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III Am nächsten Sonntag im Wiener Wald
ОглавлениеAuf einer Lichtung am Ufer der schönen blauen Donau.
Der Zauberkönig und Marianne, Oskar, Valerie, Alfred, einige entfernte Verwandte, unter ihnen Erich aus Kassel in Preußen, und kleine weißgekleidete hässliche Kinder machen einen gemeinsamen Ausflug.
Jetzt bilden sie gerade eine malerische Gruppe, denn sie wollen von Oskar fotografiert werden, der sich noch mit seinem Stativ beschäftigt – dann stellt er sich selbst in Positur neben Marianne, maßen er ja mit einem Selbstauslöser arbeitet. Und nachdem dieser tadellos funktionierte, gerät die Gruppe in Bewegung.
ZAUBERKÖNIG.
Halt! Da capo! Ich glaub, ich hab gewackelt!
[24]OSKAR.
Aber Papa!
ZAUBERKÖNIG.
Sicher ist sicher!
ERSTE TANTE.
Ach ja!
ZWEITE TANTE.
Das wär doch ewig schad!
ZAUBERKÖNIG.
Also da capo, da capo!
OSKAR.
Also gut! (Er beschäftigt sich wieder mit seinem Apparat – und wieder funktioniert der Selbstauslöser tadellos.)
ZAUBERKÖNIG.
Ich danke!
DIE GRUPPE (löst sich allmählich auf).
ERSTE TANTE.
Lieber Herr Oskar, ich hätt ein großes Verlangen – geh, möchtens nicht mal die Kinderl allein abfotografieren, die sind doch heut so herzig –
OSKAR.
Aber mit Vergnügen! (Er gruppiert die Kinder und küsst die Kleinste.)
ZWEITE TANTE
(zu Marianne). Nein, mit welcher Liebe er das arrangiert. – Na wenn das kein braver Familienvater wird! Ein Kindernarr, ein Kindernarr! Unberufen! (Sie umarmt Marianne und gibt ihr einen Kuss.)
VALERIE
(zu Alfred). Also das ist der Chimborasso.
ALFRED.
Was für ein Chimborasso?
VALERIE.
Dass du dich nämlich diesen Herrschaften hier anschließt, wo du doch weißt, dass ich dabei bin – nach all dem, was zwischen uns passiert ist.
ALFRED.
Was ist denn passiert? Wir sind auseinander. Und noch dazu als gute Kameraden.
VALERIE.
Nein, du bist halt keine Frau – sonst würdest du meine Gefühle anders respektieren.
ALFRED.
Was für Gefühle? Noch immer?
VALERIE.
Als Frau vergisst man nicht so leicht. Es bleibt immer etwas in einem drinnen. Wenn du auch ein großer Gauner bist.
ALFRED.
Ich bitte dich, werde vernünftig.
VALERIE
(plötzlich gehässig). Das würde dir so passen!
(Stille.)
ALFRED.
Darf sich der Gauner jetzt empfehlen?
[25]VALERIE.
Wer hat ihn denn hier eingeladen?
ALFRED.
Sag ich nicht.
VALERIE.
Man kann sichs ja lebhaft vorstellen, nicht?
ALFRED (zündet sich eine Zigarette an).
VALERIE.
Wo hat man sich denn kennengelernt? In der Puppenklinik?
ALFRED.
Halts Maul.
ZAUBERKÖNIG
(nähert sich Alfred mit Erich). Was höre ich? Die Herrschaften kennen sich noch nicht? Also darf ich bekannt machen: das ist mein Neffe Erich, der Sohn meines Schwippschwagers aus zweiter Ehe – und das ist Herr Zentner. Stimmts?
ALFRED.
Gewiss.
ZAUBERKÖNIG.
Herr von Zentner!
ERICH
(mit Brotbeutel und Feldflasche am Gürtel). Sehr erfreut!
ZAUBERKÖNIG.
Erich ist ein Student. Aus Dessau.
ERICH.
Aus Kassel, Onkel.
ZAUBERKÖNIG.
Kassel und Dessau – das verwechsel ich immer! (Er zieht sich zurück.)
ALFRED
(zu Valerie). Ihr kennt euch schon?
VALERIE.
Oh schon seit Ewigkeiten!
ERICH.
Ich hatte erst unlängst das Vergnügen. Wir hatten uns über das Burgtheater unterhalten und über den vermeintlichen Siegeszug des Tonfilms.
ALFRED.
Interessant! (Er verbeugt sich korrekt und zieht sich zurück; jetzt lässt eine Tante ihren Reisegrammo-phon singen. »Wie eiskalt ist dies Händchen«.)
ERICH
(lauscht). Bohème. Göttlicher Puccini!
MARIANNE
(nun neben Alfred; sie lauscht). Wie eiskalt ist dies Händchen –
ALFRED.
Das ist Bohème.
MARIANNE.
Puccini.
VALERIE
(zu Erich). Was kennen Sie denn für Operetten?
ERICH.
Aber das hat doch mit Kunst nichts zu tun!
VALERIE.
Geh, wie könnens denn nur so was sagen!
[26]ERICH.
Kennen Sie die Brüder Karamasow?
VALERIE.
Nein.
ERICH.
Das ist Kunst.
MARIANNE
(zu Alfred). Ich wollte mal rhythmische Gymnastik studieren, und dann hab ich von einem eigenen Institut geträumt, aber meine Verwandtschaft hat keinen Sinn für so was. Papa sagt immer, die finanzielle Unabhängigkeit der Frau vom Mann ist der letzte Schritt zum Bolschewismus.
ALFRED.
Ich bin kein Politiker, aber glauben Sie mir: auch die finanzielle Abhängigkeit des Mannes von der Frau führt zu nichts Gutem. Das sind halt so Naturgesetze.
MARIANNE.
Das glaub ich nicht.
OSKAR (fotografiert nun den Zauberkönig allein, und zwar in verschiedenen Posen; das Reisegrammophon hat ausgesungen).
ALFRED.
Fotografiert er gern, der Herr Bräutigam?
MARIANNE.
Das tut er leidenschaftlich. Wir kennen uns schon seit acht Jahren.
ALFRED.
Wie alt waren Sie denn damals? Pardon, das war jetzt nur eine automatische Reaktion!
MARIANNE.
Ich war damals vierzehn.
ALFRED.
Das ist nicht viel.
MARIANNE.
Er ist nämlich ein Jugendfreund von mir. Weil wir Nachbarskinder sind.
ALFRED.
Und wenn Sie jetzt keine Nachbarskinder gewesen wären?
MARIANNE.
Wie meinen Sie das?
ALFRED.
Ich meine, dass das halt alles Naturgesetze sind. Und Schicksal.
(Stille.)
MARIANNE.
Schicksal, ja. Eigentlich ist das nämlich gar nicht das, was man halt so Liebe nennt, vielleicht von seiner Seite aus, aber ansonsten – (sie starrt Alfred plötzlich an). Nein, was sag ich da, jetzt kenn ich Sie ja noch kaum – mein Gott, wie Sie das alles aus einem herausziehen –
[27]ALFRED.
Ich will gar nichts aus Ihnen herausziehen. Im Gegenteil.
MARIANNE.
Können Sie hypnotisieren?
OSKAR
(zu Alfred). Pardon! (Zu Marianne.) Darf ich bitten? (Er reicht ihr den Arm und geleitet sie unter eine schöne alte Baumgruppe, wo sich die ganze Gesellschaft bereits zum Picknick gelagert hat.)
ALFRED (folgt Oskar und Marianne und lässt sich ebenfalls nieder).
ZAUBERKÖNIG.
Über was haben wir denn gerade geplauscht?
ERSTE TANTE.
Über die Seelenwanderung.
ZWEITE TANTE.
Was ist denn das für eine Geschicht, das mit der Seelenwanderung?
ERICH.
Das ist buddhistische Religionsphilosophie. Die Buddhisten behaupten, dass die Seele eines verstorbenen Menschen in ein Tier hineinfährt – zum Beispiel in einen Elefanten.
ZAUBERKÖNIG.
Verrückt!
ERICH.
Oder in eine Schlange.
ERSTE TANTE.
Pfui!
ERICH.
Wieso pfui? Das sind doch nur unsere kleinlichen menschlichen Vorurteile! So lasst uns doch mal die geheime Schönheit der Spinnen, Käfer und Tausendfüßler –
ZWEITE TANTE
(unterbricht ihn). Also nur nicht unappetitlich, bittschön!
ERSTE TANTE.
Mir ist schon übel –
ZAUBERKÖNIG.
Mir kann heut nichts den Appetit verderben! Solche Würmer gibts gar nicht!
VALERIE.
Jetzt aber Schluss!
ZAUBERKÖNIG
(erhebt sich und klopft mit dem Messer an sein Glas). Meine lieben Freunde! Zu guter Letzt war es ja schon ein öffentliches Geheimnis, dass meine liebe Tochter Mariann einen Blick auf meinen lieben Oskar geworfen hat –
[28]VALERIE.
Bravo!
ZAUBERKÖNIG.
Silentium, gleich bin ich fertig, und nun haben wir uns hier versammelt, das heißt: ich hab euch alle eingeladen, um einen wichtigen Abschnitt im Leben zweier blühender Menschenkinder einfach, aber würdig, in einem kleinen, aber auserwählten Kreise zu feiern. Es tut mir nur heut in der Seele weh, dass Gott der Allmächtige es meiner unvergesslichen Gemahlin, der Mariann ihrer lieben Mutterl selig, nicht vergönnt hat, diesen Freudentag ihres einzigen Kindes mitzuerleben. Ich weiß es aber ganz genau, sie steht jetzt sicher hinter einem Stern droben in der Ewigkeit und schaut hier auf uns herab. Und erhebt ihr Glas – (er erhebt sein Glas) – um ein aus dem Herzen kommendes Hoch auf das glückliche, nunmehr und hiermit offiziell verlobte Paar – das junge Paar, Oskar und Marianne, es lebe hoch! Hoch! Hoch!
ALLE.
Hoch! Hoch! Hoch!
IDA (jenes magere, herzige, kurzsichtige Mäderl, das seinerzeit Havlitscheks Blutwurst beanstandet hatte, tritt nun weißgekleidet mit einem Blumenstrauß vor das verlobte Paar und rezitiert mit einem Sprachfehler).
Die Liebe ist ein Edelstein,
Sie brennt jahraus, sie brennt jahrein
Und kann sich nicht verzehren,
Sie brennt, solang noch Himmelslicht
In eines Menschen Aug sich bricht,
Um drin sich zu verklären.
ALLE.
Bravo! Hoch! Gott wie herzig!
IDA (überreicht Marianne den Blumenstrauß mit einem Knicks).
ALLE (streicheln nun Ida und gratulieren dem verlobten Paar in aufgeräumtester Stimmung; das Reisegrammophon spielt nun den Hochzeitsmarsch, und der Zauberkönig küsst Marianne auf die Stirn und Oskar auf den Mund, dann wischt er sich die Tränen aus den Augen, und dann legt er sich in seine Hängematte).
[29]ERICH
(hat eben mit seiner Feldflasche Bruderschaft mit Oskar getrunken). Mal herhören, Leute! Oskar und Marianne! Ich gestatte mir nun, aus dieser Feldflasche auf euer ganz Spezielles zu trinken! Glück und Gesundheit und viele brave deutsche Kinder! Heil!
VALERIE
(angeheitert). Nur keine Neger! Heil!
ERICH.
Verzeihen, gnädige Frau, aber über diesen Punkt vertrage ich keine frivolen Späße! Dieser Punkt ist mir heilig, Sie kennen meine Stellung zu unserem Rassenproblem.
VALERIE.
Ein problematischer Mensch. – Halt! So bleibens doch da, Sie komplizierter Mann, Sie –
ERICH.
Kompliziert. Wie meinen Sie das?
VALERIE.
Interessant –
ERICH.
Wieso?
VALERIE.
Ja glaubens denn, dass ich die Juden mag? Sie großes Kind – (sie hängt sich ein in das große Kind und schleift es weg; man lagert sich nun im Wald, und die kleinen Kindlein spielen und stören).
OSKAR (singt zur Laute).
Sei gepriesen, du lauschige Nacht,
Hast zwei Herzen so glücklich gemacht.
Und die Rosen im folgenden Jahr
Sahn ein Paar am Altar!
Auch der Klapperstorch blieb nicht lang aus,
Brachte klappernd den Segen ins Haus.
Und entschwand auch der liebliche Mai,
In der Jugend erblüht er neu!
(Er spielt das Lied nochmal, singt aber nicht mehr, sondern summt nur; auch alle anderen summen mit, außer Alfred und Marianne.)
ALFRED
(näherte sich nämlich Marianne). Darf man noch einmal gratulieren?
MARIANNE (schließt die Augen).
ALFRED (küsst lange ihre Hand).
OSKAR (hatte den Vorgang beobachtet, übergab seine Lau[30]te der zweiten Tante, schlich sich heran und steht nun neben Marianne).
ALFRED
(korrekt). Ich gratuliere!
OSKAR.
Danke.
ALFRED (verbeugt sich korrekt und will ab).
OSKAR
(sieht ihm nach). Er beneidet mich um dich – ein geschmackloser Mensch. Wer ist denn das überhaupt?
MARIANNE.
Ein Kunde.
OSKAR.
Schon lang?
MARIANNE.
Gestern war er da, und wir sind ins Gespräch gekommen – nicht lang, und dann hab ich ihn gerufen. Er hat sich ein Gesellschaftsspiel gekauft.
VALERIE
(schrill). Was soll das Pfand in meiner Hand?
ERICH.
Das soll dreimal muh schreien!
VALERIE.
Das ist die Tante Henriett, die Tante Henriett!
ERSTE TANTE
(stellt sich in Positur und schreit). Muh! Muh! Muh!
(Großes Gelächter.)
VALERIE.
Und was soll das Pfand in meiner Hand?
ZAUBERKÖNIG.
Das soll dreimal mäh schreien!
VALERIE.
Das bist du selber!
ZAUBERKÖNIG.
Mäh! Mäh! Mäh!
(Brüllendes Gelächter.)
VALERIE.
Und was soll das Pfand in meiner Hand?
ZWEITE TANTE.
Der soll etwas demonstrieren!
ERICH.
Was denn?
ZWEITE TANTE.
Was er kann!
VALERIE.
Oskar! Hast du gehört, Oskar? Du sollst uns etwas demonstrieren!
ERICH.
Was du willst!
ZAUBERKÖNIG.
Was du kannst!
(Stille.)
OSKAR.
Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen etwas sehr Nützliches demonstrieren, nämlich ich hab mich mit der japanischen Selbstverteidigungsmethode beschäftigt. Mit dem sogenannten Jiu-Jitsu. Und nun pas- [31]sens bitte auf, wie man seinen Gegner spielend kampfunfähig machen kann – (er stürzt sich plötzlich auf Marianne und demonstriert an ihr seine Griffe).
MARIANNE
(stürzt zu Boden). Au! Au! Au! –
ERSTE TANTE.
Nein, dieser Rohling!
ZAUBERKÖNIG.
Bravo! Bravissimo!
OSKAR
(zur ersten Tante). Aber ich hab doch den Griff nur markiert, sonst hätt ich ihr doch das Rückgrat verletzt!
ERSTE TANTE.
Das auch noch!
ZAUBERKÖNIG
(klopft Oskar auf die Schulter). Sehr geschickt! Sehr einleuchtend!
ZWEITE TANTE
(hilft Marianne beim Aufstehen). Ein so zartes Frauerl. – Haben wir denn noch ein Pfand?
VALERIE.
Leider! Schluss. Aus!
ZAUBERKÖNIG.
Dann hätt ich ein Projekt! Jetzt gehen wir alle baden! Hinein in die kühle Flut! Ich schwitz eh schon wie ein gselchter Aff!
ERICH.
Eine ausgezeichnete Idee!
VALERIE.
Aber wo sollen sich denn die Damen entkleiden?
ZAUBERKÖNIG.
Nichts leichter als das! Die Damen rechts, die Herren links! Also auf Wiedersehen in unserer schönen blauen Donau!
(Jetzt spielt das Reisegrammophon den Walzer »An der schönen blauen Donau«, und die Damen verschwinden rechts, die Herren links – Valerie und Alfred sind die Letzten.)
VALERIE.
Alfred!
ALFRED.
Bitte?
VALERIE (trällert die Walzermelodie nach und zieht sich ihre Bluse aus).
ALFRED.
Nun?
VALERIE (wirft ihm eine Kusshand zu).
ALFRED.
Adieu!
VALERIE.
Moment! Gefällt dem Herrn Baron das Fräulein Braut?
[32]ALFRED
(fixiert sie – geht dann rasch auf sie zu und hält knapp vor ihr). Hauch mich an.
VALERIE.
Wie komm ich dazu!
ALFRED.
Hauch mich an!
VALERIE (haucht ihn an).
ALFRED.
Du Alkoholistin.
VALERIE.
Das ist doch nur ein Schwips, den ich da hab, du Vegetarianer! Der Mensch denkt, und Gott lenkt. Man feiert doch nicht alle Tag Verlobung – und Entlobung, du Schweinehund –
ALFRED.
Einen anderen Ton, wenn ich bitten darf!
VALERIE.
Dass du mich nicht anrührst, dass du mich nicht anrührst –
ALFRED.
Als hätt ich dich schon jemals angerührt.
VALERIE.
Und am siebzehnten März?
(Stille.)
ALFRED.
Wie du dir alles merkst –
VALERIE.
Alles. Das Gute und das Böse – (sie hält sich plötzlich die Bluse vor). Geh! Ich möcht mich jetzt ausziehen!
ALFRED.
Als hätt ich dich nicht schon so gesehen –
VALERIE
(kreischt). Schau mich nicht so an! Geh! Geh!
ALFRED.
Hysterische Kuh – (ab nach links).
VALERIE
(allein; sieht ihm nach). Luder. Mistvieh. Drecksau. Bestie. (Sie zieht sich aus.)
ZAUBERKÖNIG (taucht im Schwimmanzug hinter dem Busch auf und sieht zu).
VALERIE (hat nun nur mehr das Hemd, Schlüpfer und Strümpfe an, sie entdeckt den Zauberkönig).
Jesus Maria Josef! Oh du Hallodri! Mir scheint gar, du bist ein Voyeur –
ZAUBERKÖNIG.
Ich bin doch nicht pervers. Zieh dich nur ruhig weiter aus.
VALERIE.
Nein, ich hab doch noch mein Schamgefühl.
ZAUBERKÖNIG.
Geh, in der heutigen Zeit!
VALERIE.
Aber ich hab halt so eine verflixte Phantasie – (sie trippelt hinter einen Busch).
[33]ZAUBERKÖNIG (lässt sich vor dem Busch nieder, entdeckt Valeries Korsett, nimmt es an sich und riecht daran).
Mit oder ohne Phantasie – diese heutige Zeit ist eine verkehrte Welt! Ohne Treu, ohne Glauben, ohne sittliche Grundsätz. Alles wackelt, nichts steht mehr fest. Reif für die Sintflut – (er legt das Korsett wieder beiseite, denn es duftet nicht gerade überwältigend). Ich bin nur froh, dass ich die Mariann angebracht hab, eine Fleischhauerei ist immer noch solid –
VALERIES STIMME.
Na und die Trafikantinnen?
ZAUBERKÖNIG.
Auch! Rauchen und fressen werden die Leut immer – aber zaubern? Wenn ich mich so mit der Zukunft beschäftig, da wirds mir manchmal ganz pessimistisch. Ich habs ja überhaupt nicht leicht gehabt in meinem Leben, ich muss ja nur an meine Frau selig denken – diese ewige Schererei mit den Spezialärzten –
VALERIE
(erscheint nun im Badetrikot; sie beschäftigt sich mit dem Schulterknöpfchen). An was ist sie denn eigentlich gestorben?
ZAUBERKÖNIG (stiert auf ihren Busen).
An der Brust.
VALERIE.
Doch nicht Krebs?
ZAUBERKÖNIG.
Doch. Krebs.
VALERIE.
Ach, die Ärmste.
ZAUBERKÖNIG.
Ich war auch nicht zu beneiden. Man hat ihr die linke Brust wegoperiert – sie ist überhaupt nie gesund gewesen, aber ihre Eltern haben mir das verheimlicht. – Wenn ich dich daneben anschau: stattlich, also direkt königlich. – Eine königliche Person.
VALERIE
(macht nun Rumpfbeugen). Was wisst ihr Mannsbilder schon von der Tragödie des Weibes? Wenn wir uns nicht so herrichten und pflegen täten –
ZAUBERKÖNIG
(unterbricht sie). Glaubst du, ich muss mich nicht pflegen?
VALERIE.
Das schon. Aber bei einem Herrn sieht man doch in erster Linie auf das Innere – (sie macht nun in rhythmischer Gymnastik).
[34]ZAUBERKÖNIG (sieht ihr zu und macht dann Kniebeugen).
VALERIE.
Hach, jetzt bin ich aber müd! (Sie wirft sich neben ihn hin.)
ZAUBERKÖNIG.
Der sterbende Schwan. (Er nimmt neben ihr Platz.)
(Stille.)
VALERIE.
Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?
ZAUBERKÖNIG.
Auf der Alm gibts keine Sünd!
VALERIE
(tut es). Die Erd ist nämlich noch hart – heuer war der Winter lang.
(Stille.)
VALERIE
(leise). Du. Gehts dir auch so? Wenn die Sonn so auf meine Haut scheint, wirds mir immer so weißnichtwie –
ZAUBERKÖNIG.
Wie?
(Stille.)
VALERIE.
Du hast doch zuvor mit meinem Korsett gespielt?
(Stille.)
ZAUBERKÖNIG.
Na und?
VALERIE.
Na und?
ZAUBERKÖNIG (wirft sich plötzlich über sie und küsst sie).
VALERIE.
Gott, was für ein Temperament – das hätt ich dir gar nicht zugetraut – du schlimmer Mensch, du –
ZAUBERKÖNIG.
Bin ich schlimm? Bin ich schlimm?
VALERIE.
Ja – nein, du! Halt, da kommt wer! (Sie kugeln auseinander.)
ERICH
(kommt in Badehose mit einem Luftdruckgewehr). Verzeihung, Onkel! Du wirst es doch gestatten, wenn ich es mir jetzt gestatte, hier zu schießen?
ZAUBERKÖNIG.
Was willst du?
ERICH.
Schießen.
ZAUBERKÖNIG.
Du willst hier schießen?
ERICH.
Nach der Scheibe auf jener Buche dort. Übermorgen steigt nämlich das monatliche Preisschießen unseres akademischen Wehrverbandes, und da möchte ich es mir nur gestatten, mich etwas einzuschießen. Also darf ich?
[35]VALERIE.
Natürlich.
ZAUBERKÖNIG.
Natürlich? (Zu Valerie.) Natürlich! (Er erhebt sich.) Wehrverband! Sehr natürlich! Nur das Schießen nicht verlernen. – Ich geh mich jetzt abkühlen! In unsere schöne blaue Donau! (Für sich.) Hängts euch auf! (Ab.)
ERICH (ladet, zielt und schießt).
VALERIE
(sieht ihm zu; nach dem dritten Schuss). Pardon, wenn ich Sie molestiere – was studieren der junge Herr eigentlich?
ERICH.
Jus. Drittes Semester. (Er zielt.) Arbeitsrecht. (Schuss.)
VALERIE.
Arbeitsrecht. Ist denn das nicht recht langweilig?
ERICH
(ladet). Ich habe Aussicht, dereinst als Syndikus mein Unterkommen zu finden. (Er zielt.) In der Industrie. (Schuss.)
VALERIE.
Und wie gefällt Ihnen unsere Wiener Stadt?
ERICH.
Herrliches Barock.
VALERIE.
Und die süßen Wiener Maderln?
ERICH.
Offen gesagt: Ich kann mit jungen Mädchen nichts anfangen. Ich war nämlich schon mal verlobt und hatte nur bittere Enttäuschungen, weil Käthe eben zu jung war, um meinem Ich Verständnis entgegenbringen zu können. Bei jungen Mädchen verschwendet man seine Gefühle an die falsche Adresse. Dann schon lieber eine reifere Frau, die einem auch etwas geben kann.
(Schuss.)
VALERIE.
Wo wohnen Sie denn?
ERICH.
Ich möchte gerne ausziehen.
VALERIE.
Ich hätt ein möbliertes Zimmer.
ERICH.
Preiswert?
VALERIE.
Geschenkt.
ERICH.
Das träfe sich ja famos!
(Schuss.)
VALERIE.
Herr Syndikus – geh lassens mich auch mal schießen –
ERICH.
Mit Vergnügen!
[36]VALERIE.
Ganz meinerseits. (Sie nimmt ihm das Gewehr ab.) Waren Sie noch Soldat?
ERICH.
Leider nein – ich bin doch Jahrgang 1911.
VALERIE.
1911 – (sie zielt lange).
ERICH
(kommandiert). Stillgestanden! Achtung! Feuer!
VALERIE (schießt nicht – langsam lässt sie das Gewehr sinken und sieht ihn ernst an).
ERICH.
Was ist denn los?
VALERIE.
Au! (Sie krümmt sich plötzlich und wimmert.) Ich hab so Stechen – meine arme Niere –
(Stille.)
ERICH.
Kann ich Ihnen behilflich sein?
VALERIE.
Danke. – Jetzt ist es schon wieder vorbei. Das ist nämlich oft so, wenn ich mich freudig aufreg – ich muss halt immer gleich büßen. Jetzt kann ich das Ziel nicht mehr sehen –
ERICH
(verwirrt). Was für ein Ziel?
VALERIE.
Weil es halt schon dämmert – (sie umarmt ihn und er lässt sich umarmen; ein Kuss). Ein Ziel ist immer etwas Erstrebenswertes. Ein Mensch ohne Ziel ist kein Mensch. – Du – du Neunzehnhundertelfer –