Читать книгу Akte Null - Джек Марс - Страница 10
KAPITEL VIER
ОглавлениеAm frühen Nachmittag, als Null zur Bank in Arlington fuhr, gab es nur wenig Verkehr. Er missachtete zwei Stoppschilder und trat sogar auf das Gas, um durch eine orangene Ampel zu kommen. Bei jedem Mal erinnerte er sich daran, dass es am besten wäre, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Verkehrsdelikt würde sicherlich im CIA System aufgezeichnet und gäbe den Verschwörern, die sich in der Agentur befinden, einen Hinweis auf seinen Standort.
Doch er konzentrierte sich kaum auf die Verkehrsregeln. Er hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Mädchen mindestens für den Moment in Sicherheit zu wissen. Als Nächstes holte er die Akten aus dem Sicherheitsfach zurück. Soweit so gut. Doch danach käme der schwierige Teil. Zu wem bringe ich sie? Zu den Medien? Nein, er war sich im Klaren, dass das zu schmutzig wäre. Auch wenn er einige Namen durch den Schmutz zöge, so wäre der Prozess, um die Leitfiguren aus ihren Posten zu entlassen, dennoch langwierig und erforderte Gerichtsverfahren.
Die Vereinten Nationen? NATO? Auch hier würde der politische und rechtliche Prozess wirklichen Fortschritt verhindern. Er brauchte etwas Schnelles. Er musste sich mit dem, was er wusste, an jemanden wenden, der die Macht hatte, etwas Sofortiges und Unwiderrufliches zu tun.
Er hatte schon die Antwort. Pierson. Wäre sich der Präsident der Verschwörung wirklich nicht bewusst, dann könnte Null ihn um Hilfe bitten. Er müsste es schaffen, den Präsidenten alleine zu sehen und ihm alles zu zeigen, was er hatte und wusste. Der Präsident könnte all dies aufhalten und die Verantwortlichen entlassen. Pierson schien Agent Null sehr zu schätzen. Er vertraute ihm und behandelte ihn wie einen Freund. Auch wenn diese Verhaltensweise Null in der Vergangenheit dazu veranlasst hatte, Zweifel und Widerwillen bezüglich Pierson zu spüren, so war er jetzt jedoch mit seinem Gedächtnis bewaffnet, seinem wirklichen Gedächtnis, und er sah den Präsidenten so, wie er war: eine Schachfigur in diesem Spiel. Jene, die an der Macht waren, wollten vier weitere Jahre, damit sie die Dinge zu ihrem Vorteil manipulieren konnten, auf eine Art, die Langlebigkeit bedeutete, egal wer an der Spitze stand.
Er parkte zwei Häuserblocks von der Bank auf der Straße. Das war gar nicht so einfach mit nur einer brauchbaren Hand. Bevor er aus dem Auto stieg, griff er hinüber zum Handschuhfach, öffnete es und kramte darin herum, bis er das kleine, faltbare Einsatzmesser fand, das er dort verstaut hatte.
Dann eilte er zur Bank.
Null versuchte, geduldig auszusehen, während er wartete, bis die drei Kunden vor ihm ihre Angelegenheiten erledigt hatten und zeigte dann der Angestellten, einer Frau mittleren Alters mit einem freundlichen Lächeln und zu viel Lippenstift, seinen Fotoausweis.
„Lassen Sie mich den Filialleiter rufen”, sagte sie ihm höflich.
Zwei Minuten später führte ihn ein Mann in einem Anzug durch die Tür eines Tresorraumes zu den Sicherheitsfächern. Er schloss die schmale, rechteckige Tür zum Fach 726 auf, zog die Kiste heraus und stellte sie auf einen ansonsten leeren Stahltisch, der in der Mitte des Raumes am Boden verschraubt war.
„Nehmen Sie sich Zeit, mein Herr.” Der Manager nickte ihm zu und ließ ihm seine Privatsphäre.
Sobald der Mann gegangen war, hob Null den Deckel der Kiste an.
„Nein”, murmelte er. Er trat einen Schritt zurück und blickte instinktiv über seine Schulter, als könnte jemand da sein.
Die Kiste war leer.
„Nein, nein.” Er schlug mit einer Faust auf den Tisch. „Nein!” Alle seine Dokumente, alles, was er über jene, von denen er wusste, dass sie an der Verschwörung beteiligt waren, ausgegraben hatte, war verschwunden. Jedes Stück illegal erhaltener Beweise, die möglicherweise die Entlassung von Staatschefs erzwingen könnten, waren weg. Fotos, Transkripte, E-Mails... alles verschwunden.
Null legte sich die Hände an den Kopf und ging mehrmals schnell im Raum hin und her. Sein erster Gedanke war die wahrscheinlichste Lösung: jemand anders wusste von den Dokumenten und hatte sie gestohlen. Wer sonst wusste von diesem Fach? Niemand. Er war sich sicher. Hast du ganz sicher nicht die Information jemand anderem gegeben und es vergessen? Nein. Das hätte er nicht getan. Er lachte fast über sich selbst, wie verrückt die Idee war, dass er etwas vergessen hätte, von dem er vor ein paar Stunden nicht mal wusste, dass er es wusste.
Doch dann erinnerte sich Null an etwas anderes. Es war keine der zurückgekehrten Erinnerungen, sondern etwas, das er nur Tage zuvor erlebt hatte, im Büro eines schweizer Neurochirurgen.
Ich sollte sie vorwarnen, hatte Dr. Guyer ihm gesagt, bevor er die Prozedur durchführte, um Nulls Erinnerungen zurückzurufen. Falls dies funktioniert, dann sind einige der Dinge, an die Sie sich erinnern, möglicherweise unterbewusste Fantasien, Wünsche, Vermutungen aus Ihrem früheren Leben. All diese Aspekte, die keine Erinnerungen sind, wurden zusammen mit Ihren tatsächlichen Erinnerungen entfernt.
Null hatte das nicht gefallen. Sie sagen also, dass wenn ich mich an etwas erinnere, dann vielleicht einige dieser Erinnerungen gar nicht wahr sind?
Die Antwort des Arztes war einfach, doch erschütternd. Ihnen werden sie wahr erscheinen.
Falls dies der Fall war, dachte er, wäre es dann nicht möglich, dass er selbst etwas mit diesen Dokumenten getan hatte?
Ich werde verrückt.
Konzentrier dich, Null.
Er zog das Klappmesser aus seiner Tasche, faltete es auf und steckte vorsichtig die rasiermesserscharfe Spitze in die untere Kante der Kiste. Er schob es sanft hin und her, gab Acht darauf, sie nicht zu zerkratzen, bis die Unterseite sich löste.
Er atmete erleichtert auf. Wer auch immer seine Dokumente gestohlen hatte, wusste nichts von dem doppelten Boden, den er in die Box installiert hatte. Er war weniger als zwei Zentimeter über dem echten Boden. Dazwischen lag ein einzelner Gegenstand - ein USB-Stick.
Wenigstens haben sie nicht die Aufnahmen gefunden. Aber reicht das aus? Er war sich nicht sicher, doch es war alles, was er hatte. Er griff ihn auf, steckte sich das Messer und den USB-Stick in die Tasche und legte dann vorsichtig den doppelten Boden wieder ein. Anschließend schob er die Kiste zurück in das Sicherheitsfach und schloss die Tür.
Nachdem er fertig war, ging Null zurück zu der Angestellten mit dem Lippenstift.
„Entschuldigen Sie bitte”, sagte er, „könnten Sie mir sagen, ob jemand anderes in den letzten zwei Jahren auf mein Sicherheitsfach zugegriffen hat?”
Die Frau blinzelte ihn an. „Zwei Jahre?”
„Ja. Bitte. Sie führen doch Protokoll, oder?”
„Äh... sicherlich. Ein Moment, bitte.” Während einer langen Minute klackten Fingernägel gegen die Tastatur. „Da ist es ja. Es wurde nur einmal während der letzten zwei Jahre auf Ihr Sicherheitsfach zugegriffen und das war erst vor ein paar Monaten, im Februar.”
„Ich war es nicht”, entgegnete Null ungeduldig. „Also wer war es dann?”
Sie blinzelte ihn erneut an, dieses Mal verwirrt. „Nun ja, mein Herr, es war die einzige andere Person, die autorisierten Zugriff auf das Fach hat. Ihre Frau. Katherine Lawson.”
Null starrte die Angestellte länger an, als es ihr recht war.
„Nein”, antwortete er langsam. „Das ist unmöglich. Meine Frau starb vor zwei Jahren.”
Sie legte die Stirn in tiefe Falten, die mit Lippenstift verschmierten Mundwinkel verzogen sich nach unten, als hätte jemand daran gezogen. „Es tut mir sehr leid, das zu hören, mein Herr. Und das ist sicherlich seltsam. Doch... wir bestehen auf einen Fotoausweis und die Person, die auf das Sicherheitsfach zugegriffen hat, hatte ihn offensichtlich. Der Name Ihrer Frau wurde nicht aus dem Mietvertrag des Faches gestrichen, nachdem sie verstarb.”
Null erinnerte sich daran, dass er ihren Namen auf den Vertrag setzte. Kate wusste zu der Zeit nichts davon. Er hatte ihre Unterschrift gefälscht, um einen gemeinsamen Vertrag zu machen. Auf diese Weise wüsste jemand davon, falls er sterben sollte.
Und nur vor zwei Monaten hatte sich jemand als Kate ausgegeben, hatte sogar einen Ausweis gefälscht, der von der Bank akzeptiert wurde und den Inhalt des Sicherheitsfaches entwendet.
„Ich versichere Ihnen”, erklärte ihm die Angestellte, „dass wir uns diese Sache noch genauer ansehen werden. Der Filialleiter hat sich für heute gerade verabschiedet, doch er kann sich morgen bei Ihnen melden. Möchten Sie einen Diebstahl melden?”
„Nein, nein.” Null winkte mit der Hand ab. Er wollte keine legalen Behörden mit hineinziehen, damit das Sicherheitsfach in keinem System auftauchte, zu dem die CIA Zugriff hatte. „Es wurde nichts gestohlen”, log er. „Vergessen wir es einfach. Danke.”
„Mein Herr?” rief sie hinter ihm her, doch er war schon durch die Tür gegangen.
Jemand kam hierher und gab sich als Kate aus. Er wusste, dass er jetzt kaum etwas dagegen tun könnte. Die Bank hatte vielleicht noch die Aufnahmen der Überwachungskameras dieses Tages, doch sie erlaubten ihm kaum Zugriff darauf, solange es keine Ermittlung und Ermächtigung gab.
Aber wer? Die Agentur war der offensichtlichste Verdächtige. Mit den unbeschränkten Ressourcen, die der CIA zur Verfügung standen, hätten sie einen akzeptablen Fotoausweis herstellen können und eine weibliche Agentin, die sich als Kate ausgab, dort hinschicken können. Doch Null war seit zwei Jahren nicht an dem Fach gewesen. Selbst wenn sie damals davon gewusst hätten, warum hätten sie so lange gewartet, um es zu entleeren?
Weil ich zurückkam. Sie dachten, ich wäre tot und als dies nicht der Fall war, mussten sie herausfinden, was ich wusste.
Ein weiterer Gedanke ging ihm durch den Kopf: Maria. Bist du dir sicher, dass du ihr nie davon erzählt hast? Nicht mal im Fall einer Notlage? Sie war eine der besten verdeckten Geheimagenten, die er kannte. Sie hätte einen Weg gefunden. Doch auch hier stellte sich die Frage, warum sie es jetzt täte, warum sie wartete, obwohl sie über das Sicherheitsfach schon zuvor Bescheid wusste.
Plötzlich fühlte er sich müde und überwältigt. Er hatte so viel dessen verloren, was er zuvor aufgedeckt hatte. Nur noch das kleinste Fetzchen von potentiellem Beweismaterial war auf dem USB-Stick in seiner Tasche. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihm blieb, um mit Pierson unter vier Augen zu sprechen, zu versuchen, ihn davon zu überzeugen, was geschah und ihn irgendwie zu überreden, die Verantwortlichen näher zu untersuchen, obwohl es kaum Beweise gab.
Es fühlte sich unüberwindbar an. Düster bemerkte er, dass Reid Lawson, der in der Hölle seiner unvollständigen Erinnerungen als Agent Null lebte, vermutlich schon aufgegeben hätte. Er hätte vielleicht seine Töchter und alles, was sie tragen konnten, eingesammelt und wäre irgendwohin geflohen. In den mittleren Westen vielleicht. Er hätte seinen Kopf möglicherweise in den Sand gesteckt und die Dinge so geschehen lassen. Reid Lawsons höchste Priorität waren seine Mädchen.
Doch Agent Null hatte eine Verantwortung. Dies war nicht nur sein Beruf. Es war sein Leben. Dies war, wer er wirklich war und auf keinen Fall lehnte er sich zurück und sähe dabei zu, wie ein Krieg sich entfaltete. Er sähe nicht dabei zu, wie unschuldige Menschen stürben. Sähe nicht dabei zu, wie amerikanische Soldaten und Zivile aus dem Nahen Osten in einen Konflikt gezwungen würden, der zugunsten einer Handvoll größenwahnsinniger Männer, die ihre Macht behalten wollten, heraufbeschworen wurde.
Er hörte die Schritte wie ein Echo seiner eigenen und widerstand dem Drang, sich umzudrehen. Als er sich seinem Auto annäherte, das zwei Häuserblocks von der Bank entfernt war, hielten die schweren Schritte genau mit ihm mit.
Etwa drei Meter hinter dir. Sie halten die Entfernung ein. Sie sind schwer, ganz sicher ein Mann, etwa eins-achtzig groß, hundert bis hundertfünf Kilo schwer.
Null machte bei seinem Auto nicht Halt. Er ging daran vorbei bis zur nächsten Ecke und bog dann rechts in eine Seitenstraße ab. Während er an einem Blumengeschäft vorbeilief, demselben, in dem er einmal Sträuße für seine Mädchen gekauft hatte, bevor er sie aus dem geheimen Unterschlupf sechs Häuserblocks westlich abholte, überprüfte er sein Umfeld. Dies hatte er als Reid Lawson instinktiv getan, doch gemeinsam mit seinen Erinnerungen kamen auch seine Fähigkeiten zurück. Es war so leicht, wie in einen Spiegel zu blicken. Ohne seinen Blick vom Bürgersteig vor ihm zu nehmen, konzentrierte er sich auf die äußersten Bereiche seines Blickfeldes.
Ein Mann in einem schwarzen T-Shirt ging über die Straße auf ihn zu. Er war groß, mindestens hundertfünfzehn Kilo schwer, sein Hals war so dick wie sein Kopf und sein T-Shirt spannte sich über seine muskulösen Arme.
So wird es also werden. Die Härchen auf Nulls Armen standen ab, doch sein Herzschlag blieb ruhig. Seine Atmung normal. Kein Schweiß rann ihm von der Stirn.
Er war nicht paranoid. Sie verfolgten ihn. Sie wussten Bescheid. Und er war mehr als bereit, die Herausforderung anzunehmen.