Читать книгу Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz - Ödön von Horváth - Страница 8

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[11]Erstes Bild

Szene Nummer 1

Schauplatz: Vor dem Anatomischen Institut mit Milchglasfenstern .

Elisabeth will es betreten und sieht sich noch einmal fragend um, aber es ist nirgends eine Seele zu sehen.

In der Ferne intoniert ein Orchester den beliebten Trauermarsch von Chopin und nun geht ein junger Schupo (Alfons Klostermeyer) langsam an Elisabeth vorbei und beachtet sie scheinbar kaum.

Es ist Frühling.

Szene Nummer 2

ELISABETH (spricht den Schupo plötzlich an, während der Trauermarsch in der Ferne verhallt). Entschuldigens bitte -- aber ich suche nämlich die Anatomie.

SCHUPO. Das anatomische Institut?

ELISABETH. Dort wo man halt die Leichen zersägt.

SCHUPO. Das dort ist das hier.

ELISABETH. Dann ist es schon gut.

(Stille.)

SCHUPO (lächelt). Gebens nur acht, Fräulein --- da drinnen stehen die Köpf in Reih und Glied.

ELISABETH. Ich habe keine Angst vor den Toten.

SCHUPO. Ich auch nicht.

ELISABETH. Mir graust es noch lange vor nichts.

SCHUPO. In diesem Sinne --- (er salutiert legere und ab).

[12]Szene Nummer 3

Elisabeth sieht dem Schupo spöttisch nach --- dann fasst sie sich ein Herz und drückt auf den Klingelknopf des Anatomischen Instituts. Man hört es drinnen klingeln und schon erscheint der Präparator in weissem Mantel. Er steht in der Türe und fixiert die anscheinend unschlüssige Elisabeth.

Szene Nummer 4

PRÄPARATOR. Sie wünschen?

ELISABETH. Ich möchte hier jemand Zuständigen sprechen.

PRÄPARATOR. In was für einer Angelegenheit?

ELISABETH. In einer dringenden Angelegenheit.

PRÄPARATOR. Haben Sie einen angehörigen Toten bei uns?

ELISABETH. Es dreht sich um keinen angehörigen Toten, es dreht sich um mich selbst persönlich.

PRÄPARATOR. Wieso denn das hernach?

ELISABETH. Sind der Herr hier eine zuständige Instanz?

PRÄPARATOR. Ich bin der Präparator. Sie können sich mir ruhig anvertraun.

(Stille.)

ELISABETH. Man hat mich nämlich extra darauf aufmerksam gemacht, dass man hier seinen Körper verkaufen kann -- das heisst: wenn ich einmal gestorben sein werde, dass dann die Herren da drinnen mit meiner Leiche im Dienste der Wissenschaft machen können, was die Herren nur wollen -- dass ich aber dabei das Honorar gleich ausbezahlt bekomme. Schon jetzt.

PRÄPARATOR. Das ist mir neu.

ELISABETH. Man hat mich aber extra darauf aufmerksam gemacht.

PRÄPARATOR. Wer denn?

[13]ELISABETH. Eine Kollegin.

PRÄPARATOR. Was sind Sie denn von Beruf?

ELISABETH. Jetzt habe ich eigentlich nichts. Es soll ja noch schlechter werden. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen.

(Stille.)

PRÄPARATOR. Seine eigene Leiche verkaufen -- auf was die Leut noch alles kommen werden?

ELISABETH. Man möchte doch nicht immer so weiter.

PRÄPARATOR. Ein krasser Irrtum -- (er holt aus seiner Tasche eine Tüte Vogelfutter und füttert damit die Tauben, die vom Dache des Anatomischen Instituts herabfliegen – die Tauben kennen den Präparator gut und setzen sich auf seine Schulter und fressen ihm aus der Hand).

Szene Nummer 5

Jetzt begleitet der Oberpräparator einen Baron mit Trauerflor aus dem Anatomischen Institut in das Freie.

OBERPRÄPARATOR. Wird prompt erledigt, Herr Baron, und abermals mein innigstes Beileid.

BARON. Danke, Herr Oberpräparator. Ich mache mir die heftigsten Vorwürfe.

OBERPRÄPARATOR. Aber die staatsanwaltschaftlichen Erhebungen haben doch die völlige Haltlosigkeit der gegen Herrn Baron erhobenen etwaigen Beschuldigungen ergeben! Wir alle sind in Gottes Hand.

BARON. Trotzdem ich stand vor Verdun und an der Somme, aber nichts hat mich so erschüttert, wie diese Katastrophe gestern. Wir waren ja erst seit drei Monaten verheiratet und ich steuerte den Unglückswagen -- in der Unglückskurve. Zwischen Lechbruck und Steingaden. Nur gut, dass der Leichnam freigegeben ist.

[14]OBERPRÄPARATOR (entdeckte inzwischen den Präparator). Augenblick bitte! (Er nähert sich dicht dem Präparator und schreit ihn an.) Sie füttern schon wieder die Tauben? Was bilden Sie sich denn ein? Saustall sowas! Drinnen liegen die Finger und die Gurgeln nur so herum, dass es eine wahre Freud ist! Tuns die beiden Herzen und die halberte Milz gefälligst in die Schublad! Kreuzkruzifix, ist das aber eine Schlamperei!

PRÄPARATOR. Aber das Fräulein dort wollte doch ihre Leiche verkaufen, Herr Oberpräparator --

OBERPRÄPARATOR. Ihre Leiche? Schon wieder?

(Stille.)

BARON. Beispiellos.

OBERPRÄPARATOR. Wir haben es zwar schon weiss Gott wie oft dementiert, dass wir keine solchen lebendigen Toten kaufen, aber die Leut glauben halt den amtlichen Verlautbarungen nichts! Die bilden sich gar ein, dass der Staat für ihren Corpus noch etwas daraufzahlen wird -- gar so interessant kommen sie sich vor! Immer soll nur der Staat helfen, der Staat!

BARON. Eine völlig beispiellose Ansicht über die Pflichten des Staates.

OBERPRÄPARATOR. Wird schon noch anders werden, Herr Baron.

BARON. Hoffentlich.

Szene Nummer 6

DER VIZEPRÄPARATOR (erscheint mit dem Hute des Oberpräparators rasch in der Tür des Anatomischen Instituts). Telefon, Herr Oberpräparator!

OBERPRÄPARATOR. Wer? Ich?

VIZEPRÄPARATOR. Es dreht sich etwas um das Gutachten in [15]Sachen Leopoldine Hackinger aus Brünn. Herr Oberpräparator sollen sofort in die Klinik zum Professor -- (er überreicht ihm seinen Hut).

OBERPRÄPARATOR. Sofort! (Er zieht hastig seinen weissen Mantel aus und übergibt ihn dem Vizepräparator, der wieder im Anatomischen Institut verschwindet; zum Baron) Pardon Baron! Die Kapazitäten kriegens mir scheint nicht heraus, an was dass diese Sudetendeutsche gestorben ist. Die Pflicht ruft --

BARON. Oh bitte!

OBERPRÄPARATOR. -- und abermals mein innigstes Beileid!

BARON. Oh danke!

OBERPRÄPARATOR. Habe die Ehre, Herr Baron! (rasch ab nach rechts).

BARON. Wiedersehen -- (langsam ab nach links).

(Und wieder ertönen in weiter Ferne einige Takte des Chopinschen Trauermarsches. Langsam fängt es an zu dämmern, denn es ist bereits spät am Nachmittag.)

Szene Nummer 7

PRÄPARATOR (sieht dem Oberpräparator nach). Ein schlechter Mensch. Die armen Tauben. Glaubens mir, Fräulein: Das Beste ist, Sie springen zum Fenster hinaus.

ELISABETH. Sie sind aber ein sehr freundlicher Mann, Herr Oberpräparator.

PRÄPARATOR. Ich mein es gut mit Ihnen. Wer kauft eine Leiche? Heutzutag!

ELISABETH. Morgen ist auch ein Tag.

PRÄPARATOR. Es wird nicht anders.

ELISABETH. Das glaub ich nicht.

PRÄPARATOR. Sondern vielleicht?

(Stille.)

ELISABETH (lächelt). Nein -- das lasse ich mir auch von Ihnen [16]nicht nehmen, dass ich noch einmal Glück haben werde. Sehens zum Beispiel, wenn ich jetzt meine Leiche hätt verkaufen können, nämlich um hundertfünfzig Mark --

PRÄPARATOR (unterbricht sie). Hundertfünfzig Mark?

ELISABETH. Jawohl.

(Stille.)

PRÄPARATOR (grinst). Sie Kind -

ELISABETH. Wie belieben?

PRÄPARATOR. Was ist denn Ihr Vater von Beruf?

ELISABETH. Ein Inspektor.

PRÄPARATOR. Inspektor? Respekt!

ELISABETH. Aber er kann mir halt auch nicht unter die Arme greifen, weil meine Mama im März das Zeitliche gesegnet hat und da hat er gleich soviel Ausgaben gehabt damit.

PRÄPARATOR. Was ist schon so ein lumpiger Oberpräparator neben einem Inspektor? Respekt, Fräulein!

ELISABETH. Sehens, wenn ich jetzt hundertfünfzig Mark hätt, dann könnt ich jetzt meinen Wandergewerbeschein haben und dann würde sich mir die Welt wieder öffnen --- weil ich mit einem Wandergewerbeschein schon morgen eine sozusagen fast selbständige Position bekommen tät in meiner ursprünglichen Branche, aus der ich herausgerissen worden bin durch die Zeitumstände.

(Stille.)

PRÄPARATOR. Was war denn das für eine Branche?

ELISABETH. Hüftgürtel, Korsett. En gros. Auch Büstenhalter und dergleichen.

PRÄPARATOR. Interessant.

(Stille.)

ELISABETH. Wo bist Du, goldene Zeit?

(Stille.)

PRÄPARATOR (kramt aus seiner Brieftasche eine Photographie hervor). Da schauns mal her --

[17]ELISABETH (betrachtet die Photographie). Ein netter Hund.

PRÄPARATOR. Mein Rehpinscher -

ELISABETH. Aufgeweckt.

PRÄPARATOR. Und scharf! Leider ist er mir verreckt.

ELISABETH. Schade.

PRÄPARATOR (pfeift). Das war sein Pfiff. Da ist er dann immer gekommen. (Er spricht nun mit der Photographie.) Burschi, Burschi, jetzt bist hin -- aus ist es mit dem Gassi-Gassi ---. (er steckt die Photographie wieder ein, zu Elisabeth). Aber das freut mich von Ihnen, dass Sie mit dem armen Burschi sympathisieren. Wie heissen denn Sie mit dem Vornamen?

ELISABETH. Elisabeth.

(Stille.)

PRÄPARATOR. Die Kaiserin Elisabeth von Österreich, das war auch ein gutes braves Weiberl - aber trotzdem ist sie halt einem ruchlosen Attentat zum Opfer gefallen. In Genf. Überhaupt der Völkerbund -- alles ruchlos! Jetzt hab ich halt noch meine Schmetterlingssammlung und den Kanari und gestern ist mir eine Katz zugelaufen. -- Interessiert Ihnen ein Aquarium?

ELISABETH. Wie belieben?

PRÄPARATOR. Ich hätte auch ein Terrarium.

ELISABETH. Terrarium eher.

PRÄPARATOR. Also dann kommens halt mal zu mir, Sie Fräulein Inspektor.

ELISABETH. Vielleicht.

Szene Nummer 8

Jetzt kehrt der Oberpräparator aus der Klinik zurück und zwar überraschend … sein Zeigefinger ist dick verbunden, er erblickt den Präparator, stutzt empört und fixiert ihn, der retirieren möchte, während Elisabeth sich zurückzieht.

[18]Szene Nummer 9

OBERPRÄPARATOR (nähert sich langsam dem Präparator und hält dicht vor ihm). Schon wieder? Sie füttern schon wieder die Tauben? (Er fährt ihn plötzlich an.) Jetzt schauens aber, dass Sie verschwinden! (zu Elisabeth). Verstanden!

ELISABETH. Gewiss. (ab).

Szene Nummer 10

OBERPRÄPARATOR (sieht Elisabeth nach). Na das sind ja saubere Zustände. Statt die Tumors endlich zu katalogisieren, treiben Sie sich da mit dem schönen Geschlecht herum!

PRÄPARATOR. Irrtum, Herr Oberpräparator! Das Fräulein ist eine verarmte Zollinspektorstochter.

OBERPRÄPARATOR. Zollinspektor?

PRÄPARATOR. Jawohl. Und wenn jetzt diese Zollinspektorstochter hundertfünfzig Mark hätte, dann hätte sie auch ihren Wandergewerbeschein und die Welt würde sich ihr wieder öffnen -- Ich weiss, dass Sie mich für unfähig halten, Herr Oberpräparator, weil ich ein Aquarium habe und weil ich die Tauben füttere und weil ich ein gutes Herz habe --

OBERPRÄPARATOR. Zur Sache!

PRÄPARATOR. Zur Sache: Ich werde dieser Zollinspektorstochter unter die Arme greifen. Das steht bei mir felsenfest. Hundertfünfzig Mark.

OBERPRÄPARATOR. Hundertfünfzig?

PRÄPARATOR. Das Fräulein wird es mir schon zurückerstatten.

OBERPRÄPARATOR. Mir scheint, Sie glauben noch an Wunder, Sie leichtsinniger Patron. Sie sollten meine Frau sein, Sie schlaget ich ja tot -- (er droht ihm neckisch mit seinem dickverbundenen Zeigefinger).

[19]PRÄPARATOR. Was haben Sie denn da mit dem Finger? Verletzt?

OBERPRÄPARATOR. Infiziert.

PRÄPARATOR. Doch nicht an einem Leichnam?

OBERPRÄPARATOR. Natürlich. Eben zuvor. An diesem komplizierten Fall aus Brünn.

PRÄPARATOR. Passens nur auf, Herr Oberpräparator!

(Stille.)

OBERPRÄPARATOR (betrachtet seinen dickverbundenen Zeigefinger). Es tut nicht weh, das ist verdächtig --

PRÄPARATOR. Wenn ich mir zum Beispiel meine Schmetterlingssammlung betrachte, dann denk ich immer, es dreht sich halt alles nach einer höheren Ordnung.

OBERPRÄPARATOR. Zur Sache: Kommens, die Pflicht ruft! (ab mit dem Präparator in das Anatomische Institut).

(Dunkel.)

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