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Joachim September 1994

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Der Joachim macht gerade eine Rezitationsübung mit einem neuen Schüler.

Er hat einige fixe Klienten, die im Kreis der »Gnostischen Heilsbringer« zu finden sind, denn Sprachgestaltung gilt als sehr wichtig, das betont der Herr Professor immer wieder. »Die Seele muss sich in die Vokale und Konsonanten hineinleben, und der Sinn der Worte ist zweitrangig.«

Der Joachim hat auch noch in der »Presse« eine Annonce aufgegeben. Die »Presse« ist ein halbwegs seriöses Organ der Berichterstattung.

Und heute hat er einen Schüler, der sich auf diese Annonce gemeldet hat.

Der will Schauspieler werden und hat die Aufnahmsprüfung im Reinhardt-Seminar nicht geschafft.

Der Jüngling ist neunzehn und hat gerade maturiert. Er heißt auch noch Mike, englisch ausgesprochen, als ob es im Deutschen nicht genügend schöne Namen gäbe! Er kommt gerade von seiner Maturareise aus Mallorca zurück, so erzählt er. Man sieht ihm an, dass er in der Sonne gewesen ist, denn er hat sich einen Sonnenbrand geholt. Seine Wangen sind krebsrot und von seiner Nase blättert die Haut ab. Er ist blond, ein hochaufgeschossener schlaksiger Kerl mit einem stark ausgebildeten Adamsapfel. Bei Männern wächst der Kehlkopf ja nach außen. Und wenn dieser stark ausgebildet ist, kündigt sich schon seine Wiedergeburt an, in einer fernen Zeit, wo der Kehlkopf die Geschlechtsorgane ersetzten wird, um neue Menschen zu gebären.

Er spricht diese entsetzliche, leicht genäselte Jugendsprache, die jetzt modern geworden ist.

Sogar im Burgtheater wird nicht mehr auf die Artikulation geachtet und die Schauspieler sprechen schlampig und unverständlich. Wo ist das herrliche Deutsch eines Oskar Werner geblieben?

Der Joachim sitzt im Lehnstuhl im Herrenzimmer, und hat den Schüler in der Mitte des Zimmers platziert, der Perserteppich von der Großmutter liegt dort, an einigen Stellen schon ein wenig abgewetzt.

Er hat diesem Mike das Libretto von »Die Götterdämmerung« in die Hand gegeben und die Seite mit der herrlichen Arie der Brünnhilde am Ende der Oper aufgeschlagen. »Götterdämmerung.« Er muss unwillkürlich lachen, dieser junge Mann ist fürwahr aus einer Generation, wo die Götter verdämmern und der Materialismus sich breitmacht.

»Ich spreche Ihnen vor und Sie müssen dann wiederholen«, sagt er und beginnt – natürlich auswendig – zu rezitieren:

»›Starke Scheite

schichtet mir dort

am Rande des Rheines zuhauf!‹

Nachsprechen!«, befiehlt er.

Der Mike spricht nach: »Starke Scheite

schichtet mir dort

am Rande des Rheines zuhauf!«, und es klingt, als ob er das Telefonbuch heruntersagen würde. Oh mein Gott, der ist ein hoffnungsloser Fall.

»Sie müssen jeden Vokal, jeden Konsonanten deutlich betonen!«, der Joachim versucht, nicht ungeduldig zu werden.

»›St-ar-ke Schei-te schich-tet mir dort

am Ra-n-de des Rhein-es zuhauf!‹«

Der Jüngling wiederholt die herrlichen Worte schlampig und undeutlich, und der Joachim rezitiert den nächsten Absatz:

»›Hoch und hell

lodre die Glut,

die den edlen Leib

des hehrsten Helden verzehrt.‹ Sprechen Sie nach!«

Doch dieser Mike sagt auf einmal: »Und wen will die Brünnhilde auf dem Scheiterhaufen verbrennen? Ich kenne die Oper nämlich nicht!«

Jetzt wird der Joachim wütend: »Das brauchst du auch nicht, nachsprechen musst du, einfach nachsprechen!«

»Aber ich muss doch den Schmerz dieser Brünnhilde spüren, damit ich diese Worte richtig interpretieren kann!«

»Ja, ja, ich weiß, so einen Schwachsinn erzählen sie euch auf den Schauspielschulen! Sich hineinfühlen! Der Inhalt ist völlig unwichtig, es muss deklamiert werden! Die Welt ist arm geworden. Das Höhere ist verloren gegangen, die Kultur, wie sie einmal war! Du sollst zuhören und nachmachen. Pass auf:

»Sein Ross führet daher,

dass mit mir dem Recken es folge:

denn des Helden heiligste

Ehre zu teilen,

verlangt mein eigener Leib.

Vollbringt Brünnhildes Wunsch!

Umflöss’ es Flosshilde ewig!

Deine Krötengestalt,

deiner Stimme Gekrächz,

o dürft’ ich staunend und stumm

sie nur hören und sehn!«

Der Joachim fühlt sich beflügelt von seinem Vortrag. Er ist aufgestanden und hat die Stimme anschwellen lassen, die Arme würdevoll zur Seite erhoben.

Er hat so wundervoll deklamiert, dass dieser Mike natürlich als Stümper dastehen muss.

Er klopft ihm auf die Schulter: »Aber du wirst es eines Tages schon verstehen, wenn wir immer und immer wieder diese Übung machen!«

»Herr Kaunitz Hackenberg, seien Sie nicht böse, aber ich glaube, das ist nicht das Richtige für mich!«

Der Joachim hat beim letzten Satz nicht richtig zugehört, denn von der Straße her hört man das Bellen eines Hundes.

Jetzt ist es genug. Seit drei Monaten schon erträgt er täglich um diese Zeit dieses keifende Geräusch, wenn die Frau mit dem dicken Gesäß ihren Dackel spazieren führt. Sie trägt im Sommer geschmacklose, geblümte Oberteile, aus denen ihre fetten Oberarme herausquellen, und die grauen Haare sind zu einem neckischen Kurzhaarschnitt gestutzt, der ihrem Alter keineswegs entspricht. Er holt den Revolver aus dem Nachtkästchen.

»Komm mit«, sagt er zum Mike, der erschrocken die Augen aufgerissen hat. Dem Joachim gefällt es, wenn die Leute mit Angst auf seinen Revolver reagieren. Dabei ist es nur eine Attrappe, die er einmal von der Requisite eines Theaters mitgenommen hat.

Er geht zum Küchenfenster und schaut hinunter auf den kleinen Wiesenfleck, der mit drei Bäumen und einer Sitzbank wohl einen Park darstellen soll. Dort trifft sich die Frau immer mit einem anderen Hundebesitzer, einem alten Mann, der meistens eine ausgebeulte Trainingshose trägt und einen fetten Schäferhund an der Leine führt.

Der Dackel keift jetzt den Schäferhund an und der keift zurück, nur eine Oktave tiefer. Als er dann auf den Schäferhund losgehen will, zieht die Frau die Leine zurück und keift jetzt ebenfalls: »Merli, hör auf, hör sofort auf, sei ruhig, sei jetzt ruhig!«, und sie will dem Dackel die Schnauze zuhalten. Doch die Merli schnappt erstaunlich schnell nach ihrer Hand.

Auch der Mann redet auf sein Tier ein.

»Gib a Ruh, Rambo, gib a Ruh, tu nicht bellen, da wird die Merli ja ganz narrisch!«

Jetzt wird der Joachim aktiv. Er macht das Fenster auf, zieht die Spielzeugwaffe und schreit hinunter, noch immer deklamierend, weil sein Schüler ja hinter ihm steht.

»Wenn diese zwei Kreaturen nicht sofort zu bellen aufhören, dann schieße ich ihnen eine Kugel durch die Köpfe!«

Der alte Mann und die Frau mit den grauen Haaren schauen erschreckt zu seinem Fenster herauf, die Frau lässt ein Kreischgeräusch los. Dann kann er sehen, wie die beiden Proleten aufspringen und sich aus dem Staub machen.

Im Bett mit dem Teufel

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