichen Augenblick stellt sich der Wagen in irgendeiner Rinne auf zwei Räder. Er droht nach links umzustürzen. Kendall wirft sich gegen die rechte Wagenkastenwand. Vielleicht ist es sein Gewicht, das den Wagen auf alle vier Räder zurückkrachen lässt.

Im nächsten Moment tauchen vor Kendall größere Brocken auf. Hier liegen Hunderte von Felsstücken. Stechend und kaum auf den Schmerz an den Rippen achtend, bringt Kendall den Wagen schleudernd um die ersten Brocken. Er muss nach der Peitsche greifen. Die Pferde gehen durch. Soll der Wagen nicht an einem der Felsbrocken zerschellen, muss Kendall die Tiere mit Hilfe der Peitsche lenken.

Die Höllenfahrt des Transporters über schroffes Gestein beginnt. Der Wagen wird durchgerüttelt, während von der Hanghöhe der Sand im dichten Schwall herabgeblasen wird.

Plötzlich hört Kendall ein Stöhnen links neben sich. Er wagt es, blitzschnell nach Moore zu sehen. Joe rührt sich zu seinem Erstaunen. Der untersetzte stämmige Joe Moore sagt irgendetwas. Dann zieht er sich hoch und kniet.

»Mein Kopf – kann nicht sehen blind – blind …«

»Joe! Joe, ich bin hier!«, schreit Kendall ihm zu. »Joe, wir sind ihnen entwischt, hörst du? Nicht aufstehen. Bleib unten, Alter.«

Moore fährt sich jetzt mit dem Rockärmel über das von Blut übergossene Gesicht. Augenblicke später rast der Wagen über den Hang und mitten in das weite, sanft gewellte Tal hinein. Hier tobt der Sturm so hart, dass die Pferde kaum den Wagen ziehen können. Schwer stemmen sie sich in den Sielen und fallen in Schritt.

Kendall begreift kaum, dass sie aus dem klippenreichen Grund der Schlucht herausgekommen sind. Er hört Moore fluchen und sieht ihn hochkommen.

»Ich sehe etwas«, keucht Joe Moore. Er hat sein Halstuch um den Kopf gewunden und den Hut fest darüber gepresst. »Jim – wo – wo sind wir?«

»Im offenen Tal«, erwidert Kendall. Er muss brüllen, um sich verständigen zu können. »Joe, sieh nach Blyton, wenn du kannst. Es muss ihn erwischt haben. Er meldet sich nicht mehr. Was macht dein Kopf?«

»Schmerzen – verrückte Schmerzen«, lallt Moore. Seine Zähigkeit ist so groß, dass er nach hinten kriechen kann. Dort beugt er sich über Blyton. Als er zurückkehrt, klingt seine Stimme wie geborsten: »Er ist tot, Jim.«

»Großer Gott«, stößt Kendall durch die Zähne. »Geh wieder nach hinten, sieh dich um. Ich muss versuchen, auf das Humboldt Plateau zu kommen. Wenn ich es schaffe, könnten wir den Burschen entwischen, Joe.«

Joe Moore ist eisenhart, aber er kann die rasenden Schmerzen kaum ertragen. Sie gehen von seinem Kopf aus und pflanzen sich über den Nacken fort. In seinem Rückgrat enden sie schließlich. Dem alten Joe ist so schlecht wie nie zuvor in seinem Leben. Er sieht ab und zu auf nächste Entfernung das Endbrett verschwimmen. Manchmal scheint sich alles um ihn zu drehen. Keuchend sucht er nach seiner Brandyflasche. Nach einigen Schlucken wird ihm etwas besser. Er hört Jim schreien und kriecht zum Bock zurück. Über ihm knattert und peitscht die Plane gegen die Rundbögen, als wolle sie der Sturm zerfetzen.

»Was ist, Jim?«

»Joe, kannst du gut sehen?«

»Ja, besser jetzt. Wenn nur die verfluchten Schmerzen nicht wären. Mir platzt der Schädel, Jim. Hinter uns ist nichts.«

»Noch nicht«, antwortet Kendall düster, »es wird aber nicht lange dauern, dann kommen sie uns nach. Auf den Steinen im Tal haben sie unsere Wagenspur nicht sehen können. Sie werden eine Weile suchen müssen, vielleicht zehn Minuten, bis sie wissen, wohin wir gefahren sind. Die Wagenfährte weht auch bei diesem Sturm erst nach drei Stunden vollständig zu. Joe, unsere einzige Chance ist das Plateau, dort ist nichts als nackter Fels. Schaffst du es, ein paar Kisten über Bord zu werfen? Der Wagen muss leichter werden. Die Pferde haben zu schwer zu ziehen. Außerdem scheint der linke Gaul etwas abbekommen zu haben.«

»Kisten, runterwerfen? Kann ich sicher.«

»Gut, aber nur die mit den geraden Nummern, Joe, nur die. Keine mit einer ungeraden Nummer, verstanden?«

»Warum, Jim?«

»Weil in denen wirklich nur Maschinenteile sind. Also los, fang an.«

Obwohl er einen Streifschuss am Kopf erwischt und rasende Schmerzen hat, kann Moore immer noch gut genug denken. »Und was ist in den anderen Kisten? Verdammt, die haben uns doch nie nur wegen der Maschinenteile überfallen?«, keucht der Alte heiser. »Damit können die Halunken doch nichts anfangen, Jim, was ist in den Kisten mit den ungeraden Nummern?«

»Silberdollars, reines Silber im Wert von sechzigtausend Dollar, Alter!«

»Allmächtiger«, hört Kendall seinen alten Partner und Freund stöhnen. »Darum also. Und du hast mir nichts gesagt.«

Er versuchte den Kopf zu schütteln, gibt es aber sofort wieder auf. Stöhnend kriecht er nach hinten.

»Silberdollars, sechzigtausend Dollar«, ächzt der Alte über den Kisten. »Oh, verdammt, dafür kommen die Halunken uns auch in die Hölle nach und bringen uns um.«

Erst in diesen Minuten wird ihm klar, dass kein Bandit der Welt auf so viel Geld verzichten wird. Wenn die Burschen auch die Silberdollars wegen ihrer Prägung nicht in den Handel bringen können, sie brauchen sie nur einzuschmelzen und das Silber in Barren zu verkaufen.

Keuchend zieht der alte Joe Moore den toten Blyton zur Seite. Dann wuchtet er die erste Kiste mit einer geraden Nummer über den Kastenrand.

*

Vor zehn Minuten hat der Alte die letzte der Kisten über Bord gefeuert. Jetzt stecken sie schon in einer Felsrinne und kommen im nächsten Augenblick auf das Plateau. Hier oben fegt der Wind mit so unheimlicher Gewalt heran, dass die Plane mit einem Knall zerreißt.

Moore kauert nun hinten. Soviel er sich an dieses Plateau erinnert, müsste es etwa sechs Meilen lang und vier Meilen breit sein.

»Wohin, Jim?«

»Siehst du etwas?«, schreit Jim Kendall zurück. »Kommen sie schon, Joe?«

»No, keine Spur von ihnen. Sicht nach hinten etwa hundert Schritt. Jim, wo willst du hin?«

»Komm nach vorn, setz dich hin, Joe.«

Joe Moore krabbelt neben den Sitz.

Auch Jim Kendall hat sich so weit gebückt, dass der Sturm ihn nicht mit voller Kraft packen kann.

»Pass auf«, sagt er heiser. »Ich kann nur hoffen, dass die Schurken das Plateau nicht so gut kennen wie wir beide. Hier oben sehen sie uns nicht, und sie werden sich hüten, sich zu trennen. Bei der schlechten Sicht verlieren sie sich gegenseitig zu schnell aus den Augen.«

Moore nickt schwach. Er kennt Jims Ruhe, diese kalte Überlegenheit, wenn Jim sich erst einmal etwas vorgenommen hat. So leicht gibt Kendall nicht auf.

»Wir müssen irgendwo hinunter, am besten in Richtung Süden, und dann versuchen, quer durch die Wüste zu fahren. Die einzige Chance ist die Wüstenstation von Brady im Westen. Erreichen wir sie, hält der Sturm noch an, bekommen diese Strolche das Silber nie. Vielleicht kommen sie auf dieselbe Idee, aber sie werden annehmen, dass wir den direkten Weg nehmen.

Joe, vor uns liegt die Nacht, es sieht nicht mal so schlecht aus. Wir verlassen das Plateau über den südlichen Geröllhang. Dann biegen wir scharf nach Süden ab. Ich fürchte nur, das linke Gespannpferd macht es nicht mehr lange. Halte die Leinen einen Moment, ich muss hinunter und nachsehen, was mit dem Pferd ist.«

Durch die Wüste, denkt Joe entsetzt, mitten durch die Wüste. Und mit nur einem Pferd.

Er hält die Leinen. Kendall springt ab, muss sich aber an den Strängen der Sielen halten und kann sich nur Schritt für Schritt neben das linke ermattete Gespannpferd ziehen. Kurz darauf sieht er, dass das Pferd eine tiefe, heftig blutende Wunde an der linken Bauchseite hat. Eine Kugel hat einen daumentiefen und sechs Zoll langen Riss hinterlassen.

Das Zerren und Brennen an Kendalls linken Rippen wird auch immer heftiger.

»Joe, es sieht schlimm aus. Das Pferd macht es keine drei Stunden mehr. Bis dahin müssen wir vom Plateau herunter sein. Wäre ich ein Bandit, suchte ich gar nicht erst lange nach Spuren hier oben. Ich würde das Plateau umreiten und im Westen lauern. Vielleicht kommen wir ungesehen hinunter und an den Kerlen vorbei.«

»Und wenn sie uns entdecken, Jim? Ich muss dauernd an die anderen denken, an Thomas, March und unsere Wachreiter. Die sind tot, alle sind tot wie Blyton. Nur wir beide leben noch, und mir geht es dreckig genug. Sie schießen uns gnadenlos ab, Jim.«

»Dazu müssen sie uns erst mal haben«, antwortet Kendall bissig. »Überraschen können sie uns nicht mehr. Vorhin konnten sie das, jetzt nicht. Besorge mir ein Ende Stoff, reiß es in Streifen. Ich muss mich verbinden.«

»Was? Bist du verletzt?«

»Ja, ein wenig an den Rippen, Alter. Es ist nichts weiter.«

»Du auch«, keucht Moore erschrocken. »Jim, mit nur einem Pferd durch die Wüste? Wenn sie lange genug suchen, finden sie die Wagenfährte. Sie kommen uns nach und …«

»Daran müssen wir später denken. Jetzt haben sie uns verloren, Joe.«

*

Es ist der Beginn der Hölle für Kendall und Moore. Das linke Gespannpferd ist längst zusammengebrochen. Im brüllenden Wüstensturm klettern sie vom Wagen herab. Beißender Alkalistaub ist ihnen durch die Kleidung gedrungen und sitzt wie eine zweite Haut am Körper.

Moore, dem es etwas besser geht, stemmt sich am Hinterrad hoch. Vor ihnen liegen, schemenhaft verschwommen, dunkle Steine. Sie wirken wie schwarze Lava, über die unaufhörlich der Sand hinwegpeitscht.

»Jo, schaffst du es auch?«

Moore flucht heiser. Er hat mehr als zwei Stunden gelegen. Mit dem letzten Wasser aus Kendalls Flasche hat er sich einen feuchten Umschlag um den Kopf gemacht. Jetzt kriecht Moore um das Rad und erreicht das Wasserfass unter dem Wagen. Im nächsten Augenblick weiten sich Moores Augen vor Schreck. Deutlich sieht Moore die Einschusslöcher im Wasserfass.

»Jim, komm her.«

Kendall, bereit, auf die seltsam schwarzen Steine zuzuhasten, macht kehrt. Kaum hebt er das Wasserfass an, als er mutlos die Schultern sinken lässt.

Das Fass ist bis auf wenige Tropfen leer. Und dieses wenige Wasser ist auch noch ungenießbar geworden. Durch die Einschusslöcher hat der Wind den Alkalistaub ins Fass geblasen. Eine bräunlichgraue Brühe fließt beim Loshaken und Kippen aus einigen Einschusslöchern.

»Jim, kein Wasser. Großer Gott, was jetzt?«

»Noch ist nichts verloren«, erwidert Kendall kühl. »Bleib hier, versuche das Endbrett hochzustemmen und die Kisten herabzuzerren. Es ist nicht nötig, dass du sie herunterhebst. Ich sehe mich an den Steinen um.«

Kendall dreht um. Auch ihn hat die Furcht gepackt, ohne Wasser mitten in der Wüste zu stecken. Doch er zeigt es Moore nicht. Zu Kendalls Besorgnis hat Moore manchmal während der Fahrt angefangen, sinnloses Zeug zu reden. Moore hat von Dingen gesprochen, die weit zurückliegen und andere Fahrten betroffen haben. Anscheinend ist Joe Moores Kopfverletzung doch schlimmer, als Kendall gedacht hat. So hat Moore behauptet, sie würden bald auf die anderen Fahrer treffen. Danach wieder erzählte er, sie müssten nach Fort Churchill und Waffen hinbringen.

Er muss eine Gehirnerschütterung haben, sagt sich Kendall bitter, nachdem er die ersten Steine erreicht hat. Nur seine Zähigkeit lässt ihn immer wieder hochkommen und etwas tun. Dieses verdammte Wetter. Aber es rettet uns vielleicht.

Augenblicke später findet Kendall zwischen den Felsen eine Rinne. Sand hat sie zugeweht, und als Kendall mit den Händen zu schaufeln beginnt, merkt er, dass sie tief genug ist, um zwei Kisten aufzunehmen. Man muss nur den Sand herausschaufeln.

Im Laufschritt und mit Stichen in der linken Seite, hastet Kendall zum Wagen zurück. Dort kauert Joe Moore auf den Knien und lehnt keuchend über einigen Kisten. Er hat sie vom Wagen gezerrt. Seine Kraft scheint jedoch nun zu Ende zu sein.

»Joe, leg dich oben hin, ich schaffe das schon allein.«

»No, no – muss helfen – muss helfen«, stammelt Moore. »Die Waffen – wenn Indianer die Waffen finden, sie bringen wieder Siedler um. Muss helfen – vergraben – alles vergraben.«

Kendall presst die Zähne zusammen. Er holt sich die Schaufel und wirft Moore einen kurzen Blick zu. Moore zittert heftig, während er sich bemüht, die nächste Kiste herabzuwuchten. Er weiß nicht mehr, was er sagt, denkt Kendall bestürzt. Das hält er nicht mehr lange aus, seine Kraft ist bald zu Ende.

Durch den Sturm hört Kendall kurze Zeit später vom Wagen her Moores heiseren krächzenden Gesang. Kendall schaufelt die Rinne frei, rennt dann, wenn er ein Loch gemacht hat, zum Wagen und holt immer eine Kiste. Er versenkt sie zwischen den Felsen in der Rinne und schaufelt erneut Sand darüber. Die Rinne ist neun Schritt lang. Kiste um Kiste schafft Kendall schwitzend und mit zitternden Knien heran. Er hat noch fünf Kisten einzugraben, als er Joe Moore wie tot am Endbrett des Wagens vorfindet.

»Joe, was ist?«

Der Sturm reißt Kendall die Worte von den Lippen. Er rüttelt Moore, aber der rührt sich nicht mehr.

Nachdem Kendall ihn auf den Wagen gezerrt und hingelegt hat, ist es auch mit seiner Kraft vorbei. Seine Knie geben nach, durch seine Seite fährt ein wilder Stich. Dann kippt er nach vorn und schlägt lang auf dem Wagen hin.

Minuten vergehen, in denen er glaubt, zu ersticken. Als er endlich wieder Luft bekommt, packt ihn die Sorge wegen der Banditen. Sein Gefühl sagt ihm, dass sie bereits auf der Fährte reiten und kommen könnten.

Er ist so geschwächt durch Blutverlust und Anstrengung, dass er wankt. Dennoch schleppt er die letzten Kisten zu der Rinne und vergräbt sie. Auf Händen und Knien kauernd, verwischt er dann alle Spuren.

Sand weht über die Felsen und deckt die kleinen Vertiefungen der Schaufelspuren zu. Mit einer Decke, kaum noch fähig aufzustehen, tilgt Kendall auch die Fußspuren von der Wagenfährte zu den Felsen.

»Mein Gott«, stöhnt er heiser, als er wieder am Endbrett ist und sich auf den Wagen zerrt. »Ich kann nicht mehr, ich bin fertig. Soll der Gaul laufen, wohin er will. Dies hier muss die Gegend um die Mopung Hills sein. Ich werde die Stelle schon wiederfinden.«

Mühsam setzt er noch das Endbrett ein. Seine brennenden Augen wandern über den unter einer Decke liegenden Blyton hinweg und richten sich auf Joe. Moore brabbelt bereits wieder, aber es sind zusammenhanglose und stockende Worte.

»Joe, nimm Brandy.«

Mit zitternden Fingern hält Jim dem Alten die Brandyflasche an die Lippen. Joe trinkt ein oder zwei Schlucke, dann macht er die Augen auf und sieht sich wirr um.

»Jim – mein Kopf. Wo sind die Banditen?«

»Ich weiß nicht. Sie werden bald kommen. Keine Sorge, Joe, der Sand weht so heftig über die Radfurchen, dass sie nicht merken werden, um wie viel leichter der Wagen jetzt ist. Die Spur wird ihnen gleichmäßig tief erscheinen. Wir fahren, Alter.«

»Ja – ja – fahren … Reno – wir müssen nach Reno.«

Er sinkt zurück. Kendall aber kriecht zum Bock, macht die Leinen los und treibt das Pferd an. Es läuft nun etwas schneller, als wolle es den ständig von hinten heranprasselnden Sandwolken entgehen. Zusammengesunken kauert Kendall am Bock.

Irgendwann hat Kendall das Gefühl, den Sturm weniger heftig heulen zu hören. Durch die plötzlich lichter werdenden Sandwolken erscheint für Sekunden die Mondsichel.

Verstört blickt Kendall zu ihr hoch.

Was ist das? Sie müsste im Westen stehen, wenn ich nach Süden fahre. Sie ist ja links. Habe ich mich geirrt.

Er reißt die Augen weit auf, aber die Mondsichel ist schon wieder hinter den Sandwolken verschwunden. Wieder wird es düster über der Wüste. Der Wagen rollt weiter, auf dem Bock ein grübelnder, erschöpfter Jim Kendall. Minutenlang beschäftigt er sich mit der Frage, warum der Mond plötzlich links von ihm gewesen sein soll. Dann schüttelt er den Kopf. Er ist zu geschwächt, um sich noch viele Gedanken um den Mond zu machen.

In Kendall aber steigt die Unruhe von Sekunde zu Sekunde. Kendall ist sicher, dass die Banditen jetzt aufholen könnten. Er hat sich vom Versteck des Silbergeldes gut sieben Meilen entfernt, wenn er die Fahrtzeit rechnet.

»Joe, wir steigen um.«

»Umsteigen? Gut – wo ist die Kutsche?«

»Wir steigen auf das Pferd und lassen den Wagen stehen, Alter.«

»Pferd? Auch gut. Reiten wir nach Fort Churchill.«

Er versucht Jim anzugrinsen, aber sein Gesicht wird dabei zu einer Fratze.

Jim Kendall steigt vom Wagen und spannt das Pferd aus. Er braucht zehn qualvolle Minuten, um den schweren Joe Moore auf das Pferd zu zerren. Keuchend sieht Kendall danach auf die Decke und Blyton hinab.

»Tut mir leid, Tom«, sagt er abgerissen. »Es geht nicht anders, wir müssen weiter. Dies ist die einzige Chance, den Banditen zu entkommen. Die Pferdespur verweht, sie können uns nicht folgen.«

Er zieht sich auf das Pferd, sitzt hinter Joe, der auf dem Hals des Pferdes liegenbleibt, und reitet an.

Um sie tobt der Wüstensturm. Zusammengekauert hockt Kendall hinter dem Alten. Er hält ihn fest und reitet aufs Geradewohl in den wogenden Tanz der Sturmschleier hinein. Hinter ihnen bleibt der Wagen zurück.

Über die Fährte des Pferdes peitscht der Sand.

Zwei Männer und ein Pferd.

In ihrem Rücken eine Handvoll Banditen.

*

»Verflucht!«

Der hagere Mann hat kaum einen Blick auf den Wagen geworfen, als er vor Wut losbrüllt und die anderen vier Burschen sich erschrocken ansehen.

»Leer. Nur der Kerl ist da oben, ein Toter. Keine Kiste mehr.«

»Was?«

Der untersetzte Bursche, die erkaltete Pfeife zwischen den Zähnen, öffnet den Mund zu einem Schrei. Die Pfeife fällt in den Sand. Wild fluchend bückt sich der untersetzte Mann, während die anderen an ihm vorbei zum Wagen rennen.

Sie haben den Wagen umstellt gehabt und mit einer Falle gerechnet. Doch als sie nun wie der Hagere auf den Kasten springen, sehen sie nur den Toten.

Einer bückt sich, reißt die Decke von Blyton herab und stößt einen gräulichen, widerlichen Fluch aus.

»Die Kisten. Wo sind die Kisten geblieben?«, tobt der Hagere giftig los. »Dieses verfluchte Pack-Zeug. Wo hat es die Kisten gelassen?«

Einer der anderen rennt wie von Sinnen in die Sturmwogen des Sandes hinein, dreht um und brüllt grell:

»Nichts zu sehen! Nur schwache Hufeindrücke. Da ist ein Gaul weggerannt.«

Keuchend kommt er zu den anderen zurück, die durcheinanderfluchen und auf einen Befehl des Hageren warten. Der Bursche steht geduckt auf dem Wagen und knirscht mit den Zähnen vor Grimm.

»Zwei Drittel der Beute. Stellt euch das vor, zwei Drittel«, schrillt es dann von seinen Lippen. »Und einen Toten, einen Verwundeten, das haben diese Halunken uns auch noch gekostet. Das war Kendalls verfluchtes Werk. Niemand sonst hätte uns diesen teuflischen Streich spielen können. Ah, der verdammte Hund. Wenn ich ihn jemals bekomme, ich grabe ihn bis zum Hals in den Wüstensand und …«

»Was hilft uns das jetzt?«, faucht der untersetzte Mann heftig dazwischen. »Da ist ein Gaul weggerannt, mit Kendall und dem alten Moore, was? Die sind weg, die Fährte ist tot. Willst du die beiden Halunken etwa suchen? No, Mann, drehen wir um, zurück auf der Wagenspur. Irgendwo müssen sie die Kisten abgeladen haben. Noch ist wenigstens die Wagenfurche zu sehen. Zurück.«

»Ja, ja, das Geld ist wichtiger als die beiden Teufel«, knirscht der Hagere finster. »Los, zu den Pferden. Und dann schnell, nur schnell, Partner. Der Sand bläst sonst auch die Wagenfurche zu.«

Wie eine Meute Wölfe hasten sie zu den Pferden und steigen auf. Minuten später stürmen ihre Tiere wieder der Wagenfährte nach.

Es vergehen keine zwanzig Minuten, bis der hagere Bandit losflucht und mit der Faust auf das Sattelhorn schlägt.

»Art!«, brüllt er den untersetzten Mann bissig an. »Art, siehst du noch die Furchen?«

»Die Hölle. Hier ist harter Boden. Die Spur ist weg!«, brüllt Art Lowell entsetzt. »Schwärmt aus, bildet eine Kette, wir müssen suchen. Dieses höllische Gesindel, es hat den Wagen im Zickzack gelenkt. Weißt du jetzt, Roggers, warum sie im Zickzack gefahren sind? Da haben wir es. Jetzt wissen wir, was dieses Satanspackzeug getan hat. Das Geld. Wir müssen das Geld finden. Die Spur – sucht die Spur.«

Sie bilden eine Kette und reiten in den brausenden Sturm hinein. Noch einmal stoßen sie, jubelnd vor Freude, auf die Wagenfährte, aber dann …

»Aus!«, knurrt der hagere Gip Roggers giftig und ist vor Wut und Enttäuschung blass geworden. »Nichts mehr. Keine Spur. Lowell, Mensch, die bring ich um, die grabe ich nicht nur ein. Ich werde sie langsam umbringen, ganz langsam. Wo ist das Geld?«

»Das können wir lange suchen«, knirscht Art Lowell. »Der Sturm dauert noch einen Tag, wenn nicht zwei. Ich kenne das verdammte Wetter. Alles Fluchen hilft nicht, Gip, wir müssen Kendall und Moore haben, verstehst du?«

»Ja, die werden uns zeigen, wo sie es versteckt haben. Und wehe ihnen, sie tun es nicht.«

*

Es ist Kendall, als breite sich die glühende Hitze in seiner linken Seite immer weiter aus. Seine Benommenheit ist seit Stunden gewachsen. Dazu aber meldet sich jetzt der quälende Durst. Kendall hat das Gefühl für die Zeit bereits verloren.

Eine Art Betäubung hat ihn erfasst und lässt ihn wie Moore nach vorn sinken.

Wie lange er so liegt, weiß er nicht, dann aber schreckt er jäh aus seinem Dämmerzustand. Es geschieht so plötzlich, dass er nur noch einen heiseren Ruf herausbringt.

Das völlig erschöpfte Pferd bricht schlagartig zusammen. Im hohlen Tosen des Sturmes schießt Joe Moore über den Hals des Pferdes hinweg und kracht schwer zu Boden. Ehe Kendall sich halten kann, saust er Moore nach. Er landet neben ihm, während das Pferd auf die Seite kippt. Mit pumpenden Flanken und heiserem Geröchel bleibt das Pferd liegen.

»Joe«, keucht Kendall. Er kriecht neben den wie tot auf kleineren Steinen liegenden Moore. Als er ihn heftig rüttelt, sieht er, wie das Pferd sich aufstemmt und doch wieder zusammenbricht.

Mühsam schiebt Kendall sich an das Wagenpferd heran. Er schnallt das Zaumzeug ab, kriecht dann zu Joe zurück und hält ihm die Brandyflasche an die Lippen. Joe schluckt, würgt und lallt dann: »Feuer – mein Kopf … Lauter Feuer im Kopf. Wasser – gebt mir Wasser!«

»Wir haben keins«, antwortet Kendall. Auch ihm bereitet das Sprechen bereits Mühe. »Joe, wo willst du hin? Joe, halt.«

Joe kommt plötzlich, als hätte er wieder Kraft, auf die Beine. Im nächsten Augenblick torkelt er, den Wind im Rücken, davon.

»Joe, halt, warte.«

Es gelingt Kendall, aufzustehen. Die leere Brandyflasche bleibt auf den kleinen Steinen liegen. Mit dem Zaumzeug des Pferdes in der Hand keucht Kendall hinter Joe her. Als er ihn erreicht und zu Boden reißt, beginnt Moore wild um sich zu schlagen. Doch hinter seinen Stößen steckt keine Kraft mehr.

»Geh weg, Bandit – ich bringe euch um. Geht weg, ihr Schurken«, brüllt Joe wie irr los. »Schieß doch, Jim – schieß! Da sind sie … Lauter Feuer … Oaaah, mein Kopf – mein Kopf!«

Seine Bewegungen werden schwächer.

Dennoch stößt er nach Kendall und erkennt ihn nicht mehr. Der Sturz über Kopf und Schultern auf die Steine muss seine Wunde wieder aufgerissen haben. Blut sickert unter dem verschobenen Verband hindurch über Moores Stirn.

»Mein Gott, Joe, ich dachte nicht, dass ich dich jemals binden müsste«, keucht Kendall abgerissen, als er sich über ihn wirft. »Tut mir leid, Alter!«

Er hat Mühe, dem Tobenden mit den Lederriemen des Zaumzeugs die Hände auf den Rücken zu binden. Dann rollt Kendall sie vom Pferd, das auf der Seite liegt und nur noch mit den Hufen zuckt.

Nachdem er sich die Decke umgehängt hat, versucht er Moore auf die Beine zu ziehen. Immer wieder brabbelt Moore von Indianern und Gewehren. Es gelingt Kendall, Moore zum Stehen zu bewegen. Kaum jedoch steht Moore, als er wieder davontaumeln will.

»Joe, du Narr!«, keucht Kendall verzweifelt. »Bleib hier! Wo willst du denn hin, Alter? Hier entlang, komm weiter!«

Es bleibt ihm nichts übrig, als Moore wie ein Maultier an den Riemen des Zaumzeugs zu führen. Aus halb irren, flackernden Augen stiert Joe ihn an.

»Was – willst du? Geh fort, Bandit!«

»Ich bin kein Bandit, Joe! Ich bin es – Jim, hörst du?«

Die Worte verfehlen, Joe Moore ins Ohr geschrien, ihre Wirkung nicht. Etwas wie Niedergeschlagenheit breitet sich über Moores Gesicht aus. Dann taucht in seinen Augen ein Funke des Erkennens auf. Seine Wunde blutet nun nicht mehr. Kendall hat den Verband heruntergezogen und danach vergeblich nach Joes Hut gesucht. Der Hut ist verschwunden, davongewirbelt vom Sturm.

»Jim? Jim – was ist – mit meinem Kopf?«

»Du bist verwundet, Alter. Es ist nichts als ein Kratzer. Wir müssen laufen, Joe.«

»Laufen? Ist gut – laufen«, stammelt Moore wirr. »Nach Fort Churchill laufen?«

»Ich weiß nicht, ob wir nach Fort Churchill kommen, Alter. Keine Ahnung, wo wir hier sind, aber es gibt Steine hier – also müssten Hügel oder Berge in der Nähe sein. Ich schätze, wir könnten nicht weit von den Cinnabar Hills sein. Wir müssen Schutz vor dem Sturm suchen, verstehst du?«

»Ja – Schutz ist gut. Mein armer Kopf, Jim … Gib mir Wasser – bin durstig.«

Das kommt wimmernd über Joes Lippen und klingt so klagend, dass Jim Kendall sich auf die Lippen beißt. Solange er Moore kennt, hat der niemals über irgendetwas geklagt. Das Gegenteil ist stets der Fall gewesen. Wo andere nicht mehr konnten, ist Joe noch auf den Beinen geblieben.

»Wir haben bald Wasser, Joe. Komm jetzt!«

Er zieht ihn mit und stützt ihn, obgleich es ihm selbst so schlecht geht, dass seine Knie zittern. Die heranpeitschenden Sandwolken hüllen sie ein. Die Sicht beträgt kaum zwanzig Schritt. Dennoch spürt Kendall irgendwann, als sie vielleicht eine halbe Stunde davongewankt sind und er Moore ein dutzendmal wieder auf die Beine gezerrt hat, dass sie eine Steigung hochtaumeln. Geröll ist unter ihren Stiefeln.

Moore rutscht aus. Er schlägt hin und reißt Kendall mit. Beide bleiben auf dem Geröll liegen, bis Kendalls Kraft ausreicht, um Joe wieder hochzuzerren.

»Weiter, Joe, weiter. Dies ist ein Hügel, Alter. Hinter ihm können wir rasten.«

»Wasser, Jim.«

»Ja, du bekommst Wasser, Alter. Gleich haben wir Wasser, aber du musst gehen. Geh zum Wasser.«

Das Wort Wasser lässt Joe Moore tatsächlich weiterstolpern. Plötzlich neigt sich das Gelände. Ein Steilhang, den Kendall nicht durch die Sandwolken sehen konnte, ist da. Im nächsten Augenblick fallen sie beide hin. Es gelingt Jim noch, Moore an sich zu reißen und ihn festzuhalen. Sie rutschen beide den Steilhang auf dem Rücken hinab. Schattenhaft tauchen die Umrisse von Steinen und einiger Kakteen auf. Mit letzter Kraft, während seine linke Seite der Schmerz durchtobt, schleift Jim Moore auf die Felsen zu. »Joe, hier ist es besser, hörst du? Wir bleiben hier.«

»Kopf, mein Kopf. Was wollt ihr von mir? Fort mit euch, Gesindel, verfluchtes Gesindel … Fort.«

Kendall bleibt nichts anderes übrig, als Joe an sich zu binden. Ihn schiebend und zerrend, schafft er Joe hinter Felsen. Dort lässt er ihn liegen, nachdem er ihn losgebunden hat. Auch Kendall ist nun so erschöpft, dass er sich nur noch kriechend zu den Kakteen vorarbeiten kann. Mit dem Messer schneidet er einige Stücke heraus. So kehrt er zu Joe zurück und drückt ihm das Kakteenfleisch an die Lippen.

Gierig beginnt Moore zu saugen. Dann verlangt er wimmernd nach mehr Wasser. Doch Kendall zittert vor Schwäche am ganzen Körper. Er schafft es nicht mehr, zu den Kakteen zu kriechen. In seiner Seite tobt der Schmerz. Er hat das Gefühl, Fieber zu bekommen. Er beruhigt Moore und bindet sich wieder den Zaumzeugriemen um das Handgelenk. Danach zieht er die Decke über sich und Moore. So bleibt er liegen.

Irgendwann spürt er, dass Moore eingeschlafen ist. Müdigkeit meldet sich in ihm. Und während der Schmerz nun durch sein Stillliegen zu einem dumpfen Brennen wird, fallen Kendall die Augen zu.

Das Letzte, was er denkt, ist, dass der Sturm nicht enden will. Dann tragen ihn seine wirren Träume fort.

*

Grelles Sonnenlicht prallt über ihn und zwingt ihn, die Augen zu schließen. Als er sie nach einer halben Minute wieder öffnet, sieht er das Tal unter sich. Jenseits des Tales erhebt sich ein steiler Hügel mit zwei schroff abfallenden Flanken. Die Sonne scheint das rostrote Gestein an. Irgendwie wirkt der stahlblaue Himmel über den Hügelkuppen kalt und gnadenlos.

»Joe, Joe.«

Es ist vergeblich. Joe Moores Gesicht ist feuerrot. Moore öffnet nur einmal die Lider spaltbreit. Er bringt keinen Ton heraus. Seine Hand, von Kendall angehoben, ist heiß und fällt schlaff auf den Sand zurück.

»Joe, steh auf, wir müssen weiter, Komm, Joe.«

Mühsam öffnet Kendall Moores Jacke und Hemd. Moores Herz pocht hart, aber sehr schnell, das hört Kendall wenig später. Bis auf die Verwundung und eine schwere Gehirnerschütterung scheint dem Alten nichts zu fehlen. Er befindet sich jedoch in einem Zustand völliger Apathie, nicht fähig, die Dinge der Umgebung wahrzunehmen.

So gut Kendall kann, kriecht er los und sucht einige Steine zusammen. Er schleppt sie zu dem Felsen, an dem Moore liegt. Schwankend gelingt es Kendall im Verlauf einer Viertelstunde, für Moore mit einer Decke eine Art Sonnendach zu machen.

Moore bleibt unter dem schützenden Dach liegen. Kendall aber wankt los. Er kommt torkelnd den anderen Hang hoch. Von hier aus bietet sich ihm ein Bild der Wüste. Zu seinem Schreck sieht er die ihm genau bekannte Kette der Stillwater-Berge in seinem Rücken. Vor ihm dehnt sich die Weite des Alkali Flats bis an den Horizont aus.

Völlig benommen, geschwächt von Fieber und Durst, lehnt Kendall sich gegen einen größeren Stein. Es dauert Sekunden, ehe er begreift, dass er niemals die Cinnabar-Hügel erreicht hat. Es ist ihm unverständlich, wie er hergekommen sein soll. Dies hier ist der Lone Rock, ein kurzes, aus dem Alkali-Becken wachsendes Bergmassiv. Es liegt im Nordosten des Alkalibeckens.

Irgendetwas ist in der vergangenen Nacht geschehen, sonst hätten sie niemals den Lone Rock erreicht. Mühsam und die Furcht vor der Wüste in der Brust, wendet Kendall sich um. Dort im Osten liegt die Stillwater Range. Bis zu ihren Ausläufern sind es etwa fünf Meilen.

Jim Kendall zieht sich ächzend wieder hoch. Er sieht noch einmal zu dem Sonnensegel und Joe hinab. Dann wankt er los.

»Ich muss rüber«, sagt er rau und fährt sich über die Augen, weil alles vor ihm zu verschwimmen beginnt. »Dort drüben ist Wasser, am White Cloud Canyon ist ein Wasserloch. Da geht auch ein kaum benutztem Fahrweg vorbei.«

Es dauert keine Stunde, bis die sengende Sonne ihre Wirkung zeigt. Kendall sieht plötzlich alles so verschwommen, dass er sich immer wieder über die Augen fahren muss. Dennoch verwischt sich das Bild der Stillwater-Berge vor ihm immer mehr.

In der Weite des Beckens ist Kendall nur ein kleiner, kaum zu erkennender Punkt. Dieser Punkt bewegt sich kaum und verschmilzt schließlich, zweieinhalb Meilen vor den Ausläufern der Berge, mit dem öden Beckenboden.

*

»Wasser – Wasser …« Er lallt nur, seine Stimme krächzt wie die eines Geiers. Doch dass er Wasser bekommt, das merkt Kendall gerade noch.

»Kendall«, sagt jemand scharf über ihm. »Kendall, was ist los? Wie kommst du hierher? Kendall, hörst du mich?«

Wer redet, denkt Kendall verstört. Ist das Joe?

»Joe – Joe …«

»Meinst du Moore? Redest du von Joe Moore, Kendall?«

»Ja – Joe – Lone Rock … Die Sonne – sein Kopf – Lone Rock …« Irgendwo ist Feuer vor ihm. Es blendet ihn wie tausend Sonnen. Aus den Sonnen werden bunte Kreise mit Kometenschweifen.

»Kendall, ist Moore am Lone Rock? Antworte, Mann. Hier, gebt ihm noch Wasser. Er muss reden.«

»Lone Rock – Joe …«, sagt Kendall und sieht die Kreise zu einem Riesenball werden. Dann explodiert der Ball und löscht sein Bewusstsein aus.

*

»Kendall.«

Er blinzelt und kann das Licht kaum ertragen. Nur mühsam gewöhnt sich das Auge an die Helligkeit der Laterne, bis er das Gesicht vor sich erkennt.

»Spalding, er ist zu schwach«, sagt jemand neben Kendall heiser. »Das ist das Fieber. Er wird vielleicht gar nicht antworten können.«

»Kendall, hörst du mich?«

Spalding, denkt Kendall verwirrt. Spalding? Das war doch Alkali – das Flat und – Wasser … Ja, Wasser. Jemand hat nach Joe gefragt.

»Überfall, ich höre«, sagt er schwach. »Überfall – Banditen …Wir sind in – die Wüste. Joe – Kopfschuss – Joe – wo Joe?«

»Hören Sie, Spalding, es ist eine Quälerei. Der Mann ist nicht voll bei Besinnung«, mischt sich der Mann neben Kendall wieder ein. »Kendall, Joe Moore hat eine schwere Gehirnerschütterung, aber er kommt durch. Hören Sie mich, Kendall?«

»Ja«, antwortet Kendall kaum hörbar. »Die anderen – wo sind die anderen? Banditen – sie haben – geschossen … Yatskell – tot – alle tot …«

Durch die Schleier vor seinen Augen sieht er Spaldings Gesicht verschwimmen. Es wird zu einem großen grauen Fleck.

»Kendall, wo geschah der Überfall? Kendall, an welcher Stelle? Wir haben überall gesucht, aber wir können die Wagen nicht finden. Kendall, wo sind die Wagen?«

Überfall, denkt Kendall, und seine Gedanken verwirren sich wieder. Überfall – wo?

»Überfall«, sagt er zerrissen. »Südroute – West Humboldt Range – Sandsturm – Banditen … Wagen. Silber ist – weg … Finden – nie mehr …«

»Spalding, machen Sie Schluss, der Mann ist vollkommen am Ende, das sehen Sie doch.«

Wieder jene leise, dennoch klare Stimme.

»Doktor, wir haben überall gesucht, verstehen Sie das nicht? Wir haben jetzt einen Anhaltspunkt. Sieht aus, als hätte der Überfall an der West Humboldt Range stattgefunden. Aber warum ist er dort mit den Wagen gefahren, warum nicht den anderen Weg, den alle nehmen? Spalding, warum ist der Bursche nur nicht auf dem richtigen Weg geblieben?«

Kendall liegt still und sieht nur noch dichte Nebelschwaden um sich wogen.

Wesley, denkt Kendall, Wesley ist auch da.

»Das wird er uns schon erzählen«, hört er Spalding knapp sagen. »Schicken Sie ein paar Männer los, sie sollen die West Humboldt Route absuchen. Es sieht aus, als hätten nur Kendall und Moore die Geschichte überlebt. Aber wo ist das Geld?«

»Das ist weg – er hat es doch gesagt«, erwidert John Wesley mit seiner krächzenden unangenehmen Stimme. »Verdammt seltsame Sache, was, Spalding? Sie und ich wussten davon, nur wir zwei und er. Dann fährt er einen anderen Weg. Und nun ist das Geld verschwunden, die Männer sind weg, wie vom Erdboden verschluckt. Spalding, das gibt einen prächtigen Wirbel, fürchte ich. Haben Sie mit jemandem über das Geld geredet?«

»Wesley, was fällt Ihnen ein, Mann?«, brummt Spalding scharf. »Wenn das etwa eine Beschuldigung sein soll …«

»Beschuldigung?«, erkundigt Wesley sich lauernd. »Mr Spalding, ich denke nur nach und suche nach Erklärungen. Und eine davon ist für mich, dass Kendall eine eigene Hauptstation und seine Linien selbst aufbauen wollte. Ich erinnere mich verteufelt genau an seine letzten Worte, dass er sich Geld beschaffen würde, ganz gleich, woher.«

»Menschenskind, sind Sie von allen Geistern verlassen? Ich kenne Kendall schließlich länger als Sie.«

»So?«, hört Kendall Wesley durch eine Wattewolke sagen. »Wer kennt schon einen anderen Mann ganz, Mr Spalding? Für Geld trage ich die Verantwortung, denke ich. Ich werde es nach Salt Lake City melden.«

»Sie können nicht einfach Dinge behaupten …«

»Und ob ich das kann. Ich brauche nur die Tatsachen zu schreiben«, antwortet Wesley kalt. »Wir werden sehen, was man davon im Hauptquartier hält. Gehen wir jetzt.«

Kendall hört ein Klirren, als schlösse sich eine Eisentür. Danach bemüht er sich, über Wesleys Worte nachzudenken, aber seine Gedanken verwirren sich.

*

Er sitzt und starrt zur Nebenzelle. Dort liegt Joe auf dem Rücken, den Kopf verbunden und den Blick starr gegen die Decke gerichtet.

»Dieser Schweinehund«, knirscht Joe Moore heiser. »Der soll mir hereinkommen, der Hundesohn. Ich schlage ihn tot. Jim, das kann doch kein normaler Mensch glauben.«

»Spalding glaubt es nicht.«

»Spalding, Spalding«, wiederholt Joe bissig. »Es ist nicht wichtig, was er denkt. Er muss sich an die Anweisungen der Narren in Salt Lake City halten. Die lassen uns einlochen, einsperren wie Banditen, verstehst du das? Ich werde noch verrückt vor Wut. Das können sie doch nicht mit uns machen. Joe Moore ein Dieb? Mensch, ich breche Wesley alle Knochen einzeln und dreimal hinterher.«

»Du musst ruhiger werden«, antwortet Jim Kendall kühl. »Sie machen eine feine Untersuchung, aber herauskommen wird nichts dabei, weil ich ihnen keinen Fingerzeig geben kann und werde. Nicht mal dir habe ich gesagt, dass wir Silber geladen hatten. Aber Wesley behauptet, ich müsste mit jemand darüber geredet haben. Genauso gut könnte einer der oberen Burschen in Salt Lake darüber gesprochen haben – Spalding, Wesley – irgendwer. Wir haben keine Ahnung, wer den Transport verraten hat, aber jemand muss es gewesen sein. Und dieser Jemand sitzt in der Untersuchungskommission der Overland. Gebe ich an, wo ungefähr ich das Geld vermute, dann sagt der Kerl diesen Banditen sofort Bescheid. Ehe wir hinkommen können, ist das Geld verschwunden, verstehst du?«

Moore schweigt. Er hat es ertragen, beim Aufwachen Gitter zu sehen. Er hat es geschluckt, tausend Fragen von Spalding über sich ergehen lassen zu müssen. Jetzt sind sie den neunten Tag im Jail. Eine Salzfahrerkolonne fand Kendall. Es war Zufall, dass einer der Fahrer den sich kaum bewegenden Fleck auf dem Alkali Flat entdeckte.

Man hat Kendall und Joe beim Sheriff in Reno abgeliefert. Das war der nächste Ort, den die Salzkolonne berührte. Vielleicht hätten die Salzfahrer Kendall und Moore in der Reno Station der Overland gelassen, wenn diese besetzt gewesen wäre. Dort war jedoch kein Mann zu finden. Spalding hatte seine in Reno sitzenden Leute bereits auf die Suche nach Kendall ausgeschickt. Zudem waren Moore und Kendall verwundet. Und da Verwundete gewöhnlich in eine Schießerei verwickelt gewesen sind, brachten die Salzfahrer die beiden Halbtoten zum Sheriff. Der sollte klären, was vorgefallen war.

Kendall und Moore sind noch gar nicht aus dem Jail herausgekommen. Zuerst waren die Zellen offen, jetzt sind sie geschlossen.

Wesleys dringender Bericht nach Salt Lake City hat ungeahnte Wirkungen gehabt. Der Telegraf hat seine Anweisungen gegeben, und Spalding muss ihnen folgen.

»Ich verstehe alles«, knurrt Moore drüben. »Hast du bemerkt, wie Sheriff Younger uns angesehen hat? Der Kerl hat oft genug mit mir ein Glas getrunken. Jetzt hält er mich für schuldig, ich brauche ihm nur in die Augen zu blicken. Der Kerl denkt wahrhaftig, wir hätten das Geld verschwinden lassen und unsere Partner abgeknallt. Wenn ich Wesley erwische, dann drehe ich ihm den Hals um, dem Schurken.«

»Das hilft uns auch nicht weiter«, murmelt Kendall düster. »Sie haben nur Tote gefunden und einen leeren Wagen, jedenfalls keine Silberdollars mehr. Die Kerle müssen genau gewusst haben, was die Nummern auf den Kisten zu bedeuten hatten. Sie haben sich nur die Kisten mit den restlichen zwanzigtausend Silberdollars gegriffen.«

»Ich sage doch, jemand hat geredet. Vielleicht sogar einer der Kerle aus Salt Lake City«, zischt Moore finster. »Weißt du wirklich, wo du die Kisten vergraben hast?«

»Ich habe nachgedacht, was sollte ich sonst auch schon tun«, erwidert Kendall leise. »Der Wind kam nicht ganz aus Westen, er stand leicht nördlich, vielleicht Westnordwest. Wenn ich mir nur erklären könnte, warum wir dann nach Lone Rock gekommen sind.«

Moore richtet sich auf und starrt ihn düster an.

»Ich weiß nichts«, sagt er dumpf. »Ich weiß nichts von schwarzen Steinen, von Kisten im Sand, mein Kopf ist wie leer, Jim. Du kennst doch die Wüste besser als jeder andere, Jim, kannst du die Stelle überhaupt wiederfinden?«

»Ja, wenn meine Gedanken richtig sind«, murmelt Kendall leise. »Ich habe eine Ahnung, was mit uns passiert ist. Der Wind hat uns im Halbkreis durch die Wüste getrieben, während er drehte. Wir haben diese Schwenkung mitgemacht. Aber außer uns beiden weiß das keiner. Selbst die Banditen können das nicht ahnen, weil sie nicht wissen, wie wir zum Lone Rock gekommen sind. Ich denke, ich kenne den Ort, wo die Silberdollars liegen. Man muss nur suchen, Joe, vielleicht sehr lange.«

Er weiß es ungefähr, denkt Moore erleichtert. Nun, wenn wir suchen könnten …

»Jim, könnten die Banditen zufällig auf die Kisten stoßen?«

»Das ist unwahrscheinlich«, gibt Kendall zurück. »Möglich ist natürlich alles, aber ich rechne nicht damit. Joe, etwas anderes macht mir viel mehr Sorge. Jemand hat den Banditen alles über den Transport erzählt, das steht fest. Sage ich, wo man suchen müsste, sind die Banditen vielleicht eher da und finden die Kisten. Ich werde also schweigen und selber suchen müssen. Aber Joe, wir kommen hier nicht heraus. Und mit jedem Tag, den wir hier festsitzen, wird die Chance der Banditen größer, die Kisten durch einen verdammten Zufall zu finden. Wir müssten …«

Er schweigt abrupt. Das Schlüsselgeklimper an der Jailtür ist zu hören. Dann geht die Tür auf. Vom Office aus kommt Sheriff Younger herein. Er sieht seine Gefangenen mürrisch an. Bis jetzt hat die Overland keine Anklage erhoben. Younger soll Kendall und Moore nur festhalten. Und genau das macht der sture Younger.

»Besuch für euch«, sagt er grämlich. »Schon wieder mal Besuch.«

Joe Moore kauert sich sprungbereit hin. Er denkt sofort an diesen widerwärtigen hinterlistigen John Wesley. Der Kerl hat sie festsetzen lassen.

Komm nur herein, Hundesohn, denkt Moore voller Grimm. Und dann tritt mal so nahe an das Gitter, dass ich dich packen kann. Ich schlage dir deinen verrückten Schädel solange gegen die Stäbe, bis die teuflischen Gedanken aus ihm verschwunden sind. Du rachsüchtige hinterhältige Ratte.

Und dann reißt nicht nur Moore die Augen auf. Es ist nicht Wesley, der hereinkommt. Es ist ein Mädchen.

*

Penny Loans Haar ist rotblond. Ihre Augen sind grüngrau und funkeln jetzt wütend. Alles an diesem Girl wirkt taufrisch und doch etwas wild. Sie hat eine Figur, dass Männer reihenweise das Seufzen bekommen. Jedoch macht sie sich nur aus einem Mann etwas. Und dieser Mann ist Jim Kendall.

Penny Loan besitzt in Virginia City einen kleinen Store. Sie hat auch noch einige Maultiere und Pferde geerbt. Früher war dem Store eine Pferde- und Maultierhandlung angeschlossen. Sie gehörte Pennys Vater Jube Loan, einem kauzigen dickschädligen Waliser-Nachkommen. Jube Loan machte alles selbst. Er ritt Pferde zu, gewöhnte Maultiere an die Gespannformation, und beschlug auch eigenhändig seine Tiere.

Eines Tages trat ihm ein Maultier vor den Kopf. Das vertrug auch der harte Schädel eines Mannes aus Wales nicht. Der Alte starb an diesem Huftritt. Penny behielt den Store, verkaufte aber die meisten Pferde und Maultiere. Für Kendall empfindet sie so viel, dass sie für ihn barfuß durch die Hölle gehen würde. Kendall jedoch will erst seine eigene Station haben, um Penny selbst ernähren zu können.

Jetzt kommt Penny mit ihrem aufregenden Gang herein, bleibt stehen, als Younger hüstelt, und sagt fauchend wie eine Wildkatze:

»Er hat gesagt, ich soll vom Gitter wegbleiben, Jim. Und vorher hat er meine Tasche durchsucht. Es hätte nur noch gefehlt, dass der arme Narr mich abgetastet hätte, was? Younger, Sie Narr, ich wette, das hätte Ihnen sogar Spaß gemacht.«

Younger bekommt einen knallroten Kopf und japst:

»Ich – ich habe Vorschriften, Miss Loan. Verstehen Sie doch …«

»Ich verstehe gar nichts, Sheriff«, faucht sie ihn an. »Die ganze Welt ist verrückt geworden. Dieser dicke Kerl Wesley spielt sich auf wie der Präsident selbst und sagt, Jim und Joe wären verdächtig, etwas mit einem Überfall auf einen Transport zu tun gehabt zu haben. Eine verdammtere Narrheit habe ich noch nicht gehört. Was war das für ein Transport, Jim?«

»Nun, irgendeiner«, erwidert Jim mürrisch. »Penny, du weißt, ich habe keine Geheimnisse vor dir. Dennoch kann ich dir nichts weiter sagen, als dass Joe und ich nichts getan haben. Wir sitzen hier unschuldig.«

»So ist das«, sagt Penny und wirft den Kopf in den Nacken. »Younger, lassen Sie die beiden frei. Sie haben gehört, sie haben nichts getan.«

»Das – das darf ich nicht, ehe nicht alles geklärt ist«, ächzt Sheriff Younger. »Der Befehl ist vom obersten Richter gekommen. Es besteht ein Verdacht, und ich …«

»O Hölle«, keucht Penny und fuchtelt Younger mit der Handtasche vor der Nase herum. »Er sagt, dass sie unschuldig sind, also sind sie es. Jim, Darling, sie haben gesagt, du bist verwundet worden. Ist es schlimm?«

»No, fast wieder verheilt, Penny. Ich freue mich, dass du hergekommen bist, aber wir stehen das schon durch. Rege dich nicht auf, es wird sich aufklären.«

»Das kenne ich. Hier leben doch nur Ochsen«, schnauft Penny zornig und bedient sich der Kraftausdrücke ihres verunglückten Vaters. »Ist das ein vernageltes hohlköpfiges Packzeug. Jim, ich schicke einen Rechtsverdreher, wenn du willst.«

»No, Penny, nicht nötig.«

»Dann kann ich gar nichts für dich tun?«, fragt sie bestürzt. »Du findest dich mit dieser Ungerechtigkeit ab? Jim, was soll ich denn machen?«

»Auf mich warten«, antwortet er. »Eines Tages erzähle ich dir alles, einverstanden?«

»Du bist auch vernagelt«, murmelt sie, tritt an das Gitter, und küsst ihn schnell. »Nun gut, ich warte.«

Younger brummt irgendetwas, tritt zur Seite und lässt sie an sich vorbei aus dem Jail gehen. Dann knallt er die Tür zu und schließt wieder um.

»Du bist ein haariger Affe«, knurrt Joe aus seiner Ecke. »Dieses Girl liebt dich. Es ist nicht arm, es hat einen

Store. Du könntest Penny von heute auf morgen heiraten, aber du Narr ärgerst dich mit der Overland herum. Sie hat Feuer in den Adern und …«

»Halt die Klappe«, knurrt Jim Kendall zurück. »Ich heirate sie erst, wenn ich selber genug Geld habe. Zerbrich dir lieber den Kopf, wie wir hier herauskommen sollen. Joe, die verdammte Untersuchungskommission wird erst in vierzehn Tagen zusammentreten. Bis dahin könnten die Banditen mit viel Glück die Kisten entdeckt haben. Weißt du, was man dann behaupten wird?«

»Yeah«, sagt Joe finster. »Dass wir das Geld beiseitegeschafft hätten,

damit du deine eigene Linie aufbauen kannst. Dieser Windhund Wesley schiebt uns sogar noch in die Stiefel, wir hätten unsere Partner umgebracht. Er hat Verbindungen zu den großen Bossen der Overland. Sein Schwager …«

»Heißt Walt Ames und kennt mich«, unterbricht Jim den Alten trocken. »Ich habe Ames mal vor Jahren das Leben gerettet. Da war er noch nicht verheiratet und hatte noch keinen großen Posten bei der Overland. Heute sitzt er in Saint Louis und ist der zweite Mann. Ich wette, die Kommission wäre schon hier, wenn Ames nicht selbst kommen wollte. Er braucht für die Reise zwei Wochen, verstehst du? Ames ist eisenhart und schlau. Alles, was Wesley über seine Verwandtschaft sagt, ist glatte Angabe. Würde Ames mit Wesley große Dinge vorgehabt haben, hätte er ihn sicherlich nicht in die Wüste verfrachtet. Also kann man damit rechnen, dass Ames Wesley nicht besonders mag. Hierher schickt man nur Verwandte, die man los sein will. Ich mache mir keine Sorgen um den Ausgang der Untersuchung, Joe. Ich fürchte nur, dass die Banditen wie die Irren nach dem Geld suchen. Darum müssten wir hier raus, aber hol’s der Teufel, wie?«

*

»Du nachgemachter Mensch, du haariger schielender Affe!«, brüllt jemand vor der aufgesperrten Jailtür. »Ihr habt kein Recht, mich wie einen Hund … Oaaah!«

Im nächsten Moment kommt der Schreihals in den Gang gesaust und fällt schwer hin. Hinter dem Mann erscheint Youngers Deputy Brighton, ein Riese von Mann.

»In die vorletzte Zelle mit dir, Pferdedieb«, brüllt Brighton wütend. »Nenne mich noch mal haariger Affe, dann findest du dich nicht wieder, Stinktier.«

Der stämmige Mann rafft sich auf, wartet, bis Brighton neben ihm ist und versucht dann auszutreten. Brighton knallt ihm blitzschnell den Colt an den Kopf und wirft ihn dann in die Zelle.

»Well«, sagt Brighton zufrieden. »Der ist drin. Wenn du nicht wie dein Freund Stuffin fliegen willst, du Schleicher, dann sei friedlich. Los, nun komm schon, Casement.«

»Ni – nichts tun«, stottert ein kleiner, fürchterlich schielender Mister und zwängt sich an Brighton vorbei in die Zelle. »Die Pf – Pferde si – sind mir nachge – nachgelaufen, auf Ehre.«

»Zwölf Tage lang, von Oregon bis hierher?«, erkundigt sich Steve Brighton spöttisch. »Ihr seid nicht schnell genug gewesen, ihr Burschen. Euer Steckbrief war mit der Stagecoach früher da als ihr. Dich kann man einfach nicht übersehen, Casement. Du müsstest dir mal die Augen neu ausrichten lassen.«

Der schielende Casement verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und hockt sich wortlos auf die Pritsche. Das Jail hat vier Zellen, nun ist auch die dritte besetzt, in der vierten hat bis gestern ein betrügerischer Reisender gehockt, den dann der Sheriff aus Carson City abgeholt hat.

»Ich sag’s ja, deine Schielaugen«, knirscht Stuffin vom Boden aus. »Habe ich dir nicht gleich gesagt, wir sollten um dieses Nest einen Bogen machen?«

»Ihr habt ihn aber nicht gemacht«, erwidert Brighton scharf. »Geben sich in Oregon als Pferdehändler aus, sehen sich überall Pferde an und stehlen dann welche. Wo habt ihr die anderen verkauft? Es waren neun, jetzt sind es nur noch drei. Na, Casement, nicht reden?«

»Sind we – weggelaufen«, stottert Casement höhnisch. »Sucht sie do – doch!«

»Frech werden auch noch«, stellt Brighton kopfschüttelnd fest. »Na, euch wird der Spaß vergehen. Sie kommen euch bald holen. Ich hörte, die Leute in Oregon machen nicht viel Theater mit Pferdedieben.«

Er kommt zurück, sieht kurz zu Kendall und bleibt stehen, als Kendall die Hand hebt.

»Ihr hattet einen Steckbrief?«, fragt Kendall langsam. »Seit wann suchte man die Burschen?«

»Seit zwölf Tagen«, antwortet Brighton. »Die Kerle haben sich in Oregon herumgetrieben und vorgegeben, Pferdehändler zu sein. Einige Tage später stahlen sie dann die besten Pferde. Man sucht sie schon eine ganze Weile in Oregon, bei uns aber erst seit zwölf Tagen. Warum fragst, Kendall?«

»Nur so. Schließlich will man wissen, mit wem man zusammen im Jail steckt«, gibt Kendall zurück und legt sich wieder hin. »Ziemlich unruhig heute in der Stadt, was?«

»Kein Wunder, am Wochenende.« Brighton zuckt die Achseln. »Seid ruhig hier drin, das ist ein Rat.«

Brighton geht hinaus. Stuffin, ein kräftiger stiernackiger Bursche, flucht leise vor sich hin. Nur Casement behält die Ruhe und sagt zischend:

»Es hat keinen Sinn, zu fluchen, Jay. Wir sitzen fest. Das haben wir vorher gewusst, irgendwann musste es passieren. Und es war deine Idee, Pferdehändler zu spielen.«

»Hat ja auch geklappt, was?«

»Nicht lange genug. Wir hätten früher aufhören sollen«, erwidert Casement, der nun nicht mehr stottert.

»He, ihr da, was habt ihr ausgefressen?«

Moore sieht zu ihm hin und bleckt die Zähne.

»Mord«, sagt er kalt. »Wir haben nur fünf Mann umgebracht.«

Casements Gesicht verfärbt sich. Wie für alle Diebe hat der Gedanke an Mord für ihn etwas Grausames an sich.

»Mörder«, stößt auch Stuffin heraus. »Alle Teufel. Siehst du, Rod, habe ich dir nicht immer gesagt, dass Mörder manchmal ganz harmlos aussehen?«

Moore aber geht zum anderen Gitter hinüber und sieht Kendall an.

Auch Kendall ist an das Trenngitter getreten.

»Was denkst du?«, zischt Moore so leise, dass es von Casement und Stuffin nicht gehört werden kann. »Wo waren die Burschen vor zwölf Tagen? Wirklich in Oregon?«

Kendall senkt den Blick, beobachtet aber die beiden Burschen unter gesenkten Lidern.

»Dachtest du dasselbe?«, flüstert er. »Jetzt sind wir zehn Tage hier. Genau vor zwölf Tagen war der Überfall. No, Joe, das sind keine Pferdediebe.«

»Jim, unsere Banditen müssen annehmen, dass wir die genaue Lage der Silberdollars kennen«, antwortet Joe wispernd. »Sie bekommen es fertig und stecken uns jemand ins Jail, der uns aushorchen soll.«

»Leg dich hin und warte ab, ob sie neugierig werden.«

Joe Moore ist das Misstrauen selbst. Sie haben gestern darüber geredet, dass man sie, kämen sie hier heraus, auf Schritt und Tritt beobachten könnte. Haben die Banditen die Silberdollars nicht gefunden, werden sie nichts unversucht lassen, um entweder Moore oder Kendall zu erwischen. Das Beste für die Banditen wäre, beide in die Gewalt zu bekommen.

Aber bis jetzt hat sich nichts Verdächtiges gerührt.

Vielleicht haben die Banditen die Kisten längst in ihrem Besitz.

*

Es ist Mitternacht vorbei, in der Stadt ist es ruhig geworden. Steve Brighton, der Deputy, ist längst nach oben gegangen. Dafür hat Sheriff Younger seinen Platz Im Office eingenommen. Vor einer halben Stunde hat Younger kurz hereingesehen. Er hat die Lampe an der Gangwand klein gedreht. Solange er im Jail war, hielten die beiden Pferdediebe Ruhe. Kaum aber hatte er es verlassen, setzte ihr Streit schon wieder ein.

»Seid ihr bald ruhig?«, fragt Kendall finster. »He, es hat keinen Zweck, dass ihr euch Vorwürfe macht. Ich will schlafen, verstanden?«

Das spärliche Licht reicht kaum bis in die letzte Zelle. Dort hocken der kleine schielende Casement und Jay Stuffin auf ihren Pritschen. Vielleicht hat sie aber der Schreck, als sie am Abend ins Jail flogen, zuerst schweigsam gemacht. Jetzt aber ist der Schock vorbei, und beide beschimpfen sich leise und wütend.

»Der verdammte schieläugige Langfinger ist schuld, dass ich hier sitzen muss«, giftet Jay Stuffin bissig. »Ich könnte dich umbringen, Mensch. Wenn er auf mich gehört hätte, hätten sie uns nie bekommen. Dieser Narr, dieses verdammte Schielauge.«

»Hör auf, mich Schielauge zu nennen«, knirscht der kleine Pferdedieb Casement voller Hass. »Ich wollte nicht nach Nevada, ich nicht. Hast du eine Freundin in Carson City oder ich? Zwei Tage nichts Warmes mehr gegessen, ich musste was essen!«

»Schönes Essen, Henkersmahlzeit, was?«, faucht Stuffin zurück. »Dir drehe ich den Hals um, du Schielmeppe.«

»Schielmeppe. Hast du Schielmeppe gesagt?«, keucht Casement und zittert vor Wut. »Ich kann nichts dafür, dass ich schiele. Aber du für deine Dummheit. Du bist ja zu blöde, deinen Namen zu schreiben.«

»Sag das noch mal«, gurgelt Stuffin wild. Er steht wutentbrannt auf und will auf den kleinen Casement los. Der hat seinen rechten Stiefel herabgerissen und schwingt ihn drohend.

»Komm doch her, ich hau zu«, versichert Casement schrill. »Komm doch, du Ochse, ich schlage dir die Ohren herunter.«

Stuffin bleibt wie ein tolpatschiger Bär stehen und schüttelt wild die Fäuste.

»Du bekommst noch dein Teil«, zischt er finster. »Geh zum Teufel, du Triefauge.«

Dann wendet er sich schwerfällig um und trottet zu seiner Pritsche zurück. Dort legt er sich hin, zieht sich die Decke über den Kopf und dreht Casement den Rücken zu. Der lässt langsam den Stiefel sinken und rollt sich auf der Pritsche zusammen. Dabei aber lässt er den Stiefel, seine einzige Waffe, nicht los.

»Seid ja friedlich, sonst holt euch der Satan«, brummt Kendall zu ihnen hin. »Kein Spektakel mehr heute, rate ich euch.«

Er sinkt zurück und schließt die Augen. Die beiden Streithähne schlafen jetzt ein. Moore schnarcht tief und laut, nur Kendall bleibt noch eine Weile wach. Über das Grübeln, ob die Banditen die Kisten gefunden haben oder nicht, fallen auch ihm die Augen zu.

Kendall fährt hoch, als der schrille Schrei ertönt und sofort wieder

abbricht. Im ungewissen Licht der Gang­laterne sieht Kendall aus verschlafenen Augen das Knäuel drüben am Boden. Ehe Kendall ganz munter wird, er kann kaum eine Stunde

geschlafen haben, prallt der kleine

Casement drüben an die Gitter. Über ihm kniet Stuffin. Im nächsten Augenblick sinken Casements zur Abwehr erhobenen Arme schlaff herab.

»Du verdammter Schurke, sage noch mal, dass ich zu blöd zum Schreiben bin«, giftet Stuffin heiser. »Da hast du was, jetzt hältst du dein Maul, was? Dir werde ich zeigen …«

Und weiter kommt er nicht.

Die Tür zum Office schwingt zurück. Sheriff Phil Younger steht in der nächsten Sekunde im Gang und starrt auf den neben Casement kauernden Stuffin. Dann setzt Younger sich in Bewegung. Mit vier langen Schritten ist der Sheriff an der Lampe und dreht den Docht hoch. Im schnell heller werdenden Licht sieht nun auch Kendall, dass Stuffin den schielenden Casement blutig geschlagen hat. Casement läuft das Blut aus der Nase. Der kleine Pferdedieb liegt still am Gitter und rührt sich nicht.

Einen Moment sagt Younger kein Wort. Er starrt nur Stuffin an, der sich langsam auf den Knien zurückzieht. Stuffin kriecht rückwärts auf seine Pritsche zu. Dass er Angst hat, ist offensichtlich.

»Ich habe doch was gehört?«, knurrt Younger dann grimmig. »Du Teufelsbraten, hast du ihn etwa umgebracht? Komm mal her, du Halunke.«

Casement hat sich zum Schlafen seine Stiefel ausgezogen. Seine löcherigen Socken zeigen schmutzige Füße. Er liegt auf der Brust, die Beine etwas angezogen und den Kopf zur Seite gewendet. Das Blut aus seiner Nase rinnt auf den Zellenboden.

»Sie haben sich den ganzen Abend gestritten«, murmelt Kendall kurz. »Sheriff, als ich aufwachte, war es schon passiert. Er hat ihm den Kopf gegen den Boden geknallt.«

»Und warum?«, erkundigt Younger sich finster. »Kendall, was war los?«

»Sie gaben sich gegenseitig die Schuld, im Jail gelandet zu sein«, antwortet Kendall. »Ich dachte, sie wären endlich friedlich geworden.«

Moore schläft immer noch. Er hat einmal kurz sein Schnarchen unterbrochen. Das Reden macht den Alten nicht munter.

»Teufel, der liegt da wie tot«, brummt Younger. »Komm her, Stuffin. Los, du Hundesohn, trabe schon an.«

Er zieht seinen Revolver, schließt die Zellentür auf und bleibt im Gang stehen. Stuffin, immer noch den wilden Ausdruck in den Augen, erhebt sich langsam. Dann schiebt er sich auf die Tür zur Zelle zu.

Sheriff Younger tritt an die Tür der nächsten Zelle, sperrt sie auf und winkt mit dem Colt.

»Rein da mit dir, du Halunke. Das bedauerst du noch, Pferdedieb. Drei Tage kein warmes Essen, verstanden? Los, geh schneller, Mensch. Vorwärts.«

Er holt mit dem Fuß aus, aber der träge trottende Stuffin macht einen schnellen Satz und entgeht dem Tritt. Er springt wie ein Hase in die letzte Zelle und giftet von dort aus:

»Hat der Lump ein Glück, dass ich ihn jetzt nicht mehr packen kann. Dieser widerliche kleine Schieler, bei der nächsten Gelegenheit bekommt er es noch mal, und dann …«

»Halt die Klappe«, unterbricht Younger ihn scharf und wendet sich um. »Ist er schwer verletzt, erlebst du was, Stuffin, das verspreche ich dir. Dieses verdammte Gesindel, es ist immer dasselbe mit ihm. Kaum soll es für seine Taten bezahlen, fällt es übereinander her. Teufel, sieht böse aus mit dem kleinen Gauner, was?«

Er hastet zu dem blutenden Casement, beugt sich über ihn und hat den Colt eingesteckt. Um den Mann anzuheben, braucht Younger beide Hände.

Kendall hat sich auf die Pritsche gehockt und sieht, wie Younger den kleinen Mann umdrehen und anheben will.

In derselben Sekunde passiert es.

Und es kommt auch für einen Mann wie Kendall zu schnell.

Der scheinbar ohnmächtige Casement bewegt sich mit einem blitzschnellen Zucken. Seine Hände fahren hoch. Irgendetwas glaubt Kendall glitzern zu sehen.

Dann tritt der kleine schielende

Casement mit einem Ruck aus. Er wirft sich dabei auf den Rücken. Seine Füße schnellen hoch und treten Sheriff Younger mitten in den Leib.

In der nächsten Sekunde stürzt Younger nach einem erstickten Schnaufen schwer zu Boden. Aus Mund und Nase dringen ihm seltsame hohe, pfeifende Töne. Deutlich erkennt Kendall, wie der Sheriff nach seinem Colt zu greifen versucht. Younger liegt auf dem Bauch. Seine rechte Hand tastet nach dem Coltkolben, doch Casement handelt mit der Geschwindigkeit eines Wolfes. Er kniet bereits auf Youngers Rücken. Sein rechtes Knie presst das Halfter des Sheriffs gegen den Boden. Youngers Finger krallen sich in Casements Hosenbein, erreichen das Halfter nicht. Und dann tappen jäh die Schritte im Gang des Jailanbaues.

Durch den Gang kommt mit Riesensprüngen Stuffin angeflogen.

Erst in dieser Sekunde begreift Kendall, dass Younger nicht nur den Fehler gemacht hat, die beiden Banditen zu unterschätzen.

Der Sheriff hat die Tür der letzten Zelle nur angelehnt, statt sie hinter Stuffin abzuschließen.

Und das wird ihm nun zum Verderben.

Kendall ist vor Schreck aufgesprungen und an die Trenngitter gerannt. Im Stehen sieht er alles, was sich in der dritten Zelle abspielt, viel besser.

Durch die Tür fliegt nun Stuffin wie ein losgelassenes Raubtier in die Zelle hinein.

»Schnell, schnell«, keucht der kleine Casement scharf. »Den Colt.«

Um Sheriff Youngers Hals liegt eine millimeterdünne Drahtschlinge. Casement hat, als Younger ihn anheben wollte, den Draht blitzschnell um Youngers Hals geworfen und die Hände übereinandergerissen. Der Draht hat Younger augenblicklich die Luft abgeschnürt. Youngers Bewegungen sind schon so matt, dass es für den herantobenden Stuffin eine Leichtigkeit ist, die Hand des Sheriffs wegzureißen.

In der nächsten Sekunde hat Stuffin Youngers Colt und holt mit einem heiseren Fluch aus.

»Da, du verdammter Narr.«

Der Colt saust an Youngers Kopf.

Sofort richtet sich Jay Stuffin auf. Sein stechender Blick richtet sich auf Kendall. Der Colt in seiner Hand wandert hoch und zeigt auf Jims Brust.

»Maul halten, keinen Laut, Mann«, zischt Stuffin, während er in den Gang hastet. »Los, Rod, aufpassen.«

Der kleine Mann, dessen Nase noch immer blutet, hetzt krummbeinig auf die Officetür zu. Dabei windet er den vielleicht dreißig Zoll langen dünnen Draht mit ein paar geschickten Drehungen zusammen und steckt ihn in die Hosentasche. Wie ein Wiesel bleibt er dann in der Tür stehen und lauscht.

»Nichts«, zischelt er von dort aus. »Der schläft oben, er hat nichts gehört.«

Es will Kendall immer noch nicht in den Kopf, dass die Pferdediebe nicht nur den Sheriff ausgetrickst haben. Auch ihn haben Casement und Stuffin geblufft. Ihre Handlungen hat Kendall nicht eine Sekunde für ein Spiel gehalten.

Langsam wendet Kendall den Kopf. Moore schläft immer noch so fest wie ein Toter. Drüben steht Stuffin wachsam wie ein Leitwolf und beobachtet den Sheriff und die Zellenpartner.

»Stuffin«, schnauft Kendall, in dessen Kopf sich jäh tausend Gedanken jagen. »He, was habt ihr vor?«

»Das wirst du schon sehen«, antwortet Stuffin finster. »Jetzt sei ganz ruhig, Mann.«

Keine zehn Sekunden später hastet Casement herein. Der kleine Pferdedieb presst einen Handtuchstreifen vor seine Nase. Mit wenigen Sätzen ist er neben dem Sheriff, wirft die mitgebrachten Handschellen auf die Pritsche und stopft Younger einen Knebel in den Mund. Dann reißt er ihm die Hände übereinander und schließt ihn an den Gittern fest. Er bindet ihm auch die Beine zusammen. Sein Silberblick huscht nun nach drüben zu Kendall.

»Wo schläft der Deputy?«

»Das weiß ich nicht. Es gibt dort nur zwei Kammern im Giebel«, antwortet Kendall kalt. »He, wollt ihr uns nicht herauslassen, Casement?«

»Warte ab«, knurrt der kleine Dieb. »Sie hätten auf den Steckbrief setzen sollen, dass ich mir nur mal leicht die Nase zu stoßen brauche, damit sie blutet. Wie der Narr auf den Trick hereingefallen ist, was?«

Er wirbelt herum. Auf seinen löcherigen Socken huscht Casement in den Gang. Stuffin tritt an die Tür zum Office und lässt ihn vorbei.

»Die Treppe muss hinter der Tür sein«, hört Kendall Stuffin zischeln. »Sei leise, Mann. Oder soll ich mitkommen?«

»Bin ich ein Narr?«

Casements Antwort klingt dünn aus dem Office. Dann knackt etwas leicht, ein Schaben verliert sich.

In der Tür steht immer noch Stuffin, Youngers Colt in der Faust. Der Mann sieht sich zwei-, dreimal nach den beiden Zellen um. Seine dunklen drohenden Blicke richten sich jedes Mal auf Kendall.

Kendall rührt sich nicht. Er traut dem kleinen Halunken Casement zu, lautlos bis in die Schlafkammer Brightons zu gelangen.

Einen Augenblick später zuckt er zusammen. Von oben ertönt ein heiserer dumpfer Schrei, dem ein schweres Gepolter folgt. Casements Stimme schrillt über den kleinen Flur im Dachgeschoss des Hauses und die Treppe bis ins Jail: »Aus dem Bett, was? Dir zeige ich – aus dem Bett.«

Es donnert, als fiele oben ein Schrank um. Dann wird es still, nur ein Schnurren meldet sich, dem sich auf der Treppe ein wüstes Gedröhn anschließt.

»Schon ist er unten, was?«, meldet sich Casement wieder. »Werde ich den schweren Schurken auch noch hinabschleppen.«

Er hat Brighton die Treppe hinabgeworfen, denkt Kendall bestürzt. Du großer Gott, dieser kleine Giftzwerg hat den Teufel im Bauch.

Stuffin sieht sich um, wieder die kalte Drohung im Blick.

»Immer ruhig«, sagt er jetzt lauter als vorhin. »Ihr kommt auch noch an die Reihe.«

Er verschwindet für Sekunden im Office. Dann tauchen sie beide wieder mit Brighton auf. Der Deputy hängt zwischen ihnen. Sie schleifen ihn in die Zelle und behandeln ihn nicht anders als Younger. Kurze Zeit später hängt auch Brighton an den Stäben fest. Der Deputy blutet an der rechten Kopfseite und am linken Ohr.

Mit einem Grinsen verlassen die beiden Pferdediebe die dritte Zelle. Während Stuffin nun laut mit den Schlüsseln rasselt und sich Moores Zelle nähert, bleibt Casement mit seinem tückischen Schielen im Gang stehen.

Als die Schlüssel rasseln, endet auch Moores Geschnarche. Stuffin ist mit zwei Schritten neben Joe Moores Pritsche. Der Pferdedieb hebt den Fuß an, tritt Moore in die Seite und sieht den Alten die Augen aufschlagen.

Verschlafen blinzelnd schrickt Joe zusammen. In der nächsten Sekunde stemmt er sich keuchend auf. Sein ungläubiger Blick fliegt erst an dem grinsenden Stuffin hoch. Dann wandert er zur ersten Zelle und Kendall weiter.

»Na?«, erkundigt Stuffin sich höhnisch. »Bist du wach, Alter? Was fehlt dir? Warum sagst du nichts?«

Joe Moore bleibt wie betäubt auf der Pritschenkante sitzen. Sein Blick trifft unter gesenkten Lidern mit dem Kendalls zusammen. Unmerklich schüttelt Kendall den Kopf.

»Was – was ist los?«, fragt Moore verstört. »Wie seid ihr heraus…«

Er blickt sich nun um und stiert auf den Sheriff und Deputy Brighton.

»Alter, da bist du platt, was?«, fragt Stuffin spöttisch. »Siehst du, so macht man das. Manchmal kann einen kein Jail halten. He, raus mit dir. Bewege dich schon. Nur in den Gang, Mister, nicht weiter.«

Moore erhebt sich. Er blickt wieder zu Jim Kendall und fragt gepresst:

»Jim, was denkst du jetzt? Ich sagte dir doch …«

»Sei ruhig«, antwortet Kendall finster. »Wir müssen tun, was diese freundlichen Pilger sagen.«

»Yeah, das werdet ihr«, meint Stuffin spottend und schiebt Joe Moore in den Gang. »Ihr könnt es euch aussuchen. Entweder schlagen wir euch zusammen wie die beiden Narren da und binden euch hier geknebelt an, oder ihr gehorcht uns und kommt heraus. Na, wie wollt ihr es haben?«

»Keine große Auswahl, denke ich«, murmelt Kendall. »Was sollen wir tun?«

»Ab ins Office und ruhig bleiben«, bestimmt Casement. »Keine Waffe nehmen, verstanden? Ich bin ein Dieb, und kein schlechter, meine ich. Mit Mördern habe ich nie viel vorgehabt. Kommt schon, aber duckt euch. Es ist nicht nötig, dass man euch von draußen sieht. Bewegt euch etwas schneller, wir haben nicht mehr viel Zeit bis zum Morgen.«

Kendall tritt an Stuffin vorbei in den Gang und bückt sich beim Betreten des Office. Neben ihm hüstelt der alte Joe, während Casement die Jailtür zufallen lässt.

»Seht mal raus, aber vorsichtig«, knurrt Stuffin. Er macht sich am Schrank und Schreibtisch zu schaffen. Casement beobachtet mit Luchsaugen Kendall und Joe. »Sagt Bescheid, wenn sich draußen etwas Verdächtiges zeigt. Das könnt ihr für eure Freiheit wenigstens tun.«

»Sicher«, antwortet Kendall gleichmütig. Er duckt sich, blickt über das Fensterbrett hinweg auf die Straße und wendet den Kopf. »Nichts zu sehen. In zwei Saloons noch Licht, auch in einem Haus drüben. Ein Wagen auf der Straße, er fährt nach Osten.«

Er hört Stuffin zufrieden lachen. Der Mann hat sein Geld in der Schreibtischlade gefunden und teilt es jetzt hastig.

Joe Moore wechselt einen stummen, blitzschnellen Blick mit Kendall, als Casement an den Tisch tritt. Der kleine Mann vergisst einen winzigen Augenblick Kendall und Moore. Dort liegt das Geld, der Erlös aus dem Verkauf der gestohlenen Pferde. Außerdem haben ihre Revolver auch im Tisch auf sie gewartet. Beide Waffen sind entladen worden, ehe Sheriff Younger sie mit einem Zettel versah und wegpackte.

Wie jeder Mann, der mit seinem eigenen Colt besser umgehen kann als mit einem fremden, greift Casement zu.

Im gleichen Moment senkt Kendall die rechte Hand.

Jim Kendall hat seine Chance erkannt. Er handelt im Bruchteil einer Sekunde.

*

Kendalls Hand erwischt den neben dem einen Stuhl stehenden Stiefelausziehhocker. Da Kendall gebückt steht, fällt die Bewegung keinem der beiden Pferdediebe auf. Kendall kauert unterhalb der Fensterbrüstung. Joe Moore steht direkt neben ihm und sieht Kendalls kurzes Blinzeln.

Im nächsten Moment wirbelt Kendall herum. Er stößt sich dabei von der Außenwand des Raumes ab und fliegt auf den Schreibtisch zu.

Dort sagt Stuffin gerade frohlockend: »Der Narr von Sheriff hat sein Geld auch noch in der Schublade geha…«

Und zu mehr kommt Stuffin nicht.

Casement hat in der einen Hand sein Geld. Er will es in die Tasche stecken und hat mit der anderen Hand nach seinem entladenen Colt gegriffen. Vor Stuffin liegt der Revolver des Sheriffs auf der Tischplatte. Stuffin ist dabei, seinen Geldanteil in den Lederbeutel zu stopfen, als Kendall von der Wand heranhechtet.

Den schweren Stiefelausziehhocker mit seinen drei Beinen in der Faust, schnellt Kendall sich auf den Rücken Casements zu. Im selben Augenblick reißt Stuffin erschrocken die Augen auf. Er verstummt mitten im Satz und lässt seinen Geldbeutel fallen. Seine Hände schießen nach vorn zu Sheriff Youngers Colt.

Casement, der kleine schielende Pferdedieb, dreht sich jäh, aber er schwenkt genau in den Hieb mit dem Hocker hinein. Das Holz knallt Casement mitten über den Kopf. Dann fliegt der kleine Bursche durch Kendalls wuchtigen Anprall nach vorn. Er landet auf der Platte des Schreibtischs. Halb benommen sieht er dicht vor seinem Gesicht die Hände Stuffins nach dem Colt von Younger schnappen. Doch da schießt etwas von oben herab und nagelt Stuffins Hände eine Sekunde gegen die Platte.

Es ist der Stiefelauszieher. Kendall hat zum zweiten Mal so blitzartig zugeschlagen, dass Stuffin den Colt loslassen muss.

Stuffins gurgelnder Schmerzlaut erstickt einen winzigen Moment später.

Ohne eine Sekunde zu zaudern, ist der alte Joe Moore losgesprungen. Sein wilder Bart mag Stuffin und Casement über sein wahres Alter getäuscht haben. Vielleicht macht Joe Moore den Eindruck, als sei er alt und gebrechlich. Jedoch ist Joe alles andere.

Moores Hände legen sich wie Schraubstockbacken um Stuffins Hals und reißen den Kerl hintenüber.

In dieser Stellung erwischt der Stiefelauszieher Stuffins Kopf, und der Mann sackt in Moores Armen haltlos zusammen.

Keuchend liegt Casement immer noch auf der Tischplatte. Er will sich abstemmen, aber vor seinen Augen dreht sich alles. Dann packt ihn eine Faust am Genick, reißt ihn herum und stellt ihn hin.

»Das habt ihr jetzt nicht gedacht, was?«, knirscht Kendall finster. »Ab mit dir, Hundesohn.«

Seine Rechte donnert Casement ans Kinn. Der Pferdedieb saust rücklings gegen die Jailtür. An ihr rutscht er herunter und bleibt reglos am Boden Liegen.

»Das Fenster, Joe.«

Joe hat Stuffin zu Boden sinken lassen. Mit einem Satz kauert Moore gleich darauf unter dem Fenster und meldet: »Nichts los, nichts zu sehen. Alle Teufel, ich habe dir doch gesagt, dass diese Halunken uns jemand ins Jail schicken würden. Was fangen wir jetzt an?«

»Du irrst dich«, antwortet Kendall leise. »Unsere Mörder würden das nie riskieren, nicht auf diese Art, Joe. Die beiden Kerle sind echte Pferdediebe. Sie gehören zu der Sorte, die immer damit rechnen muss, erwischt zu werden. Auf den Ausbruch waren sie vorbereitet. Komm her, wir schaffen die Kerle auch ins Jail und schließen sie an. Ich muss mir Casements Stiefel ansehen. Dort hat der Kerl die verdammte Schlinge gehabt.«

Sie schleifen die beiden Halunken in die zweite Zelle und binden sie fest an. Beide bekommen einen Knebel.

Kendall findet in Casements Stiefel eine verdeckte Lasche.

Dort hat die Schlinge gesteckt.

»Der Hundesohn«, schnauft Joe wild, »und was machen wir mit Younger und Brighton?«

Kendall huscht zu ihnen und seufzt bitter.

»Ich wollte raus. Jetzt habe ich die Chance. Joe, wir verschwinden und werden auch ein wenig tricksen. Verdammt, diese Pferdediebe haben mächtig hart zugeschlagen. So schnell wachen Younger und Brighton nicht auf. Los, raus hier. Wir nehmen uns Waffen und Pferde. Am Morgen wird man die vier ungleichen Brüder hier schon finden.«

»Und wohin wollen wir?«, fragte Joe verstört. »Jim, wohin von hier aus?«

Kendall hat wieder jenen nachdenklichen Zug im Gesicht.

Joe Moore kennt diesen grüblerischen Ausdruck.

Er hat das Gefühl, dass Kendall sich etwas ausrechnet.

»Pferde stehen in Youngers Stall, die brauchen wir. Und jetzt weg hier. Wir holen uns bei Penny Proviant.«

*

Ihr Gesicht ist nun nicht mehr so erschreckend blass wie noch vor zehn Minuten. Hastig schnürt sie die beiden Packen zusammen und reicht Joe Moore die vier Wasserschläuche.

»Jim«, flüstert sie dann, als könne jemand sie hören. »Jim, du brauchst mir nichts zu sagen. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich nichts weiß. Es tut mir leid, Jim, mehr habe ich nicht hier. Verpflegung für zehn Tage, reicht das?«

Jim Kendall blickt das Mädchen mit dem eigenwilligen Kopf offen an. Sie hat nichts gefragt. Sie hat ihn nur einen Moment an den Schultern gefasst und angesehen. Etwas wie Furcht hat Kendall in ihren Augen erkannt, nachdem er ihr von ihrer Flucht und den beiden gebundenen Pferdedieben berichtet hat.

»Das wird reichen müssen«, murmelt er und fasst nach ihrer Hand. »Sind wir in zehn Tagen nirgendwo aufgetaucht, dann reitest du nachts los. Nimm einen Wasserschlauch mit und kommst zu den Lovelock-Indianerhöhlen. Aber nur bei Nacht reiten. In der elften Nacht von heute an werden wir dort zu finden sein. Dann ist Vollmond und gute Sicht. Wir werden sehen, ob jemand hinter dir her ist. Bring uns Verpflegung für noch eine Woche, verstanden? Ist niemand da, dann drehst du um. Du reitest zu Sheriff Younger und sagst ihm, er solle uns suchen.«

Sie schluckt einmal heftig, dann senkt sie den Kopf.

»Du meinst, Jim, diese Burschen hätten euch dann …«

»Es könnte sein«, antwortet Kendall gepresst. »Möglich, dass diese Kerle uns erwischen, aber ich hoffe, wir sehen sie zuerst. Danke für deine Hilfe, Penny.«

»Was ist das schon, Jim? Joe, pass auf, dass er nichts einfängt, hörst du? Ihr seid beide noch nicht ganz in Ordnung. Jim, sieh dich vor, denke an die anderen. Man hat sie auch aus dem Hinterhalt kaltblütig erschossen.«

Kendall kann nur nicken. Er hört Joe hinaushasten und die beiden Pferde aus Pennys Stall leise schnauben. Penny hat ihnen zwei von ihren Pferden angeboten, aber Kendall nimmt sie nicht. Es ist möglich, dass Younger hier nachsehen und fragen kommt. Dann wird es für Penny Loan leichter sein, wenn die Pferde da sind. Jeder weiß, dass sie vier Pferde im Stall hat. Und fehlen zwei, kann Younger sich an zwei Fingern ausrechnen, wo sie geblieben sind.

»Penny, ich …«

»Du großer Narr«, sagt sie schnell und nimmt seinen Kopf in ihre Hände. »Hau ab, Krieger. Ich – ich werde warten und dann kommen. Und ich werde versuchen, nicht daran zu denken, dass du nicht an den Indianerhöhlen sein könntest. Geh, ehe ich anfange zu heulen.«

Sie küsst ihn schnell und heftig. Dann dreht sie sich um und läuft wie von Furien gehetzt ins Haus zurück.

Dies ist der Abschied, denkt Kendall bedrückt, vielleicht ein Abschied für immer. Ich werde alle Spuren hier löschen und dann mit Joe reiten. Erwischen wird man uns die nächsten Tage nicht. Wir verkriechen uns und lassen Younger suchen.

*

Keuchend hält Joe Moore sich am Spaten fest.

Dann setzt er sich auf den schwarzen flachbuckligen Felsblock und fährt sich über die Stirn.

Im bleichen Licht des schon fast vollen Mondes reicht ihre Sicht etwa drei Meilen weit. Auf diese Entfernung kann man noch eine Bewegung in der Wüste ausmachen. Um sie rührt sich nichts. Am Horizont ist im Osten die Kette der Stillwater Range auszumachen, während die flacheren Erhebungen der West-Humboldtberge fast nördlich von ihnen wie ein dunkler ungewisser Kamm aufsteigen.

»Ich habe nie gedacht, dass diese verdammte Suche so anstrengen könnte«, schnauft Joe Moore mürrisch.

»Was sind schon drei Tage und drei Nächte?«, gibt Kendall heiser zurück und lehnt sich einen Augenblick gegen den Spatenstiel. »Irgendwo in diesem Streifen muss es sein. Versteh doch, Joe, vier Meilen lang, etwa zwei Meilen breit.«

»Alle Steine hier sind schwarz«, knurrt Joe verbissen. »Wenn wir hier fertig sind, haben wir die eine Flanke deines Vierecks abgesucht. Eine, verstehst du? Bleiben noch drei. Das wären neun Tage. Mir macht es ja nichts aus. Ich glätte deine blödsinnigen Löcher auch noch ein Jahr lang. Aber, mein Freund, vergiss über unserer Suche die Banditen nicht. Younger hat sicher wutknirschend aufgesteckt, aber diese hinterhältigen Mörder könnten herumschleichen und uns ausmachen.«

»Dazu müssten sie erst in die Wüste kommen und aus den Bergen heraus«, antwortet Kendall trocken. Er schultert den Spaten, geht weiter und betrachtet nachdenklich die schwarzen, vom Sand zernagten Steine zu seiner Linken. »Joe, morgen um diese Zeit haben wir neue Verpflegung. Wir werden beide zu den Lovelock-Höhlen reiten und die Augen aufhalten, ob jemand Penny folgt.«

Joe Moore kichert leise, dann kratzt er sich am Kopf und sagt glucksend:

»Sie hat dich angesehen wie ein angeschossenes Reh, als du ankamst. Eines Tages führt sie dich an einem Strick durch die Gegend, wette ich.«

»Halt den Mund, Joe«, brummt Kendall unwirsch. »Penny ist in Ordnung.«

»Sagte ich ja«, kichert der Alte. »Aber dass sie sich ausgerechnet in dich Trottel verlieben würde? Wer hätte das gedacht. Schätze, sie hat Feuer in den Adern.«

»Du sollst das Maul halten.«

»Hihi, rote Haare, ich wette, deine Kinder bekommen auch mal rote Haare wie …«

»Du verdammter alter Esel«, knurrt Kendall und rammt den Spaten in den Boden. »Dich soll doch gleich der Teufel …«

Er schweigt so abrupt, dass der alte Joe erstaunt zu ihm hinblickt. Jim Kendall starrt hinunter auf den Spaten und rührt sich einige Sekunden nicht. Er blickt auf die Steine rechts und links, den halb über sie gewehten Sand.

Großer Gott, denkt Kendall verstört, der Spaten ist nicht auf Fels gestoßen.

Die Steine, halb verweht und matt glitzernd, ragen nicht wie eine Doppelreihe aus dem Sand. Und doch hat Kendall gerade nach einer Doppelreihe Steine gesucht. Zwischen ihnen ist die Rinne gewesen. Hier ist nichts als Sand, der Steine bedeckt und fast zugeschüttet hat.

Kendall fasst nun beinahe vorsichtig den Spatenstiel an, beobachtet von Joe Moore.

Der Alte setzt sich plötzlich in Bewegung und kommt Schrift für Schritt näher.

Auch Joe sagt nichts. Er sieht, wie Kendall den Spaten in den Sand jagt und immer hastiger zu graben beginnt. Der Sand rieselt in das Loch nach. Und tief unten, tiefer, als Kendall es jemals gedacht hat, zugeschüttet vom Sandsturm …

Kendall lehnt über dem Griff des Spatens und stiert in das kleine Loch hinab. Neben ihm knirscht der Sand. Der Alte schnauft wie eine alte Dampfmaschine, bis sein Atem versiegt.

»Alle Teufel«, sagt Joe dann.

»Wozu es doch gut ist, dass man dich ärgert, was? Nummer siebenunddreißig.«

Dort liegt sie, zur Hälfte freigelegt. Auf ihrem sandfarbenen Holzdecke, ist die Nummer zu lesen.

Eine Kiste voll Silberdollars.

Ich werde verrückt, denkt Kendall. So was gibt es doch nicht. Mit drei Wochen Suche habe ich gerechnet. Als ich die Steine hier sah, dachte ich keinen Moment daran, dass es meine Steine sein könnten.

Sie brauchen nicht lange zu graben. Old Joe sagt nichts mehr davon, dass es eine verdammt harte Arbeit sei.

»Wir haben es«, murmelt der Alte, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. »Jetzt können wir losreiten und Packpferde holen, Junge. Und dann haue ich Wesley die Zähne aus dem Lästermaul, jeden einzeln, damit er auch Spaß an der Sache hat. Eh, sagte ich dir schon, dass du ein verdammt harter Bursche bist, Jim?«

»Ich weiß nicht«, murmelt Jim und knallt den Deckel zu. Er beginnt wieder zu schaufeln, um das Loch zu glätten. »Joe, du warst für mich immer ein Mittelding zwischen älterem Bruder und Vater. Danke, dass du mir geholfen hast. Ohne dich wären wir damals nicht vom Weg herunter und ins Tal gekommen. Sie hätten uns abgeschossen. Niemand kann so fahren wie du.«

»Du – du verrückter Kerl«, brummt der Alte wütend. »Du bedankst dich bei mir? Ich wäre heute eine Mumie, ausgetrocknet von der Sonne, oder ein Skelett, abgenagt von Geierschnäbeln. Da rettet dieser verdammte Narr mir altem Knochen das Leben und bedankt sich auch noch für mein bisschen Hilfe. Wie ich denken alle Männer der Overland, es gibt keinen besseren Mann als dich. Sicher hätten sie uns im Jail besucht, wenn sie gewusst hätten, um was es ging. Das hätte dir keiner zugetraut. Diese verdammte schmutzige Gemeinheit, die Wesleys verrücktes Gehirn ausgebrütet hat. Bin nur neugierig, was sie den Männern erzählt haben. Vielleicht hat man sie belogen, wer weiß das? Jim, brechen wir gleich vom Versteck aus auf?«

»Ja, wir reiten, verwischen aber alle Spuren vorher gründlich. Und dann schlagen wir einen Bogen, um jeden Narren irrezumachen, der uns hier vermutet haben könnte. In vier Stunden sind wir unterwegs, Joe.«

*

Zwei Stunden vor dem Morgengrauen haben sie ihr Versteck am Topog Peak erreicht. Es liegt zwischen Felsen auf einer steilen Erhebung. Wie immer bringt Kendall zuerst jene lange Nagelstange zwischen die Felsen, mit der er die Spur gelöscht hat. Diese Stange mit ihren hundertachtzig durchgeschlagenen Nägeln wirkt wie eine Egge. Eine Decke hinter ihr glättet dann den Sand wieder.

Moore führt die Pferde in ein zwischen den Felsen liegendes Loch. Er will ihnen Wasser geben, tastet sich in der Dunkelheit der Höhle zu den Wasserschläuchen.

Als Old Joe Moore sich bückt, hört er das leise Schaben neben sich. Dann zischt etwas durch die Luft.

Runter, denkt Joe noch und wirft sich nach vorn. Ducken.

Er reißt den Mund zu einem gellenden Warnschrei aus, als er undeutlich einen dunklen Schatten neben sich erkennt.

»Jim, vorsi…«

Und dann trifft etwas seinen Kopf und lässt Joes Schrei ersticken.

Die Banditen, denkt Old Joe Moore noch. Allmächtiger, die Banditen.

*

Bei Joes Schrei wirbelt Kendall herum. Er hat die Nagelstange noch in der Hand und sieht einen Mann hinter dem nächsten Felsen heraushechten. Mit einem wilden Ruck schleudert Kendall dem untersetzten Burschen seine Nagelstange gegen die Beine. Er hört den gellenden heulenden Aufschrei des Mannes, will zum Colt greifen und sieht dann einen Mann von oben kommen.

Der zweite Mann landet auf Jims Rücken. Der Anprall wirft Kendall zu Boden. Dennoch kann er zum Colt greifen, denn der Mann ist auch hingestürzt.

Die Waffe fliegt aus dem Halfter, doch irgendwo hinter Kendalls Kopf knirscht der Flugsand auf den Felsen.

Hinter mir, denkt Kendall grimmig und will den Colt herumschwingen, als ein fürchterlicher Tritt seine Hand trifft. Sein Revolver wird ihm aus den Fingern getreten und segelt scheppernd über den Steinboden. In der Ahnung des nächsten Tritts versucht Kendall noch nach den Beinen des Mannes zu greifen. Er schafft es aber nicht mehr. Obgleich er sich wieder auf die Seite wirft, um auszuweichen, knallt ihm der Stiefel des dritten Banditen an den Kopf.

Einen Augenblick lang sieht Kendall nichts als ein Feuerwerk. Durch die Nacht ertönt das heisere brüllende Wutgeheul des von der Stange getroffenen Banditen. Der Mann ist erneut hochgekommen. Sein Gewehr saust herunter. Nur Kendalls Rollen in halber Bewusstlosigkeit nach links lässt auch diesen Hieb fehlgehen. Diesmal knallt der Gewehrkolben gegen den harten Felsboden. Ein Knacken, ein Splittern, dann ist der Kolben abgebrochen. Verstört stiert der Bandit den Bruchteil einer Sekunde auf sein zertrümmertes Gewehr.

»Pack ihn doch! Auf ihn! Halte ihn fest!«, schrillt der Schrei in Kendalls Ohren. »Halte ihn!«

Kendall zieht instinktiv die Beine an. Er sieht alles verschwommen, stößt die Beine ab und hat Erfolg. Seine Stiefel fahren irgendjemand in den Leib. Der Mann stößt ein dumpfes Röcheln aus und landet irgendwo an den Felsen.

»Du verfluchter Hund. Der Kerl kämpft wie ein Satan!«

Das ist alles, was Kendall noch hört. Undeutlich erkennt er neben sich einen sich schnell bewegenden Schatten. Dann trifft ein gewaltiger Hieb seinen Kopf, während jemand auf ihm mit zentnerschweren Gewicht zu landen scheint. Zwei, drei dumpfe krachende Töne, als schlüge man auf ein hohles Fass, sind Kendalls letzte Wahrnehmung.

Danach beginnt er zu fliegen. Hitze erfasst seinen Körper. Grelles Licht scheint ihn aufzusaugen, obgleich der Morgen noch fast zwei Stunden entfernt ist.

»Der verfluchte Schurke«, wimmert jemand und hockt am Boden. »Er hat mir die Rippen eingetreten. Oaaach, ich schlage ihn tot.«

»Zurück!«, brüllt in diesem Moment der hagere Gip Roggers scharf.

»Weg von ihm, du verdammter Idiot. Hast du vergessen, was ich euch gesagt habe? Die beiden vorherigen Tage sind sie später und erst kurz vor dem Morgengrauen aus der Wüste gekommen. Sie haben es gefunden, ich wette meinen Kopf, sie haben es gefunden. Ah, das haben sie nicht gedacht, was? Ich werde doch nicht so verrückt sein und bei Mondschein in die Wüste gehen, damit sie uns sofort entdecken. Wir haben sie, und ich wette, wir haben bald das Geld.«

Der andere Mann am Boden wimmert über seine gebrochenen Rippen. Jener, dem die Stange vor die Oberschenkel geflogen ist, kauert mit herabgelassener Hose an einem Stein und stiert aus herausquellenden Augen auf seine Beine.

Er brüllt vor Schmerz, als Roggers in die Tasche greift, seine flache Brandyflasche entkorkt und ihm wortlos den Brandy über die kaum blutenden Stellen gießt.

»Du – du gräulicher Satan. Du Hundesohn. Du hast Spaß daran, wenn andere Schmerzen erleiden müssen. Roggers, du Satan.«

»Yeah, das bin ich«, stellt Roggers eisig fest. »Du kannst dich darauf verlassen. Kendall wird das auch bald merken.«

Er lacht heiser auf, während die anderen verstummen und sich ansehen.

*

Morgensonne über den Klippen, grelles Licht auf Joe Moores plötzlich spitz wirkender Nase. Moores Augen sind starr auf irgendeinen ungewissen Punkt am Himmel gerichtet.

Er kann noch denken – noch, das ist es. Kendall erinnert sich an die Stunde des Erwachens und die Tritte. Er glaubt den Schmerz noch zu spüren. Feuer in den Rippen.

Kendall hält die Lider geschlossen, hört die Schritte neben sich, das wütende Gefluche von Roggers. Dann jagt ihm der Tritt gegen die linken Rippen.

»Hund, sieh mich an. Augen auf, los, sonst breche ich dir die Finger einzeln.«

Er macht die Augen auf und sieht ihn an, so gut er es noch kann nach der einstündigen Behandlung.

In diesem Moment weiß Kendall, dass er Roggers töten wird, wenn er jemals dazu eine Gelegenheit bekommt. Er wird ihn ohne Gnade und Erbarmen umbringen, wie Roggers seine Männer umgebracht hat. Und er wird es nicht eine Sekunde bedauern.

»Kendall, er ist doch dein Freund, was, der verdammte Alte? Wir machen weiter, verstehst du? Wir machen solange weiter, bis du redest.«

»Und kein Wort. Eher sterben. Jim, sage nichts, nimm keine Rücksicht auf mich. Das Gesindel erfährt kei…«

Ein Brüllen der Wut drüben, als Joes heisere Stimme loslegt. Es klatscht ein paarmal, und Dick Parker kreischt wütend:

»Machst du ungefragt das Maul auf, Hundeseele? Dir stopfe ich es, bis du erstickst.«

Kendall sieht Joe liegen, seine Nase blutet. Joe ist ohnmächtig geworden.

»Macht weiter«, hört Kendall sich sagen. »Immerzu, Roggers, macht nur weiter. Wir haben nichts zu sagen.«

Roggers Gesicht verzerrt sich, er hebt die Faust, schlägt aber nicht zu. Plötzlich beginnt er zu grinsen, das Grinsen eines verkommenen Schurken.

»Nichts?«, erkundigt er sich dann höhnisch. »Ah, ich verstehe. Du meinst, die Hiebe machen euch nichts aus, was? Nun, wir werden sehen, ob euch auch andere Dinge nichts ausmachen werden. In vier Stunden werdet ihr um die Wette heulen wie Kojoten. Hoch mit den beiden Narren. An die Felsen binden. Holt Riemen her und Wasser.«

Er lacht jetzt hämisch und klatscht sich auf die Schenkel, als seine Kumpane Kendall hochreißen und an einen der niedrigen Felsen schleifen. Dort binden sie ihn fest. Ihm zur Seite, an einen anderen Felsblock, der alte Joe. Einer der Kerle hält einen Felleimer, in den sie Wasser gießen. Dann kneten sie die Riemen durch.

Nach fünf Minuten wickeln sie die Riemen um Kendalls Kopf und schnallen einen Hosenriemen um seine Stirn, der Kendalls Kopf an den Fels presst.

»Weißt du, was passiert?«, fragt Roggers höhnisch. Er steht breitbeinig und hager vor Kendall in der Sonne. Dann tritt er zur Seite, sodass die Sonne nun voll auf Kendall prallt. »Wir haben die Riemen durchgeknetet. Sie sind völlig durchnässt. Dann haben wir noch an ihnen gezogen und sie endlich um deine Stirn gewunden. Weißt du, was passiert, wenn die Sonne die Riemen austrocknet? Du wirst glauben, dass dir der Schädel langsam zerdrückt wird, Kendall. Ihr werdet brüllen, wir möchten euch das Zeug abnehmen, wetten?«

Kendall sieht ihn an und kann nicht einmal nicken. Ja, er weiß, was kommen wird. Er ist sicher, dass sie irgendwann reden werden. Das kann kein Mensch aushalten. Jeder redet nach einigen Stunden freiwillig.

»Roggers«, sagt Kendall leise, »du hast mir zu viel Zeit gelassen nachzudenken, du Schurke. Du hast einen Saloon in Carson City, aber er gehört dir nicht. Du hast ihn nur gepachtet, wie? Ich habe Lowell, deinen Freund da drüben, einmal dort gesehen, oder nebenan, gar nicht weit von jenem Saloon.«

Roggers Gesicht verliert das Grinsen. Sein Kopf wandert mit Kendalls Blicken herum und zu den Maultieren hinüber. Es sind sieben, gerade genug für den Transport der Kisten. Die Banditen haben sie noch vor dem Morgengrauen hergeholt.

»Was weißt du Hund?«, zischt Roggers überrascht. »Du schlauer Satan, rede nur weiter. Du weißt, dass der Saloon nicht mir gehört. Du weißt, ich habe eine Ranch. Und was weißt du noch?«

»Beinahe alles«, erwidert Kendall düster. »Deine rauen Burschen haben auf deiner Ranch friedliche Cowboys gespielt, nicht wahr? Von dort stammen auch die Maultiere, du handelst damit manchmal. Sie tragen dein Brandzeichen. Ich sah Lowell einmal mit Maultieren ein kleines Stück neben deinem gepachteten Saloon in der Stadt. An der Straßenecke wohnt jemand.«

Lowell stößt einen heiseren Fluch aus und ist mit drei Sätzen neben Kendall.

»Roggers, soll ich ihm …«

»Lass das«, knurrt Roggers, als Lowell die Faust hochreißt und zuschlagen will. Roggers schließt die Lider zu schmalen Schlitzen und stiert Kendall durchbohrend an. »Dieser schlaue Teufel. Ich habe doch gewusst, dass er zu schlau ist. Er weiß zu viel.«

»Meinst du?«, murmelt Kendall.

»Roggers, an der Straßenecke liegt Daltons Store und Handelsniederlassung. Dalton ist Handelsagent der Overland. Lowell hat deinem Freund Dalton einmal Maultiere gebracht und unterhielt sich mit ihm wie mit einem besonders guten Freund.

Dalton hat gewusst, welche Ladung wir hatten. Dalton und du, ihr habt noch mehr Überfälle auf Transporte der Overland gemacht. Aber Dalton konnte nichts von diesem einen Silberdollartransport erfahren haben, es wussten nur drei Männer. Wer hat es dem Hundesohn gesagt, wer arbeitet für Dalton? Roggers, du bist nicht der Boss dieses Haufens, dazu bist du nicht klug genug. Dalton ist mein Mann, wie?«

»Mensch, ich bin so klug wie du. Hätten wir euch sonst unbemerkt beobachten und schnappen können? Ich schlage dir die Ohren ab.«

»Das ist es, was dich von Dalton unterscheidet, deine Brutalität. Du kannst dir etwas ausrechnen, aber planen und gerissen genug sein, das kannst du nicht, Roggers. Dalton ist der Mann hinter euch. Und wer hat es ihm gesagt, wer hat ihm den Transport verraten?«

Roggers fragt bissig: »Das möchtest du zu gern wissen, was? Du wirst es erfahren, ehe du stirbst, du Schlaukopf. Und jetzt sollst du in der Hölle schmoren.«

Dalton, denkt Kendall finster, Lem Dalton, Agent der Overland mit einer eigenen kleinen Linie nach Südnevada hinunter. Er hat es gewusst, er hat diese Burschen losgeschickt, damit sie meine Männer und mich umbringen sollen. Ihm gehört der Saloon in Carson City. Er ist der Mann hinter Roggers, diesem Halunken.

Als Kendall Blyton zurücklassen musste, schwor er sich etwas: den Mann zu erschießen, der Blyton und die anderen auf dem Gewissen hat. Er schwor sich, dem Kerl eine Kugel durch den Kopf zu jagen.

Eine Kugel für Lem Dalton.

*

»Jim – großer Gott! Jim, was haben sie mit dir gemacht?«

Er hat etwas gehört, der Mann Jim Kendall. Pferde – Schritte, dann ein scharfes Keuchen, und nun – Penny Loans Stimme. Im nächsten Augenblick taucht sie zwischen dem höhnisch grinsenden Parker und einem anderen Mann auf, den Jim bisher nicht gesehen hat. Man zerrt sie in Jims Blickfeld. Ihre Hände sind auf den Rücken gebunden, ihre Bluse am Arm zerfetzt.

Es ist Kendall, als träfe ein Gongschläger immer wieder seine Schläfen.

Dort steht Penny Loan in ihrem Reitanzug. Sie trägt eine Cordhose, Stiefel, eine grüne Bluse und eine Lederweste ohne Ärmel, auf der Kratzspuren zu erkennen sind.

»Haltet sie fest«, sagt Roggers mit einem teuflischen Funkeln seiner Augen, als Penny losstürzen will. Man reißt sie zurück. Sie schreit auf, zerrt, kommt aber nicht frei. »Na, Freund Kendall, ist das nicht ein prächtiges Geschenk für dich? Stone, wo hast du sie erwischt?«

Stone, der Mann, der sie gebracht hat, grinst breit.

»Ich tat das, was du gesagt hattest«, berichtet er selbstgefällig. »Vorgestern Abend brach sie auf. Ich wurde schon misstrauisch, als sie den alten Pancake Wilburs in ihren Store zu den Maultieren holte. Das war am späten Nachmittag. Sie war am Mittag zu ihren Bekannten, den Oldrights, gefahren mit ihrem Flachwagen. Ich konnte nicht sehen, was auf dem Wagen war. Später dann, als es dunkel war, wusste ich es, sie kam mit zwei Pferden aus ihrem Stall und ritt los. Bei den Oldrights verschwand sie im Stall. Als sie weiterritt, trug ihr Ersatzgaul einen Packsattel. Da dachte ich mir mein Teil. Ich folgte ihr unbemerkt die Nacht durch. Die Richtung blieb bald die gleiche. Gegen Morgen machte sie Rast und blieb den ganzen Tag über zwischen den Felsen hocken. Erst am Abend ritt sie wieder weiter. Ja, und dann hatte ich sie bald.«

»Jim, es tut mir leid«, stammelt Penny Loan, erbleichend auf Jim und Joes verbeulte Gesichter blickend. »Ich habe mich umgesehen, ich habe aufgepasst, aber … Es ist meine Schuld, Jim.«

»Nein«, sagt er bitter. »Es ist meine, Penny. Ich hätte dich nicht mit hineinziehen dürfen.«

»Aber du hast es getan, was?«, fragt Roggers voller Hohn. »Los, bindet sie fest, da drüben, sodass die beiden Narren sie sehen können. Und dann bringt mir mein Rasiermesser.«

Kendall stößt einen dumpfen schrecklichen Laut aus, als man Penny packt und trotz verzweifelter Gegenwehr an den Felsen bindet.

»Jim«, hört er Joe keuchen. »Jim, es hat keinen Zweck mehr. Dieser Obersatan hat es geschafft. Jim, ich sage es, ich muss es sagen. Sie bringen sie um, glaube mir. Die Schurken kennen kein Erbarmen. Halt ein, Roggers, du Satan, halte ein.«

»Hallo, was fehlt euch denn jetzt plötzlich?«, erkundigt Roggers sich hämisch. »Ihr werdet doch nicht weich werden wollen, Freunde? Wo liegen denn die prächtigen kleinen Kisten mit den sechzigtausend Dollar unter dem Sand, na? Kendall, möchtest du jetzt quaken, du Frosch?«

»Ja«, sagt Kendall zwischen den Zähnen. »Ich weiß, was ihr vorhabt, Roggers. Ihr werdet aus diesem Land verschwinden und in ein anderes gehen müssen, um die Silberdollars an den Mann zu bringen. Du erfährst es unter einer Bedingung. Nehmt Miss Loan mit und lasst sie irgendwo frei, sobald ihr in Sicherheit seid.«

»Sieh an, du stellst sogar Bedingungen?«, wundert Roggers sich mit nacktem Hohn. »Kendall, ich bringe nicht gern eine Frau um, das ist wahr. Und mitnehmen? Die Idee ist nicht mal schlecht. Sie kann mir die Zeit unterwegs vertreiben. Also gut, mein Freund, ihr geschieht nichts. Wir haben noch viel Zeit, denn am Tag können wir das Zeug nicht holen. Wir müssen es schon in der Nacht tun. Eine Weile seid ihr noch unsere Gäste. Wir holen das Zeug also in der heutigen Nacht. Schade nur, dass wir dann nicht gleich aufbrechen können. Ich will nicht mit beladenen Maultieren bei Tag reiten müssen, das verstehst du doch, was? Ihr habt noch genau diese eine Nacht und den nächsten Tag. Erst kommende Nacht reiten wir weiter. Und nun, Kendall, sollst du deine Zigarren haben.

Willkommen, Miss, herzlich willkommen. Es ist mir eine ehrliche Freude, Miss Loan. He, Conney, du reitest in der Nacht los und gibst dem Boss Bescheid, dass wir sie haben. Stone, was ist in dem Packen auf dem Gaul da?«

Stone grinst.

»Verpflegung, nur die besten Sachen, Gip. Das Girl hat den Kerl und seinen alten bärtigen Freund mächtig gut versorgen wollen.«

»Besten Dank, Miss, für die schönen Sachen. He, Kendall, schade, dass du nichts von all dem Zeug bekommen kannst. Dafür darfst du uns bei Nacht die Kisten zeigen. Die beiden aber bleiben hier. Und trickst du uns, Mister, erlebt das Girl den Morgen nicht mehr. Das ist ein Versprechen.«

Kendall senkt den Kopf und sieht vor sich zu Boden. Der Schmerz steigert sich jetzt noch in seinen Schläfen. Er hört Joe stöhnen und Penny leise schluchzen.

Und er wagt nicht daran zu denken, was dem Mädchen bevorstehen wird. Die Hölle dürfte ein Kinderspielplatz dagegen sein.

*

Er liegt gebunden im Sand und hört sie schreien, als würden sie den Verstand verlieren. Roggers jagt sein Messer in die nächste Kiste, sprengt den Deckel auf und wühlt mit den Händen gleich danach im klimpernden Geld.

Art Lowell kauert über einer anderen Kiste und brüllt wie ein Stier, während Dick Parker einen der Dollars zwischen die Zähne nimmt und auf ihm herumbeißt.

»Echtes Geld. Lauter gutes, echtes Geld«, kreischt Parker dann und wälzt sich im Sand. »Es ist echt, sie haben uns nicht getrickst. Ah, schönes klimperndes Geld. Ich gieße mich voll Geld, ich sitze unter einem Geldregen. Roggers, Hundesohn.«

Er will sich das Geld über den Kopf schütten, als Roggers ihn anspringt.

»Nenn mich noch mal Hundesohn, dann löffele ich dir Sand in den Bauch«, knirscht Roggers und verabfolgt ihm einen Tritt. »He, macht jetzt voran, das Zeug ist verdammt schwer, und die Spuren müssen wir auch tilgen. Verdammt, mit der Ladung werden die Maultiere ihre Not haben. Wir brauchten unbedingt Ersatztiere.«

»Wo willst du sie herbekommen?«, brummt Lowell missmutig.

Roggers belädt selbst das erste Maultier und flucht.

»Verdammt, es ist wirklich höllisch schwer. Ich kann keinen von euch losschicken. Maultiere muss ich schon selbst ausborgen. Euch borgt man keine. Nun gut, vielleicht reite ich im Morgengrauen los. In drei Tagen könntet ihr erst am Long Valley sein, wenn ihr nur nachts marschiert. Schneller kommen die Tiere mit den schweren Lasten nicht vorwärts. Teufel, ich muss selbst los, es geht nicht anders. Du kennst den vorgesehenen Weg, Art. Wirst du allein fertig?«

»Pah«, sagt Lowell nur und sieht zu Kendall. »Die Burschen bereiten mir keine Kopfschmerzen. Wir haben alles, was wir wollten. Und sie bekommen, was sie verdienen.«

Süden, denkt Kendall grimmig, ist ihre Richtung. Also wollen sie hinüber nach Mexiko mit dem Silber. Und vorher bringen sie uns um.

*

»Mensch«, sagt Dick Parker stockheiser und reißt verstört die Augen auf. »Stone, du Missgeburt. Stone, wo hast du das her? Alle Teufel, Art, sieh dir den hinterlistigen Schurken an.«

Es ist jetzt hell. Die Morgensonne scheint auf die Klippenfelsen neben dem Höhlenloch und auf die beiden Gefangenen herab.

Ehe Roggers mit Stone wegritt, hat er Kendall und Moore zwischen zwei Felsen anbinden lassen. Kendall und Joe liegen lang ausgestreckt etwa zwei Schritte voneinander entfernt. Man hat ihre Füße mit einem Strick so an eine Klippe gezerrt, dass sie sich nicht rollen können. Zwar können sie sich etwas bewegen, aber sie haben keine Chance, etwa auszutreten oder mehr als eine Halbdrehung zu machen. Unter ihren Achselhöhlen läuft der nächste Strick durch um die hinter ihnen liegenden Klippen. Sie werden hier in der prallen Sonne liegen und sollen nichts zu trinken bekommen. Roggers hat selbst noch einmal nach den Stricken gesehen und sich davon überzeugt, dass ein Loskommen für Kendall und Moore ausgeschlossen ist.

Stone hat Roggers begleitet, bis der das Felsgelände im Westen erreichte. Von dort gibt es keine deutliche Spur mehr bis fast zum California Trail. Man hätte Roggers Fährte aber etwa drei Meilen weit in dieser Gegend finden können. Darum hat Stone sie löschen müssen.

Jetzt blickt nicht nur Parker entgeistert auf Hal Stone. Auch Lowell und Wailer, der vierte Bandit, stieren Stone verstört an.

Stone steigt vom Gaul, kichert und nimmt dann eine Flasche nach der anderen aus den Satteltaschen.

»Hal, woher hast du die Flaschen?«, knurrt Lowell ihn an. »Mann, antworte.«

»Bin ich blöde«, kichert Stone und nimmt einen kräftigen Schluck aus einer schon angebrochenen Flasche. »Ich wusste doch, dass Gip den Verpflegungspacken des Girls durchsuchen würde. Der ist doch neugierig wie eine diebische Elster. Bedankt euch bei dem Girl da drüben. Das Girl hat den Brandy für Kendall und Moore im Packen gehabt. Und euer Freund Hal ahnte, dass Gip Roggers ihn sich genommen hätte. Darum versteckte er dieses prächtige Feuerwasser ein wenig. Na, bin ich nicht ein kluges Kind?«

»Du verdammter gerissener Schurke«, ächzt Lowell und reißt ihm die Flasche aus der Hand. »Her damit. Aber vorsichtig mit dem Stoff.«

»Was heißt hier vorsichtig?«, brummt Parker und schmatzt laut. »Wir haben Grund zu einer anständigen Feier, was? No, sogar zweifachen Anlass, schätze ich. Zuerst werden wir auf unsere Beute ordentlich was zur Brust nehmen. Und dann müssen wir ja noch ’ne Totenfeier abhalten.«

»Sauf nicht zu viel«, brummt Lowell und hat seine Flasche schon auf. »Du hast aufzupassen, verstanden? Dasselbe gilt für dich, Stone. Du löst Wailer nachher ab. Dann machst du mich munter. Du bist doch ein gerissener Schurke, Hal.«

Und dann setzt er die Flasche an.

Sie haben Grund zu einer Feier.

*

Dick Parker hockt im Felsschatten an den Kisten. Er hat eine aufgemacht, wühlt mit den Händen im Silbergeld und gießt es sich schrill kreischend über den Kopf.

»Es – es regnet Silberdollars, hick«, sagt Parker schrill.

Sein Oberkörper schwankt hin und her. Er kann kaum noch sitzen und ist so betrunken, dass er nicht mehr aufstehen kann. Die Münzen rollen klingelnd und funkelnd bis in die Sonne außerhalb der Schatten spendenden Felsen. Es sieht aus, als hocke Parker in einer silbrigen Flut. Seine Hände tasten umher, bis er genügend Münzen in ihnen hat, um sie sich immer wieder über den Kopf zu schütten. Dabei stößt er ein fast irrsinnig zu nennendes Kreischen aus.

»Idiot«, lallt Lowell drüben und erhebt sich mühsam. »Du – du bist doch zu blö-blöde, Mensch. Hal – ist er – hupp, blöde?«

»Ist – ist er«, kichert Stone. »Ich bin ein schlaues Kerlchen – hick.«

Lowell wankt vorwärts. Er bückt sich neben Stone, dessen Flasche auch so leer ist wie seine, und hebt sie auf. Danach gerät er in die Sonne, und Kendall beobachtet alles. Selbst Wailer oben auf den Felsen ist angetrunken. Durch die Nachtarbeit haben die Banditen keinen Schlaf bekommen. Kendall wartet ab und fragt sich, wann der Brandy seine Wirkung tun wird. Das Schlafbedürfnis der Banditen müsste sich wegen des Brandys zur regelrechten Schlafsucht steigern.

Jetzt schwankt Lowell los. Es mag sein, dass seine Beine leicht schmerzen und er sich darum an Kendall erinnert. Nun prallt die Sonne auf Lowell herab. Der Bandit scheint nicht daran zu denken, dass die Sonne auf seinen betrunkenen Kopf dieselbe Wirkung wie ein Hammerschlag haben kann. Lowell torkelt durch die Hitze auf Kendall zu. Vier Schritte vor ihm bleibt er stehen, lacht gemein und hebt den Arm.

»Du – du sollst auch – auch was vom Brandy haben, Hundesohn«, keucht er. Dann holt er aus und schleudert die Flasche nach Kendalls Kopf. »Da ha-hast du was.«

»Vorbei«, kreischt Parker. »Vorbeigeschmissen.«

Die Flasche zischt über Kendalls Kopf hinweg an den Felsen und zerschellt. Fluchend holt Lowell zum zweiten Wurf aus, aber diesmal trifft er noch schlechter. Die Flasche zerbirst zwischen Kendall und Joe Moore.

»Hat – hat der ein Gl-Glück, hick«, sagt Lowell. »Die – die Flaschen wollen nicht zu ihm. Hat er P-Pech – bekommt er nichts … Stone, gib mir die andere Fla-Flasche.«

Oben taucht Wailer auf und blickt herunter.

»He, was macht ihr denn da unten?«

»Zie-Zielwerfen«, grölt Parker. »Flaschenschmei-schmeißen nach dem Kopf von dem Hu-Hundesohn Kendall.«

Lowell will zu Stone, hat aber schon zu lange in der Sonne gestanden. Er kommt plötzlich ins Trudeln und kippt schwer zu Boden. Die anderen wollen sich ausschütten vor Gelächter, als Lowell wie eine Spinne und dabei grunzend in den Schatten zu seiner Decke kriecht und sich hinlegt.

Keine fünf Minuten spielt Parker noch mit seinen Münzen, dann liegt auch er auf dem Rücken und beginnt zu schnarchen. Nur Stone ist härter im Trinken. Der Mann bleibt an den Felsen sitzen und starrt Kendall finster an. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis auch Stone die Lider zufallen. Oben taucht ab und zu Wailer auf. Alle drei, vier Minuten erscheint er und sieht in die Tiefe.

Kendall aber wirft einen Blick zu Moore, als Wailer verschwunden ist.

Penny Loan sitzt ganz rechts und fünfzehn Schritt entfernt angebunden. Sie blickt die beiden Männer an und fürchtet sich vor dem späten Nachmittag. Dann, hat Lowell gesagt, würden sie Kendall und Moore töten.

»Joe«, zischelt Kendall. »Sieh zu deinen Beinen. An dieser Seite liegt ein Flaschenboden. Siehst du ihn?«

Moore nimmt den Kopf herum und dreht sich so gut er kann. Die Glasscherben sind überall verstreut. Der Hals einer Flasche liegt keine zwanzig Zoll von Kendalls Kopf entfernt. Kendall kann ihn jedoch nicht erreichen. Dafür ist einer der Flaschenböden bis an Moores linkes Bein geflogen. Er liegt kaum vier Zoll neben Moores linkem Fuß.

Kaum sieht Moore ihn, als er sich nach oben schiebt. Er kann sich zwar nur wenig bewegen, erreicht aber nun durch eine Seitendrehung den Flaschenboden. Dann presst er ihn mit dem Stiefelschaft an den Fels und rutscht zurück.

»Teufel, es geht. Jim, pass auf, was Wailer macht.«

Penny Loan hört nur das leise Säuseln des Windes. Das Geflüster der beiden Männer dringt nicht bis zu ihr. Sie sieht aber, dass Moore sich bewegt und das Seil an seinen Füßen sich spannt und wieder locker wird. Moore schiebt bei seinem Hin- und Herrutschen den Flaschenboden weit nach unten. Schließlich ertönt Kendalls leises Zischeln. Moore liegt still und hört Wailer oben kommen. Wailer starrt herab, dreht um und verschwindet wieder.

»Weiter, Joe. Gut so.«

Im nächsten Augenblick liegt der Flaschenboden genau an Joes linkem Stiefelrist.

»Joe, du musst ihn herübertreten. Ich drehe mich auf die Seite«, flüstert Kendall. »Sieh zu, dass er mich mitten im Rücken erwischt. Dann drehe ich mich zurück auf den Scherben und decke ihn zu. Huste, wenn du zutrittst. Warte noch, Wailer kommt.«

Moore liegt still. Er hustet bellend und laut, als Wailer oben erscheint. Der Bandit bleibt einen Moment über ihnen stehen, ehe er davontrottet. Sofort wendet Moore sich um. Er kann zwar nicht weit nach oben oder unten rutschen, aber seitlich kann er die Beine doch einige Zoll wegziehen.

»Fertig?«

»Fertig«, zischelt Kendall und dreht sich auf die linke Seite.

Kendall wartet. Er weiß, dass der Flaschenboden vielleicht die Rettung werden kann. Gelingt es Joe, das Stück Glas kurz über oder unter Kendalls Hände zu befördern, ist alles gut. Kendall könnte dann – mit dem Rücken auf dem Boden liegend – den Flaschenhals weiterschieben und ihn zwischen die Hände bekommen. Es müsste mit dem Teufel zugehen, bekäme Kendall danach nicht die Handfesseln durchgerieben.

Alles hängt davon ab, wie geschickt der alte Joe den Flaschenboden herübertritt.

Einen Moment später hustet Moore laut. Und dann tritt er zu.

Kendall kann nicht sehen, ob der Tritt den Scherben gut erwischt. Er hört nur ein leises, im wilden Gehuste Moores untergehendes Klirren.

Dann aber prallt ihm etwas gegen den Steißknochen.

Der alte Joe Moore hätte nicht besser treffen können.

Jim Kendall hat den Glasscherben kaum drei Zoll neben seinen Händen liegen.

*

»Öhh – öhhh!«, macht Stone wie ein alter Schafbock, als Wailer ihn anstößt. »Ohhh – was – was’n los?«

»Komm schon!«, knurrt Wailer scharf. »Los, lüfte dich an, du Pennratte. Du hast Wache, Mann.«

»Wache?« Stone ächzt und richtet sich fluchend auf. »Muss das sein? Oh, verflucht, mein Kopf.«

Er presst beide Hände an die Schläfen und kommt auf die Knie. So bleibt er sitzen, stöhnt und sieht Wailer nach.

Großer Gott, denkt Kendall, als Wailer auf ihn zukommt, aber neben Dick Parkers Lager stehen bleibt und sich bückt, der Kerl kommt her. Er wird meine Fesseln nachsehen.

Kendalls Blick wandert zu Moore. Der alte Joe scheint zu schlafen. Er blinzelt jedoch einmal und bewegt dann die Lippen.

»Der Strick«, flüstert Moore in

Stones Gejammer hinein. »Die Füße.«

Kendall bricht der Schweiß aus, denn der Strick an seinen Füßen ist nicht straff gespannt. Behutsam will Kendall ihn anziehen und hat Glück.

In diesem Augenblick bleibt Wailer neben Parker stehen, der lauthals schnarcht.

»Verdammtes egoistisches Pack-Zeug«, flucht Wailer heiser, indem er sich bückt. »Ich stehe Posten, und sie saufen wie die Löcher hier unten. Parker, du gemeiner Strolch, ich dachte immer, wir teilen gerecht, was?

Nichts drin in den beiden Flaschen. Ah, hier noch ein Rest, ein schäbiger Rest. Du alte Sauftante.«

Er bückt sich, hebt die Flasche auf, in der noch zwei Fingerbreit Brandy ist und setzt sie an die Lippen. Dann schleudert er die Flasche im Bogen über den an der anderen Seite der Felsklippen schlafenden Lowell hinweg und wendet sich Moore zu. Mit dem Gewehr unter dem Arm tritt er neben Moore. Parker, den er mit dem Fuß angestoßen hat, grunzt nur einmal und schläft dann schnarchend weiter.

»Na, du Ziegenbart?«, redet Wailer den alten Joe an, der scheinbar schläft. »He, du. Bald bist du in der Hölle.«

Er jagt Moore das Gewehr in die Seite. Der macht die Augen auf und sieht den Banditen groß an. Wailer schiebt seinen Fuß unter Moore, wuchtet Joe an und zerrt dann an dessen Fesseln.

»Na, sind deine Handgelenke schon blau angelaufen?«, fragt er hämisch. »Fest, was? Ha, ihr seid sauber gebunden.«

Er stößt noch einmal mit dem Gewehrlauf zu. Und dann tritt er über Moore hinweg.

Er kommt, denkt Kendall und liegt ganz ruhig. Alle Teufel, der Halunke hat den Finger am Abzug des Gewehres. Er wird sofort abdrücken.

*

»Nun, du Schlaukopf?«

Wailer lacht höhnisch, als er Kendall zusammenzucken sieht. Kendall steckt der Gewehrlauf zwischen den Rippen. Gleich darauf holt Wailer mit dem Stiefel aus. Er steht den Bruchteil einer Sekunde auf nur einem Bein, stützt sich aber mit dem Gewehrlauf ab.

Der Tritt fährt Kendall an die Seite. Der Stiefel zwängt sich unter Kendalls Hüfte. Und dann reißt Wailer den Stiefel hoch. Er will Kendall umdrehen.

Jetzt, denkt Kendall. Er muss das Gewehr aus meinen Rippen nehmen, er muss.

Der Gewehrlauf rutscht seitlich davon, die Mündung hebt sich. Kendall kippt nach links.

Und dann sieht es Wailer. Es kommt genauso, wie Kendall es gefürchtet hat. Der Bandit sieht den Flaschenboden zwischen Kendalls Stiefeln liegen und den Strick von Kendalls Handgelenken fallen.

In der gleichen Sekunde schnellt Kendalls rechter Arm auch schon herum.

Wailer schreit im selben Augenblick schrill los.

Kendalls rechter Arm saust wie eine Sichel herum und trifft Wailers Kniekehlen. Gleichzeitig reißt Kendall die Beine jäh an. Mit einem einzigen wilden Hieb erwischt seine Faust Wailers rechtes Kniegelenk und wirft den Mann vornüber.

»Stone, er ist los! Er – aah.« Das Gewehr, schießt es Kendall durch den Kopf. Der Kerl drückt ab, er trifft mich in den Rücken.

Er sieht den Gewehrlauf herumzucken und schlägt in verzweifelter Abwehr seine linke Hand nach der Waffe. Dann ist es ihm, als würden ihm die Trommelfelle zerrissen. Aus der Mündung der Waffe bricht eine Feuerlanze. Die Kugel verfehlt Kendalls Brust. Dicht neben Kendalls linker Seite jagt das Geschoss gegen den nackten Felsboden. Das Blei spritzt in tausend kleine Stücke. Durch das Dröhnen und Wabbern in seinen Ohren hört Kendall die Schreie Wallers nur noch gedämpft und wie meilenweit entfernt.

Kendalls Hand krallt sich im nächsten Moment um den Gewehrlauf und reißt ihn nach hinten. Mit dem gleichen Schwung wirft er sich am Boden herum und zieht die Beine blitzschnell an.

In dieser Sekunde sieht er Stone drüben losspringen. Stone ist auf den Beinen und durch den Schuss anscheinend vollständig ernüchtert. Ohne Zaudern springt Stone seitwärts weg, um nicht Wallers untersetzte Gestalt vor sich zu haben, denn Wailer verdeckt Kendall fast völlig. Stone nimmt sich auch keine Zeit, nach dem Gewehr zu greifen. Er reißt augenblicklich den Colt heraus. Seine durchdringende Stimme peitscht über die Schläfer hinweg:

»Vorsicht! Kendall ist frei. Art, hoch!«

Es geschieht innerhalb weniger Sekunden und so schnell, dass Kendall kaum zum Nachdenken kommt. Kendall hat zwar den einen Strick durchschneiden können, der ihn an den Felsen gebunden hat. Seine Fußfesseln aber liegen noch um seine Stiefel. Sie sind erst angesägt vom Flaschenbodenhals. Mit gebundenen Füßen tritt Kendall aus. Es geschieht in derselben Sekunde, die Stone drüben nach rechts hechten und den Colt hochreißen sieht.

Mit beiden Händen umklammert Kendall jetzt die Waffe Willers. Er tritt unter ihr durch nach Wailers Hüfte und trifft. Gleichzeitig brüllt Stone irgendetwas. Wailers schriller Aufschrei klingt dazwischen, und der Mann fliegt nun hintenüber. Der Tritt Kendalls ist so hart, dass Wailer das Gewehr loslässt. Wailer wird von Kendalls Stiefeln an der linken Hüfte getroffen und weggestoßen. In dieser Sekunde glaubt

Stone schießen zu können.

Mit einem wilden Fluch drückt

Stone ab.

Es ist Stone noch, als fiele Wailer plötzlich mitten in seine Schussbahn hinein. Im Dröhnen des Schusses kippt Wailer nach hinten. Dann zuckt er zusammen. Sein grobes, von einigen Narben verunziertes Gesicht verzerrt sich furchtbar. Entsetzt stiert Stone auf Wailers graues Hemd. Wailers Hände fahren zum Bauch und er blickt Stone aus weit aufgerissenen Augen an.

Stone hat in seiner Hast zu schnell gefeuert und die Kugel seinem Partner in den Leib gejagt. Der kurze Augenblick von Stones Entsetzen ist schon zu lang. Als Stone den Hammer wieder spannt, taucht Kendall plötzlich rechts neben Wailer hoch. In Kendalls Händen liegt das Gewehr. Verzweifelt bemüht Stone sich, noch einmal zu feuern. Brüllend rast eine Flammenlanze aus Kendalls Gewehr, als Stone gerade abdrückt. Stones Kugel pfeift an dem langsam nach vorn sinkenden Wailer vorbei und klatscht hinten gegen eine Felsklippe. Es ist Stone, als schmettere ihm jemand die Faust gegen die Brust. Dann prallt er an die Wand. Seine Hand mit dem Colt sinkt herab und öffnet sich.

Am Boden aber reißt Kendall die Beine an, gibt sich einen Stoß und fährt zur anderen Seite herum.

Moores scharfer heiserer Schrei lässt Kendall auf der Stelle kehrtmachen.

»Jim, Lowell.«

Noch im Herumdrehen sieht Kendall, dass Lowell aufgesprungen ist und geduckt neben der Klippe steht. In rasender Schnelligkeit repetiert Kendall, hebt die Waffe und sieht den Feuerblitz aus Lowells Revolver schlagen. Die Kugel peitscht mit einem seltsamen Klatschen dicht neben Kendalls rechtem Bein gegen den Fels. Irgendetwas trifft Kendall mit einem leichten Zupfen, aber er achtet nicht darauf. Blitzartig wirft Jim sich im Herunterzucken von Lowells Colt auf die linke Seite. Er rollt, hört das zweite Brüllen von Lowells Revolver und glaubt einen leichten Schlag an seinem rechten Bein zu bemerken. Dann liegt er, sein Gewehrlauf stößt einen Feuerball aus.

Drüben hockt Penny Loan mit aschfahlem Gesicht. Sie kann Lowell gerade noch an jener Felsklippe sehen. Dann scheint er im Donnern des Gewehrs nach hinten wegzutauchen.

Es sieht aus, als fiele er um, aber verschwindet über der Kante der Felsen. Dorthin hat Wailer vor wenigen Minuten eine Flasche geschleudert. Kendall hat sie nach Sekunden tief unten klirrend zerbersten gehört. Jetzt ist es totenstill. Nur Dick Parkers lallende trunkene Stimme vermischt sich mit Wailers heiserem gurgelndem Stöhnen.

Kendall dreht sich erneut. Sein Gewehr richtet sich auf Parker, der sich aufgestemmt hat. Parker kauert auf Händen und Knien. Seine rotgeränderten blinzelnden Augen drohen ihm zuzufallen.

»Was – was’n … Warum schießen – Ruhe!«

Nach dem letzten Wort kippt Parker auf die Brust und bleibt so liegen.

Danach versucht er sich wieder aufzustemmen.

In diesem Augenblick tönt von unten der dumpfe schwere Aufschlag hoch.

»Großer Gott«, hört Kendall Penny Loan mit seltsam hoher Stimme sagen. »Großer Gott.«

Und dann verstummt sie mit einem kurzen klagenden Seufzer.

Kendall drückt sich hoch. Es brennt leicht an seinem rechten Bein und sticht am linken Oberarm. Trotz der Schmerzen im Arm kann Kendall ihn voll gebrauchen. Er kommt in die Hocke und hoppelt mit gebundenen Füßen zu Wailer hin. Nach vier Sekunden hat er Wailers Messer, zerschneidet sich die Fußfesseln und kommt sofort hoch. Ohne auf Penny oder Moore zu achten, schnellt Kendall sich ab. Er landet neben Dick Parker. Sein Stoß schleudert den Banditen auf den Rücken, und sein blitzschneller Griff reißt Parker den Colt aus dem Halfter. Dann tritt Kendall Parkers Gewehr weg und läuft zu Joe.

»Jim«, schnauft der Alte stockheiser. »Ich dachte, sie hätten dich zum Sieb geschossen. Großer Gott, dein linker Arm. Und in deinem rechten Stiefel ist ein Loch.«

»Es ist weiter nichts«, antwortet Kendall und schneidet Old Joe hastig los. »Nimm Wailer den Colt weg und binde Parker. Wir brechen sofort auf, Joe. Noch vor dem Abend müssen wir in Bradys Hot Springs Station sein. Dort bleiben immer einige unserer Wagen über Nacht. Sind keine da, leihen wir uns Bradys Wagen und schaffen das Geld nach Reno.«

Er läuft zu Penny, befreit sie und trägt sie hinter die Klippen. Dort wacht sie auf, sieht ihn starr und furchtsam an und schlingt dann die Arme um seinen Nacken. Ihr Kopf liegt an seiner Brust, und ihr Schluchzen erschüttert sie beide.

»Es ist gut, Penny«, sagt er heiser. »Beruhige dich, Darling. Es war die Hölle, aber nun ist sie vorbei. Wir müssen auf dem schnellsten Weg das Geld in Sicherheit bringen und versuchen, Roggers und Dalton zu erwischen. Ich will Dalton haben.«

Eine Kugel für Dalton.

*

Penny Loan fährt mit einem Schrei hoch und spürt im nächsten Augenblick den harten Griff an ihrem Arm. In ihren Ohren ist das Knattern der Räder, das wilde Prusten und Schnauben der Pferde. Polternd jagen die Räder des schweren Transportwagens durch irgendein Loch.

Ihr Blick wandert herum und bleibt sekundenlang auf Dick Parker liegen. Der Mann hockt, mit Wagenketten gefesselt wie ein Galeerensträfling, am Endbrett. Er ist eingeschlafen und schaukelt mit den Bewegungen des Wagens hin und her. Dort kauert der Bandit neben den Kisten, und Penny ist, als hätte sie immer noch Joe Moores heisere spöttische Worte beim Anketten Parkers in den Ohren.

»Jetzt sitzt du auf dem Geld, Hundesohn. So wolltest du es doch haben, wie? Versuch erst gar nicht loszukommen. Die Ketten sind mit Schlössern gesichert. Träume von deinem Silberdollarregen, Mister, bis sie dich hängen werden.«

Der Ritt mit den beladenen Maultieren fällt Penny Loan ein. Unbarmherzig hat Kendall die Tiere angetrieben. Er wollte zu Bradys Station, ehe es dunkel wurde. Natürlich, denkt sie, hat er es geschafft. Es war nur niemand da, nicht einmal Brady.

Keiner von Jims Männern in der Station, lediglich der hinkende Stationshelp Murphy war dort und gab Jim den Wagen. Jim hat alle Pferde mitgenommen, acht Pferde. Vier vor dem Wagen, vier hinter ihm. Er fährt wie der Teufel.

Bradys Stallhelp hat keine Fragen gestellt, nur seltsam schief zugesehen, als Jim die Kisten auf den Wagen packte und Ketten für Parker holte. Dann sind sie losgefahren, Parker im Kasten, neben ihm Kendall, auf dem Bock Joe Moore. Zu Anfang hat Penny geglaubt, Moore würde mit ihnen in die nächste Schlucht fahren. Old Joe hat die Pferde gejagt, dass der Wagen manchmal um Wegbiegungen schleuderte.

Vierundzwanzig Meilen bis Carson City sind es von Bradys Overland Station gewesen.

Und jetzt?

Der Tag meldet sich an, der Himmel im Osten wird grau.

Vier Stunden noch bis Carson City mit erschöpften Pferden, die immer langsamer werden.

Vielleicht ist Brady am Abend zu seiner Station zurückgekommen, denkt Jim Kendall besorgt. Brady wird sofort umgedreht sein, um in Reno Bescheid zu sagen, dass ich aufgetaucht bin. Er war zu Pferd nach Reno, er könnte wirklich gleich umgedreht sein. Was ist dann? Wer ist in Reno in der Hauptstation? Spalding? Wesley? Vielleicht Walt Ames, Wesleys Schwager? Und wer noch? Wer hat den Transport verraten?

Er muss immer wieder an Brady denken. Der Mann kennt ihn gut, erkennt seinen Wagen aber noch besser. Und dieser Wagen ist ihm unterwegs nicht begegnet, obgleich er ihn treffen musste. Brady benachrichtigt sicher sofort Reno und Sheriff Younger. Man wird sie suchen, den verschwundenen Wagen, der in Reno sein müsste.

Spalding, denkt Kendall. Hat Spalding mit jemandem geredet? Oder Wesley? Wesley ist viel zu feige, um ein Verräter zu sein. Ich irre mich nicht, der Kerl ist ein Geizhals, aber niemals ein Verräter. Der würde vor Angst sterben, ehe er das Maul auftäte und sich mit Banditen abgäbe. Der nie. Wer denn sonst, wer hat es gewusst, wer hat geredet?

»Ich muss Dalton haben«, murmelt Kendall. »Er weiß es, er kennt den Kerl. Und wenn Roggers schon bei ihm gewesen ist, mit ihm weggeritten ist?«

Der Wagen jagt in das Carson-Becken hinein.

Noch achtzehn Meilen bis Carson City!

*

Dick Parkers Gesicht ist aschgrau vor Furcht. Der Bandit ist seine Ketten endlich los und liegt, mit Stricken gebunden, im Kasten unter der zugezogenen Plane.

Es ist schon heiß unter der Plane, obgleich es kaum acht Uhr ist und die Sonne noch nicht steil am Himmel steht. Parker schwitzt heftig und sieht auf Moores Rücken.

Es ist aus, denkt Parker furchtsam. Sie haben die vier Ersatzpferde einfach vor der Stadt angebunden und auch noch zwei Gespannpferde ausgeschirrt, um sie zurückzulassen. Jetzt sieht der Wagen aus wie jeder andere. Nur zwei Pferde an der Deichsel, das Mädchen auf dem Bock.

Er schielt zum Bock hin. Dort sitzt Penny Loan. Sie hat den Kopf verhüllt wie eine Farmersfrau, die mit ihrem Wagen unterwegs ist. Hinter ihr kauert Kendall, das Gewehr neben sich. Er hat ein kleines Loch in die Plane geschnitten.

»Halt an«, sagt Kendall leise. »Fahr drüben vor die Bäckerei. Dort bleib stehen. Und dann komm nach hinten.«

Neben Parker stemmt sich Joe Moore leicht hoch. Er zieht die hinten geschlossene Plane etwas auseinander.

Der Wagen rollt jetzt zur Bäckerei und bleibt quer vor dem Backhaus stehen. Moore hat die Sicht auf die Straßenecke frei. Sein Blick wandert über Daltons Store, den Zaun, das Schild über dem Hoftor mit der Aufschrift: Handelsagentur.

»Der Hof ist leer, Jim.«

»Ich weiß«, sagt Kendall heiser. »Der Saloon drüben ist noch geschlossen. Kein Rauch aus dem Schornstein, alles wie tot. Er ist schon weg. Wäre er hier, würden sie Feuer im Herd haben, weil er sicher frühstücken müsste. Joe, wenn nicht anders, muss Penny zu Daltons Agentur gehen und fragen. Oder wir fahren rüber in den Hof. Ich will nur kein Risiko …«

»Jim, Dalton!«

Jim Kendall zuckt zusammen und springt an den Kisten vorbei zum Endbrett. Durch den Schlitz des Planenverschlusses hinten sieht er zum Hoftor der Handelsagentur. Auf dem Hof ein Wagen, ein Mann jetzt neben ihm. Dalton.

Dalton reckt sich hoch, blickt in den Kasten und geht dann zum Lagerschuppen. Er verschwindet an ihm und ist durch den Zaun verdeckt.

»Er ist noch da«, flüstert Joe finster. »Jim, hast du an Cooney gedacht? Roggers schickte den Kerl her. Ob Cooney da drüben im Haus ist?«

»Warten«, sagt Kendall gepresst. »Immer ruhig, Joe, sie könnten …«

Und dann verstummt er jäh. Eine Tür hat drüben im Handelshof laut geklappt. Im nächsten Moment schreit ein Maultier.

Großer Geist, die haben die Maultiere schon, denkt Kendall erschrocken. Roggers ist hier. Er muss geritten sein, ohne dass er irgendwo rastete.

Roggers ist in seinem Saloon, Dalton in der Station. Sie werden ganz vorsichtig sein wollen und Cooney mit den Maultieren losschicken. Alle Teufel, so könnte es kommen. Sie schicken Cooney vor und reiten ihm nach. Niemand sieht sie mit Maultieren verschwinden, wenn Cooney vorher aufbricht.

»Jim.«

»Ruhig«, murmelt Kendall und blickt schon durch das Planenloch zu Roggers Saloon. Er sieht den Schornstein und den Rauch aus ihm quellen. »Rauch, Joe. Roggers musste schlafen. Er ist fertig gewesen und bei Dunkelheit gekommen. Sie werden bald aufbrechen. Er hätte nicht schlafen sollen, der Schurke. Irgendwann macht jeder einen Fehler, Alter.«

*

Sonne auf der Straße, Wagen fahren, Reiter kommen. Einige Frauen machen ihre Morgeneinkäufe und schwatzen hier und da miteinander.

Roggers gähnt verhalten, als er aufsteigt und das kurze Stück über die Straße reitet, um dann in Daltons Hof zu kommen.

»Hallo, Cooney«, sagt Roggers grinsend, als er anhält und vom Pferd steigt. »Na, fleißig? Gleich fertig, was?«

»Ja, Gip, zehn Minuten, dann bin ich weg. Dalton hat schon gesattelt.«

»Gut, gut, mein Freund. He, Lem, mein Bester.«

Lem Dalton hat ihn gehört und kommt aus dem Haus. Er trägt seinen guten grauen Anzug und hat den prächtigen Hut aufgesetzt.

»Warum lachst du?«, fragt Dalton, als Roggers kichert. »Gefällt dir mein Aufzug nicht zum Reiten?«

»Nun, ganz praktisch ist das Ding nicht.«

Und dann denkt er, dass Dalton, sein guter Freund Lem, etwas verändert wirkt. Lem Dalton blickt an Roggers vorbei zum Hoftor seiner Station. Daltons Augen haben sich geweitet, sein Mund steht offen.

Was hat er denn, denkt Roggers und wendet langsam den Kopf.

Sie stehen beide in der Nähe des Wagens.

Und dann sagt der Mann an der linken Seite des Hoftors heiser und schrill: »Boss! Boss, da ist jemand!«

*

Die Stimme jagt irgendein Gefühl der Gefahr in ihm hoch. Er sieht, wie Cooney erschrocken hinter den Maultieren hochblickt. Dann hat er Parker im Blickfeld. Parker mit den Händen auf dem Rücken, Parker mit aschgrauem, vor Furcht zuckendem Gesicht.

»Da!«, schreit in dieser Sekunde Lem Dalton mit überkippender Stimme. »Da, Moore!«

Es trifft Roggers, diesen kaltblütigen Teufel, wie ein Hieb in die Magengrube.

Der Wagen, denkt Roggers und wirft sich mit einem jähen Schwung nach rechts, um den Wagen.

Es ist ihm gleich, was aus Dalton wird, wenn er sich nur retten kann. Roggers springt los, reißt den Colt heraus und sieht in derselben Sekunde den Mann am Schuppen auftauchen. Erst in diesem Augenblick begreift er, dass er zur falschen Seite um den Wagen gesprungen ist.

Dort hinten steht Kendall, das Gewehr an der Hüfte im Anschlag.

Schießen, denkt Roggers und hat auch schon den Arm hoch. Weg da, du Hund. Geh zur Hölle.

Er schießt um den Bruchteil einer Sekunde zu hastig und sieht noch, dass die Kugel ein Stück Holz aus den Schuppenbrettern an der Ecke reißt. Dann brüllt Kendalls Gewehr über den Hof. Der Schuss geht in den von Roggers über. Das Brüllen hallt über den Hof, der Stoß packt Roggers an der Brust.

Plötzlich hat er das Gefühl, als presse sich ihm eine Faust mit aller Gewalt in die Seite. Er knickt ein. Dann fällt er zu Boden und ist tot. Jenseits des Wagens steht Daltons prächtiger Fuchswallach gesattelt. Es sind nur sechs Schritte bis zu dem Pferd.

Irgendwo hinter Dalton ertönt jetzt der scharfe Ruf von Joe Moore:

»Halt!«

Dann kracht ein Schuss, dem das Schreien der Maulesel folgt.

Die Maulesel, denkt Dalton. Die Maulesel rasen los. Was hat Cooney gemacht?

Cooney stürzt nach vom, als Moore einen winzigen Augenblick von Roggers Versuch, zu entwischen, abgelenkt wird. Mit einem wilden Satz wirft Cooney sich mitten unter die Maultiere. Er hört Moores scharfen Warnschrei, achtet aber nicht auf ihn. Dann kommt das Brüllen des Schusses. Einer der Maulesel springt entsetzt schreiend mit allen Vieren zugleich in die Luft. Und danach rasen die anderen los. Die Maulesel mit ihren Packsätteln gehen durch.

Hinter ihnen, die nun auf Moore am Tor zurennen, und dem die Sicht nehmen, springt Cooney wie ein flüchtender Hase auf das offene Schuppentor zu. Er sieht sich nicht mehr um, der Bandit Cooney. Er rennt um sein Leben quer durch den Schuppen, während hinter ihm Moore noch einmal feuert. Der Schuss treibt die Maulesel zurück, jagt sie aber quer über den Hof am Wagen vorbei.

In diesem Augenblick läuft Dalton, den Colt in der Faust, auf sein Pferd zu. Er springt in den Sattel, sieht die Maulesel in wilder Stampede auf den Schuppenanbau und Kendall zu jagen und duckt sich.

»Schieß, du Narr«, brüllt Dalton höhnisch. »Pass auf, dass sie dich nicht tottrampeln, du Halunke.«

Aus den Augenwinkeln sieht er noch, wie Kendall sich hinter die Ecke werfen muss. Dann nimmt Dalton Maß am Zaun und schlägt seinem Pferd die Hacken hart ein.

»Spring!«, keucht Dalton. »Spring rüber! Los, spring!«

In der Sekunde des Zügelanreißens, als er das Pferd gerade hochziehen will zum Sprung, kommt der Knall. Es ist Dalton, als stoppe das Pferd plötzlich. Statt im weiten Bogen über den Zaun zu setzen, bricht es jäh über die Vorderhand ein.

Und dann kommt Daltons Sturz. Er fliegt im weiten Bogen nach vorn und sieht den Zaun rasend schnell größer werden. Sein gellender Entsetzensschrei hallt über den Hof. Der Zaun ist da. Dalton fliegt gegen die Bretter. Holz splittert.

Im Zaun ein Loch und im Loch der Mann Dalton. Er hängt in diesem Loch, ohnmächtig vom Durchbrechen der Bretter.

Irgendwo hinten der scharfe Schrei Joe Moores:

»Jim, hinten herum! Cooney will durch den Lagerschuppen entwischen.«

Die Maultiere kommen zurück. Sie rennen wie wild im Kreis, als Joe Moore in langen Sätzen losstürmt. Einmal noch muss Moore sich an den Außenzaun werfen, dann sind die Maultiere vorbei.

Cooney hat gerade das kleine Tor zur Querstraße erreicht. Cooney dreht sich um, sieht Moore kommen und feuert zweimal auf den Alten, ehe er das Tor aufstößt. Er schießt überhastet, trifft Moore nicht. Dafür sieht Moore jäh das helle Rechteck der aufspringenden Hintertür und schießt.

Es ist Cooney, als stieße ihm jemand den Stiefel in den Rücken. Das Gefühl bleibt, obgleich er weiterläuft und auf die Querstraße kommt. Sieben, acht Schritte rennt Cooney, ehe er zu torkeln beginnt. Er sieht die Frauen drüben vor einem Haus stehen. Er hört sie schreien, spitz und angstvoll. Und die Frauen sehen ihn, einen Mann mit einem Colt in der Hand.

Dann liegt der Colt im Staub der Fahrbahn. Und Cooney neben ihm.

Der Fleck in seinem Rücken breitet sich rasch aus.

*

»Nun?«, fragt der Mann und steht neben ihm in der Gasse. »Nun, mein Freund?«

Der Colt, denkt Dalton, mein Revolver. Da liegt er, direkt unter ihm in der Gasse. Die Waffe blinkt in der Morgensonne. Dalton will nach dem Colt greifen, aber er kann den Arm nicht mehr bewegen. Schmerz rast jetzt durch seinen Oberkörper.

Kendall, denkt er, du Teufel. Ich bring dich um. Eines Tages bringe ich dich um.

»Genug?«, murmelt Kendall. »Du kannst den Colt nicht mehr erreichen, Dalton. Komm heraus, Mister.«

Als er ihn anhebt und zieht, brüllt Dalton vor Schmerz wie ein Stier.

»Wer hat es dir gesagt?«, fragt Kendall eisig. »Sag es, sonst lasse ich dich fallen, mein Freund. Wer hat es dir gesagt? Nun?«

»Mein – mein Vetter. Ich sterbe. Mein Vetter war es. Er – er hat oft mit mir geredet – über die Overland, über seine Pläne. Der Narr – er war immer ein Schwachkopf – schon früher. Er vertraute mir – er wusste nichts von Roggers und den anderen, er wusste von nichts …«

»Der Name, Mister.«

Der Schmerz wird zu groß und lässt Dalton wieder zusammensinken. Der Schmerz löscht alles aus.

So findet ihn Moore und starrt finster auf ihn hinab.

»Jim, wer war es?«

»Sein Vetter, aber mehr sagt er noch nicht«, murmelt Jim Kendall finster, »rüber mit ihm, mach den Kerl munter, Joe. Ich werde …« Er sagt nicht mehr, was er tun wird. Kendall blickt auf das tote Pferd, die aufgerissene Satteltasche und die verstreut umherliegenden Papiere. Dann geht er los, bückt sich und hebt einige der Schriftstücke auf.

»Jim, hast du was gefunden? Warum siehst du mich so an?«, fragt Moore.

»Da, lies«, erwidert Kendall heiser. »Die Heiratsurkunde seiner Mutter. Lies mal ihren Jugendnamen, Joe.«

»Was?«, keucht Joe Moore. »Jim, du hast doch gesagt …«

»Ja«, antwortet Kendall finster. »Ich habe es gesagt, und ich habe recht behalten, wenn du es auch nicht verstehen wirst. Der verdammte Schurke hat nichts von Roggers und Daltons Geschäften geahnt. Joe, ich werde nach Reno reiten müssen. Ich denke an Brady, mein Freund. Brady weiß, dass wir unterwegs sind und Kisten geladen haben. Er wird es melden. Dann ist unser Mann so weit, seinen Verstand zu verlieren. Warte, bringen wir Dalton ins Haus.«

»Aber da hinten kommt Sheriff Woods. Er hat Parker am Kragen. Jim, du musst Sheriff Woods eine Menge Dinge erklären, fürchte ich.«

Kendall nickt nur träge. Dann hebt er Dalton an und geht los.

Erklären, denkt Kendall grimmig. Und ob ich ihm einige Dinge erklären werde. Er kann das Geld gleich zur Bank bringen. Das andere werden wir schon finden, es muss hier sein. Und dann werde ich Dalton ausquetschen. Sieh einer an, Sheriff Woods, der Freund von Sheriff Younger aus Reno, und mit dem Colt, wie?

Er sieht Woods an und lächelt kühl.

*

Mein Gott, denkt der Mann und schwitzt entsetzlich. Sie werden mich vermissen, sie kommen dahinter, aber was soll ich dann machen? Es ist aus, ich bin am Ende. Ein Glück, dass ich Brady traf, ehe er mit den anderen reden konnte.

Brady, dieser aufgeregte Kerl, Brady mit gestikulierenden Händen und dem Wasserfall seiner Worte:

»Kendall war da, ja – auf meiner Station. Er hat meinen Wagen genommen. Ja, Kisten hat er gehabt, viele Kisten, sagt mein Stationshelp. Und einen Gefangenen, Sir, in Ketten hat er ihn gelegt. Es war Parker, der Rauswerfer aus Roggers Saloon in Carson City. Bestimmt, mein Stationshelp hat sich nicht geirrt, Sir.«

»Alle Teufel, Brady, das ist eine verdammte Geschichte. Ich bin allein hier, die anderen sind zur Pferderanch von Delmont hinausgeritten und kommen erst gegen Mittag zurück. Nun gut, ich kümmere mich darum. Das muss der Sheriff wissen, aber der ist auch mit den anderen unterwegs. Ich sorge für alles Weitere, Brady.«

Der Narr, denkt der Mann und hastet aus der Tür. Der verdammte Narr. Ein Glück, dass er zu mir kam und nicht mit den anderen reden konnte. Ich muss hier weg, ich muss fort.

Er keucht über den Gehsteig, seine Reisetasche in der Hand. Dann steht er neben der Stagecouch in Richtung Truckee.

»Halt, wartet! Ich muss mit!«, sagt er schnaufend. »Ihr könnt nicht ohne mich abfahren. Ich muss nach Sacramento. Es ist verdammt eilig.«

»In der letzten Minute, Sir«, sagt einer der Fahrer kopfschüttelnd. »Schnell, Sir, steigen Sie ein, wir fahren gleich. Geben Sie die Tasche nur her.«

Er will sich erst nicht von seiner Tasche trennen, dann aber siegt seine Klugheit. Er reicht sie hoch, steigt in den Kasten und lehnt sich in die Ecke. Drüben sitzen zwei Frauen und ein kleiner Junge. Sie sehen zu, wie der Mann sich mit seinem Taschentuch den Schweiß abwischt.

Es erscheint ihm wie eine Ewigkeit, bis die Kutsche anruckt. Sie fahren, Gott sei Dank, jetzt fahren sie.

Häuser huschen, Menschen bevölkern die Gehsteige.

Der Mann wird plötzlich kleiner vor Schreck. Er sieht den Sheriff, die anderen alle. Sie reiten aus der Straße von Lemmon Valley heran. Unwillkürlich duckt er sich, als suche er etwas am Boden. Er lässt sogar sein Taschentuch fallen, nur um einen Grund zum Bücken zu haben.

Vorbei, denkt er, als der Hufschlag an der Kutsche ist und sich entfernt. Großer Gott, wenn die mich gesehen hätten. Sie werden mich nicht gleich vermissen. Erst gegen Mittag wird ihnen einfallen, dass ich kommen müsste.

Das habe ich nicht gewollt. Das nicht. Wie konnte ich ahnen, dass mein eigener Vetter ein Bandit geworden ist? Früher war er nur ein Betrüger, dem ich das Geld meiner Schwester anvertraute. Er war doch mein Vetter. Konnte ich ahnen, dass er es durchbrachte? Sicher, ich hätte meiner Schwester sagen müssen, dass ich ihr Erbteil Lem Dalton gegeben hatte. Er wollte doch die zehnfache Stimme daraus machen.

Er richtet sich auf, blickt aus dem Fenster.

Im gleichen Augenblick sieht er den Reiter. Und der Reiter sieht ihn. Dann ist die Kutsche an dem Reiter vorbei.

»Kendall«, stößt der Mann zu laut heraus. »Kendall!«

Die beiden Frauen sehen ihn erstaunt an, aber dann schreien sie auf, denn an der linken Kutschentür …

»Halt! Anhalten!«

Kendall, denkt der Mann im Polster und presst sich in die Ecke, als draußen das Pferd auftaucht, und der scharfe Schrei ertönt. Kendall ist hier.

»Halt! Haltet sie an, sofort!«

Der Schlag fliegt auf. Vom Sattel aus springt Kendall in die Kutsche und streckt die rechte Hand aus.

»Nein, nein, ich wusste es nicht«, kreischt der Mann in der Ecke heulend los. »Kendall, ich hatte keine Ahnung, Kendall …«

»Du Lump«, knirscht Kendall. Die Kutsche kommt zum Stehen. Kendalls Hände erwischen den Mann bei den Rockaufschlägen. Die Frauen schreien schrill los. »Du verdammter Schurke, du wusstest, dass wir es nicht waren. Du wusstest es, weil nur du mit einem Menschen über den Transport geredet hattest. Du erzähltest ihm von deinem Streit mit mir. Du machtest dich wieder mal wichtig, wie? War Brady hier? Hast du Angst bekommen, wolltest du verschwinden? Raus mit dir! Raus, du Strolch.«

Die beiden Frauen sehen entsetzt, wie der Mann aus dem Kasten fliegt und mitten im Staub aufprallt. Kendall springt ihm nach, packt ihn, reißt ihn hoch und schleudert ihn ein Stück weiter.

Über die Straße schallt das entsetzliche, furchtsame Gebrüll des davonfliegenden Mannes. Weiter hinten reißt Sheriff Younger sein Pferd herum.

»Ich wollte es nicht, ich wusste nichts von seiner Schurkerei. Hilfe, er bringt mich um, Sheriff. Hilfe. Er schlägt mich tot.«

»Das tue ich, du Satan«, knurrt Kendall und reißt ihn wieder hoch, holt aus und fegt ihm eins, dass er nach hinten fliegt und kreischend wieder im Staub landet. »Wie war das? Wer hat uns verdächtigt, unsere Partner umgebracht zu haben? Willst du wegkriechen, du Lump?«

»Er war doch mein Vetter. Ich dachte …«

»Du wusstest es, du wusstest es«, sagt Kendall mit unbarmherziger Härte. »Du sagtest es nur einem Mann, deinem Vetter Dalton. Er hat mir alles erzählt, der prächtige Bursche, der sich seine Leute hielt, um nicht selbst die schmutzige Arbeit tun zu müssen. Er warb sich Mörder an, Mr Wesley, dein Vetter Dalton. Und weil du nach dem Überfall wusstest, dass nur Dalton den Transport kannte … Mensch, ich schlage dich in Stücke.«

»Halt, Jim, halt!«, donnert Walt Ames’ scharfe Stimme über die Straße. »Moment, warte, Jim!«

»Warten – worauf?«, fragt Jim Kendall. Seine Armwunde ist aufgebrochen. Blut läuft ihm über die Hand. Er hat nicht darauf geachtet, als er Wesley vor sich her schleuderte. »Verstehst du, das ist der Bruder deiner Frau, Walt. Ich hoffe, sie ist nicht wie er, sonst kannst du mir leid tun, Walt. Früher wohnten die Wesleys und Daltons in Missouri. Dalton machte Spekulationsgeschäfte, und der Narr hier beteiligte sich an ihnen in seiner Geldgier. Er verlor sogar die ihm anvertrauten Gelder seiner Geschwister dabei, auch die deiner Frau. Du gabst ihm eine Chance im Westen. In den Westen kam ihm sein Vetter Dalton nach. Wesley besorgte ihm die Unteragentur der Overland. Das wusstest du nicht, wie? Niemand hat es dir gesagt?«

Walt Ames ist bleich geworden. Er ist groß, schlank und hart, aber diese Nachricht wirft ihn beinahe um.

»John«, sagt er mit furchtbarer Ruhe und steigt vom Pferd. »John, wenn das wahr ist, dann gnade dir Gott. Du hast diesem Betrüger die Agentur besorgt?«

»Er – er versprach mir, die verspekulierten Gelder zu ersetzen, wenn ich ihm noch einmal helfen würde«, wimmert Wesley. »Walt, ich … ich … Er – er kann so gut reden, er versprach mir alles. Was ist denn eine Agentur? Ich wusste doch nicht, dass er …«

»Du wusstest es, weil du sicher warst, dass Spalding und ich nicht geredet hatten. Also blieb nur dein Vetter«, zischt Kendall. »Du musstest immer mit deinen Beziehungen protzen. Du gabst deinem Vetter gegenüber mit deinen Verbindungen an. Er entlockte dir bald alles, was er wissen wollte. Und dann schickte er Roggers und dessen Halunken los. Ich weiß nicht, du geldgieriger, geiziger Bursche, aber eins sage ich dir: Wenn du weiter für die Overland arbeiten solltest, höre ich sofort auf. Walt, da hast du ihn, ich weiß nicht, wie man Dummheit bestrafen sollte. Dumm, hinterlistig und großspurig, dabei auch noch rachsüchtig und eingebildet. Schaff mir diesen widerlichen Kerl aus den Augen. Das Geld liegt in der Bank von Carson City, Walt. Das ist alles, mein Freund.«

*

Später, viel später …

Die Gebäude liegen nun vor ihm, die Wagen stehen davor. Seine Station in Idaho – Twin Falls. Männer neben den Wagen, Auswanderer dabei, die sich den Frachtwagenkolonnen oft anschließen.

Jemand kommt aus dem Haus und blinzelt gegen die Sonne. Er macht kehrt, ehe Kendall an den Wagen ist und die Zurufe der Männer ihn erreichen. Gleich darauf kommt der Mann wieder aus dem Haus. Er stellt jemanden, der mit Händen und Beinen strampelt, vorsichtig hin.

Der kleine Bursche tippelt los. Der Mann Kendall steigt lachend ab.

»Daddy!«

»Hallo, mein Sohn, du wächst jeden Monat ein Stück mehr«, lacht Jim Kendall. »Und wo ist deine Mutter, Jim Jube Kendall?«

»Hier, Mann.«

Er blinzelt, der Transportboss vom Idaho Territorium.

Dort oben steht sie, das rötliche Haar funkelt in der Sonne.

»Hallo, Penny«, brummelt er. Er brummelt immer, wenn er sie wiedersieht und ihr Anblick ihn jedes Mal erneut aufregt. »Alles in Ordnung?«

»Ich denke schon, Mann. Komm herein und ruhe dich aus.«

Einer kichert leise, als Penny etwas vom Ausruhen sagt. Kendall fährt herum, setzt seinen Sohn ab und sieht Old Joe Moore durchbohrend an. Der lacht jetzt auf die gleiche verrückte Weise wie damals, als sie die Kisten suchten.

»Joe«, sagt Kendall grimmig, »einmal reiße ich dir noch deinen Ziegenbart ab, du alter Narr. Auch wenn du Linienboss bist und achtzig Wagen kommandierst, es gibt nichts zu lachen, verstanden?«

»Ausruhen«, äfft Joe Penny nach und geht ein paar Schritte zurück. »Weißt du noch, was ich dir einmal sagte? Es gibt was Neues, Krieger, aber das soll sie dir selbst sagen. Ausruhen!«

Diesmal hat Kendall keine Spaten, um ihn wütend in den Boden zu rammen. Er flucht nur einmal. Dann geht er ins Haus und sieht zuerst nach der Post. Walt Ames hat wieder einmal geschrieben. Von Spalding ist auch ein Brief dabei.

Hinter ihm raschelt Pennys Kleid, ihr Atem streift seinen Nacken.

Ich habe alles, was ein Mann haben kann, denkt er und streckt den Arm nach Penny aus.

In sieben Jahren gehört die Station mir, dann wird mein Sohn fast neun Jahre alt sein.

Er muss wohl laut geredet haben oder gedacht, denn Penny sagt, indem sie sich an ihn lehnt:

»Und deine Tochter, hoffe ich, etwas über sechs Jahre, Mann.«

Vielleicht kann sie auch Gedanken lesen?

»Wie – was?«, fragt er verstört. »Du meinst doch nicht, dass du …«

Sie wird immer noch rot, denkt Kendall belustigt.

Draußen geht die Sonne unter, der letzte Schein füllt nun in ihr Gesicht. Penny lächelt ihm mitten in die Augen. Und er wünscht sich in diesem Moment, der Tag wäre schon zu Ende.

Die großen Western Staffel 5

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