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IV An der schönen blauen Donau
ОглавлениеNun ist die Sonne untergegangen, es dämmert bereits, und in der Ferne spielt der lieben Tante ihr Reisegrammophon den »Frühlingsstimmen-Walzer« von Johann Strauß.
ALFRED (in Bademantel und Strohhut – er blickt verträumt auf das andere Ufer).
MARIANNE (steigt aus der schönen blauen Donau und erkennt Alfred).
(Stille.)
[37]ALFRED
(lüftet den Strohhut). Ich wusst es, dass Sie hier landen werden.
MARIANNE.
Woher wussten Sie das?
ALFRED.
Ich wusst es.
(Stille.)
MARIANNE.
Die Donau ist weich wie Samt –
ALFRED.
Wie Samt.
MARIANNE.
Heut möcht ich weit weg – heut könnt man im Freien übernachten.
ALFRED.
Leicht.
MARIANNE.
Ach, wir armen Kulturmenschen! Was haben wir von unserer Natur!
ALFRED.
Was haben wir aus unserer Natur gemacht? Eine Zwangsjacke. Keiner darf, wie er will.
MARIANNE.
Und keiner will, wie er darf.
(Stille.)
ALFRED.
Und keiner darf, wie er kann.
MARIANNE.
Und keiner kann, wie er soll –
ALFRED (umarmt sie mit großer Gebärde, und sie wehrt sich mit keiner Faser – ein langer Kuss).
MARIANNE
(haucht). Ich habs gewusst, ich habs gewusst –
ALFRED.
Ich auch.
MARIANNE.
Liebst du mich, wie du solltest –?
ALFRED.
Das hab ich im Gefühl. Komm, setzen wir uns. (Sie setzen sich.)
(Stille.)
MARIANNE.
Ich bin nur froh, dass du nicht dumm bist – ich bin nämlich von lauter dummen Menschen umgeben. Auch Papa ist kein Kirchenlicht – und manchmal glaub ich sogar, er will sich durch mich an meinem armen Mutterl selig rächen. Die war nämlich sehr eigensinnig.
ALFRED.
Du denkst zu viel.
MARIANNE.
Jetzt gehts mir gut. Jetzt möcht ich singen. Immer, wenn ich traurig bin, möcht ich singen – (sie summt und verstummt wieder). Warum sagst du kein Wort?
(Stille.)
[38]ALFRED.
Liebst du mich?
MARIANNE.
Sehr.
ALFRED.
So wie du solltest? Ich meine, ob du mich vernünftig liebst?
MARIANNE.
Vernünftig?
ALFRED.
Ich meine, ob du keine Unüberlegtheiten machen wirst – denn dafür könnt ich keine Verantwortung übernehmen.
MARIANNE.
Oh Mann, grübl doch nicht – grübl nicht, schau die Sterne – die werden noch droben hängen, wenn wir drunten liegen –
ALFRED.
Ich lass mich verbrennen.
MARIANNE.
Ich auch – du, oh du – du –
(Stille.)
MARIANNE.
Du – wie der Blitz hast du in mich eingeschlagen und hast mich gespalten – jetzt weiß ich es aber ganz genau.
ALFRED.
Was?
MARIANNE.
Dass ich ihn nicht heiraten werde –
ALFRED.
Mariann!
MARIANNE.
Was hast du denn?
(Stille.)
ALFRED.
Ich hab kein Geld.
MARIANNE.
Oh warum sprichst du jetzt davon?!
ALFRED.
Weil das meine primitivste Pflicht ist! Noch nie in meinem Leben hab ich eine Verlobung zerstört, und zwar prinzipiell! Lieben ja, aber dadurch zwei Menschen auseinanderbringen – nein! Dazu fehlt mir das moralische Recht! Prinzipiell!
(Stille.)
MARIANNE.
Ich hab mich nicht getäuscht, du bist ein feiner Mensch. Jetzt fühl ich mich doppelt zu dir gehörig – ich pass nicht zu Oskar und basta!
(Es ist inzwischen finster geworden und nun steigen in der Nähe Raketen.)
ALFRED.
Raketen. Deine Verlobungsraketen.
[39]MARIANNE.
Unsere Verlobungsraketen.
ALFRED.
Und bengalisches Licht.
MARIANNE.
Blau, grün, gelb, rot –
ALFRED.
Sie werden dich suchen.
MARIANNE.
Sie sollen uns finden – bleib mir, du, dich hat mir der Himmel gesandt, mein Schutzengel –
(Jetzt gibt es bengalisches Licht – blau, grün, gelb, rot – und beleuchtet Alfred und Marianne; und den Zauberkönig, der knapp vor ihnen steht mit der Hand auf dem Herzen.)
MARIANNE
(schreit unterdrückt auf). (Stille.)
ALFRED
(geht auf den Zauberkönig zu). Herr Zauberkönig –
ZAUBERKÖNIG
(unterbricht ihn). Schweigen Sie! Mir brauchen Sie nichts zu erklären, ich hab ja alles gehört – na, das ist ja ein gediegener Skandal! Am Verlobungstag –! Nacket herumliegen! Küss die Hand! Mariann! Zieh dich an! Dass nur der Oskar nicht kommt – Jesus Maria und ein Stückerl Josef!
ALFRED.
Ich trag natürlich sämtliche Konsequenzen, wenn es sein muss.
ZAUBERKÖNIG.
Sie haben da gar nichts zu tragen! Sie haben sich aus dem Staube zu machen, Sie Herr! Diese Verlobung darf nicht platzen, auch aus moralischen Gründen nicht! Dass mir keine Seele was erfährt, Sie Halunk – Ehrenwort!
ALFRED.
Ehrenwort!
MARIANNE.
Nein!!
ZAUBERKÖNIG
(unterdrückt). Brüll nicht! Bist daneben? Zieh dich an, aber marsch-marsch! Badhur!
OSKAR
(erscheint und überblickt die Situation). Marianne! Marianne!
ZAUBERKÖNIG.
Krach in die Melon!
(Stille.)
ALFRED.
Das Fräulein Braut haben bis jetzt geschwommen.
[40]MARIANNE.
Lüg nicht! So lüg doch nicht! Nein, ich bin nicht geschwommen, ich mag nicht mehr schwimmen! Ich lass mich von euch nicht mehr tyrannisieren. Jetzt bricht der Sklave seine Fessel – da! (Sie wirft Oskar den Verlobungsring ins Gesicht.) Ich lass mir mein Leben nicht verhunzen, das ist mein Leben! Gott hat mir im letzten Moment diesen Mann da zugeführt. – Nein, ich heirat dich nicht, ich heirat dich nicht, ich heirat dich nicht!! Meinetwegen soll unsere Puppenklinik verrecken, eher heut als morgen!
ZAUBERKÖNIG.
Das einzige Kind! Das werd ich mir merken!
(Stille; während zuvor Marianne geschrien hat, sind auch die übrigen Ausflügler erschienen und horchen interessiert und schadenfroh zu.)
OSKAR
(tritt zu Marianne). Mariann. Ich wünsch dir nie, dass du das durchmachen sollst, was jetzt in mir vorgeht – und ich werde dich auch noch weiter lieben, du entgehst mir nicht – und ich danke dir für alles. (Ab.)
(Stille.)
ZAUBERKÖNIG
(zu Alfred). Was sind Sie denn überhaupt?
ALFRED.
Ich?
VALERIE.
Nichts. Nichts ist er.
ZAUBERKÖNIG.
Ein Nichts. Das auch noch. Ich habe keine Tochter mehr! (Ab mit den Ausflüglern – Alfred und Marianne bleiben allein zurück; jetzt scheint der Mond.)
ALFRED.
Ich bitte dich um Verzeihung.
MARIANNE (reicht ihm die Hand).
ALFRED.
Dass ich dich nämlich nicht hab haben wollen – dafür trägt aber nur mein Verantwortungsgefühl die Verantwortung. Ich bin deiner Liebe nicht wert, ich kann dir keine Existenz bieten, ich bin überhaupt kein Mensch –
MARIANNE.
Mich kann nichts erschüttern. Lass mich aus dir einen Menschen machen – du machst mich so groß und weit –
[41]ALFRED.
Und du erhöhst mich. Ich werd ganz klein vor dir in seelischer Hinsicht.
MARIANNE.
Und ich geh direkt aus mir heraus und schau mir nach – jetzt, siehst du, jetzt bin ich schon ganz weit fort von mir – ganz dort hinten, ich kann mich kaum mehr sehen. – Von dir möcht ich ein Kind haben –
Ende des ersten Teiles