Читать книгу Die großen Western Staffel 5 - Diverse Autoren - Страница 9
ОглавлениеDie Pferde grasten zwischen den Yuccastauden und dem Felsrand jenseits des kleinen Weihers, und es bestand kaum die Gefahr, daß sie sich eigenmächtig entfernen würden. In den beiden letzten Tagen hatten sie über siebzig Meilen zurückgelegt – bei mörderischer Hitze und ohne einen Tropfen Wasser.
Seit fast einer Stunde waren sie nun bei den Tina Springs. Es handelte sich um vierundachtzig Tiere, die drei Reitpferde nicht eingerechnet. Sie befanden sich trotz der Strapazen in ausgezeichneter Verfassung.
Schon geraume Zeit hatte Zachary sich nicht mehr aus dem Becken der Quelle gerührt. Das Bild entbehrte nicht einer gewissen Komik. Bis zu den Schultern kauerte der zähe Bursche im Wasser, so daß gerade noch ein Stück seiner behaarten Brust sichtbar blieb. Seinen speckigen Hut trug er dabei auf dem Kopf, und einer seiner dünnen Cubanos klemmte zwischen den Zähnen. Er vermied, die Zigarre mit seinen nassen Händen anzufassen. Nur durch eine akrobatische Verrenkung der Kinnlade beförderte er sie von Zeit zu Zeit von einem Mundwinkel in den anderen. So paffte er stillvergnügt vor sich hin und genoß es, Jethro bei der Arbeit zuzusehen.
Unterhalb des Felsvorsprunges hatte der hünenhafte Neger das kleine, fast rauchlose Campfeuer angelegt und wohlweislich darauf verzichtet, die in nächster Nähe reichlich vorhandenen Yuccastengel zu verwenden. Sie brannten viel zu rasch, und ihre Knoten platzten manchmal mit so lauten Knall, daß man sich an einen Pistolenschuß erinnert fühlte. Solcher Lärm jedoch war selbst in dieser felsigen Einöde des Sonora-Plateaus denkbar unangebracht.
Jethro benutzte Mesquitewurzeln für sein Feuer, die über lange Zeit eine gleichmäßige Hitze entwickeln und ihm das umständliche Nachlegen ersparten. So konnte er sich ganz auf die Specktortillas konzentrieren, von denen schon ein ganzer Stapel auf einem der Blechteller lag. Eben wendete Jethro die letzte Tortilla mit geschicktem Schwung der Pfanne auf und nahm die rußgeschwärzte Kaffeekanne aus der glimmenden Asche. Dann drehte er den Kopf und sagte sarkastisch: »Du wirst dich jetzt entscheiden müssen, wie du’s haben willst, Mister. Ich will dir gern eine Tortilla hinüberwerfen und deinen Kaffee gleich in den Weiher schütten. Du willst ihn ja ohnehin nicht so stark.«
»Untersteh dich, du schwarze Sklavenseele!« krächzte Zachary erbittert. »Wenn es nach dir ginge, dann...«
»Hört auf!« ertönte von oben eine Stimme. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann bekommen wir Besuch.«
John Gallagher hatte oben auf dem Felsvorsprung Posten bezogen, so daß er nicht nur die Senke der Tina Springs, sondern auch die Buschflächen und das ganze Gelände bis hinüber zu einer zerklüfteten Mesa im Auge behalten konnte. Er war ein großer, knochiger Mann mit einem kantigen, verschlossenen Gesicht. Ein Zug von Härte, aber auch von Starrsinn und berechnender Schläue zeigte sich um John Gallaghers dünnlippigen Mund.
Fast eine Minute lang spähte er aus verkniffenen Augen unverwandt auf das Buschgelände im Südwesten, dann griff er nach seinem Springfield-Gewehr und machte sich eilig an den Abstieg.
»Zwei Greaser«, sagte er rauh, als er neben dem Feuer anlangte. Und während er sich den Schweiß vom Hals wischte, setzte er hinzu: »Das kann natürlich ein Zufall sein, aber ich glaube es nicht.«
Gelassen schnallte Jethro seine Deckenrolle vom Sattel los, legte sie neben sich und versteckte dahinter die ein wenig verkürzte Greener-Flinte, die bisher offen im Sattel gelehnt hatte.
»Wo in diesem verdammten Land Wasser ist, da muß man auch auf Begegnungen gefaßt sein«, gab er lakonisch zurück. »Ob uns der Don ein Empfangskomitee entgegenschickt?«
»Traue nie einem Dago, und erst recht keinem von diesen adligen Halunken, die auf rätselhafte Weise die Revolution überlebt haben«, verkündete Zachary und wartete mit seinen dünnen, abenteuerlich gekrümmten Beinen aus dem Wasser. »Ich habe von Anfang an gesagt, daß an dieser Sache etwas faul ist. Unsere Gäule sind nicht schlecht, aber auch wiederum nicht so gut, daß jemand ohne ganz besonderen Grund zehn Dollar mehr bietet, als der gegenwärtige Marktpreis beträgt.«
»Rede nicht, steig lieber in deine Hose«, knurrte John Gallagher. »Im übrigen ist es mir ziemlich egal, warum dieser Don Ramon Mendoza y Salazar sich so großzügig zeigt. Mir bringen die Gäule auf diese Weise über viertausend Dollar. Eine solche Summe hätte ich in den Staaten nie erzielt. Nur ein Narr würde unter diesen Umständen unbequeme Fragen stellen und sich selbst das Geschäft verderben.«
Vom Ende der langgezogenen Senke her war schon der Hufschlag zu hören. Fluchend zerrte Zachary an seinem weinroten Unterzeug, das ihm hartnäckigen Widerstand entgegensetzte, weil er sich zuvor kaum abgetrocknet hatte. Mit Mühe und Not gelangte er noch in die Hose, als auch schon die beiden Reiter sichtbar wurden. Da griff Zachary entschlossen nach seinem Gurt und schnallte ihn mit wütenden Bewegungen zu.
Die Männer waren tatsächlich Mexikaner, und sie folgten den kaum erkennbaren Windungen des Weges, der sich durch das Buschgelände zu dem Weiher von Tina Springs hinzog. In etwa hundert Yards Entfernung hielten sie einen Moment an und ließen die Pferde dann im Schritt weitertrotten. Beide trugen Sombreros und hatten olivenhäutige Gesichter. Nichts deutete darauf hin, daß sie überrascht waren, eine so große Pferdeherde hier vorzufinden. Schon das schien Jethros Vermutung zu bestätigen, daß es sich um eine Art Empfangskomitee handelte. Besonders vertrauenswürdig sahen die Burschen allerdings nicht aus. Sie wirkten ziemlich abgerissen, um nicht zu sagen heruntergekommen, und ihre Bewaffnung beseitigte auch den letzten Zweifel, daß es sich bei ihnen nicht einfach um Vaqueros handelte.
»Buenas tardes, Señores«, grüßte der Bursche in dem verschwitzten Hemd, der zu seinem Gurt noch ein Bandelier trug, eine Art Schulterriemen, der mit Patronen gespickt war und schräg über seine Brust verlief. »Ich bin Pablo Robles.«
»Hallo«, sagte John Gallagher und hakte die Daumen hinter seinen Gürtel. »Haben Sie zufällig etwas mit der Hazienda San Ysidro zu tun, Amigo?«
»Sie sind Gallagher, Señor?« Der Mexikaner grinste und stützte gemächlich seinen Ellbogen auf das Sattelhorn. »Don Ramon hat mich Ihnen entgegengeschickt, damit Sie sich unnötige Arbeit ersparen. Die Pferde sollen nicht zur Hazienda gebracht werden, sondern nach Campo Penasco. Dort werden sie gebraucht, und in San Ysidro soll niemand davon erfahren.«
»Und wo liegt dies Campo Penasco?« fragte John Gallagher verschlossen.
»Oh, nicht weit, Señor«, erwiderte Pablo Robles mit einer unbestimmten Handbewegung. »Nur ein Stück drüben in den Bergen. Vielleicht ist man von hier aus schneller dort als auf der Hazienda.«
Argwöhnisch musterte John Gallagher nun auch den Begleiter von Robles, einen Mann mit weit auseinanderstehenden Augen, starken Backenknochen und einem spitzen Kinn, dem die fettigen Haare unter dem Sombrero hervor in die Stirn hingen. Auch er hatte ein stereotypes Grinsen aufgesetzt und hockte ein wenig verkrümmt im Sattel, wobei er seine Hand auf den Schenkel stemmte, so daß sie sich in unmittelbarer Nähe seines Schlingenhalfters befand.
»Das ist Majadero«, sagte Robles, der den Blick bemerkt hatte.
»Tatsächlich?« murmelte John Gallagher, der genug Spanisch verstand, um dieses Wort zu übersetzen, das soviel wie ›Tölpel‹ bedeutete. »Er sieht aber gar nicht töpelhaft aus.«
»Trotzdem ist er nicht ganz richtig im Kopf«, sagte Pablo Robles in hartem Akzent. »Habe ich recht, Majadero?« Er wartete das beifällige, groteske Nicken des anderen ab und fuhr dann fort: »Er war dumm genug, einer Bande von Geronimos-Apachen in den Weg zu reiten. Da haben sie ihm die Zunge herausgeschnitten und auch sonst noch allerlei Unerfreuliches mit ihm angestellt. Seitdem kann Majadero nicht mehr reden. Das ist vielleicht gut so, denn er wüßte gar nicht, was er erzählen sollte. Ist es nicht so, Compadre?«
Majadero stieß ein dünnes, hohes Kichern aus und schien über die abfällige Charakterisierung weniger gekränkt als geschmeichelt.
»Schön«, antwortete John Gallagher, »und was ist mit dem Geld für die Pferde?«
»Das werden Sie auf der Hazienda von Don Ramon bekommen, Señor, während Ihre Leute die Remuda nach Camp Penasco bringen. Ich werde dabei die Führung übernehmen, und Majadero kann Sie nach San Ysidro begleiten.«
John Gallagher ließ sich Zeit mit der Antwort und tauschte einen Blick mit Jethro und Zachary, der inzwischen wenigstens die Stiefel angezogen hatte.
»Und wo ist der Brief?« fragte Gallagher dann abrupt.
Der Mexikaner fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Sie sind sehr mißtrauisch – und sehr klug, Señor.«
»Dazu gehört nicht viel Klugheit. Don Ramon wird sich denken können, daß ich in dieser Gegend sehr vorsichtig bin und mich nicht auf ein Risiko einlasse. Schließlich könnte mir jeder hergelaufene Bandolero erzählen, daß er von Mendoza geschickt wird, nicht wahr?«
»Und Sie in eine Falle locken«, fügte Robles spöttisch hinzu. »Das meinten Sie doch, Señor?« Noch während er sprach, lange er nach seinem Sombrero und nahm ihn ab. Aus dem Innern der Hutkrone brachte er ein mehrfach gefaltetes Blatt zum Vorschein, das durch ein dunkelrotes Siegel zusammengehalten wurde. Steifbeinig ließ er sich aus dem Sattel rutschen, kam sporenklirrend näher und überreichte John Gallagher den Brief. Der erbrach das Siegel, entfaltete das Blatt und las stirnrunzelnd die wenigen Zeilen.
Robles sah sich indessen mit unverhohlener Neugier um. Er streifte Zachary mit einem Blick und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf Jethro, der die fertigen Specktortillas auf drei Teller verteilte.
Die Erscheinung des hühnenhaften Negers war so außergewöhnlich, daß sie stets Staunen und Verwunderung erregten. Jethro tug eine Denim-Hose und Stiefel mit alten Kavalleriesporen, dazu ein verwaschenes Cottonhemd und einen alten blauen Feldhut der Unions-Armee, den er weit ins Genick geschoben hatte, so daß ein Teil seiner krausen Haare sichtbar blieb.
»Wenn ich Sie wäre, Boß«, sagte er unvermittelt, »dann würde ich mich auf nichts einlassen und darauf pfeifen, was in dem Brief steht. Sie hatten doch mit diesem Don abgemacht, daß wir die Pferde auf die Hazienda bringen.«
Der Mexikaner straffte plötzlich seine Haltung und bemühte sich, einen sarkastischen oder verachtungsvollen Ton zu treffen, als er fragte: »Lassen Sie sich immer von einem Nigger dreinreden, Señor Gallagher?«
»Vorsicht, Hombre«, sagte Jethro sanft. »Ich habe bisher noch niemanden gesehen, der eine Ladung Buckshot auf diese Distanz überlebt hätte.«
Ruckaritg riß der olivenhäutige Bursche den Kopf herum und sah nach seinem Partner, von dem er offenbar Hilfe erwartete. Doch Majedero saß im Sattel, hielt die Zügel mit beiden Händen und hatte ein törichtes Grinsen aufgesetzt. Nur ein paar Schritte entfernt stand Zachary, kratzte sich mit der linken Hand die immer noch feuchte Brust, während er mit der rechten ganz lässig seinen alten Colt auf den Mexikaner richtete und ihn von unten her anblitzte. Wenn auch Majaderos Geist möglicherweise verwirrt war, so schien er doch ganz genau zu begreifen, daß er in diesem Spiel keine Chance mehr hatte.
»Yeah«, sagte Jethro, indem er ganz nahe an Robles herantrat und ihm die Mündung der Schrotflinte in die Rippen stieß, »man sollte sich immer vorher überlegen, welchen Einsatz man riskieren kann, Compadre. Du hast das Glück, daß ich weder empfindlich noch rachsüchtig bin. Aber merk es dir für das nächste Mal!«
Robles schielte aus den Augenwinkeln nach Jethros freier Hand. Im nächsten Moment gab er schon ein Ächzen von sich, als er beim Genick gepackt und beinahe mühelos emporgehoben wurde. So stellte ihn der Schwarze wieder vor John Gallagher hin, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte und ironisch sagte: »Diese Lehre hätten Sie sich ersparen können, Muchacho. Schließlich wären Sie auch nicht gerade begeistert, wenn ich Sie einen Greaser nennen würde, si?«
»Si, Señor«, murmelte er betreten. »Und wie ist nun Ihre Entscheidung?«
»Ich werde Mendoza den Gefallen tun«, erwiderte John Gallagher nach kurzem Überlegen und faltete den Brief wieder zusammen. »Also satteln Sie ab. Gönnen Sie den Pferden eine Erholung. In zwei Stunden, wenn es etwas kühler geworden ist, brechen wir auf.«
*
Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, als John Gallagher endlich im silbrigen Mondlicht die Hazienda vor sich sah. Er und der stumme Majadero waren seit dem späten Nachmittag unterwegs und hatten etwa fünfzehn Meilen hinter sich gebracht. Jetzt kamen sie aus den felsigen Ausläufern der Sierra und ritten den Hang hinab, an dessen Fuß sich meilenweit gewelltes Gelände erstreckte, das nur hier und da von einigen Arroyos durchschnitten wurde und am Horizont von einer neuen Bergkette begrenzt war.
Die Hazienda lag an einer Hügelflanke und war von Cottonwoods und dunklen Chestnut-Bäumen umgeben. Die getünchten Adobewände schimmerten hell im Mondschein. Es gab eine Reihe von Corrals und Koppeln, die sich bis zu einem dunklen Einschnitt erstreckten. Es handelte sich dabei offensichtlich um eine Torrente, um einen Sturzbach also, der im Sommer zu einem kläglichen Rinnsal austrocknete, sich aber im Lauf der Jahrhunderte ein tiefes Bett gefressen hatte. Dieser Arroyo wurde von einer steinernen Brücke überspannt. Das diesseitige Ufer lag beträchtlich tiefer, so daß die Brücke eine ungewöhnliche Steigung aufwies. Sie verband die Hazienda mit der kleinen Ortschaft San Ysidro, die aus einigen Dutzend ärmlichen Adobehütten und einer Missionskirche bestand.
Die Begrenzung der Koppeln und Corrals bestand zumeist aus niedrigen Lehmwällen, die mit Agaven, Kakteen und Dornengestrüpp bewachsen waren. Vieh war allerdings nirgendwo zu bemerken. Auch die Hazienda wirkte wie ausgestorben, bis die beiden Reiter plötzlich aus dem Schatten der großen Hofmauer von einer scharfen Stimme angerufen wurde.
Majadero brachte die Pferde sofort zum Stehen, und John Gallagher folgte diesem Beispiel. Auf ein paar gutturale Laute des Stummen löste sich eine Gestalt aus der Dunkelheit und kam mit schußbereitem Gewehr näher.
»Sind Sie der Gringo mit den Pferden, den Don Ramon erwartet?«
»Yeah!« erwiderte John Gallagher und schluckte seinen Ärger hinunter.
»Adelante!« sagte der Mexikaner lakonisch und deutete mit seinem Gewehrlauf auf das geöffnete Tor, das vollkommen schief in den Angeln hing und anscheinend gar nicht mehr bewegt werden konnte.
Gallagher beugte den Kopf nach vorn und ritt wieder an. Ein paarmal klirrten die Hufe seines Pferdes auf Stein und tönten dann wieder dumpf. Offenbar gab es hier eine Art Pflaster, das jedoch zum größten Teil von einer dicken Schmutzschicht bedeckt war. Der Putz der Mauer war an vielen Stellen abgebröckelt. Die schartige Krone war ein Zeichen fortschreitenden Verfalls, ebenso die gesplitterten Bohlen des Tores.
Als sie auf den weitläufigen Hof gelangten, bemerkte John Gallagher dann seinen Irrtum. Was er aus größter Entfernung für ein pompöses, zweistöckiges Herrenhaus gehalten hatte, war in Wirklichkeit nur noch eine Ruine ohne Dach und mit rauchgeschwärzten Fensterhöhlen, von der nur noch die Außenmauern standen. Seit dem Brand mußten schon Jahre vergangen sein, denn durch das ehemalige Portal sah man im Innenraum von hohem Unkraut überwucherte Trümmer. Der Mondschein reichte aus, um draußen an den getünchten und ebenfalls bröckelnden Mauern noch jetzt die charakteristischen Spuren von Kugeleinschlägen zu erkennen. Demnach war unschwer zu erraten, daß die Hazienda während des mexikanischen Bürgerkrieges zerstört worden war. Zwei große Chestnut-Bäume, die früher einmal das prächtige Gebäude überschattet hatten, waren ebenfalls von dem Brand in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie waren nur zum
Hof hin belaubt, während sich auf der anderen Seite nur noch kahle geschwärzte Äste zum Nachthimmel reckten.
Steifbeinig glitt John Gallagher zu Boden und schlang den Zügel seines Pferdes durch einen Ring in der Wand. Im selben Moment wurde schon die Tür geöffent, und es erschien ein vierschrötiger Mexikaner mit einem martialischen Schnurrbart, der ihm zu beiden Seiten weit über die Mundwinkel herabhing.
»Ich will zu Mendoza«, sagte John Gallagher und griff an seinen Hutrand.
Noch einmal maß ihn der Mann mit einem taxierenden Blick, dann trat er zur Seite und gab die Tür frei. John Gallagher begab sich in die Hütte und nahm seinen Hut ab, wenngleich er sich bemühte, eine gleichgültige Miene zur Schau zu tragen, konnte er nicht verhindern, daß sich die Überraschung in seinen Augen widerspiegelte.
Er stand auf einem kostbaren Teppich, der über den gestampften Lehmboden gebreitet war. Eine Art Ampel aus getriebenem Silber hing von der primitiven Balkendecke und verbreitete gelblichen Lichtschein. Wertvolle Möbel aus poliertem Nußbaumholz standen an den Wänden, und in der Ecke gruppierten sich ein par vergoldete Sessel, die mit kunstvollen Gobelinstoffen bezogen waren, um einen Marmortisch mit ebenfalls vergoldeten Beinen. Zwei Gemälde an den sonst kahlen Adobewänden wirkten in dieser armseligen Hütte ebenso fehl am Platze wie die ganze Einrichtung, die man allenfalls in einem Schloß erwartet hätte. Gallagher vermutete sofort, daß dieses Mobiliar aus dem Herrschaftshaus der Hazienda stammte und vor den Flammen gerettet worden war.
Der untersetzte Mexikaner tauchte wieder neben ihm auf und deutete wortlos auf die geöffnete Tür zu einem Nebenraum, von wo gerade jetzt ein leises, kicherndes Lachen erklang. Sekunden später zeigte sich die Gestalt einer schwarzhaarigen Schönen, die an ihrem Mieder nestelte und dann den Kopf zurückwarf, als sie an Gallagher vorüberging.
»Treten Sie doch näher, Señor Gallagher«, ließ sich eine sonore Stimme in hartem mexikansichem Akzent vernehmen. »Wenn Sie sich einen Augenblick gedulden wollen...«
Schon nach dem nächsten Schritt konnte Gallagher in den Nebenraum hineinschauen und sah ein breites Bett unter einem Brokat-Baldachin, das mit seiner Kostbarkeit in dieser Umgebung geradezu lächerlich erschien. Gerade erhob sich davon ein Mann, knöpfte sein rüschenbesetztes Seidenhemd zu und zog eine kurze, bestickte Charro-Jacke über. Für einen Mexikaner war er ungewöhnlich groß und breitschultrig. Er hatte ein gelbhäutiges Gesicht mit dunklen Augen und einer ausgeprägten, aber schmalrückigen Nase. Sein schwarzes Lippenbärtchen und der kleine, sorgfältig gestutzte Spitzbart machten es nicht leicht, sein Alter zu schätzen, doch schien er trotz seiner etwas verlebten Züge die Dreißig gerade erst überschritten zu haben. Er warf einen Blick in den Spiegel der Kommode, fuhr noch einmal über sein gewelltes Haar und kam dann lächelnd auf Gallagher zu.
»Entschuldigen Sie«, sagte er zwinkernd. »Ich hatte schon fast nicht mehr mit Ihnen gerechnet und dachte, daß Sie erst morgen kommen würden. Haben Sie die Pferde heil durchgebracht?«
»Vierundachtzig Stück«, antwortete John Gallagher. »Ich habe sie durch einen Ihrer Leute – Robles heißt der Mann wohl – zählen lassen. Möglicherweise ist die Remuda jetzt schon in Camp Penasco angekommen.«
»Es tut mir leid, daß ich Sie in diesem Stall empfangen muß, Señor Gallagher«, sagte er bedauernd, während er an eine Vitrine trat und ihr zwei Gläser und eine geschliffene Karaffe entnahm. »Ich nehme an, daß Sie den Grund dafür schon entdeckt haben.«
»Allerdings, Don Ramon«, erwiderte Gallagher unbewegt. Nachdem sein Gesprächspartner einen lässigen Plauderton anschlug, sah er keinen Anlaß, seinerseits eine übertriebene Anteilnahme an den Tag zu legen, zumal die Ereignisse, um die es hier ging, inzwischen wohl schon einige Jahre zurücklagen. »Ich vermute, daß die Hazienda während des mexikanischen Bürgerkrieges zerstört worden ist.«
»Sie haben recht, Señor« stimmte er verschlossen zu. »Aber als Amerikaner sind Sie wohl mit unseren Verhältnissen nicht besonders gut vertraut. Was Sie als Bürgerkrieg bezeichnen, war in meinen Augen nur ein Aufstand des Pöbels. Schurken wie Benito Juarez, die sich hochtrabend Republikaner nannten, haben die barfüßigen Peons verführt und sie für ihre Zwecke ausgenutzt. »Mit einer einladenden Bewegung deutete er auf die Gläser und setzte hinzu: »Trinken wir also auf Präsident Juarez – und daß ihn bald der Teufel holen möge!«
Wortlos tat ihm Gallagher Bescheid und nahm einen Schluck, wobei er feststellte, daß es sich um einen hervorragenden Sherry handelte, der sicherlich mehrere Jahre gelagert hatte. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich den aufrührerischen Reden des Hidalgos gegen seine gesetzliche Regierung anzuschließen und dabei womöglich durch ein unbedachtes Wort in die Nesseln zu setzen. So nahm er die Gelegenheit wahr und sagte anerkennend:
»Ein ausgezeichneter Jahrgang, wie mir scheint.«
Gerade damit aber schien er eine wunde Stelle berührt zu haben, denn Mendozas Miene verdüsterte sich.
»Jahrgang 1867«, sagte er mit verkniffenen Lippen. »Es war das Jahr, in welchem Seine Majestät Kaiser Maximilian vor den Wällen von Queretaro erschossen wurde. Mögen sie verdammt sein – all diese Verräter, die daran Anteil hatten.«
Wenn es überhaupt noch Zweifel gab, daß dieser Mann ein Fanatiker war, dann wurden sie durch diese Worte ausgelöscht.
Ramon de Mendoza hielt sein Glas in der Hand und starrte aus glühenden Augen auf eines der Gemälde an der Wand. Aus dem kostbaren Goldrahmen blickte würdig ein ernster, schnurrbärtiger Mann, dessen Uniform von einem hohen goldgestickten Kragen abgeschlossen wurde und der eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihm aufwies.
»Mein Vater«, erklärte Mendoza tonlos. »Er wurde in Veracruz von diesen aufständigen Mordbrennern umgebracht. Auf seinen Wunsch hin hielt ich mich zu jener Zeit in Europa auf.«
»Demnach haben Sie die blutigen Auseinandersetzungen nicht selbst miterlebt?«
Mendoza schüttelte den Kopf.
»Ich bin erst vor kurzer Zeit illegal in mein Vaterland zurückgekehrt, Señor Gallagher – als letzter Träger meines Namens. Man hat uns ausgerottet, Señor, und das Vermögen meiner Familie beschlagnahmt. Ich werde Mexiko wieder verlassen, wenn ich mein Vorhaben ausgeführt habe.«
Völlig überraschend wechselte Mendoza dann selbst das Thema. In seiner Miene zeigte sich angespannte Erwartung, als er fragte: »Sie haben sich an die Vereinbarungen gehalten, die Sie mit meinem Unterhändler getroffen haben, Señor?«
»Selbstverständlich, Don Ramon. Wir haben nachts unmittelbar südlich von Yucca Canyon die Grenze überquert und dann gleich die Richtung zum großen Plateau eingeschlagen. Als es hell wurde, waren wir schon weit von jeder menschlichen Ansiedlung entfernt. Ich bin absolut sicher, daß uns während der nächsten zwei Tage bis nach Tina Springs niemand zu Gesicht bekommen hat.«
»Sehr gut, Señor, etwas anderes hatte ich nicht von Ihnen erwartet. Jesse Szabo hatte Sie mir als einen Ehrenmann geschildert...«
Ein paar Sekunden wartete Gallagher unwillkürlich auf eine Fortsetzung, weil Mendozas Stimme zum Schluß nicht abgesunken war und deshalb den Satz seltsam unvollständig erscheinen ließ.
»Danke«, murmelte er zögernd, »aber wenn ich ein Abkommen treffe, dann halte ich mich auch daran.«
»Sie haben einen Bruder, Señor Gallagher?« folgte unvermittelt die Frage Mendozas.
»Allerdings«, antwortete Gallagher verschlossen, »aber wieso...«
»Jesse Szabo hat mir davon erzählt«, unterbrach ihn der Kreole mit einem dünnen Lächeln. »Er kennt die Geschichten, die über Ihren Bruder Kirk im Umlauf sind.«
»Vielleicht hat er dann auch erfahren, daß ich mit Kirk keinerlei Verbindung habe«, entgegnete Gallgaher.
»Trotzdem ist Ihr Bruder ein sehr interessanter Mann, Señor, ein Pistolero, wie man bei uns sagen würde.«
John Gallaghers Gesicht hatte sich verhärtet, und die ausgeprägten Falten um seine Mundwinkel traten noch stärker hervor.
»Es gibt keine zarten Gefühle, auf die Sie Rücksicht zu nehmen hätten, Don Ramon«, erwiderte er rauh. »Deshalb können Sie es ruhig mit aller Offenheit ausdrücken. Kirk ist nicht nur ein Revolvermann, er ist ein abgebrühter Kopfgeldjäger.«
Mendoza lehnte sich weit in seinem kunstvollen Gobelinsessel zur Seite und nahm eine polierte Holzschatulle von der Vitrine. Erst nachdem er seinem Gast eine Zigarre angeboten und sich selbst ebenfalls mit einer dünnen Havanna bedient hatte, murmelte er achselzuckend: »Ich habe meine eigenen Ansichten über solche Dinge, Señor. Und auch Sie sollten nicht zu hart urteilen.«
Widerstrebend nahm John Gallagher das brennende Streichholz entgegen und entzündete seine Zigarre. Mendoza erhob sich und ging noch einmal in sein Schlafzimmer hinüber. Als er zurückkehrte, legte er einen prallen und offenbar sehr schweren Lederbeutel auf den Tisch.
»Viertausendzweihundert Dollar«, sagte er nüchtern. »Ich nehme an, Sie werden diesen Betrag auch in mexikanischen Goldpesos akzeptieren.«
Ohne eine Erwiderung abzuwarten, öffnete er die Verschnürung des Beutels und fing an, die Münzen abzuzählen und zu ordnen. Es handelte sich um große Hundert-Peso-Stücke, die sich mühelos stapeln ließen. Mit fünf solcher Stapel war schließlich der Gegenwert für den Dollarbetrag erreicht, und Mendoza schob sie samt dem leeren Beutel zu seinem Geschäftspartner hinüber. Eine beträchtliche Anzahl der Goldstücke behielt er noch übrig.
John Gallagher hatte keinen Blick von ihm gewandt. Er konnte nicht verhindern, daß seine Hände zitterten, als er das Geld nachzählte und wieder in dem Beutel verschwinden ließ. Aus irgendeinem Grund schien das den Kreolen zu befriedigen. Er senkte die Lider zur Hälfte über die Augen, blickte durch den Rauch seiner Zigarre und sagte mit dünnem Lächeln: »Ich nehme an, Sie haben ziemlich lange gebraucht, um dieses Geld zu verdienen, Señor.«
Sein Gegenüber zögerte mit der Antwort und wog den gewichtigen Beutel in der Hand. »Mehr als zwei Jahre«, gab er dann widerstrebend zu.
»Und Sie wären nicht daran interessiert, einen ähnlichen Betrag – sagen wir, dreitausend Dollar – innerhalb weniger Tag zu verdienen?«
Die Hand mit dem Lederbeutel blieb plötzlich in der Schwebe. Gallagher starrte den Hidalgo an. »Soll das ein Angebot sein, Don Ramon?«
Achtlos schnippte Mendoza die Asche von seiner Zigarre und nippte an seinem Glas. »Das hängt von Ihrem Interesse ab.«
»Und wo ist der Haken bei diesem Geschäft?«
»Ich würde sagen, es ist ein kleines Risiko dabei, Señor. Ich brauche noch ungefähr ein Dutzend Männer, die mit Colt und Gewehr umgehen können und gegen fürstliche Bezahlung keine Fragen stellen.«
»Demnach trauen Sie mir zur, daß ich Ihnen solche Burschen beschaffe?«
»Vielleicht nicht gerade Sie allein, Señor Gallagher. Aber zusammen mit Ihrem Bruder Kirk würde es bestimmt gelingen. Man sagt ihm nach, daß er sich in gewissen Kreisen besonders gut auskennt – er und sein Partner Duff Yarnell.«
»Sie sind gut informiert, Don Ramon. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann brauchen Sie also eine harte Revolvermannschaft und würden aus irgendwelchem Grunde Amerikaner vorziehen.«
»Si, Señor. Genau das hatte ich im Auge.«
Gallagher spürte das Gewicht des Goldes an seiner Hüfte und dachte an die Schwierigkeiten, die er beim Aufbau seiner Pferderanch in Yucca Canyon hatte überwinden müssen und die noch längst nicht zu Ende waren. Plötzlich hatte er dann auch das Bild Fays vor Augen, und die schmerzliche Erkenntnis ließ ihn die Kehle eng werden. Fay war nicht für die Einsamkeit von Yucca Canyon geboren.
Im Grunde hatte er sie während der vergangenen zwei Jahre nur dadurch halten können, daß er ihr eine rosige Zukunft vorgaukelte. Sie hatte ihm geglaubt, daß sich alles zum Besseren wenden würde, wenn er erst eine größere Remuda verkaufen könnte. Das war jetzt geschehen, und er hatte sogar einen außergewöhnlichen Preis für seine Pferde erzielt. Viertausend Dollar verkörperten bereits ein kleines Vermögen. Aber Fay hatte keinen Begriff von der Höhe der Schulden, die er andererseits hatte machen müssen. Ihre Illusionen von einer großen Reise nach Kalifornien und von einigen Monaten des Wohllebens in einer glänzenden Umgebung mußte platzen wie eine schillernde Seifenblase. Und dann würde er Fay verlieren. Noch einmal würde er sie nicht mehr auf ungewisse Zeit vertrösten können, dessen war er sich plötzlich ganz sicher. Dieser Don aber schien ihm die Chance zu geben, all seine Sorgen mit einem Schlage loszuwerden. Ganz gleich, worum es sich dabei auch handelte – nur ein Narr konnte sich diese Gelegenheit entgehen lassen.
»Die Vergangenheit dieser Burschen spielt also keine Rolle?« stieß Gallagher rauh hervor.
Mit überlegenem Lächeln, beinahe vorwurfsvoll, schüttelte Mendoza den Kopf. »Ich brauche hartgesottene Kämpfer, und ich kann mir vorstellen, daß solche Revolvermänner rauchige Jahre hinter sich haben, ehe sie das werden, was sie heute sind. Die Aufgabe wird nicht mehr als eine Woche in Anspruch nehmen. Dafür zahle ich zweitausend Dollar pro Mann.«
»Soeben sprachen sie noch von dreitausend.«
»Für Sie, Gallager, und für Ihren Bruder. Davon brauchen die anderen ja nichts zu erfahren.«
»Also gut.« John Gallagher nickte. »Nehmen wir an, daß ich zusammen mit Kirk eine solche Crew auf die Beine bringe, dann werden die Burschen trotzdem wissen wollen, worum es überhaupt geht. Wir können ihnen nicht einfach die Antwort schuldig bleiben.«
Mendoza starrte eine Weile schweigend auf die Glut seiner Zigarre. »Kennen Sie den Namen Villegas?« fragte er dann.
»Sie meinen den Provinzgouverneur von Sonora?«
»Er ist seit zwei Monaten nicht mehr Gouverneur«, entgegnete Mendoza in haßerfülltem Ton. »Sogar einem lächerlichen Popanz wie Präsident Juarez wurde dieser Antonio Villegas in seiner Selbstherrlichkeit verdächtig. Er hat ihn in allen Ehren verabschiedet und ihm den Titel Exellencia belassen. Doch das ändert nichts daran, daß Villegas in die Wüste geschickt wurde – und das im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Und was ist nun mit diesem Antonio Villegas?«
»Er hat während der Revolution mit seinen Horden von Guerilleros hier im Norden operiert. Seine Banden waren es auch, die diese Hazienda plünderten und brandschatzten. Villigas war nichts weiter als ein brutaler Bandit. So wie hier hat er es in halb Sonora und Chihuahua getrieben. Man findet noch heute sogenannte Beschlagnahmeverfügungen mit seiner Unterschrift, mit denen er die Beutezüge seiner Bravos zu legalisieren suchte. Es sind ihnen unermeßliche Werte an Geld, Juwelen, Silbergeschirr und allen möglichen Kostbarkeiten in die Hände gefallen. Mehrfach wurden sogar Kirchenschätze geplündert. Einiges ging natürlich verloren, wie das bei solchen Desperados nicht anders zu erwarten war. Den Löwenanteil jedoch hat Antonio Villegas für sich selbst auf die Seite geschafft. Wegen seiner Verdienste um die sogenannte Revolution wurde er nach der Niederlage der Kaiserlichen zum Gouverneur der Nordprovinz Sonora ernannt. Möglicherweise verband Präsident Juarez damit eine ganz bestimmte Absicht. Auf diese Weise nämlich war Villigas gezwungen, über seine Requisitionen und Beschlagnahmen Rechenschaft abzulegen. Tatsächlich kam daraufhin denn auch ein Teil seiner Beute zum Vorschein und wurde dem Staat abgeliefert. Die kostbarsten Stücke jedoch, und alles Gold, waren angeblich in den Wirren des Bürgerkrieges verschwunden, und die Männer, die Antonio Villegas dafür verantwortlich machte, selbstverständlich tot.«
»Mit anderen Worten, er ist noch heute im Besitz eines ungeheuren Schatzes?« fragte John Gallagher gepreßt.
Der Kreole nickte in gespieltem Gleichmut.
»Der Wert muß in die Millionen gehen.«
»Und die Regierung unternimmt nichts dagegen?«
»Sie unterschätzen den Einfluß dieses Mannes, Gallagher. Die Regierung sitzt in Mexico City, mehr als tausend Meilen von hier entfernt, und in den Nordprovinzen hatte man schon immer eine eigene Auffassung von der Zentralgewalt. Auch das war wohl einer der Gründe für Villegas’ Absetzung. Er war zu sehr darauf bedacht, seine eigene Macht zu festigen und sich gewissermaßen eine Privatarmee aufzubauen. Deshalb hat dieser Mestize Benito Juarez rasch zugeschlagen, ehe die Entwicklung zu einer neuen Revolte führen konnte. Wenn Antonio Villegas noch ein oder zwei Jahre Zeit gehabt hätte, dann wäre er nur noch durch eine militärische Aktion zu stürzen gewesen.«
»Aber nun ist er offenbar gestürzt. Und da hat man trozdem...«
»Gestürzt, aber nicht ganz entmachtet«, fiel ihm Mendoza ins Wort. »Außedem dürfen Sie nicht vergessen, daß Villegas zu den sogenannten Helden der Revolution gehört. Juarez und seine Kumpane in der Regierung würden sich selbst einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie plötzlich eines dieser Symbole zerstören wollten. Damit müßten sie schließlich zugeben, mit welchen Methoden sie an die Macht gelangt sind. Das aber würde unausweichlich zu Unruhen führen, die das Regime um jeden Preis verhindern will. Da nimmt es eben in Kauf, daß Villegas auch weiterhin im Besitz seiner Beute bleibt. Allenfalls würde man versuchen, ihn durch einen bezahlten Mörder aus dem Wege räumen zu lassen und das Ganze den Anhängern des Kaisers Maximilian in die Schuhe zu schieben. Doch mit solchen Methoden ist Antonio Villegas vertraut und hat sich dagegen geschützt. Er verfügt über seine Leibgarde und ist ständig von ein paar dieser Bravos umgeben.«
John Gallagher veränderte seine Haltung und beugte sich vor.
»Reden wir also offen, Mendoza: Sie haben mit diesem Villegas noch eine Rechnung zu begleichen und wollen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, indem Sie sich den Schatz holen.«
Der Mexikaner zog an seiner Zigarre.
»So könnte man es ausdrücken, Señor. Vielleicht wird es Ihnen begreiflicher, wenn ich sage, daß dieser Schuft für die Ausrottung meiner Familie und die Beschlagnahmung unseres Vermögens verantwortlich ist.«
»Das hätte ich auch ohne diese Einzelheiten verstanden«, erwiderte Gallagher lakonisch. »Millionenbeträge sprechen ihre eigene Sprache und bedürften keiner Rechtfertigung. Sie wissen also, wo Antonio Villegas sich aufhält und wo der Schatz versteckt ist?«
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen«, antwortete Don Ramon de Mendoza. »Die Wintermonate verbringt Villegas in der Provinzhauptstadt Hermosillo. Während der heißen Jahreszeit hingegen hält er sich im Palacio Pinacate auf. Das ist das Jagdschloß in den Bergen, am Rande des großen Plateaus und dicht bei den Ausläufern der Gila Desert. In einem Gewölbe des Palacio befindet sich auch der Schatz – zwei große Truhen mit Gold und Juwelen.«
»Woher wissen Sie das?«
Mendoza lächelte hintergründig.
»Warum glauben Sie, kann ich mich illegal in diesem Land aufhalten, Gallagher? Es gibt genug Leute, für die ich noch heute der Patron bin und die mit den heutigen Zuständen nicht einverstanden sind. Und es gibt andere, die Villegas ebenso hassen wie ich.«
»Wieso brauchen Sie dann eine Revolvermannschaft von Amerikanern?«
»Ist das so schwer zu verstehen? Es müssen Leute, die nach dem Unternehmen über die Grenze verschwinden können.«
»Sie wollen den Schatz in die Staaten bringen?«
»Ich habe nur von den Leuten geredet, Señor. Ich selbst werde mit dem Schatz eine andere Richtung einschlagen – zum Golf von Kalifornien, der vom Palacio Pinacate aus in zwei Tagesritten zu erreichen ist. Es gibt dort ein unscheinbares Fischerdorf, Puerto Tiburon, wo ein Segelschoner auf mich wartet.«
Eine Weile rauchte John Gallagher schweigend. Dann nickte er und sagte: »Sie scheinen wirklich an alles gedacht zu haben, Mendoza. Aber wenn Ihre Revolvermannschaft höchstens zwanzig Mann stark sein soll, wozu brauchen Sie dann noch vierundachtzig Pferde?«
»Eine Vorsichtsmaßnahme«, entgegnete der Kreole achselzuckend. »Man darf bei der Planung eines solchen Unternehmens nicht kleinlich sein. Wir haben es nicht nur mit Villegas’ Leibwache, sondern möglicherweise auch mit Regierungstruppen zu tun; mit Lanzenreitern aus der Garnision Caborca. Natürlich bin ich daran interessiert, daß die Americanos nach der Aktion heil wieder über die Grenze kommen. Das aber wird im Falle einer Verfolgung davon abhängen, ob sie frische Pferde zur Verfügung haben. Etwa
fünfunddreißig Meilen nördlich des Palacio Pinacate liegt der Bosque Grand, ein zerklüftetes Felsengelände mit Wasserlöchern. Dort werde ich einen Teil der Remuda verstecken, damit Sie und die anderen Männer frische Pferde vorfinden und nötigenfalls die Flucht gleich fortsetzen können. Auf diese Weise haben die Verfolger dann keine Chance. Selbstverständlich brauche ich zwei oder drei Pferdewechsel für mich und ein paar Begleiter auf der Strecke nach Puerto Tuburon. Wenn der Plan reibungslos ablaufen soll, dann bedarf es einer sorgfältigen Vorbereitung, nicht wahr? Und ich garantiere Ihnen: Sie werden nichts auszusetzen finden.«
Diesmal ließ John Gallagher fast eine Minute verstreichen, trank noch einmal von dem Sherry und beschäftigte sich scheinbar mit den beiden Gemälden an der Wand, ehe er mit belegter Stimme erwiderte: »Und was bringt Sie auf die Idee, daß Sie in mir den richtigen Mann für die Anwerbung haben, Mendoza? Sie sprachen von einem kleinen Risiko; aber wenn ich’s mir recht überlege, dann ist die Chance ziemlich groß, bei Ihrem Unternehmen eine Kugel in den Schädel zu bekommen.«
»Entsprechend ist auch die Bezahlung«, erwiderte der Kreole selbstsicher. »Zweitausend Dollar sind auch für die angeworbenen Pistoleros eine Menge Geld. Diesen Betrag werden die Burschen auch dann bekommen, wenn unsere Aktion erfolglos bleiben sollte. Ich denke, das wird sogar die hartnäckigsten unter ihnen überzeugen. Und was nun Sie persönlich betrifft, Gallagher, so weiß ich durch Jesse
Szabo ziemlich genau über Sie Bescheid. Das Wasser steht Ihnen bis zum Hals.«
John Gallgher preßte die Lippen zusammen. »Und wenn schon«, stieß er scharf hervor. »Wir haben beim Aufbau der Pferderanch in Yucca Canyon hart gearbeitet und mußten viele Schwierigkeiten überwinden. Aber jetzt habe ich genug Geld, um all meine Schulden zu begleichen und...«
»Nur wird Ihnen dann nicht mehr viel übrigbleiben«, fiel ihm Mendoza mit unverhülltem Zynismus ins Wort. »Und ich glaube nicht, daß es Ihnen Freude machen würde, wieder ein paar Jahre zu schuften und dabei erneut in Schulden zu geraten. Zudem haben Sie eine junge sehr hübsche und anspruchsvolle Frau, Gallagher.«
»Lassen Sie Fay aus dem Spiel.«
»Warum?« Ramon de Mendoza zog die Brauen in die Höhe. »Bei der Beurteilung eines Mannes spielt seine Frau immer eine wesentliche Rolle. Und Ihre Frau verspürt bestimmt wenig Lust, ihr Leben in der staubigen Einöde von Yucca Canyon zu verbringen.«
»Und woher wollen Sie das wissen?« schnaubte John Gallagher mit gekünstelter Ironie. Doch der Versuch, auch seinerseits überlegene Selbstsicherheit an den Tag zu legen, prallte wirkungslos an der lächelnden Fassade seines Gegenübers ab.
»Das kann ich Ihnen ganz genau erklären, Señor«, murmelte Mendoza. »Kurz nachdem Sie mit Jesse Szabo den Verkauf Ihrer Pferde perfekt gemacht hatten, fuhr Ihre Frau bereits in die Stadt. Auch wenn Sie es noch nicht wissen sollten – sie hat sich dort auf Kredit zwei neue Kleider gekauft und dabei sehr herablassend geäußert, daß sie demnächst mit Ihnen eine mehrmonatige Reise nach Kalifornien unternehmen würde. Möglicherweise würden Sie sogar die Pferderanch in Yucca Canyon veräußern und sich ganz in San Franzisco niederlassen. Demnach scheint also Mrs. Gallagher sehr große Hoffnungen auf den finanziellen Erfolg Ihres Pferdegeschäftes zu setzen, und es würde mich nicht wundern, wenn sie sich über den Umfang Ihrer augenblicklichen Schulden keineswegs im klaren wäre. Ich bin sicher, daß Sie unter diesen Umständen jede Gelegenheit ergreifen werden, um die Hoffnungen Ihrer hübschen Frau nicht zu enttäuschen. Habe ich recht?«
»Also gut«, murmelte er tonlos. »Ich werde mit Kirk Verbindung aufnehmen und versuchen, möglichst bald eine Revolvermannschaft für Sie auf die Beine zu stellen.«
Mendoza nickte zufrieden.
»So hatte ich es mir auch vorgestellt, Amigo. Um Ihnen die Aufgabe schmackhaft zu machen, werde ich Ihnen für jeden angeworbenen Pistolero eine Prämie von hundert Dollar zahlen. Sobald Sie die Mannschaft beisammen haben, reiten Sie mit den Männern nach Camp Penasco. Dort warten bereits einige Männer auf diese Verstärkung. Wir werden unterdessen alle Vorbereitungen treffen, damit wir gleich nach Ihrem Eintreffen ans Werk gehen können.« Er erhob sich, zupfte an dem Spitzeneinsatz seines Seidenhemdes und fügte dann hinzu: »Allerdings muß ich Ihnen eine Warnung mit auf den Weg geben. Majadero bringt Sie wieder nach Tina Springs und wird bei Ihnen bleiben, bis auch Ihre Leute aus Campo Penasco wieder dort eintreffen. Nehmen Sie sich in acht, wenn Sie nach Norden aufbrechen, Gallagher. Sie haben jetzt ein Vermögen in der Tasche. Es gibt keine Sicherheit in diesem Land, erst recht nicht für Gringos. Man weiß in San Ysidro, daß Sie zur Hazienda geritten sind, und es existieren in der Umgebung einige Bandoleros, die sehr gern erfahren würden, was Sie hier zu suchen hatten.«
*
Zachary und Jethro trafen kurz vor Anbruch der Morgendämmerung bei den Tina Springs ein und zeigten sich erleichtert, als sie Gallagher und den stummen Mexikaner dort bereits vorfanden. Sobald Majadero dann davongeritten war, wußten sie zu berichten, daß die Ablieferung der Pferde reibungslos vonstatten gegangen war.
»Dieses Campo Penasco besteht nur aus ein paar alten Adobehütten«, sagte Zachary. »Es ist ein felsiger Einschnitt im Plateau und liegt ungefähr zehn Meilen südwestlich von hier. Drei Greaser, alle bis an die Zähne bewaffnet, haben die Remuda übernommen, und bei den Hütten haben wir ganz kurz zwei Amerikaner bemerkt. Sie sprachen mit diesem Jesse Szabo und verschwanden dann gleich wieder, als ob wir sie nicht sehen sollten. Wir ließen uns von Szabo eine Quittung geben, und dann brachte Robles uns wieder auf den Weg hierher.«
»Yeah«, bekräftigte Jethro den Bericht seines Sattelgefährten, »Robles wollte offenbar sichergehen, daß wir nicht herumschnüffelten und Campo Penasco auch tatsächlich sofort wieder verließen. Ich hatte den Eindruck, daß es dort überhaupt keine Einwohner mehr gibt. Wahrscheinlich gehörten auch die beiden Amerikaner zu den Leuten dieses Don Ramon.«
»Bestimmt sogar«, erwiderte John Gallagher. Dann schilderte er in knappen Sätzen seine eigenen Eindrücke und die Verhandlung mit Don Ramon die Mendoza.
»Und Mendoza zahlt zweitausend Dollar pro Nase?« fragte Zachary. »In diesem Fall haben Sie den ersten Aspiranten schon gefunden, Boß.«
In seinem entnervenden Grinsen bleckte Jethro die Zähne, die schneeweiß aus seinem schwarzen Gesicht leuchteten, und spottete. »Du mußt dich verhört haben, Mister. Dieser Don sucht Revolvermänner, keine Revolverzwerge.«
Zachary zuckte schmerzlich zusammen und zog die Oberlippe empor.
»Und du bilde dir bloß nicht ein, daß er einen Mohren wie dich nehmen würde, Blacky«, krächzte er giftig. »Allenfalls könnte er dich gebrauchen, um der Leibwache von Villegas Angst einzujagen. Aber wer fürchtet sich heute noch vorm schwarzen Mann?«
Gleichmütig stopfte sich Jethro seine Maiskolbenpfeife und entzündete sie mit einem glimmenden Ast aus dem winzigen Campfeuer, das sie wieder an der alten Stelle angelegt hatten.
»Sie sollten ihm wirklich eine Chance geben, Boß«, bemerkte er trocken. »Auf diese Weise könnte ich dann endlich einmal ruhig schlafen.«
John Gallagher, an die ewigen Reibereien der beiden ungleichen Partner längst gewöhnt, blickte auf.
»Schlafen?« echote er. »Was soll das nun wieder bedeuten?«
»Wenn er in seiner Bunk liegt, dann gibt er die ganze Nacht herzzerreißende Seufzer von sich«, sagte Jethro mit unterdrücktem Grinsen. »Ich weiß auch, woran das liegt. Beim letzten Ball in Nogales hat er eine dicke Witwe kennengelernt. Wie ein Floh ist er beim Tanz um sie herumgehüpft. Wahrscheinlich hatte sie Angst, er könnte ihr in den Ausschnitt hüpfen, wie Flöhe das nun einmal an sich haben.«
»Lüge!« kreischte Zachary mit überschnappender Stimme. »Das hat dieser Nigger sich bloß wieder ausgedacht, Boß!«
»Mit zweitausend Dollar kann man eine gefräßige Witwe und ihre fünf unmündigen Kleinen ernähren«, fuhr Jethro ungerüht fort. »Und wenn er sie erst geheiratet hat, dann haben auch seine sehnsüchtigsten Seufzer bald ein Ende. Das ist doch klar, oder?«
»Mendoza ist nicht der Mann, der sein Geld zum Fenster hinauswirft«, sagte John Gallagher und schnitt Zachary die zornige Erwiderung ab. »Es wird ein höllisches Unternehmen, das steht mal fest. Aber ihr habt ja beide noch Zeit, um es euch gründlich zu überlegen. Wer übernimmt die erste Wache?«
»Ich«, sagte Jethro, rückte seinen Gurt mit dem Halfter zurecht und griff nach seiner verkürzten Schrotflinte. Dann kletterte er gewandt zu dem Felsvorsprung oberhalb des Camps hinauf, während Zachary sich schon grollend auf seiner Decke ausstreckte.
*
Offenbar war es das erste Mal, daß der Mann hinter dem Empfangspult des Hotels einen Neger zu Gesicht bekam, der die Kleidung eines Weidereiters und dazu einen Kavallerie-Revolver im Halfter trug. Demzufolge schien er sich auch nicht recht darüber im klaren zu sein, wie er den Schwarzen ansprechen sollte. Er vermied die Anrede überhaupt.
»Yeah«, antwortete er auf die Frage Jethros, »sie sind vor zwei Tagen angekommen und haben ein Zimmer hier im Hotel. Aber vor Mitternacht kommen sie selten zurück, und wo sie sich in der Zwischenzeit aufhalten, das kann ich auch nicht sagen. Tut mir leid.«
Jethro warf noch einen Blick in das aufgeklappte Gästebuch und nickte dann. »Danke, Mister. Dann werde ich mich einmal im Mietstall erkundigen und in der Stadt Umschau halten, falls ihre Pferde da sind.«
Er verließ die Hoteldiele und zog seinen starkknochigen Fuchs hinter sich her, als er die Richtung zum Mietstall von Bisbee schlug. Der Staub auf seiner Kleidung zeugte davon, daß er einen langen Ritt hinter sich hatte.
Auf dem Hof des Mietstalles zeigte sich kein Mensch. Erst als Jethro das Tor geöffnet hatte und sich anschickte, den Fuchs hineinzuführen, erklang aus einem Verschlag nebenan eine nörgelnde Stimme: »Wem gehört der Gaul, und wo willst du damit hin, Nigger?«
Langsam wandte Jethro sich um.
»Das ist mein Pferd, und ich werde dafür bezahlen«, antwortete er schleppend und im unverkennbaren Tonfall eines Texaners. »Dies ist doch ein Mietstall, oder?«
Der kleine, schiefrückige Stallmann schluckte und öffnete den Mund, ohne zunächst einen Laut hervorzubringen. Erst als er sich über das stoppelige Kinn gerieben hatte, murmelte er verdattert: »Wie, zum Teufel, soll man sich da noch auskennen, Mann? Ich wollte Sie ja nicht beleidigen, aber schließlich...«
»Schon gut, Mister«, fiel ihm Jethro verschlossen ins Wort. »Reden Sie mit mir wie mit jedem anderen Cowpuncher, dann werde ich mich nicht beklagen. Haben Sie eine Box für das Pferd frei?«
»Kommen Sie.« Der Stallmann nickte und lehnte seine Heugabel gegen die Wand.
Die Hufe des Fuchses klapperten auf dem gepflasterten Stallgang. Jethro musterte die anderen Pferde in den Boxen, bis sein Blick an einem lehmgelben Wallach und einer hochbeinigen Rappstute haften blieb.
»Wissen Sie zufällig, wo ich die Besitzer dieser Gäule finden kann?« fragte er knapp.
»Sie wohnen drüben im Yellow Branch«, erwiderte der Stallmann zögernd. »Und nachmittags habe ich sie einmal im Saguaro Inn gesehen. Sah aus, als ob sie dort ihr Hauptquartier aufgeschlagen hätten. Das Lokal liegt am Stadtrand, an der Straße nach Douglas.« Er ließ eine Pause eintreten, als ob er sich etwas zurechtlegen müsse, und setzte endlich hinzu: »Ich weiß nicht, ob Sie diese Männer näher kennen, Freund, aber an Ihrer Stelle wäre ich da vorsichtig. Wir sind nur zehn Meilen von der Grenze entfernt, und es treiben sich alle möglichen Burschen in Bisbee herum. Diese beiden gehören zu der ganz harten Sorte, das sieht man auf den ersten Blick. In Ihrer besonderen Lage...«
»Sie meinen, weil ich ein Neger bin?« unterbrach ihn Jethro mit einem freundlichen Lächeln. »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
»Nun«, brummte der Mann, »mich geht’s ja nichts an. Vielleicht hätte ich besser überhaupt meinen Mund gehalten.«
»Machen Sie sich nichts draus«, tröstete ihn Jethro. »Es gibt nun einmal Dinge, die sich nicht lange verheimlichen lassen. Dazu gehört auch meine Hautfarbe. Reiben Sie den Fuchs tüchtig ab, und geben Sie ihm eine Extra-Ration. Es kann sein, daß ich ihn noch heute abend wieder brauche.«
Jethro griff in de Tasche, schnippte eine Münze durch die Luft, die der Stallmann geschickt auffing. Dann ging Jethro hinaus, ohne eine Erwiderung abzuwarten.
Das Saguaro Inn trug ihren Namen nach einer einzelnen Saguaro-Kaktee, die neben dem flachen Adobebau ihre Kandelaber zum Himmel reckte. Ein staubiger Corral, in dem mit hängenden Köpfen einige Pferde standen, und ein bröckelndes Gemäuer aus rissigen Lehmziegeln begrenzten den Hof an der Rückseite. Mit einem raschen Blick nahm Jethro die Einzelheiten in sich auf. Das Lokal erweckte den Eindruck, als ob er es ungefährdet betreten könnte. Selbst im Territorium von Arizona, wo es niemals Sklaverei gegeben hatte, war das keineswegs selbstverständlich. Vor dem Saguaro Inn jedoch lungerten zwei Mexikaner und ein Mestize herum – ein sicheres Zeichen, daß hier Dollars mehr zählten als die Hautfarbe.
Jethro teilte die klirrenden Glasperlenschnüre und trat ein. Ein feister, glatzköpfiger Mexikaner hinter der primitiven Theke warf ihm einen taxierenden Blick zu und wandte sich dann wieder um. Er hantierte an einem kleinen Weinfaß, das auf einem hölzernen Gestell aufgebockt war.
An der Seitenwand saßen mehrere Mexikaner an einem langen Tisch und spielten Monte. Ein einzelner Mann stand leicht schwankend am Ende der Theke und starrte düster auf sein leeres Tequilla-Glas. Die beiden Männer jedoch, deretwegen Jethro diesen langen Ritt unternommen hatte, saßen mit zwei anderen in der Ecke bei einer Pokerrunde.
Kirk Gallagher hatte seine Jacke über die Stuhllehne gehängt und den Hut weit in den Nacken geschoben. Es war ein Zug von verborgener Wildheit an ihm, der sich nur dann bemerkbar machte, wenn er mit einem scharfen, blitzenden Grinsen seine Mitspieler musterte. Er hatte ein schmales, gebräuntes Gesicht und rauchgraue, skeptische Augen. Eine Ähnlichkeit mit seinem Bruder zeigte sich nur in den Kerben an seinen Mundwinkeln und in der Art, wie er mitunter das Kinn hob und die Augen zusammenkniff. Sonst wirkte er schmaler und hagerer als John Gallagher, fast wie ein sehniger und wachsamer Wolf. Zwei 44er Navy-Colts steckten in den tiefgeschnallten Halftern seines Buscadero-Gurtes. Wenn man verfolgte, wie seine langgliedrigen Hände geschickt mit den Karten hantierten, dann hatte man auch einen ungefähren Begriff davon, wie diese Hände mit den Revolvern umzugehen verstanden.
Duff Yarnell, sein Partner, saß ihm schräg gegenüber, ein gedrungener, stiernackiger Mann mit schütterem Haar, einem stupiden Bullenbeißergesicht und leicht vorquellenden Augen. Auf seiner Stirn zeichnete sich die rote Spur des Hutrandes ab. Wie Duff Yarnell stellte man sich einen Schlächter vor, vielleicht auch einen Schmied. Daß seine Tätigkeit jedoch weniger harmlos war, davon zeugten die beiden Sechsschüsser, die mit den Kolben nach vorn in den Futteralen seines Gürtels steckte. Die sture Beharrlichkeit war Duff Yarnells hervorstechendste Charaktereigenschaft. Diesen Eindruck jedenfalls hatte Jethro gewonnen, als die beiden Kopfgeldjäger sich zu einem kurzen Besuch auf der Pferderanch in Yucca Canyon aufhielten.
Schon unmittelbar nach seinem Eintritt traf Jethro ein verschlossener Blick Kirk Gallaghers, verbunden mit einem unmerklichen Runzeln der Brauen. Der piratengesichtige Bursche senkte erst dann wieder den Kopf, als er bemerkte, daß Jethro verstand und sich der Theke zuwandte, wobei sein Gesicht völlig ausdruckslos blieb. Der Schwarze fand also genug Gelegenheit, die Pokerrunde zu beobachten.
Ungefähr eine halbe Stunde später standen sie auf. Kirk Gallagher wechselte einen Blick mit seinem Partner und zog seine Jacke über. Auch jetzt verriet er mit keinem Wimperzucken, daß er und Jethro sich kannten. Doch der Schwarze begriff auch ohne Worte, was der verstohlene Wink mit dem Kopf zu bedeuten hatte. Er zahlte und verließ das Lokal durch den Hinterausgang.
Knapp fünf Minuten später trafen sie sich hinter dem verfallenen Gemäuer aus Adobeziegeln, das den Hof und den Corral den Saguaro Inn begrenzte. Jethro lehnte in einem schattigen Winkel und gab einen leisen Pfiff von sich, als er Kirk Gallagher beim Corral auftauchen sah. Der Kopfgeldjäger kam herübergeschlendert und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Was soll das?« fragte er leise, jedoch mit unüberhörbarer Schärfe. »Läßt mein ehrenwerter Bruder mich jetzt schon bespitzeln?«
Jethros dunkelhäutiges Gesicht bieb vollkommen ausdruckslos. »Quatsch«, gab er einsilbig zurück. »John Gallagher ist froh, wenn er möglichst wenig von Ihnen hört und sieht, Kirk.«
»Soll das heißen, daß du ganz zufällig hier in Bisbee erscheinst, Mister?«
»Nein«, erwiderte der Schwarze. »Zachary und ich haben über eine Woche nach Ihnen gesucht, ehe wir in Fort Benson einen Hinweis bekamen.«
»Demnach ist Zachary auch hier?«
»Er sucht noch in Tombstone nach Ihnen.«
»Und warum, zum Teufel, sucht ihr überhaupt?«
»Der Boß will Sie sprechen – Sie und Ihren Partner. Er erwartet Sie möglichst bald auf der Ranch in Yucca Canyon.«
»Warum? Will er mich womöglich anpumpen, wie er’s vor einem Jahr schon mal versucht hat?«
»Davon weiß ich nichts«, entgegnete Jethro abweisend. »Aber ich bin sicher, daß es diesmal genau um das Gegenteil geht. Ich habe einen Brief für Sie. Vielleicht können Sie daraus schon Näheres entnehmen.«
Aus seinem Hut brachte er einen Umschlag zum Vorschein und reichte ihn dem Kopfgeldjäger. Ein paar Sekunden lang wog ihn Kirk Gallagher mit verkniffenen Augen in der Hand, dann riß er ihn auf und entfaltete das Blatt, das darin enthalten war.
Beim erstenmal schien er die Zeilen nur flüchtig zu überfliegen, doch dann fing er noch einmal von vorn an zu lesen. Über seiner Nasenwurzel standen dabei zwei steile Falten.
»Dazu kann er mich also brauchen, mein prächtiger Bruder «, sagte er, als er endlich aufblickte. »Ich soll ihm zu einer Mannschaft von Hartgesottenen verhelfen und dann womöglich noch bei den Greasern die Kastanien aus dem Feuer holen, wie?«
Jethro hatte einen staubigen Grashalm ausgezupft, wischte ihn mit seiner schwarzen Pranke ab und klemmte ihn zwischen die Lippen. »Mir ist es ziemlich egal, was Sie tun«, erwiderte er gleichzeitig. »Ich halte das Ganze ohnehin für eine Wahnsinnsidee.«
Kirk Gallagher grinste geringschätzig.
»Aber wie ich dich kenne, wirst du trotzdem mitreiten.«
»Ich bin es Ihrem Bruder schuldig.«
»Du bist ein Narr«, sagte Kirk Gallagher. »Und wenn du ihm hundertmal dein Leben zu verdanken hättest, deshalb brauchst du noch lange nicht für ihn deine Haut zu riskieren. Wenn du es wenigstens für Geld tätest...«
»Ich werde ihm meinen Anteil geben, damit er endlich aus dem Verdruß und den Schulden herauskommt«, erwiderte Jethro starr. »Ganz gleich, ob dieses Unternehmen mit einem Erfolg endet oder mit einer Katastrophe – ich werde mit ihm quitt sein und kann meine eigenen Wege reiten. Schon das wäre ein Grund.«
Mit einem Achselzucken schaute Kirk Gallagher zur Seite. »Du bist ein sentimentaler Idiot und wirst es auch immer bleiben«, entgegnete er verächtlich.
Der Neger ging einfach über die Bemerkung hinweg. »Was ist mit diesem Yarnell?« fragte er beherrscht. »Wird er mitmachen?«
»Für zweitausend Dollar?« Kirk Gallagher grinste. »Was für eine Frage. Schon für die Hälfte würde er seine eigene Großmutter verkaufen.«
»Und die Mannschaft?«
Kirk Gallagher lehnte sich gegen die riesige Ziegelwand und zog die Mundwinkel herab. »Dieser Don soll seine Revolvermannschaft bekommen«, erwiderte er verkniffen. »Yarnell und ich nehmen den Umweg über Tomstone. Dort gibt es ein paar wilde Jungs, an denen die Greaser ihre Freude haben werden. Du kannst direkt nach Yucca Canyon zurückkehren und John Bescheid sagen. In spätestens drei Tagen kommen wir nach und bringen die anderen Burschen mit.«
*
Fay Gallagher war zweifellos eine schöne Frau, und die zweieinhalb Jahre in der Einsamkeit, in Hitze und Staub von Yucca-Canyon, hatten ihrer Schönheit nichts anhaben können. Ihr starrer Blick und die harte Linie ihres Mundes allerdings sprachen von einem übersteigerten Selbstbewußtsein – und von der Enttäuschung über ein trostloses Leben, das sie sich damals ganz anders vorgestellte hatte.
Gerade trat sie aus dem Haus, als die Männer in einer dichten Traube auf den Hof geritten kamen. Ruckartig blieb sie stehen und streifte ihr kastanienfarbenes Haar zurück. Ihre Züge hatten sich gespannt, doch sie suchte einen möglichst gelassenen Eindruck zu erwecken, als sie gegen die grelle Sonne blinzelte und zu Kirk Gallagher aufschaute, der zusammengesunken im Sattel seiner hochbeinigen Rappstute saß.
»Hallo, schöne Schwägerin«, murmelte er schleppend und schob seinen schwarzen Stetson aus der Stirn. »Da sind wir also. Und wir haben genau die Mannschaft mitgebracht, die deinem Mann vorschwebte – lauter prächtige Jungs, die sogar dem Teufel ins Auge spucken würden, wenn es etwas einbringt.«
Um seine Worte unnötigerweise zu verdeutlichen, zeigte er mit dem Daumen über die Schulter nach hinten, wo Duff Yarnell mit seinem lehmgelben Wallach hielt. Außer ihm gab es da noch sieben andere Burschen.
Sie waren ein schlimmes Rudel. Auf den ersten Blick sah man diesen Männern an, daß es sich um Revolerhelden und Hartgesottene handelte. Einer von ihnen zählte bestimmt noch keine zwanzig Jahre und hatte ein pausbäckiges, sommersprossiges Gesicht. Ein anderer trug einen struppigen Vollbart, der rings um seinen Mund vom Tabakkauen gelbbraun gefärbt war. Es gab einen Burschen, der in seinem speckigen Gehrock wie ein Wanderprediger aussah, einen Mann mit einem langen Pferdegesicht und einen Pilger, der eine verschlissene Feldkappe trug. Schließlich war da noch ein Einäugiger mit gelben, lückenhaften Zähnen und ein weißblonder, magerer Bursche mit wäßrig-blauen, vorquellenden Augen. Sie waren Wölfe von der zähesten und erbarmungslosesten Sorte. Einige von ihnen setzten beim Anblick der Frau ein anzügliches oder auch verschämtes Grinsen auf.
»Ich werde John rufen«, sagte Fay Gallagher verschlossen und hielt den Blicken der Meute unbewegt stand. »Er hat sich nach dem Essen hingelegt und...«
»Ich bin schon da«, wurde sie unterbrochen. John Gallagher stand am geöffneten Fenster des flachen Anbaues und streifte sich gerade noch die Hosenträger über die Schultern. »Vielleicht bringt ihr schon die Gäule in den Corral. Fay wird indessen zusehen, ob sie etwas zu essen machen kann.«
Die Erstarrung der Frau dauerte nur zwei oder drei Sekunden, dann warf sie den Kopf zurück und sagte laut: »Den Teufel werde ich, John Gallagher. Wenn du eine solche Bande auf deine Ranch einlädst, dann sieh gefälligst selbst zu, wie du sie verpflegst.«
John Gallager preßte die Lippen zusammen, und die Männer auf den Pferden waren viel zu verdutzt, um etwas zu erwidern. Nur Kirk Gallagher zeigte sich völlig unbeeindruckt.
»Wenn ihr eine rührende Begrüßungsszene erwartet habt, dann muß ich euch enttäuschen, Freunde«, verkündete er zynisch und breitete die Arme aus. »In unserer Familie ist das anders. Wir zeigen unsere Freude nicht so offen vor den Leuten. Bringen wir also erst einmal die Gäule weg.«
Fay Gallagher sah ihn an. In ihrer Miene schien sich eine Wandlung zu vollziehen, und sie öffnete die Lippen zu einem Lächeln. Doch dieses Lächeln erreichte ihre Augen nicht, es war maskenhaft und starr. Dann sagte die Frau in haßtriefendem Tonfall: »Geh zum Teufel, Kirk. Ich hoffe nur, daß
du mitsamt deinem Bruder zur Hölle fährst.«
»Sicher«, erwiderte ihr Schwager mit noch schärferem Grinsen. »Aber erst, nachdem wir dir zuvor das Geld geschickt haben. Hattest du es so gemeint?«
Da biß sich Fay Gallagher auf die Lippe, wandte sich schroff um und ging mit zurückgeworfenem Kopf wieder ins Haus, ohne sich weiter um die Männer zu kümmern.
Die Pferde waren abgesattelt und drängten sich an der Tränkrinne, in die einer der Männer frisches Wasser pumpten, als John Gallagher hinzukam. Kirk lehnte an einem Corralpfosten und machte keine Anstalten, seinem Bruder die Hand zu reichen.
»Da wären wir also«, stellte er lakonisch fest und umfaßte gleichsam die ganze Mannschaft mit einer lässigen Handbewegung. »Es war nicht ganz einfach, all diese glorreichen Halunken in so kurzer Zeit aufzutreiben, aber Yarnell und ich haben sie doch auf die Beine gebracht. Sie kennen mich und werden keine überflüssigen Fragen stellen. Wenn ich dich also mit unserer harten Crew bekannt machen darf...« Er zeigte jetzt auf den pausbäckigen, sommersprossigen Burschen, der noch immer den Pumpenschwengel betätigte, und fuhr fort: »Das ist Kid. Sieht noch ein bißchen grün aus, aber das täuscht. Vor einigen Monaten hat er immerhin eine harte Nummer wie King Walcot umgelegt. Der Knabe mit der Gesichstmatratze heißt Sterling.«
»Obadja Sterling?« fragte John Gallagher, als er den Mann mit dem fleckigen Vollbart nicken sah.
»Ich wußte, daß du seinen Namen nicht zum erstenmal hörst«, sagte Kirk. »Er ist erst vorige Woche aus dem Lincoln Conty herübergekommen, zusammen mit Al und Jeff Canary. Al ist der Pilger mit der Armee-Kappe, der mit dem dämlichen Maultiergesicht ist Jeff. Den Reverend und One-Eyed-Cole erkennst du wohl selbst. Und dann bleibt nur noch Calem Fisher. Ich nehme an, auch dieser Name ist dir nicht unbekannt.«
Der Reihe nach sah John Gallagher die Genannten an.
Der ›Reverend‹ war zweifellos die Vogelscheuche im Gehrock.
One-Eyed-Cole ließ sich unschwer an seiner schwarzen Augenklappe erkennen.
Und Calem Fisher war demnach der magere, weißblonde Epileptiker mit den vorquellenden Augen. Der Hinweis Kirks auf dessen berühmten Namen war wirklich überflüssig. Man kannte Calem Fisher als käuflichen Revolvermann im ganzen Südwesten, und es hieß, daß er schon acht oder neun Gegner im mehr oder weniger fairen Kampf getötet hatte. Jetzt zeigte er ein törichtes Lächeln und wischte in scheinbarer Verlegenheit seine feuchten Handflächen an der Weste ab, als er mit einer hohen, quengelnden Stimme sagte: »Hallo, Gallagher! Wir kennen uns zwar bisher nicht, aber wir alle kennen Ihren Bruder. Deshalb konnten wir uns ausrechnen, daß es bei dieser Sache wirklich etwas zu verdienen gibt. Für eine Schaumschlägerei wären wir nicht zu haben gewesen. Kirk hat zwar schon einige Andeutungen gemacht, aber vielleicht sollten Sie uns doch ein bißchen weiter aufklären. Man reitet nicht gern auf Verdacht in der Gegend herum.«
John Gallagher nickte.
»Natürlich, Fisher. Das hatte ich auch nicht von euch erwartet. Trotzdem muß ich aus Gründen, die ihr sicher verstehen werdet, konkrete Einzelheiten für mich behalten, bis wir an Ort und Stelle sind. Es gibt da in Sonora einen Don, dem es pro Nase zweitausend Dollar wert ist, wenn wir einen mächtigen Burschen erledigen, der sich mit einer Greaser-Leibwache umgeben hat. Möglicherweise wird es dabei ziemlich rauh zugehen, doch andererseits sind auch alle Vorkehrungen getroffen, damit wir wieder heil über die Grenze in die Staaten gelangen, wenn das Unternehmen vorbei ist.«
Es war Obadja Sterling, der skeptisch sagte: »Zweitausend Dollar bei mehr als einem Dutzend Männern? Das ergibt ja ein Vermögen.«
»Stimmt, Sterling. Und ein paar Leute, die ebenfalls mitmachen werden, sind sogar schon drüben.«
»Dann frage ich mich erst recht, wo der Haken liegt«, schnaufte der Bärtige. »Schon für den zehnten Teil dieser Summe findet man in Mexiko genug Pistoleros, die jeden beliebigen Burschen umlegen und auf die Leibwache pfeifen würden. Woher wissen Sie denn, daß dieser Don kein Bluffer ist und tatsächlich über eine solchen Haufen Geld verfügt?«
John Gallagher legte den Ellbogen auf einen der Sättel, die die Männer auf der obersten Stange der Corraleinfassung aufgebockt hatten, und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Ich habe ihm über achtzig Gäule verkauft«, gab er lakonsich zurück. »Und er hat sie bar – in Goldpesos – bezahlt. Einen Teil dieser Tiere wird er für unseren Pferdewechsel reservieren, falls wir es nach Abschluß des Unternehmens sehr eilig haben sollten, wieder in die Staaten zu kommen.«
»Das ist wirklich sehr fürsorglich von diesem Dago«, murmelte Calem Fisher zynisch. »Aber ich finde trotzdem, daß er ein bißchen viel Wirbel macht, nur um einen einzigen Pilger umlegen zu lassen.«
»Immerhin war dieser Pilger mal ein bedeutender Mann, und er weiß, daß gewisse Leute ihn liebend gern zur Hölle schicken würden«, sagte John Gallagher. »Anderenfalls würde er sich wohl kaum mit einer kostspieligen Leibwache umgeben. Und außerdem habe ich auch gar nicht behauptet, daß es nur darum geht, diesen Mann zur Strecke zu bringen. Unser Freund, der Don, hat da noch eine kleine Nebenabsicht, und er scheint überzeugt zu sein, daß er dadurch all seine Unkosten wieder hereinholen wird.«
»Das hört sich schon eher so an, als ob es stimmen könnte«, antwortete Jeff Canary, der Bursche mit dem langen Pferdegesicht, und spuckte durch eine der Zahnlücken zielsicher auf die Roßäpfel im Corral. »Und auf welche Weise hofft der Don zu Geld zu kommen?«
»Es geht um einen Schatz«, sagte John Gallagher möglichst nüchtern. »Um irgendwelche Kostbarkeiten, die dort drüben während der Revolution zusammengestohlen und geraubt worden sind. Zu einem Teil soll es sich dabei auch um das beschlagnahmte Vermögen unseres Freundes handeln, das er zurückholen und damit aus Mexiko fliehen will. Er redete von phantastischen Summen, aber in diesem Punkt traue ich ihm nicht ganz. Greaser neigen nun einmal zu Übertreibungen. Im übrigen kann uns das auch ziemlich egal sein. Ich habe mit ihm vereinbart, daß wir in jedem Falle unser Geld von ihm bekommen, gleichgültig, ob das Unternehmen klappt oder schiefgeht.«
Calem Fisher verzog den Mund schon wieder zu dem törichten, für ihn offenbar charakteristischen Grinsen.
»Schiefgehen, wie? Das bedeutet doch wohl, daß die meisten von uns dabei krepieren, wie?«
Gleich neben ihm stand Kirk Gallagher und tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Rippen.
»Sicher«, knurrte er bissig. »Nicht einmal so ein Greaser-Hidalgo wirft sein Geld für nichts und wieder nichts aus dem Fenster hinaus. Aber ich finde, für zweitausend Dollar kann man schon etwas riskieren. Die Entscheidung liegt ganz bei euch. Wer lieber umkehren will, der kann das immer noch tun.«
Der ›Reverend‹ in seinem speckigen Gehrock stieß ein leises Lachen aus.
»Da ist sogar noch ein Fehler in der Rechnung. Es heißt doch, daß wir das Geld in jedem Falle bekommen. Nehmen wir einmal an, daß es die Hälfte von uns erwischt. Dann können schließlich die anderen für die Toten mitkassieren, nicht wahr? Ich bin jedenfalls bereit, euch meinen Anteil zu vermachen – vorausgesetzt natürlich, daß ihr es umgekehrt ebenso tut.«
»So ein gerissener Hund!« rief Kid, der schon seit geraumer Zeit mit dem Pumpen aufgehört hatte. »Er denkt natürlich, daß er es überlebt und dann die doppelte Prämie einstreichen kann.«
»Das denken wir alle«, schnaufte der bärtige Sterling und umfaßte die ganze hartgesottene Meute mit einem lauernden Blick. »Aber dabei habt ihr etwas ganz anderes übersehen. Wenn wir für diesen Don die Kastanien aus dem Feuer holen – und wenn es sich tatsächlich um einen kostbaren Schatz handelt –, wer will uns dann daran hindern, unseren Preis zum gegebenen Zeitpunkt noch ein bißchen in die Höhe zu schrauben?«
»Nicht schlecht«, murmelte Calem Fisher anerkennend. »Im Grunde geht uns dieser lausige Don doch gar nichts an. Bestimmt würde uns dieser Schatz weit besser zu Gesicht stehen als ihm, und es ist ja auch gar nicht ausgeschlossen, daß es ihn ebenfalls erwischt, selbst wenn er sich vorsichtig im Hintergrund halten sollte. Bei so einem Kampf fliegen die Kugeln mitunter in die unwahrscheinlichsten Richtungen. Oder hättest du etwas dagegen, Gallagher?«
Es ließ sich nicht genau entscheiden, an welchen der beiden Brüder die Frage gerichtet war. So schob John Gallagher das Kinn vor und erwiderte spröde: »Was hinterher mit dem Don passiert, ist mir ziemlich gleichgültig, Fisher. Nur solltet ihr daran denken, daß er unseren Rückzug zur Grenze geplant hat. Erst wenn wir darüber genau Bescheid wissen, können wir uns überlegen, was wir unternehmen.«
»Du meinst, wir können verfolgt werden?« erkundigte sich Calem Fisher spöttisch. »Nun, ich glaube nicht, daß diese Mannschaft von ein paar lächerlichen Greasern etwas zu fürchten hat.«
John Gallagher räusperte sich.
»Dann bist du eben im Irrtum, Fisher. Der Bursche, um den es bei unserem Unternehmen geht, ist zwar entmachtet, aber trotzdem noch immer eine bedeutende Persönlichkeit in Mexiko. Deshalb wird die Sache eine Menge Staub aufwirbeln, und es ist nicht ausgeschlossen, daß wir es mit mexikanischen Regierungstruppen zu tun bekommen. Es gibt da in der Nähe eine Garnison von Lanciers, und mit diesen Burschen ist nicht gut Kirschen essen. Während des Bürgerkrieges haben sie jedenfalls Furcht und Schrecken verbreitet. Auch noch etwas anderes wäre zu berücksichtigen. In Grenznähe haben die Rurales eine ganze Reihe von Posten errichtet, ein paar davon sogar in der Sonora-Wüste, am Camino del Diablo. Es wäre verdammt gut, wenn wir die Grenze überschritten hätten, bevor diese Rurales-Stationen Bescheid wissen. Deshalb sollten wir uns beim Rückzug nicht mit irgendwelchen Plänkeleien aufhalten. Der Pferdewechsel, den der Don für uns vorgesehen hat, wird dabei von entscheidender Bedeutung sein, weil wir dadurch alle Verfolger abhängen können.«
»Demnach scheint dieser Hidalgo ein ausgesprochener Menschenfreund zu sein«, grunzte Al Canary, nahm die Armee-Kappe von seinem runden Borstenschädel und wischte mit einem gräßlichen rotkarierten Taschentuch das Schweißleder aus. »Aber sind Sie auch sicher, daß er sich aus reiner Nächstenliebe so sehr um unsere Rückkehr in die Staaten kümmert?«
In einem freudlosen Lächeln zog John Gallagher die Mundwinkel herab.
»Im Gegenteil, Canary«, erwiderte er gedehnt, »ganz im Gegenteil. Unser Freund suchte zwar diesen Eindruck zu erwecken, aber ich bin davon überzeugt, daß etwas ganz anderes dahintersteckt.«
»Und was sollte das sein?« fragte der sommersprossige Kid neugierig.
»Das ist nicht schwer zu erraten. Er selbst will mit dem Schatz und ein paar Begleitern die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Da wir vermutlich die stärkere Gruppe bilden, hofft er offensichtlich, daduch irgendwelche Verfolger von seiner eigenen Fährte abzulenken.«
»Dieser Hundesohn«, knirschte Kid. »Schon dafür sollte man ihm...«
»Nicht doch«, fiel ihm Calem Fisher ins Wort. »Für sein gutes Geld kann der Dago schließlich etwas verlangen. An seiner Stelle hätte ich es bestimmt ganz ähnlich gemacht. Lassen wir ihm also so lange wie möglich die Illusion, daß alles nach seinen Plänen verläuft.«
Zwinkernd kniff Kid ein Auge zu und sah den mageren Revolvermann an.
»In Ordnung, Fisher«, sagte er sarkastisch. »Am besten verlassen wir uns da ganz auf deine Erfahrung. Aber sag uns rechtzeitig Bescheid, wenn der Augenblick gekommen ist, um diese Illusion zu zerstören.«
*
Etwa zwei Stunden später kehrten Jethro, Zachary und ein mexikanischer Ranchhelfer namens Manuel mit dem Wagen von den Yucca Springs zurück, wo sie einen Drahtzaun errichtet und den Abfluß der Quellen gesäubert und befestigt hatten. Zwei Rollen Stacheldraht und einige Pfosten lagen mitsamt dem Werkzeug auf der Ladefläche des Wagens, den der Mexikaner gleich zur Remise lenkte. Diesmal aber war der offene Schuppen seiner eigentlichen Zweckbestimmung entzogen. In seinem Schatten kampierten die Männer. Mit ihren Decken, einigen Bündeln Stroh und ein paar umgestülpten Kisten hatten sie sich eingerichtet. Vor dem Schuppen brannte ein kleines Feuer. Daneben stand noch ein großer Topf mit Resten von Bohnen und Rauchfleisch, und in einem Korb lag unordentlich das schmutzige Geschirr. Kirk Gallagher hockte auf einer Kiste an der Schuppenwand und rauchte.
»Yeah«, sagte er spöttisch, als er die Blicke Jethros und Zacharys bemerkte, »es ist soweit. Jetzt habt ihr nur noch Zeit bis Sonnenuntergang, um es euch zu überlegen.«
Jethro war bereits abgestiegen, wechselte ein paar Worte mit dem kleinen Mexikaner und schickte sich an, die beiden Pferde auszuschirren. Auf Kirk Gallaghers Bemerkung reagierte er nur mit einem verschlossenen Nikken.
»Moment mal«, grunzte an diesem Augenblick einer der Burschen, der bei einer Pokerrunde der andern zugeschaut hatte, und erhob sich aus seiner kauernden Stellung. Es war Al Canary. Er hatte seine steife Armee-Kappe den Spielern geborgt, damit sie sie als Pott verwenden konnten. So sah man jetzt zum erstenmal sein kurzgeschorenes rostrotes und stoppeliges Bürstenhaar, das ihm einen Ausdruck von Angriffslust verlieh. »Soll das etwa heißen, daß du und dieser krummbeinige Giftzwerg dort mit uns nach Süden reiten wolltet, Nigger?«
Er hatte sich in Bewegung gesetzt und stand nun dicht vor Jethro, das Kinn vorgeschoben und die Brauen gerunzelt. Ein paar Sekunden sah der Schwarze ihn wortlos an, dann erwiderte er in schleppendem Tonfall: »Yeah, denk mal an. Und wir werden dich nicht einmal um Erlaubnis fragen, Reddy.«
Die Entgegnung an sich hätte Al Canary vielleicht hingenommen, aber die Anrede Reddy – also Rotkopf – war zuviel für seine Beherrschung. Da ihn der Neger um mehr als Haupteslänge überragte, verzichtete er allerdings darauf, bei diesem dunkelhäutigen Hünen handgreiflich zu werden, machte statt dessen einen Satz rückwärts und riß seinen Colt aus dem abgewetzten Halfter. Doch was immer er auch plante, er kam nicht mehr dazu, es auszuführen.
Offenbar hatte er geglaubt, wenigstens in der Behendigkeit dem Schwarzen überlegen zu sein. Das allerdings erwies sich als Irrtum. Mit einem langen Schritt war Jethro bei ihm und packte sein Handgelenk, noch ehe er die Waffe hochschwingen konnte. Al Canary brüllte auf, als ihm von einer unwiderstehlichen Kraft der Arm verdreht wurde. Sein Revolver klatschte auf den staubigen Boden. Er wollte sich mit der freien Linken zur Wehr setzen, doch Jethro hatte ihn schon herumgewirbelt, ergriff ihn hinten am Gurt und hob ihn einfach in die Höhe.
Als Canary war keineswegs ein Leichtgewicht und alles andere als ein Schwächling, doch dieser explosiven Gewalt hatte er nichts entgegenzusetzen. Er zapptelte und schrie immer noch, als er plötzlich waagerecht durch die Luft segelte, genau auf die Burschen der Pokerrunde zu, die sich fluchend in Sicherheit brachten.
Bei den Spielern befand sich auch Al Canarys Bruder Jeff, und es sprach für seinen ausgeprägten Familiensinn, daß er sofort eingreifen wollte, als er seinen rothaarigen Burder in Bedrängnis sah. Hinderlich war dabei nur der Umstand, daß ihm Al gerade kreischend und mit ausgebreiteten Armen entgegengeflogen kam und krachend die Kiste unter sich begrub, die bis dahin den Spieltisch ersetzt hatte.
Beim hastigen Ausweichen war Jeff Canary mit dem Rücken gegen die Schuppenwand gekracht. Gleich ihm schien sich auch der sommersprossige Kid durch diese Art des Umganges mit einem ausgewachsenen Mann bedroht zu fühlen und schnappte nach seinem Schießeisen. Aber sie beide brachten die Colts nicht mehr aus den Halftern. Mit einer blitzschnellen Wendung hatte Jethro bereits seine abgesägte Schrotflinte vom Bock des Wagens gerissen, schwang sie herum und spannte knackend die beiden Hähne.
»Versucht es nur!« stieß er rauh hervor. »Versucht’s dann werden wenigstens alle anderen erleben, wie schnell es geht, einen größenwahnsinnigen Burschen in Geierfraß zu verwandeln. Ich habe immer groben Buckshot im Lauf, müßt ihr wissen.«
Quiekend warf sich der Reverend zur Seite, um möglichst weit aus der Schußrichtung der beiden Schrotläufe zu kommen, und auch der letzte Mitspieler, One-Eyed-Cole, zog den Kopf ein. Kid wurde plötzlich blaß und spreizte rasch beide Hände vom Körper ab, um seinen Sinneswandel und die jähe Friedfertigkeit seiner Absichten deutlich zu machen. Auch Jeff Canary ließ die erst halb gezogene Waffe wieder ins Halfter zurückrutschen und schluckte, während sich sein mißhandelter Bruder ächzend von den Trümmern der zerbrochenen Kiste aufrappelte und krächzte: »Warum, zum Teufel, sagt einem denn niemand, wie gefährlich dieser wildgewordene Neger ist?«
Zachary, der ebenfalls schon abgestiegen war, hielt eines der Wagenpferde beim Zaumzeug und grinste auf wahrhaft diabolische, entnervende Weise.
»Bis jetzt hat ja noch keiner danach gefragt.« Er kicherte blechern.
»Und deshalb geschieht es ihnen recht«, vernahm man aus dem Hintergrund der Remise das grollende Organ Sterlings. Der bärtige Bursche hockte dort auf seinem Sattel, schnitzte in philosophischer Gelassenheit an einem Stück Holz herum und fuhr fort: »Es ist ihre eigene Schuld, wenn sie sich einbilden, sie könnten auf jedem Farbigen herumtrampeln.«
»Stimmt«, sagte Calem Fisher, der als einziger noch mit seiner Mahlzeit beschäftigt war und stehend seine Bohnen mit Rauchfleisch in sich hineinlöffelte. »Ich jedenfalls habe nach dieser Kostprobe gar nichts dagegen, daß diese beiden Hombres uns bei dem Ausflug begleiten. Sie scheinen beide ziemlich hart zu sein.«
Grinsend erhob sich Kirk Gallagher von seiner Kiste und wechselte einen Blick mit dem vierschrötigen Duff Yarnell, der an der Schuppenwand lehnte.
»Ich hätte es euch vorher erklären können«, murmelte er spöttisch, »aber ich fand es so viel interessanter. Ihr nicht?«
Jethro entspannte die Hähne seiner Doppelflinte und senkte die Mündung.
»Ich pfeife auf eure freundliche Anerkennung«, sagte er schroff. »Zachary und mir genügt es, wenn wir in Ruhe gelassen werden. Alles andere ist uns egal.«
Kopfschüttelnd und noch immer etwas benommen kam Al Canary nun näher und bückte sich nach seinem verlorenen Colt. »Schon gut, schon gut, Mann«, brummte er beschwichtigend. »Ich wußte ja nicht, daß sich unter schwarzer Haut eine so empfindsame Seele verbergen kann.«
»Dann weißt du’s eben jetzt«, entgegnete Zachary mit beißender Ironie. »Und du wirst dir eine Menge Ärger ersparen, wenn du dich in Zukunft danach richtest, Mister.«
*
In der Dämmerung kamen die Vorbereitungen für den Aufbruch in Gang. John Gallagher kümmerte sich um die Packpferde mit den Wasserschläuchen und suchte sich einen Überblick zu verschaffen, welche Vorräte an Proviant die einzelnen Männer mit sich führten, um auch in diesem Punkt nichts dem Zufall zu überlassen. Aber diese Mannschaft bestand ausschließlich aus erfahrenen Wölfen, die keine Anleitung brauchten, um sich auf ein solches Unternehmen richtig vorzubereiten. Sie wußten, daß ihnen ein harter Ritt durch die Wüste des Sonora-Plateaus bevorstand und hatten die entsprechenden Vorkehrungen getroffen.
Duff Yarnell hatte bereits einen lehmgelben Wallach gesattelt, band ihn beim Corral an und holte dann auch die hochbeinige Rappstute. Seit mehreren Minuten schon beschäftigte sich John Gallagher hier hinten, doch erst bei dieser Feststellung fiel ihm auf, daß er während der ganzen Zeit seinen Bruder nicht gesehen hatte. So schroff, daß es sogar den anderen auffiel, wandte er sich um und ging auf das Haus zu.
Der flache Bau war im spanischen Stil errichtet und hatte hinten einen kleinen Innenhof, einen sogenannten Patio. John Gallagher bemühte sich, seine Schritte zu dämpfen, als er ihn von der Rückseite her betrat. Die Tür zum Wohnraum war geöffnet, so, als ob kurz zuvor schon ein anderer diesen Weg genommen hätte. Einen Augenblick später hörte John Gallagher die sonore Stimme seines Bruders und das leise Lachen seiner Frau. In besinnungslosem Zorn stürmte er vorwärts.
Fay saß auf der gepolsterten Bank in der Nähe des Fensters und hatte die schwarze Spitzenmantilla umgelegt, die er ihr vor anderthalb Jahren nach einem Geschäftsabschluß aus Tucson mitgebracht hatte. Der Schein der Lampe zeichnete das bizarre Muster der Spitze als Schattenriß auf ihre Wange. Offenbar war sie sich vollauf bewußt, wie sehr dieses zarte Gespinst ihre Schönheit noch hervorhob. Die Art, wie sie sich dabei ein wenig herausfordernd zurücklehnte, enthüllte vollends ihre Koketterie.
Kirk Gallagher stand dicht vor ihr und stützte sich mit dem ausgestreckten Arm gegen die Wand, so daß er sich scheinbar absichtslos ein wenig über sie beugen mußte. Auch er war offensichtlich von der Unterhaltung vollauf in Anspruch genommen und hatte jenes halb spöttische, halb verwegene Lächeln aufgesetzt, das für ihn so charakteristisch war.
»Gefahr?« sagte er gerade. »Das ist das Salz des Lebens, Chiquita. Ich wußte schon immer, daß irgendwann ganz von selbst die große Chance kommen würde. Jetzt ist sie da, und wenn wir sie nutzen, dann könnte sich damit eine Menge ändern.«
»Auch zwischen uns?« murmelte seine Schwägerin mit einem verschleierten Blick. »Wolltest du das sagen?«
Das Lächeln Kirk Gallaghers verstärkte sich.
Er erwiderte mit gespannten Lippen: »Wer weiß? Wir haben uns einmal sehr gut verstanden, Fay.«
Bis zu diesem Augenblick hatte sein Bruder John mit angehaltenem Atem an der Tür verharrt, so daß er von den beiden nicht bemerkt wurde. Jetzt plötzlich zerbrach seine Beherrschung, und der Zorn gewann wieder die Oberhand. Mit ein paar langen Schritten ging er auf Kirk zu, und ehe jener noch richtig herumfahren konnte, schmetterte er ihm die Faust gegen die Kinnwinkel, so daß er weit zurückgeschleudert wurde.
Die Frau stieß einen spitzen Schrei aus und fuhr in die Höhe. Aber John Gallagher versetzte ihr rücksichtslos einen Stoß, der sie wieder auf die Bank sinken ließ. Dann starrte er seinen Bruder an.
Der piratengesichtige Bursche hatte sich wieder gefangen und stand nun in geduckter Haltung mitten im Raum. Seine Hände hingen in der Nähe der Halfter und die Finger spreizten und schlossen sich wie im Krampf. Ein wenig Blut tropfte ihm von der Lippe.
»Jeden anderen Mann hätte ich dafür umgebracht, John«, sagte Kirk heiser. »Wenn ich es in diesem Fall nicht tue, dann geschieht das nicht aus reiner Bruderliebe, sondern weil wir dich noch brauchen, du verdammter Idiot!«
John Gallaghers Gesicht war bleich vor Zorn. Langsam und schwerfällig rieb er sich die Knöchel, als er mit belegter Stimme erwiderte: »Ich habe mir über Fays Zuneigung noch nie Illusionen gemacht. Im Grunde wollte sie wahrscheinlich damals nur aus diesem heruntergekommenen Tingeltangel heraus und hätte am liebsten dich genommen. Aber weil sie zugleich ein bißchen Sicherheit suchte, die sie bei dir niemals gefunden hätte, kam sie dann doch zu mir. Ich gebe zu, es ist trotz aller Schinderei nicht besonders viel, was ich ihr habe bieten können. Aber heute ist sie Mrs. John Gallagher, und ich werde dir alle Knochen im Leib brechen, wenn du noch einmal versuchst, euer Verhältnis von früher aufzufrischen. Hast du das verstanden, Mister?«
Jetzt endlich zog Kirk Gallagher ein Taschentuch hervor und wischte sich die Lippe ab. Seine verkniffenen Blicke streiften erst die Frau, ehe er bissig entgegnete: »Mir brauchst du nicht klarzumachen, daß du dir auf deine Ehrbarkeit und dein Pharisäertum eine Menge einbildest, du Narr. Aber damit wirst du nichts erreichen. Man braucht Fay nur anzusehen, um zu erkennen, daß sie bei dir nichts von dem bekommen hat, was sie sich wirklich wünschte. Eines Tages wirst du die Quittung dafür bekommen.«
John Gallagher ballte die Hände, und seine Kinnmuskeln verkrampften sich. »Merke dir eins, Kirk«, stieß er rauh hervor, »niemand nimmt mir etwas weg, das mir gehört, weder du noch irgendein anderer.«
Kirk begann schon wieder zu grinsen.
»Vielleicht, Bruder«, murmelte er zynisch. »Wir werden es erleben, wenn wir die Sache in Mexiko hinter uns gebracht haben. An deiner Stelle würde ich wahrhaftig nicht ganz so sicher sein.«
»Hinaus!« John Gallagher zeigte zur Tür, als er schroff und abgerissen diesen Befehl gab. »Und in Zukunft wirst du dieses Haus...«
Er brach unvermittelt ab, weil auch er die Gestalt bemerkte. Jethro füllte beinahe die ganze Türfüllung aus. Er hatte den Hut abgenommen und vermied es, Kirk Gallagher oder die Frau anzuschauen. Seine versteinerte Miene ließ nicht den geringsten Rückschluß zu, ob er die Auseinandersetzung mitbekommen hatte.
»Es ist alles fertig zum Aufbruch, Boß«, meldete er ausdruckslos.
»Gut«, sagte John Gallagher mit einem harten Räuspern, das seine Kehle nicht ganz klären konnte, »wir kommen gleich.«
*
Mit verschlossenem, maskenhaft starrem Gesicht stand Fay Gallagher vor der Tür, als die hartgesottene Revolvermannschaft davonritt. Die Dunkelheit war inzwischen hereingebrochen, so daß sich ihre schlanke Gestalt wie ein Schattenriß gegen den Lichtschein aus dem Haus abhob. Sie sagte kein Wort, ihr Erscheinen draußen war die einzige Geste, zu der sie sich in ihrer maßlosen Erbitterung bereit fand. Ein Dutzend Männer und drei Packpferde mit Wasserschläuchen verschwanden in der Nacht. Erst als der Hufschlag verklungen war, wandte sich die Frau um und kehrte ins Haus zurück. Dem zurückbleibenden Ranchhelfer Manuel schenkte sie keinen Blick.
Die Grenze zwischen den Staaten und der Republik Mexiko verlief nur ungefähr drei Meilen südlich von Yucca Canyon. Es gab keinerlei Bewachung außer den Patrouillen von Rurales, die auf der mexikanischen Seite sehr selten und in unregelmäßigen Zeitabständen den Grenzstreifen abritten. Zudem kannten sich John Gallagher und seine Leute hier aus. Trotz des offenen Geländes bereitete es also keine Schwierigkeiten, nach Mexiko zu gelangen.
Rund siebzig Meilen waren bis zu den Tina Springs über die Ausläufer der Sierra und das karge, wasserlose Wüstenplateau von Sonora zurückzulegen. Sie brachten sie in zwei nächtlichen Etappen hinter sich und erreichten im Morgengrauen des zweiten Tages die Wasserstelle. Hier tränkten sie die Pferde und legten eine Stunde Rast ein. Dann übernahmen Jethro und Zachary im Schein der aufgehenden Sonne die Führung nach Camp Penasco, das sie bei der Ablieferung der Pferde kennengelernt hatten.
*
Jesse Szabo war Amerikaner, ein mittelgroßer, unscheinbarer Mann mit einem rosigen Babygesicht, einem unverkennbaren Bauchansatz und prallen Wurstfingern, die er unbedachterweise auch noch dadurch zur Schau stellte, daß er ständig mit seinem Daumen an den Nasenlöchern herumzupolken pflegte. Man hätte ihn als vollkommen harmlos ansehen können, wenn nicht seine dunklen, dicht beieinanderstehenden und unsteten Augen gewesen wären. Sie stempelten ihn zum typischen Intriganten und Spitzel, auch wenn er sich Mühe gab, ein leutseliges und übertrieben freundliches Wesen an den Tag zu legen. Ein argloses Gemüt mochte darin vielleicht Piffigkeit und eine gewisse Bauernschläue erblicken, tatsächlich aber war Jesse Szabos Charakter von einer kaum zu überbietenden Verschlagenheit. Gerade sie befähigte ihn, die Aufgaben zu erfüllen, die ihm von Don Ramon de Mendoza y Salazar zugewiesen wurden.
Zusammen mit einem schnurrbärtigen Mexikaner stand er vor der kleinen Cantina von Campo Penasco, als die Reiterkavalkade auf dem holprigen, von Radfurchen gezeichneten Weg aus dem Bergeinschnitt kam. Jesse
Szabo schützte mit der Hand seine Augen gegen die noch tiefstehende Sonne, nickte dann und sagte mit gequetschter Falsettstimme: »Sie sind es. Gallagher scheint also eine Meute von Halsabschneidern zusammengebracht zu haben, wie ich vorausgesehen habe. Sag den anderen Bescheid, Jimenez!«
Wortlos wandte der Mexikaner sich um und verschwand in der Cantina, die das größte Gebäude der winzigen Ortschaft darstellte. Die Übersetzung des Namens Campo Penasco bedeutete soviel wie ›Feld der großen Felsen‹, und tatsächlich war dieses einsame, karge Hochtal in den Ausläufern der Sierra Madre an vielen Stellen von gelbbraunen oder grauen, verwitterten Felsformationen durchsetzt. Dazwischen gab es ebene Flächen, die früher einmal bestellt worden waren, inzwischen aber verödeten. Nur in der Nähe der Hütten und entlang einem dünnen Rinnsal gab es noch ein paar bebaute Felder.
Ganz Campo Penasco bestand aus einem halben Dutzend Adobehütten und ärmlichen Gehöften. Die während mehrere Jahre anhaltende Dürre hatte den Ackerbau zum Erliegen gebracht und die meisten Bewohner veranlaßt, von hier fortzuziehen. Nur eine der Fincas wurde noch bewirtschaftet. Der Besitzer dieses Gehöftes führte zugleich die Cantina, deren Ertrag in Ermangelung von Gästen dürftig genug sein mochte.
Einige verstreut wachsende Saguaros betonten noch die Verlassenheit dieser Gegend, die in der Nähe der Sonora-Wüste spürbar wurde. Gleichwohl bewegten sich in dem von Lehmwällen und einer Kaktushecke umgebenen Corral hinter dem Haus mehrere Pferde und ein Esel. Durch die verdorrten Maisfelder streunten zwei magere Kühe, und ein Dutzend Hühner scharrten auf dem staubigen Hof nach Futter. Allerdings ließen sich in ganz Campo Penasco keine Menschen mehr blicken, nachdem Jimenez in der Cantina verschwunden war. Nur Jesse
Szabo harrte im Schatten des Vordaches aus, bis die Mannschaft herangekommen war.
Die Reiter ließen die Pferde im Schritt gehen und hielten schließlich in einer weit auseinandergezogenen Kette vor der Cantina an. Zusammen mit seinen beiden Leuten, Zachary und Jethro, bildete John Gallagher die Spitze. Dahinter folgten sein Bruder Kirk und Yarnell, denen sich noch der magere Calem Fisher zugesellt hatte.
»Sie kommen wie bestellt, Gallagher«, begrüßte sie Jesse Szabo, wobei er mit einem schnellen, taxierenden Blick die ganze staubige und stoppelbärtige Mannschaft umfaßte. »Gerade gestern erhielten wir die Nachricht, daß sich seine Exellencia im Palacio Pinacate aufhält. Auch Mendoza ist schon unterrichtet und wird wahrscheinlich noch im Laufe des Tages hier eintreffen.«
»Fein«, sagte John Gallagher gleichmütig und wischte sich mit dem Taschentuch Schweiß aus den Rillen seines Halses. »Aber bevor es losgeht, werden wir den Gäulen und uns selbst wohl noch eine Pause gönnen müssen. Wir waren die ganze Nacht im Sattel.«
»Dann satteln Sie ab, und suchen Sie sich ein Quartier«, erwiderte Jesse
Szabo. »Die drei Hütten dort drüben sind leer und stehen Ihnen zur Verfügung. Für ein paar Cents können Sie hier auch eine ordentliche Mahlzeit bekommen.« Er wies mit dem Daumen auf die Cantina, bemerkte dabei die beiden Mexikaner, die eben aus der Tür gekommen waren, und setzte hinzu: »Das sind Jimenez und Getuellio. Sie werden Ihnen zeigen, wo Sie Futter für Ihre Gäule finden und die Sättel unterbringen können.«
Steifbeinig ließ sich John Gallagher zu Boden gleiten und nahm sein Pferd beim Zügel. Mehrere der Männer folgten seinem Beispiel, während andere im Sattel blieben und nach hinten zum Corral ritten, wohin ihnen die beidem Mexikaner vorausgingen. Während dann die Pferde versorgt wurden, löste sich die Mannschaft allmählich in einzelne Gruppen auf. One-Eyed-Cole, der Reverend und die beiden Canarys gingen mt ihren Deckenrollen und Satteltaschen bereits zu einer der Hütten, während Obadja Sterling und der sommersprossige Kid offenbar von der Cantina angelockt wurden. Kirk Gallagher und Duff Yarnell schienen ihnen folgen zu wollen und ließen ihr Gepäck zunächst beim Corral zurück, als sie zum Haus gingen. Aber sie hatten die Hintertür noch nicht erreicht, als der piratengesichtige Kopfgeldjäger plötzlich einen Fluch zwischen den Zähnen zerbiß und erstarrte.
Die drei Männer, die eben um die Ecke des Hauses gekommen waren, blieben ebenfalls stehen. Es waren Amerikaner wie Jesse Szabo, und ihre Bewaffnung verriet, daß es sich um Hartgesottene handelte. Die führende Rolle des Trios spielte ganz offenkundig der Mann in der Mitte. Er wirkte untersetzt und muskulös und hatte ein kantigtes, brutales Gesicht mit außergewöhnlich starken Kinnbacken, die zum Vergleich mit einem Nußknacker herausforderten. Der Blick seiner fahlen Augen war kalt und abweisend, und die dünnen Lippen waren feindselig zusammengepreßt. Am erstaunlichsten wirkte der Umstand, daß der Schädel dieses Mannes an den Kieferecken seine breiteste Stelle aufwies. Und genau daran erkannte ihn Kirk Gallagher, obwohl er sicher war, ihm noch nie in seinem Leben begegnet zu sein. Dafür jedoch steckte noch immer ein Bild in seiner Rocktasche, das er zunächst für eine Übertreibung gehalten hatte und von dem er nun feststellte, daß es dem Original beinahe aufs Haar glich, obwohl es sich nur um eine vervielfältigte Zeichnung handelte. Dieses Bild befand sich auf seinem Steckbrief, und der Mann, den es darstellte, war Clayton Gunn, der berüchtigte Anführer der Gunn-Bande aus den Staaten, auf dessen Kopf fünftausend Dollar Belohnung ausgesetzt waren.
Einer von Gunns Partnern war ein kaltäugiger Bursche mit schläfrigem, grämlichem Gesicht, der beide Daumen in der Westentasche hatte und pausenlos auf einem Streichholz herumkaute. Dabei zeigte sich mit aller Deutlichkeit eine Narbe, die seine Oberlippe spaltete. Doch dieses besondere Kennzeichens hätte es nicht bedurft. Schon nach der Beschreibung der anderen Bandenmitglieder auf dem Steckbrief gab es für Kirk Gallagher keinen Zweifel, daß er Floyd Nash vor sich hatte. Da dieser Bursche ebenso leicht zu erkennen war wie sein Anführer, hatte er sich offenbar gleich nach dem mißlungenen Banküberfall in Tucson mit Clayton Gunn über die mexikanische Grenze abgesetzt. Damit war das Rätsel ihres spurlosen Verschwindens aus Arizona gelöst.
Doch allem Anschein nach gab es mindestens noch ein Mitglied der Bande, das nicht im Steckbrief aufgeführt worden war. Den dunkelhaarigen, scharfgesichtigen Mann links neben Glayton Gunn brauchte Kirk Gallagher nur einmal anzuschauen, um gleich wieder eine andere Szene vor Augen zu haben. Ort der Handlung war die Saguaro Inn in Bisbee, bevor Jethro gekommen war. Wie zur Bestätigung, daß es sich nicht um einen Irrtum handelte, sagte der Dunkelhaarige jetzt in höhnischem Tonfall: »Es stimmt, Gunn. Das sind die beiden Hundesöhne, die Butch und Concho erledigt haben, um sich das Kopfgeld zu verdienen. Ich habe sie gleich erkannt.«
Nach diesen Worten herrschte Stille auf dem Hof der Cantina. Duff Yarnell hatte längst begriffen, und auch die anderen brauchten keine Erklärung, worum es hier ging. Selbst ohne den Namen und die Worte des Dunkelhaarigen hätte die angespannte Haltung der Beteiligten genügt, um die Zusammenhänge ahnen zu lassen.
»Yeah«, sagte Clayton Gunn mit heiserer, beinahe raschelnder Stimme, »so ist das, und deshalb bringen wir die Sache am besten gleich hier in Ordnung.«
Kirk Gallagher feuchtete sich die Lippen an. Mit einem raschen Seitenblick hatte er festgestellt, daß sein
Partner bereit war und ließ die drei Banditen nun nicht mehr aus den Augen.
»Vielleicht, Gunn«, erwiderte er spröde. »Ich habe nichts dagegen, ein bißchen Pulver zu verbrennen, obwohl ich keinen großen Sinn darin fände. In den Staaten wäre dein Skalp fünftausend Dollar wert, die Greaser zahlen keinen lausigen Peso dafür.«
Die kalte Herausforderung blieb auf Clayton Gunn nicht ohne Wirkung. Ein Zucken ging über sein kantiges Gesicht, als er die Zähne bleckte.
»Galgenhumor, Gallagher?« fragte er mit einem leichten Hüsteln. »Willst du dich damit vor der Erkenntnis drücken, daß so das Ende aussieht? Seitdem Sid Hagney mir die Geschichte mit Concho und Butch erzählt hat, habe ich auf diesen Moment gewartet. Deshalb wollen wir ihn ruhig genießen. Wir konnten uns schließlich ausrechnen, daß du und dein Freund Yarnell mit der Mannschaft hier auftauchen würdest, die dein Bruder auf die Beine bringen sollte.«
»Und warum halten wir uns dann noch lange bei der Vorrede auf?« knirschte Yarnell. Er hatte die Handrücken auf die Hüften gestemmt, so daß er glatt und ungehindert an seine Pistolen gelangen konnte, die mit den Kolben nach vorn in den Halftern steckten. »Fangt doch an, zum Teufel! Ich weiß, daß ihr uns erledigen werdet, aber ihr selbst kommt auch nicht ungeschoren davon. Das ist mal sicher.«
Floy Nash, der Bursche mit der gespaltenen Oberlippe, legte den Kopf zurück. »Rede nur weiter. Gleich werden wir es ganz genau wissen. Und das sind uns Butch und Concho wert.«
»Mag sein, daß wir ein ziemlich dreckiges Geschäft ausüben«, sagte nun wieder Clayton Gunn. »Aber eures ist noch weit dreckiger, denn es ist das Geschäft von Aasgeiern, Gallagher. Du hast einen ziemlich bekannten Namen, und auf dein Konto kommen ein paar harte Brocken. Schon, daß du noch am Leben bist, beweist also, daß du zur schnellen Gilde gehörst. Auch deinem Partner traue ich eine ganze Menge zu. Aber am Ausgang dieser Unterhaltung wird das nichts ändern.«
»Ich fürchte nur, daß Sie sich da täuschen, Gunn«, mischte sich plötzlich eine andere harte Stimme ein. John Gallagher stand groß und knochig vor dem Schuppen, in dem er seinen Sattel untergebracht hatte. Er wurde noch überragt von der hünenhaften Gestalt Jethros, der seine abgesägte Schrotflinte lässig in der Rechten hielt. »Ich bin Kirk Gallaghers Bruder, müssen Sie wissen«, fuhr er gepreßt fort. »So ungefähr habe ich mitbekommen, worum es hier geht. Aber das interessiert mich nicht für einen roten Cent. Wenn Sie und Kirk sich später gegenseitig die Hirnschalen durchlöchern, soll es mir gleich sein. Im Augenblick aber gehen wir alle im selben Geschirr und haben denselben Karren zu ziehen. Also können wir es uns nicht leisten, daß ein Gespann ausfällt.«
Nur aus den Augenwinkeln schaute Clayton Gunn zu ihm hinüber.
»Ich fürchte, Sie werden es trotzdem nicht verhindern können, Freund«, stieß er scharf hervor.
»Oh, das würde ich aber nicht sagen«, kam im selben Moment von der Hintertür der Cantina ein krächzender Einwand. Dort war der bärtige Sterling umgekehrt und lehnte nun an der blätternden Adobewand, wo er umständlich sein speckiges Halfter zurechtrückte und den Staub vom blankgewetzten Kolben seines Colts wischte. »Ich bin nämlich ganz Gallaghers Meinung, und du solltest wahrhaftig auf den gutgemeinten Rat eines klapprigen alten Burschen wie Obadja Sterling hören, Gunn.«
Bei der Nennung dieses Namens ging in den Mienen der drei Banditen eine jähe Veränderung vor sich. Im selben Moment kam dann vom Corral ein magerer Mann herangeschlendert und sagte schleppend: »Dasselbe finde ich auch. Man hat im Leben so selten Gelegenheit, einen fetten Batzen zu kassieren, daß man sich diese Chance nicht selbst verderben sollte. Es kann ja gar nicht mehr lange dauern, bis wir es hinter uns haben, und bis dahin werder ihr euch doch sicher bezähmen können.« Er ließ eine kurze Pause eintreten und setzte bedauernd hinzu: »Ich habe ja ganz vergessen, mich vorzustellen, Gunn. Mein Name ist Fisher – Calem Fisher.«
Er ging immer noch weiter und blieb erst stehen, als er einen Punkt in dem Halbkreis erreicht hatte, von dem Clayton Gunn und seine beiden Kumpane jetzt umgeben waren. Der Anführer der Bande stand bewegungslos wie ein Klotz und ballte die Hände zu Fäusten. Der schwarzhaarige Sid Hagney biß sich auf die Lippen und starrte noch immer Obadja Sterling an, während Floyd Nash plötzlich schluckte und mit belegter Stimme sagte: »Ich glaube fast, diese prächtigen Jungs haben mich überredet, Gunn. Sollen sie uns etwa für dickköpfig halten?«
Wenngleich Sid Hagney sich bemühte, eine gleichmütige Miene zur Schau zu tragen, nickte auch er und sagte finster: »Er hat recht, Gunn. Man braucht es nicht zu überstürzen. Und aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.«
»Wenn ihr meint«, sagte Clayton Gunn naserümpfend. »Was mich betrifft, so werde ich jedenfalls nicht vergessen, was wir Butch und Concho schuldig sind.«
»Das ist wirklich eine gute Idee, Gunn«, antwortete Kirk Gallagher, der wieder Oberwasser hatte, mit Ironie. »Halten wir also Waffenstillstand, bis wir wieder in den Staaten sind. Das war mir von Anfang an lieber, und du weißt schon, warum.«
»Wir werden sehen«, erwiderte der Anführer der Bande mit schmalen Lippen. »Und täusche dich nicht, Gallagher! Ich traue dir und deinem Partner nicht. Wenn du es mit einem Trick versuchst, wirst du dein blaues Wunder erleben.«
»Niemand wird es mit einem Trick versuchen«, krächzte Obadja Sterling. »Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Was hältst du davon, Fisher?«
Der magere Revolvermann zeigte ein doppelbödiges Lächeln.
»Ich schließe mich deiner Garantieerklärung an«, sagte er lakonisch. »Das sollte eigentlich allen Hitzköpfen zu denken geben. Außerdem bin ich dafür, daß wir jemand bestimmen, der von jetzt an die letzte Entscheidung trifft und die Befehle gibt. Meiner Meinung nach sollte das John Gallagher sein. Er hat einen ziemlich klaren Kopf, und ihm ist noch am ehesten zuzutrauen, daß er sich bei einem Streit neutral verhält.«
Clayton Gunn schaute zum Schuppen hinüber. Sein Blick streifte zuerst den hochgewachsenen Neger mit der Schrotflinte und den krummbeinigen Zachary, ehe er schließlich an John Gallagher haften blieb.
»Einverstanden«, sagte er nach einer Weile. Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort schroff um und verschwand wieder um die Ecke.
Fast im gleichen Moment tauchte am Hintereingang der Cantina Jesse Szabo auf. Sein Gesichtsausdruck schien vollkommene Harmlosigkeit und Unwissenheit auszudrücken, aber seinen flackernden Augen merkte man an, daß er sich keine Einzelheit der Szene hatte entgehen lassen und darüber beinahe befriedigt war.
»Was hat es denn hier gegeben?« wandte er sich scheinbar erstaunt an John Gallagher, als jener vom Schuppen herüberkam. Doch Gallagher ging an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
*
Obwohl Campo Penasco in einem Hochtal lag, machte sich schon eine Stunde später die drückende Hitze bemerkbar und erstickte jegliche Unternehmungslust. Sogar die Pferde im Corral suchten den Schatten an der Schuppenwand, verschmähten das verstreute Heu und standen reglos mit hängenden Köpfen.
Die Männer verschliefen den größten Teil dieses heißen Sommertages und kamen erst wieder zum Vorschein, als die Sonne schon tief im Westen stand und eine leichte Brise aufkam. Nach und nach fand sich die ganze Mannschaft in der Cantina ein.
Die Verpflegung, von der Jesse Szabo gesprochen hatte, beschränkte sich auf Tamales mit Essiggemüse und Tortillas, aber sie fand reißenden Absatz. Dazu gab es roten, säuerlichen, aber gerade deshalb erfrischenden Landwein. Nur Obadja Sterling und die beiden Canarys hatten sich eine Flasche Tequila kommen lassen. Doch angesichts der Tatsache, daß das geplante Unternehmen möglicherweise schon in der nächsten Nacht vonstatten gehen konnte, waren auch sie vernünftig genug, sich nicht zu betrinken.
Clayton Gunn, Floyd Nash und Sid Hagney saßen an einem Tisch in der Ecke und sprachen gedämpft mit Calem Fisher, der sich gleich nach ihrem Erscheinen zu ihnen gesellt hatte. Der magere Revolvemann schien die Rolle eines Parlamentärs oder Vermittlers übernommen zu haben, denn einige Zeit später wechselte er den Platz und redete nun mit Kirk Gallagher, Duff Yarnell und Obadja Sterling. Letzterer ging dann ebenfalls zu den Banditen hinüber. Es sah fast so aus, als ob er irgendwelche geheimnisvollen Verhandlungen fortsetzen wollte. Schließlich sprach sogar Duff Yarnell mit Clayton Gunn und den anderen, und als er zu Kirk Gallagher zurückkehrte, schien er mit dem Ergebnis recht zufrieden zu sein.
Das grelle Tageslicht war verschwunden. Der Sonnenuntergang spiegelte sich rot in den staubigen Fensterscheiben der Cantina. Jesse Szabo, der die Kontakte der Hartgesottenen argwöhnisch beobachtet hatte, hob plötzlich den Kopf und eilte hinaus, als draußen Hufschlag zu hören war. Die beiden Mexikaner an seinem Tisch, Jimenez und Getullio, blieben zurück.
Es bedurfte nur eines unmerklichen Kopfwinkes von John Gallagher, damit sich auch Zachary zur Tür begab. Nach einer Minute kam er wieder zurück, griff nach seinem Glas und sagte leise: »Das scheint der Don zu sein. Er hat noch drei andere Burschen bei sich und läßt sich offenbar durch Szabo über die Lage informieren.«
Auch Gunn und die anderen waren inzwischen aufmerksam geworden, und die Gespräche in der Cantina verstummten. Wenige Augenblicke später trat dann tatsächlich Don Ramon de Mendoza ein und registrierte die Stille mit einem dünnen Lächeln.
»Buenas tardes, Señores«, murmelte er und umfaßte mit großartiger Bewegung die ganze Runde. »Ich freue mich, Sie so zahlreich versammelt zu sehen.«
Ein leiser Spott lag in seinem Tonfall, der den anderen nicht verborgen blieb. Zum erstenmal an diesem Abend tauschten nun John Gallagher und Clayton Gunn einen Blick, und diesmal glaubte Gallagher in den Augen des Bandenführers so etwas wie ein stillschweigendes Einverständnis zu entdecken. Auf welche Weise auch immer Clayton Gunn und seine beiden Hartgesottenen an den Hidalgo geraten waren, auch sie schienen nicht aus reiner Sympathie seinen Lockungen erlegen zu sein. Wahrscheinlich hatte auch in diesem Falle der vielseitige Jesse Szabo die Verbindungen geknüpft.
Gallagher erhob sich und ging dem Don ein Stück entgegen.
»Hallo Mendoza«, begrüßte er ihn trocken. »Wie Sie sehen, habe ich also unsere Abmachungen eingehalten und eine zwölfköpfige Mannschaft in die Sättel gebracht. Was es mit den Männern auf sich hat, kann Ihnen besser mein Bruder erklären.«
Kirk stand schon bereit und deutete vor Mendoza eine leichte Verbeugung an, die der Kreole mit herablassendem Nicken beantwortete. Zweifellos hatte Mendoza ganz genau erfaßt, warum John Gallagher gleich zu Anfang die Zahl der Männer so deutlich herausstellte. Schließlich ging es hier um die vereinbarte Anwerbungsprämie von hundert Dollar pro Kopf. Zunächst aber stellte Kirk Gallagher nacheinander mit knappen Worten die Burschen vor, und Mendoza zeigte sich höflich interessiert, wenngleich er zweifellos schon draußen von Jesse Szabo unterrichtet worden war.
Er selbst trug einen schwarzen Sombrero, eine bestickte Charro-Jacke und eine knappsitzenden Hose mit langen Knopfreihen an den Seitennähten. Große silberne Sporen klirrten an seinen Gamaschenstiefeln, und er hatte einen Gurt umgeschnallt, aus dessen Halfter der mit vergilbtem Elfenbein eingelegte Griff einer Pistole hervorragte. Im Vergleich zu seiner prächtigen Aufmachung wirkten die stoppelbärtigen Burschen wie eine Meute reißender Coyoten.
Eine Einzelheit jedoch fesselte John Gallaghers besondere Aufmerksamkeit: Als er einen Moment auf den Gurt des Hidalgos schaute, bemerkte er die gelben Messingpatronen und die Geschoßkuppen, die unten ein Stück aus den Schlaufen hervorragten. Normalerweise wies dieses Geschoßblei eine stumpfgraue Färbung auf und zeigte keinerlei Reflexe. Bei den Kugeln Mendozas jedoch fiel ein Glitzern auf. Jedes einzelne Geschoß war mit einem Messer oder einer Feile tief und kreuzweise eingekerbt. Es gab demnach kaum einen Zweifel, daß auch die Patronen in der Waffe auf dieselbe Weise bearbeitet worden waren. Das aber war die gemeinste Art, eine Kugel zu präparieren. Denn während ein normales Geschoß bei einem Treffer im allgemeinen seine Form bewahrte und einen glatten Schußkanal hinterließ, sofern es nicht gerade einen Knochen traf und sich daran abplattete, hatten gekerbte Bleikugeln die Eigenheit, beim Aufschlag vorn auseinanderzureißen und dadurch schwere Verletzungen hervorzurufen, so daß es für den Verwundeten kaum eine Überlebungschance gab. Nur ein Mann, dessen tödlicher Haß keine Grenzen und keine Hemmungen mehr kannte, konnte auf die Idee kommen, solche Geschosse zu verwenden.
Durch diese Kugeln wurde Ramon de Mendozas glattes und höfliches Lächeln Lügen gestraft. Sie enthüllten mehr als alles andere den Charakter dieses Mannes.
Die Mexikanerin, die in der Cantina bediente, zündete bereits die Lampen an und verschwand dann rasch wieder in die Küche. Mendoza lehnte sich gegen die primitive Theke und stellte mit lässigen Handbewegungen seine Begleiter vor. Es handelte sich um Pablo Robles, den stummen Majedero, und einen weiteren Mann namens Calvaro, der barfüßig war und außer seiner Hose und einem zerlumpten Hemd nur einen ausgefransten Strohsombrero trug. Die bronzene Hautfarbe, die ausgeprägten Backenknochen und der breite, grausame Mund ließen Calvaro wie einen Indianer oder Yaqui erscheinen, doch war er vermutlich ein Mestize. Er bewegte sich mit einer lautlosen Geschmeidigkeit und sprach mit einer kehligen, gutturalen Stimme. Man hätte ihn für einen Peon halten können, wenn nicht die beiden Revolver gewesen wären, die er in Schlingenhalftern an den sehnigen Schenkeln befestigt hatte. Für Mendoza schien er eine Art Leibwächter zu verkörpern, denn er hielt sich stets im Hintergrund und fixierte jeden einzelnen der Männer mit seinen jettschwarzen, glänzenden Knopfaugen.
»Nun«, beendete der Hidalgo gleichsam den offiziellen Teil, »ich denke, wir können zur Sache kommen. Unseren letzten Nachrichten zufolge hält sich seine Excellencia Don Antonio Villegas im Palacio Pinacate auf. Leider hat er sich bei seiner Reise von Hermosillo von einer starken Eskorte begleiten lassen, so daß die Wache des Palacio aus rund zwanzig Mann bestehen wird. Damit haben wir von Anfang an rechnen müssen. Da unsere Vorbereitungen abgeschlossen sind, besteht also kein Grund, länger zu warten. Wir werden noch heute nacht zuschlagen.«
Kid, der sich erhoben hatte und näher herangetreten war, stieß einen Seufzer aus. »Wir haben nichts dagegen, Mister«, sagte er gedehnt, »aber da wir schon einmal von den Vorbereitungen reden, würde mich interessieren, wann wir unser Geld bekommen. Zweitausend Dollar pro Mann, so war es doch abgemacht, oder?«
»Gewiß, Amigo«, erwiderte er kühl. »Allerdings werde ich Ihnen Ihr Honorar in mexikanischen Goldpesos auszahlen. Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus?«
Sein fragender Tonfall veranlaßte Kid zu einer wegwerfenden Handbewegung.
»Keineswegs, Mister. Nur ist die Antwort noch nicht vollständig.«
Die Mundwinkel des Kreolen zogen sich herab, und über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei steile Falten. Darüber hinaus schien seine ganze Haltung anzudeuten, daß er sich durch diese Einwände des sommersprossigen Burschen belästigt fühlte.
»Sie werden Ihr Geld bekommen, sobald wir dies Unternehmen hinter uns haben, Chico.«
Das Gesicht Kids verhärtete sich und schien dabei schmaler und fanatischer zu werden.
»Nennen Sie mich gefälligst nicht ›Kleiner‹, Mendoza!« stieß er scharf hervor. »Ich werde meine Arbeit übernehmen wie jeder andere. Da dürfte Ihnen mein Alter doch gleichgültig sein.« Er ließ Mendoza gar nicht erst zu einer Entgegnung kommen und fuhr im selben Atemzug fort: »Immerhin haben wir es mit einem ziemlich starken Gegner zu tun, nicht wahr? Da ist es nicht ausgeschlossen, daß Sie getroffen werden. Und was ist dann mit unserem Geld?«
»In diesem Falle«, sagte Mendoza mit erzwungener Beherrschung, »wird Ihnen Jesse Szabo oder Calvaro Ihr Geld auszahlen. Genügt Ihnen das?«
»Dieser zerlumpte...«, setzte Kid zu einer höhnischen Frage an.
»Si, Señor«, fiel ihm Calvaro mit einem starren Lächeln ins Wort. »Und an Ihrer Stelle würde ich die Worte des Patrons nicht anzweifeln.«
Kid schluckte. Da griff Obadja Sterling ein uns sagte: »Du hältst jetzt den Mund, Junge. Da ist nämlich noch etwas anderes, Señor Mendoza. Nicht nur Sie, sondern auch der eine oder andere könnte bei dieser Sache erwischt werden. Und wir haben untereinander eine Abmachung, daß diejenigen, die mit heiler Haut davonkommen, auch die Anteile der anderen kassieren. Was halten Sie davon?«
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete er mit der lässigen Überlegenheit eines Mannes von Welt. »Oder hatten Sie geglaubt, daß ich versuchen würde, den Lohn der Gefallenen zu sparen?«
»Wir glauben gar nichts, Señor«, gab Obadja Sterling krächzend zurück. »Oder nur das, was wir sehen. Und das ist eine Methode, die sich noch immer bewährt hat. Ich denke, Sie können uns das nicht verübeln.«
Mendozas dünnes Lächeln schien diese Ansicht zu bestätigen. Er strich sich über sein Lippenbärtchen und wandte sich nun wieder der ganzen Mannschaft zu.
»Nachdem diese Probleme gelöst sind, können wir vielleicht auf das eigentliche Thema kommen, Señores. Sie sollten sich darüber im klaren sein, daß die Leibwache von Antonio Villegas aus ausgesuchten Männern besteht. Zwar hat er sie in Uniform gesteckt, weil er sie noch immer als eine Art Privatarmee betrachtet, aber in Wirklichkeit handelt es sich um ehemalige Guerilleros aus seinen revolutionären Banden, und jeder von ihnen ist als ausgekochter Pistolero zu betrachten. Halten Sie sich das vor Augen, wenn es hart auf hart geht, und geben Sie kein Pardon. Wenn dieses Unternehmen scheitern sollte und wir seiner Exellencia in die Hände fallen, dann dürften auch wir aller Sorgen um die Zukunft enthoben sein. Sie wissen, was ich meine.«
Er ließ nach dieser dramatischen Einleitung eine bedeutungsschwere Pause eintreten und gab Jimenez einen Wink. Der Mexikaner ging hinter die Theke und reichte Mendoza ein Stück Holzkohle. Don Ramon trat an die hellgetünchte Adobewand und entwarf mit wenigen Strichen eine grobe Skizze.
»Der Palacio Pinacate liegt einige Meilen südöstlich der Garnisonsstadt Caborca und gleicht in seiner ganzen Anlage einer großen Hazienda«, erläuterte er dazu. »Wir werden von Süden her durch das Buschland kommen, so daß wir keine Entdeckung zu befürchten haben. Auf dieser Seite befinden sich auch die Wirtschaftsgebäude, die Stallungen und die Quartiere für die Wache und die Bediensteten. Bei Nacht sind ständig zwei Doppelstreifen unterwegs, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegen. Calvaro kennt die Streifenwege genau und wird uns an Ort und Stelle nähere Einzelheiten verraten. Außerdem aber befinden sich mindestens zwei Posten im eigentlichen Palacio und einer in der Nähe des Portals.«
»Demnach ist also der Rest der Wache, ungefähr ein Dutzend Burschen, in den Quartieren?« erkundigte sich Kirk Gallagher.
Der Kreole nickte.
»Es wird für uns lebenswichtig sein, diese Bandoleros gar nicht erst zur Entfaltung kommen zu lassen, damit sie uns nicht in den Rücken fallen. Ich denke, daß sechs Männer genügen würden, um die Türen und Fenster des Quartiers unter Feuer zu nehmen und die Burschen festzunageln. Am besten verteilen wir gleich hier diese Aufgabe. Was halten Sie davon, Gallagher?«
Die Frage war an John Gallagher gerichtet, der bisher schweigend seine dünne Zigarre rauchte. »Yeah«, erwiderte er, »das wäre etwas für dich, Sterling. Such dir noch fünf Mann aus.«
»Sicher«, antwortete er und blickte sich um. »Kid und die beiden Canarys – und dann noch One-Eyed-Cole und der Reverend. Machen Sie sich um die Pilger in den Quartieren nur keine Sorgen mehr, Señor Mendoza. Tun Sie einfach so, als ob es sie gar nicht gäbe.«
Über diese lakonische Antwort schien Ramon die Mendoza zutiefst befriedigt und fügte seiner Zeichnung noch einige Striche und Pfeile hinzu.
»An dieser Stelle«, er tippte auf einen Punkt der Skizze, »wird sich der Rest der Mannschaft trennen. Ich mit meinen Leuten übernehme die Rückfront des Palacios. Sie, Señor Gallagher, werden mit allen anderen Männern von der Vorderseite angreifen und versuchen, das große Portal zu sprengen.«
John Gallagher fragte: »Habe ich Sie richtig verstanden? Sagten Sie sprengen, Mendoza?«
»Das sagte ich, und ich meine es auch«, sagte der Hidalgo. »Wir haben zu diesem Zweck eine ganze Reihe von Sprengpatronen vorbereitet und mit Lunten von zehn Sekunden Brenndauer versehen. Man kann sie einzeln verwenden, aber wenn es nötig werden sollte, können Sie auch die ganzen Satteltaschen mit dem Inhalt an das Portal hängen. Diese Ladung wird dann bestimmt reichen, um Ihnen Zutritt zu verschaffen. Irgendwo im Palacio werden wir wieder aufeinandertreffen, um gemeinsam jeglichen Widerstand zu brechen und in das Gewölbe vorzudringen.«
»Und mit welchen Gegnern haben wir im Palacio zu rechnen?«
»Zunächst natürlich mit den beiden Posten, daneben mit Antonio Villegas und seinem Burschen namens Delgado, der auch die Wache kommandiert. Doch es ist nicht ausgeschlossen, daß Villegas im Palacio irgendwelche Gäste beherbergt. In diesem Punkt gibt es keine sicheren Informationen, so daß wir uns einfach mit den Gegebenheiten abfinden müssen. In jedem Falle wären wir wohl stark genug, um es auch mit einem halben Dutzend weiterer Gegner aufzunehmen. Wir nehmen mehrere Ledersäcke und Satteltaschen mit, um den Inhalt der Truhen im Gewölbe einzupacken. Sobald das geschehen ist, treten wir wieder den Rückzug zu den Pferden an. Es ist von besonderer Wichtigkeit, daß wir keinen einzigen Burschen entkommen lassen, weil wir sonst innerhalb kürzester Zeit die Lanzenreiter aus Caborca auf dem Hals haben. Aber das brauche ich wohl nicht besonders zu erwähnen.«
»Wenn ich recht verstehe, dann treten wir also gemeinsam den Rückzug an«, meldete sich nun zum erstenmal auch Clayton Gunn zu Wort. »Und wo werden wir uns dann trennen?«
»Bei einer Felsengruppe im Buschland«, gab Mendoza bereitwillig Auskunft. »Der Boden ist dort so hart, daß wir kaum eine Fährte hinterlassen. Sie werden Ihr Geld bekommen und können sich direkt nach Nordosten wenden. Bis zum Bosque Grande werden Ihre Gäule durchhalten. Und dort finden Sie dann frische Pferde, mit denen Sie die Flucht fortsetzen können. Selbst wenn Sie also jemand verfolgen sollte, möglicherweise sogar republikanische Kavallerie aus Caborca, haben Sie nichts zu befürchten. Bis zur Grenze sind es von dort aus nur knapp siebzig Meilen quer durch die Sonora-Wüste.«
»Das scheint in Ordnung zu sein«, sagte John Gallagher zögernd. »Aber wenn dieser Bosque Grande wirklich so groß ist, wie es sein Name besagt, wie finden wir dann den Platz, wo die Pferde für uns bereitstehen?«
Achtlos warf Ramon de Mendoza die Holzkohle auf einen Tisch und rieb seine geschwärzten Fingerkuppen ab. »Das«, sagte er mit undurchdringlicher Miene, »werden Sie von mir erfahren, wenn wir uns trennen, Gallagher. Bis dahin müssen Sie mir schon vertrauen.«
*
Die letzten Vorbereitungen nahmen kaum eine halbe Stunde in Anspruch. Als die Mannschaft von Campo Penasco aufbrach, war die Dämmerung schon in die Nacht übergegangen. Etwa zwei Meilen folgten sie den Radfurchen des Weges durch die Berge, dann vertrauten sie sich der Führung des barfüßigen Calvaro an und schwenkten in ein karges, von zerrissenen Felswänden flankiertes Seitental ein.
Jenseits eines kahlen Höhenrückens nahm die Vegetation allmählich zu. Erst als sie schon mehr als zwei Stunden unterwegs waren, zeigte sich dann jenes Buschgelände, das Mendozas Beschreibung entsprach.
Obwohl es hier keinen Weg mehr gab, und im schwachen Licht des Mondes nur kurze Strecken zu überschauen waren, schien der Mestize Calvaro seiner Sache absolut sicher zu sein und zögerte nicht ein einziges Mal hinsichtlich der einzuschlagenden Richtung. Den anderen hingegen erschien dieses von Felsen durchsetzte hügelige Buschland wegen seiner unveränderten Gleichförmigkeit schon jetzt wie ein Labyrinth.
Das Gespräch der Männer, die sich anfänglich noch gedämpft unterhalten hatten, verstummte in gleichen Maße, wie sie sich der Unheimlichkeit dieser Umgebung bewußt wurden. Mendozas Mexikaner hatten mehrere Packpferde mitgebracht und bildeten mit ihnen den Schluß der langgezogenen Kavalkade.
Trotz der Gegensätze zwischen den Kopfgeldjägern und Clayton Gunns Rudel hatten sich die Amerikaner inzwischen zusammengefunden, weil sie die gemeinsame Bedrohung spürten und zudem wußten, daß die höllische Aufgabe nur von einer geschlossenen Mannschaft zu bewältigen war.
Es mußte vor Mitternacht sein, als sie einen mit Pinons und Koniferen bewachsenen Hang überquerten und im milchigen Mondschein ein weites, von Bodenwellen durchzogenes Tal vor sich sahen. Aus weiter Ferne blinzelten ein paar Lichter zu ihnen herüber, die wahrscheinlich zu einer Ortschaft oder sogar zu einer Stadt gehörten.
»Caborca«, sagte Ramon de Mendoza. »Dort befindet sich die Garnison der republikanischen Bluthunde, die es während der sogenannten Revolution gegeben hat. Und drüben, wo sich der dunkle Streifen hinzieht, liegt der Palacio Pinacate.«
Sie setzten ihren Ritt hangabwärts fort und gelangten am Fuß des Kammes erneut in Buschland. Calvaro, der Mestize, schien sich in diesem Gelände ganz genau auzukennen und führte die Kavalkade weiter durch eine gewundene Senke.
Der dunkle Streifen, den Mendoza erwähnt hatte, erwies sich beim Näherkommen als langgezogene Baumgruppe, die sich hinter einem breiten, geröllbedeckten Arroyo erstreckte.
Im Schutze der letzten Kulissen von Dornbusch und immergrünen Chaparal saßen die Männer ab, banden die Pferde in guter Deckung an und verständigten sich gedämpft über das weitere Vorgehen. Dann schickten sie sich gruppenweise an, so lautlos wie möglich das steinige Bett des Arroyos zu durchqueren. Sie wateten ein Stück durch knöcheltiefes Wasser und erreichten unangefochten den jenseitigen Rand.
Fast die ganze Mannschaft war neben ihren Revolvern auch noch mit Gewehren bewaffnet. Lediglich Mendoza selbst, Kirk Gallagher, Jesse Szabo und zwei andere Männer machten davon eine Ausnahme. John Gallagher trug zudem die Satteltaschen mit den vorbereiteten Sprengpatronen über der Schulter. Schon während des Rittes hatte er sich von ihrer Beschaffenheit überzeugt und dabei festgestellt, daß der von Mendoza gewählte Ausdruck irreführend war. Es handelte sich in Wirklichkeit um ein Art Kartuschbeutel aus feinem Gespinst, wie sie bei der Artillerie verwendet wurden. Durch den dünnen, ziemlich prallen Stoff fühlte man deutlich körniges Pulver, das natürlich in höchstem Maße feuergefährlich war. Wie ein schwarzer Rattenschwanz ragte aus jedem der Kartuschbeutel eine Lunte hervor, deren Länge mit der von Mendoza angegebenen Brenndauer übereinstimmen mochte. Um eine solche Ladung rascher explodieren zu lassen, bestand selbstverständlich die Möglichkeit, die Lunte gleich in der Mitte anzuzünden. Falls es allerdings eine sprühende Zündschnur war, mußte man sie mit größter Vorsicht behandeln.
Nach grober Schätzung des Gewichts mußte jede der beiden Satteltaschen annähernd zehn dieser Kartuschbeutel enthalten. Die gesamte Ladung würde also mit Sicherheit ausreichen, um nicht nur ein solides Portal, sondern notfalls sogar eine massive Mauer zum Einsturz zu bringen.
Nachdem der Arroyo mit seinem holprigen Geröll überwunden war, hielten sich die vorgesehenen Gruppen schon beisammen. Die Männer kannten ihre Aufgaben und konnten sich auf Grund Mendozas Skizze und der Erklärungen des Mestizen ein recht gutes Bild von der Lage des Gebäudes machen. Calvaro und Robles glitten voraus, unmittelbar gefolgt von Obadja Sterling und seinen Desperados. Erst in einigem Abstand schlossen sich John Gallagher mit seinen Leuten und Mendoza mit Jesse Szabo und den anderen Mexikanern an.
Alle bemühten sich, so geräuschlos wie möglich vorzugehen und die dunklen Flächen unter den Bäumen auszunutzen. Doch bei einer zwanzigköpfigen Mannschaft konnten verräterische Laute auf die Dauer nicht ausbleiben. Es war schon erstaunlich genug, daß sie unbemerkt den Baumgürtel hinter sich lassen konnten und bis in unmittelbare Nähe der Gebäude und Stallungen gelangten, die den hinteren Hof des Palacio umgaben.
»Verdammt«, zischte Kirk Gallagher seinem Bruder zu, als sie bereits die Rückfront des prunkvollen Bauwerks sahen, »irgend etwas gefällt mir da nicht. Das geht viel zu glatt. Die Wachen müßten ja auf ihren Ohren sitzen, wenn sie noch nichts gehört hätten. Ein paar von unseren Burschen sind wie Elefanten durch das Gelände getrampelt.«
John Gallagher bohrte die Blicke in das fahle Dämmerlicht und zuckte die Achseln. »Warten wir’s ab«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Es wird noch früh genug rauh werden, denke ich.«
Unmittelbar neben ihnen tauchten jetzt Clayton Gunn und seine zwei Banditen auf. Offenbar hatte Gunn die geflüsterten Worte verstanden, denn er stimmte grimmig zu. »Kann sein, Gallagher. Aber irgend etwas stinkt hier. Das habe ich einfach in der Nase. Wenn dieser Palacio tatsächlich so scharf bewacht würde, wie Mendoza das behauptet, dann hätte Villegas’ Leibgarde uns schon hinten am Arroyo mit heißem Blei empfangen müssen.«
»Oder wir sind hier in eine Falle hineingelaufen«, knirschte Floyd Nash. »Man kann diesen verschlagenen Greasern nicht über den Weg trauen.«
»Vielleicht«, sagte nun wieder John Gallagher. »Aber diesmal trägt Mendoza auch seine eigene Haut zu Markte. Da wird er sich hüten, mit falschen Karten zu spielen.«
Unterhalb einer steinernen Terrassenbrüstung, die sich als heller Saum an der Hinterfront des Palacio hinzog, erkannte man nun bereits geduckt hastende Gestalten. Das mußten Ramon de Mendoza und die Mexikaner sein. Am Rand des Hofes, noch im Schatten eines flachen Gebäudes, wies Calvaro gerade Obadja Sterling und seine Burschen ein. Zwei der Gruppen bezogen also schon ihre Ausgangspositionen. Auch für die Brüder Gallagher und die dazugehörigen Männer wurde es Zeit, da sie den weitesten Weg bis an die Vorderseite des schloßartigen Gebäudes zurückzulegen hatten und dabei den weiten Hof überqueren mußten.
John Gallagher blickte sich kurz um. Clayton Gunn und die zwei Banditen machten sich zum Sprung bereit. Dasselbe galt für Kirk Gallagher und den kantigen Duff Yarnell. Calem Fisher stand geduckt hinter einem Hibiskus-Busch, dessen Blüten hell durch die milchige Dämmerung schimmerten. In erster Linie aber galt John Gallaghers Blick seinen beiden eigenen Leuten, und er war nicht erstaunt, den hühnenhaften Neger und seinen kleinen, krummbeinigen Partner dicht hinter sich zu entdecken. Auf Zachary und Jethro war Verlaß. Was auch immer in den nächsten Minuten geschah, sie würden ihm nicht von den Fersen weichen.
»Los!« stieß John Gallagher gepreßt hervor. In gebückter Haltung rannte er über den Hof, geradewegsauf die Seitenfront des Palacio zu, wo sich vor ihnen die dunklen Bögen eines Arkadenganges auftaten. Das gedämpfte Fußgetrappel verriet ihm, daß die ganze Gruppe dichtauf folgte.
Die hintere Terrasse des großen Gebäudes endete mit einer Art halbrunden Bastion, und hier sah Gallagher plötzlich eine schattenhafte Gestalt auftauchen. Er hatte den Finger schon am Abzug, als er Jesse Szabo erkannte. Der Mann fuhr herum und zuckte zusammen. Instinktiv benutzte er das weiße Taschentuch, das er bereits in der Hand hielt, um sich das Gesicht zu wischen, und dabei keuchte er atemlos: »Wo bleiben Sie denn, Gallgaher? Ich soll nach Ihnen und Ihren Leuten sehen und dachte, daß Sie schon an der Vorderseite sind.«
»Das werden wir gleich sein«, knurrte John Gallagher. »Also rennen Sie nicht in der Gegend herum wie ein verstörtes Huhn, Szabo.«
Unterhalb des Terrassenendes wandte er sich mit den anderen nach links, während Jesse Szabo in der entgegengesetzten Richtung lief. Es sah ganz so aus, als habe die nervenzermürbende Erwartung des Kampfes
Szabo völlig kopflos gemacht. Doch Gallagher gestand sich ein, daß es auch ihm fast lieber gewesen wäre, wenn dieser Kampf schon begonnen hätte. Die Stille war geradezu unheimlich.
Unter ihren Schritten knirschte der Kies, bis sie endlich zu einer breiten Freitreppe gelangten. Clayton Gunn und seine Burschen stürmten bereits die wenigen Stufen hinauf, als Calem Fisher plötzlich scharf hervorstieß: »Was ist denn mit Szabo los? Ist dieser klebrige Bursche übergeschnappt?«
Gallagher fuhr herum und sah den Schatten, der auf eines der Wirtschaftsgebäude losrannte. Daß es sich tatsächlich um Jesse Szabo handelte, konnte man nur aus dem weißen Taschentuch schließen, das er jetzt wie eine Parlamentärflagge schwenkte, während er unvermittelt ins Stolpern geriet.
»Achtung, da!« keuchte Jethro plötzlich und ließ in seiner Lautstärke jegliche Vorsicht außer acht. Mit seiner Schrotflinte deutete er auf eine offene Wagenremise, in deren dunkler Höhlung ein metallisches Blinken zu erkennen war.
»Fuego!« schrillte von dort eine überschnappende Stimme. Im selben Moment krachte die Salve.
Fünf oder sechs Mündungsfeuer waren auf den ersten Blick zu erkennen. Sie wirkten wie ein orangefarbene Blitze, die für einen Sekundenbruchteil das Innere des dunklen Schuppens erhellte. So erkannte man aufgestapelte Fässer und Kisten, die zu einer Brustwehr zusammengetragen waren, und dahinter helle Gesichter und blitzende Uniformknöpfe.
Zachary gab ein heiseres Stöhnen von sich und brach in die Knie. Jethro packte ihn mit der linken Hand um die Schulter und hielt ihn aufrecht, während er mit der Rechten seine Schrotflinte abfeuerte. Aus der Remise ertönte ein Schmerzensschrei, und daneben vernahm man deutlich das Prasseln, als ein Teil der Buckshot-Ladung die Brustwehr traf. Auch John Gallagher schoß mit seinem Karabiner, und sein Bruder Kirk eröffnete das Feuer aus beiden Colts zugleich.
»Dieser Hund!« heulte Calem Fisher, der am Schenkel getroffen war und nur noch schwankend auf den Beinen stand. »Er hat uns an die Greaser verraten!«
Die wilde Anklage galt selbstverständich Jesse Szabo, der sich stolpernd in Deckung zu bringen suchte und noch immer verzweifelt mit seinem Taschentuch winkte. Er war noch ein ganzes Stück von der Schuppenecke entfernt, als er plötzlich herumgerissen wurde. Calem Fishers erste Kugel schien ihn in die Seite getroffen zu haben, denn sein Oberkörper knickte nach links. Obwohl nun auch die Mexikaner im Schuppen ihr Feuer fortsetzten, ließ es der magere Revolvermann nicht bei diesem ersten Treffer bewenden. Jesse Szabo reckte noch immer das Taschentuch in die Höhe, als ob er damit die Kugeln abwehren könnte. Dann plötzlich sank seine Hand herab, und er kippte schlaff nach vorn.
Calem Fisher hatte sich mit den Schüssen auf den Verräter zu lange aufgehalten und dabei auf jede Deckung verzichtet. Hinkend lief er nun die wenigen Stufen der Freitreppe hinauf. Auf einmal, als er gerade bei Clayton Gunn und dessen Kumpanen angelangt war, zuckte er zusammen und begann wei ein Betrunkener zu taumeln. Im nächsten Augenblick folgter der schmetternde Feuerschlag von den Arkaden. Calem Fisher, der Revolvermann, rollte die Freitreppe der Terrasse hinab, die er Sekunden zuvor erst heraufgestolpert war.
Seit dem Krachen der ersten Salve gab es keinen Zweifel mehr, daß sie in einen Hinterhalt der Palastwache geraten waren. In gewissem Sinne schien Ramon de Mendoza recht zu behalten, es war kein Mexikaner, der sie verraten hatte, sondern der verschlagene Amerikaner Jesse Szabo. Die Leibgarde von Antonio Villegas hatte sich nicht nur drüben in der Remise und ein paar weiteren Quartieren und Wirtschaftsgebäuden verschanzt, sondern ein paar Burschen steckten auch unter den dunklen Arkaden an der Seitenfront des Gebäudes. Sie alle hatten abgewartet, bis sich der größte Teil der Angreifer zwischen ihnen befand und damit in ein mörderisches Kreuzfeuer geraten mußte. Aber auch an der Rückseite des Palacio, wo sich Mendoza mit seinen Gresern befand, ertönte nun das Krachen von Schüssen.
Außer Calem Fisher war auch Floyd Nash getroffen worden, der sich zusammen mit Clayton Gunn und Sid Hagney bereits oben auf der Terrasse befand. Der Kugeleinschlag warf ihn zurück bis gegen die steinerne Balustrade neben der Treppe, hinter der er und die anderen hatten Deckung suchen wollen. Doch es gab keine Deckung gegen die Schüsse, die nun auf kürzeste Distanz unter den Arkaden, also hinter ihrem Rücken, abgefeuert wurden. Floyd Nash lag bereits auf den Knien, aber noch in dieser verkrümmten Stellung jagte er sein Blei zu jenen dunklen Bögen und Pfeilern hinüber, wo mindestens drei oder vier Gegner stecken mußten.
Für Clayton Gunn und Sid Hagney gab es nur eine Alternative: Wenn sie wieder die Treppe hinabliefen, setzten sie sich den Schüssen von der Remise aus und hatten kaum einen Chance, bis zu dem steinernen Brunnen oder den Steinbänken zu gelangen, hinter denen Gallagher und die anderen zunächst Deckung gesucht hatten. Blieben sie jedoch oben auf der Terrasse, dann fielen sie unweigerlich den Kugeln der Burschen unter den Arkaden zum Opfer.
In diesem Moment bewies Clayton Gunn, daß er nicht umsonst zum gefürchtetsten Desperado im Südwesten der Staaten aufgestiegen war. Während Floyd Nash das Feuer der Gegner auf sich zog, faßte er blitzschnell den einzig möglichen Entschluß und hetzte in geduckten Zickzacksprüngen zur Ecke des Palacio hinüber, wo der Arkadengang anscheinend endete. Sid Hagney wurde von diesem Beispiel mitgerissen und stürmte ihm nach. Wie durch ein Wunder gelangten sie heil bis zu einem der massiven Pfeiler. Dann schnellte sich Clayton Gunn auch schon vor und eröffnete aus beiden Waffen ein rasendes Schnellfeuer den Gang entlang.
Durch ihren jähen Angriff hatten sie die Verteidiger des Palacio von der Seite erwischt und stifteten panische Verwirrung. Eine uniformierte Gestalt warf sich herum und wurde noch in der Drehung von den Beinen gefegt. Und schon jagte Clayton Gunn entschlossen wieder vorwärts.
Ihre Schüsse weckten in dem Bogengang einen dumpfen Hall. Auf kürzestes Entfernung zuckte Clayton Gunn blendend ein Mündungsfeuer entgegen, als er gerade hinter einem Pfeiler hervorsprang. Mit einem wilden Satz sprang er die uniformierte Gestalt an, die mit dem Gewehr auf ihn geschossen hatte. Zum Nachladen oder Repetieren ließ er dem Mexikaner keine Zeit mehr. Während der Mann kreischend rückwärts wankte, drückte der Desperado ab. Klappernde Schritte am anderen Ende der Arkaden verrieten, daß sich wenigstens ein Gegner in Sicherheit gebracht hatte.
Floyd Nash lag bei der Balustrade auf dem Gesicht, und auch Calem Fisher am Fuße der Treppe regte sich nicht mehr. Weiter hinten auf dem offenen Hof waren drei dunkle Flecke zu erkennen. Dort mußte Obadja Sterling mit seiner Gruppe von der ersten mörderischen Salve erfaßt worden sein. Doch der bärtige Revolvermann selbst hatte offenbar überlebt, man hörte sein krächzendes Gebrüll zwischen den Wirtschaftsgebäuden. Anscheinend unternahm er, ähnlich wie Clayton Gunn unter den Arkaden, mit dem Rest seiner Crew den Versuch, die Stellung der Gegner von der Flanke her aufzurollen.
Am kritischsten jedoch war zweifellos die Lage der Gallaghers. Die beiden Brüder hatten sich hinter den Steinbänken zu Boden geworden und schossen in die Remise, wo immer wieder die Mündungsfeuer aufblitzten. Jethro hatte seinen verwundeten Gefährten mitgeschleppt und kauerte nun hinter dem Rand eines Brunnens, kaum mehr als fünfundzwanzig Yards von dem offenen Wagenschuppen entfernt. Seine Situation war beinahe hoffnungslos zu nennen, denn es bestand nicht die geringste Chance, von dieser Stelle jemals wegzukommen, ohne daß ihm die Haut durchlöchert wurde.
Wie es um den verwundeten Zachary stand, war aus der Entfernung nicht zu unterscheiden. Der kleine, krummbeinige Zureiter lag auf dem Rücken, nur Schultern und Kopf gegen den steinernen Brunnenrand gelehnt, und rührte sich nicht. Etwas anderes kam noch hinzu: Solange die fünf oder sechs Mexikaner in der Remise mit ihrem Feuer den ganzen Hof und einen großen Teil der hinteren Terrasse beherrschten, war an eine Fortführung des Angriffs gegen den Palacio gar nicht zu denken. Also mußte etwas geschehen, wenn das ganze Unernehmen nicht schon jetzt mit einer Katastrophe enden sollte.
Es war John Gallagher, der daraus als erster eine Schlußfolgerung zog. Er wandte sich um und sah für einen Moment Clayton Gunn hinter der Balustarde der Terrasse auftauchen.
»Aufgepaßt, Gunn!« rief er scharf. »Und auch du, Kirk! Ich brauche Feuerschutz, damit ich heil an den verdammten Brunnen komme. Habt ihr begriffen?«
»Dann nur los, Gallagher!« klang aus dem Gebüsch am Fuße der Terrasse die Stimme Duff Yarnells, der schon seit geraumer Zeit unsichtbar geblieben war. »Wir werden es den Greasern schon geben.«
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als auch schon sein Gewehr krachte. Clayton Gunn und Sid Hagney begannen ebenfalls zu feuern, und einen Moment später mischten sich in das hämmernde Stakkato ebenfalls Kirks Revolver. Der Erfolg dieses Bleihagels war insofern zweifelhaft, als man in dem dunklen Schuppen kein Ziel ausmachen konnte, doch zumindest wurden die Gegner dadurch für kurze Zeit in Deckung gezwungen. Genau darauf hatte John Gallagher gewartet. Er schnellte hoch, sprang über die Bank hinweg und hetzte geduckt zu Jethro hinüber. Tatsächlich wurde nur ein einziger Schuß aus der Remise auf ihn abgegeben, der zu seinen Füßen den Kies aufspritzen ließ. Dann warf er sich bereits in einem Hechtsprung zu Boden und zerrte die Satteltaschen von der Schulter.
»Zachary?« keuchte er abgerissen.
Jethro wirkte selbst in dieser kritischen Lage noch ruhig und beherrscht.
»Tot«, sagte er leise und schob zwei neue Patronen in die qualmenden Kammern seiner Doppelflinte. »Ich wollte ihn noch verbinden, aber es hat nichts mehr genützt.«
Nur einen kurzen Blick warf John Gallagher auf das wächserne, stille Gesicht des kleinen Zureiters, aber seine Lippen waren aufeinandergepreßt, als er Streichhölzer und eine zerknitterte Zigarre aus der Tasche zerrte.
»Sind Sie verrückt, Gallagher?« rief Duff Yarnell herüber. »Wollen Sie etwa jetzt rauchen?«
Unbeirrt fuhr John Gallagher in seinen Hantierungen fort und zündete die Zigarre an.
Schweigend hatte Jethro die Vorbereitungen verfolgt. Erst als Gallagher einen der Kartuschbeutel wurfbereit in der Hand hielt und noch einmal stark an der Zigarre zog, fragte er: »Fertig?«
John Gallagher nickte. Er drückte nun die Glut der Zigarre ungefähr auf die Mitte der schwarzen Lunte, die sofort zu sprühen begann. In zwei Richtungen pflanzten sich die Funken fort. Wenn die Brenndauer der gesamten Lunte auf zehn Sekunden berechnet war, dann mußte die Hälfte in genau fünf Sekunden abbrennen. Gallagher bog den Arm zum Wurf und stemmte sich mit der Linken etwas in die Höhe, um über den Brunnenrand hinwegzuspähen. Im selben Momeht erhob sich auch Jethro ein wenig aus seiner kauernden Haltung und feuerte rasch nacheinander die beiden Läufe seiner Schrotflinte ab. Noch während er sich wieder zurücksinken ließ, flog die Ladung bereits durch die Luft.
Die sprühende Zundschnur wirkte wie ein Komet, so daß man ihre Bahn deutlich verfolgen konnte. Sie beschrieb einen flachen Bogen bis hinüber in die dunkle Höhlung und schien erst dort plötzlich von der Finsternis verschluckt zu werden. Aber kaum eine Sekunde später erfolgte die schmetternde Detonation. Der grelle Lichtschein flackerte schlagartig auf und erhellte ein verwirrendes Bild, während gleichzeitig bis zur Terrasse hin die Druckwelle spürbar wurde. Im Hintergrund der Remise glaubte man eine lackierte Kalesche und die Umrisse einer großen Kutsche zu erkennen. Davor wirbelten irgendwelche dunklen Gegenstände duch die Luft, die vorher die Brustwehr gebildet hatten. Die Ladung schien unmittelbar dahinter explodiert zu sein, so daß diese Deckung förmlich zerfetzt wurde. Zugleich aber schien sich auch das Dach der Remise zu heben und aufzulösen. Weißer Pulverqualm wogte auf, und noch ehe er sich verziehen konnte, klatschten dutzendfach der tönernen Ziegel herab. Dazwischen hörte man nun die Schmerzensschreie. Eine Gestalt, offenbar von Grauen geschüttelt, suchte davonzurennen und wurde von Sid Hagney niedergestreckt.
Es bedurfte keiner besonderen Aufforderung, damit die hartgesottene Mannschaft gleich nach dem krachenden Donnerschlag wieder zu schießen begann.
Als wenige Augenblicke später die Schüsse verstummten, regte sich in der halbzerstörten Remise nichts mehr. Um so deutlicher hörte man das Gebrüll Obadja Sterlings, der anscheinend mit dem Rest der Crew in das Quartier am Rand des Hotels eingedrungen war und dort den letzten Widerstand niederkämpfte. Ein paarmal krachten noch dumpf die Colts, dann wurde es auch dort still. Nur an der Rückfront des Palacio wurde noch immer gekämpft.
Die letzten Pulverschwaden zogen träge über den Hof, und an dem langgestreckten Quartier der Palastwache tauchten drei Schatten auf. Es waren nur noch Obadja Sterling, One-Eyed-Cole und Ale Canary mit seiner schiefsitzenden Armeekappe. Einen Augenblick später klang dann schon die brüllende Stimme Obadja Sterlings herüber.
»Wir haben’s geschafft! Wir haben diese hinterhältige Bande wahrhaftig erledigt! Und jetzt kommen wir den anderen Greasern in diesem verdammten Palacio auf den Hals!«
Die brennende Zigarre fest zwischen die Zähne geklemmt, rannte John Gallagher unterhalb der Terrasse zur Rückfront des Gebäudes hinüber, wo Ramon de Mendoza und seine Mexikaner offenbar festlagen und gegen das Feuer der Verteidiger nicht mehr von der Stelle kamen. Das Gewehr hatte Gallagher seinem Bruder überlassen, so daß er die Satteltaschen mit den Pulverladungen besser festhalten konnte. Noch während er geduckt zu dem Hidalgo hinüberhetzte, spürte er plötzlich ein Zerren an seinem Ärmel und einen brennenden Schmerz an seinem Oberarm. Eine Kugel hatte ihn gestreift, konnte ihn aber nicht nennenswert verletzt haben, da sein Arm voll beweglich blieb und der Schmerz schon nach Sekunden wieder verebbte.
Er legte das letzte Stück bis zu den beiden Männern kriechend zurück.
Es handelte sich um den Hidalgo und Majadero. Ein starres, kalkiges Lächeln der Verzweiflung spielte um Mendozas Lippen. Er hatte seinen prächtigen Sombrero verloren, und an seiner Wange zeigte sich eine blutige Schramme.
»Verloren!« stieß er abgerissen hervor. »Ich glaube, wir haben dieses Spiel verloren, noch ehe wir richtig beginnen konnten, Señor. Gegen dieses Feuer kommen wir nicht an. Sie haben den Palacio in eine Festung verwandelt. Es war Jesse Szabo, nicht wahr?« setzte er zusammenhanglos hinzu.
John Gallagher nickte grimmig und riß die Zigarre aus dem Mund.
»Und das ist Ihre Schuld, Mendoza«, knurrte er finster. »Sie haben sich aufs hohe Roß gesetzt und jede Möglichkeit des Verrats weit von sich gewiesen. Szabo hingegen scheint sehr wohl überlegt zu haben, daß er mit einem Verrat an Villegas mehr verdienen konnte, als Sie ihm jemals gezahlt hätten. Szabo ist bereits tot.«
Von der Rückseite des Palacio wurde wieder geschossen. Zwei Kugeln schlugen über ihnen gegen die Mauerkrone und ließen große Stücke von Verputz herabklatschen. Zugleich aber krachte es auch von rechts herüber. Es gab dort ein kleineres Gebäude, eine Art Kavaliershaus, das offenbar die Toreinfahrt des Palacio beherrschte und nicht genau zu erkennen war, weil sich an seinen Mauern irgendwelche dunklen Gewächse emporrankten. Dort mußte sich ein weiterer Teil der Palastwache verschanzt haben.
Die Zusammenhänge ließen sich daraus ziemlich klar rekonstruieren. Offenbar war seine Exellencia von Jesse Szabo unterrichtet worden, daß mit einem nächtlichen Überfall zu rechnen war. Doch die Informationen gingen nicht so weit, daß sich daraus auch die Richtung des Angriffs ergeben hätte. Antonio Villegas mußte demnach alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und seine Wachen so verteilen, daß sie jeder Lage gewachsen waren. Dabei schien er sehr wohl überlegt zu haben, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Angriff vom Aroyo her sprach. Der Schwerpunkt der Verteidigung lag natürlich im Palacio selbst. Daneben jedoch war die Remise jenseits des Hofes in eine Bastion verwandelt worden, und dasselbe galt vermutlich für das Kavaliershaus neben dem Tor. Zwar ergab sich dadurch eine Verzettelung der Kräfte, doch andererseits konnte Don Antonio Villegas sicher sein, daß die Angreifer in ein vernichtendes Kreuzfeuer gerieten, von welcher Seite auch immer sie kamen. Eine der äußeren Bastionen war nun vernichtet. Und die andere würde keine entscheidende Rolle mehr spielen, wenn man den Palacio vom anderen Flügel her zu stürmen versuchte. Nach der Lage des befestigten Torhauses war es sogar fraglich, ob die Männer dort überhaupt die Vorderseite des Palacio bestreichen konnten. In jedem Falle jedoch waren die Verteidiger des großen Prunkbaues nicht zahlreich genug, um sich auf allen Seiten gleichzeitig wirksam zur Wehr zu setzen, wenn sie nicht durch die Außenposten unterstützt wurden.
Innerhalb weniger Augenblicke hatte John Gallagher diese Zusammenhänge erkannt, daraus die einzig mögliche Folgerung gezogen. Im Grunde sprach nichts dagegen, auch jetzt noch nach ihrem ursprünglichen Plan vorzugehen. Auf dieser Seite war ein direkter Angriff zum Scheitern verurteilt, und zudem war die Entfernung vom Rand der Terrasse bis zur Rückfront des Palacio zu groß, um auch hier mit Pulverladungen zu arbeiten. Immerhin, sie hatten den ersten Verteidigungsring aufgebrochen, verfügten nun über Bewegungsfreiheit auf dem Hof und am westlichen Flügel des Palacio. In kurzen Worten unterrichtete Gallagher den Kreolen von seiner Absicht. Mendoza schien wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Verluste seiner Gruppe schienen sich in engen Grenzen gehalten zu haben. Im Vergleich zu der hartgesottenen Mannschaft waren die Mexikaner bisher glimpflich davongekommen.
Auf demselben Weg, den er gekommen war, kehrte Gallagher auch wieder zurück. Er fand seine Crew im Schutze der Arkaden und hastete gleich weiter den dunklen Bogengang entlang bis zur nächsten Ecke. Von hier aus konnte man die Vorderfront des Palacio überblicken.
»Ein hübsches Häuschen hat dieser Don Antonio Villegas sich eingerichtet«, fauchte Clayton Gunn ironisch, als er neben Gallagher auftauchte. »Für manche Burschen scheint sich die Revolution doch gelohnt zu haben.«
»Yeah«, zischte Obadja Sterling. »So ein bescheidener Garten war auch immer mein Traum.«
Was er hier als bescheidenen Garten bezeichnete, war in Wirklichkeit eine prächtige Parkfläche, die sich vom Palacio über das leicht abfallende Gelände bis zu einer dunklen Baumreihe erstreckte.
Eine breite Auffahrt, von kunstvollen Balustraden eingefaßt, führte zu dem prächtigen Portal, das seinerseits von wappengeschmückten Säulen flankiert wurde. Selbst die unterste Reihe der Fenster lag so hoch, daß schon aus diesem Grunde ein Eindringen schwierig gewesen wäre. Zudem aber waren sie mit stilvoll gearbeiteten Gittern aus schwerem Schmiedeeisen versehen. Sobald John Gallagher das erkannt hatte, sah er auch ein, daß Ramon de Mendoza recht gehabt hätte, es blieb wirklich nur der Weg durch das schwere Portal
»Diesmal könne Sie’s mir überlasen, Gallagher«, knurrte Clayton Gunn, als er sah, wie John Gallagher eine der Satteltaschen entleerte. »Geben Sie die Dinger nur her!«
Er hatte seinen Hut abgenommen, ausgebeult und verstaute darin insgesamt sieben der prallgefüllten Kartuschbeutel.
»Jetzt noch die Zigarre«, sagte er mit einem wilden Grinsen. »Halten Sie mir nur die Greaser vom Hals, dann haben wir gleich freie Bahn.«
Nach diesen Worten zog er demonstrativ die Oberlippe in die Höhe, so daß ihm John Gallagher die Zigarre zwischen die Zähne schieben konnte. Im nächsten Moment hetzte er dann schon in langen Sprüngen los.
Die halbe Strecke bis zur Auffahrt legte er unangefochten zurück. Dann aber mußte er weiter nach links abbiegen und sich dabei von der Wand des Palacio entfernen. Da peitschten auch schon zwei Schüsse.
»Los!« keuchte Sid Hagney. »Jetzt geben wir’s ihnen!«
Er und Obadja Sterling stürmten bereits vorwärts, und unmittelbar hinter ihnen folgte die hünenhafte Gestalt Jethros.
Die Schüsse waren aus den Fenstern des Palacios gekommen. Deshalb mußten die Männer erst von der Wand Abstand gewinnen, um das Feuer zu erwidern, und gerieten dabei zwangsläufig selbst aus dem toten Winkel in das Schußfeld der Mexikaner. Das Risiko war unvermeidlich. Sie mußten Clayton Gunn freie Bahn schaffen, wenn das Portal gesprengt werden sollte. Duff Yarnell stürmte ebenfalls los, dann schlossen sich auch die anderen an, Kirk Gallagher, One-Eyed-Cole, Al Canary. Nur John Gallagher blieb
noch an der Wand zurück, weil er die Satteltaschen wieder schultern mußte.
Er schaute in die grellen Mündungsfeuer der Männer, die nun zu den Fenstern hinaufschossen und sich bereits über die halbe Vorderfront des Palacios verteilten. Sid Hagney war am eifrigsten bei der Sache und feuerte in vollem Lauf, während er ebenfalls zu der Ausfahrt hinüberhetzte. Doch plötzlich stockte er mitten in der Bewegung, als ob er gegen eine Wand geprallt wäre, und drehte sich halb um. Dann brach Sid Hagney bereits auf den Steinplatten bei der Auffahrt zusammen. Noch im Niedersinken wurde er zum zweitenmal getroffen.
Mit verkrampfter Miene starrte John Gallagher auf Clayton Gunn, der inzwischen beim Portal angelangt war und sich dort beschäftigte. Mit einemmal sprang der untersetzte Bandit dann auf, rannte davon und brüllte etwas Unverständliches, als er sich hinter die Balustrade der Auffahrt warf. Auch die anderen Burschen, die sich schon in der Nähe befanden, suchten hastig Deckung.
Ein paar endlose Sekunden verstrichen, dann ließ ein Donnerschlag den Boden erzittern. Die Detonation war um ein Vielfaches stärker als jene in der Remise. Grellweißer Lichtschein zuckte auf wie ein Blitz, und die Druckwelle ließ die Scheiben an der Vorderfront bersten. Das Portal samt den Säulen verschwand in einer weißen Qualmwolke.
John Gallagher hielt die Satteltaschen fest und stolperte vorwärts. Dann sah er die Wirkung der Explosion. Ein Flügel des Portals hing nur noch schief in den Angeln, der andere war zerschmettert und nach innen hinweg und durch den beißenden Pulverqualm stürmten Clayton Gunn und Obadja Sterling in den Palacio hinein.
Die nächsten Minuten waren wie ein einziger Alptraum. Nur vom Aufblitzen der Mündungsfeuer wurde die prunkvolle Halle des Palacio erhellt. Selbst hier hatte die Druckwelle noch verheerend gewirkt. Mitten im Raum lagen die Trümmer des großen Kronleuchters.
Vom Taumel dieses Angriffs wurde John Gallagher mitgerissen. Am Fuße einer breiten, geschwungenen Treppe glaubte er seinen Bruder und Duff Yarnell zu entdecken. Sein Gesamteindruck setzte sich nur aus einer rasenden Folge einzelner Bilder zusammen, die sich ihm nur für Sekundenbruchteile enthüllten, wenn neue Mündungsflammen den großen Raum mit seinen Türen, Ecken und Winkeln aus der Dunkelheit rissen. Eben noch feuerten zwei Uniformierte oben von der Treppe, dann lagen sie plötzlich verkrümmt auf den Stufen. Neue Männer tauchten in einem breiten Durchgang unterhalb der Treppe auf. Gallagher sah verzerrte Gesichter und glitzernde Epauletten, als sie das Feuer eröffneten. Er selbst schoß nur instinktiv auf die Mexikaner unter der Treppe. Den Uniformen nach mußten sich einige Offiziere oder Personen von Rang darunter befinden. Zweifellos handelte es sich um dieselben Männer, die noch bis vor wenigen Augenblicken die Rückfront des Palacio gegen Mendoza und seine Burschen verteidigt hatten.
In seiner charakteristischen, zusammengeduckten Haltung stand Clayton Gunn hinter einem schlanken Pfeiler und feuerte aus beiden Colts. In gleicher Weise schoß Kirk Gallagher vom Fuße der Treppe her. Obadja Sterling lag hinter den Trümmern des Kronleuchters, und Duff Yarnell kauerte ein Stück entfernt hinter einem Möbelstück. Und sie alle richteten ihr Feuer nun auf die Gruppe der Verteidiger in dem breiten Durchgang unter der Treppe.
Die Entscheidung brachte das Eingreifen Ramon de Mendoza mit seinen Mexikanern. Zweifellos hatten sie nur auf den Donner der Explosion gewartet, um auch ihrerseits zum Sturm auf die Rückseite des Palacio anzusetzen, da nun plötzlich keine Verteidiger mehr zu sehen waren. Auf welche Weise sie es geschafft hatten, in das Gebäude einzudringen, war in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Jedenfalls krachten plötzlich auch hinter dem Rücken der Uniformierten Revolverschüsse.
Ein Mann schrie gellend auf, und ein anderer suchte vor der so unvermutet hinter ihm auftauchenden Bedrohung in verzweifelten Sätzen eine Tür zu erreichen. Im Aufblitzen der Schüsse erkannte John Gallagher ein bleiches Gesicht, das von einem schwarzen, sorgfältig gestutzten Kinnbart eingerahmt wurde. Der Mann turg eine Art Diplomatenfrack mit hohem Kragen und üppiger Goldstickerei, deren Glitzern ihm jetzt zum Verhängnis wurde. Denn eine andere Gestalt jagte ihm in wahren Panthersätzen nach und hatte ihn schon fast erreicht, als er mit der Schulter gegen die Tür rannte und sich herumwarf.
Der Verfolger war Ramon de Mendoza. John Gallagher hegte keinen Zweifel, daß es sich bei dem anderen Mann um Don Antonio Villegas handelte. Innerhalb von Sekunden fand das blutige Drama dann seinen Abschluß. Villegas war mit zwei funkelnden Pistolen bewaffnet und suchte sich seines Verfolgers zu entledigen. Doch er hatte sich zu spät herumgeworfen. Mendoza feuerte auf weniger als vier Schritte Entfernung. Villegas sackte zusammen und fiel in die Türnische. Er brachte nicht einmal mehr die Kraft auf, selbst abzudrücken. Mendoza schoß weiter, bis endlich der Hahn seiner Waffe nur noch auf taube Kartuschen schlug.
In der nachfolgenden Stille hörte man nur das Stöhnen eines Verwundeten unterhalb der Treppe.
Endlich ließ die nervenzerfetzte Anspannung der Männer nach.
»Licht!« klang die gequetschte Stimme Clayton Gunns durch die Dunkelheit. »Verdammt, will denn nicht endlich jemand Licht machen?«
Wenige Augenblicke später flammte ein Zündholz auf. Es war Obadja Sterling, der es angerissen hatte. Der Schimmer beschränkte sich auf einen kleinen Umkreis, aber er brach sich glitzernd in den Facetten des zertrümmerten Kronleuchters. Der bärtige Revolvermann bückte sich und hatte plötzlich eine Kerze in der Hand, von denen noch eine ganze Menge zwischen den Scherben herumlag.
Argwöhnisch und mit schußbereiten Waffen sahen sich die Hartgesottenen um. Doch es gab keinen Gegner mehr, den man hätte bekämpfen müssen. Clayton Gunn kam hinter seiner Säule hervor, stieß einen seiner Colts ins Futteral und hob ebenfalls eine Kerze auf. Er entzündete sie an der anderen, die Obadja Sterling hielt, und befestigte sie mit ein paar Tropfen Wachs auf dem Ende des marmornen Treppengeländers.
»Also noch einer«, knurrte er rauh, als er mit einem langen Schritt über einen Toten hinwegtrat. Es war One-Eyed-Cole. Er lag auf dem Rücken.
Wie sich wenig später herausstellte, fehlte auch aus Mendozas Gruppe ein Mann, der stumme Majadero. Die ursprünglich über zwanzigköpfige Desperado-Mannschaft war auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen. Aber sie hatten gesiegt, und nichts trennte sie mehr von dem Gewölbe unter dem Palacio, in dem sich nach Mendozas Informationen der von Villegas zusammengeraubte Schatz befinden mußte.
Noch mehr Kerzen wurden angezündet. Ramon de Mendoza stand vor einem überlebenden Mann der Palastwache und hielt ihm eine der Patronen aus seinem Gürtel vor das Gesicht, ehe er fortfuhr, seinen Revolver nachzuladen. Er redete dabei auf den Uniformierten ein und sprach Spanisch, aber der drohende, zynische Klang seiner Stimme machte allen anderen klar, was er von seinem Opfer verlangte.
Das Gesicht des Mannes war grau vor Furcht und verzerrte sich im Schein der Kerze, die von Calvaro gehalten wurde, als Mendoza seine Waffe auf ihn richtete und den Hahn spannte. Mit zitternder Hand deutete der Leibwächter von Antonio Villegas auf eine Tür im hintersten Winkel unter der Treppe. Mendoza zog ihn an der Schulter herum und stieß ihn mit der Revolvermündung voran. Aber ehe sie die Tür erreichten, wandte er sich noch einmal um und sagte: »Es stecken immer noch ein paar von diesen Kanaillen im Torhaus, und auch oben könnten sich noch welche befinden. Ein paar Mann müsen also hierbleiben, um uns den Rücken zu decken.«
»Ich«, sagte John Gallagher und erschrak über den fremden, mutlosen Klang seiner eigenen Stimme. »Ich bleibe mit Jethro hier.«
Der Hidalgo nickte befriedigt. »Das ist in Ordnung, Gallagher. Aber geben Sie uns die Satteltaschen mit. Es könnte sein, daß wir noch eine von den Ladungen brauchen. Sie haben doch noch welche übriggelassen?«
Es war Kirk Gallagher, der zu seinem Bruder kam und die Satteltaschen übernahm. Er und Clayton Gunn drängten sich unmittelbar hinter Mendoza und dem Mestizen die Kellertreppe hinab, die gleich hinter der Treppe zu beginnen schien. Dahinter folgten die anderen, Al Canary, Jimenez und Pablo Robles. Letzterer trug ein merkwürdiges Bündel unter dem Arm, anscheinend waren es zusammengerollte Lederbeutel oder geschmeidige Satteltaschen. Außer John Gallagher und dem Neger blieb nur Duff Yarnell in der Halle zurück. Er hockte auf der untersten Treppenstufe und umwickelte knurrend seinen Schenkel mit einer blauen Schärpe, die er einem der Toten abgenommen hatte.
John Gallagher lud seine Colts nach und kehrte an das zertrümmerte Portal zurück. Unter jedem Schritt knirschten die Glasscherben am Boden.
Er hatte sich frische Luft gewünscht, aber der beißende Pulvergeruch war in der Nähe des Palasteinganges womöglich noch stärker, was man sich mit der Pulverexplosion leicht erklären konnte. So ging Gallagher nach draußen und spähte vorsichtig die Vorderfront entlang. Sie hatten noch immer mit jenem Teil der Palastwache zu rechnen, der sich vorn im Torhaus befand. Es konnte sich dabei nochmals um fünf oder sechs Mexikaner handeln. Doch ihnen schien die Lust an weiterem Kampf vergangen zu sein, denn alles blieb still, auch als Gallagher ein Stück die Auffahrt hinabging.
Nach kurzer Zeit erklangen Schritte. Gallagher wandte sich um und sah Jethro aus dem verwüsteten Portal kommen.
Beide hörten deutlich Hufgetrappel. Es mußte von zwei Pferden herrühren, die schonungslos angetrieben wurden. Wahrscheinlich suchten zwei Männer aus dem Torhaus das Weite, um die Garnison in Caborca zu alarmieren.
»Jetzt holen sie uns die Lanzenreiter auf den Hals«, sprach Jethro auch Gallaghers Vermutung aus. »Wenn Mendoza sich nicht beeilt, dann kann es doch noch einmal rauh werden.«
Als habe er damit ein Stichwort gegeben, erzitterte im gleichen Augenblick der Boden unter dem dumpfen Grollen einer Explosion, die tief im Gewölbe des Palacio stattfand. Aus der Halle hörte man ein befriedigtes Krächzen Duff Yarnells. Auch er schien aus dem Krachen den Schluß zu ziehen, daß sich die Desperados mit dieser Sprengung endgültig Zugang zu dem legendären Schatz verschafft hatten. Und damit hatte er recht.
Ramon de Mendoza und die anderen preßten sich zu diesem Zeitpunkt hinter einer Ecke des Gewölbeganges gegen die Wand und husteten sich die Seele aus dem Leib. Die Druckwelle der Detonation hatte ihre Kerzen ausgelöscht, doch hatte sich inzwischen eine Laterne mit einem Windglas gefunden, die indes mit ihrem Schimmer kaum die erstickende Staubwolke durchdrinen konnte, die sich den Gang entlangwälzte. Es dauerte fast eine Minute, bis sich Pulverqualm und Staub weit genug verzogen hatten, daß sie wieder vorwärtstappen konnten.
Sie fanden die eisenbeschlagene Tür aus den Angeln gerissen. Noch immer schob Mendoza den schlotternden Palastwächter vor sich her. Er ließ den Hahn seines Revolvers erst einrasten, als er in dem kleinen Kellergewölbe die beiden Truhen entdeckte. »Aufmachen!« befahl er mit schriller Stimme, und in seinen Augen zeigte sich ein gieriges Funkeln.
Mehr und mehr lichtete sich der Staub. Zwei oder drei Kerzen wurden erneut angezündet, und im Nu drängten sich die Männer um die massiven, mit schmiedeeisernen Bändern verstärkten Truhen, deren Schlösser Clayton Gunn und Obadja Sterling mit mehreren Schüssen aufsprengten. Es war Kirk Gallagher, der endlich mit einem kraftvollen Ruck den Deckel der ersten Truhe zurückschlug.
Der Anblick des Inhalts wirkt zunächst enttäuschend. Jedenfalls bot sich alles andere als das Bild eines bunt zusammengewürfelten Piratenschatzes, wie es in den Köpfen der meisten Desperados spukte. Zunächst war nur eine Lage von Beuteln aus grauem, ungebleichtem Stoff zu erkennen, die jeweils mit einem dünnen Lederriemen zugeschnürt waren. Doch Ramon de Mendoza hatte schon zugepackt und einen davon geöffnet. Jetzt endlich zeigte sich ein metallisches Blinken, als er eine ganze Flut von Münzen in seine andere Hand klirren ließ. Es handelte sich um Silberstücke. Doch selbst wenn all diese Beutel nur Silbergeld enthielten, verkörperten sie schon ein stattliches Vermögen. Flüchtig band Mendoza den Beutel wieder zu und warf ihn in die Truhe zurück. Dann kam unwillkürlich ein Seufzer aus seiner Kehle.
Clayton Gunn hatte inzwischen auch den zweiten Deckel aufgebrochen und hielt nun zwei mattschimmernde gelbliche Metallblöcke in den Händen.
»Gold!« keuchte er mit triumphierend verzerrten Lippen. »Das sind Barren aus eingeschmolzenem Gold! Verdammt, es hat sich wirklich gelohnt. Ich würde es nicht glauben, wenn ich das Zeug nicht selbst in den Händen hätte.«
Obadja Sterling riß ihn gierig einen der Barren weg und suchte dessen Gewicht zu schätzen. »Zehn Pfund!« krächzte er mit einem wilden Gelächter. »Vielleicht ist es sogar noch mehr. Und diese Dinger sind zwei Lagen hochgestapelt. Das gibt mindestens ein Gewicht von...«
»Wir haben später noch Zeit, das nachzuprüfen«, fiel ihm Mendoza mit gepreßter Stimme ins Wort, um schon in der nächstenn Sekunde scharf hinzuzusetzen: »Was machen Sie da, Gallagher?«
Kirk Gallagher hatte eine ziemlich große mit Leder bezogene Schatulle aus der Truhe genommen und den Deckel zurückgeklappt. Und nun kamen auch diejenigen unter den Hartgesottenen auf ihre Kosten, denen ihre Phantasie überwältigende Bilder vorgespielt hatte. Denn diese Schatulle enthielt in einem ungeordneten Durcheinander Geschmeide und Juwelen von geradezu unschätzbarem Wert. Da gab es Diademe und Kolliers, Broschen, Agraffen, Armreifen und Ringe.
Die scharfe Bemerkung Mendozas galt einem ganz bestimmten Umstand. Kirk Gallagher hatte die Schatulle vor den Leib gedrückt und ein mit hochkarätigen Diamanten besetztes Kollier herausgenommen. Eine kleine Handbewegung, die einem geschickten Spieler durchaus zuzutrauen war, hätte genügt, um dieses wertvolle Schmuckstück in seinem Ärmel verschwinden zu lassen. Ob er tatsächlich diese Absicht gehegt hatte, blieb indessen ungewiß. Unter halbgesenkten Lidern grinste der Hidalgo und legte das Juwel in die Schatulle zurück.
»Phantastisch«, sagte er mit schmalen Lippen. »Es gibt wirklich nur dieses eine Wort dafür. Das ist absolut phantastisch.«
»Richtig«, erwiderte Ramon de Mendoza ausdruckslos. »Und jetzt wollen wir einpacken. Aber das übernehmen Robles, Galvaros und Jimenez.«
Sofort wurde die Spannung wieder spürbar. Kirk Gallagher schaute Clayton Gunn an, und der schüttelte unmerklich den Kopf. Da setzte auch Gallagher die Schatulle ab und trat zurück, um den Mexikanern Platz zu machen.
*
Durch das Fußgetrampel in der Halle waren John Gallagher und Jethro bereits aufmerksam geworden. »John! Wo steckt ihr?« klang dann schon die schneidende Stimme Kirks.
Mit steifen, marionettenhaften Bewegungen kehrte John Gallagher in die verwüstete Halle zurück. Gerade kamen die letzten Gestalten aus dem Gewölbe herauf. Sie eskortierten gleichsam den Mestizen Calvaro sowie Jimenez und Pablo Robles. Jeder dieser drei Männer trug jeweils zwei Paar Satteltaschen über den Schultern. Es waren sogenannte Parfleeches, anscheinend von indianischer Herkunft, und sie glichen geflochtenen Beuteln aus geschmeidigem Leder, so daß sich darunter die Umrisse harter Gegenstände abzeichneten. Nach dem schwerfälligen Gang der drei Träger zu urteilen, mußten diese Parfleeches – oder vielmehr ihr Inhalt – schwer wie Blei sein.
»Kommen Sie mit, Gallagher!« rief Mendoza ungeduldig. »Wir gehen hinten hinaus über den Hof. Gunn und die anderen decken diesmal den Rückzug, falls es noch Ärger geben sollte.«
Duff Yarnell schloß sich bereits hinkend an und wurde von Al Carnary gestützt. Mendoza selbst hatte nun die Laterne übernommen und stampfte mit dem Fuß auf, um die anderen zur Eile anzutreiben. Im Vorübergehen fing John Gallagher einen Blick seines Bruders auf, doch seine eigene Miene blieb unbewegt.
Die Vorsicht Ramon de Mendozas erwies sich diesmal als überflüssig. Es gab keine Zwischenfälle mehr, als sie den Palacio durch eine Tür bei den hinteren Wirtschaftsräumen verließen und den Hof überquerten.
Der flache Arroyo mit seinem holprigen Steingeröll war das letzte Hindernis. Al Canary, der einen Arm Duff Yarnells um seine Schulter gezogen hatte, strauchelte und konnte nicht verhindern, daß er zusammen mit dem Verwundeten in eine Rinne klatschte. Zwar nahm Yarnells Fluchen und Stöhnen daraufhin noch zu, doch rappelten sie sich beide wieder auf und kamen schon wieder herangestolpert, als die Parfleeches mit dem Schatz eben den Packpferden aufgeschnallt wurden.
Ziemlich genau die Hälfte der Reitpferde war durch die schweren Verluste der Desperado-Mannschaft überflüssig geworden. Nach kurzer Beratung übernahmen es Clayton Gunn, Jethro und Obadja Sterling, sie in einem geschlossenen Rudel davonzujagen, da man sich in den Dornendickichten des Buschlandes nicht mit Handpferden belasten konnte. Zudem würde das Rudel eine deutliche Fährte hinterlassen, durch die irgendwelche Verfolger möglicherweise für eine Weile irregeführt wurden.
Seit ihrem Eintreffen beim Palacio Pinacate war höchstens eine dreiviertel Stunde vergangen, als sie wieder in dem unwegsamen Buschgelände verschwanden. Niemand verlor ein Wort über die zehn Toten, die sie zurückließen, nicht einmal Al Canary, der seinen Bruder Jeff verloren hatte.
Abermals übernahm Calvaro die Führung, als sie sich nach Südosten wandten. Wo immer es das Gelände erlaubte, ritten sie ein Stück im Galopp, um dann wieder in Schritt zu fallen und sich in einer langgezogenen Reihe durch Kakteenhecken oder enge Buschkulissen zu zwängen. Scheinbar unabsichtlich hielt sich Obadja Sterling von nun an stets in unmittelbarer Nähe Mendozas und der drei Mexikaner mit den Packperden auf. Kirk Gallagher und Clayton Gunn hingegen ritten am Schluß, wo sie Gelegenheit hatten, miteinander zu reden, ohne daß die anderen es hörten.
Fünf oder sechs Meilen mochten sie schon zurückgelegt haben, als sich bei den Pferden immer deutlicher Anzeichen der Ermüdung bemerkbar machten. Clayton Gunn trieb seinen starken Schwarzfalben an und setzte sich unmittelbar neben den Kopfgeldjäger, so daß sie Bügel an Bügel ritten.
»Es kann nicht mehr lange dauern«, sagte er gedämpft. »Irgendwo in dieser Gegend wollte er sich von uns trennen und die Richtung zur Küste einschlagen. Dann wird er es uns verraten müssen, wo die frischen Pferde für uns bereitstehen.«
»Und damit hat er dann seinen letzten Trumpf aus der Hand gegeben«, entgegnete Kirk Gallagher grimmig. »Ob dieser Don sich einbildet, wir hätten seinen lausigen Trick noch nicht durchschaut? Ich halte jede Wette, daß er sorgfältig eine Stelle ausgesucht hat, von wo aus er und seine Greaser keine Fährte mehr hinterlassen, während unsere Spuren nach Norden, zur Grenze, deutlich zu verfolgen sind. Dadurch, so hofft er, werden wir alle Verfolger auf uns ziehen, während er selbst mit Leichtigkeit entkommen kann.«
»Diese Suppe werden wir ihm gründlich versalzen. Sind wir uns einig?«
»Ich denke, ja.«
Clayton Gunn nickte befriedigt.
»Was ist mit dem Schwarzen?«
»Jethro wird das tun, was John ihm sagt.«
»Und was tut dein Bruder?«
»Ich weiß nicht«, sagte Kirk Gallagher gepreßt. »John ist im Grunde immer noch zu weich. Die ganze Sache scheint ihm an die Nieren gegangen zu sein. Vorhin, als wir den Palacio räumten, hat er mich gar nicht mehr angeschaut, dieser verdammte Narr.«
Eine Weile starrte Clayton Gunn stirnrunzelnd vor sich hin, dann erwiderte er entschlossen: »Wir kommen auch ohne ihn zurecht. Sterling weiß Bescheid, und wenn auch mit Yarnell nicht mehr viel anzufangen sein sollte, bleibt immer noch Canary. Schließlich haben wir es nur noch mit vier Burschen zu tun, und von denen sind nur Mendoza selbst und der Mestize gefährlich. Mit Jimenez und Robles werden wir nicht viel Schwierigkeiten haben.«
Kirk Gallaghers Lippen hatten sich gespannt.
»Aber da bleibt noch die Sache zwischen uns, Gunn.«
Der Bandit maß ihn mit einem schrägen Seitenblick.
»Nun«, murmelte er gedehnt, »hier geht es um einen Fischzug, wie er noch nie zuvor gemacht worden ist. Ich glaube, mein Anteil wäre hoch genug, um alle Erinnerungen zu verwischen. Was hältst du davon?«
»Einverstanden.« Der Kopfgeldjäger grinste und rieb die dunklen Bartstoppeln an seinem Kinn. »Bald werden wir es nicht mehr nötig haben, uns mit Kleinigkeiten abzugeben. Und da wir gewissermaßen Partner geworden sind, sollten wir uns nicht mehr gegenseitig das Leben schwermachen. Es ist genug für alle da.«
Sie mußten wieder hintereinander reiten, weil zu beiden Seiten die bedrohlichen Choya-Kakteen mit ihren gefährlichen glitzernden weißgrauen Stacheln dicht heranrückten. Gegen den hellen Horizont hob sich nun ein felsiger Hügelrücken ab, so daß man die Scharten und Bastionen deutlich erkennen konnte. Schon bald klirrten die Hufeisen der Pferde auf steinigem Untergrund. Sie folgten nun einem ausgetrockneten Aroyo, der sich mehrfach gabelte, und schon eine Viertelstunde später wuchs der Felskamm wie eine drohende Mauer vor ihnen auf.
An der Spitze der Kavalkade erklang ein gedämpfter Ruf, der von irgendwoher beantwortet wurde. Die Pferde zeigten sich plötzlich lebhafter und drängten nach links hinüber, und dort, in einer breiten Scharte an der Wand des Aroyo, tauchte plötzlich ein einzelner Reiter auf.
Es hatte keinen Sinn, die Pferde länger zurückzuhalten. Immer stärker drängten sie zu einer bestimmten Stelle hinüber. Es handelte sich um einen Tümpel, in dem sich seit der letzten Regenperiode noch ein Rest von Wasser gehalten hatte. Schon der Geruch verriet, daß es sich um eine faulige, trübe Brühe handeln mußte.
Die Männer saßen ab, um die Pferde saufen zu lassen. Ramon de Mendoza war bereits zu dem Reiter getreten, der sie erwartet hatte, und wenig später fanden sich auch die anderen ein. Duff Yarnell setzte sich auf einen größeren Steinbrocken und streckte ächzend sein verwundetes Bein.
»Wir sind angelangt, Señores«, verkündete der Hidalgo. »Nur noch ein kurzes Stück, dann teilt sich der Arroyo. Wenn sie der Gabelung nach links folgen, dann kommen Sie nach etwa zwei Meilen in offenes Gelände und können sich dort direkt nach Norden wenden.«
»Und die Pferde?« fragte Kirk Gallagher, der sich mit Clayton Gunn und Obadja Sterling durch einen raschen Blick verständigt und ein Stück zur Seite geschoben hatte. »Was ist mit den frischen Pferden, von denen Sie gesprochen haben, Mendoza?«
Mit einer überlegenen Geste tat Mendoza den Einwand ab.
»Sie wüßten es schon, wenn Sie mich hätten ausreden lassen, Gallagher. Wie gesagt, Sie brauchen sich nur nördlich zu halten. Richten Sie sich nach einem deutlich erkennbaren Bergsattel. Wenn Sie den hinter sich haben, sehen Sie bereits den Bosque Grande. Es gibt in diesem Buschland nur eine felsige Erhebung, die Rocas del Aguila. Dort stoßen Sie auf eine Wasserquelle, und bei dieser Wasserquelle befinden sich auch Pferde. Am nördlichen Rand des Bosque verläuft die Sraße von Caborca nach Santa Ana. Wenn Sie sie überquert haben, sind es ungefähr siebzig Meilen bis zur Grenze. Mit den frischen Pferden werden Sie in zwei Tagen dort sein.«
John Gallagher war der Beschreibung aufmerksam gefolgt und nickte.
»Dann bleibt also nur noch der gemütliche Teil, Mendoza«, sagte er mit belegter Stimme. »Was ist mit unserem Geld?«
Mendozas weiße Zähne blitzten im Mondlicht, als er lächelnd die Lippen verzog. »Gewiß Señor. Auch das werden wir erledigen. Felipe!«
Er hatte sich an den Mexikaner gewandt, der abwartend neben seinem Pferd stand. Der Mann schlug seinen Poncho zurück und löste ein Paar Parfleeches vom Sattel, die aufs Haar denen glichen, in denen der Schatz aus dem Palacio untergebracht war. Auch sie schienen ein beträchtliches Gewicht zu haben, denn Mendozas Hand sank sofort herab, als er sie übernommen hatte.
»Hier ist Ihr Geld, Señor«, sagte er mit bestrickender Freundlichkeit. »Es ist die vereinbarte Summe für die gesamte Mannschaft. Auf welche Weise Sie sie unter sich aufteilen, darf ich wohl Ihnen überlassen. Außerdem finden Sie einen besonderen Lederbeutel mit der vereinbarten Werbeprämie für Sie persönlich. Ich habe alles vorbereitet, noch ehe Sie aufbrachen. Wollen Sie das Geld nachzählen?«
»Das ist überflüssig«, sagte in diesem Moment Clayton Gunn mit schneidender Schärfe. »Sie glauben doch nicht im Ernst, Mendoza, daß wir uns mit ein paar lausigen Goldpesos zufriedengeben, nachdem die Hälfte von uns hat dran glauben müssen, um Ihnen ein ungeheures Vermögen zu verschaffen.«
Der Hidalgo stand wie erstarrt und nagte an seiner Unterlippe. Von einer Sekunde zur anderen war die Atmosphäre mit knisternder Spannung geladen.
»Yeah«, sagte Duff Yarnell krächzend von seinem Steinbrocken her, »das ist auch meine Meinung. So billig lassen wir uns nicht abspeisen, Mister.«
Mendozas Blicke waren auf John Gallagher gerichtet. Ein Zucken lief über sein Gesicht, als er heiser murmelte: »So ist das also! Erpressung, wie? War das Ihre Idee, Gallagher.«
»Ich habe genug von diesem verdammten Morden, wenn Sie’s ganz genau wissen wollen. Also laßt mich aus dem Spiel.«
Sein Bruder stieß ein blecherndes Lachen aus.
»Wie ich schon gesagt hatte, Gunn, es ist ihm an die Nieren gegangen, und er ist immer noch zu weich. Aber uns ist es ziemlich egal, wenn du auf deinen Anteil an dem Schatz verzichten willst, großer John. Nur solltest du dann besser zur Seite gehen. Ich habe nämlich den Eindruck, daß der prächtige Don Ramon Schwierigkeiten machen will.«
»Genau das würde ich ihm aber gar nicht raten«, sagte Duff Yarnell aus dem Hintergrund. Er hatte bereits eine seiner Pistolen gezogen und richtete sie auf den Kreolen, als er fortfuhr: »Jetzt werden Sie doch endlich begreifen, Mendoza. Bis jetzt ist noch kein Greaser geboren, der uns aufs Kreuz legen könnte. Wir sollten die Verfolger auf uns ziehen, damit Sie sich um so leichter in Sicherheit bringen konnten. Doch wenn wir Ihnen schon diesen Gefallen tun, dann soll es sich wenigstens für uns lohnen. Wir werden die Packpferde mitnehmen, verstehen Sie? Und wenn Sie auch nur mit dem Finger zucken, dann sind Sie in der Hölle, noch ehe Sie...«
Ein seltsam dumpfes Krachen schnitt ihm das Wort ab. Obwohl Duff Yarnell den Finger am Abzug hatte, kam er nicht mehr zu dem Schuß. Mit einem Gurgeln kippte er hintenüber und fiel in das Sagegestrüpp hinter dem Steinbrocken.
Niemand hätte sagen können, woher der Schuß gekommen war, wenn es nicht einen verräterischen Umstand gegeben hätte: Ein Stück hinter Mendoza und ein wenig seitlich von ihm stand Felipe, der Mexikaner, der sie hier im Arroyo erwartet hatte. Sein ganzer Oberkörper bis fast zu den Schenkeln war von seinem gestreifen Poncho bedeckt, so daß auch seine Hände nicht zu sehen waren. Doch der Poncho schien sich plötzlich unförmig aufzublähen, zweifellos unter dem Druck der entweichenden Pulvergase. Der Mann wußte genau, was folgen mußte, und warf sich herum. Doch in diesem Augenblick brach schon die Hölle los.
Pablo Robles schrie etwas Unverständliches und riß seine Waffe aus dem Futteral. Beinahe gleichzeitig mit ihm brachte auch Ramon de Mendoza seinen Colt aus dem Halfter. Und auch Jimenez gab sich redliche Mühe, in diesem Kampf seine Rolle zu übernehmen. Doch sie alle waren nicht schnell genug für die gnadenlosen Raubwölfe, denen sie gegenüberstanden.
Noch einen zweiten Schuß brachte der Mexikaner mit dem Poncho aus dem Lauf. Diesmal hatte er Clayton Gunn niederstrecken wollen, aber der untersetzte, vierschrötige Bandit vollführte gerade in dieser Sekunde einen Sprung, um an John Gallagher vorbei freies Schußfeld zu gewinnen. Auf diese Weise verfehlte ihn die Kugel und traf eines der Pferde im Hintergrund. Damit hatte Felipe seine letzte Chance vertan. Zweimal traf ihn Kirk Gallagher von der Seite her. Der Poncho flatterte, als der Mann gegen die Flanke seines Pferdes kippte und zusammenbrach.
Weit später als Pablo Robles schnappte Obadja Sterling nach seinem alten Schießeisen. Trotzdem schwang die Mündung des Peacemakers schon in die Höhe, noch ehe der Gegner seine Waffe in Anschlag brachte. Beim Krachen des schweren 45er Colts flog dem Mexikaner der Sombrero vom Kopf. Auf seiner Stirn, einen Zoll oberhalb der Nasenwurzel, zeigte sich plötzlich ein dunkler Fleck. Dann fiel Pablo Robles rückwärts in den Schlamm am Rande der Wasserstelle.
Ramon de Mendoza hatte sich zusammengeduckt und legte beim Ziehen seines Coltes eine schlangengleiche Gewandtheit an den Tag. Fast hatte es den Anschein, als ob er dabei sogar Clayton Gunn schlagen könne. Und jeder der Desperados wußte, was ein Treffer mit Mendozas eingekerbten Geschossen zu bedeuten hatte. Kirk Gallagher wirbelte herum, und Obadja Sterling ließ sich zu Boden fallen. Clayton Gunn jedoch enthob sie aller Sorgen. Er hielt seine beiden Revolver im Hüftanschlag und ließ sie Flammen speien, kaum daß die Mündungen die Halfter verlassen hatten.
Ein dünner, gellender Schrei kam über Mendozas Lippen. Er schwankte wie ein Betrunkener, aber selbst jetzt noch versuchte er das Schicksal zu wenden. Der untersetzte Bandit ließ ihm keine Chance. Der Hidalgo schoß, während er selbst schon zum zweiten- und drittenmal getroffen wurde. Hinter Clayton Gunn ertönte ein heiseres Gebrüll. Es stammte von Al Canary, der sich instinktiv hinter dem Banditen hatte in Deckung bringen wollen. Ihm wurde die Kugel zum Verhängnis, die Clayton Gunn nur knapp verfehlt hatte.
Obwohl mehrfach getroffen, hielt sich Ramon de Mendoza noch auf den Beinen. Seine Kraft hingegen reichte nicht mehr aus, um die Waffe zu halten. Zwei, drei torkelnde Schritte brachte er noch zustande. Dann brach er in die Knie und fiel nach vorn.
Zur gleichen Zeit spielte sich folgendes ab: Al Canary hatte noch geschossen, ehe es ihn erwischte. Wenngleich Jimenez sein Gewehr bereits in den Händen hielt, blieb ihm keine Frist mehr, es auf ein Ziel zu richten und abzudrücken. Der Sattelkarabiner klatschte in den Staub, als er mit einer Drehung in sich zusammensank.
Nur eine Sekunde nach seinem eigenen Schuß bekam Al Canary die Kugel des Kreolen hoch in die linke Schulter. Es riß den muskulösen Burschen mit der Armeekappe herum, als ob er von einer Riesenfaust getroffen worden wäre. Dann folgte auch schon sein Gebrüll, und damit besiegelte er sein eigenes Ende, ohne es zu wissen. Ein Mann nämlich war bereits von den übrigen Mexikanern bei den Pferden geblieben – Clavaro, der Mestize. Auf wen er hatte schießen wollen, ließ sich nicht mehr entscheiden, doch die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß er Clayton Gunn oder John Gallagher aufs Korn genommen hätte, der während dieser tödlichen Sekunden wie gelähmt und unbeteiligt im Mittelpunkt des Geschehens stand. Dann jedoch sah er Al Canary herumfahren, hörte das Gebrüll und glaubte sich entdeckt. So feuerte er instinktiv auf den Verwundeten, von dem ihm keinerlei Gefahr drohte.
Das Kreischen Al Canarys verstummte mit einem Schlag. Der Mestize aber erkannte, daß es hier für ihn nichts mehr zu gewinnen gab, und verschwand mit einem verzweifelten Satz zwischen den Scrubwoods in einem Spalt der Aroyo-Wand. Im letzten Augenblick jagte Kirk Gallagher ihm noch eine Kugel nach, doch er verfehlte sein Ziel und kam nicht zu einem weiteren Schuß, weil sein Bruder in der Schußlinie stand. An seiner Stelle versuchte es Obadja Sterling. Auch ihm bleib der Erfolg versagt, weil der letzte Gegner bereites im Gestrüpp verschwunden war. Niemand zeigte Lust, Calvaro zu verfolgen und dabei vielleicht doch noch getroffen zu werden. Der Spalt der Arroyo-Wand schien sich weiter nach hinten zu erstrecken, so daß sich der Mestize schon in sicherer Deckung befand. Das Kollern von Steinen verriet, daß er sich anschickte, die Wand zu erklettern und sich am Felsrand in Sicherheit zu bringen. Unter diesen Umständen spielte es also keine Rolle, ob er entkam. Die hartgesottene Desperado-Mannschaft hatte ihr Ziel erreicht. Dort drüben standen die Packpferde und drängten sich mit den anderen Tieren zusammen. Und jedes von ihnen trug zwei Paar schwere Satteltaschen, die ein Vermögen enthielten. Sie waren im Besitz eines ungeheuren Schatzes, für den nun schon so viele Männer ihr Leben verloren hatten. Deshalb wollte keiner von ihnen mehr das Schicksal herausfordern.
*
Fünf Männer, die von mehr als zwanzig übriggeblieben waren, kamen im Morgengrauen auf dem Bergsattel an – hohlwangig, stoppelbärtig und mit rotgeränderten Augen. Außer den Brüdern Gallagher waren es nur noch
Jethro, Clayton Gunn und der bärtige Obadja Sterling. Im Osten, wo sich die ragenden Schroffen der Sierra emporreckten, nahm der Himmel bereits eine fahle Türkisfarbe an, obgleich von der aufgehenden Sonne noch nichts zu entdecken war. In diesem blassen, gespenstischen Morgenlicht sahen sie den Bosque Grande vor sich, ein hügeliges, zerrissenes Buschgelände, das sich bis an den nördlichen Horizont erstreckte. Und irgendwo dort im Norden, von Dunst verschleiert, erkannte man auch einige Felsbastionen, die über die umliegenden Hügel hinausragten.
»Die Roccas del Aguila«, sagte Obadja Sterling. »Das müssen sie sein. Ich schätze, bis dorthin sind es noch sieben oder acht Meilen. Ob es in diesem verdammten Bosque auch irgendwo Wasser gibt? Ich komme um vor Durst.«
»Doch«, gab John Gallagher einsilbig zurück. »Mendoza hat vorher einmal erwähnt, daß sich nahe bei diesen Felsen eine Wasserstellte befindet. Deshalb hat er die Stelle auch für die frischen Pferde ausgesucht.«
»Frische Pferde?« sagte Clayton Gunn heiser. »Ich weiß nicht...«
»Reiten wir, dann werden wir’s sehen«, schlug Kirk Gallagher vor. Neben Jethro, dem bisher keine Ermüdung anzumerken war, wirkte er noch am frischesten, und doch konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Munterkeit nur vorgetäuscht war. Ebenso wie bei den Pferden machte sich auch bei den Männern mehr und mehr die Erschöpfung bemerkbar.
Fast zwei Stunden brauchten sie, bis sie endlich die Felsbastionen erreichten. Aber ringsum herrschte nur die summende Stille des Buschlandes. Sie trennten sich und gingen auf die Suche, aber von frischen Pferden war nicht die geringste Spur zu entdecken. Sie fanden lediglich im Schatten eines der Felsen ein Wasserloch, das jedoch nur eine schlammige, stinkende Brühe enthielt.
Obadja Sterling machte sich trotzdem darüber her und schien die Warnungen der anderen gar nicht zu hören. Er trank aus den hohlen Händen, doch schon nach dem zweiten Schluck fing er an zu würgen und starrte seine Partner aus blutunterlaufenden Augen an.
»Dieser Hund«, krächzte er mit einer Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte. »Er hat genau gewußt, daß es hier kein richtiges Wasser geben würde.«
»Yeah«, sagte Clayton Gunn, der aus dem Sattel gerutscht war und nun im Schatten auf dem Boden hockte, »das alles gehörte zweifellos zu dem Plan dieses Schurken. Keine frischen Pferde und kein Wasser. Wie sehen wir jetzt aus?«
Kirk Gallagher stieß eine Verwünschung aus.
»Bluff!« keuchte er. »Seine ganze Geschichte mit den Pferden war nur ein Bluff, um uns in Sicherheit zu wiegen. Ihm lag von Anfang an nichts daran, daß wir entkamen. Ein Glück, daß wir es diesem betrügerischen Hund schon gegeben haben. He, John, was sagst du denn dazu, zum Teufel?«
Die schneidende, gereizte Frage riß John Gallagher aus seiner dumpfen Teilnahmslosigkeit. »Er hat es darauf angelegt«, murmelte er mit belegter Stimme. »Schon als er bei mir die Pferde kaufte, wollte er uns damit nur Sand in die Augen streuen.«
»Wie meinst du das?« knirschte Kirk. »Worüber wollte er uns Sand in die Augen streuen?«
»Über seine Zahlungsfähigkeit«, erwiderte sein Bruder. »Wahrscheinlich hat er seine letzten Goldstücke zusammengekratzt, um damit die Pferde zu bezahlen und den Eindruck zu erwecken, als verfüge er über ganze Haufen von Goldpesos. Ich bin sicher, er hat die meisten Pferde dann sofort wieder zu Geld gemacht und nur wenige auf der Strecke zur Küste stationiert.«
Mit angezogenen Knien hockte Clayton Gunn da und blinzelte zu John Gallagher empor. »Das verstehe ich immer noch nicht, Gallagher.«
Die bitteren Kerben an John Gallaghers Mundwinkeln vertieften sich.
»Er brauchte eine harte Revolvermannschaft, die für ihn die Kastanien aus dem Feuer holte«, erwiderte er. »Aber er hatte nicht genug Geld, um sie auch zu bezahlen. Nur deshalb hat er das Theater mit den Pferden aufgeführt. Und sein Trick ist ihm ja auch gelungen. Indem er die Gäule recht großzügig bezahlte, hat er mich überzeugt, daß er auch unseren Revolverlohn bezahlen konnte, selbst wenn es mit dem Villegas-Schatz nicht geklappt hätte.«
Sein Bruder starrte ihn verständnislos an, schluckte und schüttelte den Kopf. »Verdammt, was faselst du da, John? Mendoza hat doch bezahlt – und zwar mit Goldstücken, die nicht aus dem Schatz stammten.«
»Mit Goldstücken?« wiederholte John Gallagher grimmig. »Dann seht euch doch diese Goldpesos einmal genauer an. Hier! Alles war bis in die Einzelheiten geplant. Dieser dreckige Betrüger hatte sich genau ausgerechnet, daß es Nacht sein würde, wenn er uns das Geld übergab.«
Er hatte die Parfleeches von seinem Sattel gerissen und schleuderte sie unbeherrscht zu Boden. Ein paar der großen goldenen Pesostücke kollerten davon, so daß Clayton Gunn mühelos eines erreichen konnte. Auch Obadja Sterling hob eine der Münzen auf, biß probeweise hinein und brach dann in gellendes Gelächter aus.
Clayton Gunn zog inzwischen ein Klappmesser hervor und fing an, das Goldstück damit zu bearbeiten. Es ließ sich ohne Schwierigkeiten einkerben. Unter der dünnen Goldschicht kam graues, weiches Metall zum Vorschein.
»Blei!« höhnte der Bandit. »Das sind nur Bleikerne mit einem ganz dünnen Goldüberzug. Mit solchem Falschgeld legt man in Veracruz und anderen Hafenstädten fremde Seeleute herein.«
»Nicht nur Seeleute, wie das Exempel beweist«, sagte Kirk Gallagher. »Ich habe diesem Hundesohn keinen Augenblick über den Weg getraut. Aber er war noch weit gerissener, als ich dachte. Nun, was spielen diese paar lächerlichen Pesos für eine Rolle. Wir haben jetzt den Villegas-Schatz, und der ist zweifellos echt.«
Auch Clayton Gunn zeigte bei diesen Worten ein breites Nußknackergrinsen. Im selben Augenblick aber klang aus dem Hintergrund die beherrschte Stimme Jethros: »Es geht hier nicht um einen Schatz, sondern um Wasser und frische Pferde. Wahrscheinlich reiten schon die Verfolger auf unserer Fährte, und wenn wir uns nicht aus dem Staub machen, dann werden sie uns bald eingeholt haben.«
Obadja Sterling lag auf den Knien neben der Wasserstelle und bog mit zorniger Verbissenheit die weiche Münze, bis er sie ganz zusammengedrückt hatte.
»Er hat recht«, knurrte er rauh. »Wir müssen hier weg, ehe sie uns auf den Pelz rücken. Bis zur Grenze sind es noch mehr als siebzig Meilen. Und auf der ganzen Strecke werden wir kein Wasser mehr finden. Ich komme jetzt schon um vor Durst.«
»Dann nimm einfach einen Kieselstein in den Mund, verdammt«, sagte Clayton Gunn und stemmte sich schwerfällig in die Höhe.
Der bärtige Desperado erwiderte nichts mehr. Auch er ging zu einem Pferd und zog sich in den Sattel. Wortlos ritten sie an und überließen es Jethro, die drei Packpferde mit den Parleeches hinter sich herzuziehen.
Die Rocas del Aguila waren nur der höchste Punkt einer felsigen Barriere, die den Beginn des kargen Wüstenplateaus ankündigte. Nach etwa einer Viertelstunde hatten sie sie hinter sich gelassen. Nördlich davon lag eine weite Mulde, durchsetzt von weiteren Felshöckern und Arroyos. Und nun entdeckten sie auch die Straße, von der Ramon de Mendoza gesprochen hatte. Das gelbe, staubige Band kam von Westen, von Caborca, zog sich in mehreren Windungen durch die weite Senke und führte nach Osten, wo es hinter einer schroffen Bergflanke verschwand. Nirgendwo zeigte sich ein Anzeichen von Gefahr.
Durch eine steinige Rinne ritten sie in die Mulde hinab und verloren die Straße zeitweilig aus den Augen. Auch hier machte der Abstieg den entkräfteten Pferden wieder zu schaffen, deshalb waren die Männer erleichtert, als sie wieder auf halbwegs ebenen Grund gelangten. Links von ihnen erhob sich ein grauer, verwitterter Felsrand, an dessen Fuß sich das Geröll türmte, während sich rechter Hand noch die Ausläufer der Barranca erstreckte, die in einem kahlen Buckel endeten und den Ausblick auf die Senke versperrten. Die Straße, die sie überqueren mußten, konnte höchstens noch eine halbe Meile entfernt sein. Dahinter folgte dann bis zur Grenze nur noch die weglose Einöde des Wüstenplateaus von Sonora – siebzig Meilen wasserlose Hölle für Mensch und Tier.
Der heisere, krächzende Schrei kam aus Kirk Gallaghers Kehle, der sich zeitweilig an die Spitze gesetzt hatte. Obadja Sterling heulte einen Fluch. Dann sahen es auch die anderen.
Mehr als ein Dutzend Reiter schwenkten in einer geordneten Formation um die steil abfallende Flanke des Felsbuckels. Sie trugen die hellblauen, weiß abgesetzten Uniformen der republikanischen Lanzenreiter. Ein scharfes Kommando tönte herüber, als sie plötzlich eine exakter Wendung vollführten und das hintere Glied in die Lücken aufrückte. Mit einem Schlag war aus der Kolonne eine breite Kette geworden. Ein Offizier am äußeren Flügel, der einen Busch an seiner Uniformkappe trug, riß den Säbel aus der Scheide. Im nächsten Moment hoben die Uniformierten bereits die Lanzen aus dem Steigbügelschuh und legten sie ein.
Es gab keine Chance mehr, diesem Angriff auszuweichen. Der Weg in die Senke war versperrt. Und ein Rückzug in die steinige, ansteigende Rinne kam nicht in Betracht. Also blieb nur der Durchbruch. Schon setzten sich die Lanciers in Galopp und stießen dabei scharfe Schreie aus.
»Achtung!« keuchte Clayton Gunn und riß bereits die Colts aus den Halftern. »Wir nehmen diese lausigen Paradesoldaten auf die Hörner! Bleibt dicht beisammen und schießt sie aus den Sätteln, ehe sie uns mit ihren verdammten Zahnstochern aufspießen.«
Man brauchte kein Hellseher zu sein, um für das überraschende Auftauchen der Soldaten eine Erklärung zu finden. Zweifellos war die Garnison in Caborca noch in der Nacht alarmiert worden, und bestimmt hatten die entkommenden Palastwachen auch erkannt, daß es sich bei den Desperados, die den Überfall auf den Palacio Pinacate ausführten, größtenteils um Amerikaner handelte. Der Kommandant der Lanzenreiter hätte ein Narr sein müssen, wenn er daraus nicht den Schluß gezogen hätte, daß diese Männer die Richtung nach Norden, zur Grenze einschlagen würden. Um diesen Fluchtweg abzuriegeln, bot sich die Straße nördlich des Bosque Grande geradezu an. So hatte der Offizier dieser starken Patrouille irgendwo auf den Rocas del Aguila Beobachtungsposten ausgestellt, die den größten Teil der Bosque Grande überschauen konnten.
Was immer den Offizier zu einer solchen Attacke veranlaßt haben mochte, er hatte sich dabei von Vorstellungen leiten lassen, die vielleicht noch vor wenigen Jahren, während des mexikanischen Bürgerkrieges, zutrafen, inzwischen jedoch überholt waren. Damals, als sich die Bewaffnung der Fußtruppen auf Gewehre und zudem noch recht primitive Einzellader beschränkte, hatte die Kavallerie – und hier die besonders als grausam geltenden Lanzenreiter – Furcht und Schrecken verbreitet.
Lanciers waren nun einmal darauf gedrillt, mit eingelegter Lanze zu attackieren und den Gegner über den Haufen zu reiten. Wie hätten dem Offizier auch Bedenken kommen sollen, da seine Truppe diesem Gegner an Zahl fast dreifach überlegen war. Sein Verhängnis bestand darin, daß seine Soldaten es ausnahmslos mit hartgesottenen Revolvermännern zu tun hatten.
Kirk Gallagher und Obadja Sterling hatten dicht zu Clayton Gunn aufgeschlossen. Und im letzten Augenblick gesellte sich auch John Gallagher dazu, nachdem er sich mit einem Blick über die Schulter vergewissert hatte, daß Jethro die drei aneinandergekoppelten Pferde mit dem Schatz nach wie vor sicher an der Leine führte.
Deutlich erkannte man nun bereits die verzerrten Gesichter der Lanciers und die Einzelheiten ihrer Uniformen. Clayton Gunn spornte sein Pferd als erster zum Galopp an, und die anderen folgten seinem Beispiel. Ihre Aufgabe bestand darin, in diese tödliche Phalanx glitzernder Lanzenspitzen eine Bresche zu schießen, die auch dem Neger mit den Packpferden den Durchbruch erlaubte. Denn natürlich hatten es die Soldaten in erster Linie auf den geraubten Schatz abgesehen. Daneben aber kam es darauf an, diese starke Patrouille so zusammenzuschießen, daß dem Rest der Lanciers die Lust zu weiterer Verfolgung verging.
»Den Offizier, Sterling!« brüllte Clayton Gunn. »Du nimmst den Offizier aufs Korn.«
Verbissen senkte der bärtige Desperado den Kopf nach vorn. Zunächst hatte es so ausgesehen, als bliebe ihnen genügend Zeit zur Verständigung untereinander. Nun aber entwickelte sich das Drama mit rasender Geschwindigkeit. Keiner der vier Männer beging den Fehler, seine Munition zu verschwenden. Erst als die Entfernung bis auf fast dreißig Yards zusammengeschmolzen war, eröffnete Kirk Gallagher das Feuer und streckte gleich mit dem ersten Schuß einen der Gegner nieder. Einen Sekundenbruchteil später brach das Inferno los, und das Krachen der Colts steigerte sich zu einem rasenden Stakkato.
Vier, fünf der Lanzenreiter stürzten, Pferde brachen mit schrillem Wiehern zur Seite aus, und einer der Uniformierten wurde förmlich aus dem Sattel gehoben, als er sich zusammenkrümmte und dabei seine Lanze in den Boden rammte. Doch die überlebenden Lanciers machten dem Ruf ihrer gefürchteten Truppe Ehre. Die Flügel der dichtgeschlossenen Kette schwenkten nach innen. John Gallagher sah die Lanzenspitze, die ihn zu durchbohren drohte, und warf sich zur Seite. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckte seinen linken Oberarm fast genau an der Stelle, wo er schon beim Überfall auf den Palacio einen Streifschuß davongetragen hatte. Der wilde Ruck drohte ihn vom Pferd zu reißen, und er vermochte ihm nur zu entgehen, indem er seine Schenkel bis zum Zerreißen anspannte. Im nächsten Moment kam sein durchbohrter Arm dann wieder frei, als sein Pferd einem anderen Tier in die Flanke krachte. Aus nächster Nähe sah er den Gegner, der die Uniformkappe verloren hatte und sich auf ihn werfen wollte. Da drückte er ab, und der Mexikaner fiel mit ausgebreiteten Armen nach hinten.
Das wilde Getümmel entwickelte sich zum Chaos. Doch die unablässig krachenden Colts der Revolvermänner brachten die Entscheidung. Nur einer konnte davon nicht mehr profitieren: Obadja Sterling. Der Anweisung Clayton Gunns folgend, hatte er sich ganz auf den Offizier der Lanciers konzentriert und ihn tatsächlich mit dem zweiten oder dritten Schuß niedergestreckt. Aber dabei beging er den Fehler, sein Pferd zu weit nach rechts hinüberzuziehen. Auf diese Weise kam er ein Stück von seinen Kumpanen ab und bot gleichzeitig zwei heranjagenden Mexikanern die ungedeckte Flanke. Er fand keine Gelegenheit mehr, diesen Fehler zu korrigieren. Er wurde von einer Lanze durchbohrt und krachte zu Boden.
Der wilde Schmerz in seinem Arm entfachte John Gallaghers Selbsterhaltungstrieb bis zur Raserei. Einen der gestürzten Mexikaner sah er zu Fuß davonrennen. Einen anderen, der eben im Begriff war, seinen Bruder aufzuspießen, traf er in letzter Sekunde in die Brust. Kirk riß sein Pferd herum und starrte ihn mit einem wilden, verzerrten Grinsen an. Dann schien alles vorbei zu sein. Von vierzehn oder fünfzehn Lanzenreitern waren nur noch vier im Sattel, und auch noch einer von ihnen stürzte, als plötzlich im Hintergrund Jethros Schrotflinte dröhnte.
»Los, weiter!« heulte Clayton Gunn mit überschnappender Stimme. Ebenso wie Kirk Gallagher war er unverletzt geblieben und hatte beide Colts in den Händen, während er seinen Kastanienbraunen nur mit den Schenkeln beherrschte.
Trotz der würgenden Übelkeit, die zweifellos von seinem zerfetzten linken Arm hervorgerufen wurde, brachte John Gallagher es nicht über sich, einfach davonzujagen. Mit einer matten Bewegung stieß er den Colt ins Halfter, ergriff den Zügel und lenkte das Pferd in einem kurzen Bogen herum. In dem wallenden Staub sah er Jethro, der sich verzweifelt bemühte, auch die entkräfteten Packpferde in Galopp zu bringen, um diese Stätte des Grauens so rasch wie möglich hinter sich zu lassen. Die drei überlebenden Lanciers verschwanden weit oben in der Rinne, und der Mexikaner zu Fuß stolperte hinter ihnen drein.
»Komm schon, Jethro!« schrie jetzt auch Kirk Gallagher in unverkennbarem Triumph.
In der nächsten Sekunde war es dann auch geschehen.
Der dünne, peitschende Knall des Gewehres unterschied sich deutlich von dem Krachen der Colts. Jethro schien sich im Sattel vorzubeugen. Aber da knallten mehrere Schüsse zur gleichen Zeit. Mit der schrecklichen Deutlichkeit eines Alptraumes sah John Gallagher das Gesicht des Schwarzen, das sich plötzlich zu entspannen schien. Ganz langsam sank der hünenhafte Neger nach vorn über den Hals des Pferdes, glitt ab und fiel in den Staub.
Mit einem Krächzen legte Kirk Galagher seinem Rappen die Schenkel an und jagte los. Ihm ging es um die Packpferde mit dem Villegas-Schatz. Doch da peitschten schon wieder die Gewehre. Das vorderste der drei Packpferde brach zusammen, keilte um sich und wälzte sich zur Seite. Im selben Augenblick vollführte auch Kirk Gallaghers Rappe einen Satz. Er bäumte sich auf und warf sich herum, so daß der Reiter ihn nicht mehr zu halten vermochte. Dann galoppierte er auch schon in Richtung Straße davon.
Der Schatz war verloren, jetzt ging es nur noch um das nackte Leben. Das erkannte Clayton Gunn mit einer Klarheit, die ihn zu ersticken drohte. Zuerst waren nur zwei Uniformkappen oben an dem Felsrand aufgetaucht, doch während Jethro stürzte, kam noch eine weitere hinzu, und nun waren es schon fünf. Allem Anschein nach hatte der Offizier der Patrouille doch nicht ganz so töricht gehandelt, wie es zunächst ausgesehen hatte. Offenbar diente die Attacke einzig und allein dem Zweck, seinen anderen Leuten, die von der Rückseite her den Felsrand erkletterten, zu einer Frist zu verhelfen. Nun waren sie in Stellung gegangen, und gegen das Feuer ihrer weitragenden Chassepot-Gewehre gab es kein Mittel. Clayton Gunn biß sich auf die Unterlippe, daß das Blut daraus hervortropfte.
»Weg hier!« schrie er John Gallagher an, der noch immer wie erstarrt im Sattel saß, während sein von einem Lanzenstich zerfetzter Arm schlaff herabhing. »Wollen Sie sich von diesen verdammten Greasern abknallen lassen?«
Ein paar Kugeleinschläge in nächster Nähe bewiesen, wie berechtigt
seine Frage war. Unaufhaltsam stieg ein Schluchzen in John Gallaghers Kehle auf. Aber dann zog auch er
sein Pferd herum und gab ihm die Sporen.
Sie wurden nicht verfolgt, als sie hinter Kirk Gallagher die Mulde durchquerten und in den steinigen, öden Geländefalten des Wüstenplateaus untertauchten. Nachdem der Offizier gefallen war und die Patrouille so starke Verluste erlitten hatte, war wohl auch so bald nicht mehr mit einer Verfolgung zu rechnen. Trotzdem legten die Männer die beiden nächsten Meilen im Galopp zurück und forderten den Pferden das Letzte ab. Dann begann Kirk Gallaghers Rappe plötzlich zu taumeln und fiel in Schritt, ehe er hinkend auf der Vorhand einbrach und mit einem menschlich anmutenden Seufzer ganz zum Stehen kam.
Mit einem Satz war Kirk Gallagher aus dem Sattel und starrte auf das rechte Vorderbein des schweißnassen Tieres. Oberhalb des Kniegelenks zeigte sich in dem schwarzen Fell eine tiefe, blutige Furche. Selbst ohne Belastung druch einen Reiter schaffte das Tier in diesem Zustand keine zehn Meilen mehr. Es war fast ein Wunder, daß es überhaupt so lange durchgehalten hatte.
»Aus!« sagte Kirk Gallagher heiser. »Jetzt ist alles zum Teufel, und wir werden bald in der Hölle sein.«
Auch sein Bruder hatte angehalten. Das Blut tropfte ihm von der Hand auf das Knie und bildete bereits einen großen Fleck auf seiner Hose. Doch in seiner dumpfen Betäubung schien John Gallagher gar nicht zu begreifen, was hier vor sich ging.
Clayton Gunn hatte eine undurchdringliche Miene aufgesetzt, und sein Gesicht glänzte von Schweiß.
»Wir?« krächzte er mit seiner gequetschten Stimme und blinzelte, weil ihm der Schweiß beißend in die Augen drang. »Das muß ein Irrtun sein, Gallagher. Mein Gaul läuft noch, und ich sehe keinen Anlaß...«
Während er sprach, hatte er die Veränderung erkannt, die jäh in Kirk Gallaghers Haltung vor sich ging, und als er die schattenhafte Bewegung des dunkelhaarigen Piraten erkannte, reagierte er mit der Instinktsicherheit eines erfahrenen Wolfes. Obwohl er im Sattel saß, brachte er den Colt noch rechtzeitig aus dem Halfter und schoß. Im selben Augenblick aber krachte auch Kirk Gallaghers Waffe.
»Du verfluchter...« stöhnte Clayton Gunn, dann fiel er schlaff zur Seite und klatschte auf den Boden.
Nur vier oder fünf Schritte von ihm entfernt brach zur gleichen Zeit Kirk Gallagher in die Knie. »John«, flüsterte er mit verzerrten Lippen, als er das fassungslose Gesicht seines Bruders vor sich sah, »jetzt – jetzt bist du nur noch übrig. Und – du hast – sogar noch Glück, du verdammter – Narr.« Mühsam deutete er mit dem Kinn auf den toten Banditen und fuhr abgerissen fort: »Der da ist – ist in den Staaten fünftausend Dollar wert. Bring ihn über – über die Grenze, dann hat wenigstens – einer von – uns...«
Sein Mund blieb plötzlich geöffnet, und sein Blick wurde starr. Dann sank sein Kopf auf die Brust, und er kippte kraftlos zur Seite.
*
Der Name der Stadt Nogales existiert nur einmal, und doch handelt es sich dabei um zwei voneinander völlig unabhängige Städte, beide unmittelbar an der Grenze und nur durch diese Grenze voneinander getrennt. Während die eine zu der mexikanischen Nordprovinz Sonora gehört, liegt die andere auf dem Territorium von Arizona, das erst viele Jahre später als Bundesstaat in die Union aufgenommen wurde. Die Behörden beider Städte hielten zueinander enge Kontakte, insbesondere jene, zu deren Aufgaben die Überwachung der Grenze gehörte.
Am 28. Juli 1887 ging bei der Ranger-Station von Nogales ein Bericht ein, der durch einen Boten vom Kommando der Rurales in der mexikanischen Schwesterstadt überbracht wurde. Diesem Bericht zufolge war wenige Tage zuvor eine Grenzstreife des Rurales auf einen Amerikaner gestoßen, der mit einem Handpferd bei mörderischer Hitze durch die Sonora-Wüste kam. Der Mann war halb verdurstet und befand sich wegen einer schweren Armverwundung im Fieberdelirium. Trotzdem hatte er auf dem Handpferd einen Leichnam transportiert, dessen Zustand darauf schließen ließ, daß er mehrere Tage damit unterwegs gewesen war. Er hatte die Rurales erst bemerkt, als sie unmittelbar vor ihm anhielten, dann aber sofort zur Waffe gegriffen. Daraufhin war er von einem der Rurales mit dem Karabiner in den Kopf geschossen worden. Das Kommando bedauerte den Vorfall, der sich am Camino del Diablo, unmittelbar südlich der Grenze abgespielt hatte. Anhand der Gravierung in seiner silbernen Taschenuhr habe man den Erschossenen als John Gallagher identifizieren können. Die Uhr und ein Betrag von vierzehn Dollar und zwanzig Cent waren dem Bericht beigefügt. Sonst habe der Amerikaner noch drei goldene Hundert-Peso-Stücke in der Tasche gehabt, die jedoch beschlagnahmt werden mußten, weil es sich um plumpe Fälschungen handelte.