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KAPITEL DREI

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Maya stippte eine Kruste Sauerteigbrot in den polnischen Eintopf und kaute langsam darauf herum. Er war köstlich, viel besser als das Essen in der Akademie, doch sie hatte kaum Appetit. Ihr Vater saß ihr an dem kleinen Esstisch gegenüber, Maria links und Greg rechts von ihr.

Und er starrte sie wieder an.

Sie wünschte, sie wäre nicht gekommen. Sie schuldete ihm nichts. Und sie wusste, dass sie sich nicht dazu zwingen konnte, aufzublicken, ihm in die Augen zu schauen und den unverdeckten Schmerz ihres Bruches zu sehen. Stattdessen starrte sie auf ein geflecktes Stückchen Krakauer auf ihrem Teller.

Ihn hier, in diesem neuen Haus, in dem er mit Maria lebte, mit dunklen Ringen unter seinen Augen und mehr Gewicht um seine Taille zu sehen, ließ sie ihren eigenen Vater wie einen Fremden erscheinen. Er hatte nicht mehr das jugendliche, verspielte Licht in seinen Augen, das immer da war, als sie aufwuchsen. Sie hatte ihn seit mehr als einem Jahr nicht mehr lachen hören. Sie vermisste ihre sarkastischen, lustigen Gespräche und manchmal erhitzten Debatten.

„Stimmt’s Maya?”

„Wie?” Sie blickte auf, als sie ihren Namen hörte und sah Greg, der sie erwartend anschaute. „Oh. Ja. Das stimmt.” Du liebe Güte, redet der immer noch?

Greg war nicht wirklich ihr Freund. Zumindest sah sie das nicht so. Sie gingen damit lässig um, es war nichts offizielles. Er wusste, dass sie ihm gefiel - sie hatten sich ein paar Mal geküsst, doch sie ließ ihn nicht näher an sich heran -aber dennoch konnte sie es eigentlich nur als eine Frage des Status für ihn ansehen. Er kam aus einer guten Familie, seiner Mutter war in der Politik tätig und sein Vater ein hochrangiges Mitglied des nationalen Sicherheitsrates. Sie war Klassenbeste und (je nach dem, wen man fragte) vermutlich besser bei den meisten Dingen, insbesondere was akademische Leistungen anging. Einige der anderen Kadetten in der zweiten und dritten Klasse machten Witze darüber, dass sie das „Königspärchen des Abschlussballes von West Point” waren.

Er sah gut aus. Er war athletisch. Er war eigentlich ein netter Typ. Aber er war auch ein Angeber, egozentrisch und sich seinen Fehlern komplett unbewusst.

„Wenn ihr mich fragt”, sagte Greg, „hätte Pierson in den Knast gehört. Meine Mutter sagt - meine Mutter war die Bürgermeisterin von Baltimore für zwei Jahre, habe ich das schon erwähnt? Na, auf alle Fälle sagt sie, dass seine Fahrlässigkeit ausgereicht hätte, um ihn des Amtes zu entheben oder ihn zumindest nach seiner Amtszeit zu verklagen...”

Hör auf, mich anzustarren. Sie wollte es herausschreien, doch hielt die Zunge im Zaum. Sie konnte fühlen, wie verzweifelt ihr Vater mit ihr sprechen wollte. Das war ein Teil des Grundes, warum sie Greg mitgebracht hatte, damit sie während dieses Besuches in keine Wespennester stechen konnten. Sie wusste, dass er nach Sara fragen wollte. Sie wusste, dass er um Entschuldigung bitten wollte, alles wieder gutmachen wollte, die ganze Sache hinter sich lassen wollte.

Die Wahrheit war, dass sie ihn nicht hasste. Nicht mehr. Es brauchte Energie, um jemanden zu hassen und sie steckte all ihre Energie in die Akademie. Für sie war es kein Thema mehr. Dieser Besuch war nicht versöhnend, er war bürokratisch. Eine Gepflogenheit. Etikette. Die Werte, die sie von der Akademie eingeflößt bekamen, trafen zwar nicht ganz auf Mayas einzigartige Situation zu, doch für sie bedeutete das, dass sie mindestens hin und wieder den Mann sehen sollte, der sie großgezogen hatte, der nur noch ein Schatten seiner selbst war. Selbst wenn es zu nichts weiter nützte, als sich selbst zu beweisen, dass sie es immer noch aushielt, im selben Zimmer wie er zu sein.

Doch jetzt wünschte sie sich, dass sie nicht gekommen wäre.

„Also”, sagte Maria plötzlich. Greg hatte lange genug aufgehört, zu reden, um etwas Eintopf zu löffeln und Maria nahm die Gelegenheit beim Schopfe. „Maya. Hast du in letzter Zeit mit deiner Schwester gesprochen?”

Die Frage überraschte sie. Sie hatte sie von ihrem Vater erwartet, aber nicht von Maria. Dennoch war es eine gute Gelegenheit, die Fähigkeiten auszuprobieren, die sie entwickelt hatte. Sie bekämpfte den Instinkt, jeglichen verräterischen Gesichtsausdruck zu unterdrücken und lächelte stattdessen leicht.

„Das habe ich”, antwortete Maya. „Gerade erst gestern sogar. Ihr geht es gut.” Nur die Hälfte davon war eine Lüge.

„Du hast eine Schwester?” fragte Greg.

Maya nickte. „Zwei Jahre jünger. Sie ist in Florida bei einem Ausbildungsprogramm. Sehr beschäftigt.” Eine weitere Lüge, doch sie ging ihr leicht von den Lippen. Sie wurde immer besser dabei und erfand oft kleine Lügen, nur um zu üben - und weil es ehrlich gesagt ein bisschen aufregend war.

„Und äh...” Ihr Vater räusperte sich. „Kommt sie klar? Hat sie alles, was sie braucht?”

„Ja ja”, erwiderte Maya kurz, ohne ihn anzublicken. „Der geht’s toll.”

Greg lächelte gekünstelt, als er sich an ihren Vater wandte. „Sie fragen, als ob sie nicht mit ihr sprächen, Mr. Lawson.”

„Wie Maya schon sagte”, gab ihr Vater leise zurück, „Sara ist sehr beschäftigt.

Maya wusste, dass ihr eigener plötzlicher Umzug ihn verletzt hatte. Doch wenn dies der Fall war, dann war Saras Abschied der Todesstoß.

In diesem ersten Sommer, nur ein paar Monate nachdem ihr Vater Präsident Piersons Leben gerettet hatte, nachdem er ihnen die Wahrheit über ihre Mutter gesagt hatte und die Anspannung zu Hause sehr stark war, hatte Maya ihre Pläne ihrer Schwester anvertraut. Sie sagte Sara, dass sie das letzte Jahr High School übersprungen und sich für West Point beworben hatte.

So lange sie lebte, vergäße sie nicht den panischen Gesichtsausdruck ihrer kleinen Schwester. Bitte. Bitte nicht, bettelte Sara. Lass mich nicht allein hier mit ihm. Ich kann das nicht.

So sehr es ihr auch das Herz brach, Maya hatte ihre Pläne geschmiedet und hatte vor, sie durchzuziehen. Also machte Sara ihre eigenen Pläne. Sie ging ins Internet und fand einen Anwalt, der ihren Fall ehrenamtlich übernähme. Dann stellte sie einen Antrag auf Emanzipierung. Sie wusste, dass dies nur wenig Chance hatte. Es gab keine Beweise für Vernachlässigung, Misshandlung oder ähnliches.

Beide Schwestern waren jedoch schockiert, dass der Vater den Antrag nicht bekämpfte. Weniger als zwei Wochen, nachdem Maya zur Militärakademie in New York gezogen war, erschien ihr Vater zum Gerichtstermin und sagte seiner damals fünfzehnjährigen Tochter in Anwesenheit eines Richters, dass wenn sie so sehr erpicht darauf war, ihre Freiheit von ihm zu erlangen, dass sie ihn deshalb vor Gericht zog, sie ihre Freiheit haben könnte.

In derselben Nacht gab es noch ein weiteres Ereignis, das Maya nicht so schnell vergessen konnte. Ihr Vater rief sie an. Sie ignorierte ihn. Sie hasste ihn damals noch. Er hinterließ eine Nachricht auf ihrer Mailbox, die sie für zwei weitere Tage nicht abhörte. Als sie es schließlich tat, bereute sie ihre Entscheidung. Seine Stimme schwankte, brach fast. Er sagte ihr, dass Sara gegangen war. Er gab zu, dass er all das und noch mehr verdient hatte. Er entschuldigte sich drei Mal und sagte ihr dann, dass er sie liebte.

Es würde weitere sechs Monate dauern, bis sie wieder sprachen.

Doch Maya blieb in Kontakt mit ihrer Schwester. Nach der Emanzipation. Sara packte ein, was sie tragen konnte und stieg in einen Bus. Sie blieb schließlich in Florida und nahm den ersten Job an, den sie fand, als Kassiererin in einem Secondhandladen. Sie arbeitete dort immer noch. Sie lebte in einer Wohngemeinschaft, einem gemieteten Haus mit fünf weiteren Leuten. Sie teilte sich ein Schlafzimmer mit einem Mädchen, das ein paar Jahre älter als sie war und das Bad mit allen.

Maya rief ihre Schwester mindestens einmal pro Woche an, noch öfter, wenn ihr Stundenplan es zuließ. Sara sagte immer, dass es ihr gut ginge, doch Maya war sich nicht so sicher, dass sie das glaubte. Sie hatte die High School verlassen und versprochen, dass sie zurückginge, doch das war nicht der Fall. Dieser Tage versuchte Maya nicht einmal mehr, sie zu einer Rückkehr zu überreden. Stattdessen drängte sie Sara dazu, wenigstens ein generelles Bildungszertifikat zu erlangen. Ein weiteres der Dinge, die Sara versprach, zu tun. Irgendwann.

Maya lebte das ganze Jahr über in der Akademie und bekam jedes Semester ein Stipendium für Uniformen, Bücher, Essen und so weiter. Normalerweise blieb ihr nicht viel, doch sie schickte ihrer Schwester ein wenig Geld, wenn sie es konnte. Sara wusste das immer zu schätzen.

Keine der beiden brauchte noch etwas von ihm. Sie wollten nichts mehr von ihm.

Sie hatten wirklich einen Tag zuvor gesprochen, der Teil war keine Lüge. Sara war jetzt sechzehn und eine der Mädchen in ihrer Wohngemeinschaft brachte ihr das Autofahren bei. Es tat Maya weh, dass sie bei solch wichtigen Dingen in Saras Leben nicht dabei war, doch sie hatte ihre eigenen Ziele und war entschlossen, sie zu erreichen.

Einfach gesagt, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter und die Lügen ihres Vaters hatten nicht einen Keil zwischen ihn und sie getrieben, sondern auch zwischen die zwei Mädchen. Sie waren auf unterschiedlichen Wegen, und wenn sie auch in Kontakt blieben und einander so weit wie möglich hälfen, so war doch keine der beiden dazu bereit, ihr eigenes Leben zu stark für die andere zu unterbrechen.

„Möchte jemand noch mehr?” bot Maria an. „Es ist noch viel übrig.”

Mayas Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Abendessen. Sie war in ihren eigenen Gedanken verloren und als sie um sich blickte, bemerkte sie, dass alle anderen schon zu Ende gegessen hatten. Sie legte dennoch den Löffel nieder. Sie wollte einfach nur, dass dieser Besuch vorbei wäre, ihnen danken und hier endlich verschwinden. „Nein danke. Es war sehr lecker.”

„Das stimmt”, sagte Greg enthusiastisch. „Einfach köstlich.” Und dann öffnete der blonde Idiot schon wieder seinen Mund. „Danke Ihnen, Frau Lawson.”

Blitzartig explodierte Zorn in ihr. Die Worte sprangen aus Mayas Mund, bevor sie überhaupt über sie nachdenken konnte. „Sie ist nicht Frau Lawson.”

Maria blickte erstaunt. Ihr Vater starrte weiter, doch jetzt waren seine Augen vor Überraschung geweitet und sein Mund stand ihm ein wenig offen.

Greg räusperte sich nervös. „Tut mir leid”, murmelte er, „ich nahm nur an...”

Weiterer Zorn brodelte in ihr auf. „Ich habe dir das auf dem Weg hierher erklärt. Du müsstest nichts annehmen, wenn du einfach mal für nur fünf Minuten aufhören würdest, über dich selbst zu reden!”

„Hey”, sträubte sich Greg, „So kannst du nicht mit mir reden -”

„Warum nicht?” forderte sie ihn heraus. „Kommt sonst deine Mami? Ja Greg. Ich weiß, sie war die Bürgermeisterin von Baltimore für zwei Jahre. Das sagst du ständig. Niemand interessiert sich auch nur die Bohne dafür!”

Er schluckte und sein Gesicht wurde rot, doch er antwortete nicht.

„Maya”, sagte Maria sanft, doch streng, „ich weiß, dass du wütend bist, aber es war nur ein Unfall. Kein Grund, unhöflich zu werden. Wir sind hier alle Erwachsene -”

„Oh.” Maya schnaubte verächtlich. „Ich finde, es gibt jeden Grund, um unhöflich zu sein. Soll ich sie für dich aufzählen?” Sie war klug genug, um zu wissen, was da vor sich ging, doch wütend genug, damit es ihr egal war. Die Wahrheit war offensichtlich. Sie war immer noch sehr verärgert mit ihrem Vater, obwohl sie sich sagte, dass dem nicht so sei. Doch sie hatte all die Feindlichkeit und Wut in ihre Schule und ihre Ziele kanalisiert. Hier und jetzt, wo nichts davon da war und sie dem Mann gegenübersaß, der ihr das angetan hatte, kam wieder alles zurück an die Oberfläche. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an und ihr Herzschlag verdoppelte sich.

Plötzlich merkte sie stärker als je zuvor, dass sie an keine glückliche Kindheitserinnerung denken konnte, ohne dabei zu erkennen, dass das Leben ihres Vaters, und damit auch große Teile ihres Lebens, eine riesige Lüge war, eingewickelt in tausende kleinere Lügen. Das hellste Licht ihres jungen Lebens, ihre Mutter, wurde deswegen brutal und kalt ausgelöscht, durch die Hand eines Mannes, dem Maya dummerweise vertraut hatte.

Und ihr eigener Vater wusste nicht nur davon. Er ließ den Mann, John Watson, frei.

„Maya”, begann ihr Vater, „bitte, lass -”

„Du hast hier nichts zu sagen!” blaffte sie ihn an. „Sie ist wegen dir tot!” Sie überraschte sich selbst mit der Intensität und war dann erneut überrascht, dass ihr Vater nicht in Wut ausbrach. Stattdessen wurde er still und starrte auf den Tisch wie ein getretenes Hündchen.

„Schaut mal, ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht”, sagte Greg leise, „aber ich glaube, ich mache mich besser auf den Weg.”

Er wollte gerade aufstehen, als Maya einen drohenden Finger in sein Gesicht hielt. „Setz dich! Du gehst nirgendwo hin."

Greg setzte sich sofort wieder auf seinen Stuhl, als sei sie eine Militärausbilderin, die einen Grenadier herumbefahl. Maria beobachtete sie distanziert, eine Augenbraue ein wenig hochgezogen, als wartete sie darauf, herauszufinden, wie dies enden würde. Die Schultern ihres Vaters fielen vornüber und sein Kinn berührte fast sein Schlüsselbein.

„Verdammt”, murmelte Maya, als sie sich mit den Händen über ihr kurzes Haar fuhr. Sie dachte, dass sie damit schon durch wäre, dass sie dieses emotionale Aufbrausen, das wie fehlgeleitete Welle über ihr zusammenbrach, schon überwunden hatte, dass sie es nicht mehr versuchte, den lächelnden, humorvollen Professor, den sie Papa nannte, mit dem tödlichen Geheimagenten zu vereinbaren, der für das Trauma verantwortlich war, das sie für den Rest ihres Lebens hätte. Sie dachte, dass die Weinkrämpfe tief in der Nacht vorbei waren, wenn sie sich umzog und die dünnen weißen Narben der Nachricht sah, die sie in ihr eigenes Bein geritzt hatte, damals als sie dachte, dass sie stürbe und ihr letztes Bisschen Kraft dazu verwendete, um ihm einen Hinweis auf den Aufenthaltsort ihrer Schwester zu geben.

Wage es nicht zu heulen.

„Das hier war ein Fehler.” Sie stand auf und ging auf die Tür zu. „Ich will dich nie wieder sehen.”

Sie war zu wütend, um zu weinen, bemerkte sie. Zumindest war sie darüber hinweg.

Maya setzte sich hinter das Steuer des Mietwagens und drehte die Schlüssel im Zündschloss um, bevor Greg hinter ihr herausgejoggt kam.

„Maya!” rief er. „Hey, warte!” Er versuchte, den Türgriff auf der Beifahrerseite zu ziehen, doch sie hatte schon die Türen verschlossen. „Mach schon. Lass mich rein.”

Sie begann, rückwärts aus der Einfahrt zu fahren.

„Das ist nicht lustig!” Er schlug mit der Hand gegen eine Scheibe. „Wie soll ich denn wieder zurückkommen?”

„Deine Mama kann dir bestimmt dabei helfen”, rief sie ihm durch das geschlossene Fenster zu. „Versuch doch, sie anzurufen.”

Und dann fuhr sie weg, die Straße hinunter. Im Rückspiegel sah sie, wie Greg, mit seinen Händen ungläubig am Kopf, immer kleiner wurde. Sie wusste, dass sie dafür an der Akademie die Hölle erwartete, doch in diesem Moment war es ihr egal. Als das fremde Haus ihres Vaters kleiner hinter ihr wurde, fühlte es sich an, als ob ein Gewicht von ihren Schultern fiele. Sie war aus Familiensinn, aus Verantwortungsgefühl an diesem Tag hierhergekommen. Es war eigentlich eine Last.

Doch jetzt bemerkte sie, dass es in Ordnung für sie wäre, wenn sie die beiden oder dieses Haus nie wiedersähe. Es ginge3

ihr auch allein gut. Es gab keine Ende dafür und es würde niemals eines geben. Ihre Mutter war tot und ihr Vater war für sie ebenfalls gestorben.

Rückruf Null

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